Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Franz Wienand - E-Book

Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen E-Book

Franz Wienand

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Beschreibung

In der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) werden innere, insbesondere auch unbewusste Konflikte, Bedürfnisse, Motive und Ressourcen, die sich in dialogisch begleiteten Imaginationen symbolisch in Szene setzen, therapeutisch bearbeitet. Die Autoren erläutern sowohl theoretisch begründet als auch anhand anschaulicher Fallberichte das therapeutische Vorgehen der KIP bei spezifischen Störungen und Problematiken junger Menschen unterschiedlichen Alters. Zentrale Themen sind Entwicklungsförderung, Ressourcenaktivierung, Konfliktbearbeitung und Entfaltung der Kreativität.

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Die Autoren

Dr. med. Dipl.-Psych. Franz Wienand hat ein Studium der Psychologie und der Medizin in Würzburg absolviert. Nach der Facharztausbildung zum Kinder- und Jugendpsychiater bei Prof. Remschmidt an der Universität Marburg leitete Franz Wienand die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (KJPP) an der Landesklinik Calw-Hirsau. Seit 1992 ist er in eigener Praxis in Böblingen niedergelassen.

Wienand ist Psychoanalytiker sowie Dozent und Supervisor an diversen Instituten. Er publiziert über KIP mit Kindern und Jugendlichen, projektive Diagnostik und Qualitätsaspekte in der KJPP.

Dipl.-Psych. Waltraut Bauer-Neustädter hat nach einem Lehramtsstudium (Anglistik, Sport und Sportwissenschaften) das Studium der Psychologie in Heidelberg absolviert. Nach intensiven Lehrjahren in der stationären und teilstationären Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet sie seit 1993 in eigener Praxis sowie als Dozentin und Supervisorin.

Weiterbildung zur Psychodramatherapeutin, Gruppenpsychotherapeutin und KIP-Therapeutin. Seit 2001 Mitarbeit beim Auf- und Ausbau des Saarländischen Instituts für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (SITP).

Franz Wienand/Waltraut Bauer-Neustädter

Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Grundlagen und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Widmung

Allen Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die sich immer wieder der Herausforderung stellen, sich Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden samt ihren Familien anzunehmen und ihnen mit Kompetenz, Kreativität und Phantasie als gute und entwicklungsfördernde Begleiter zur Verfügung zu stehen!

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034230-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-034231-6

epub:   ISBN 978-3-17-034232-3

 

Inhalt

 

 

 

Vorwort

Teil I  Einführung in die Katathym Imaginative Psychotherapie

1  Von den experimentellen Anfängen zur Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP)

2  Wie geht und wirkt die KIP?

2.1  Wie geht die KIP?

2.2  Wie wirkt die KIP?

2.3  Wirksamkeitsstudien KIP

3  Imagination, Kreativität und Unbewusstes

3.1  Imagination

3.2  Unbewusstes

3.3  Kreativität

3.4  Symbol und Symbolisierung

3.5  Symbolbildung und Emotionen

3.6  Neurobiologische Grundlagen der KIP

Teil II  Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern (FW)

4  Entwicklungspsychologische Voraussetzungen im Kindesalter

4.1  Die Entwicklung der Symbolfunktion nach Piaget

4.2  Die Mentalisierungstheorie

4.3  Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erik H. Erikson

4.4  Zur Entwicklung von Geschlechtsunterschieden

4.5  Risikofaktoren und protektive Bedingungen der Entwicklung

4.6  Voraussetzungen für die Behandlung mit KIP im Kindesalter

5  Grundlagen der KIP im Kindesalter

5.1  Indikation und Kontraindikation für KIP mit Kindern

5.2  Ziele und Effekte der KIP im Kindesalter

5.3  Die therapeutische Grundhaltung

5.4  Übertragung und Gegenübertragung

5.5  Therapeutische Interventionen

5.6  Die Bedeutung der Motive

6  Behandlungstechnik im Kindesalter

6.1  Vorbereitung und Einleitung einer KIP mit Kindern:

6.2  Therapieplanung und Behandlungsstrategie

6.3  Motivwahl und Interventionen

6.4  Durchführung/Setting der KIP mit Kindern

7  Einbeziehung der Bezugspersonen in die KIP mit Kindern

7.1  Therapiebegleitende Elterngespräche in der KIP

7.2  Imaginative Arbeit an den Bindungsrepräsentationen der Eltern

7.3  Die gemeinsame Imagination von Mutter/Vater und Kind

7.4  Familienimaginationen

8  Ausgewählte Fallbeispiele aus der KIP mit Kindern

8.1  Angststörung

8.2  Krisenintervention

8.3  Anpassungsreaktion nach Trennung der Eltern

8.4  Geschwisterrivalität

8.5  Trauer und Depression nach Zwillingsverlust

Teil III   Katathym Imaginative Psychotherapie mit Jugendlichen und Heranwachsenden (WBN)

9  Entwicklungspsychologische Besonderheiten von Pubertät und Adoleszenz: Entwicklungsaufgaben, Belastungen, Konflikte

10  KIP im Jugendalter

10.1  Therapeutische Herausforderungen

10.2  Voraussetzungen, Indikationen und Kontraindikationen

10.3  Vorbereitung und Hinführung zur KIP

10.4  Grundhaltung

10.5  Übertragung und Gegenübertragung

10.6  Motive und Motivwahl

10.7  Interventionsstrategien und -techniken

10.8  Begleitung im Verlauf

10.9  Vorbereitung des Abschieds

11  Einige Techniken für die KIP im Jugendalter

11.1  Assoziatives Vorgehen

11.2  Fortsetzungsmotive

11.3  Rollen- und Perspektivübernahme

11.4  Induzierter Dialog

11.5  Die Arbeit mit dem gemalten Bild

12  Störungsbezogene Aspekte der Behandlung mit der KIP

12.1  Angst

12.2  Depression

12.3  Zwang

12.4  Essstörungen

12.5  Spätadoleszente Entwicklungsprobleme: Narzissmus – Identität – Autonomie

Teil IV   Und der Therapeut? – Imagination in Selbsterfahrung und Supervision

13  Lernen durch Selbsterfahrung

13.1  Spezielle Selbsterfahrung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten

13.2  Die Arbeit mit der »Abgestuften Altersregression«

14  Supervision in und mit der KIP

14.1  Die dialogische Begleitung und ihre Folgen

14.2  Anwendungen katathymer Imaginationen in der Supervision

15  Fort- und Weiterbildung in KIP

15.1  Kompakt-Curriculum KIP

15.2  Aufbaukurs KIP-KJ

Literatur

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Die Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP) ist eine im Rahmen der Psychotherapie-Richtlinien anerkannte spezielle Behandlungsmethode der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, die gefühlsgetragene (katathyme) Imaginationen systematisch als therapeutische Parameter einsetzt. Die Entwicklung und Begründung der zunächst Katathymes Bilderleben (KB) genannten Methode geht zurück auf Hanscarl Leuner, der ab den 1950er Jahren die Wirkung therapeutisch induzierter Tagträume in einem experimentellen Setting untersuchte. Der dialogisch begleitete Tagtraum ist das zentrale Element, in dem sich unbewusste Konflikte, Bedürfnisse, Motive, Ressourcen und Übertragungsaspekte in symbolischer Form zeigen und therapeutisch beeinflusst werden können. Das Durcharbeiten findet in der KIP in der Abfolge von Vorgespräch, Tagtraum, Nachgespräch, medialer Gestaltung (zumeist in Form von Malen) und Bildbesprechung statt. Auf ihrer psychodynamischen Grundlage ist sie zutiefst integrativ und ermöglicht die Einbettung und partielle Integration von Elementen anderer Ansätze (u. a. aus der Systemischen Therapie, der Hypnotherapie, dem Psychodrama, der Verhaltenstherapie oder auch aus körpertherapeutischen Methoden). Die KIP hat einen immanent kreativen und entwicklungsorientierten Charakter und eignet sich für junge Menschen ab dem Grundschulalter.

Auch wenn die jungen Patienten in der Therapie ihren geschützten Entwicklungsraum haben und über die katathymen Imaginationen ihren eigenen Spielraum erweitern und ausdifferenzieren und Konflikte bearbeiten können, so sind diese Behandlungen nie losgelöst vom Kontext zu sehen. Dies sind zum einen die konkreten familiären Lebensbedingungen und Beziehungsstrukturen, zum anderen die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen und Entwicklungen.

Das Buch wurde aus den unterschiedlichen und sich ergänzenden Perspektiven einer weiblichen Therapeutin (Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin) und eines männlichen Therapeuten (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychoanalytiker) und vor dem je individuellen Hintergrund unserer Kindheit und Jugend geschrieben. Es trägt eine sehr persönliche Handschrift und spiegelt unsere Erfahrungen, die wir in den Jahrzehnten unserer Tätigkeit in der Praxis, der Weiterbildung und des Austauschs mit Kolleginnen und Kollegen sammeln konnten.

In weiten Teilen des Buches verwenden wir wegen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum. In Teil II (Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern) und Teil III (Katathym Imaginative Psychotherapie mit Jugendlichen und Heranwachsenden) weichen wir teilweise von diesem Prinzip ab: Bei der Darstellung von Fallvignetten mit der Wiedergabe von Dialogen und der Einschätzung der Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik berichten wir von unseren persönlichen Erfahrungen, verwenden die Ich-Form und meinen mit »dem Therapeuten« Franz Wienand (FW) und »der Therapeutin« Waltraut Bauer-Neustädter (WBN). Die jeweilige Autorenschaft ist durch die entsprechenden Initialen zu Beginn der jeweiligen Buchteile gekennzeichnet.

Wir danken den Herausgebern, Arne Burchartz, Hans Hopf und Christiane Lutz, und dem Kohlhammer Verlag für die Möglichkeit, die KIP vorstellen zu können. Unser besonderer Dank gebührt Günther Horn, der die KIP mit Kindern und Jugendlichen auf kreative Weise entwickelt, international verbreitet und gelehrt hat, den Weiterbildungskandidatinnen und -kandidaten in unseren Seminaren sowie all unseren Dozentenkolleginnen und -kollegen, von denen wir lernen durften und weiter lernen. Unsere größten Lehrmeister sind die jungen Patientinnen und Patienten mitsamt ihren Eltern, deren Entwicklung wir eine Wegstrecke weit begleiten durften. Jeder einzelne von ihnen hat dazu beigetragen, unseren Erfahrungsschatz zu erweitern und zu bereichern und hat uns damit ermöglicht, dieses Buch zu schreiben. Herzlichen Dank dafür! Last but not least bedanken wir uns insbesondere bei denjenigen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien sowie bei den jungen Erwachsenen, die uns erlaubt haben, in anonymisierter Form Ausschnitte aus ihren Behandlungen einschließlich der gemalten Bilder wiederzugeben. Gerade diese authentischen Dokumente sind es, die die Methode und unser therapeutisches Handeln anschaulich und lebendig machen. Vielleicht lassen auch Sie sich von der Methode und ihren vielfältigen und kreativen Möglichkeiten begeistern.

Im letzten Teil des Buches erfahren Sie, wie katathyme Imaginationen in der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeuten, speziell Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten eingesetzt werden. Die Kombination von Wissensvermittlung, Üben und Selbsterfahrung schult den Therapeuten in einem fortlaufenden Prozess. Sich flexibel in unterschiedliche Lebens- und Entwicklungsalter und dem damit verbundenen Erleben einfühlen zu können und das therapeutische Handeln darauf abzustimmen, ist für den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten unerlässlich und eine immer wieder spannende Erfahrung. Selbsterfahrung und Supervision unter Einbeziehung katathym imaginativer Techniken sind erlebnisintensiv, machen Freude, erweitern das methodenspezifische Handlungsrepertoire und stärken die Identität als KIP-Therapeut.

Calw-Saarbrücken, im November 2020

Franz Wienand und Waltraut Bauer-Neustädter

Teil I    Einführung in die Katathym Imaginative Psychotherapie

1          Von den experimentellen Anfängen zur Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP)

 

 

 

Hanscarl Leuner, der 2019 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, veröffentlichte in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts als junger Arzt erste Arbeiten zum Experimentellen Katathymen Bilderleben (Leuner, 1954; 1955) und begründete damit die heutige Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP). Im Kommentar zu den Psychotherapie-Richtlinien (Faber & Haarstrick, 2018) wird die KIP unter ihrer früheren Bezeichnung KB (Katathymes Bilderleben nach Leuner) als spezielle Methode der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie aufgeführt.

Schon früh galt Leuners besonderes Interesse der »Macht der Symbole« sowie der Symbolinterpretation. Er selbst hatte sich während seiner Weiterbildung einer Jung’schen Analyse unterzogen und so die Methode der Aktiven Imagination kennengelernt. Fasziniert von der Bildproduktion und dem Bilderleben wollte er als Arzt und Psychotherapeut das Geschehen bei seinen Patienten gerne unmittelbar mitverfolgen. Er wollte bei der Entstehung des Bilderlebens dabei sein und entwickelte so das Modell der begleiteten Imagination und des dialogischen Prinzips. Als Wissenschaftler lag es ihm am Herzen nachzuweisen, dass die Methode zu wiederholbaren Ergebnissen führt: Ein standardisierter experimenteller Traum diente dazu, das katathyme Panorama seiner Probanden zu beobachten und zu erforschen. So wurde ein methodisch-didaktisches System zur Vermittlung erarbeitet, dessen Grundzüge noch heute Gültigkeit haben.

Außerdem sollten die in der Psychotherapie verwendeten hypothetischen Symbolinterpretationen über empirische Studien genauer erfasst und damit wissenschaftlich untersucht werden. Leuner griff dabei auf Erfahrungen verschiedener Autoren zurück (Bildstreifendenken bei Kretschmer, 1922; kathartische Bilder bei Tuczek, 1928; Bilder in Tiefenentspannung bei Frederking,1948), die alle feststellten, »daß im abgeblendeten Bewusstsein des Hypnoids (oder des autogenen Trainings) optische Phänomene von Wahrnehmungscharakter auftreten, die wie die Traumbilder katathymen Ausdruckscharakter tragen« (Leuner, 1954, S. 201). »Katathym«,der Seele gemäß, weist darauf hin, dass diese Bilder oder Bildproduktionen Ausdruck eines innerseelischen Geschehens sind und dass sie individuelle Aspekte des Erlebens und/oder der inneren Verfassung abbilden. »Die sich […] im leichten Hypnoid konstellierenden Bilder spiegeln in ihrem Ausdrucksgehalt die jeweilige individuelle affektive Konstellation gerade in jenem Bereich des Unbewußten wider, das durch die Bildprovokation in relativ spezifischer Weise angeregt wurde.« (Leuner, 1954, S. 201). »Seele, d. h. Emotionalität« so die Kurzformel (Leuner, 1980).

Bei der Untersuchung des in wiederholten Sitzungen experimentell erzeugten Bildmaterials kristallisierten sich von Anfang an zwei Typen/Kategorien von Bildern heraus: Diejenigen, die sich leicht entfalteten und sich spontan oder durch suggestiven Einfluss in der dialogischen Begleitung leicht veränderten und weiterentwickelten und diejenigen, die sich als starr und festgefahren erwiesen und als fixierteBilder bezeichnet wurden. Für Leuner waren unter diagnostischen Gesichtspunkten insbesondere letztere von Interesse, da er sie als Ausdruck »besonders fest verhafteter Affektkonstellationen – der individuellen Komplexe« (Leuner, 1954, S. 202) verstand.

Der Entwicklung des Experimentellen katathymen Bilderlebens (EKB) als klinischem Verfahren lag folgendes Konstrukt zugrunde:

•  Wenn nun mit Hilfe der Bildprovokation affektive Bereiche der Persönlichkeit zur Symboldarstellung veranlasst werden konnten, dann war auch zu erwarten, dass bei typischen Motivvorstellungen immer wieder die gleichen affektiven Sphären angesprochen werden. So erweist sich die Wiese z. B. als symbolischer Ausdruck der eigenen Gestimmtheit, aber auch des Bodens, auf dem man steht. Der Bach, das fließende Wasser, wird verstanden als symbolischer Ausdruck der Entwicklungsdynamik und des Lebensflusses.

•  In einem weiteren Schritt wurde davon ausgegangen, dass diese wiederholbaren Symboldarstellungen durch psychische Einwirkung, insbesondere in Folge therapeutischer Interventionen, veränderbar sind. Die Analyse eines Symbols, d. h. dessen Dechiffrierung, stellt einen folgerichtigen therapeutischen Eingriff dar, der zur Veränderung bzw. Wandlung des Symbols führt.

In einer ersten Auswertung seiner Ergebnisse konstatiert Leuner (1955, S. 246), dass »die Längsschnittbeobachtung der Psychotherapie im Bilderleben […] bei richtigem Vorgehen einen prozeßhaften Verlauf erkennen« lässt, in dem den auftauchenden Symbolen eine replizierbare, tiefenpsychologisch verstehbare Bedeutung zugeschrieben werden kann.

Nach Leuners 20 Jahre währender Entwicklungsarbeit wurde aus der klinisch-experimentellen Arbeit mit Imaginationen das damals noch »Katathymes Bilderleben« oder Symboldrama genannte Verfahren entwickelt, welches sich in der Idee, symbolische Inhalte der Imaginationen als Ausdruck individueller Problematiken zu verstehen, der Psychoanalyse verpflichtet fühlt. Antriebsgeschehen, Abwehrvorgänge, neurotische Fehlhaltungen, Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehen werden beachtet. Leuner selbst ordnete das Verfahren zwischen pragmatisch-hypnoiden Methoden und der Psychoanalyse ein, da es einerseits primärprozesshafte Prozesse aktiviere, es andererseits aber unbewusste Prozesse nicht immer bewusst aufdeckend benutze. Hinzu kommt die Möglichkeit, in der KIP gezielt auf Konflikte zu fokussieren. Hier spielen u. a. die »fixierten Bilder«, die sich als starre, relativ unbeeinflussbare Stereotype zeigen und als Äquivalent der neurotischen Abwehr- und Charakterhaltungen verstanden werden, eine wichtige Rolle. Für den therapeutischen Prozess und den Nachweis einer (Aus-)Wirkung entscheidend sind die Wandlungsphänomene. Dies kann durch wiederholte Übung, die unmittelbare Interpretation und Deutung einer Szene oder den Vollzug von Leistungen (Wirksamkeitserfahrung), z. B. den Aufstieg auf einen Berg, die Überquerung eines Flusses usw. passieren: Details des zuvor stereotypen Bildes verändern sich. Wandlungsphänomene treten aber auch als »synchrone Wandlung« im Verlauf des therapeutischen Prozesses auf. Bilder, Landschaften verändern sich, ohne dass sie als solche gezielt angesprochen worden wären. Letztlich wurde auch die »Operation am Symbol« schon früh als wichtiges therapeutisches Instrument erkannt. Aus dieser Arbeit entwickelten sich auch die diagnostischen und therapeutischen Instrumente. Dazu gehörten zunächst zehn Standardmotive (später erweitert auf zwölf Motive), die als wichtige Kristallisationspunkte typischer, konfliktbesetzter Bereiche dienen. Im technischen Bereich unterschied Leuner zudem drei übergeordnete Prinzipien – das übende Vorgehen, das assoziative Vorgehen und das regieführende Symboldrama – und entwickelte eine ganze Reihe von Interventionstechniken. Es zeichnete sich inzwischen ab, dass differentielle Indikationen in Abhängigkeit von der Problematik für das Vorgehen notwendig sind. So erwies sich z. B. der nicht interpretierende Ansatz bei chronisch verfestigten Problematiken als nicht ausreichend, die Notwendigkeit des Durcharbeitens musste anerkannt werden.

Inzwischen ist die KIP eine ausgereifte psychodynamische Therapiemethode, die sich unter dem Einfluss aktueller Strömungen und Erkenntnisse immer weiterentwickelt (Kottje-Birnbacher, 2010; Biel, 2018). Eine umfassende Diagnostik mit der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (Arbeitskreis OPD-2, 2014) ermöglicht die Unterscheidung in konfliktbedingte und strukturbezogene Störungen (Rudolf, 2013). Entsprechend der diagnostischen Trias von Konflikt, Struktur und Trauma (Ullmann et al., 2017) und den damit verbundenen Krankheits- und Störungsbildern haben sich unterschiedliche Techniken für die katathym imaginative Arbeit mit den jeweiligen Patienten herausgebildet. In zahlreichen Anwendungsfeldern hat sich die KIP als erfolgreiche Behandlungsmethode erwiesen, wie dies u. a. die ausführlichen Übersichten im Handbuch von Ullmann und Wilke (2012) belegen.

Der erste internationale wissenschaftliche Kongress fand 1978 in Göttingen statt, 2018 der inzwischen 14. Internationale Kongress in Köln. Schon früh ahnte Leuner, dass dieser internationale Austausch sich als »ein glückliches Stimulans für die Bearbeitung und Diskussion neuer Ergebnisse« (Leuner & Lang, 1982, S. 7) erweisen sollte.

Ebenso wichtig war und ist es, die Wirksamkeit der KIP zu untersuchen. Einzelfallstudien der KIP als Kurzzeittherapie waren richtungsweisend (Kulessa & Jung, 1980; Wächter & Pudel, 1980; Wächter, 1982) und bewirkten spätestens seit der Jahrtausendwende eine Fortführung der notwendigen Forschung (Salvisberg, Stigler & Maxeiner, 2000). Stigler und Pokorny (2000; 2012) entwickelten detaillierte Forschungsansätze zur Untersuchung der Wirkungsweise der KIP. Zentral war dabei die Frage, was macht KIP und was ist daran spezifisch? In bisher drei naturalistischen Studien wurde die Wirksamkeit der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) nachgewiesen (Kap. 2.3).

Im Rahmen dieses Buches über die Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen ist es besonders bedeutsam, dass Leuner selbst in unterschiedlichen Bereichen auch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat und diese Erfahrungen einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung seiner Methode hatten. Von den Kindern habe er viel für die Psychiatrie der Erwachsenen gelernt (AGKB, 2019, S. 11). Ein erstes Buch über das Katathyme Bilderleben mit Kindern und Jugendlichen wurde 1978 veröffentlicht (Leuner, Horn & Klessmann, 1997; 4., aktual. Aufl.). Zentral für die Entwicklung der Katathym Imaginativen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen ist sicherlich Günther Horn, dessen umfassende Erfahrungen in ein weiteres Buch zur KIP mit Kindern und Jugendlichen einflossen (Horn, Sannwald & Wienand, 2006).

Eine systematische Untersuchung zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit Katathym Imaginativer Psychotherapie (KIP) bei Jugendlichen wurde erstmals in Österreich durchgeführt (Fiala-Baumann & Bänninger-Huber, 2016; 2018). Dabei wurde u. a. ein spezifisches Motiv (Blume) zu verschiedenen Messzeitpunkten vorgegeben und inhaltsanalytisch untersucht. Ebenfalls erfasst wurden die Beziehungen zu den Müttern und Vätern, sowie deren Sicht auf die Problematik und die Beziehung. Verbesserungen konnten sowohl im Hinblick auf die Symptombelastung als auch bei den Beziehungsgestaltungen nachgewiesen werden.

Zusammenfassung

Dargestellt wird die Entwicklung der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) seit ihren Anfängen in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ausgehend von klinisch-experimentellen Arbeiten mit katathymen Imaginationen entwickelte Hanscarl Leuner mit dem Katathymen Bilderleben eine spezielle Methode der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Neben den diagnostischen und therapeutischen Instrumenten wurde auch ein methodisch-didaktisches System zur Vermittlung erarbeitet, dessen Grundzüge noch heute Gültigkeit haben.

Inzwischen ist die KIP eine ausgereifte psychodynamische Therapiemethode, die sich unter dem Einfluss aktueller Strömungen und Erkenntnisse immer weiterentwickelt. Ihre Wirksamkeit wurde wiederholt nachgewiesen. Leuners Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hatten einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Methode.

Literatur zur vertiefenden Lektüre

Leuner, H. (1980). Grundlinien des Katathymen Bilderlebens (KB) aus neuerer Sicht. In H. Leuner (Hrsg.), Katathymes Bilderleben. Ergebnisse in Theorie und Praxis (S. 10–55). Bern: Hans Huber.

Leuner, H., Horn, G. & Klessmann, E. (1997). Katathymes Bilderleben mit Kindern und Jugendlichen (4., aktual. Aufl.). München: Ernst Reinhardt.

Weiterführende Fragen

•  Wie genau wirkt die KIP, unabhängig von den allgemeinen Wirkfaktoren psychodynamisch psychotherapeutischer Interventionen?

•  Welcher Zusammenhang besteht zur therapeutischen Beziehung?

2          Wie geht und wirkt die KIP?

 

 

 

»Wörter sind der Pinsel, mit dem man Bilder in den Kopf eines Anderen malt«

Daniel Stern (1998)

2.1       Wie geht die KIP?

Die KIP nutzt den systematischen Einsatz von katathymen Imaginationen im therapeutischen Prozess. Imaginationen wechseln sich mit Gesprächssequenzen ab, die dem Bearbeiten und Verstehen der symbolischen Darstellungen dienen (Kottje-Birnbacher, 2010).

Zum Einstieg und zum ersten Kennenlernen der Methode schlägt der Therapeut dem Patienten eine Vorstellungsübung, einen Tagtraum oder auch ein Phantasiespiel vor, welches mit einer Entspannungsintervention eingeleitet wird. Bei Kindern und Jugendlichen richten sich der Sprachgebrauch und die seitens des Therapeuten eingeführten Bilder nach dem jeweiligen Entwicklungsstand und dem Verständnis, worauf in den nachfolgenden Kapiteln noch spezifisch eingegangen wird. In der Regel bittet man den Patienten, die Augen zu schließen, in sich hineinzuhorchen, sich auf den Atem zu konzentrieren und sich zu entspannen. Art und Umfang der Entspannungseinleitung können je nach persönlichem Stil des Therapeuten und in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen Situation variieren. Der Therapeut bittet den Patienten dann sich z. B. (irgend)eine Blume (oder einen Baum) vorzustellen, diese zu betrachten und zu beschreiben. Zur Beruhigung und Entlastung folgt der Hinweis, dass auch jeder andere Inhalt recht ist.

Der Therapeut nimmt alles, was berichtet wird, empathisch mitschwingend auf, kommentiert dies wohlwollend und unterstützend, während er versucht, sich eine Vorstellung von der Imagination des Patienten zu machen. Mit Fragen und Anregungen unterstützt der Therapeut die weitere Ausdifferenzierung der vorgestellten Szene, wodurch die Wahrnehmung nochmals fokussiert wird und sich die anfangs leichte Entspannung weiter vertieft. Am Ende der Vorstellungsübung leitet der Therapeut ein aktives Zurücknehmen der Entspannung an. Oftmals wird der Patient die Imaginationsübung in entspanntem Zustand und mit einem Gefühl der Zufriedenheit, vielleicht auch der Verwunderung und des Berührtseins beenden. Wenn ein Patient nicht so gut »ins Bild hineinkommt« oder sich keine bildhafte Vorstellung entwickelt, der innere Bildschirm sozusagen schwarz bleibt, müssen die Voraussetzungen nochmal überprüft werden. In der Nachschwingphase geht es um das aktuelle Gefühl und das, was dem Patienten spontan zu dem Imaginierten einfällt. Der Therapeut wird seine eigenen Ideen zunächst zurückhalten.

Während man Kinder und teilweise auch Jugendliche im Anschluss an die Imagination bittet, zu der imaginierten Szene direkt ein Bild zu malen oder zu zeichnen, lässt man dies ältere Jugendliche oder erwachsene Patienten in der Regel zu Hause tun. Alternativ kann der Tagtrauminhalt aber auch in einem Text verarbeitet werden. Das gemalte Bild wird gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen betrachtet und in seinen Einzelheiten gewürdigt. Je jünger die Kinder sind, desto mehr bleibt die Bildbesprechung auf der symbolischen Ebene. Bei Jugendlichen ist es eher möglich, gemeinsam herauszuarbeiten und zu verstehen, welche Verbindungen zwischen dem in der Imagination Erlebten und dem Patienten bestehen, was es über ihn selbst, seine aktuelle Befindlichkeit, seine Konflikte, seine Wünsche, seine Ängste … aussagt. Die Bildbesprechung, der sog. Bilderdialog (Ullmann et al., 2017; Ullmann, 2017) kann von unterschiedlicher Dauer und Intensität sein und wird im Idealfall zu einer Motivvorgabe für einen späteren, weiteren Tagtraum führen. Die gemalten Bilder werden vom Therapeuten aufbewahrt, sodass jederzeit im Verlauf des therapeutischen Prozesses nochmals darauf zugegriffen werden kann.

»Was Tagträumer und Therapeut da als Szenerie oder Drama vor Augen haben, hat vielschichtige Qualitäten: bildhafte, affektive, sinnliche, körperbezogene und nicht zuletzt symbolische« (Ullmann, 2017, S. 30). Das Tagtraumgeschehen ist immer eine gemeinsame Produktion, die davon abhängt, wie der Therapeut interveniert und wie diese Interventionen vom Patienten aufgenommen werden. Der Therapeut muss also präsent sein, spielerisch mitwirken, gleichzeitig in seiner professionellen Rolle bleiben. Im optimalen Fall fühlt der Patient sich gut begleitet und unterstützt, gefordert, aber nicht überfordert. Der Therapeut hat dann die Qualitäten eines guten Begleiters.

Die Motivvorgabe ist ein wichtiges methodisches Instrument des Therapeuten. Während es sich empfiehlt, zu Behandlungsbeginn zunächst mit den sog. Standardmotiven der Grundstufe (Wiese, Bach, Berg, Haus und Waldrand) zu arbeiten, ist im weiteren Verlauf die Motivvorgabe wesentlich von der klinischen Situation, den aktuell im Vordergrund stehenden Themen und der Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik geprägt. Gleichzeitig orientieren sich die Motivvorgaben an den symbolischen Qualitäten, die sie beinhalten. Während einige Motive von ihrem Bedeutungsgehalt betrachtet eher eng angelegt sind, bieten andere eine sehr offene und weite Projektionsfläche. Geben wir z. B. als erstes Motiv nach dem sog. Initialen Tagtraum (Ullmann, 2012c) eine Wiese vor, dann können sich in der vorgestellten Szenerie die aktuelle Gestimmtheit, der Boden, auf dem jemand steht, sein generelles Lebensgefühl oder vielleicht sogar erste Konfliktbereiche abbilden. Jede imaginierte Wiese ist anders und gestattet einen ersten Einblick in die Innenwelt des Patienten. Während die eine grenzenlos zu sein scheint, ist eine andere vielleicht von Zäunen umgeben. Neben dem kurz und exakt gemähten Rasen gibt es üppige Blumenwiesen mit vielen Insekten und Kleintieren, einem Bach und vielleicht noch einem schattenspendenden Baum. Geben wir andererseits das Motiv Berg vor, werden sich in irgendeiner Form die Leistungsthematik, der Leistungsanspruch, das Über-Ich sowie oder ein mit dem Vater assoziiertes Thema zeigen. Unzählige überhohe, extrem spitze und kaum oder gar nicht zu bewältigende Bergimaginationen bei Menschen mit einem hohen Leistungsanspruch zeugen davon. Unserer Erfahrung nach finden sich diese Bilder gehäuft bei Spätadoleszenten und jungen Erwachsenen, denen die Anforderungen des Erwachsenenlebens zu hoch und nicht bewältigbar erscheinen.

Für die drei Störungsmuster innerhalb der psychodynamischen Psychotherapie – konfliktbedingte Störungen, ich-strukturelle Störungen und traumatisch bedingte Störungen – gibt es unterschiedliche Behandlungsstrategien mit der KIP:

•  Bei konfliktbedingten Störungen arbeiten wir mit der auf Einsicht ausgerichteten expliziten Technik der KIP.

•  Bei ich-strukturellen Störungen geht es über die implizite Technik der KIP darum, Nachreifung zu ermöglichen und wohltuende Erfahrungen zu sammeln.

•  Bei traumatisch bedingten Störungen zielt eine gestuft aktive Technik darauf ab, zunächst mit Schutz und Sicherheit vermittelnden und gewährleistenden Techniken, über die Konfrontation mit den traumatischen Inhalten eine Integration anzustreben. (Ullmann, 2017, S. 40).

2.2       Wie wirkt die KIP?

Hinweise auf die heilsame Wirkung innerer Bilder finden wir ganz allgemein in Religion, Literatur, Kunst und Psychotherapie, die naturwissenschaftliche Basis dazu liefern Erkenntnisse der Neurowissenschaften (z. B. Hüther, 2015; Bauer, 2002).

Als Medizinstudent arbeitete Leuner während des Krieges in einer Kaserne. In der Rückschau wertete er diese Arbeit, verbunden mit der Möglichkeit, viel zu lesen und sich mit der Tiefenpsychologie zu beschäftigen, als seine wirklichen Lehrjahre (AGKB, 2019). Als Ergebnis der oben beschriebenen experimentellen Untersuchungen (Kap. 1) und zahlreicher Patientenbehandlungen formulierte Leuner (1985) drei spezifische Wirkfaktoren der KIP, die bis heute den therapeutischen Schwerpunkt bilden:

•  Konfliktdarstellungund Bearbeitung auf der Bildebene: In der Imagination werden die abgewehrten und unbewusst wirksamen Konflikte aktualisiert und dadurch einer Bearbeitung zugänglich gemacht. Der Therapeut nutzt ein breites Repertoire an therapeutischen Interventionen bis hin zur Symbolkonfrontation, um den Patienten zu unterstützen (sog. »erste Dimension« der KIP). Sein wichtigstes Instrument ist das Motiv. »Durch die Motivvorgabe angeregt und durch die therapeutische Situation ausgelöst, vollzieht sich aufgrund einer autonomen psychischen Dynamik eine Fokussierung konflikthafter Prozesse in Form plastisch erlebter Symbolisierungen mit hoher affektiver Intensität und immer wieder bestätigter Evidenz. Symbolisch verhüllt und/oder symbolhaft selbstenthüllend treten die in der therapeutischen Dyade wiederbelebten Beziehungswünsche, die Abwehrmechanismen, aber auch die Ich-Stärken und Regulationsfähigkeiten ›vor Augen‹« (Bahrke & Nohr, 2005, S. 8).

•  Ressourcenaktivierung,insbesondere Ich-Stärkungund narzisstischeRestitutiondurch die »Befriedigung archaischer Bedürfnisse«: Die Imagination konfliktfreier Szenen ermöglicht ein »Auftanken«, eine Regression im Dienste des Ichs und eine narzisstische Restitution. (sog. »zweite Dimension« der KIP). Eine entlastende Wirkung kann hier schon allein das Entspannen in Gegenwart des Therapeuten entfalten. Im Therapieprozess kommt es in den Imaginationen »zur Aktivierung verinnerlichter guter Objektbeziehungen oder zum erstmaligen Aufbau guter innerer Objekte. Auf diese Weise wird dann vor allem die Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung in die Ressourcenmobilisierung und Ressourcenbeschaffung mit einbezogen. Es kommt zu Erfahrungen von Gehalten-Sein, zum Erleben von Sicherheit und zu einer Stärkung des Selbstgefühls im Umgang mit positiven, verlässlichen und zugewandten Symbolgestalten« (Dieter, 2015, S. 64f.).

•  Entfaltung derKreativität: Im imaginativen Raum kann aggressiven und expansiven Impulsen probehandelnd begegnet werden, eigenständige Problemlösungen können gesucht und gefunden werden (Kottje-Birnbacher, 2001) (sog. »dritte Dimension« der KIP).

»Was macht gerade die Imagination zu einem besonders wirksamen Instrument in einem psychodynamischen Gesamtkonzept?« Dieser Frage ging Dieter (2015, S. 61ff.) auf den Grund und arbeitete eine Reihe von Aspekten heraus, die sich in ihrer Wirksamkeit ergänzen und teilweise gegenseitig verstärken:

•  die psychophysiologische Entspannung, die mit der Intensität der erlebten inneren Bilder intensiver wird;

•  »das Miterleben und Mitspielen bei einem als enorm verbindlich erlebten und selbst erschaffenen inneren Schauspiel«, das märchenhaften Charakter annehmen und Lösungen und neue Wege aufzeigen kann;

•  die Begegnung mit dem individuellen und kollektiven Symbol, »mit einer vielfach determinierten Schöpfung des eigenen kreativen Unbewussten«, die bisher unzugängliches Wissen verfügbar werden lässt, sodass die Heilkraft der symbolischen Darstellung sich entfalten kann (Jung, 1949);

•  die auch beim Umgang mit Imaginationen hilfreich erlebte Beziehung zu einem Therapeuten, die das symbolisch Erlebte durch die Einbettung in eine bedeutsame Objektbeziehung (Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellation) »wirklich« werden lässt;

•  die »Anregung und Einübung neuer Erfahrungen vor dem Hintergrund eines neuen Musters von Beziehung« wie z. B. von Fürstenau (1990) für die Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen beschrieben.

Einen besonderen Stellenwert schreibt Dieter dem Prinzip derNachträglichkeit zu. Was ist damit gemeint? »Unter dem Einfluss von Übertragung und Gegenübertragung wird Vergangenes in der Gegenwart neu ›inszeniert‹. Früher erlebte konflikthafte und traumatische Erfahrungen können mit Hilfe von Imaginationen im ›Hier und Jetzt‹ zu einem besseren Ausgang geführt werden« (Dieter, 2015, S. 62). In der KIP mit Kindern und Jugendlichen kommt nicht der heute Erwachsene auf der imaginativen Ebene dem Kind zu Hilfe, sondern es geht hier eher um idealisierte Elternrepräsentanzen in unterschiedlicher symbolischer Ausgestaltung. Als hilfreiche Wesen können z. B. Tiere, Feen, Zauberer, Märchengestalten, Helden, Königinnen und Könige, weise Männer und Frauen imaginiert werden, die so in Erscheinung treten, wie das Kind es gebraucht hätte und noch braucht. Mit dem richtigen Begleiter an der Seite können Konflikte gelöst, Entwicklungshemmnisse überwunden, gute innere Objekte wiederbelebt oder neu aufgebaut und so Defizite im Sinne einer nachholenden Entwicklung aufgefüllt werden.

Für die impliziteBehandlungstechnik ist das intersubjektive Verständnis des Behandlungsprozesses von besonderer Bedeutung. Die symbolische Darstellung der inneren Welt in der Imagination erfolgt immer in einem Beziehungskontext. Der Therapeut wird berührt und involviert, auf der bewussten wie auf der unbewussten Ebene. Er begleitet die Imagination des Patienten immer auch mit eigenen Imaginationen. Die Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung und die Kommunikation der beiden Unbewussten zeigt sich besonders eindrücklich, wenn der Patient etwas imaginiert und mitteilt, an das der Therapeut gerade gedacht hat. Die Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik »bildet den Rahmen für die hilfreiche Beziehung in der KIP. Der Therapeut begleitet, stellt eine ›haltende Umgebung‹ zur Verfügung, interveniert. Auf diesem Hintergrund gelingt es dem Patienten im günstigsten Fall, neue Erfahrungen mit inneren und äußeren Objektbeziehungen zu machen, auf der imaginativen Ebene neue Verhaltensoptionen zu erproben und symbolisches Erleben als Ressource zu nutzen« (Dieter, 2015, S. 63). Entscheidend sind die Reinszenierung des Vergangenen in der Gegenwart, die sog. »Szene« sowie die Konzentration auf das »Hier und Jetzt« der Übertragungsbeziehung.

Wie aber funktioniert das genau? Eine Antwort darauf findet man in dem Titel eines von Salvisberg, Stigler und Maxeiner (2000) herausgegebenen Buches: »Erfahrung träumend zur Sprache bringen«. Frühe Erfahrungen, die weder bewusst noch sprachlich fassbar sind, aber dennoch als Schemata das Denken, Fühlen und Verhalten wirksam beeinflussen, können genauso wie verdrängte Erfahrungen über sinnliches Erleben und Bilder in Sprache überführt werden. Stigler und Pokorny (2000) untersuchten in einer Einzelfallstudie anhand von Therapieprotokollen mit und ohne Imagination, welche Art von Vokabular in den verschiedenen Sequenzen benutzt wird. Den untersuchten Hypothesen lag das von Mergenthaler und Bucci (1999) postulierte 3-Phasen-Modell der therapeutischen Verständigung zugrunde: Emotionales und implizites Erleben muss aktiviert, bildlich oder narrativ übersetzt und schließlich reflektiert werden. In der Studie konnte bestätigt werden, dass in den KIP-Sitzungen mehr Primärprozess-Vokabular, mehr Emotions-Vokabular und mehr auf referentielle Aktivität hinweisendes Vokabular enthalten war als in den Sitzungen ohne Imagination (Stigler & Pokorny, 2000). Demnach entspricht die KIP dem von Mergenthaler und Bucci (1999) postulierten Modell der therapeutischen Verständigung: »Es werden emotionale und prozedurale Schemata aktiviert, diese gelangen über bildliche Szenarien zum Ausdruck und durch deren narrative Einfassung zur Mitteilung, bevor sie Gegenstand gemeinsamer Reflektion werden« (Stigler & Pokorny, 2000, S. 99). Kurz: Es geht vom inneren Erleben über das Bild zum Wort. So betont auch Ullmann (2012b) die Verbindung von Vorstellungen, Emotionen und körperlichen Vorgängen als wesentliches Wirkelement von Psychotherapie.