Karneval der Lust - Diane Oliver - E-Book

Karneval der Lust E-Book

Diane Oliver

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Beschreibung

Venedig 1498: Giuliana und ihr Vater, der bekannte Mosaikleger Il Sasso, ziehen nach Venedig, um im Palazzo Bragadin ein Mosaik zu legen. In der Öffentlichkeit tritt Giuliana als Junge verkleidet auf und nennt sich Giulio, denn ihr Vater sieht nicht mehr gut und sie hilft ihm bei der Arbeit. In Venedig ist gerade die Zeit des Karnevals und Giuliana schleicht sich nachts aus dem Haus, um ein Karnevalsfest zu besuchen. Sie lernt dabei den Patrizier Amadeo Bragadin kennen und ist von seiner männlichen Ausstrahlung fasziniert, aber auch von der Wirkung verwirrt, die er auf ihre Gefühle hat. Zu ihrer Überraschung ist es der Palazzo von Amadeos Familie, in dem sie das Mosaik legen sollen. Amadeo durchschaut ihre Verkleidung als Giulio und erpresst sie, ihm zu Willen zu sein. Zwischen beiden beginnt ein erotisches Spiel, in dem Amadeo sie in mehreren Lektionen in die Liebe einführt. Giuliana könnte glücklich sein, läge nicht die Last der Verkleidung auf ihr ...

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Diane Oliver

KARNEVALDER LUST

Erotischer Roman

© 2012 Plaisir d’Amour Verlag, Lautertal

Plaisir d’Amour Verlag

Postfach 11 68

D-64684 Lautertal

www.plaisirdamourbooks.com

[email protected]

© Coverfotos: Shutterstock (Igor Kireev, Rostislav Glinsky, Wallenrock, HannaMonika)

Covergestaltung: Andrea Gunschera (www.magi-digitalis.de)

ISBN eBook: 978-3-86495-031-5

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 1

Gleichmäßig tauchten die beiden Ruderer die Blätter ins Wasser und trieben den Lastkahn über die Lagune. Das Boot war beladen mit Truhen, Kisten und Bündeln. Außer den beiden Ruderern saßen noch drei Menschen darin. Hinten im Heck der Steinmetz und Mosaiksteinleger Alvise Tasso, genannt Il Sasso, aus Verona auf einer großen Kiste, weiter vorn hockte die Magd Ana Grozio auf einer Truhe. Sie führte dem Steinmetz den Haushalt, im Moment umklammerte sie ein Bündel, aus dem oben ein Büschel Liebstöckel und die Spitzen eines Rosmarins hervorlugten. Ganz vorn saß Giuliana Tasso auf einer weiteren Truhe, die ihre Kleider und ihre Schätze enthielt, und spähte in den Nebel. Sie fragte sich, wie die Ruderer den Weg fanden. Orientierten sie sich an geheimen Marken? Als sie auf der Terraferma in das Boot gestiegen waren, hatten sie noch Konturen des Stegs, von anderen Kähnen und von Häusern gesehen. Auf der Lagune verschwamm alles in silbergrauem Nebel. An Bug und achtern hing je eine Laterne, deren Schein nicht mehr als zwei oder drei Armlängen weit in den Nebel hineinreichte. Ein Schatten kam ihnen entgegen, ein trübes Licht. Einer der Ruderer stieß einen Ruf aus, aus dem Schatten wurde geantwortet. Beide Boote glitten gefahrlos aneinander vorbei.

Je näher sie der Lagunenstadt kamen, desto mehr geisterhafte Boote begegneten ihnen und desto häufiger mussten ihre Ruderer durch Rufe auf sich aufmerksam machen. Einmal wichen sie hastig aus, als der Bug eines großen Schiffes drohend vor ihnen auftauchte. Giuliana hielt sich die Augen zu und wartete auf das Knirschen, mit dem das Schiff den Kahn unter sich begrub. Es blieb aus, und als sie durch die Finger hindurchspähte, erblickte sie die ersten schemenhaften Häuser. Da war sie, die Stolze, die Schöne: Venedig, La Serenissima.

Zu dem Geruch des Salzwassers gesellte sich der nach feuchtem Stein und moderndem Holz hinzu. Vor ihnen gähnte die Einfahrt in den Canale Grande, an seinen Ufern lagen die herrlichen Palazzi Venedigs – Gold, Marmor, Malereien und Mosaiken in verschwenderischer Fülle. Giuliana kniff die Augen zusammen, aber die Pracht verbarg sich im Nebel, sie erkannte nur schemenhafte Steinkästen. Wenigstens eine reich verzierte Gondel, die majestätisch über das Wasser glitt, ein elegant gekleideter Herr mit seinem Gefolge, vielleicht Gesang, der aus einem geöffneten Fenster drang, das hätte sie sich für ihre Ankunft in Venedig gewünscht. An diesem Novembermorgen kurz nach der Laudes, dem ersten Glockenläuten des Tages bei Sonnenaufgang, empfing die Stadt ihre neuen Einwohner schweigend.

Die Ruderer trieben den Kahn ein gutes Stück den Canale Grande entlang, bevor sie linker Hand in einen schmalen Seitenkanal einbogen. Giuliana fröstelte, strich sich das nebelfeuchte Haar aus der Stirn, zog ihre Kappe tief über beide Ohren und die Schultern hoch. Ihr lehmfarbenes Wams mit dem ausgefransten Kragen war nicht warm genug für die Morgenfeuchte, die sie umgab. Dazu trug sie eine wadenlange Hose von gleicher Farbe, über dem linken Knie war ein Riss mit ungleichmäßigen Stichen geflickt, als hätte sich dort jemand das erste Mal mit Nadel und Faden versucht. Stiefel aus Rindsleder vervollständigten ihre Aufmachung. Giuliana hatte sie über die nackten Füße gezogen. Ein Stück ihrer Wade war zu sehen, und die Zehen waren kalt in den Stiefeln.

Am liebsten hätte sie sich in die Arme ihres Vaters gekuschelt oder sich eine Decke um die Schultern geschlungen. Das passte aber nicht zu der Rolle des kecken Burschen, die sie in Venedig zu spielen gedachte.

Die Ruderer bogen wieder in einen anderen Kanal ein. Der Kahn glitt unter einigen niedrigen Brücken hindurch. Giuliana sah sich zu ihrem Vater um. Der hochgewachsene Steinmetz musste den Kopf einziehen.

Ihre Ankunft in der Serenissima hatte sie sich anders vorgestellt. In der Stille ihrer Kammer in Verona hatte sie von Sonnenschein geträumt, von prächtigen Gondeln, einem rot verputzten Haus mit gotischen Fenstern, durch die ein gut aussehender Mann nach ihr Ausschau hielt. Allenfalls auf ihren Vater wartete Ludovico Bragadin, ein wohlhabender Patrizier, dessen Palazzo Il Sasso mit einem Mosaik noch prächtiger gestalten sollte. So lautete der Auftrag, der ihren Vater bewogen hatte, seine Werkstatt in Verona aufzugeben und nach Venedig überzusiedeln. Sie mimte seinen Lehrling, deshalb war sie als Bursche verkleidet. Welcher Mann sollte auf sie warten?

Je weiter der Morgen voranschritt, desto mehr hoben sich die Nebel und gaben den Blick auf den Kanal und das Häusermeer der Lagunenstadt frei. Dicht an dicht lehnten die Häuser. Giuliana legte den Kopf in den Nacken und zählte: Nicht wenige besaßen fünf Stockwerke. Wie wäre es wohl, dort oben zu wohnen und über alle Dächer zum Meer zu schauen? So weit war sie mit ihren Gedanken gekommen, als die Kirchen der Stadt zur Terz läuteten, zur dritten Stunde des Tages. Tiefe und helle Klänge vermischten sich miteinander, und sie hielt sich die Ohren zu. Das sollte jeden Langschläfer aufgeweckt haben. Alle Menschen, die sie kannte, hatten um diese Zeit das Frühstück verzehrt und waren an der Arbeit, ob es nun Kerzenzieher, Kaufmannsgehilfen, Schneider, Wäscherinnen oder Kupferschmiede und Weber waren. Wenn sie gehofft hatte, die Kanäle, Gassen und Plätze Venedigs würden sich mit Menschen füllen, wurde sie enttäuscht.

»Es ist November, da halten sich die Leute in den Häusern auf und die Fenster geschlossen, im Mai sieht das anders aus«, tröstete sie sich. Lautlos glitt der Kahn an einen Steg heran, und wie aus dem Nichts tauchte aus den Schatten der erste Venezianer auf, den Giuliana zu Gesicht bekam. Kein schmucker junger Mann mit gefälteltem weißem Kragen über dem Wams und einem Schwert an der Seite, sondern ein barfüßiger, zerlumpter Junge, wie sie sich auch zuhauf in Verona herumtrieben. Gegen eine kleine Münze waren sie zu allerlei Diensten bereit.

Er fing die Leine auf, die ihm einer der Ruderer zuwarf, und vertäute den Kahn längsseits eines Steges. Nachdem eine zweite Leine festgebunden war, standen die Ruderer auf und kletterten auf den Steg. Das Boot schaukelte, und Giuliana hielt sich an der Bordwand fest, bis es sich beruhigt hatte. Erst dann kletterte sie an Land.

»Wir sind da«, sagte einer der Ruderknechte überflüssigerweise.

Ana wurde von ihren langen Röcken behindert und von dem Bündel mit den Kräutertöpfen, das sie um keinen Preis loslassen wollte. Sie schoss einen wütenden Blick auf Giuliana ab, die sich an ihr Burschendasein erinnerte und der alten Haushälterin aus dem Boot half. Ihr Vater machte einen Riesenschritt auf den Steg, stieß dabei das Boot zurück, das gehörig ins Wanken geriet. Einer der beiden Ruderknechte ließ einen Packen fallen, den er gerade aus dem Boot heben wollte.

»Eh, Mann.«

»Du musst vorsichtiger sein, Papa«, flüsterte sie ihrem Vater zu.

»Bursche«, grollte er. Il Sasso sah nicht mehr so gut wie früher. Was genau vor ihm war, erkannte er nur noch schlecht und hatte deshalb den Abstand zwischen Boot und Steg nicht einschätzen können – deshalb der Riesenschritt. Natürlich wollte er nicht, dass jemand sein nachlassendes Augenlicht bemerkte, denn wer beschäftigte einen Steinmetz, der nicht mehr gut sah, oder ließ sich von so jemandem ein Mosaik legen? Seit einem Jahr ging das nun schon so, und ohne Giulianas Hilfe konnte er gar nicht mehr arbeiten. Zuerst hatte sie nur sein Geld gezählt, seine Bücher geführt und in der Abgeschiedenheit ihrer Kammer Skizzen gezeichnet. Jetzt reichte das längst nicht mehr, sie musste auch während des Legens der Mosaiksteine seine Augen sein. Deshalb war sie auf den Ausweg verfallen, in Venedig als sein Sohn und Lehrling zu leben, um immer an seiner Seite zu sein.

Das Schicksal hatte ihm den Sohn als Nachfolger verwehrt, aber Giuliana war fest entschlossen, diese Rolle so gut wie möglich auszufüllen. Sie wollte ihm so viel Arbeit abnehmen, wie sie konnte.

Er entlohnte den zerlumpten Jungen, tastete dazu einen Augenblick in seiner Börse nach einer passenden Münze. Er gab auch den beiden Ruderern je ein Geldstück, nachdem das Gepäck ausgeladen und auf dem Steg aufgestapelt lag.

Das Haus, vor dem sie standen, entsprach in nichts dem ihrer Träume. Es war alt und grau, das Wasser nagte an seinen Fundamenten. Stellenweise war der Putz abgebröckelt und der Stein darunter schwarz. Das Bemerkenswerteste an dem Haus war aber seine Breite – genauer gesagt, das Fehlen derselben. Es war nicht breiter als drei Meter. Im Erdgeschoss war nur Platz für die Tür, im ersten und zweiten Stock gab es je zwei hohe Fenster. Mit einer Wohnung im fünften Stock und einem Blick weit über die Dächer von La Serenissima wurde es also nichts.

»Hoffentlich ist das Haus tiefer als drei Meter, sonst müssen wir arg beengt wohnen«, dachte Giuliana. Ihr Haus in Verona war komfortabler gewesen.

Wenigstens waren drinnen die Wände verputzt, und die untere Hälfte war ehemals blau und die obere gelb gestrichen gewesen. Im Laufe der Jahre und vom Rauch der Fackeln und Kerzen war die Farbe verrußt und fleckig geworden. Die Treppe war ausgetreten und nur breit genug für eine Person. Auf einer Seite des Flures gab es eine schief in den Angeln hängende Tür.

»Das ist nicht gut.« Ana hielt eines von Giulianas Kleidern ins Licht der Vormittagssonne und begutachtete es. Die Sonne hatte endlich den Nebel vertrieben und den Weg nach Venedig gefunden, während sich die Familie Tasso in ihrem neuen Heim einrichtete. Das Kleid war aus dunkelgrünem, schweren Stoff, die Säume mit gewebten Bändern verziert. Dazu gehörte ein cremefarbenes Unterkleid, das noch in der Truhe lag.

»Was? Das Haus? Es ist klein, und es sitzt eine Feuchtigkeit drinnen, die noch so große Kaminfeuer nicht vertreiben können, aber wir sind in Venedig.«

Giuliana stand mit der Haushälterin in der Kammer im zweiten Stock, die ihre werden sollte.

»Alles«, sagte Ana streng. »Wir hätten in Verona bleiben sollen. Ich habe es deinem Vater gesagt, aber er hat nicht auf mich hören wollen. Du auch nicht. Das alles ist eine schlechte Idee.«

»Du hast es versprochen. Ich muss Papas Lehrling sein, mit seinen schlechten Augen kann er nicht mehr allein arbeiten.«

»Er hätte sich vor Jahren einen Gesellen heranziehen sollen. Das hätte ein vernünftiger Mann gemacht«, knurrte die Magd.

»Hätte, sollte – schau nach vorn und keif nicht herum wie ein altes Weib.« Giuliana faltete einen Unterrock zusammen und legte ihn entschlossen wieder in die Truhe. »Das werde ich erst einmal nicht brauchen.«

»Altes Weib! Werde du erst einmal so alt wie ich, mein Lämmchen, dann wirst du nicht mehr so leichtfertig sein. Ich sage dir: Aus dieser Sache entsteht nichts Gutes. Du wirst noch an meine Worte denken.«

»Meine Ana. Meine liebste, beste Ana.« Giuliana lief zu der Haushälterin und umarmte sie stürmisch. »Keine Mutter hätte sich besser um mich kümmern können als du. Nie wieder werde ich dich alt nennen.« Sie drückte überschwängliche Küsse auf Anas graues Haar. »Das wird ein wunderbares Abenteuer, du wirst sehen«, sagte sie zwischendurch.

»Wenn du nur ernst sein könntest.« Die Magd befreite sich aus der Umarmung und machte sich daran, ihr Haar zu ordnen. »Wir sollten zusehen, dass wir fertig werden. Das Zimmer deines Vaters wartet noch auf uns, die Küche – die Venezianer haben bestimmt keine Ahnung von vernünftiger Haushaltung, Madonna mia. Nirgendwo gibt es einen Flecken Grün, kein Baum und kein Kraut wachsen in Venedig. Wahrscheinlich würzen sie ihre Speisen mit dem grauen Stein, den du überall siehst.«

Giuliana lachte. »Dafür hast du doch deine Kräutertöpfe mitgebracht.«

»Wenn sie hier nicht eingehen«, sagte Ana düster.

»Du siehst alles zu schwarz, liebste Ana. Dieses Haus ist vielleicht enger als unseres in Verona, aber es hat genauso viele Kammern.« Giuliana war entschlossen, in allem nur das Beste zu sehen und zählte an den Fingern auf: »Papas Kammer, meine, die Stube, die Küche, und es gibt sogar noch ein Fleckchen für dich – gleich hier nebenan. Und wenn du erst einmal deine Nachbarn kennst, wirst du gar nicht mehr fortwollen.«

»Als ob ich die schamlosen Weiber kennenlernen will.«

Giuliana umarmte sie wieder, und Ana brummelte etwas, es klang wie: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Anschließend wandten sie sich entschlossen wieder der Truhe mit den Kleidern zu. Zusammen nahmen sie jedes Stück heraus, schüttelten es und kontrollierten die Nähte. Danach falteten sie es wieder zusammen und legten es mit Zedernholzkugeln zurück. Es sollten keine Motten in die Kleider kommen, solange sie in der Truhe lagen. Giuliana wischte sich die Hände an der Hose ab und zupfte ihr Hemd unter dem Wams zurecht. Sie öffnete die obersten Bänder.

»Die Kleidung eines Lehrburschen hat auch Vorteile.«

»Wirst du die wohl zulassen, unvorsichtiges Ding, zeigst dich noch halb nackt.«

»Halb nackt.« Giuliana lachte. »Das wäre so.« Sie öffnete noch mehr Bänder, bis ihr Leibchen zu sehen war. Ana bemühte sich genauso schnell, sie wieder zu schließen.

Giuliana entwand sich der Magd und stellte sich ans Fenster. Es ging zum Kanal hinaus, und ein Flügel stand offen. Draußen fuhr eine Parade von Booten vorbei, und ein ohrenbetäubendes musikalisches Durcheinander erklang.

»Was ist das? Ana, schau doch.«

»Wirst du wohl.« Die Ältere war ihr gefolgt und zupfte ihr Hemd und Weste zurecht, bis der Kragen züchtig den Hals bedeckte. Sie spähte aber auch neugierig aus dem Fenster.

In einer nicht enden wollenden Kette glitten festlich geschmückte Gondeln über das Wasser. Sie schillerten in allen Farben des Regenbogens, die hochgezogenen Steven an Bug und Heck waren zu Schwänen, Löwen und Delfinen geschnitzt. Giuliana entdeckte auch im Sprung erstarrte Katzen, Drachen und leicht bekleidete Nymphen. Die Gondeln waren mit Girlanden geschmückt. Auf einigen standen festlich gedeckte Tafeln, an denen sich Männer und Frauen gütlich taten. Die Tische bogen sich schier unter den Platten und Schüsseln, die darauf standen. Was da den Gaumen der ehrenwerten Herrschaften kitzelte, war vom Fenster aus nicht zu erkennen. Dafür waren die Kostüme umso sehenswerter. Die Kleider der Damen ließen deren milchweiße Schultern frei, als wäre draußen Frühling und nicht November. Sie bestanden wie die Wämser und Hosen der Herren aus Brokatstoffen und schillerten mit den Gondeln um die Wette. In anderen Gondeln gab es keine Tische, dafür drängten sich dort so viele Menschen, es war erstaunlich, wie sie alle Platz fanden. Die Damen lehnten sich an die Herren, alle lachten und scherzten, und Giuliana entdeckte mehr als einen Mann, der seine Begleiterin aus seinem Glas trinken ließ oder ihr Köstlichkeiten zwischen die Lippen schob. Ein Paar küsste sich verstohlen. Alle hatten ihre Augen mit Halbmasken bedeckt. Federn wippten übermütig.

Sie konnte sich nicht sattsehen an dem Aufzug und beugte sich weit aus dem Fenster. Von einem Boot aus wurde sie bemerkt. Die Leute sahen zu ihr hoch. Ein junger Mann winkte ihr zu, sein breiter Mund lachte.

»Komm runter, Bursche, und tu mit.«

Eine junge Frau in einem sehr grellen blauen Kleid und mit zu rotem Haar, als dass es noch natürlich sein konnte, setzte dieser Einladung die Krone auf: »Komm her, Süßer, und lass dich von mir füttern.« Sie spitze die Lippen, und ein unhörbarer Kuss zerplatzte in der Luft.

Übermütiges Lachen folgte, und Giuliana konnte nicht anders, sie musste ebenfalls lachen. Die Gondel glitt langsam vorbei, aber sie hörte noch, wie jemand sagte: »Nicht doch, unvergleichliche Sabina, seine Mutter steht neben ihm.«

Auch von anderen Booten wurde ihr zugewinkt, sie erhielt noch mehr Einladungen, schlüpfrige Scherzworte wurden ihr zugerufen, und Ana wurde empfohlen, sich die Finger in die Ohren zu stopfen und die Augen zu schließen. Ganz offensichtlich hielten sie Giuliana für einen hübschen Jüngling und Ana für seine Mutter.

Venezianischer Karneval. Die Wirklichkeit übertraf ihre Vorstellungen, und hätte Ana nicht neben ihr gestanden, wäre Giuliana wahrscheinlich wirklich hinuntergelaufen und in eine der Gondeln gestiegen.

Die Magd schmetterte jedoch das Fenster zu und zog ihren Schützling von dort weg. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

»Ich sehe dir am Gesicht an, was du denkst.«

»Dass sie alle sittenlose Strolche und Dirnen sind.« Giuliana bemühte sich um eine möglichst unschuldige Miene.

»Untersteh dich, auf eine der frivolen Vergnügungen zu gehen. Verschwende nicht einen Gedanken daran, Madonna mia.«

»Ana, liebste Ana.«

»Kein Wort will ich davon hören. Verdorbenes Volk, diese Venezianer.«

»Es ist doch Karneval, liebste Ana.«

»Du bist ein anständiges Mädchen und wirst allein keinen Fuß vor das Haus setzen.«

»Ich bin kein Mädchen«, frohlockte Giuliana.

»Deine Verkleidung ändert nichts.« Wie ein schwarz gekleideter Racheengel stand Ana vor ihr. »Wir haben Arbeit zu machen, sieh zu, dass du damit anfängst.«

Sie schubste Giuliana aus dem Zimmer und in das, welches ihr Vater bewohnen sollte. Dort stapelten sich Truhen und Ballen, und auf allen Möbeln lag eine dicke Staubschicht. Der Raum war mindestens ein Jahr nicht mehr genutzt worden.

»Hier gibt es viel zu tun«, sagte Ana befriedigt. Leichtfüßig wie ein junges Mädchen lief sie Treppe hinunter und kam kurz darauf mit Eimer, Bürste und Scheuerlappen zurück. Alles drückte sie Giuliana in die Hand.

»Mach gründlich sauber. Du willst doch nicht, dass dein Vater im Schmutz leben muss. Wenn du mir nicht versprechen willst, dich nicht mit leichtfertigem Volk abzugeben, werde ich dir so viel Arbeit zuteilen, dass du keine Zeit für etwas anderes hast.«

Schnell tauchte Giuliana die Bürste ins Wasser und begann, den Boden zu schrubben. »Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde.«

»Versprich es mir auf das Kreuz.« Ana hielt ihr das Silberkreuz hin, das sie immer um den Hals trug und das ihr größter Schatz war.

Giuliana unterbrach ihre Arbeit und küsste es. Dabei lächelte sie schlau in sich hinein, denn Ana hatte nicht bemerkt, dass sie nicht das Geforderte versprochen hatte. Und vorsichtig wollte sie sein, das Versprechen gab sie sich selbst.

Im Haus war alles ruhig, nur die Wellen des Kanals schlugen leise gegen die Hauswand. Giuliana lauschte in die Dunkelheit. Sie wagte es nicht, eine Kerze anzuzünden, aus Furcht, Ana könnte durch das Haus geistern und das Licht unter der Tür hindurchscheinen sehen, sondern saß mit angezogenen Beinen im Bett. Bestimmt war es mehr als eine Stunde her, dass die Magd die Tür ihres fensterlosen Verschlages hinter sich geschlossen hatte. Er befand sich gleich neben Giulianas Kammer, und durch die dünne Holzwand war kein Laut zu hören. Bestimmt schlief die gute Ana, nachdem sie den ganzen Tag über die Sitten der Venezianer geschimpft hatte.

Wenn Giuliana ihren Plan in die Tat umsetzen wollte, musste sie es wagen, eine Kerze anzuzünden. Also schlug sie einen Funken, und gleich darauf erhellte eine Flamme das Zimmer spärlich. Neben dem Bett und ihrer Truhe gab es noch zwei Stühle und einen kleinen Frisiertisch, für das Ruhesofa, das sie in Verona ihr eigen genannt hatte, war klein Platz mehr. Dafür war sie in Venedig, und in der Stadt war Karneval. Sie klappte den Deckel der Truhe auf, obenauf lag ihr schönstes Kleid in Rubinrot, es passte herrlich zu ihrem kastanienbraunem Haar. Giuliana zog ein Hemd, das mit Stickereien verzierte Unterkleid an und schlüpfte anschließend in das rote Gewand. Das Haar steckte sie nur locker am Hinterkopf hoch, es war zu kurz für eine richtige Frisur. Die Schuhe nahm sie in die Hand.

Sie sah sich um und stellte die Schuhe wieder ab, formte aus Decken eine Rolle. Zugedeckt sah es aus, als liege sie dort und schlafe. Zufrieden mit ihrem Werk blies Giuliana die Kerze wieder aus und nahm die Schuhe. Sie drückte die Türklinke runter, aber die Tür öffnete sich nicht. Sie versuchte es noch ein paarmal mit dem gleichen Ergebnis. Abgeschlossen!

»Verdammt, Ana!«, flüsterte sie. »Du schließt mich nicht ein.«

Giuliana bohrte erst mit dem Finger und dann mit der Nadel einer Brosche im Türschloss. Sie war ungeschickt, und die Brosche fiel zu Boden. Das Geräusch jagte ihr einen riesigen Schreck ein.

Im Haus klappte eine Tür, und Giuliana erstarrte zur Salzsäule. Jemand flüsterte. Sie glaubte, die Stimme ihres Vaters zu erkennen und die Anas, sie redeten leiseflüsterten miteinander. Waren beide aufgewacht, weil ihr die Brosche heruntergefallen war? Sie huschte ins Bett und stellte sich schlafend, die Lust auf ein Karnevalsvergnügen war ihr für heute vergangen. Die Decke bis zum Kinn gezogen, lauschte sie auf Schritte auf der knarrenden Treppe. Leise, leise näherten sie sich, und wenn sie nicht wie ein Luchs gelauscht hätte, hätte sie sie nie gehört. Die Schritte schlichen an ihrer Kammer vorbei, aber bis Giulianas Herz wieder ruhig und gleichmäßig schlug, dauerte es geraume Zeit und noch länger, bis sie endlich eingeschlafen war.

Am Morgen stellte sie fest, dass Ana sie nicht eingeschlossen hatte, sondern dass ihre Tür klemmte. Das Holz hatte sich verzogen, nachdem im Haus geheizt wurde, um die feuchte Kälte des venezianischen Winters zu vertreiben. Trotzdem war es in ihrer Kammer kalt, und fröstelnd rieb Giuliana die Hände. Sie trug zwei Hemden übereinander, hatte ihre Stiefel mit einer Lage Lappen ausgepolstert und fror trotzdem.

Die Küche war der wärmste Raum im Haus, denn hier sorgte Ana den ganzen Tag für ein Feuer im Herd, und sie war bereits lange vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatte ihr Reich in Besitz genommen. Giuliana kam zitternd herein. Sie gähnte.

»Halte die Hand vor den Mund«, sagte Ana statt einer Begrüßung.

»Ein ungehobelter Lehrjunge macht so was nicht. Gibt es warmes Wasser zum Waschen?«

»Wenn du welches holst und über dem Feuer heiß machst.«

»Liebste Ana, du hast bestimmt noch was übrig.« Giuliana schlich zum Kessel und spähte hinein. Leer.

»Rede nicht so mit mir, als wolltest du mir etwas abschmeicheln.«

»Habe ich das je gemacht?«

Ana murmelte etwas – es konnte ein Stoßgebet oder eine Verwünschung sein – und verließ mit dem Wassereimer die Küche. Als sie gleich darauf zurückkam, füllte sie den Kessel und stellte ihn auf den Herd.

»Waschen kannst du dich allein?«

»Ein Lehrling macht sich höchstens die Fingerspitzen nass und spritzt sich ein paar Tropfen ins Gesicht.«

»Dir gebe ich gleich ein paar Tropfen.«

Giuliana duckte sich, denn es war durchaus schon vorgekommen, dass Ana solchen Ankündigungen Taten folgen ließ. Heute schimpfte sie nur: »Wenn ein Mädchen sich als Junge verkleidet, kann ja nichts anderes als so etwas dabei herauskommen. Es ist nicht gottgewollt, dass die Weiber ihre Beine zeigen, auch nicht in Hosen. Du und dein Vater, ihr hört nie auf mich. Es ist eine Tolldreistigkeit, dich in Venedig als Junge auszugeben. Du hast den Meister dazu überredet, aber du wirst sehen, was du davon hast.«

»Einen lohnenden Auftrag hat Vater davon.« Giuliana wollte Ana nicht noch mehr verärgern, deshalb wusch sie sich gründlich mit dem warmen Wasser. Es brachte die kalte Haut auf ihren Wangen angenehm zum Prickeln.

»Wo ist mein Vater?«

»Er ist schon aufgestanden. Nicht jeder kann so lange schlafen wie der Lehrling oder wie ein leichtsinniger Bengel, der sich in der Nacht aus dem Haus schleichen will, das gehört sich nicht für einen Christenmenschen.« Ana schaute sie dabei auf eine Weise von unten an, als wollte sie ihr bis auf den Grund der Seele blicken.

Kapitel 2

»Jeder zeigt, was er hat, oder, Amadeo? Wenn das die Mägdlein sehen, werden sie vor Wonne kreischen.« Bernardo wackelte mit dem Hintern, als er übertrieben stolzierende Schritte machte. Seine weit ausgestellten Hosen ließen das Ganze noch grotesker wirken.

Die beiden Brüder Bernardo und Carlo Filiaso lachten, und Amadeo selbst am lautesten.

»So gehe ich nicht. Eher so, und da kreischen die Weiber, dass du dir die Ohren zuhalten musst.« Er streckte das Becken vor und ging breitbeinig einige Schritte. Wieder lachten alle. Er warf einen demonstrativen Blick auf den Schritt seines Freundes, wo die weite Hose dessen Gemächt verbarg. »Bei dir heulen sie vor Enttäuschung.«

»Man muss zeigen, was man hat, und wenn man nichts hat, muss man es auch zeigen. Täuschung ist nicht erlaubt und wird mit Tanzentzug bestraft«, keuchte Carlo kaum verständlich zwischen einzelnen Lachern.

Die vier jungen Männer waren auf dem Weg zu einem Karnevalsball. Sie waren prächtig herausgeputzt mit weiten Kniehosen und aufwendig verzierten Wämsern, an den Ärmeln waren die Nähte durchbrochen und zeigten das bestickte Futter. Sie trugen mit Pelz verbrämte Umhänge und dazu passende Samtkappen auf dem Kopf. In den Händen hielten sie Masken. Alle entstammten venezianischen Patrizierfamilien, waren nicht älter als Mitte zwanzig und steckten voller Übermut.

Passanten wurden auf die drei aufmerksam. Die meisten waren ebenfalls auf dem Weg zu einem Karnevalsvergnügen und amüsierten sich über die Spaßvögel. Junge Damen warfen ihnen übermütige Blicke zu. Die Männer lachten zurück.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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