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Katharina Leben einer Donau-Schwäbin Freude - Furcht - Folter - Flucht - Freiheit - Familie - Fleiß Katharina wuchs behütet in dem donauschwäbischen Dorf Ridjica in Serbien auf. Sie hatte nur eine Volksschulbildung in deutscher und serbischer Sprache. Ihre Eltern hatten sie als Kind stark in der häuslichen, landwirtschaftlichen und gastwirtschaftlichen Arbeit eingebunden. Daneben war sie fromm erzogen worden. Ihre Familie war auch kulturell aktiv beim Theaterspiel, Chorgesang und Dorffesten engagiert. Katharina beschreibt ihre Kindheitserlebnisse und Hochzeitsfeste mit deren hoffärtigen Mode. Auch tödliche Unfälle und einen Mord gab es im Dorf. Ihre Jugend war sehr kurz, denn dorfüblich heiratete sie 1940 bereits mit 16 Jahren ihren "Imre". Zwei Jahre hatte sie auf einem Gutshof eine sehr schöne Zeit. Dann wurde ihr Mann 1942 zum Kriegsdienst nach Finnland eingezogen. Im November 1942 bekam sie einen Sohn. Nachdem sie Imre 1943 noch einmal sah, begann ihre Furchtzeit. Ab 1944 musste sie Zwangsarbeiten verrichten. Dabei war sie zumeist von Kind und Verwandten getrennt. Sie wurde sogar von serbischen Partisanen der Spionage verdächtigt und physisch und psychisch gefoltert. Endlich konnte sie dann mit ihrem Kind, Bruder und einigen Verwandten nach Österreich flüchten. Dort waren sie einige Zeit in dem "Wagna"-Lager eingesperrt. Zu Fuß schafften sie es dann über Berg und Tal nach Freilassing und mit dem Zug nach Ludwigsburg, wo sich die Familie in Freiheit aber arm wieder traf. Katharina bekam ihren zweiten Sohn. Sie beschreibt die gütige Hilfe von einheimischen Schwaben, jedoch auch ihre anfänglich sprachlichen Missverständnisse und Diskriminierung. Mit viel Fleiß hat sich Katharina mit ihrem Mann dann in Ludwigsburg und Asperg eine schöne Existenz aufgebaut. Schicksalsschläge, wie der Tod ihres Patenkindes, verkraftete sie mit ihrem Gottesglauben. Wichtig waren für sie die Familien ihrer Kinder, stets hatten Katharina und Emmerich diese unterstützt. Viele eigene Feste konnten sie feiern. Als dann ihr Mann Emmerich 2004 starb, schaffte es Katharina in Eigenregie noch gut zu leben Sie kam auch der Bitte ihrer Kinder nach, ihre Erlebnisse aufzuschreiben. Zum Schluß schrieb sie dann auch über ihre schwierigen Gefühle im Alter. Kurz darauf, im Januar 2010, erlitt sie einen kleineren Schlaganfall. Von dem hatte sie sich noch erholt und wurde von ihren Kindern betreut. Nach einem zweiten Schlaganfall im Januar 2011 verstarb Katharina mit 87 Jahren.
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Seitenzahl: 458
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Vorwort 1
Vorwort 2
Vorwort 3
Prolog
Beginn und Ende der Aufzeichnungen
Beginn am 20. Januar 2007
Ende am 9. August 2009
Angehörige in
Ridjica, weitere Namen sind Regöce und Legin
Kindheit
Heimatdorf und Landwirtschaft
Glaube und Kirche
Kur
Mami
Kindergarten – Vorschule
7 Jahre alt – Schule Klasse 1
Schule Klasse 2
Marktverkauf – Geld verloren
Adam-Batschi
Staatsfeiertag
Schule Klasse 3. Religion
Kommunion
Kloster
Lehrer: Säufer und Schläger
Familien- und Dorfleben
Zirkus
Wochenmarkt
Theater
Zirkus
Michl
und
Hansi
Wassergraben
Zwillings- und Drillingskälber
Imre
Walzenunfall
Imres
Mutter Tod 1928
Vereine
Tödlicher Stromunfall
Tödliches Abgasunglück
Mord 1932
Ernte – Sprudel-Krachl
Erntedank – Neue Kleider
Firmung
Kirchweih
Brautjungfer und -führer
Imre
: Hochzeit
Kutsch Resi
Hausschlachtung 1934
Tod Onkel
Josef-Vetter
Tod
Altmotter
1935
Verein – Tanz – Theater – Bande
Kathreinenball
Orangenball
Hochzeit Firmpatin: „
Herrische
Braut“
Hochzeit: „
Baurische
Braut“
Schule Klasse 6 – Mord König
Sallasch
– Gaststätte
Henerari
– Kinderarbeit
Jugend
Badeunfall – Rettung
Imre
Heimlich ins Kino
Mosi
Sommerfeste 1936
Herbst: Ernte, Feste, Maskenball
Kathreinen-Ball
1937
Fasching 1938
Kulturbund-Gasthaus
Pfingstfest
Apatin
1938 – Park
Imre
Kulturbund Maskenball, Prämierung
Sallasch – Herbst 1938
Hochzeit Firmpatin 1938
Winter 1938/1939
Hochzeit
Kruschiwl
1938
Imre
Hochzeiten 1939 – Brautjungfer und
Imre
Imre
Antrag
Traublesenfest 1939
Hochzeit
Henerari
1939
Hochzeit
Turi
1939
Winter 1939/1940 – Hochzeitsvorbereitung
Hochzeit
Stefan Kristmann
16.01.1940
Unsere Hochzeit 18. Januar 1940
Nach unserem Hochzeitsfest
Winter 1940
Imre
Blinddarmentzündung 1940
Auf dem
Sallasch
1940
Bauernhof
Anschmelzgasse
Kriegsbeginn in
Ridjica
Weitsicht
Adam-Batschi
– Diebstähle Partisanen
Sprengungen
Besetzung von Ungaren
Eisenbahn unter Ungarn wieder befahrbar
Frauenbund – Säuglingskurs
Imre
Musterung 1942
Imre
Einberufung 1942
Imre
Krieg Finnland
Karelien
Firmpatin
Geburt
Herbert
– ich krank
Taufe
Herbert
– Patin
Helene Nuber
Kinderverschickung aus Deutschland
Flüchtlinge aus
Banat
– Diebstähle Partisanen
Imre
Kriegsurlaub 1943
Umzug mit
Herbert
zur
Turi Altmotter
Herbert
1 Jahr alt
Erster gefallener Soldat aus
Ridjica
Beginn Judenverfolgung
Militäreinzug Vater
Adam-Batschi
wandert nach Deutschland aus
Abgebrochene Flucht
Besetzung Russen
Zwangsarbeiten und Folter
Feld
Kupusin
, Flughafen
Sombor
Zwangsarbeit Schnaps brennen
Diebstähle: „Geholt“
Zwangsarbeit in
Ridjica
bei Russen und Serben
Zwangsarbeit Krankenhaus –
Herbert
weggerissen
Gefängnis gegenüber Krankenhaus
Drohung in die Luft gesprengt zu werden
Zwangsarbeit Schützengräben
Zwangsarbeit Partisanen-Küche
Zwangsarbeit
Sombor
Hauptlager
Zwangsarbeit
Sombor
Flughafen
Kontaktfrage
Ridjica
über Bahnarbeiter Draisine
Gulaschsuppe von gestohlenem Fleisch
Zwangsarbeit Pferdestall und Flugplatz
Partisanen Raub Schmuck, Eheringe und Mord
Mami
bringt Lebensmittel – schlechte Nachrichten
Ridjica
: Böse Partisanen.
Herbert
geht es gut
Partisanen-Strafe: Knien auf Bohnenkernen
Schlafumzug Gemüsegartenhaus – Arbeit Flugplatz
Care-Pakete aus Amerika
Mit Posten Fußmarsch zu
Herbert
und
Mami
Aufregung Tante
Katl
fehlt
Vertreibung ins Vernichtungslager
Gakowa
März 2008: Schöne und schlimme Ereignisse
Flucht Tante
Katl
und
Aplona-Bas' Weber
Zwangsarbeit Pilotenküche: Weihnachtsgebäck
Mit Posten nach
Ridjica
zu
Herbert
und
Mami
Winter 1946 – Zwangsarbeit auf dem Flughafen
1945 – Liebesgeschichte(n) auf dem Flughafen
Mit Posten zu
Herbert
und ins Lager zu
Mami
Fluchtgedanken
Tod
Mami
im Lager
Partisanen Spionage – Arrest und Folter mit
Eviza
Fußtransport Lager
Gagowa
– Abschied von
Eviza
Herbert
krank – Heimlich Arznei besorgt
Essen Zubereitung in der Not
Arbeit auf dem Maisacker – Lebensmittel versteckt
Korrupte Grenzsoldaten – Grab
Mami
– Care Pakete
Arbeit in der Traktoristen-Küche
Erkrankt – Zwangsimpfungen gegen Typhus
Die Flucht
Fluchtstart
Gagowa
– Station Pfarrhaus
Ridjica
Brief vom
Adam-Batschi
:
Imre
frei in Ludwigsburg
Flucht über den Fluss
Kidjosch
und die Grenze
Bei Schwiegereltern in
Gara
/Ungarn – Mit Zug durch Ungarn
Flucht zu Fuß von Ungarn nach Straß/Österreich
Lastwagentransport ins Wagna-Lager
Unterbrechung der Fluchtbeschreibung zum 60. Geburtstag von
Ewald
Fortsetzung Wagna-Lager
Weihnachten 1946 bei einem Schmid
Wagna-Lager
weil wir Nazis wären
Unterbrechung der Fluchtbeschreibung Augen-OP
LKW-Transport: Wagna-Lager, Straß, Feffernitz
Imre
in Salzburg festgenommen
Plan: Mit der Eisenbahn Richtung Salzburg
Zu Fuß über die Berge
Kapelle
Maria
Wörth am Wörthersee
Von
Freilassing
nach
Ludwigsburg-Eglosheim
Wiedersehen mit
Imre
– Ende der Flucht
Frei und arm
Familien Schmidt u. Bräutigam bei Bauer
Rösch
Adam-Batschi
und Verwandte in Ludwigsburg
Familien
Schmidt
u.
Bräutigam
in einer Baracke
Arbeit von
Imre
bei Amerikaner und Nudelfabrik
Hellhöriges Barackenleben mit Wanzen
Verwandtenbesuche:
Turi
,
Englert
Gemüsegarten bei der Baracke – Schwanger mit
Ewald
Weihnachten 1947
Babysachen
Ewald
: Diskriminierung Betten-Rees
Arbeiten mit Nähmaschine
Geburt
Ewald
Kontrolle Gesundheitsamt
Währungsreform: Jede Person erhält 40 DM
Näh-Heimarbeit für Ludwigsburger Werkstätte
Unterhaltung und Tanz in Eglosheim
Herbert
kommt in die Schule:
Adam
und Eva der Baracke
Vater
Peter Bräutigam
heiratet
Maria Sahler
Vater Arbeit auf dem Finanzamt u. Wochenmarkt
Kuseng Wendl Bräutigam
Godi Heli Nuber
zu Besuch
Neue Wohnung und Arbeit
Wohnung Wernerstraße –
Imre
bei BOSCH
Adam-Batschi
zieht in Zimmer neben uns
Leben in der
Wernerstraße
Ewald
Kindergarten
Viel Heimarbeit an der Nähmaschine
Freunde:
Godi Heli
u.
Peter Putz
,
Vroni
u.
Heinrich Seider
Verwandte von
Imre
Kommunion
Herbert
– Maßanzüge, auch für
Ewald
Urlaub Hessen bei
Kuseng
Englert – Badeunfall
Herbert
Ende: Nähheimarbeit u. schweißen Vogelkäfige
Betriebsunfall von
Imre
bei
Bosch
Heirat
Hans Bruckner
und
Maria
Zorn
Besuche in der
Wernerstraße
Ewald
kommt in die Schule
Patenkind
Inge
Arbeit bei
Hühnersdorff und Bührer
Betriebsversammlung bei
Hühnersdorff-Bührer
: Hinweis Toiletten-Missstand
Sehr, sehr traurig: Tod
Inge
Adam-Batschi
krank und ins Altersheim
Hochzeit
Hansi
und
Rosemarie Klose
Herbert
Friseurlehre 1957
Geburt
Rolf Putz
1957
Ewald
Kommunion
Imre
Führerschein – Bausparvertrag – Auto Kauf
Nervenzusammenbruch Kriegstrauma
Samstags Verkauf auf dem Wochenmarkt
Meine Arbeit bei
BOSCH
Neue Kirche in der Weststadt –
Ewald
Ministrant
Herbert
Friseurgeselle 1960 – Auto Ausflüge
Eltern
Bräutigam
Haus
Asperg Achalmstraße
Vertrag mit
MEZbau
– Nachbarn Bekannte
Tossenberger
Schwiegervater
Joseph Schmidt
erkrankt und gestorben
Haus
Achalmstraße
– Eigenleistung – Einrichtung
Herbert
Bundeswehr 1963
Herbert
und Ingrid
Verlobung
Herbert
und
Ingrid
Hochzeit
Herbert
und
Ingrid
Geburt
Dieter
Einzug
Herbert
und
Ingrid
in unser Haus
Adam-Batschi
erkrankt und gestorben
Wohnung von
Herbert
und
Ingrid
erweitert
Krankenhaus
Ewald Bosch
-Lehre 1966
Herbert
Friseurgeselle bei
Laub
in Eglosheim
Geburt Ute
Herbert
Meister – Pacht Salon – Kündigung
BOSCH
Geburt
Inge
Herbert
und
Ingrid
kaufen Haus in Eglosheim
Ewald
und
Rosi
Hochzeit
Ewald
und
Rosi
Ewald
und
Rosi
Einzug in der
Bachstraße
Inge
weggelaufen – zu
Rosi
und
Ewald
Wohnungstausch
Herbert Ingrid
mit
Ewald Rosi
Hochzeit meines Bruder
Mike
mit
Ilse
Unfall auf der Autobahn
Unsere Autos ‒ Urlaubsreisen
Urlaub am Wörthersee – Kapelle
Maria Wörth
Urlaube in
Harkány
– Fahrt nach
Ridjica
Schuhverkauf bei Schuh-
Mayer
Enkel
Harry
und
Heike
Geburt
Harry
Geburt
Heike
Amerika Reise
Kuren in
Bad Füssing
Hausverkauf – Wohnungskauf
Diamantene Hochzeit – 80. Geburtstage
Mein Mann
Imre
ist gestorben
Rentnerfreizeiten
Seniorentreffen Basteln Ausschank
Frohes Alter – Kath. Frauenbund Tanz
Traurige Gefühle – Einladungen
Herbert
erkrankt
Ewald
schwer krank
Hochzeit
Harry
und
Sabrina
Überlegungen zur weiteren Lebenslage
Ende der Aufzeichnungen 9. August 2009
Hinweise mit Fotos
Fußnoten
Das Leben meiner Mutter war sehr ereignisreich und bewegend. Immer wieder hatte sie ihren Kindern und deren Familie davon erzählt. Dabei ergaben sich oft auch Fragen, sodass immer stärker der Wunsch an sie herangetragen wurde: „Schreibe das alles doch einfach mal auf!“ Sie entschloss sich, ihre Memoiren zu verfassen. Begonnen hatte sie damit Anfang 2007 im Alter von 84 Jahren. Nach einigen Ergänzungen kamen bis Ende 2009 genau 343 handgeschriebene Seiten zusammen.
Im Oktober 2008 fing ich an, ihre handschriftlichen Aufzeichnungen zu digitalisieren. Zunächst wurde alles zur Sicherung nur eingescannt, dann wurde ihr Text mit einem Sprachprogramm in den Computer diktiert. Ihre Blattangaben – Seite und Datum – wurden beibehalten und zusätzliche Informationen über die Ereignisse – wie Inhalt und Zeit – sowie deren Richtigkeit der zeitlichen Zuordnung wurden in Tabellenform extra hinzugefügt. Da nun alles als bearbeitbarer Text vorlag, konnten ihre Aufzeichnungen einfacher geordnet, überarbeitet und in die hier vorliegende Form gebracht werden.
Meiner Mutter möchte ich für ihren „Mein Lebenslauf“, den sie mit Engagement und großer Ausdauer geschaffen hat, herzlich danken. Wie sie früher ihre Zeit als Kind – teils sehr schwer – teils mit Freude und persönlichem Glück, erlebt hatte, können wir und unsere Nachkommen jetzt viel besser verstehen und nachempfinden. Ebenso, wie sie als junge Mutter die unmenschlichen Zeiten während des zweiten Weltkrieges mit der Vertreibung und danach die sehr schwere Nachkriegszeit in ihrer neuen Heimat Ludwigsburg gemeinsam mit der Familie durch- und überstand. Auch die folgenden Erlebnisse meiner Eltern in der jüngeren Vergangenheit, unter anderem mit ihrem fleißigen Hausbau in Asperg, kann für Beteiligte und Nachkommen eine interessante und lohnenswerte Lektüre sein. Sehr schön für sie und uns alle ist ihre aktive Beteiligung am Leben ihrer Enkel und Urenkel.
Ewald Schmidt
23. Dezember 2009
Ende Januar 2010 erlitt meine Mutter Katharina einen leichten Schlaganfall. Noch kurz davor, im Dezember 2009 bis Januar 2010, hatte sie meine erste Transkription bis zu ihrer Niederschrift, Blatt 50 und die Ausarbeitung vom November 2009 gelesen, verbessert und ergänzt.
Damals, im Februar 2010, war es mir nicht mehr möglich an diesen Memoiren weiter zu arbeiten und hatte es auch beendet.
Nach diesem Schlaganfall haben meine Frau und ich, sie wöchentlich abwechselnd mit meinem Bruder und seiner Frau in ihrer Wohnung betreut und auch zu uns tagsüber mitgenommen. Im Januar 2011 hatte sie dann einen zweiten schweren Schlaganfall an dem sie am 27. Januar 2011 verstarb.
Nachdem jetzt meine jüngste Nichte nach den Aufzeichnungen ihrer Oma gefragt hatte, entschied ich mich die Bearbeitung wieder aufzunehmen. Begonnen habe ich mit der Transkription ab Blatt 51 der handschriftlichen Aufzeichnung.
Hauptsächlich korrigierte ich die Grammatik- und Rechtschreibfehler und veränderte Schachtelsätze, um sie verständlicher zu machen. Einige Absätze habe ich themengerecht verschoben. Nur an wenigen Stellen stellte ich inhaltliche Fehler richtig.
Ewald Schmidt
19. Februar 2022
Für den Buchtitel entschied ich mich für „Katharina“ und für den Untertitel: „Leben einer Donau-Schwäbin“. Das hier zweigeteilte Wort Donau-Schwäbin soll die zwei Lebensabschnitte meiner Mutter in der Batschka und im Schwabenland symbolisch ausdrücken.
Ewald Schmidt
28. Juli 2023
Ich schreibe meine Erinnerungen, was ich so im Leben erlebt habe: Schöne, lustige aber auch traurige Geschichten: Mein Lebenslauf
Da ich jetzt nicht mehr so gut denken kann, will ich das Schreiben meiner Lebensgeschichte beenden. Meine Söhne Herbert und Ewald werden damit auch zufrieden sein, denn sie wollten, dass ich meine Erlebnisse für die Nachkommen festhalte. Auch deshalb habe ich viele meiner Erinnerungen aufgeschrieben – mit reinem Gewissen und reiner Wahrheit.
Zunächst einige Daten von mir und meinen engsten Angehörigen:
Katharina Schmidt, geborene Bräutigam, geboren am 22. Mai 1923 in Ridjica1, Batschka, Königreich Jugoslawien.
Ich habe geheiratet Emmerich Schmidt, geboren am 24. Juni 1921 in Ridjica. Unser Trauschein wurde am 18. Januar 1940 ausgestellt. Emmerich ist gestorben am 24. August 2004 in Asperg, Baden–Württemberg, Deutschland. Emmerich rief ich in der beliebten ungarischen Form Imre.
Meine Eltern:
Vater: Peter Bräutigam geboren 30. Juni 1899 in Regöce, Österreich–Ungarn. Berufe: Landwirt, Gastwirt und Händler. Er ist am 17. Juli 1991 in Ludwigsburg gestorben. Er hatte zwei Geschwister, einen Bruder, eine Schwester.
Mutter: Anna Luisa Kristmann geboren 08. Juli 1903 in Regöce. Berufe: Hausfrau, Schneiderin. Sie hatten am 02. Februar 1920 in Ridjica geheiratet. Am 20. März 1946 ist sie in Kruschiwl2 in einem Vernichtungslager in Serbien gestorben. Sie hatte vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern.
Ich habe zwei Brüder Michael – gerufen Michl, später Mike genannt – geboren am 14. März 1926 und Johann – Hansi gerufen – geboren am 21. November 1930. Beide wurden auch in der Heimatstadt Ridjica geboren.
Die Eltern meines Mannes:
Sein Vater: Josef Schmidt geboren 14. Juni 1889 in Legin bzw. Regöce, Ungarn. Er ist am 22. Mai 1962 in Ludwigsburg gestorben. Er hatte einen Bruder und zwei Schwestern.
Seine Mutter: Helena Turi, geboren 27. Februar 1894 in Legin. Sie hatten 1910 auch dort geheiratet. Gestorben ist sie am 05. Juni 1928 im gleichen Ort – jetzt aber Ridjica, Jugoslawien. Sie hatte einen Bruder, Anton Turi, einer der besten Freunde von Emmerich.
Emmerich hatte eine Schwester, Eva Schmidt, sie wurde 1912 geboren und ist schon 1919 in Regöce gestorben.
Als ich auf die Welt kam, wohnten meine Eltern im Haus der Eltern meiner Mutter. Ihre verheiratete Schwester Maria wohnte zusammen mit ihrem Mann Namens Bräutigam ebenfalls da. Er war aber nicht mit meinem Vater verwandt.
In einer Ahnentafel habe ich teilweise Daten fünf Generationen vor mir, bis zum Jahr von 1686, zusammengetragen.
1Ridjica, Regöce, Legin: Derselbe Ort unter österreich-ungarischer bzw. jugoslawischer Staatszughörigkeit Heute Serbien. Katharinas Aussprache: Rigiza. Angaben von Koordinaten sind im Dezimalsystem: GPS 45.993447, 19.105705.
2Kruschiwl: Nachbarort von Ridjica. GPS 45.920978, 19.102177.
Mein Heimatdorf ist Ridjica, im Norden von Jugoslawien an der Grenze zu Ungarn gelegen. Durch politische Ereignisse und die Grenznähe wechselte früher die Staatszughörigkeit von ÖsterreichUngarn zu Jugoslawien. Deshalb gab es für das Dorf verschiedene Namen – Legin, Regöce – und Einwohner unterschiedlicher Nationalitäten. Im Jahr 1939 hatte Ridjica ungefähr 4250 Einwohner. Davon waren 2150 Deutsche, 750 Ungaren, 350 Serben sowie noch 1000 Serben im Ortsteil Rastina, das 2 km entfernt lag. Die Deutschen – alle Donauschwaben3 – und Ungaren gehörten allermeist der katholischen, die Serben der orthodoxen Kirche an. In Ridjica gab es deshalb eine katholische und eine orthodoxe Kirche.
Als meine Eltern 1927 – ich war 4 Jahre alt – ein altes Haus in der Großgasse kauften und von ihren Eltern ihr Erbe bekamen – Felder, Weingarten mit Obstbäumen und Wiesen – hatten sie damit und mit den Pferden, Kühen, Schweinen und Geflügel viel und schwer als Landwirt zu arbeiten. Zur Hilfe stellten sie eine Dienstmagd und einen Hofknecht ein. Auch die Großmütter haben ihnen sehr geholfen. Vaters Mutter wohnte bei uns. Wir Kinder sagten zu der Mutter Mami4, zum Vater Tati5, zur Großmutter Bräutigam Altmotter6 und zur Großmutter Kristmann Altmami7. Altmami war sehr klein, nur 150 cm groß.
Neben der Arbeit in Haus und Hof hatten meine Eltern dann auch noch meinen Bruder Michl als Baby. Ich wollte mit meinen 4 Jahren auch schon etwas tun, beim Melken der Kühe durfte ich helfen. Das Haus wurde renoviert, neue Ställe gebaut. Im Hühnerstall sind in die Mauer Nester eingebaut worden, hier legten die Hühner ihre Eier hinein und brüteten ihre Küken aus. Es war so neu und fortschrittlich, dass Leute der Agrarlandwirtschaft8 sich dies extra anschauen kamen. Als Erster im Dorf hatte Tati auch einen Separator9 gekauft. Dieser hatte zwei Röhren. Während und nachdem oben bis zu 5 l Milch hinein gegossen wurde, drehte man von Hand am Gerät, bis aus einer Röhre der Süßrahm herausfloss10, und aus der anderen Röhre die Magermilch.
Nachbars Frauen durften bei uns damit ihre Milch separieren. Als Gegenleistung mussten sie uns dann die fertige Süßrahmbutter bringen. Mami und ich haben die Butter schön in 250 Gramm, Zwei- und Fünf-Kilo-Pakete verpackt. Verkauft wurden diese Butterpakete, meist schon vorbestellt, von Tati auf dem Wochenmarkt immer Freitags in Sombor11. Neben der reinen Landwirtschaft wurde auch so Geld verdient.
Tati war auch ein lustiger Mensch. Er hat gerne getanzt, Kegel und Karten gespielt, auch um Geld. Beim Kegeln hat er öfters Geld verspielt, so dass meine Mutter oft weinte. [FOTO Gruppe Bräutigam]
Meine Eltern und alle Großeltern waren sehr christlich und streng katholisch. Ich ging, wie alle Kinder, jeden Sonntag paarweise von der Schule zur Kirche in die Frühmesse um 8 Uhr. Um 10 Uhr war eine Hochamt-Messe auf Lateinisch. Sonntäglich abwechselnd hat der Pfarrer das Evangelium und die Predigt auf deutsch oder ungarisch vorgetragen. Auf den Gesang wurde auch viel Wert gelegt. Die Kirchengemeinde hatte einen guten vierstimmigen Kirchenchor, der das Hochamt begleitete. Mein Vater war mit tiefer Bassstimme sehr gerne dabei.
Im Jahr 1927 wurde die katholische Kirche umfangreich renoviert, auch neue Fenster mit buntem Bleiglas wurden eingebaut. Spender waren da willkommen. Meine Eltern hatten sich mit dem „Kauf“ des Fensters rechts über der Kapelle Dreifaltigkeit beteiligt. Zum einen ist dies dokumentiert im Buch „Ridjica: Kirchenfenster neu eingebaut 1927 und gespendet.“ Über der Kapelle: „Dreifaltigkeit“ Peter und Anna Bräutigam, geb. Kristmann“ [Buch Ridjica], [Ridjica S 96], zum anderen ist das Fenster auch heute noch in der Kirche vorhanden.
Zwei Familien in Ridjica waren evangelisch. Sie waren aus Kolut12, einer Gemeinde, auch im Kreis Sombor, zugezogen.
Als wir Kinder einmal in der Frühmesse oben auf dem Kirchenchor gesungen haben, sagte mir ein verwandtes Mädchen, Bräutigam Lenschi13 – unsere Väter waren Kuseng14 – während einer Pause: „Deine Eltern haben euer Haus von einem lutherischen Maler streichen lassen.“ Der Maler hatte mit verschiedenen Mustern15 Blumen aufgemalt. Ich verstand sie nicht ganz und war erstaunt, hatte dies dann meinen Eltern erzählt. Meine Mutter meinte, ich solle ihr sagen, dass die junge Familie mit zwei Kindern 40 km weit aus Kolut in unser Dorf gezogen sei, und auch Geld zum Leben verdienen müsse, und sie hätten auch einen christlichen Glauben – eben evangelisch.
Als Tati 1928 das Gasthaus Roosz in der Großgasse, von Stefan und Eva Roosz, gepachtet hatte, war ich gerade fünf Jahre alt.
Insgesamt hatte er viermal Gasthäuser gepachtet. 1928 für ein Jahr. Als ich dann acht Jahre war für ein halbes Jahr. Mit 13 Jahren wieder 1 Jahr und direkt danach für 2 Jahre.
Die Weingärten, Wiesen, Pferde, Kühe und Schweine bewirtschaftete er zusammen mit einem Knecht trotzdem weiter. Um die Arbeit etwas zu erleichtern verpachteten meine Eltern allerdings ihre Felder. Im Haushalt halfen dann oft Frauen Mami beim waschen und putzen.
Dann hatten im Dorf leider sehr viele Leute mit der Gesundheit Pech. Die schlimme Tuberkulosekrankheit war im Frühjahr ausgebrochen, auch Mami war angesteckt worden. Daraufhin hatte sie sich entschieden, wie weitere erkrankte 18 Frauen und zwei Männer aus Ridjica nach Kroatien in den Luftkurort Delnice16 zu fahren. Delnice ist nicht weit weg von adriatischen Meer. Dort hatten sich Ärzte speziell für diese Krankheit eingerichtet.
Ich und noch 3 Mädchen durften auch mitfahren. Delnice war sehr uneben. Die Häuser bestanden außen nur aus einfachen Brettern, Fachwerkhäuser gab es nicht. Mami, ich und noch zwei Frauen wohnten im ersten Stock eines solchen Holzhauses in zwei kleinen Zimmern. In einem weiteren Haus wohnten vier einheimische Frauen, die dort in einer Küche für uns alle gekocht haben. Wir vier Kinder halfen dort vormittags bei der Speisezubereitung, wie Kartoffel schälen und beim Tisch decken. Das notwendige Wasser mussten wir von einem Pumpbrunnen holen, der nicht so nahe war.
Währenddessen waren die Kranken beim Arzt zur Heilbehandlung. Nach dem Mittagessen ging es meist in den Kurpark. Der war nicht so groß, mit den vielen Blumen aber sehr schön. Manchmal spielte auch eine Blaskapelle zur Unterhaltung auf. Unmittelbar daneben gab es einen großen Wald. Jeder hatte eine Hängematte, die dort an zwei Bäumen gebunden wurde. Die Kranken mussten zwei bis drei Stunden liegen und ruhen. Wir Mädchen haben oft mit unseren Puppen gespielt. Einmal sind wir aber weit in den Wald hinein gelaufen. Nachdem wir lange nicht zurückkamen, waren unsere Mütter sehr aufgeregt und hatten uns bereits gesucht. Als wir nach ungefähr zwei Stunden zurück gefunden hatten waren die Mütter und auch wir sehr froh. [FOTO Kur Delnice]
Wir alle waren mit der Luftkur zufrieden, der Gesundheitszustand der Kranken verbesserte sich. Es hatte geheißen, sie müssen sich zu Hause noch sehr schonen und viel ruhen. Nach vier Wochen sind wir heim gefahren.
Nach einem Jahr ist ein Herr17 mit 22 Jahren und eine Frau aus der Gruppe gestorben. Es war sehr traurig, denn sie war meiner Schulkameradin Maria ihre Mutter. Die anderen sind gesund geworden. Mami ist im Herbst nochmal zur Erholung gefahren, nach Crkvenica18 an die Adria für zwei Wochen. Tati wollte es, denn sie sollte sich noch schonen. Als er sie heimholte, durfte ich mitfahren. Dort blieben wir zwei Tage. Crkvenica war ein sehr schöner Ort. Als wir am Meer spazierten, kam ein großer Sturm mit sehr hohen Wellen auf. Es wurde sehr finster mit unheimlichen Geräuschen. Ein Mann auf einem Segelboot ist nicht mehr raus gekommen. Ich weinte sehr. Dann sind wir heim gefahren. Mami ihre Lunge war geheilt.
Nach einem Jahr war die Pacht im Gasthaus zu Ende und wir sind wieder in unser Haus zurück gezogen. Da wohnte meine Altmotter soweit alleine, oft war jedoch mein Bruder Michl mit zwei bis drei Jahren bei ihr.19 Die Landwirtschaft wurde wieder bearbeitet. Tati hatte viel Geld verdient, sodass er am Haus immer wieder etwas neu machen lassen konnte.
Ich bin mit sechs Jahren in die Vorschule gegangen. Da lernten wir Buchstaben und Zahlen schreiben. Ein ABC-Buch mit Bildern zum lesen lernen gab es. Ich bin sehr gerne in die Schule gegangen. Das Klassenzimmer war direkt neben dem Kindergartenraum. Im Kindergarten hatte jedes Kind sein eigenes, kleines Stühli. Diese waren im Saal ringsherum aufgestellt, in deren Mitte wurde gespielt, getanzt und viel gesungen.
In der Vorbereitung zur Schule gab es im Raum „Zweier Sitzbänke.“ Zum Schreiben eine große Tafel. Jedes Kind hatte eine Schiefertafel mit Griffel. Das sehr schöne Haus, das wir Óvoda20 nannten, stand hinter der katholischen Kirche. Es hatte einen großen Hof mit Sandkasten und Spielen, beliebt war Seilhüpfen21.
Im Jahr 1930 im Mai war ich sieben Jahre alt, im September kam ich in die erste Klasse. Der Unterricht begann um 8 Uhr und endete um 11 Uhr. Am Nachmittag von 2 bis 4 Uhr. Donnerstag Nachmittag war schulfrei. Man durfte nicht zu spät kommen! Nach der Begrüßung wurde zuerst ein kurzes Gebet gesprochen. Ich war an allem sehr interessiert. Wir hatten das erste Halbjahr einen Deutschlehrer, bei dem wir lesen, schreiben und rechnen auf deutsch lernten.
Ich bin auch gerne nach der Schule in die Schulgasse zu meiner Altmami gegangen. Sie hat mich um 5 Uhr heim geschickt, da bin ich aber oft erst nach 6 Uhr angekommen. Unser Tati sagte: „Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst nach der Schule gleich heimgehen. Warum kommst du nicht?“ Ich habe Unglaubliches erzählt. Er sagte: „Jetzt lügst du mich auch noch an.“ Er nahm eine Rute mit Dornen – die wurden um jung eingepflanzte Obstbäume gewickelt, so dass die Gänse sie nicht schädigen konnten – und schlug mir einmal so über den Popo, dass es blutete. Ich habe nie wieder meine Eltern angelogen, Tati hatte mich öfters angeschrien, aber nur dieses eine Mal geschlagen – dann nie wieder.
Im zweiten Halbjahr bekamen wir einen serbischen Lehrer. Da mussten wir schon alles in serbischer Sprache lernen. Seine Frau war Ungarin, sie hatten zwei Kinder. Zwischen dem Klassenzimmer und ihrer Wohnung war nur ein Gartenzaun. Der Lehrer schickte mich öfter während des Unterrichts hinüber zu seinen Kindern, um aufzupassen und zu spielen, was ich gerne getan habe. So hatte ich ein paarmal keine Aufgabe gehabt. Meine Eltern bemerkten dies und haben deshalb mit dem Lehrer gesprochen. Es war sehr schwer am Anfang alles in serbischer Sprache zu lernen. Die kyrillischen Buchstaben, die Zahlen und das Sprechen. Meine Eltern konnten mir dabei nicht viel helfen. Denn Tati und Mami sprachen nur ungarisch als Fremdsprache. Als sie in die Schule gingen, gehörte das Dorf Ridjica zu Ungarn und hieß damals Regöce. Sie hatten da deutschen und ungarischen Unterricht. Mein erstes Schuljahr war am 30. Juni 1931 zu Ende. Ich war sehr froh, bekam ein gutes Zeugnis und alle Kinder waren in die zweite Klasse versetzt worden.
Die Schulferien gingen los und gleichzeitig ab dem erstem Juli fing bei den Bauern die Ernte an. Da musste und wollte ich gerne viel meiner Mami im Haushalt helfen und auf mein Brüderchen Hansi aufpassen, der schon am 21. November 1930 auf die Welt gekommen war. Unsere Altmami hat in der Küche ebenso viel geholfen und Altmotter war ja auch noch da. Mein Brüderchen Hansi sollte nachmittags in seiner Wiege schlafen, dazu musste ich ihn in den Schlaf schaukeln, ich lag daneben auf dem Fußboden und schlief selber ein. Wenn Hansi aufwachte, schaukelte ich weiter. So vergingen etwa zwei Stunden. Natürlich durfte ich auch mit den Kindern in unserer Straße spielen, der Großgasse. Nachmittags von 4 bis 6 Uhr war dann das Geflügel zu versorgen – zu Fressen geben und die Tränke zu füllen. Danach das Abendessen richten und waschen, zum schlafen gehen.
Die Schulferien gingen bis zum ersten September.
Als mein Brüderchen Hansi eineinhalb Jahre alt war, es war im Frühjahr 1931, pachtete Tati wieder ein Gasthaus. Das Gasthaus Maier war in der Friedhofgasse. Es wurde im Dorf das Obere Wirtshaus genannt. Es gab einen großen Tanzsaal, auch eine große eingebaute Theaterbühne. Es war das Stammlokal der guten Feuerwehrmannschaft in Ridjica. Der Feuerwehr-Vorsteher war noch unser Kirchenorganist. Dieser Mann konnte sehr viel, auch war er ein Organisationstalent. So leitete er noch den Kirchenchor. Zu Ostern hatte er ein großes Theaterstück einstudieren lassen – Quo Vadis22. Die ledige Jugend wie verheiratete Frauen und Männer spielten mit. Die originalen Kostüme mussten sie für ihre Rollen selber nähen und richten. Es war ein schönes, berühmtes Theaterstück. Tati spielte darin den Petrus.
Ich kann mich noch gut daran erinnern: Jeden Tag war Probe, abends mit vielen Leuten. Tati brauchte zur Hilfe vier Männer, die an der Theke Getränke ausschenkten und Imbiss servierten. Es gab eine große Küche, da wurden Saitenwürste mit Brot, auch Schmalzbrot, gerichtet und serviert. Mami hatte für die viele Arbeit mehrere Frauen zur Hilfe. Wir drei Kinder – ich mittlerweile in der zweiten Schulklasse, Michl im Óvoda-Kindergarten, der kleine Hansi – und das Gasthaus waren für unsere Mami einfach zu viel. Sie hielt dies nur ein halbes Jahr aus. Sie gaben das Gasthaus auf und wir sind wieder zurück in unser Haus. Meine Eltern hatten in diesem halben Jahr viel Geld verdient.
In der zweiten Schulklasse hatten wir eine Lehrerin, die streng und sehr genau war. Man musste alles auswendig lernen und können. Einmal in der Woche, Donnerstag Nachmittag, hatten alle Schulklassen frei. Da konnte man in die Singstunde gehen, die ein Lehrer leitete, oder Handarbeit lernen.
Eine Lehrerin hat Handarbeit unterrichtet, ein Deutscher war unser Schulrektor, bei Lehrerinnen der zweiten Klasse konnte man freiwillig Ballett tanzen. Da war ich dabei, denn ich habe gerne getanzt. Tati hatte mir schon mit vier Jahren tanzen beigebracht: Walzer, Polka und den sehr schnellen ungarischen Tschardasch-Tanz23. Die Ballett-Lehrerin hatte acht Paare zu einer Vorführung ausgesucht, jeden Donnerstag war ich bei den Proben dabei. Einige Wochen mussten wir den Ballett-Tanz einüben.
An einem serbischen Staatsfeiertag fuhren wir mit unseren Eltern in die Kreisstadt Sombor. Zu diesem großen Fest waren auch unser König Alexander und die Königin Maria, eine rumänische Prinzessin, von der Hauptstadt Beograd gekommen. Ihre Großmutter war eine deutsche Prinzessin aus Hohenzollern.
In einem großen Theaterhaus auf der Bühne war die Vorführung. Wir hatten schöne Ballettkleider, weiße kurze Röckchen mit vier Reihen Volant24, weiße Strümpfe und weiße Ballettschuhe. Die Mädchen hatten einen kleinen weißen Kranz auf dem Kopf und einen schönen weißen runden Reifen in der Hand. Die Buben waren ausgestattet mit weißen Anzügen, kleinen, weißen Mützen und weißen Ballettschuhen. In den Händen trugen sie einen Pfeil und Bogen. Es war etwas Besonderes und schön, die vielen Übungen vorzutanzen. Unsere Lehrerin bekam dafür eine Auszeichnung, wir Kinder Süßigkeiten.
Am 30. Juni 1931 waren wir wieder in unserem Haus. Da ging es ruhiger zu, denn Tati hatte die großen Äcker verpachtet. Die kleinen Äcker und die zwei Weingärten haben wir mit einem Hofknecht selber bearbeitet. Unsere Mutter hatte oft Frauen zur Hilfe, unsere Altmotter wohnte ja bei uns. Oft kam auch unsere Altmami zum Helfen.
Tati hatte Butter im Dorf von Hausfrauen gekauft und in der Stadt Sombor auf dem Wochenmarkt verkauft. Mami und ich haben die Butter in Butterpapier verpackt. Für 250 g war das Papier zugeschnitten, der Name Peter Bräutigam rot drauf. Mein Bruder Michl und ich haben mit dem Fahrrad bei den Hausfrauen die Butter abgeholt. Im Sommer mussten wir sie im Keller herrichten, denn öfters gab es 25 °C bis 30 °C Hitze.25 Da belud Tati den Pferdewagen mit grünem Klee, der im Garten frisch gemäht worden war, und steckte die Butter in den Klee. Zwischen dem Klee war die Butter bis Sombor kühl geblieben.
Jeden Freitag war in Sombor ein großer Markt. Morgens um 2 Uhr fuhren wir los, um da die Butter zu verkaufen.
Die Butter musste auch bei den Hausfrauen bezahlt werden. Einmal als ich mit dem Geld auf dem Fahrrad hinfuhr und zahlen wollte, fehlte ein Geldschein. Ich hatte einen 100 Dinarschein26 verloren. Ich habe geweint, traute mich nicht heimzugehen. Meine Cousine, die hier in der Straße wohnte, ist mit mir heimgelaufen. Es war schon dunkel, die Cousine sagte zu meinen Eltern: „In der Straße haben Kinder Seilhopfen27 gespielt.“ „Ich habe auch mitgespielt.“ Tati war sehr aufgeregt. Er sagte bloß: „Du darfst nicht spielen, erst dann, wenn du bezahlt hast.“ Ich habe nur geweint.
Unsere Mutter ist auch manchmal zu ihrem Bruder Dr. Adam Kristmann nach Sombor mitgefahren. Er war Advokat und hatte da ein schönes Haus. Sein Amt führte er mit einem Angestellten aus. Er war ledig und hatte eine Hausangestellte. Auch ich war öfter bei ihm. Gerne schrieb ich auf seiner Schreibmaschine mit Tasten. Wir Kinder sagten zu ihm Adam-Batschi28, es ist ungarisch Onkel. [FOTO Adam-Batschi]
Seine Mutter, unsere Altmami, und ich wohnten in seinem Haus drei bis vier Wochen in meiner Schulferienzeit, wenn er auf Sommerfrische gefahren war. Über der Straße seines Hauses war eine schöne katholische Kirche. Ringsherum eine große Parkanlage; da sind wir jeden Tag in die Frühmesse um 7 Uhr gegangen, zur Kommunion vor dem Frühstück. Oft ging ich mit Kindern in der Stadt spazieren, habe mit denen gespielt, auch Seil gehopft.
Am 30. Juni begannen die großen Schulferien im Jahr, das war auch ein Staatsfeiertag. Es mussten von allen Klassen die Kinder paarweise von der Schule in die serbische Kirche gehen. Es wurde serbisch gesungen, immer wiederholt: „Herr erbarme dich unser.“ Nach der Kirche sind alle nebenan in die serbische Schule gegangen, da gab es einen kleinen Imbiss. Das war eine dickflüssige Masse, gemacht aus Weizenfrucht. Nachmittags wurden im freien Turnübungen vorgeführt, die wir schon vier Wochen lang von 16 bis 18 Uhr29 eingeübt hatten. Wenn die Lehrerin nicht da war, musste ich oft vorne stehen und die Übungen vormachen. Zur Vorführung mussten die Kleider der Mädchen alle gleich sein: Sie hatten die Farbe Drapp30 (beige), um den Ausschnitt herum war ein 2 cm breiter, roter Saum. Jede hatte schwarze Lackschuhe. Die Buben hatten schwarze Baumwollhosen bis über die Knie, rote Hemden, rote Mützen mit einem 2 cm schwarzem Saum. Die Übungen spielten wir mit kleinen Staatsfahnen. Alles wurde selbst bezahlt und genäht.
Am 1. September 1932 kam ich in die dritte Klasse. Unser neuer Lehrer war der Schulrektor, ein sehr strenger Deutscher. Zwei Klassen waren in einem Raum, die Dritte und die Vierte Klasse. Um 8 Uhr mussten alle zusammen zuerst das Einmaleins aufsagen, dann ein kurzes deutsches Gebet. Unterricht gab es in serbisch, Lesen, Schreiben und Rechnen. Jede Woche hatten wir nur eine Stunde Deutsch.
Mit einem deutschen Religionsbuch hielt unser Pfarrer im Dorf Johann Wier den Religionsunterricht. Da lernten wir auch die Zehn Gebote Gottes und die fünf Gebote der Kirche31. Alle Gebete mussten wir auswendig können. Vor der Erstkommunion gingen wir bei ihm zur Beichte. Ich war so gläubig, denn meine Altmami hatte mir gesagt, was eine Sünde und was eine Todsünde ist.
Ich ging sehr gerne in die Kirche zur Kommunion. Meine Erstkommunion war ein großes Fest. Wir hatten weiße Kleider mit weißem Kranz mit Schleier, wir waren kleine Bräute mit Kerzen. Darauf war am Montag und jeden Sonntag Kommunion. Am ersten Freitag im Monat war Beichte. Jeden ersten Sonntag im Monat gab es ein Hochamt mit einer Prozession um die Kirche herum. Die Erstkommunionskinder hatten ihre weißen Kleider ohne Schleier an und trugen Lampen mit Kerzen. Das ging ein Jahr lang, bis die nächsten Kinder dran waren.
Im Alter von 13 Jahren, trug ich mit fünf Mädchen bei Prozessionen die Statue Mutter Gottes auf den Schultern. Wir hatten da schon „kein Dirndl“-Trachtenkleider32 an, ganz in Weiß mit einem langen, blauem, seidenen Band um die Taille herum. Zwei Jahre war ich dabei, die schönste Prozession war an Fronleichnam. Es war ein langer Zug: Zuerst die Óvoda-Kinder, dann alle Schüler, dann die Musikkapelle, dann die Ministranten, dann die Erstkommunionskinder mit den Lampen und dann der Pfarrer mit Tabernakel unter einem Himmelszelt33, dieses haben vier Mann getragen, dann der Kirchenchor vor der Musikkapelle. Schließlich die Männer und ganz am Ende die Frauen. Während der Prozession wurde stets gebetet und gesungen. (Die Trachtenkleider waren schon modern, baurisch).
Ich wollte immer ins Kloster gehen und Nonne werden. Unserer Mutter ihre Cousine, Maria Kristmann, war in einem Kloster Nonne. Wenn sie heimkam und in der Kirche war, dachte ich, die ist näher bei Gott.
Immer wieder bat ich meine Eltern, mit mir ins Kloster zu gehen. Meine Eltern meinten: „Du kannst keine Nonne werden, bist ein zu unruhiges Kind, lebendig und tanzt zu gerne.“ Tati sagte zu Mami: „Fahre mal hin, dann sieht sie wie es dort ist.“ Darauf ist meine Mami mit mir mit der Bahn nach Subotica34 (Sawatin) gefahren.
Von unserer Kreisstadt Sombor war das schöne Kloster 40 km weg. Als wir in das Kloster kamen, war alles so schön: Die großen Zimmer, die wunderbaren Gardinen und Teppiche sowie die große Fenster. Alles hat mir gefallen. Dann begrüßte uns die Oberin und hat dabei ganz leise gesprochen. Ebenso die Cousine. Zum Mittagessen saßen wir in einem festlich gedeckten Tisch mit fünf Personen. Auch das Tischgebet wurde sehr leise gesprochen. Das Essen sehr gut. Alles war schön und sauber.
Mir war es aber zu ruhig und leise, ich wollte nicht mehr in ein Kloster gehen.
In der dritten Klasse waren wir Kinder neun bis zehn Jahre alt, in der vierten zehn und elf. Ein Bube der vierten Klasse hatte einem Mädchen heimlich einen Brief geschrieben. Was er geschrieben hatte, weiß ich nicht. Unser Lehrer Frick erwischte den Brief, las ihn und war darüber sehr aufgeregt. Er schlug dem Bub auf den Hintern, mit einem Lineal aus Eisen. Der Bub ist auf den Fußboden gefallen und der Lehrer hatte ihn auch noch mit dem Fuß getreten. Der Bub hat fürchterlich geschrien. Ich fing an zu zittern, bin aufgestanden zum Lehrer hin und sagte: „Wenn du nicht aufhörst rufe ich mein Tati.“ Der Lehrer schaute mich an: „Du getraust dich, mir das zu sagen.“ Es kam gerade seine Frau Frick herein. Sie hat die ganze Klasse heim geschickt und nahm ihren Mann mit. Familie Frick, mit einer Tochter und drei Söhnen, hatte in diesem Haus eine große Wohnung. Zuhause habe ich es meinem Tati erzählt. Mit dem Bub und seinem Vater ist er am nächsten Tag zum Lehrer um den Vorfall zu besprechen. Es ist so geheim gesagt worden, dass der Frick-Lehrer manchmal zu viel getrunken hat. Von da an hatte er nicht mehr so drauf geschlagen. Die Frick-Neni35 war, im Gegensatz zu ihrem Mann, eine sehr gute Frau. Sie hatte jeden Sonntag die Kirche mit frischen Blumen geschmückt.
Ich holte jeden Freitag nach der Schule bei den Hausfrauen, den Müttern der Schüler, die Blumen ab, frisch aus den Gärten. Der Frick-Lehrer ist mit uns Kindern jeden Sonntag paarweise in die Kirche gegangen. Er spielte die Orgel und wir haben Kirchenlieder gesungen. Als ich in der dritten und in der vierten Klasse war, haben wir Kinder nach dem Unterricht Theater gespielt und vielerlei gesehen.
So kam einmal ein Mann mit einer 7 m langen Riesenschlange, jedes Kind bezahlt ein Dinar Eintrittsgeld. Der Mann erzählte, woher die Schlange kommt und wie er sie pflegen muss. Ein anderes Mal kam ein Magier, der hat gezaubert. Er sagte: „Das sind zwei kleine Schlangen.“ Mit denen machte er solche Kunststücke, dass die Kinder schrien. Ich fragte neben mir ein Mädchen: „Ich sehe keine Schlange, ich sehʼ nur zwei Ruten mit Schnur.“ Der Magier hat mich und noch vier Kinder zu sich gerufen und uns heim geschickt. Zuhause habe ich es meinen Eltern erzählt. Sie meinten nur: „Der hat euch nicht verzaubern können.“ Es ist auch ein Strickläufer gekommen. Der hatte oben auf dem Dach von einem Haus zu einem Haus über der Straße einen Strick gezogen. Mit einer großen Stange war er darauf rüber und wieder rückwärts zurück gelaufen.
Jeden Montag war in Ridjica ein großer Wochenmarkt. Es wurden Gemüse, Kartoffeln, Geflügel, Schweine und sogar Pferde verkauft. Zwei Frauen boten auch verschiedene Schokolade, Orangen und Äpfel an. Tati hatte in einem guten Sandboden junge Weinreben angebaut. Es dauerte drei Jahre bis Trauben wuchsen. Mami hatte zwischen den Rebenreihen Tomatenpflanzen (Paradeis36) gesteckt. Als diese reif waren, hatten wir handgroße Paradeis. Tati hat davon zwei große Körbe voll auf den Wochenmarkt gefahren. Ich sollte die verkaufen und das Geld sollte dann mir gehören. Er stellte die Körbe neben der Frau mit den Orangen. In ein paar Minuten hatte ein Mann mir die Paradeis komplett abgekauft. Das Geld gab ich dann meiner Mutter für einen von mir gewünschten Kleiderstoff.
In der Schule hatten wir ein Theaterstück mit so 50 Kindern vorgeführt. Es war ein Märchen und hieß „Die Reise ins Gesundheitsland.“ Die Bühne war zu einem Wald mit Zwergenhaus schön hergerichtet. Wir sind im Wald spaziert, haben viel gesungen bis wir bei den Zwergen waren. Diese sagten uns, was gesund ist und man Spinat essen solle. Sie zeigten Pflanzen und Sträucher mit Beeren, die giftig sind. Die Musik hat gespielt, wir sangen „Schwesterchen komm Tanz mit mir, meine Hände reich ich dir“ und so weiter. Dabei habe ich mit einem Zwerg tanzen müssen.
An einem Staatsfeiertag hatten wir eine große Kindervorführung mit allen Klassen. Ich tanzte da russisch mit einem zwei Jahre älteren Mädchen. Eingekleidet wie ein russischer Kosak, musste sie im Sitzen die Beine ausstrecken und anziehen, den Kosakentanz. Ich bin dabei um sie herum getanzt.
Mein Bruder Michl hat mit einem Bub „Pat und Patachon“ gespielt. Michl war der kleine. Unser Bruder Hansi, der erst vier Jahre alt war, spielte einen kleinen Schornsteinfeger. Dazu hat er schon ein serbisches Gedicht vorgesagt. Wir hatten Originalkleider angehabt, die die Eltern selber nähen und richten mussten.
Meine Brüder wollten auf unserem Tor vom Hofeingang balancieren, das oben ja nur vier bis fünf Zentimeter breit war. Sie hatten eine lange Stange genommen und sind hinüber und herüber gelaufen. Dabei ist mein kleiner Bruder runter gefallen und schrie laut. Ich erschrak und wusste nicht was ich machen sollte – unsere Eltern waren nicht zuhause. Gott sei dank hatte er sich nichts gebrochen.
Ich schreibe dies nur, dass unsere Kinder, die Nachkommen lesen wie es bei uns früher war. Kinder haben schon immer dumme Streiche gemacht.
In der Gasse vor dem Haus war ein 5 Meter breiter Weg mit einem 1/2 Meter tiefen Graben. Wenn es geregnet hatte, führte er Wasser. Öfter bin ich darin im Wasser gelaufen und einmal dabei reingefallen. Ich war ganz nass, kalt war es nicht aber eben nicht sauber. Mami schimpfte: „Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst nicht in das dreckige Wasser gehen.“
Einmal hatte mein Bruder Michl mit zwei Spielkameraden neben unserem Strohhaufen Feuer angezündet. Ich schrie vor Schreck. Unsere Mami kam dann gleich mit zwei Eimern Wasser, auch ich habe von unserem Ziehbrunnen Wasser geholt. Als das Feuer gelöscht war, nahm unsere Mami ein Beil und sagte: „Ich hacke dir die Finger ab.“ Michl hatte Angst, er sprang im Hof herum, die Mami ihm nach. Ich hatte auch geschrien: „Nein, nein das machst du nicht.“ Michl: „Bitte, bitte, Mami, nicht nicht.“ Als wir größer waren sagte Mami, dass sie das ja niemals gemacht hätte. Wir haben dann alle gelacht.
Wir hatten zwei Rinder. Die Kühe hatten gekalbt, eine zwei und vier Monate später die andere drei Kälbchen. Es hieß, die sind für uns drei Kinder. Wir hatten große Freude und durften den Kälbchen auch die Flaschen mit Milch geben, denn die Kuh hatte nicht genug Milch für die drei Kälber. Es sind Leute von der Agrar gekommen, die sagten, wir sollen ihnen Namen geben. Es waren ein weibliches und zwei männliche Kälbchen. Meines nannte ich Manzi, der Michl seines Raubritter und der Hansi seines Lord. Als die Kälber acht Monate alt waren, hat sie der Metzger geholt. Wir haben sehr geweint.
In unserer Straße wohnten drei Schulkameraden und noch weitere zwei Mädchen und drei Buben, die zwei und vier Jahre älter als ich waren. Sie spielten im Sommer jeden Abend bis 20 Uhr. Wir zwei, Michl und ich, durften nur bis 18 Uhr raus. Einmal rief unser Tati: „Michili, Katili.“ Wir hatten Verstecken gespielt. Ich unter einer Brücke und konnte nicht mehr heraus, man hat mich nicht gleich gefunden. Mami sagte: „Mit dir hat man öfter Malheur.“
Ein Bub, zwei Jahre älter als ich, spielte mit uns. Auf der Straße ist ein Pferdewagen vom Acker mit einer Walze heimgefahren. Die Walze hatte nach dem Pflügen die Erde geglättet. Ein Nachbar sagte zu dem Bub: „Da traust du dich aber nicht drauf zusetzen.“ Er ist gleich rauf gehüpft, fiel herunter und kam unter die Walze. Er schrie. Die Erde war gerade feucht, so war er sehr „zerdrückt“, hatte sich aber nichts gebrochen. Ich bin gleich heim gesprungen und habe geweint. Seine Mutter hat auch geweint. Der Bub war Emmerich Schmidt. Sein Nachbar hatte gedacht, dass er sich das doch nicht trauen würde, weil er sich sonst viel zutraute. Dem Nachbar seine Enkelin war meine Schulkameradin, die öfter nach der Schule zu ihren Großeltern ging. Wenn der Schmidt Imre auch heimging, haben wir uns hinter unser Tor gestellt bis er vorbei war. Wir hatten Angst vor ihm, denn er war sehr groß und hatte oft die Buben geschlagen. Nach elf Jahren habe ich ihn geheiratet.
Imre seine Mutter war eine sehr gute Frau, die bei allen in der Gasse sehr beliebt war. Mit 34 Jahren ist sie schon früh gestorben, als Imre gerade sieben Jahre alt war.
Als wir verheiratet waren erzählte mir Imre: „Als meine Mutter starb, war es sehr wunderlich. Sie hatte zu ihren Eltern und Schwiegereltern gesagt, heute Nachmittag um 2 Uhr werde ich sterben, sie sollen kommen und beten.“ Ihr Sohn Imre war am Bett gestanden. Sie hatte ihn am Kopf gestreichelt und gesagt: „Sei brav zu deinen Großeltern.“ Es wurde gebetet und um 2 Uhr machte sie die Augen zu und war tot.37
In unserem Dorf gab es zwei Vereine, den Schwäbisch-Deutschen-Kulturbund und den Feuerwehr-Verein. Beide Vereine hatten eigene Fußballmannschaften. Tati war im Kulturbund zum Vorstand – Sportpräsident – gewählt worden. Mami und ich haben dann montags nach den Spielen die Sportkleidung gewaschen, denn die Eltern der Buben wollten sie nur spielen lassen, wenn sie die Kleider nicht selbst waschen mussten. Zu Spielen in Nachbardörfern hat Tati die Mannschaft mit unserem Pferdewagen selbst hingefahren. Ich wollte auch mit und bin auf den Wagen gestiegen. Am Dorfende musste ich jedoch runter und heimgehen.
Einmal spielte die Mannschaft in Gakowa38. Da bin ich zusammen mit meiner Schulfreundin Maria mit Fahrrädern auch hingefahren. Gakowa war neun Kilometer weit entfernt. Auf dem Fußballplatz schauten wir dem Spiel zu, danach besuchten wir ihre Tante, die da wohnte, haben Kuchen gegessen und Traubensaft getrunken. Anschließend fuhren wir wieder heim. Es ist schon 2 km vor unserem Dorf dunkel geworden, so mussten wir die Fahrräder schieben. Wir hatten große Angst, denn nur im Dorf waren Straßenlampen. Mami hatte sich auch schon Sorgen gemacht und drei Buben geschickt, um uns abzuholen, worüber waren wir sehr froh waren. Dabei war auch der Schmidt Imre. Die Buben waren 15 1/2 Jahre alt, wir 13 1/2 Jahre alt. Da wusste ich noch nicht, dass ich den Schmidt Imre heiraten werde.
Als meine Eltern das alte Haus renovierten, ist auch schon in unserem Dorf Ridjica Elektrizität errichtet worden. Unserer Mutter ihrer Cousine ihr Mann, Herr Höger, war Elektriker. Er hat in seinem Haus im Keller den Motor39 eingebaut. Zu zweit hatten sie auf den Gassen und in die Häusern die Stromleitungen eingeführt. Familie Höger eröffnete zu dieser Zeit im Dorf das erste Kino. Es war ein großer Raum, in dem auch Billardtische standen. Auf einer Seite war die Leinwand, davor eine Bühne, auf der auch Theater gespielt wurde. Ich kann mich noch gut erinnern: Einmal wurde das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ aufgeführt. Darsteller waren neun und zwölfjährige Schulkinder. Der Herr Höger hatte auch das erste Auto im Dorf. Ich fuhr einmal mit ihm mit nach Sombor. Da war trockenes Wetter, denn wenn es geregnet hat, waren die Straßen so weich, dass die Räder stecken blieben. Es geschah ein großes Unglück: Der Höger ist in seinem Keller an einer Stromleitung seines selbst eingebauten Motors tödlich verunglückt. Es war eine große Trauer im Dorf. Bei der Beerdigung begleiteten auch Fahnenträger den wunderschön von zwei Pferden gezogenen Leichenwagen.
Der Leichenwagen ist im Buch [Ridjica S 126] neben anderen Bilder zu sehen.
Meine Eltern hatten erst 1929 in dem alten Haus elektrische Lampen einführen lassen. Vorher waren es Petroleumlampen aus dünnem Glas. Das Glas wurde schnell schwarz und musste deshalb jeden Tag geputzt werden.
Unsere Nachbarsfrau war Schneiderin. Mami und ich waren im Winter öfter drüben und haben Handarbeit genäht. Ich habe Decken gestickt. Eine auch für die Wand in der Küche über der Kochstelle des Sparherdes. Der wurde mit Holz, Kohle und Maiskolben – die Kolben unter den Körnern – geheizt. Die Nachbarsfrau hatte da noch Petroleumlampen.
Das junge Ehepaar wollte auf seinem Sallasch40 ein paar Wochen wohnen. Es war Herbst, da war es abends schon kalt. Sie hatten ihr Zimmer mit einem kleinen Ofen aus Eisen mit Brikett geheizt. Das Ofenohr, das Rauch nach außen leitet, hatten sie vor dem Schlafengehen zugestopft, das Abgas blieb im Zimmer. Der junge Mann wollte noch Fenster und Türen öffnen, ist jedoch vor der Türe umgefallen und an Rauchvergiftung gestorben. Die junge Frau lag noch in ihrem Bett und überlebte, trug aber ein schweres Lungenleiden davon, an dem sie ein Jahr später starb. Es war sehr, sehr schwer und traurig für die Eltern. Auch die Leute im Dorf trauerten mit.
Der Frau ihre Eltern, Familie Ricker, waren auch hier in Deutschland und sind 1970 gestorben. Dem Mann seine Mutter wohnte in Neureut bei Karlsruhe zusammen mit ihrem zweiten Sohn der Familie Eifried Adam. Er war mein Groß-Cousin und Schulkamerad, im Jahr 2007 ist er gestorben.
Es waren auch in unserem Dorf aufgeregte Tage, als ich neun Jahre alt war. An einem Vormittag sind Leute bei uns durch das Haus, über die Wiese in die nächste Straße gelaufen. Dort waren zwei Frauen umgebracht worden. Meine Eltern waren nicht zu Hause.
Es waren Schulferien Ich bin den Leuten hinterher, viele Leute standen vor dem Haus. Es wurde gesprochen: „Die Hausfrau und ihre Schwiegertochter sind mit dem Beil erschlagen worden.“ Ich bin die drei Stufen zur Hauseingangstür rauf gegangen und habe am Schlüsselloch rein geschaut. Die tote junge Frau lag blutig auf einem Tisch. Die Polizei hat uns heim geschickt. Als meine Eltern heimkamen, erzählte ich es ihnen. Sie wussten es schon. Einige Wochen im Dorf war es das Gespräch:
Der Vater und sein Sohn waren auf ihrem Gutshof (Sallasch). Als der Vater frühmorgens heimkam, meldete er das Geschehen. Es ist gesprochen worden, dass er es selber war. In der Zeitung war zu lesen, dass er Kaution bezahlt hatte und das Gerichtsverfahren eingestellt wurde. Nach ein paar Jahren heiratete der Mann (Vater) eine zweite Frau. Bei der späteren Vertreibung flüchteten sie nach Ungarn. Als der Mann krank wurde, soll er im Sterbebett zu seiner zweiten Frau gesagte haben, das er der Mörder war. Das war allerdings nur ein Gerücht.41
Im Juli begann die große Ernte bei den Bauern. Das Korn Roggen wurde zuerst reif. Wir Kinder halfen auch mit, dabei band man von Hand mit Bändern den Roggen zu Garben. Ein paar Jahre später, 1935, war im Dorf dann schon viel maschinell. Die Dreschmaschinen sind von Haus zu Haus mit 10 Arbeitern gezogen, um den Weizen zu dreschen. Die Weizenkörner sind in Hanfsäcke zu 50 kg gefüllt worden. Die Männer trugen die Säcke auf den Schultern auf die Bühne zum trocknen. Das Stroh (Stallstroh) haben Männer auf einen 3 m hohen Haufen gesetzt. Frauen haben unten die Spreu weggetragen. Die Hausfrauen haben gut gekocht, Getränke wurden den ganzen Tag herumgereicht. Bei dem vielen Staub im Haus war der Durst groß. Wir hatten sehr gutes Trinkwasser, auch Sprudel, es hieß Sodawasser, außerdem vielerlei Fruchtsäfte. Das Sodawasser und die Fruchtsäfte, in unserer Mundart hieß es Krachl42, haben meine Cousine mit ihrem Mann Adam Bischoff in ihrem Haus hergestellt. Abgefüllt war es in Spezialflaschen, die Krachl-Flaschen. Diese hatten oben einen engen Hals, in dem eine runde Glaskugel saß. Zum Ausschenken musste diese nach unten gedrückt werden, dabei hatte es „gekracht.“
Nach der Ernte im August saßen die Hausfrauen jeden Nachmittag vor dem Haus auf der Gasse beisammen., beschäftigt mit Handarbeit, der Lochstickerei Rüschele43: Sticken für unsere Tracht. Weiße, wertvoll gestickte Unterwäsche. Diese Tracht war schon 10 Jahre vor mir in Ridjica allgemeine Mode. Im August gab es sehr heiße Tage, an denen wir Schutz unter großen Schattenbäume hatten. Eine Geschäftsfrau ist mit einem hohen Zweirad-Handwagen in der Gasse mit selbstgemachtem Vanille- und Schokoladeneis zum Verkauf herumgefahren. Fast keine Frau konnte da widerstehen. Gegessen wurde aus einer eigenen Glasschale mit vier bis fünf Eiskugeln.
Der Schwäbisch-Deutsche-Kulturbund veranstaltete ein Erntedankfest. Schon acht Tage vorher wurde es vorbereitet. Wir Mädchen haben auch mitgeholfen. Frauen brachten wir die Weizenähren für Kränze. Die Erntekrone und ein großes Kreuz wurden geflochten. Am Festsonntag frühmorgens wurde ein Umzug aufgestellt. Wir Mädchen, 10 Jahre jung, waren weiß gekleidet und haben die geflochtenen Ehrenkränze in die Kirche zur Einweihung getragen. Es war ein schönes großes Fest.
Im September nach der Ernte war wieder sonntags Tanz. Die Bauerstöchter hatten wieder neue Kleider bekommen. Meine Altmami sagte: „Das ist schon alles übertrieben, der Gott wird uns bald bestrafen.“ Die Hoffahrt44, der Stolz war wirklich groß. In den meisten Familien gab es nur einzige Kinder.45 Nur ich mit meinen zwei Brüdern und zwei in meiner Klasse hatten noch Geschwister. Es gab in unserem Dorf zwei Geschäfte für Schnittwaren. Beide jüdische Geschäftsleute hatten die Stoffe aus England und Prag bezogen.
Jedes Mal nach der Ernte, zu Weihnachten, zu Fasching und zu Ostern wurden neue Kleider gekauft. Denn da war wieder sonntags Tanz.
Zuvor wurden die Stoffe bestellt. Den Eltern wurde Bescheid gegeben, wenn die neuen Stoffe dann eingetroffen waren: steife Seide, sehr teuer. Einfarbig in verschiedenen Farben, auch mit bunten Plüschblumen (Flor). Meine Mutter wollte für mich auch etwas bestellen und fragte mich welche Farbe ich gern hätte. „Keine“, sagte ich, „so einen teuren Stoff will ich nicht.“
Meine Eltern waren sehr traurig. Sie meinten, die Leute werden sagen, weil wir drei Kinder haben, können wir uns das nicht leisten. Ich sagte: „Es sollen alle sagen, was sie wollen, so einen teuren Stoff will ich nicht.“
Die teuren Kleider wurden jeden ersten Sonntag im Monat in die Kirche angezogen. Nachmittags nochmals zum Tanz, nur für zwei Stunden. Dem Tanzpartner wurde ein weißes Taschentuch mit umgehäkelten Spitzen gegeben. Diese musste er so in der Hand halten, dass die Bluse am Rücken nicht feucht wurde. Es war ein unglaublich eitles Brauchtum in unserem Dorf.
Zur Firmung, ich war 12 Jahre alt, schenkte mir meine Firmpatin so ein teures einfarbiges Kleid. In unserem Dorf war die Firmung ein großes Fest.
Meine Firmpatin, Elisabeth Höger, war die Tochter der Cousine meiner Mutter. Sie war nur drei Jahre älter als ich. Sie selbst hatte keine Trachtenkleider mehr getragen. Ich dachte damals: „In zwei bis vier Jahren werde ich auch keine Trachtenkleider mehr anziehen.“
Von der Firmpatin bekam ich einen Stoff um ein Kleid zu nähen und ihr eigenes fertiges Trachtenkleid.
Der Stoff war feine dünne Seide, die steife Seide hatte einfarbige Plüschblumen, ebenso das fertige Kleid der Firmpatin. Nach der Messe mit der Firmung konnte man vor der Kirche an aufgebauten Verkaufsständen, Schmuck und Süßigkeiten kaufen. Ich bekam eine Kette mit echten Edelsteinen und eine mit Korallen. In unseren Dialekt nannten wir die Kette Kurelle46.
Danach ging es zur Firmpatin, wo der Mittagstisch schon schön und festlich gedeckt war. Von dem feinen Essen wurden alle satt.
In unserem Dorf Ridjica war jedes Jahr im Mai am Christi Himmelfahrtstag Kirchweihfest, in unserer Mundart Kerweih47. Die Kirche wurde am 8. September 1825 zur Maria Geburt geweiht. Die Kerweih war das größte Fest im Jahr. Die Häuser wurden alle frisch gestrichen, die Gassen gesäubert, die Straßen mit Sand aufgefüllt, so dass die Pferde mit den Parade-Wagen sauber blieben. Von den Nachbardörfern kamen die Verwandten. Meiner Mutter ältester Bruder, Johann Kristmann, war in Kruschiwl verheiratet. Sie hatten zwei Töchter und vier Söhne. Eine Tochter mit eigener Familie kam zu uns. Sie hatten wiederum zwei Mädchen. Ihnen und uns drei Kindern war es eine große Freude. Die Pferde waren mit ihrem Parade-Geschirr eingespannt. Auf dem Parade-Wagen mit zwei Sitzen aus Leder, waren die teuersten Kleider hinten in einer großen Holzkiste verpackt.
Vor dem Frühstück sind die Gäste angekommen. Die Speisetafel war schon gedeckt, mit Porzellangeschirr und Silberbesteck. Schöne weiße Damast-Tischdecken. Es gab schon Gulasch (Paprikasch48), Kaffee, Milch, Weißbrot und Kleingebäck. Vor dem Frühstück bereits selbst gebrannten Schnaps, aber nur für Männer und Frauen. Nach dem Frühstück kleidete man sich für die Kirche um. Es gab eine Frühmesse von acht bis neun Uhr und ein Hochamt mit Kirchenchor und Blaskapelle von zehn bis 11:30 Uhr. Vor der Kirche waren wieder viele Verkaufsstände aufgebaut, so wie hier am Weihnachtsmarkt.