Karlmann - Michael Kleeberg - E-Book
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Karlmann E-Book

Michael Kleeberg

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Beschreibung

Die Betriebsgeheimnisse eines ganz normalen Mannes

An seinem Hochzeitstag fühlt sich Karlmann »Charly« Renn als Sieger. Er hat seine Traumfrau geheiratet, und Boris Becker gewinnt Wimbledon. Alles scheint möglich. Michael Kleebergs Roman durchleuchtet Familie und Freunde, das Lieben und Arbeiten seines Helden mit so unerbittlicher Präzision, dass die Banalität des Alltäglichen seine verborgene Faszinationskraft enthüllt. Ein Buch über die Zeit und was sie mit den Menschen macht. Kleeberg betreibt mit literarischen Mitteln nicht weniger als eine Anthropologie des Männlichen. Charlie Renn nämlich ist ein Jedermann, ein Mann, den man zu kennen glaubt. Einer, der begehrt, sucht, funktioniert, sich fügt und vom Ausbruch träumt. Aber so wie der Autor ihn beobachtet und seziert, hat man ihn noch nie gesehen.

Der erste Band der großen Karlmann-Trilogie, gefolgt von den Romanen »Vaterjahre« und »Dämmerung«, eröffnet die literarische Epochenbesichtigung, die von den 1980er-Jahren bis in unsere Gegenwart reicht.

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Seitenzahl: 735

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Buch

Juli 1985. Ein junger Mann hat am Vormittag geheiratet und sitzt am Nachmittag vor dem Fernseher. Dort erlebt er mit, wie ein deutscher Tennisspieler auf dem berühmtesten Center Court der Welt beweist, daß man das Unmögliche schaffen kann, wenn man nur will. Und sein Glaube und seine Zuversicht übertragen sich auf Karlmann »Charly« Renn. Auch der ist heute ein Sieger. Er hat seine Traumfrau geheiratet, und der Ausgang des Wimbledon-Finales ist ein gutes Omen für die Zukunft. Dies ist Charlys Tag. Oder hätte es sein können, wäre da nicht das unerwartete Geschenk seines Vaters, das seinen hochfliegenden Träumen in die Quere kommt. Michael Kleeberg betreibt mit literarischen Mitteln nicht weniger als eine Anthropologie des Männlichen. Charly Renn nämlich ist ein Jedermann, ein Mann, den man zu kennen glaubt. Einer, der begehrt, sucht, funktioniert, sich fügt und vom Ausbruch träumt. Aber so, wie Michael Kleeberg ihn beobachtet und durchleuchtet, hat man ihn noch nicht gesehen.

Autor

Michael Kleeberg wurde 1959 in Stuttgart geboren und wuchs in Süddeutschland und Hamburg auf. Nach Aufenthalten in Rom und Amsterdam lebte er von 1986 bis 1999 in Paris. Heute arbeitet er als freier Schriftsteller und Übersetzer in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Über den AutorWidmungJuli 85Oktober 86Februar 87November 88September 89Copyright

Für Scotty und Toune

Manch Leben ist, wie Licht und Nacht, verschieden,In goldner Mitte wohnest du.

FRIEDRICH HÖLDERLIN

Die Sanftmütigen werden die Erde besitzen,aber nicht die Schürfrechte.

PAUL GETTY

Juli 85

Wo entspringt diese ungeheure Zuversicht, die sich durch den Bildschirm hindurch auf dich überträgt und fortpflanzt: Es kann nichts passieren. Es kann nichts schiefgehen.

In den leeren blauen Augen, die nach innen horchen (darüber im Sonnenlicht leuchtend der weißblonde Fransenteppich der Schweinswimpern)? In dem ernsten, versunkenen, kalten Kindergesicht? Der spielerisch oder als sei er ein schüchternes kleines Mädchen, das etwas aufsagen soll, vor- und zurückgleitenden rosigen Zunge im Mundwinkel, wenn zugleich die Augen starr werden wie Gewehrmündungen?

Du weißt es nicht.

Vielleicht in dem breitbeinigen, steifen, fast gorillahaft im Oberkörper pendelnden Stand auf weißbeflaumt-weißen, obszön kräftigen, säulenhaften Schenkeln? Der irrsinnigen Bogenspannung des weißen Oberkörpers, sodaß sich vor der Explosion, vor dem Zusammenschnappen, dem schußähnlichen trockenen Knall, Hinterkopf und Waden, so meint man, berühren müssen? Oder in der im Grunde lächerlichen geballten Faust, der man dennoch glaubt wie der Geste des Erlösers?

Diese sinnlich aufgeworfenen vollen Lippen im Profil, wie geschwollen, wie angeklebt, die helle Haut, der blonde Lulu-Haarhelm, länger jetzt als vor zwei Wochen. Und wie er fällt! Der Sprung dem ausgestreckten Arm hinterher, quer in der Luft schwebend. Der Aufprall dieses schweren, großen, weißen Kindmann-Körpers. Ein abstoßender Anblick: wie ein erschossenes riesiges Albino-Tier.

Stürzen, Staubfressen, Erniedrigung. Und wie langsam er sich zunächst wieder aufrappelt. Er kniet auf allen vieren, der Kopf hängt, langsam langsam, wie ein angeschlagener, angezählter Boxer, noch halb groggy, kommt er wieder hoch, wuchtet sich seitlich hoch, pustet, spuckt sich in die Hände wie wir früher zum Klettern an der Teppichstange.

Und dann dieser Blick! Dieser blaue, undurchdringliche, unbezwingbare und zugleich nichtsahnend naive Blick aus diesem zarten Kindergesicht! Gott, er weiß gar nicht, was das ist: Verlieren! Er weiß gar nicht, was das ist: Niederlage und Angst und Scham! Er kann zwanzigmal wie ein geschlachtetes Schwein in den Staub klatschen und wird wieder hochkommen mit diesem intakten Blick. Der nichts Gutes verheißt. Das ist mehr als Zuversicht, mehr als Gewißheit, mehr als Sport.

Das ist etwas ganz Neues, etwas, das noch nie da war und wofür es kein Wort gibt. Das ist der, der unsere Träume erfüllen wird, das ist der, der dich spüren läßt, welch grenzenloses, welch unermeßliches Potential du selber hast.

Gänsehaut, siehst du? Das ist der elektrische Kontakt, der Kraftfluß von ihm zu mir und zurück, wieder hinein in das riesige, noble, grüne Geviert.

Letzter Sonntag des Turniers im grünen Londoner Südwesten. Englisch diszipliniertes Warten auf das abschließende Crescendo vor dem sterbensöden Montag. Die zwei Wochen lang in T-Shirts und Sonnenbrillen, Pepitahütchen und Basecaps, in Regenhüllen und Kapuzen umherstreifenden Massen, die mit Popcorn und Chips und Wimpeln und Regenschirmen die Alleen zwischen den Plätzen füllten im Schatten der modrigen Holzgerüste und Betonpfannen des Center Courts und des Courts Number One, sind verschwunden. Alles ist leergefegt, nur die hohe grüne Schüssel des zentralen Stadions voll bis auf den letzten Platz. Amplituden aus Licht und grüngesprenkeltem Schatten, aus Stille, in der das Plock-Plock des Ballwechsels widerhallt, und dem aufrauschenden, hochbrandenden Lärm der Menge, Applaus, der klingt wie das Auffliegen eines Schwarms von zehntausend Zugvögeln. Amplituden aus sonntäglicher Sommerlethargie und nervös-elektrischem Prickeln. Vereinzelte schrille Schreie, die eine Welle von Gelächter überspült und erstickt. Von den Tribünen steigt ein Geruch nach Sperrholz und Leim auf und feuchtem Segeltuch und nassem Rost, nach Schweiß und Sonnenmilch, nach aufgestoßenem Bier, nach Cola und Ketchup und nach süßlichen und säuerlichen Eaux de Cologne. Menschen, die mit der Tube aus der Stadt gekommen sind, Menschenströme, die Schlange standen vor den metallisch riechenden Drehkreuzen, Familien, Paare, Männergruppen; aus Chelsea, Belgravia, Dagenham und Brixton sind sie gekommen, der ganze Hautfarbenregenbogen von fahl bis bläulich schwarz, klassenlose Gesellschaft der Glücklichen, die Karten ergattert haben fürs Endspiel, alle gleichwertig im Schatten des Mythos, alle privilegiert und stolz. Das Wetter spielt mit, keine dunkle Wolke in Sicht, wie so oft in den letzten zwei Wochen. The year of the thunderbolt.

Das weiße Grundrauschen der Erwartung schwillt an und überträgt sich aus dem Londoner Sportpark via Weltraum, Satelliten, Schaltzentrale und Antennendraht auch in dieses Zimmer, das Diesseits des Center Courts, die Welt hinter dem Sucher der Kamera: Hier ist sie, die Hamburger Wohnung von Charly Renn, der heute morgen geheiratet hat.

Er sitzt zurückgelehnt – noch zurückgelehnt – in dem grünen Sofa, trägt noch die schwarze Anzughose vom Standesamt und das weiße Hemd. Dessen oberste zwei Knöpfe sind geöffnet, die Krawatte hat er mit der Bewegung eines Erstickenden gelockert beim Nachhausekommen, eine Geste und ein Gefühl aus irgendeinem amerikanischen Film, den er halb unbewußt nachspielt, eine Societykomödie – die schlechten enden alle mit dieser Heiratsszene, während die guten erst mit dem Abgrund einsetzen, der sich danach auftut ... Fehlt der Whisky oder Martini, der ihm gereicht werden müßte. Die andern werden Bier wollen zum Match. Die Manschettenknöpfe, die er vom Alten geborgt hat, liegen im Aschenbecher auf dem Beistelltisch.

Ist es das Bewußtsein deines großen, außergewöhnlichen Tages, das jetzt auch diese Bilder mit einer ganz persönlichen Bedeutung tränkt? Ist es das Lampenfieber des Zuschauers vor dem bangentspannt erwarteten Stellvertreterkampf, das ausgreift und dich plötzlich existentiell erfüllt?

Interferieren die Schwingungen einer persönlichen und einer überpersönlichen Erregung derart, bezieht man mit einem Mal alles auf sich und sich auf alles, glaubt, die Welt drehe sich um einen, und man selbst drehe sich zugleich um die Welt, sodaß man einen zugleich historischen und panoramatischen Blick auf sich und von sich bekommt. Der Fokus der Wahrnehmung verengt sich nicht auf den gegenwärtigen Augenblick, sondern weitet sich, alle Rezeptoren sind auf Empfang gestellt, und so wie ein Muschelstock, ins Meer gestellt, die treibenden Mollusken an sich zieht und bindet, bis er vollhängt von wahren Clustern von ihnen, zieht Charlys Bewußtsein die Raumzeit an sich und bindet sie in seine Wahrnehmung des besonderen Moments mit ein.

Alles: der Blick aus dem Fenster auf die schräge Schattenlinie, die das sonntägliche Haus dort drüben diagonal teilt, der sonnengelbe Stamm der Platane davor, die Bilder, die das innere Auge dir erschafft, weiterschweifend über deine Stadt, dort, wo der Blick nicht hinreicht, von Backsteinfassaden, von vermoosten Parks, von der Weite des Stroms, und mit der vergegenwärtigten Zeit die Farbe wechselnd, von schwarzweißen Straßenbahnen, zu deren Beschwörung das innere Ohr das zugehörige Klappern und Kreischen liefert, die Impressionen von heute morgen, die einander wie wehende Seidentücher überflatternden Parfumdüfte auf den Treppenstufen des Standesamtes, die braungebrannten nackten Schienbeine junger Frauen, sich verjüngend zu den Fesseln hinab, die Füße umschlossen von der süßen Folter schlanker, enger, hochhackiger Pumps und Sandalen, die aus den Augenwinkeln bemerkte Hand deines Vaters, die sich beim Jawort tastend, suchend wie die eines Blinden auf Mamas behandschuhte legte – das ganze enggesponnene Netz aus Bewegungen durch die Zeit, das dich unweigerlich, unfehlbar, von Verknüpfung zu Verknüpfung zum jetzigen Augenblick gebracht hat, in diese Altbauwohnung hier im Eppendorfer Weg, in Hörweite der Osterstraße, die trotz des Zusammenlebens ihre Yin- und Yanghälften behalten hat, Christines Zimmer aus Glasvitrinen und weißem Schleiflack, Barbie-Puppenstube im Ikea-Showroom, die bunten Siebdrucke mit Cocktailgläsern darauf und Doisneaus Kuß als Schwarz-Weiß-Poster, und deines, noch immer an die Junggesellenbude von einst erinnernd, voll sentimentalem Sperrmüll und abgestoßenen Erbstücken, und das Grenzland der Küche, in dem Verbrüderung und Vermischung der Objekte einsetzt, und der Flipper, an dem du kaum spielst (ist nicht dasselbe ohne Kneipenatmosphäre und Kleingeldsuchen), den du noch in der Jarrestadt gefunden hast, in dem kleinen Eckgeschäft im Jolassestieg, das gebrauchte Spielautomaten verkauft und herrliche, aber unbezahlbare Wurlitzers, und die verknüllt auf dem Bett liegende Jeans Christines, und ihr tänzerischer Gang, übers Becken nach vorn schiebend und doch wie ein edles Pferd die Fußspitzen aufsetzend, mit dem sie vorhin aus der Tür verschwunden ist – all das wird nicht als Nebensächlichkeit aus deiner Wahrnehmung getilgt, sondern als integraler Bestandteil des besonderen Moments aufgenommen, von dem kein Detail anders sein durfte, als es ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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