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Macht oder Ohnmacht? Wer waren die Frauen, die sich für den Nationalsozialismus begeisterten und engagierten? Und was brachte sie dazu? Bis heute sind die Bilder zum weiblichen Geschlecht während der NS-Zeit so vielfältig wie ambivalent. Sie reichen von der hysterischen, Hitler zujubelnden Frau über die Vorzeige-Hausfrau und Mutter bis hin zur fürsorglichen Krankenschwester. Im allgemeinen Verständnis dominiert das Bild der Frau, die wenig bis gar nichts zu sagen hatte. Diese vereinfachte Vorstellung wird mittlerweile von der Forschung infrage gestellt, passte doch das NS-Regime die Ansprüche und Erwartungen gegenüber den "Volksgenossinnen" immer wieder aufs Neue an. Im Mittelpunkt dieses Buches stehen Salzburgerinnen aus Stadt und Land, die sich mehr oder weniger intensiv für den Nationalsozialismus begeisterten. Bereits vor dem "Anschluss" 1938 engagierten sich viele Frauen als "illegale Kämpferinnen" für die im austrofaschistischen Österreich verbotene NSDAP. In der NS-Frauenschaft widmeten sie sich einer Fülle an Aufgaben, die ihre Macht und Ohnmacht greifbar machen. Die Tätigkeiten reichten von der karitativen Spendensammlung bis zur Vermittlung der "Rassenlehre" in Schulungen. Es gab nicht, wie häufig angenommen, das eine, sondern viele verschiedene NS-Frauenbilder, die noch dazu nicht unbedingt mit dem Lebensalltag der Frauen übereinstimmten.
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Seitenzahl: 252
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Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 60
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Markus Weiglein
Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Coversujet: NS-Frauenwarte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift.
Heft 4, 10. Jahrgang (1941/42), Coverausschnitt.
auch als gedrucktes Buch erhältlich: ISBN 978-3-7025-1017-6
eISBN 978-3-7025-8088-9
www.pustet.at
Katharina Scharf
Frauen im nationalsozialistischen Salzburg
Kochvortrag „Gesunde und sparsame Ernährung“ in den Städtischen Elektrizitätswerken Salzburg im Jahr 1939.
Vorwort
Einführung: Frauenbilder und Frauenrealitäten
Frauen für die NS-Bewegung
Frühe Nationalsozialistinnen
Gründung und Struktur der Nationalsozialistischen Frauenschaft (NSF)
Die Reichsfrauenführerin: Gertrud Scholtz-Klink
Die Organisation der NS-Frauenschaft
Die NS-Frauenschaft in Österreich
Frauen und NS-Frauenschaft in Stadt und Land Salzburg
Gründungsjahre und Verbotszeit
Salzburgs erste Gaufrauenschaftsleiterin: Hanna Riedl (Teil 1)
Aufbauarbeit nach dem „Anschluss“
Salzburgs Gaufrauenschaftsleiterinnen nach 1938:Maria Vogl, Anna-Dammer Kottenhoff und Margarete Zöls
Die Kreisfrauenschaftsleiterinnen der Stadt Salzburg:Margarete Ricke und Eleonore Schrattenecker
Die Oberfürsorgerin des Salzburger Gaujugendamtes: Klara Hofmeister-Engelhardt
Aufgaben im Kriegsalltag
Die Kreisfrauenschaftsleiterin in Zell am See: Josefa Grießenauer
Hierarchien, Kontrolle und Denunziation
Die Ortsfrauenschaftsleiterin in Salzburg-Neustadt: Josefine Rauch
Die Jahre nach dem Krieg
Entnazifizierung in Salzburg
Frauen im Camp Marcus W. Orr („Glasenbach“)
„Belastet“ vs. „Minderbelastet“
Salzburgs erste Gaufrauenschaftsleiterin: Hanna Riedl (Teil 2)
Epilog: Macht und Ohnmacht
Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen und Literatur
Personenregister
Bildnachweis
Nach dem Ende der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges lag Europa in Trümmern und musste die katastrophalen Folgen der zurückliegenden Jahre verarbeiten. Im Zeichen des Wiederaufbaus und der „Entnazifizierung“ bekundete eine Salzburgerin 1947: „Ich bin nicht der Überzeugung, dass wieder einmal ein Führer wie Adolf Hitler kommen wird, jedoch würde ich es wünschen.“ Um solche Aussagen und die Geschehnisse des Nationalsozialismus verstehen zu können, braucht es die historische Auseinandersetzung mit einem Fokus auf regionale und individuelle Spezifika. Wer waren die Menschen, die sich für den Nationalsozialismus begeistern und mobilisieren ließen? Was brachte sie dazu? Wie sah ihr Lebensalltag vor und nach dem Kriegsausbruch aus?
Der Ruf nach einem starken „Führer“ erklingt auch heute noch permanent. Die Folgen des Nationalsozialismus wirken tiefgreifend bis in die Gegenwart und sind keineswegs „überwundene Geschichte“. Allein schon an rechtsextremen und antisemitischen Vandalismusakten in Salzburg zeigt sich die hochaktuelle Brisanz. Seit dem Jahr 2008, dem Gedenkjahr an den „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938, wird in einem groß angelegten Forschungsprojekt – unter der Leitung des Stadtarchivs Salzburg und in Zusammenarbeit mit der Universität Salzburg – die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt Salzburg aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Rahmen dieses Projektes konnte ich meine ersten Forschungen zu Salzburger Nationalsozialistinnen durchführen. Die Ergebnisse habe ich 2014 in meiner Masterarbeit am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg verarbeitet, welche die wesentliche Grundlage für das vorliegende Buch bildet. Darüber hinaus habe ich in den zurückliegenden Monaten weitere Recherchen durchgeführt und dabei den Blick auch über die Stadt Salzburg hinaus gerichtet, sodass nunmehr ein noch wesentlich umfassenderes Bild zu Frauen im nationalsozialistischen Salzburg (Stadt und Land) präsentiert werden kann.
Ausgehend von der in der folgenden Einführung noch näher zu thematisierenden Feststellung, dass es keine homogene Gruppe der Frauen gibt und (daher) auch nicht von der Frau im Nationalsozialismus gesprochen werden kann, stellt sich für die Leser*innenschaft natürlich die Frage: Um welche Frauen geht es in diesem Buch? Im Mittelpunkt stehen vor allem jene, die sich für den Nationalsozialismus in verschiedener Form, besonders in Parteiorganisationen, in Stadt und Land bzw. im „Reichsgau“ Salzburg engagierten. Die NS-Frauenschaft (NSF) und das Deutsche Frauenwerk (DFW) sollten sämtliche „deutsch-arischen“ Frauen in sich vereinen, organisieren und nationalsozialistisch erziehen. Während die Frauenschaft wenigen auserkorenen „Führerinnen“ vorbestimmt war, galt das Frauenwerk als Sammelbecken für alle „deutschen“ Frauen. Welche Bedeutung die (Frauen in) beiden Einrichtungen in Stadt und Land hatten, soll im Rahmen dieses Buches erörtert werden. In den NS-Organisationen widmeten sich die Frauen einer Fülle an Aufgaben, die ihre Macht und Ohnmacht greifbar machen. Die Tätigkeiten reichten von der karitativen Spendensammlung bis zur Vermittlung der „Rassenlehre“ in Schulungen.
Mit der substanziellen Frage, wie viel Einfluss und Macht Nationalsozialistinnen hatten, wird ein aufschlussreicher Aspekt des weiblichen Lebensalltags im Nationalsozialismus erörtert. Dabei geht es keineswegs darum, Frauen auf bestimmte Kategorien oder Rollen festzulegen – sei es nun auf die „unterdrückte Frau“, auf die „Mutter“, auf die Frau als „Opfer“ oder auf die „Täterin“ oder „Denunziantin“. Vielmehr werden vielseitige Facetten aufgezeigt und damit einhergehend auch das Funktionieren des Systems ergründet. Anhand mehrerer biografischer Einblicke wird in diesem Zusammenhang offenkundig, welche Rolle Faktoren wie Religion, Alter, Beruf, männliche „Parteigenossen“ oder die Ehemänner der Frauen spielten. Durch die Mitbetrachtung der großen NS-Frauenorganisationen kann gezielter eruiert werden, worin die Faszination bestand und welche Möglichkeiten der Mitwirkung geboten wurden. Dabei lässt sich sogar verdeutlichen, ob oder inwiefern Frauen am nationalsozialistischen Vernichtungsapparat beteiligt waren. Abschließend wird mit Blick auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre schließlich noch die Frage in den Fokus gerückt, wie die Tätigkeiten der Frauen später bewertet wurden und wie die Zeit des Nationalsozialismus (auf sie) überhaupt nachwirkte.
Für die Verwirklichung einer solchen Publikation und der damit einhergehenden Forschungen sind eine Vielzahl von Personen mitverantwortlich, die nicht alle namentlich angeführt werden können und denen ich hiermit ein herzliches Dankeschön aussprechen möchte. Ganz besonderer Dank kommt zunächst Gerald Klonner und allen im Projekt involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Verlag Anton Pustet zu, die dieses Buch überhaupt erst ermöglicht und in seinen verschiedenen Stadien begleitet haben. Mein Dank richtet sich auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs Salzburg, zuvorderst an Peter F. Kramml und Johannes Hofinger, die das Buch in die Publikationsreihe des Archivs aufgenommen und einen Großteil der Bebilderung gewährleistet haben; Peter F. Kramml hatte bereits entscheidenden Anteil an der Entstehung und Umsetzung des Forschungsprojektes. Meine Erkenntlichkeit möchte ich auch all jenen gesammelt aussprechen, die in den diversen weiteren Archiven und Bibliotheken mit ihrer hilfsbereiten und fachkundigen Unterstützung zu den im Buch dargelegten Erkenntnissen beigetragen haben, darunter besonders den Verantwortlichen im Salzburger Landesarchiv und dem Archiv der Erzdiözese Salzburg. Dem Zentrum für Gender Studies und Frauenförderung der Universität Salzburg (gendup) danke ich für die Auszeichnung meiner diesem Buch zugrundeliegenden Masterarbeit mit dem Erika Weinzierl-Preis.
Meine besondere Dankbarkeit möchte ich vor allem auch Helga Embacher aussprechen, die meine Masterarbeit betreut hat und mir bei meiner bisherigen Laufbahn mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist. Abschließend sei meiner Familie mein uneingeschränkter Dank gezollt.
Katharina Scharf,im Sommer 2021
In der Salzburger Steingasse stehen Frauen für die knappen Lebensmittel im Kriegsalltag an, 1941.
Wer waren die Frauen, die sich für den Nationalsozialismus begeisterten und engagierten? Und was brachte sie dazu? Bis heute sind die Bilder zum weiblichen Geschlecht für die Zeit nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 so vielfältig wie ambivalent. Sie reichen von der hysterischen, Hitler zujubelnden Frau über die aufopferungsvolle Krankenschwester im Lazarett bis hin zur grausamen KZ-Aufseherin. Im allgemeinen Verständnis dominiert aber wohl ein anderes Bild: jenes der Mutter und Hausfrau, die sich zu Hause am Herd betätigen und „arische“ Kinder gebären sollte – und ansonsten wenig bis gar nichts zu sagen hatte. Soweit die stark vereinfachte Vorstellung.
Diese Zuschreibungen werden mittlerweile deutlich infrage gestellt und relativiert. Denn je nach ökonomischen, ideologischen oder militärischen Anforderungen wurden die Ansprüche und Erwartungen gegenüber den „Volksgenossinnen“ immer wieder verändert und angepasst. Somit gab es zur NS-Zeit, erstens, nicht das eine, sondern mehrere – divergierende, mitunter sogar konkurrierende – Frauenbilder. Und es muss, zweitens, zwischen den propagierten Vorstellungen nationalsozialistischer Eliten und der realen Situation unterschieden werden.
Wie stand es etwa um den vielzitierten „Mutterkult“? Zweifellos hatte dieser für die Lebenswirklichkeit der Frauen eine viel weniger zentrale Bedeutung als im Nachhinein behauptet. Propaganda hin oder her, Frauen bedachten selbstverständlich auch in Zeiten des Nationalsozialismus, wie viele Kinder sie tatsächlich ernähren konnten. Die Salzburgerin Helene W. berichtet rückblickend: „Ich habe immer gesagt: ‚Ich kann nur so viele Kinder bekommen, als ich erhalten kann‘.“1 Was in diesem Zusammenhang vielleicht überraschen mag: Das öffentliche Bild von Frauen war in anderen Ländern, beispielsweise in den USA, mitunter deutlich stärker vom Stereotyp der Hausfrau geprägt als in NS-Deutschland und der „Ostmark“. Auch Reformen wie Ehestandsdarlehen und Kinderbeihilfe waren nicht so originell, wie sie heute manchmal verklärend dargestellt werden: In anderen europäischen Ländern fanden im zeitlichen Umfeld derartige sozialpolitische Maßnahmen im Zuge der Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates ebenso ihre Verwirklichung. Frauen wurden auch nicht scharenweise aus den Arbeitsverhältnissen entlassen, um sie an den Herd zu ketten. Im Gegenteil, weibliche Erwerbstätigkeit war im Nationalsozialismus weit verbreitet. Frauen in Stadt und Land Salzburg waren in sozialen, erzieherischen, pflegenden, lehrenden, landwirtschaftlichen und häuslichen Berufen genauso vertreten wie in Büros, in der Fremdenverkehrsbzw. Tourismusarbeit, im Bergbau oder in Industriebetrieben und Fabriken (wie etwa in der Halleiner Zigarren- und Tabakfabrik, die allerdings bereits 1940 geschlossen wurde).2 Hinzu kamen auch Einkünfte aus Gelegenheitsarbeiten wie Waschen oder Flicken sowie aus der Hebammenarbeit.
Mit dem Krieg verschwanden somit relativ rasch die vorgenommenen Trennungen in festgelegte weibliche und männliche Bereiche, da man Frauen schlichtweg als Arbeitskräfte benötigte. Die Historikerin Sybille Steinbacher spricht von einer „Flexibilisierung der Stereotype“, welche die NS-Geschlechterpolitik auszeichnete. Dadurch wurde es möglich, „die Rollenmuster von Mann und Frau für die Dauer des Krieges außer Kraft zu setzen, ohne sie aber im Kern anzutasten“.3 Das betraf sowohl eigens geschaffene, vorwiegend verpflichtende Arbeiten wie die Ernte- oder Wehrmachtshilfe, als auch allgemeine Bereiche, in denen Arbeitskräftemangel herrschte. Wie es dazumal zum Beispiel die Salzburger Landeszeitung einforderte, sollten die Salzburgerinnen in dieser Notlage „ihren Mann stehen“ und sich als „Soldaten der Heimat“ etwa in Rüstungsbetrieben oder als Briefträgerinnen und Schaffnerinnen „für das Volk“ engagieren.4 Manche Frauen empfanden diese Situation als Chance, um sich gesellschaftliche und berufliche Anerkennung zu erkämpfen. Andere dagegen waren unzufrieden mit dem Arbeitszwang und hatten mit der Mehrfachbelastung aus Betriebsarbeit, Haushalt und Kindererziehung zu kämpfen.
Während der Nationalsozialismus also eine flexible und vor allem den wirtschaftlichen Bedingungen angepasste Frauenideologie entfaltete, war das austrofaschistische Frauenbild noch viel strikter auf die katholische Hausfrau und Mutter festgelegt. Die einzige durchgehende, unverrückbare Zielsetzung in der nationalsozialistischen Ideologie war die „Reinerhaltung der Rasse“, wobei die Frau als „Wahrerin der arischen Rasse“ betrachtet wurde.5 In diesem Kontext ist es unabdingbar, zwischen den nicht-verfolgten und den verfolgten Frauen zu unterscheiden: Denn in den Genuss fördernder Gesetze und Initiativen – wie Kinderbeihilfe und dergleichen – kamen nur „hochwertige“ deutsche Frauen, wohingegen jene, die vom Regime als „minderwertig“ betrachtet wurden, davon ausgeschlossen blieben. Selbiges galt für die Geburtenpolitik. Was für die einen Abtreibungsverbot bedeutete, hieß für die anderen Zwangssterilisation. Frauen sollten also keineswegs einfach nur „Gebärmaschinen“ sein, sondern Eckpfeiler der „Rassenhygiene“. Nicht das Kinderkriegen an sich war das übergeordnete Ziel, sondern die „Aufartung“ als Gegensatz zur „Entartung“.6 Mütterlichkeit im Sinne des Pflegebedürfnisses eines jeden Lebens galt sogar als schädlich: Denn mit dem Trieb, „lebensunwertes“ Leben zu schützen, würde – so die Vorstellung – dem „deutschen Volk“ geschadet.
Dass die Situation der Frauen im Nationalsozialismus heute relativ gut aufgearbeitet und in zahlreichen Facetten bekannt ist, verdanken wir einer langjährigen intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung. Diese setzte, einhergehend mit der historischen Frauenforschung, etwa in den 1970er-Jahren in der BRD und rund zehn Jahre später in Österreich ein.7 Anfangs war das Frauenbild, das für die NS-Zeit gezeichnet wurde, noch keineswegs differenziert. Lange dominierte der Gedanke, dass Frauen im Allgemeinen als unschuldige Opfer des NS-Systems zu betrachten seien.8 Frauen als Täterinnen erfuhren nur als vereinzelte Ausnahmen Thematisierung. Besondere Fälle von grausamen Frauen wie Ilse Koch, der „Hexe von Buchenwald“, wurden skandalisiert, mystifiziert und als erschütternde Einzelfälle abgetan. In der Nachkriegsjustiz gerieten wenige Frauen ins Blickfeld der Gerichte – und wenn, dann wurden sie nur selten schuldig gesprochen. Der Großteil der NS-Funktionärinnen erfuhr im Rahmen der sogenannten Entnazifizierung nach dem Krieg eine Einordnung als Mitläuferinnen. Auch die NS-Frauenorganisationen und diverse Frauen-Dienststellen wurden im Nachhinein zunächst als völlig bedeutungslos abgetan. Man stilisierte das NS-Regime zu einem Produkt der männlichen Welt – und in der Analyse des „Führerstaates“ kamen Frauen kaum vor. Die Vorstellung setzte sich durch, dass Frauen beinahe ausnahmslos auf der unteren Stufe im System gestanden seien. Österreichische Frauen erhielten sogar eine doppelte Opferrolle zugesprochen: einerseits aufgrund ihres Geschlechts, andererseits als Österreicherinnen im Sinne des Opfermythos (Österreich als vermeintlich „erstes Opfer“ Hitlers). Folglich setzte man sich in Österreich auch erst spät mit der Rolle der Nationalsozialistinnen kritisch auseinander. Komplexere Analysen folgten im deutschen Sprachraum, und hier häufiger in der damaligen BRD als in Österreich, erst ab den 1980er-Jahren. Immer öfter erörterten Wissenschaftler*innen die (Mit-)Täterinnenschaft von Frauen. Außerdem rückte die Alltagsgeschichte der allgemeinen Bevölkerung in den Fokus. Nun traten auch verstärkt Aspekte der „Innengeschichte“ des Nationalsozialismus sowie die subjektiven Seiten des Systems in den Vordergrund. In Österreich waren in diesem Zusammenhang Oral History-Projekte eine bedeutsame Bereicherung für die NS-Frauenforschung – dazu zählte etwa ein groß angelegtes Projekt der Sozialwissenschaftlerin Ina Paul-Horn, die sich mit der Tabufrage nach der „Faszination Nationalsozialismus“ auseinandersetzte.9
In den folgenden Jahren begann die Frauen- und Geschlechtergeschichte ein differenzierteres Bild der Rollen von Frauen und Männern im NS-System zu entfalten. Die vielfältigen Lebenssituationen und verschiedenen Rahmenbedingungen (wie etwa ethnische, religiöse, soziale, generationelle, politische oder kulturelle Zugehörigkeit) wurden als unbedingt beachtenswert betont und miteinbezogen. Heute besteht ein Konsens darüber, dass die Unterscheidung zwischen Opfern und Täter*innen zu grob ist. Eine Beteiligung muss in einen möglichst konkreten Kontext gestellt werden. Dabei kann es hilfreich sein, die beiden Begriffe als äußere Extreme eines breiten Spektrums zu verstehen. Es gab nicht nur Täter*innen und Opfer, sondern auch Mitläufer*innen, Zuschauer*innen sowie Widerstandskämpfer*innen.10 Doch auch diese Kategorien sind nur vereinfachte Konstrukte. Das heißt, in den individuellen Fällen waren Frauen und Männer meist irgendwo dazwischen und/oder sind mehreren Kategorien gleichzeitig zuzuordnen. Eine verwerfliche Handlung einer vermeintlichen Täterin bedeutet nicht, dass dieselbe Frau nicht ebenso Opfer, Mitläuferin oder sogar in einem bestimmten Fall Helferin sein konnte. Das Leben ist komplexer als es Kategorisierungen vorgeben. Das galt nicht zuletzt auch für das Leben der Frauen im nationalsozialistischen Salzburg.
In diesem Buch werden „arische“ Frauen aus Stadt und Land Salzburg ins Blickfeld gerückt. Natürlich können nicht alle in Salzburg lebenden Frauen und deren Alltag erfasst werden, sondern nur Fragmente von Gruppen und einzelnen Personen. Diese repräsentieren allerdings einen breiten Ausschnitt verschiedenster Facetten des NS-Systems. Ob der Quellensituation stehen vor allem Frauen im Fokus, die sich nachweislich aktiv im oder für das Regime betätigten: Es sind damit auch jene Frauen, über die konkrete Aufzeichnungen existieren und die, beispielsweise als Mitglieder und Leiterinnen in der NS-Frauenschaft, als mehr oder weniger überzeugte Nationalsozialistinnen agierten. Nach einer schematischen Eingrenzung würde es sich also vor allem um Täterinnen und Mitläuferinnen handeln, kaum aber um Opfer. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Im Zuge einer ausführlichen Betrachtung der Situation der damaligen Salzburgerinnen werden die verschiedenen Dimensionen ihrer Handlungsmöglichkeiten, (Ohn-)Machtpositionen und Tätigkeiten analysiert. Vor allem im Zuge der Verstaatlichung des Privaten hatte auch das familiäre Tun gesellschaftliche Konsequenzen – und selbst vermeintlich harmlose Tätigkeiten (in) der NS-Frauenschaft, wie das Stricken von Kleidung für SA-Männer, wurden zu einem wichtigen systemerhaltenden Faktor.11 Sämtliche Tätigkeiten der Frauen erfuhren eine Politisierung, denn diese waren nicht mehr privat, sondern Leistungen für die „Volksgemeinschaft“.
Bei der Untersuchung von Machtbeziehungen im Nationalsozialismus ist es unabdingbar, auch das Verhältnis zu den verfolgten und ermordeten Opfern zu bedenken. Denn nur darauf hinzuweisen, dass Frauen im NS-Apparat von den höheren Rängen ausgeschlossen und benachteiligt wurden, würde an Zynismus grenzen. Das heißt, dass die Hierarchie- und Machtpositionen der Frauen in der Stadt und im Land Salzburg erörtert werden sollen, dass gleichzeitig aber offengelegt werden muss, welche Auswirkungen die Handlungen auf ihre Mitmenschen – vor allem auf jene, die Opfer von Verfolgung und Ermordung waren – hatten.
Das allgemeine Forschungsinteresse an der Täterinnenschaft ist seit Ende der 1990er-Jahre nicht mehr so dominant wie zuvor, doch noch immer präsent.12 Der Großteil der Beiträge bezieht sich auf Deutschland, wohingegen für die spezifisch österreichische Situation, vor allem vor 1938, nicht annähernd so ausführlich publiziert wird.13 Speziell für Österreich müssen freilich eigene Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, wie etwa die Vorgeschichte des sogenannten Austrofaschismus14, die stärkere agrarische und katholische Prägung sowie der kürzere Abstand zwischen NS-Machtübernahme und Kriegsbeginn.
Das vorliegende Buch legt einen entsprechenden Wert auf eine fundierte historische Kontextualisierung. Daher stehen im folgenden Kapitel zunächst grundsätzliche Ausführungen zur Gründung und Struktur der NS-Frauenschaft im Mittelpunkt, ehe auf die spezifische Situation in Salzburg – Stadt und Land – eingegangen wird.
Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink mit HJ-Schulungsleiter Ingo Ruetz und Gauleiter Friedrich Rainer auf der Gauschulungsburg Hohenwerfen, der „ersten Gauburg der Ostmark“.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie spielte die Frage der Neuorientierung Österreichs in mehrerlei Hinsicht eine zentrale Rolle. Für viele lag die einzig mögliche Zukunft dieses kleinen Rest-Staates in der Anbindung an das Deutsche Reich. Wenngleich ein solcher Schritt von den Siegermächten im Friedensvertrag von Saint-Germain 1919 untersagt wurde,15 blieb die parteiübergreifende Berufung auf eine gemeinsame „deutsche“ Identität und ein deutsches Nationalbewusstsein aber bestehen.
Eine Phase der Neuausrichtung war es vor allem auch in Bezug auf die Geschlechterrollen. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich während des Ersten Weltkrieges notgedrungen vollzogen hatten, wurden nun wieder revidiert. Noch während des Krieges mussten die eingerückten Männer wohl oder übel durch weibliche Arbeitskräfte ersetzt werden, sodass um 1918 Frauen in nahezu allen Berufen tätig waren.16 Im Land Salzburg hatte sich zwischen 1914 und 1917 zum Beispiel die Zahl der weiblichen Beschäftigten im Bergbau verdreifacht. Allerdings änderte sich kaum etwas an den geschlechtsspezifischen Hierarchien, und dieser dem Krieg geschuldete Ausnahmezustand sollte nur vorübergehend sein. So wies etwa das k. k. Eisenbahnministerium Fahrkartenrevisionistinnen explizit darauf hin, dass ihre Anstellung nur für die Dauer des Krieges beabsichtigt sei.
Die Fahrkartenkontrolleurin – ein beliebter Frauenberuf zur Zeit des Ersten Weltkrieges.
Nach dem Krieg waren nun aber nicht mehr alle Frauen dazu bereit, die Arbeitsplätze, die sie sich erobert hatten, für die heimgekehrten Männer aufzugeben. Ein großer Teil war in der Notsituation nach dem Krieg auch gar nicht dazu in der Lage – allen voran die auf ein Einkommen besonders angewiesenen Kriegswitwen. Aus dem entfachten Kampf um die Arbeitsplätze gingen die Frauen großenteils als Verliererinnen hervor. Frauenerwerbsarbeit wurde abgebaut, zurückgedrängt und gesetzlich stark eingeschränkt. Diese Entwicklung führte letzten Endes etwa dazu, dass die sogenannte Doppelverdiener-Verordnung ab Dezember 1933 die sofortige Entlassung verheirateter Frauen aus dem Bundesdienst und die Kündigung im Falle der Eheschließung vorsah. Der auf mehreren Ebenen vorangetriebene Prozess der Arbeitsmarktregulierung richtete sich ganz klar gegen die Frauenarbeit.17 Dennoch trugen die Leistungen der Frauen an der „Heimatfront“ und der „Soldatinnen des Hinterlandes“ zu einer Schwächung der konservativen Rollenbilder bei, und mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 setzten durchaus gesellschaftliche Umwälzungen ein. Diskussionen um Sexualität, Verhütung, Abtreibung sowie Ehe- und Familienrecht brachten die patriarchale Ordnung ins Wanken und stellten sowohl Männer als auch Frauen vor das Problem neuer Rollendefinitionen.
Die gesellschaftliche und politische Verunsicherung, der massive Rückgang der Geburten, die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt und die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise zogen eine Polarisierung und Radikalisierung der Bevölkerung nach sich, nicht zuletzt auch im Land und in der Stadt Salzburg. An das allgegenwärtige Krisengefühl konnten die Nationalsozialist*innen der ersten Stunde leicht anknüpfen. Sie versprachen Lösungen für die schier hoffnungslose Situation: So würden sie die demütigenden Folgen des Ersten Weltkrieges bereinigen, das „deutsche Volk“ aus der Wirtschaftskrise herausführen und die traditionellen Rollenbilder wiederherstellen. Mit Ankündigungen dieser Art konnten sie eine breite Anhänger*innenschaft, besonders innerhalb der bürgerlichen Schichten, für sich gewinnen. Ähnliche Konzeptionen der Christlichsozialen Partei (CSP) und des christlichen Lagers galten vielen aus dem bürgerlichen Lager als zu klerikal. Charakteristisch für den Aufstieg der NSDAP war aber, dass sie Ideen und Anhänger*innen aus nahezu allen Bereichen vereinnahmen konnte.
Seit der zuvor erwähnten Einführung des Frauenwahlrechts 1918 gingen die österreichischen Parteien, egal ob sie nun katholisch, sozialistisch oder nationalistisch orientiert waren, auf Stimmenfang in der weiblichen Wählerschaft. Trotz des offensiv männerbündischen Charakters fanden sich rasch zahlreiche Anhängerinnen für die erstarkende NS-Bewegung. Vor allem viele Österreicherinnen empfanden den Nationalsozialismus nach der vorhergehenden Entrechtung im austrofaschistischen Ständestaat (1934–1938) als modern und befreiend. Die frauendiskriminierenden Gesetze der Zwischenkriegszeit spielten dem Nationalsozialismus geradezu in die Hände – wobei im Zuge der Machtergreifung Hitlers im „Dritten Reich“ ebensolche diskriminierenden Gesetze erlassen wurden.
In der Zwischenkriegszeit illustriert die sozialdemokratische Monatsschrift Die Frau die „Verdrängung der Frauenarbeit“ mit Zeichnungen wie diesen.
Zahlreiche „weibliche Verbündete“ kamen aus dem großdeutschen beziehungsweise völkischen Lager. Als gedankliche Brücke diente die Vorstellung eines „deutschen Volkes“, einer verbindenden und zunehmend als „Blutsgemeinschaft“ verstandenen „Volksgemeinschaft“. Diese totalitäre Idee einte Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die frühen Nationalsozialist*innen bedienten sich für ihre konkreten Versprechungen bei vorhandenen Versatzstücken – man denke an die Aufwertung der Mutterschaft, die bereits ein zentrales Element der bürgerlichen Frauenbewegung war – und fügten sie in ihre rassistische Weltanschauung ein. Diese wiederum war von Ambivalenzen geprägt. So war etwa die von den Frauenbewegungen angestrebte Aufwertung der „Mütterlichkeit“ nur bedingt mit nationalsozialistischen Vorstellungen vereinbar, wurde doch weibliche „Gefühlsduselei“ und mütterliche Fürsorge, die jeglichem (auch „unwertem“) Leben galt, abgelehnt. Auf jeden Fall aber vereinfachte diese bunte Vermischung verschiedenster Aspekte den Übergang in die nationalsozialistische Frauenwelt. So konnten selbst Frauen, die zunächst nicht direkt mit dem Nationalsozialismus in Verbindung standen, jedoch ähnliche Ziele, Wertvorstellungen oder Vorurteile teilten, in der NS-Bewegung aufgehen. Die Vorstellung, Frauenrechtlerinnen seien ausschließlich Gegnerinnen des Nationalsozialismus gewesen, ist in diesem Zusammenhang übrigens verzerrt: Frauen, die mit feministischen Ideen sympathisierten und die Forderungen der Frauenbewegungen teilten, konnten sich aus Gründen wie Antisemitismus, Nationalismus, völkischem Mystizismus oder der Abneigung gegen den Bolschewismus der nationalsozialistischen Bewegung anschließen. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, dass die Nationalsozialistinnen selbst die NS-Ideologie zuweilen grundlegend unterschiedlich interpretierten. Da sich die Männer zudem anfänglich nicht für ihre Mitstreiterinnen interessierten, konnten die Frauen ganz eigene Konzepte des Nationalsozialismus entwerfen.
Obwohl die NS-Ideologie insgesamt eine betont männliche und antifeministische war und blieb, fanden sich also von Beginn an begeisterte Anhängerinnen, die auch eigene NS-Frauenorganisationen gründeten.18 Der erste dokumentierte Versuch in Österreich Frauen nationalsozialistisch zu organisieren, war der Deutsche nationalsoziale Frauenverein für Österreich, dessen Gründung 1918 angedacht war, aber aus unbekannten Gründen ausblieb. Die früheste nachweisbare nationalsozialistisch orientierte Frauengruppe war die Völkische Frauen- und Mädchengruppe, die erstmals 1925 in Linz auftrat. Der Name zeigt die Absicht, Mitglieder aus dem weiteren völkischen Milieu zu rekrutieren. Ab 1927 hieß die Vereinigung Völkische Frauen- und Mädchengruppe der NSDAP (Hitlerbewegung). Als Obfrau agierte Maria Werbik, die seit 1923 Mitglied der nationalsozialistischen Partei war und später offizielle österreichische NS-Frauenschaftsleiterin wurde. Als NS-Frauenverein trat seit 1926 der Bund nationalsozialistischer (deutscher) Frauen Wiens auf. Ebenfalls in Wien wurde im selben Jahr die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenklub gegründet, in deren Satzungen als Zweck „der Dienst am Wohle der arischen Mitmenschen“ festgehalten wurde.19 Der Frauenklub blieb im austrofaschistischen Ständestaat auch nach dem Verbot aller NS-Aktivitäten 1933 bestehen (allerdings nur bis Ende des Jahres), da er aufgrund seines unverfänglichen Namens harmlos erschien. Auch der Bund nationalsozialistischer deutscher Frauen durfte fortbestehen, da er als Dollfuß-loyal galt. Zwar strich man 1934 die Beifügung „nationalsozialistisch“ aus dem Namen, doch blieb der Verein bis 1938 für die illegale NS-Bewegung aktiv.
Die frühen nationalsozialistischen Frauengruppen in Österreich blieben weitgehend lokal beschränkt. Jene Frauen, die sich in dieser Phase engagierten, taten dies, obwohl sich in der Partei niemand besonders um sie bemühte. Das änderte sich in Österreich erst mit dem Aufstieg der NSDAP in Deutschland. Schon in der Entstehungsphase der NSDAP gab es verschiedenste nationalsozialistisch und völkisch orientierte Frauengruppen, die regional sehr unterschiedlich verteilt waren, außerdem kaum zusammenarbeiteten, sondern miteinander konkurrierten. Eine dieser NS-Frauengruppen war die unmittelbare Vorläuferin der späteren und auch für die Belange der Frauen in der Stadt und im Land Salzburg relevanten NS-Frauenschaft: der Deutsche Frauenorden (DFO). Diesen gründete Elsbeth Zander 1923 in Berlin. Zander selbst trat erst 1926 der NSDAP bei, engagierte sich aber schon vor dem Hitlerputsch für die NS-Bewegung und rekrutierte als überzeugende Rednerin zahlreiche Frauen. Obwohl Adolf Hitler den Frauenorden offiziell als Organisation der NSDAP anerkannte, führte der DFO in der Riege der NS-Organisationen ein Schattendasein. Mit der Zusatzbezeichnung Rotes Hakenkreuz brachte man die politische Zugehörigkeit des DFO zum Ausdruck. Die Mitglieder wurden dazu verpflichtet, der Partei beizutreten. Im Vordergrund stand die vaterländische, „rassenbewusste“ Erziehung der Frauen. Nicht politisches Engagement, sondern Mutterschaft und Pflege der deutschen Kultur wurden als weibliche Aufgaben definiert. Der Leitspruch des Frauenordens war „Glaube, Hoffnung, Liebe“.20 Ende der 1920er-Jahre soll der DFO rund 13 000 Anhängerinnen gezählt haben.
Weichenstellung in der Ersten Republik, breite Umsetzung nach dem „Anschluss“: Öffentlichkeitswirksame Darstellung von „Mütterlichkeit“ im Salzburger Wochenblatt der Landesbauernschaft Alpenland: „Mütter und Kinder aus Großarl, dem kinderreichsten Dorf Großdeutschlands; 299 Bergbäuerinnen des Dorfes tragen das Ehrenkreuz der deutschen Mutter.“
Neben dem Frauenorden gab es viele weitere lokale Splittergruppen von nationalsozialistisch gesinnten Frauen, die keineswegs dazu bereit waren, sich diesem unterzuordnen. Als die NSDAP zu Beginn der 1930er-Jahre einen zunehmenden Aufschwung erlebte, trat die Notwendigkeit eines geschlossenen Auftretens nach außen und einer einheitlichen Frauenorganisation verstärkt zutage. Die lokal agierenden und konkurrierenden Gruppierungen waren den Aufgaben und Ansprüchen der Partei nicht gewachsen. Der spätere Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schrieb 1928 in seinem Tagebuch: „Die Frauen muß ich organisieren. Da liegt viel Kraft brach.“21 Da er eine schlechte Meinung von Elsbeth Zander hatte, die er als „zu waschfrauenmäßig“ bezeichnete, gründete Goebbels 1929 selbst eine Frauenorganisation, die Frauenarbeitsgemeinschaft des Gaues Groß-Berlin. Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser – seine Position entsprach der eines Generalsekretärs – favorisierte dagegen den Frauenorden und Zander, da diese „als eine Jeanne d’Arc“ bei „einfachen Frauen“ gut ankam. Daraus resultierte eine Pattsituation, im Rahmen derer die Frauenorganisationen untereinander konkurrierten und sich sogar gegenseitig diffamierten.22 Die Lösung dieser Umstände sollte eine Fusion bringen. Das führte zur Gründung der Nationalsozialistischen Frauenschaft (NSF).
Am 1. Oktober 1931 gab Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser die Neuorganisation aller nationalsozialistischen Frauen in der NS-Frauenschaft (NSF) bekannt. In Ehrerweisung des Deutschen Frauenordens (DFO) lautete der vollständige Name der neuen Frauenorganisation zunächst Nationalsozialistische Frauenschaft (Deutscher Frauenorden), und auch das Motto „Glaube, Hoffnung, Liebe“ wurde beibehalten. Sämtliche weiblichen Parteimitglieder gehörten automatisch der Frauenschaft an. Jene, die nicht Teil der NSDAP waren, konnten sich als freiwillige Helferinnen engagieren – wobei auch sie Mitgliedsbeiträge bezahlen mussten. Als die drei grundlegenden Aufgabenbereiche der Frauenschaft galten: wirtschaftliche und sanitäre Hilfstätigkeiten (dazu zählten etwa Arbeiten in SA-Küchen, Nähstuben oder Schulungskurse im Sanitätswesen), geistig-kulturelle Erziehungsaufgaben sowie die Schulung der deutschen Hausfrauen. In der Praxis bestand ein Hauptteil der Frauenarbeit in den frühen 1930er-Jahren in der Hilfstätigkeit und Unterstützung der Sturmabteilung (SA) sowie bedürftiger Parteigenoss*innen und in der Verbreitung von Propagandamaterial.
Der spätere Reichsinnenminister und Schirmherr des Deutschen Frauenwerks, Wilhelm Frick (links), daneben Gregor Strasser, Begründer der NS-Frauenschaft, vor dem Berliner Reichstag um 1930.
Die Führung der Frauenschaft übernahm zunächst Elsbeth Zander, die – als sich Strasser 1932 aufgrund von Differenzen mit Hitler aus der NSDAP zurückzog – bald keinen Fürsprecher mehr hatte. Im April 1933 übernahm die radikale Nationalsozialistin Lydia Gottschewsky diese Führungsposition. Da sie gleichzeitig Bundesführerin des Bundes Deutscher Mädel (BDM) war, strebte sie – in Zusammenarbeit mit Reichsjugendführer Baldur von Schirach – einen Ausgleich im Streit um die Kontrolle der Jugend an, denn sowohl die NSF als auch die Hitlerjugend (HJ) versuchten, die Jugendlichen für sich zu beanspruchen.
Auf Reichsebene erschwerten Konflikte mit und zwischen den männlichen Parteiführern, die ihre Machtansprüche auf die Frauen geltend machen wollten, die Lage. Es herrschte eine geradezu chaotische Situation – die ja eigentlich mit der Gründung der NSF gelöst sein wollte.23 Im Mai 1933 gründete der neue Reichsorganisationsleiter Robert Ley, mit Lydia Gottschewsky an der Spitze, die Deutsche Frauenfront (DFF) – in Anlehnung an die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Daraufhin baute Innenminister Wilhelm Frick eine Konkurrenzorganisation auf – die Reichsarbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenverbände (RAG) –, in der ebenfalls alle Frauenverbände zusammengeführt werden sollten. Paula Sieber, die Vorsitzende, versuchte eher Frauen der Mittelschicht anzusprechen und Kontakte zu katholischen und protestantischen Frauenverbänden herzustellen. Zwischen Gottschewsky und Sieber entbrannte ein Konkurrenzkampf. Schließlich erteilte Rudolf Heß, Reichminister ohne Geschäftsbereich, im September 1933 den Auftrag, die Deutsche Frauenfront und die Reichsarbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenverbände im neu gegründeten Deutschen Frauenwerk (DFW) zusammenzuführen. Die NS-Frauenschaft blieb bestehen, das Frauenwerk war eine Zusatzeinrichtung und eine Kompromisslösung, auf die sich Heß, Frick und Ley einigten. Schirmherr des Frauenwerks wurde Frick, die Leitung übernahm Landrat Gottfried Adolf Krummacher, und Paula Sieber war stellvertretende Leiterin. Gegen die Ernennung Krummachers zum Leiter regte sich jedoch Widerstand, da sich die nationalsozialistischen Führerinnen in einer Frauenorganisation nicht von einem Mann bevormunden lassen wollten. In den offiziellen Parteiorganen durfte über diesen Unmut natürlich nichts verlautbart werden, doch in der Zeitschrift der NSF, der NS-Frauenwarte, und internen Schriften forderten die Frauen eine weibliche Führung.
Die männliche Parteiführung betrachtete jene Frauen, die aktiv für mehr Mitspracherecht kämpften, sehr kritisch und war darum bemüht, fügsame Leiterinnen einzusetzen. So musste Paula Sieber 1934 ihr Amt aufgeben – offiziell wegen Veruntreuung.24 Als die Anschuldigungen gegen sie fallengelassen wurden, hatte sich bereits die neue Frauenführerin Gertrud Scholtz-Klink [Biografie S. 38] etabliert. Ein auch auf persönlicher Ebene ausgefochtener Machtkampf um Positionen unter Frauen wie Männern zeigt sich hier ganz deutlich. Mit Scholtz-Klinks zunehmendem Erfolg als Frauenschaftsleiterin war den Streitereien unter den Frauengruppen aber zunächst ein Ende gesetzt.
Im Zuge der sogenannten Gleichschaltung wurden alle Frauen beziehungsweise alle Frauenverbände und -gruppierungen in den großen, der Partei zugehörigen NS-Organisationen vereint. Ende 1935 war der Prozess weitgehend abgeschlossen und unter der Führung Scholtz-Klinks setzte eine Stabilisierung der Verhältnisse ein. Die strebsame Nationalsozialistin war zwar darum bemüht, eine starke Frauenorganisation aufzubauen, doch wollte sie keineswegs eine Konkurrenz zu den NS-Männerbünden schaffen. So gingen nach der Machtübernahme der NSDAP ab 1933 viele Arbeiten der NS-Frauenschaft und des Deutschen Frauenwerks, die diese zuvor geleistet und in Anspruch genommen hatten, an andere Einrichtungen über. Für die jungen Mädchen schien der jugendhafte und moderne Bund Deutscher Mädel (BDM) in diesem Zusammenhang viel verlockender als die altbackene NS-Frauenschaft: In der NSF sollten sie zum Ideal der dienenden, der männlichen Führung unterworfenen Frau und Mutter erzogen werden, wohingegen sie im BDM neben den Jungen gleichwertig bestehen konnten und für sich Aufstiegsmöglichkeiten sahen. An dieser Situation zeigt sich auch ein Paradoxon des Nationalsozialismus. Er vereindeutigte die Rollenstereotype von Frauen und Männern „bei gleichzeitiger faktischer Rollenüberschreitung“25. Gerade darin lag eine spezielle Wirksamkeit des Nationalsozialismus: Dass er neue Möglichkeiten eröffnete und von vielen als modern empfunden wurde, gleichzeitig aber die damit einhergehenden traditionellen, rigiden Ordnungen das Gefühl von Beständigkeit und Sicherheit vermittelten.26
Gemeinsamer Aufmarsch der Jugendlichen des BDM und der HJ bei Wettkämpfen der Deutschen Arbeitsfront zugunsten des Winterhilfswerks in Salzburg, Oktober 1938.
Noch einschneidender für die Frauenschaft war die Gründung und Etablierung des großen Konkurrenten, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt