Kasimir und der Bär - Detlef Raupach - E-Book

Kasimir und der Bär E-Book

Detlef Raupach

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Beschreibung

Albrecht, genannt "Der Bär" gilt als Gründer der Mark Brandenburg. Der erste Teil des Romans folgt Albrechts Weg vom Vasallen des sächsischen Herzogs, des späteren römisch-deutschen Kaisers Lothar, zum Markgrafen der Nordmark, des rechtselbischen Gebietes, auf dem später die Mark Brandenburg entsteht. Albrechts Geschichte wird begleitet durch den Lebensweg des bömischen Jungen Kasimir, der als Zweitgeborener wenig Aussicht hat, dann aber durch bestandene Abenteuer bis zum Reiterführer bei Albrecht aufsteigt. Im Anhang ist eine Zeittafel und auch eine Karte eingefügt. Beides trägt zum Verständnis der Zeit und der Orte bei.

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Seitenzahl: 378

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Das Buch:

Dieser historische Roman beschreibt den Weg eines Jungen, der in den Dienst eines Burgherren tritt. Er gewinnt das Vertrauen, arbeitet sich hoch und wird in militärischen Dingen die rechte Hand das Burgherren. Sein Herr ist niemand Geringeres als der Aufsteiger Albrecht, genannt Der Bär, der unter König Lothar zum Herzog der Sachsen wird und unter Heinrich dem Löwen zum Gründervater der Mark Brandenburg.

Der Autor:

Der Autor ist fest mit Brandenburg verwachsen. Er ist hier geboren und er lebt wieder hier.

Inhaltsverzeichnis

Unter der Kiefer

Kasimir

Schlacht bei Kulm

Die Ballenstedter

Kasimir bei den Sachsen

Der Ruf nach Pommern 1128

Albrecht und Kasimir

Albrecht will Herzog werden

Albrecht und der König

Albrecht, Markgraf der Nordmark

Personen

Einige Bemerkungen zur Zeitgeschichte

Zeittafel

Im Dienste des Sachsen

Unter der Kiefer

Kasimir lag unter der Kiefer, die windschief einsam auf dem Hügel stand. Er hat einen Pfeil in der Brust. Zuvor hatte ihn ein Schwerthieb getroffen, dann war der Pfeil genau an dieser Stelle durch den Panzer gedrungen, an dem die Ringe gesprungen waren. Kasimir fühlte das warme Blut aus der Wunde treten. Er hatte schwer zu atmen, denn beim Sturz vom Pferd war er unter dieses geraten und er vermochte sich nicht alleine zu befreien.

Das Ende war da. Er wusste es. Der Lärm der Schlacht war weitergezogen oder die Schlacht hatte geendet. Er wusste es nicht. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange er schon lag. Einige Male war er hinübergedämmert in die Welt, in der es nichts mehr gab, nur Dunkelheit und er wünschte fast, dass er sich verlieren würde in diesem Raum aus weichem Traum, die keinen Schmerz kennt. Aber bisher war er immer wieder aufgetaucht, der Schmerz im Bein, der in der Brust machte ihm bewusst, dass er noch lebte und weiter leiden würde, bis all der Lebenssaft aus ihm herausgeflossen war und er nicht mehr aus dem Dämmern wieder emportauchen konnte.

Kasimir bereitete sich auf den Tod vor. Er versuchte, sich zu erinnern, warum er hier auf dem Hügel lag. Das war leicht. Er war mit seinem Herrn unterwegs den Jaxa zu schlagen. Aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Es war für Kasimir nicht mehr wichtig, ob es Jaxa war, der Albrecht vor sich her trieb oder ob es Albrecht gelungen war, Jaxa zu vertreiben.

Kasimir hatte versagt. Er hatte sich, gewünscht in heimischer Erde begraben zu werden. Jetzt wird wohl daraus nichts. Sie werden ihn hier vergessen. Die Raben werden kommen, die allgegenwärtigen, und sein Fleisch zerhacken, der Greif wird kommen, die Raben für den Augenblick vertreiben und dann wird sich der Fuchs den Rest holen. Übrigbleiben werden bleiche Knochen auf der fremden Erde.

Kasimir dämmert wieder weg in die wolkige Ewigkeit. Als er erwacht, ist es immer noch hell. Er wundert sich über die Helle. Aber nicht lange, dann versucht er herauszufinden, warum er hier lag. Seine letzten Gedanken fielen ihm wieder ein. Vielleicht, so setzt er seine Überlegungen fort, gewinnt Albrecht und er kehrt an den Ort zurück, erinnert sich an den wackeren Kämpfer, der jahrelang an seiner Seite geritten ist, und bereitet ihm hier ein Grab. Ein Grab in fremder Erde.

Vielleicht war es wahr, was die Christen sagen. Vielleicht kommt seine Seele in das Paradies. Er hatte ja gegen die Nichtchristen gefochten. Das hatte er getan, solange er an der Seite Albrechts war. Und das war praktisch sein ganzes Leben lang. Dem Körper konnte es jedenfalls egal sein, wenn die Seele im Paradies war und der Seele tat es auch nicht mehr weh, wenn die Götter ihn zu sich holten. Den Körper würde er entbehren können. In diesem Himmel, wie in den Gefilden seiner Vorfahren.

Kasimir glaubte, Pferdehufe auf den harten Boden schlagen zu hören. Er versuchte, den Kopf zu wenden, aber die Bewegung bleibt im Schmerz stecken. Er sank zurück. Noch lebte er jedenfalls. Er versuchte, die Lippen zu öffnen und zu rufen, aber es kam keine Luft aus seiner Lunge, nur ein stechender Schmerz. Da lag er nun. Er hatte für Albrecht gefochten. An etwas anderes konnte er sich nicht erinnern. Und er hatte immer gewusst, dass es so enden würde. Einen Augenblick lang nur kam ihm Dejana in den Sinn. Aber es war nur ein flüchtiges Erinnern.

Die Dämmerung kam und mit ihr etwas Kühle. Kasimir fühlte sich wohler. Wenn er sich nicht bewegte, hatte er kaum Schmerzen. Die Blutung in der Brust schien aufgehört zu haben. Es würde lange dauern, bis der Tod kam und ihn endlich holte. Er hatte Angst, die Tiere würden bei lebendigem Leibe an ihm herumhacken und beißen. Wenn er sich nur bewegen könnte. Lautlos stöhnte er, als er den Gedanken in die Tat umsetzen wollte. Wieder fiel er in die Ohnmacht.

Als er wieder wach wurde, war es dunkel. Er versuchte sich zu erinnern, warum er hier lag. Aber das war ganz einfach. Er hatte es so gewollt. Er hatte es herbeigesehnt, nachdem er Dejana verloren hatte und der Schmerz in ihm war und er hatte es gleichgültig herbeikommen lassen, als da kein Schmerz mehr war. Jetzt lag er hier und starb. Er lag auf fremder Erde, er war für einen fremden Herrn und für einen fremden Glauben hier und die Götter mögen entscheiden, wo seine Seele sich hinbegeben würde, in das Paradies der Christen oder in die glühenden Fluten des unterirdischen Flusses der Götter seines eigenen Volkes oder ob sie in den immer wehenden Lüften des Frühlings, des Sommers, des Herbstes und des Winters einfach forttreiben würde, sich mit den Seelen der Vergangenen mischen.

Seine Gedanken waren klar. Kasimir versuchte sich zu erinnern, wie alles angefangen hatte. Das Erste, an das er sich wirklich erinnern konnte, war das Frühjahr im Jahre des Herrn 1125. Es war sein dreizehntes oder vierzehntes Jahr.

Kasimir

Kasimir ist der Sohn eines Dorfschulzen im böhmischen Grenzland. Nach seiner und der Taufe einiger Dorfbewohner wird er in ein Kloster gegeben, weil er der Zweitgeborene ist.

Kasimirs Taufe

Am Tage nach dem Frühlingsfeuer wurde Kasimir, als er gerade vom Brunnen zurückkehrte, wo er sich den Schlaf aus den Gliedern und aus den Augen gewaschen hatte, zum Vater in das Haus gerufen.

Miritsch von Pristi hatte lange mit sich gerungen. Einerseits brauchte er den Sohn auf dem Feld und auch war es angenehm, mit anzusehen, wie dieser schon selbstständig die Arbeit der Knechte lenkte, die ihm trotz seiner Jugend willig folgten. Andererseits war es sein zweiter Sohn und er würde den Hof über kurz oder lang verlassen müssen. Für zwei Söhne würde das Erbe des Vaters nicht ausreichen. Miritsch kannte nur zwei Möglichkeiten. Er könnte den Sohn zum Herzog schicken, dort würde er als Reitersmann dem Herzog dienen und irgendwann, wenn er es überlebte, irgendwo in der Fremde ein Stück Acker vom Herzog bekommen, auf dem er eine Familie gründen konnte. Die andere Möglichkeit, und sie gefiel dem Vater wesentlich besser, war, den Sohn in ein Kloster zu schicken und ihn dort zu einem Wissenden ausbilden zu lassen. Ob der Junge Mönch werden wolle, könnte er später immer noch selbst entscheiden.

Unmittelbar, nachdem der Vater dem Zweitgeborenen seine Entscheidung mitgeteilt hatte, stieg er auf sein Pferd und machte sich auf den Weg in das Kloster. Dort wurde er bald nach seiner Ankunft zum Prior vorgelassen. Sie wurden sich auch schnell einig über den Handel, obwohl der Prior zu bedenken gab, dass der Junge schon sehr alt war und tagsüber auf dem Feld zu arbeiten hätte.

Das fehlende Bekenntnis zum Gott der Christen wurde erst bemerkt, als der Prior nach dem Datum der Geburt des Jungen oder der Eintragung in das Taufregister fragte. Die Aufnahme in die christliche Kirche wäre ja erste Christenpflicht und auch Voraussetzung für den Dienst im Kloster.

Die Taufe war schon lange hinausgeschoben worden. Kasimirs Vater, Miritsch von Pristi, Lehnschulze und Ritter im Dienste des Herzogs Sobeslaw I. von Böhmen war sich seiner Nachlässigkeit wohl bewusst gewesen, bevor er den Prior ansprach. Allerdings hatte er gehofft, der Priester würde darüber hinweggehen und eher froh darüber sein, fleißige Hände für das Kloster gewinnen zu können und die Taufe so also ohne großes Aufsehen vollziehen.

Der Prior, dem die mangelnde Zuwendung zum christlichen Glauben der Bauern ringsum schon lange aufgestoßen war, der aber weder beim Bischof noch beim Herzog auf großes Interesse für diese Unzulänglichkeit stieß, witterte hier die Gelegenheit, endlich diesen für ihn unhaltbaren Zustand ein wenig zu verbessern.

Der Priester, aufmerksam geworden, forschte nun Kasimirs Vater aus und befragte ihn nach Namen der Bauern und Knechte seines Dorfes. Dieser, sich wohl bewusst in eine große Falle zu laufen, zählte die Namen auf, von denen er glaubte, sie seien im Taufregister niedergeschrieben. Und tatsächlich wurden viele der Namen gefunden. Allerdings nicht alle. Der Priester, einmal den Faden aufgenommen, hangelte sich weiter daran entlang. Er befragte Kasimirs Vater, ob denn in seinem Dorf schon seit sieben Sommern kein Kind mehr geboren worden war, denn des Vaters Aufzählung endete zu dieser Zeit und an nähere Ereignisse hätte er sich doch stärker erinnern müssen als an ferner zurückliegende.

Als der Vater anfing, sich Ausreden auszudenken, legte der Prior ihm die Hand auf die Schulter. Er möge alle nicht Getauften am dritten Sonntag ab jetzt zur Kirche führen und es würde allen die Gelegenheit gegeben, sich im heiligen Wasser, wie Jesus, der Sohn Gottes, vormals den Segen empfangen habe, waschen zu lassen. Sie werden reingewaschen von Sünden. So soll es auch allen Mitgliedern der Gemeinde vergönnt sein, in den Schoß der heiligen Kirche aufgenommen zu werden. Der Lehnschulze solle nur darauf achten, alle Mitglieder seines Dorfes auch zur Kirche zu bringen.

Kasimirs Vater versprach es und der Prior nahm sich insgeheim vor, unter den Bediensteten des Klosters nach Nichtgetauften zu fahnden. Dem jetzt besorgten Vater aber versprach er die Anstellung des Sohnes im Kloster, sobald dieser getauft sei.

Noch am Abend rief Kasimirs Vater den Ältestenrat zusammen. Es gab keinen Widerspruch. Die Alten senkten die Köpfe, als sie auf das Versäumnis aufmerksam gemacht wurden. Der eine oder andere dachte an seine Besuche der heiligen Stätte der Ahnen im Walde hier oberhalb des Dorfes und es gab durchaus auch die Gedanken an die letzten Besuche in der Kirche des Klosters. Der eine oder andere war dort nach Christenart getauft worden, der eine oder andere aber eben nicht.

Am bestimmten Sonntag versammelte sich die gesamte Bevölkerung noch vor Sonnenaufgang auf dem Platze des Dorfes. Kasimirs Vater, der Lehnschulze, vermisste einige der Alten, aber es störte ihn nicht sehr, als er die Masse der anderen sah, die zusammengekommen waren. Er rief ein Grußwort an die Versammelten und dann ritt er, nach einem Wink, sie mögen ihm folgen, auf dem Hauptweg dem Ausgang des Dorfes zu.

Für gewöhnlich wären die Dörfler bald nach Sonnenaufgang auf die Felder gezogen. Das Frühjahr hatte warm begonnen und die Fichten verteilten schon den Blütenstaub auf alles und jeden. Die Pfützen, die vom Regen der Nacht zurückgeblieben waren, hatten einen gelben Saum. Kasimirs Vater drehte sich auf seinem Pferd um. Die Seinen folgten ihm zügig, wie er zufrieden feststellte.

Die Gesichter sahen gar nicht so müde und abweisend aus. Es würde ein sonniger warmer Tag werden, ohne Arbeit und ohne den gewohnten Gang der Tage. Es würde ein Feiertag werden, sobald die Sonne aufgegangen war, die Strahlen ihre Gesichter traf und wärmte. Sie hatten einen freien Tag, der zudem noch ein üppiges Fest am Abend versprach, das der Dorfschulze zur Ehre der Taufe seines Sohnes ausrichten wollte. Die Arbeit würde nicht weglaufen, die Tage würden wärmer werden und was machte da schon der eine Tag, an dem sie feiern würden.

Kasimir durfte hinter seinem Vater auf dem Pferd sitzen. Das Schild, das der Vater als ein Zeichen seiner Würde und Verantwortung mit sich führte, schlug ihm einige Male unangenehm an die Füße, bis er eine Position gefunden hatte, die bequem und sicher vor dem harten Rand des Schildes war.

Der Vater hatte auch das weiße Fell des Schafes übergeworfen. Es schützte vor dem noch kalten Wind des Morgens und Kasimir konnte auch einige Zeit, angelehnt an den Rücken des Vaters darin schlummern. Am Knauf des Sattels war außerdem das Schwert des Vaters befestigt. In die Kirche würde er es freilich nicht mitnehmen dürfen, aber solange war es das Zeichen seiner Verantwortung gegenüber der Gemeinde und dem Dorf und das Zeichen seiner Aufgabe, die er hier zu erfüllen hatte.

An diese Aufgabe hatte ihn der Vorsteher des Klosters erinnert. Das Kloster stand unter direktem Schutz des Herzogs von Böhmen. Leicht konnte der Prior selbst dem Herzog von der Nachlässigkeit des Schulzen berichten und die Folgen könnten für Kasimirs Vater unangenehm werden. Wenn er nicht einmal in der Lage war, in seinem eigenen Dorf das Christentum zu verteidigen, und das war auch die von seinem Herzog empfangene Aufgabe, so könnte der Herzog auf die Idee kommen, jemand anderen mit dem Dorf zu belehnen.

Kasimirs Vater drehte sich um. Sie folgten ihm alle. Er fasste wieder Mut und ein tiefer Seufzer entwich seiner Brust. Alles würde gut ausgehen.

Die Tore des Klosters schwangen auf, als die Gemeinde in Sichtweite kam. Einige wenige Mönche hatten sich am Tor versammelt. Sie standen schweigend, während sich die vom Marsch müde Menge durch das Tor schob.

Schon als sie aus dem Wald heraustraten, wurde das sich bis dahin angeregt unterhaltende, zu Scherzen aufgelegte Volk zusehends leiser. Die Unterhaltung war gänzlich abgeschnürt, als sie sich der hohen steinernen Mauer näherten und endlich hineintraten.

Die Gemeinde stand vor der Kirche. Nur wenige von ihnen hatten bis dahin einen steinernen Bau gesehen. Diejenigen, die schon Häuser gebaut hatten, standen und schätzten ein, wie lange die Mauern wohl das schwere Dach halten konnten. Aber die Steine lagen fest aufeinander und sie schienen wie der Fels selbst zu sein. Da fassten sie Vertrauen und traten vor.

Ein Mönch trat aus der Tür der Kirche und winkte Kasimirs Vater heran, der vom Pferd gestiegen und auch Kasimir heruntergewunken hatte. Das Pferd wurde angebunden und Schwert und Schild in die Obhut eines Mönches gegeben. Der Lehnschulze wurde mit seinem Sohn zusammen in die Kirche geführt und ihnen wurden Plätze auf dem Gestühle neben der Kanzel zugewiesen. Kasimir hatte einen Augenblick Zeit, die Höhe und Helligkeit des Gebäudes zu bewundern, bevor die Dörfler in die Kirche geführt wurden und Scharren, Gemurmel und das Knarren der Bänke, auf denen sie sich niederließen, den Raum erfüllte und tausendfach aus allen Enden widerhallte.

Die meisten mussten stehen, denn für so viel Volk war die Kirche nicht vorgesehen. Sogar standen noch Leute vor der Türe, weil selbst der Gang bald voll war mit Dörflern und Mönchen, die auch herbeigeströmt waren.

Jeder aber, der sich als noch nicht getauft bekannte, durfte auf den vorderen Bänken sitzen. Sie saßen oder sie standen in der Mitte und bewunderten von dort den hohen steinernen Bau und die Ausschmückung des Altars.

Kasimir sah zum ersten Male ein gemauertes Gebäude. Er hatte beim Eintritt in die Kirche die Mauer befühlt und sie kalt und ohne Leben empfunden. Innen dann nahm er die Höhe und die Helligkeit des Raumes wahr. Die Frühlingssonne, die draußen schon mit voller Kraft das ihre an der Natur tat, war in ihrem Licht drinnen kaum gedämpft. Die zum Teil bunten Fenster belebte den Schein geradezu und alles schien in hellen goldenen Farben zu leuchten. Der hohe Klang in dem Raume, der das Gemurmel der Versammelten verstärkte, beeindruckte Kasimir genau so, wie es die Menschen in der Halle allmählich zum Verstummen brachte.

Der Geistliche erschien, als sich alle beruhigt hatten und stumm auf das Kommende warteten. Gelegentlich war ein Räuspern zu hören und das Scharren eines Fußes. Auch wurde immer mal wieder ein Kind ermahnt, aber auf alle anderen hatte die hohe Kirche bereits seinen Einfluss geltend gemacht.

Die Mönche, die sich im vorderen Bereich vor dem Altar versammelt hatten, begannen auf ein Zeichen des Priors ein Lied zu singen. Worte und Melodie waren den Dörflern unbekannt, aber als der Schall den ganzen Raum der Kirche bis in den letzten Winkel erfasst hatte, da standen sie andächtig und spürten die Macht des Liedes, das sie mitnahm in eine andere Welt, eine höhere, in der es kein Leiden mehr gab, keinen Alltag und kein Hier und Jetzt. Als das Lied der Mönche endete, ging ein Raunen der Erleichterung durch die Versammelten.

Der Priester erklomm die nur wenig erhöhte Kanzel und nach einer Pause begann er seine Predigt in einer fremden Sprache zu halten. Die Leute schwiegen und horchten höflich. Sie hatten Zeit, die geschnitzten Figuren zu betrachten und die gemalten Ornamente zu studieren und die silbern glitzernden Gefäße, die auf den Simsen und auf dem Altar standen, zu bewundern.

Dann, als es schon unruhig wurde im Raume, endete der Priester mit einem Amen und die Gemeinde antwortete ihm, sich an die christliche Formel erinnernd, ebenso mit einem Amen. Die beiden Priester, nicht so prächtig gekleidet, wie der Prior, hatten abseits gewartet und im Stehen der Predigt gelauscht. Sie forderten jetzt Kasimirs Vater auf, den Jungen an das Taufbecken zu führen.

Die heilige Handlung vollzog der Prior selbst. Der Schreiber trug den Namen des Jungen in das Register ein. Dann forderte der Prior den nächst Sitzenden auf, an das Taufbecken zu treten, und vollzog auch hier die Handlung, begleitet von Worten in fremder Sprache, die aber mit dem bekannten Amen endeten, was der Begleiter des zu Taufenden und der Taufende selbst geistesgegenwärtig wiederholten.

Einige der Handlungen nahm der Prior noch selbst vor, dann schien er müde geworden zu sein und setzte sich neben Kasimir in die Stuhlreihe neben dem Altar. Die restlichen Taufen nahm der Pater vor, der bisher an der Seite gestanden hatte. Alle Namen wurden in das Register eingetragen.

Die Zeremonie zog sich hin. Als Kasimirs Vater bemerkte, wie sich einer der Seinigen zum zweiten Mal in die Reihe stellte, in der es das heilige Brot gab, schickte er im Folgenden alle, die bereits getauft waren, aus der Kirche hinaus.

Die Kirche leerte sich schnell unter Gemurmel und der Priester konnte seine abschließende, aber für das Volk uninteressante, weil unverständliche, Rede halten. Der Prior war zufrieden. Das sahen alle. Kasimirs Vater war auch zufrieden, denn er durfte seinen Zweitgeborenen in der Obhut des Klosters lassen.

Der Zug ging zurück in das Dorf. Alle hatten gute Laune und auf dem heimatlichen Dorfplatz war bereits von den zurückgelassenen Knechten alles für die Festlichkeit gerichtet worden.

Kasimir hatte am Tor gestanden, als der Vater mit den Seinen abzog. Er hatte sich an die Mauer gelehnt und eine Träne war aus seinem Auge geflossen, die er schnell wegwischte. Ein Mönch stellte sich zu ihm und legte seine Hand auf Kasimirs Schulter. Dann war der Zug im Wald verschwunden. Die Vögel sangen und der Wind wehte und Kasimir wurde von dem Mönch hinter die Klostermauern geführt.

Diese Nacht verbrachte er auf einem Strohlager in einem Stall, der an eine steinerne Mauer grenzte. Er hatte die Steine noch einmal befühlt, bevor er sich hinlegte. Sie war kühl und fest.

Schlacht bei Kulm

Albrecht der Bär, Graf von Ballenstedt und auch Markgraf der Lausitz, erwartet einen Sohn. Nach dessen Geburt zieht er sofort mit seinem König in die Schlacht um die Herzogschaft Böhmens. Lothar will Böhmen für Otto II. von Mähren erobern, der ihm die Gefolgschaft zugesagt hat. Kasimir ist Zuschauer am Rande der Schlacht bei Kulm, die für Lothar und Albrecht verloren geht.

Als Lothar und Albrecht freigelassen werden und Sobeslaw seine Loyalität gegenüber Lothar erklärt hat, verlässt Kasimir das Kloster, um seiner Schwester zu folgen. So gerät er in das Land der Sachsen.

Albrecht erwartet einen Sohn

Albrecht stand am Fenster. Sein Blick ging in die Weite. Er hatte seinen Pelz übergeworfen. Eisiger Wind wehte in den Raum. Hinter ihm glühten noch dicke Buchenscheite im Kamin. Ab und an, wieder angefacht durch den Luftzug, lodern kurz die Flammen hoch, um dann wieder in sich zusammenzufallen. Albrecht nahm seine Wanderung wieder auf. Vom Fenster zur Tür, dann wieder zum Fenster. Lange konnte er es nicht mehr hinauszögern. Unten im Hof warteten die Reiter. Wenn er den Treffpunkt noch an diesem Tag erreichen wollte, dann musste er in der nächsten Stunde aufbrechen. Und er musste, wie verabredet, dort sein. Albrecht hielt inne. Vor der Tür war ein Geräusch. Aber wieder nichts. Es war jemand vorbeigehastet, aber niemand hatte um Einlass gebeten. Eine Tür weiter lag seine Frau Sophie in den Wehen. Zuweilen drang ein Schrei schwach herüber. Seit Stunden ging das so. Aber er wollte es wissen. Er wollte es wissen, wenn es ein Sohn werden sollte. Seine Frau erwartet die Niederkunft. Zwei dicke Türen liegen zwischen ihm und der Gebärenden.

Vor einigen Stunden hatte ihn seine Mutter mit einer Geste aus dem Zimmer geschickt. Als er nicht reagierte, hatte sie ihn noch einmal angeherrscht. „Männer werden jetzt hier nicht gebraucht!“ Außer ihr und seiner Frau Sophie war nur die Hebamme anwesend. Doch ärgerte sich Albrecht augenblicklich über die Zurechtweisung. Der Ärger verflog aber sofort wieder, als er auf seine Frau sah, die ihn trotz des eben noch schmerzverzerrten Gesichts anlächelte. Er verließ das Zimmer und zog sich in das seine zurück. Er riss das Fenster auf. Die Sonne schälte sich gerade aus dem Morgendunst. Ein kalter Schwall drang in das Zimmer. In den Hof hinunterrufend befahl er, die Reiter und die Fußtruppen sollten sich für den Abmarsch bereit machen. Er lief am Fenster hin und her und sah zu, wie sich der Hof mit Menschen füllte. Dann ließ er die Fußtruppen mit dem Tross abrücken. Sie würden sich direkt nach Meißen begeben. Es waren nur noch die Reiter im Hof, die sich nach einer Weile ein Feuer anzündeten.

Albrecht brüllte in den Hof. Die Reiter, die schwatzend bei den Pferden standen oder sich am in der Mitte des Hofes angefachten Feuer die Hände und Füße erwärmten, schauten hoch. Albrecht winkte. Mart von Bode, der Lange genannt, löste sich aus der Schar und sah ebenfalls in Albrechts Richtung. Albrecht winkte noch einmal. Wenig später klopfte es an der Tür.

„Herein!“

Der Lange beugte seinen Kopf unter den Balken und ging schnurstraks zum Kamin. Es schüttelte ihn, weil in dem Zimmer die gleichen Temperaturen wie draußen herrschten. „Du lässt mir ein halbes Dutzend Reiter, mit dem Rest ziehst du los.“

„Du willst den König warten lassen?“

Albrecht verschränkte die Arme über der Brust. „Der König ist in Goslar. Dort will er das Heer versammeln. Wir schicken einen Melder nach Goslar. Er soll dem König die Stärke unserer Truppe sagen und dass wir den König in Orlamünde treffen werden.“

„Ich ziehe also nach Orlamünde voraus?“

Mart hatte sich Albrecht zugewandt und ließ sich jetzt seine Rückseite vom Kamin wärmen. Er war groß und er war schmal. Albrecht wusste, dass in der hageren Gestalt ungeheure Schnelligkeit und Kraft steckte. Er kannte niemanden, der behänder mit Schwert und Lanze umzugehen wusste. Schon Albrechts Vater vertraute diesem Mann. Die Scharte auf der rechten Gesichtshälfte zeugten von den durchgestandenen Kämpfen. Albrecht vertraute auch auf die richtige Ausführung seiner Anweisungen. Mart würde dank seiner Erfahrung ihn auch vor dem König vertreten, wenn Albrecht sich um einen oder zwei Tage verspätete. So hatte er noch Zeit auf die Ankunft seines Sohnes zu warten, denn dass es ein Sohn werden würde, dessen war er sich sicher.

Albrecht stand am offenen Fenster, bis die Reiter alle den Hof verlassen hatten. Dann schloss er das Fenster, legte einen Scheit Holz in den Kamin und rief Karlemann, seinen Adlatus herbei. Der hatte durch die geschlossene Tür den Ruf vernommen. Der Junge kam mit einem Topf heiße Brühe aus der Küche herauf und verschwand genau so unauffällig, wie er die Suppe gebracht hatte, nachdem er einige Stücke Holz neben dem Kamin aufschichtete und den Pelz, den Albrecht auf den Boden geworfen hatte, an seinen Haken hängte.

Die Nacht verbrachte Albrecht angezogen auf seiner Bettstatt. Manchmal wurde er wach und hörte den Schrei aus dem Zimmer nebenan durch die dicken Wände oder über den Flur durch die dicken Türen. Dann schlief er wieder ein. Hannes, sein Medikus, hatte ihm einen Schlaftrunk, nicht zu stark, machen müssen, aber er hat ihn dann doch unbeachtet stehengelassen.

Gegen Morgen, kein Lichtschimmer drang von draußen durch das Fenster herein, nur im Kamin glimmte es leicht, kam Karlemann und rüttelte den Schlafenden wach.

„Was ist es?“, Albrecht war sofort aus dem Bett hoch.

Karlemann gab keine Antwort, durch die offenen Türen hörte er das kräftige Schreien aus der Kemenate seiner Frau. Albrecht eilte hinüber.

„Ein Sohn“, sagte seine Mutter Eilikar, die ihn in der Tür empfing. Ihr übernächtigtes Gesicht strahlte. „Du hast einen Erben, gesund und ... .“

Albrecht machte drei große Schritte auf das Wochenbett seiner Frau zu. Eingefallen sah sie aus, aber stolz hielt sie ihm den Sohn entgegen. Ein rosiges kleines schreiendes Etwas. Aber ein Sohn. Das war deutlich zu sehen. Die Hebamme nahm der Frau das Kind ab und wickelte es in Leinen. Dann hielt sie das Bündel Albrecht entgegen. Albrecht wusste nicht, was er zuerst machen sollte, aber er drückte, sich niederbeugend einen Kuss auf die Stirn der Frau und nahm dann vorsichtig den Sohn in die Hände. Weil er außer dem Ansehen nichts mit ihm anzufangen wusste und auch Angst hatte, irgendetwas zu zerdrücken oder zu verrenken, gab er das schreiende Bündel zurück in die Hände der Hebamme. Die legte den Sohn wieder zur Mutter. Glücklich lächelte Frau Sophie ihren Mann an.

Mit zwei Tagen Verspätung rückte Albrecht am nächsten Morgen in Richtung Süden ab. Der Schnee machte den Pferden zu schaffen. Albrecht trieb seine Leute und sich selber an. Er durfte nicht noch mehr Zeit verlieren. Der König erwartete ihn. Vor allem erwartete der König die Verstärkung seines Heeres. Er zog gegen Sobeslaw. Der nannte sich schon Herzog der Böhmen, obwohl ihn kein König und kein Kaiser das Lehen gegeben hatte. Das konnte ihm König Lothar, auch als zukünftiger Kaiser nicht durchgehen lassen. Denn dann würde bald jeder im Reich machen, was er wollte. Die Partei der Staufer würde sich die Hände reiben und sie hätten Recht damit, Lothars Durchsetzungsvermögen anzuzweifeln. Vielleicht würden sie sogar einen eigenen König gegen ihn setzen.

Albrecht war dem König verpflichtet. Auch war der König sein Nachbar. Lothar von Süpplinburg war ein Sachse. Wenn auch kein Echter. Albrecht würde immer seine Vorteile haben. Mehr jedenfalls, als wenn die Staufer aus dem fernen Schwabenlande die Sachsen regieren würden. Das waren zwei Gründe. Albrecht hatte jeden verfügbaren Mann aufgebracht. In wenigen Tagen würde er den König treffen. Gemeinsam würden sie gegen Sobeslaw ziehen. So, wie sie zusammen gegen die Polen gezogen waren und gemeinsam die Mark Lausitz zurückeroberten.

Im Dorf

Das Dorf war schon im Dezember fast von der Außenwelt abgeschnitten. Dann kam das Jahr des Herrn 1126. Der Schnee lag im Januar an einigen Stellen bis an die Dächer hoch und die Hausleute schaufelten Gänge frei, um ihren täglichen Verrichtungen nachgehen zu können. An einen Gang zum Markt, der schon bei trockenem Wetter immerhin einen halben Tagesmarsch bedeutete, war nicht zu denken.

Kasimir kehrte einige Tage vor dem Jahreswechsel in sein Dorf zurück. Die Mutter umarmte und streichelte ihn, der Vater legte ihm die Hand auf die Schultern und befühlte seine Muskeln. „Bist ja ein richtig starker Mann geworden.“ Kasimir fand sich schnell wieder in die täglichen Abläufe hinein. Bis zum Frühjahr konnte er im Dorf bleiben. Mit Beginn der Bestellung der Felder im Frühjahr würde er zurück in das Kloster müssen.

Die Hausleute hatten sich Wege in den Wald getreten und so konnte in diesen Tagen ein wenig Holz geschlagen werden. Der Bergrücken hinter dem Wald oberhalb des Dorfes war durch den Wind sogar fast leergefegt vom Schnee. Hier und an geschützten Stellen unterhalb der Felsen hielt sich das Wild auf.

Kasimirs Vater ging einige Male auf die Jagd und er nahm den Sohn mit. Dieser konnte den Bogen gut führen und auf 30 Schritt war er in der Lage, einen Hasen zu erwischen. Der Vater hatte wenig Glück, denn die Rehe waren sehr scheu und hatten sich tief in den Wald hinein verzogen, hoch in die Berge, wo sie an den winddurchfegten Hängen noch an das harte Gras kamen, das Moos von den Felsen zupfen und an den aus dem Schnee ragenden jungen Trieben der Fichten knabbern konnten.

Der Weg dahin wäre jetzt im tiefen Schnee zu weit gewesen. Der Vater hatte es zusammen mit anderen Männern des Dorfes versucht, denn in dieser Jahreszeit war es üblich einige Tiere zu erlegen, um den eigenen Fleischvorrat zu ergänzen, aber auch weil Zeit da war für die Jagd. Wenn der Vater abwesend war, gesellte sich Kasimir zu den anderen Jungen des Dorfes, die sich außerhalb des Dorfes Schneehütten gebaut hatten. Kasimir wünschte sich, wieder mit ihnen Ritter und Räuber zu spielen, aber einerseits war er zu alt für Spiele, denn er war ja jetzt Student am Kloster und andererseits lag der Schnee zu hoch. Er ahnte, dass er nie wieder die Jungs anführen und für sie und für ihn den Herzog spielen würde.

Die Jungen spotteten sogar, er würde jetzt den Mönch spielen müssen. Dabei wusste keiner so gut wie er, wo der Hieb des Schwertes treffen musste, um den Gegner niederzustrecken, wie die Lanze zu führen ist, um einen Reiter aus dem Sattel zu heben. Jetzt wurde Simar als Herzog für das nächste Spiel bestimmt. Er würde im Frühjahr als Pferdeknecht in das Heer des Herzogs gehen. Da sollte er alle die Dinge kennen. Vor allem aber waren seine Schultern breiter und er war auch um einen Kopf größer als Kasimir. Der Sohn des einzigen Ritters des Dorfes fügte sich nicht in seine Rolle. Er verließ die Horde mit einem Vorwand.

Im Dorf gab es nicht viel zu tun im Winter. Da war Holz zu schlagen, solange die Sonne über dem Horizont stand und die Tiere waren zu versorgen. Einige Male ging Kasimir mit den anderen hinunter an den Bach, der nie zufror und in dem träge die Forellen unter den Steinen standen. Es war leicht, sie mit der Hand herauszufischen. Schwerer war es, nachher die Hände wieder trocken und warm zu bekommen und das Fußwerk, wenn es doch in den Bach gerutscht war. Auf dem schneebedeckten Boden war kaum daran zu denken ein wärmendes Feuer zu zünden.

Der Vater hatte Kasimir schon im letzten Winter gezeigt, wie er unter einer Tanne trotzdem Feuer machen konnte. Der Schnee war dort durch die Zweige abgehalten worden. Es war fast schneefrei und auf dem trockenen Boden konnte mit den unter anderen Tannen gesammelten dürren Zweigen das Feuer entzündet werden, ohne dass der schmelzende Schnee es sofort wieder löschte. So saßen die Jungen unter der Tanne, von der sie einige Zweige abgeschnitten hatten, und aßen den Fisch.

An einem Abend im Januar saß die Familie zusammen, wie sie jeden Abend zusammensaßen. Aber an diesem Abend war etwas anders. Der Vater, nahe am Feuer, hatte sich eine Heugabel genommen, deren Zinken abgebrochen waren. Er schnitzte und er band eine neue Zinke an den Schaft, so dass das Werkzeug in der nächsten Ernte wieder Verwendung finden konnte. Die Ernte würde so sicher kommen, wie der Frühling kommen würde und der Sommer und der Herbst.

Die Mutter hatte sich in die Dunkelheit zurückgezogen. Sie hatte die wollene Decke, die sie immer des Abends trug, dichter um den Körper gezogen und sagte kein Wort, obwohl das nicht ihre Art war. Kasimir war nahe an das Feuer gerückt. Er brauchte das Licht, denn er hatte einen neuen Löffel zu schnitzen. Der seine war aus Lindenholz und ihm am Tage zerbrochen, weil er ihn am Gürtel getragen hatte und er sich unachtsam darauf setzte.

Auch der Bruder war beschäftigt und die Schwester wickelte Wolle auf ein Hölzchen, sie würde es in den nächsten Tagen verarbeiten. Für gewöhnlich wurde über die kleinen und großen Ereignisse das Tages gesprochen und über die Dinge, die in den nächsten Tagen zu erledigen waren. Der Spott der Schwester war gefürchtet. Sie hielt sich auch beim Vater nicht zurück, wenn dieser sich einmal ungeschickt angestellt hatte, dann bekam er es am Abend in der Runde zu hören, wie jeder andere der im Schein des Feuers und der Fackeln saß.

Die Schwester war die Einzige, die über den Vater spotten durfte. Kasimir konnte sich gut an die schallende Ohrschelle erinnern, die er von der Mutter bekommen hatte, als er zum Besten gab, wie dem Vater der Zügel aus der Hand gelitten war und er das Pferd erst einfangen konnte, als sich die Riemen in einem Busch verhakten. Kasimir hatte die Geschichte nicht einmal zu Ende erzählen können.

An diesem Abend war es ungewöhnlich ruhig. Jeder tat seine Dinge für sich. Auch der Großvater schwieg. Der Großvater hatte seinen Platz immer ganz nahe am Feuer. Für gewöhnlich blieb er stumm. Manchmal aber, wenn die Rede auf Dinge kam, die ihn gerade beschäftigten, dann mischte er sich ein und oft folgte eine von seinen Geschichten. Die Geschichten waren lang und manchmal waren es Geschichten, die er in der einen Art oder in der anderen schon erzählt hatte.

Aber es waren immer andere Geschichten. Vielleicht hatte er der vorigen Erzählung etwas vergessen und sich jetzt daran erinnerte oder weil er sich in seinen Erinnerungen getäuscht hatte und es doch ganz anders war. Oder er hatte bei der letzten und vorletzten Erzählung einfach etwas weggelassen, was ihm an diesem Tag nicht so wichtig erschienen war.

Von der Welt vor der Haustür bekam der Großvater nicht mehr so viel mit. Kasimir war der Meinung, dass der Großvater den ganzen Winter über den Fuß noch nicht vor die Tür gesetzt hatte. Für die Feldarbeit war er nicht mehr zu gebrauchen. Die Glieder machten nicht mehr das, was sie sollten. Seine linke Hand war zerquetscht. Einmal war es ein Pferd, das ihm draufgetreten war, ein anderes Mal war es ein schwarzer Ritter, der ihm mit dem Schwert einen Hieb versetzte, den er aber vom Pferd gestoßen und in den Sand geworfen hatte.

Wenn Großvater meinte, die Zeit wäre für eine Geschichte reif, dann rückte er noch ein wenig näher an das Feuer, räusperte sich einige Male in immer kürzeren Abständen, und wenn er sich sicher war, dass er die Aufmerksamkeit einiger Mitglieder der Sippe hatte, dann begann er.

An diesem Tag war etwas anders. Der Großvater rückte nicht an das Feuer, aber er räusperte sich. Und schon nach dem zweiten Räuspern hatte sich die gespannte Stille im Raum noch verstärkt. "Es wird Krieg geben. Die Herolde waren im Dorf."

Dann erzähle er, weil alle anderen schwiegen, die Geschichte, wie er mit König Boleslav, dem Polenkönig, in den hohen Norden gezogen war, dort wo die Wälder genau so unwegsamen waren wie in ihren Bergen, aber wo es keine Berge gab, nur kleine Hügel und keine Stelle im Land war, an der man einen weiten Blick hatte.

Auch zeigte der Großvater die Wunde, die er mitgebracht hatte und die ihn fast umbrachte und er führte ihnen vor, dass er seitdem die linke Hand nicht mehr richtig bewegen konnte. Als ob nicht alle wüssten, dass er seitdem keinen Pflug mehr geführt hatte. Aber Großvater hatte als Dank vom Herzog das Lehen auf dieses Dorf bekommen. Und seitdem ging es allen besser. Sie mussten Großvater dafür danken, dass er für die Familie die Hand gegeben hatte. „Immer wenn die Herolde kommen, gibt es Krieg.“ So endete seine Erzählung. Danach war er wieder stumm, wie sie ihn kannten. Eine richtige Unterhaltung wie an anderen Tagen kam nicht mehr zustande.

Die Tage gingen dahin. Im Januar hatte es einige Tage mit hellem Sonnenschein gegeben. Der Schnee rutschte zusammen, war schwer und der Bach schwoll an. In der Mitte des Februars konnten die Dorfleute schon wieder quer durch den Wald ziehen. Die trockenen Zweige schoben sich durch den Schnee und das Holz konnte gesammelt werden. Auch die Straße, die eine Wegstunde entfernt am Dorf vorbeiführte, war wieder erreichbar.

Sie hatten es geahnt. Erst war es geflüstert worden, dann wurde es immer offensichtlicher. Es bewegte sich etwas im Land.

In normalen Jahren kamen in das kleine Dorf am Grenzwald nur selten die Leute des Herzogs. Sie zogen zweimal im Jahr durch, um den Zins einzutreiben. Sie holten die jährigen Schweine und die Mieten wurden aufgemacht, um ihnen Kohl und Rüben auf ihre Wagen zu laden, und auch einiges Korn nahmen sie mit.

In diesem Winter war es anders. Als der Schnee schmolz und die Wege passierbarer wurden, kamen immer wieder Bewaffnete. Einigen von ihnen nahmen sogar im Dorf für Tage und Nächte Unterkunft und wurden verköstigt. Kasimirs Vater nahm die Verteilung auf die Häuser vor und die Führer der kleinen Trupps kamen zu ihm, in das Haus des Schulzen. Dann konnte Kasimir ihre Waffen bewundern und die Rüstungen und Schilde.

Die Männer mit den Waffen sprachen nicht viel. Aber was sie sprachen und ihre bloße Anwesenheit reichte aus, um die Dorfbewohner vor den bevorstehenden Zeiten zu warnen, die Zerstörung bringen würden, vielleicht den Hunger und vielleicht den Tod.

Die Fremden kommen

Obwohl es ihnen verboten war, liefen die Jungen immer wieder den Weg bis zur Straße. Die Kunde von vorbeiziehenden Rittern hatte sich im Dorf verbreitet. Die Jungen versteckten sich am Waldrand und beobachtete die Straße in der Hoffnung, sie würden einen dieser vorbeiziehenden Ritter erblicken. Und tatsächlich hatten sie Glück. Ein Zug aus Reitern und Fußvolk bewegte sich auf der Straße nach Süden.

Sie hörten das Klirren der Waffen und das Poltern der Wagen, die hinter dem Haufen herzogen. An der Spitze ritt auf einem breiten Braunen ein eher kleiner Ritter, der ein buntes Hemd über der Rüstung trug. Die Rüstung jedenfalls war zu erkennen, ein Kettenhemd und blecherne Armschützer. Die Schlacht scheint kurz bevorzustehen, wenn die Reiter schon ihren vollständigen Schutz angelegt hatten.

Neben dem bunten Ritter ritt der Mann mit dem Banner. Schild, Hemd und Wimpel zeigten den schwarzen Vogel auf weißem und rotem Grund. Kasimir konnte nicht sagen, zu welchem Adligen dieser Haufen gehörte. Er war stolz darauf, alle Wappen der Umgebung zu kennen. Der Vater hatte sie ihm in den Sand gemalt und die Farben beschrieben. Der Großvater hatte einige der Wappen der sächsischen und polnischen Adelsfamilien ergänzt. Jedenfalls soweit der Großvater sich erinnern konnte. Kasimir war sich nicht sicher, aber der Ritter auf der Straße trug ein polnisches Wappen.

Die Jungen blieben im Wald, gedeckt durch Bäume und Büsche. Die Mutigsten schlichen näher an die Straße. Kasimir war einer der Ersten, die sich direkt hinter die, der Straße am nächsten stehenden, Bäume wagte. Er war es seinem Ruf schuldig. Schließlich wollte er der Anführer im Dorf sein und nicht als verweichlichter Mönch gelten. Sie saßen unter den tiefhängenden Zweigen der Fichten. Sie hörten die Laute, die denen ihrer Sprache so glichen, aber doch ganz anders waren. Von der Unterhaltung verstanden sie nicht viel und der Zug war auch zu schnell vorüber. Es mussten Polen sein oder Leute aus dem großen Gebirge, welches sich in Richtung der aufgehenden Sonne befand. Kasimir war noch nicht bis dahin gekommen, aber die Berge dort sollten in den Gipfeln kahl sein.

Sachsen und Franken hatte Kasimir noch nie vorher sprechen gehört, aber der Großvater kannte ein paar Worte, die er in seinen Erzählungen immer wieder mal an den passenden Stellen einflocht. Und diese Worte hörten sich so fremdländisch an, dass sich Kasimir sicher war, er würde die Franken und Sachsen an ihrer Sprache erkennen können.

Diese lebten jenseits des Bergwaldes in Richtung des Nordsterns und manchmal kamen sie die Straße entlang und jedermann war froh, wenn sie das Dorf, das versteckt im Walde abseits der Straße nach Praha, lag, nicht bemerkten.

Durch den Wald über die Berge kamen die fremden Reiter nie. Aber die Leute aus dem Dorf erzählten Geschichten, die sich in den Dörfern längs der Straße zugetragen haben sollen. Die Fremden kamen in die Häuser, sie nahmen die fetten Schweine mit, das Brot aus dem Ofen und manchmal nahmen sie ein Mädchen oder einen Jungen mit, und wenn sie auf Widerstand stießen, dann töteten sie auch.

Auch wurden Geschichten erzählt vom rasenden schwarzen Reiter, der über die Felder zog, einen breiten Feuerstreif im Wald hinterließ und alle Männer tötete, deren er habhaft werden konnte und alle Mädchen schwängern würde, so dass sie schwarze grauenerregende Kreaturen gebären würden und auch alle getötet werden mussten.

Das eigene Dorf war bisher von den schwarzen Reitern der Franken und der Sachsen und denen des Vogtes der Thüringer verschont geblieben. Obwohl die Alten berichteten, dass auch ihr Dorf einmal von schwarzen Reitern durchzogen worden war.

Als das Klirren und das Poltern der Wagen sich endgültig verzogen hatte und auch ein neuer Zug nicht mehr zu erwarten war, kehrten die Jungen in das Dorf zurück. Sie wollten schnell von ihren Beobachtungen berichten. Aber das Dorf war schon in Aufregung. Kasimirs Vater holte die Männer zusammen. Er gab seine Anweisungen, hieß zwei von ihnen Pferde holen und ging ins Haus, um seine Ausrüstung anzulegen.

Kasimir sah dem Vater zu. Der nahm zuerst das grobe Leinenhemd aus der Truhe, entfaltete es und warf es mit einer fast feierlichen Geste über. Die Mutter strich liebevoll die Falten zurecht. Dann die Hose aus grober Wolle, die der Vater über die Leinensachen zog. Sie würde ihn auf dem Pferd warmhalten.

Endlich nahm der Vater das Kettenhemd aus der Truhe. Kasimir durfte es halten. Es war kalt und es war so schwer, dass Kasimir fürchtete, es fallenzulassen. Die Ringe glitzerten in einem Sonnenstrahl, der durch eine Ritze in das Haus drang. Kasimir selbst hatte einige Male mit dem Vater daran putzen dürfen. Der Vater nahm es ihm aus der Hand und warf es mit einem Schwung über den Kopf. Kasimir bewunderte diesen Schwung, mit dem das schwere Kleidungsstück über den Kopf des Vaters stieg.

Jetzt nahm der Vater den breiten Gürtel, der von einer Schnalle verschlossen wurde, die so schön mit einem Hirschkopf verziert war. Einige Ornamente darauf waren sogar in Gold ausgeführt. Es war das wertvollste Stück, welches in ihrem Hause war, neben dem Schwert natürlich, einem Geschenk des Herzogs, und dem großen eisernen Essenkessel der Mutter.

Zum Schluss schlüpfte der Vater in den Lederriemen, an dem das Schwert über die Schulter hing. Er rückte ihn einige Male zurecht und dann zog er das wertvolle Schwert aus der Scheide, nur ein Stück, um den Gang zu prüfen und die Geschmeidigkeit, mit der er es aus seinem Behältnis ziehen konnte. Ein Blick prüfte, ob es vielleicht in der Zeit seit der letzten Benutzung Rost angesetzt hätte, aber es war mit Hirschtalg eingeschmiert und das hielt die Feuchtigkeit zurück und das Leder drum herum geschmeidig.

Kasimirs Vater legt sich noch den Pelz über die Schulter. Er strich dem Jungen über den Kopf, dann wandte er sich dem Ausgang zu. Kasimirs Mutter wich vor ihm zurück, denn er hatte inzwischen seinen grimmigen Blick aufgesetzt. Einen Augenblick hielt er inne, legte die Hand auf die Schulter seiner Frau, dann aber schritt Miritsch von Pristi entschlossen hinaus ins Freie.

Die Männer, die er bestimmt hatte, waren inzwischen versammelt. Sie schauten hoch zu ihrem Führer, der in voller Ausrüstung vor seinem Haus stand. Miritsch schritt auf sie zu, er fasste an die Lanzen, klopfte auf die Schilde und legte den Männern die Hand auf die Schulter. Es war ein kleiner Haufen. Nur acht Mann. Sie hatten keine Kettenhemden, wie ihr Ritter, sie hatten dicke Leinensachen, die mit Pferdehaaren gepolstert waren, sie hatten Schilde aus Holz, die bemalt, aber nicht mit Leder überspannt waren, sie hatten Lanzen und Streitkeulen. Außer Miritsch trug nur noch einer noch ein Schwert. Es war Linthi, dem Miritsch selbst das Schwert hatte schmieden lassen, weil der ihn einst beim Dienst für den Herzog vertreten sollte.

Als Miritsch allen seinen Leuten in die Augen geschaut hatte, gab er den Befehl zum Aufbruch. Er schwang sich aufs Pferd und die um ihn herumstanden, nicht nur Kasimir, sahen den tapferen Recken hoch zu Ross, fast wie der heilige Wenzel oder der streitbare Jaromir, wie er als schwarzer Wind über die Berge und Wälder streicht, wie im Märchen, dass die Großmutter am heimatlichen Winterfeuer immer wieder erzählte.

Die Leute aus dem Dorf, die sich versammelt hatten, schauten den ihren nach, die jetzt aufbrachen, obwohl die Sonne sich gerade anschickte, in die Spitzen der am gegenüberliegenden Hang stehenden Fichten einzutauchen. Danach war es im Haus still, wie Kasimir es noch nie vorher erlebt hatte. Alle Weile hielten die Menschen inne, horchten nach draußen in die Dunkelheit, ob sie nicht Hufe hören würden oder den Ruf des Spähers, der vom Dorf ausgeschickt wurde und vor nahender Gefahr warnen sollte oder die Rückkehr des Lehnschulzen mit seinen Mannen melden.

Am anderen Tag in der Frühe war der Vater wieder da. Aber er brachte nur Linthi, Kasimirs Onkel mit. Beide sahen übermüdet aus. Alle Dorfleute wurden zusammengeholt. Kasimir musste, wie andere auch, von Haus zu Haus gehen und an die Türpfosten schlagen, um die Leute aus dem Schlaf zu trommeln. Bald standen alle auf dem Dorfplatz versammelt. Es war kalt, der Nebel schlich träge über die Schneedecke. Miritsch stieg auf den Balken unter der mächtigen Linde, die sich mitten auf dem Dorfplatz erhob und die jetzt ihre Äste mit den kahlen Zweigen gespenstisch in den Nebel streckte.