Kein Wetter für Dachdecker und kleine Gänschen - Erdmann Gilbeau - E-Book

Kein Wetter für Dachdecker und kleine Gänschen E-Book

Erdmann Gilbeau

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Beschreibung

Erdmann lebt in dem Teil Deutschlands, der sich dem Aufbau des Sozialismus verschrieben hatte. Im Jahr 1983 beendete er seine zehnjährige Polytechnische Schulbildung. Im Alter von sechzehn Jahren begann er, nicht ganz seinen persönlichen Wünschen entsprechend, mit gemischten Gefühlen eine Lehre als Dachdecker. Der Direktor seiner Schule hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Erdmanns berufliche Zukunft sorgfältig zu verbauen. Erdmann, der kein stromlinienförmiger sozialistischer Schüler war, verdiente in seinen Augen keine weitere Bildung oder gar die Chance auf eine akademische Laufbahn in der sozialistischen Gesellschaft. Meister Gebauer und seine Gesellen, die Erdmanns Ausbildung übernommen haben, gehen dabei nicht immer mit Samthandschuhen vor. So wie jedes Dach eine neue Herangehensweise erfordert, so unterschiedlich sind die Gesellen, mit welchen Erdmann es tun bekommt. Glücklicherweise ist Erdmann mit einer großen Portion Humor gesegnet, so dass er dennoch in den meisten Fällen was zu lachen hat.

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Für alle Meister, Gesellen und Lehrlinge des ehrenwerten Dachdeckerhandwerks.
Vor allem für: Dachdeckermeister H.G. und die Gesellen: Horst, Wolfgang, Karl-Heinz, Klaus, Jörg, Joachim, Bernhard, Helmut, Torsten, Thomas, Uwe, Norbert und den genialen Klempner Lothar.
Mein besonderer Dank gilt der ausgezeichneten Lektorin Jeanine Ziebarth, die mich bei der Arbeit an diesem Buch unterstützt hat.

Inhaltsverzeichnis

Ausgebrannt

Fressen

Huro

Stehen geblieben

Handel

Beobachtet

Rückwärtsgang

Messer

Kohlen

Atze

Waagerecht

Lügen

Dachböcke

Klebrig

Schule

Sand

Sturm

Schindeln

Dispatcher

Blind

Stehvermögen

Geburtstag

Glut

Bus

Schloss

Reparaturen

Atom

Ziegel

Aufzug

Schnee

Anfang

Ausgebrannt

Früh am Morgen, an einem Montag im September, als die spätsommerliche Sonne die Welt mit ihren goldenen Stahlen erwärmte, während die Zeichen des kommenden Herbstes unübersehbar waren, fuhr Erdmann mit gemischten Gefühlen mit dem Fahrrad in Richtung Stadtrand.

Der Tierpark der Stadt war sein Ziel. Dort sollte seine Laufbahn als Dachdecker beginnen.

Viel hatte der Meister nicht gesagt, nur dass er im Tierpark zwei junge Gesellen treffen würde.

Die beiden – und somit wohl auch er – hatten den Auftrag, dem Dach der Baracke, in der die Kasse und die Sozialräume für die Tierpfleger untergebracht waren, eine neue Lage Dachpappe zu verpassen.

Am Eingang des Tierparks war nichts zu sehen.

Hinter dem Fenster der Kasse saß eine ziemlich mürrisch dreinblickende Mitarbeiterin des Tierparks, beschäftigt mit dem Durchsehen irgendwelcher Akten.

Erdmann klopfte vorsichtig an die Scheibe. Die Frau drinnen zeigte keine sichtbare Reaktion. Etwas derberes Klopfen bewog die Kassendame, den Kopf zu heben und sich dem Störenfried zuzuwenden.

»Guten Morgen! Ich bin auf der Suche nach den Kollegen von der Firma Gebauer.«

»Was soll das heißen?«, fiel die Antwort ziemlich barsch aus.

»Ich … Ich bin der neue Lehrling der Firma Gebauer. Ich suche meine Kollegen. Der Meister hat gesagt …«

»Was denn? Der neue Lehrling? Warte mal!« Die Miene der Frau hellte sich ein wenig auf und es kam überraschend viel Bewegung in sie – mehr als Erdmann erwartet hatte. Beim Aufstehen hob sie mit der einen Hand den Hörer des Telefons ab, während sie mit der anderen Hand die Wählscheibe bediente, wobei sie Erdmann mit einem wahrhaft durchdringenden Blick bedachte.

»Ja, ich bin’s. Sag mal, Paul, kommen heute die Dachdecker? Ja, gut, denn hier steht einer und sucht seine Kollegen, so ein kleines, spilliges Kerlchen. Sagt, er wäre der Lehrling.«

Kaum lag der Hörer wieder auf der Gabel des Telefons, kam eine Schwalbe um die Ecke. Sie hielt direkt vor dem Eingang des Tierparks. Zwei in Arbeitsklamotten gekleidete Burschen stiegen ab.

»Oh. Da sind sie, die Dachdecker. Ich habe hier einen Lehrling, der seine Gesellen sucht«, wurden die beiden von der Kassenfrau begrüßt, woraufhin der eine den anderen fragend ansah.

»Ach ja, der neue Lehrling. Das hatte ich ganz vergessen.

Der Alte wollte uns den neuen schicken.«

»Schön, das freut mich«, war die Antwort, gewürzt mit einer satten Portion Sarkasmus und Skepsis.

»Na, dann wollen wir mal!« Erdmann trabte den beiden mit einem Knoten im Magen hinterher, verfolgt vom belustigten Blick der Kassiererin. Sie kamen an einem blechernen, rostigen Ofen zum Stehen, neben dem ein Haufen Feuerholz und Kohlen lagen. Daneben standen mehrere Eimer und eine enorme pechschwarze Suppenkelle lag davor. Zwei riesige Blechbüchsen, an denen eine Axt lehnte, befanden sich unweit des Ofens.

»Bernd, du zeigst dem Stift, wie man den Ofen anmacht, und ich hacke die Masse auf«, teilte der Schwalbenfahrer mit dem Namen Jockel die Arbeiten ein, bevor er eine der riesigen Blechbüchsen umstieß und mit der Axt den Deckel und den Boden entfernte. Mit einigen wohlgezielten Hieben, die er in einer Reihe in der Mitte der liegenden Rolle setzte, trennte er die metallene Verpackung von oben nach unten beziehungsweise von vorn nach hinten auf. Das Blech ließ sich wie eine Schale vom Inhalt lösen. Hervor kam eine tiefschwarze, glänzende Masse, die aussah wie eine riesige Rolle Plaste, die unter einigen Axtschlägen in Stücke zerfiel. Das Feuer im Ofen war schnell angebrannt und der Kessel eingesetzt. Dann wurde der Kessel mit den Bitumenstücken befüllt.

Damit erlahmten die Aktivitäten erst einmal. Jockel zündete sich eine Zigarette an und Bernd nahm auf einer der für die Besucher des Tierparks vorgesehenen Bänke Platz.

»Du bist also der Neue«, stellte er mehr fest, als er fragte.

»Du bist aus G.?«

»Ja. Ich bin aus G.«

»Und wie bist du zu uns gekommen?«

»Wie zu euch?«

»Na, wie bist du denn auf die geniale Idee gekommen, Dachdecker zu werden?«

Eine Frage, die Erdmann eigentlich nicht beantworten konnte, und wenn, dann wäre die Antwort lang gewesen.

»Na ja. Ich habe mich halt beworben und so. Dann bin ich beim Meister gewesen. Der hat mich dann eingestellt.«

»Sei nicht so neugierig. Ich weiß auch nicht mehr genau, wie ich hierher geraten bin«, beteiligte sich Jockel am Gespräch.

»Frag dich lieber, warum du noch hier bist. Warum ich es mit dir den ganzen Tag aushalte«, bemerkte Bernd trocken.

»Weil du sonst keinen hättest, der dir sagt, was du machen sollst. Der Alte hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen«, gab Jockel nicht ganz ernst gemeint zurück.

»Na klar! So siehst du aus! Du kannst doch kaum auf dich selber aufpassen. Stell lieber die Leiter an, sonst kommen wir heute nicht mehr aufs Dach«, antwortete Bernd unbeeindruckt.

»Schon gut. Wir legen die Pappe aus und der Stift passt auf den Ofen auf!«

Die beiden verschwanden auf dem Dach und Erdmann blieb allein beim Ofen zurück. Was er tun sollte, war ihm nicht wirklich klar. Auf den Ofen aufpassen? Weglaufen konnte der wohl kaum. Hatte er nicht verstanden, was er machen sollte, weil er zu nervös war oder hatten die beiden keine wirkliche Erklärung abgegeben? In seinem Kopf fuhren die Gedanken Karussell.

Er sah sich um und betrachtete die Umgebung. Die erste Baustelle: der Tierpark. Etliche Jahre war er nicht mehr da gewesen. Als Kind war er mehrmals im Jahr hergekommen. Der Tierpark war nicht sehr groß, aber doch von interessanten Tieren bewohnt. Es war immer etwas zu sehen gewesen. Seien es die Bären, deren Junge aufgrund ihrer Größe noch durch die Gitter schlüpfen konnten und sich vor ihm aufgebaut hatten, bis die Gitter auch auf ihre kleineren Maße angepasst waren, oder seien es die Hängebauchschweine gewesen, die sich lautstark im Schlamm gesuhlt hatten.

Von Zeit zu Zeit legte er ein Stück Holz nach, weil es ihm richtig erschien, das Feuer am Laufen zu halten. Von den beiden Gesellen war bis zum Mittag nichts zu hören und zu sehen. Sie machten sich auf dem Dach der Baracke, in der die Kasse des Tierparks untergebracht war, zu schaffen.

Inzwischen dampfte der Kessel. Aus den Bitumenstücken war längst eine heiße, träge und blasenbildende Flüssigkeit geworden.

Die Mittagspause verbrachten die drei, von der Herbstsonne beschienen, auf einer Bank in Sichtweite des Bärenkäfigs, der inzwischen nur noch von einem riesigen braunen Bären bewohnt war. Der genoss es, von einem Mitarbeiter des Tierparks mit einem kräftigen Wasserstrahl bespritzt zu werden. Während Erdmann seine mitgebrachten Wurstbrote vertilgte, sah er zu, wieder Bär sich wohlig brummend drehte, damit auch der Rücken, der Bauch und das Hinterteil gleichmäßig vom Wasser massiert wurden. Dem Tierpfleger schien die Prozedur genauso viel Spaß zu machen wie dem Bären.

Kaum hatte Erdmann die letzten Bissen heruntergeschluckt, stand Jockel schon wieder auf und wies ihn ein, wie er die Eimer zu füllen hatte und die Masse nachlegen konnte, ohne sich die Finger zu verbrennen.

Für Erdmann war die Ruhe vorbei. Er zerlegte das Bitumen mit der Axt in handliche Stücke und bugsierte eins nach dem anderen in den Kessel. Zwischen dem Nachlegen der Kohlen und dem Holzhacken füllte er die heiße Masse mit der großen Schöpfkelle in Eimer, um sie zur Baracke zu tragen, wo sie von Jockel und Bernd hochgezogen wurde. Sehr schnell stand ihm der Schweiß auf der Stirn.

Auf dem Boden der blechernen Eimer blieb immer ein Rest zurück. Dicker und dicker wurde die Schicht, die Eimer immer schwerer. Außen an den Eimern klebten unzählige Lagen von erstarrten Bitumenfäden. Zum Verteilen der kochenden Klebemasse nutzten die Gesellen eine Bürste mit Besenstiel. Der zähflüssige Kleber tropfte vom Besen und zog Fäden wie Käsefondue. Beim Arbeiten musste immer auf die Windrichtung geachtet werden, da sich diese Fäden beim leisesten Luftzug um die Hosenbeine wickelten. Jockel und Bernd gaben sich die größte Mühe, die Stärke und die Richtung des Windes richtig vorherzusehen. Sie führten einen vom Wind choreografierten Tanz um ihre Eimer aus, wobei es ihnen nicht gelang, den fliegenden Fäden vollständig aus dem Weg zu gehen. Die Hosenbeine abwärts der Knie bekamen über kurz oder lang ihren Teil Klebemasse ab. Die Eimer glichen am Ende des Tages vielmehr einem bizarren Kunstwerk als einem Arbeitsgerät.

»Die müssen wir morgen früh erst einmal ausbrennen«, stellte Jockel fest.

Am nächsten Morgen nahm Jockel die drei Eimer, stellte sie jeweils auf einen der Backsteine, die er irgendwoher gezaubert hatte, und kippte in die Eimer jeweils einen guten Schluck Bitumenkaltanstrich hinein. Er zerknüllte Zeitungspapier und formte daraus Papierbälle. Einen nach dem anderen brannte er vorsichtig an und bevor die Flammen seine Finger erreichten, warf er in jeden der Eimer einen brennenden Papierball. Er trat einen Schritt zurück, wobei er Erdmann zu verstehen gab, es ihm gleichzutun. Aus den Eimern kam lange Zeit nur leichter Rauch, der dünner und dünner wurde. Gerade als Erdmann den Mund aufmachte, um sich nach dem Sinn des Manövers zu erkundigen, züngelten die ersten orangefarbenen Spitzen schüchtern über den Eimerrand.

Wenige Sekunden später schlugen die Flammen schon einen Meter hoch. Erdmanns Frage blieb ihm im Halse stecken.

Die Flammen wuchsen höher und höher, schlossen sich zu einem beachtlichen Feuerball zusammen. Die Hitze wurde unerträglich und Erdmann vergrößerte den Abstand weiter.

Verunsichert warf er einen Blick in Richtung seiner Chefs. Ihm erschien das alles nicht normal. Bis dahin hatte er, vorzugsweise mit seinen Freunden, das eine oder andere Feuer im heimischen Garten entzündet.

Feuer, in dem Laub und Äste entsorgt wurden. Feuer, in deren Asche Kartoffeln geröstet wurden. Feuer, die übersichtlich waren und blieben. Feuer, vor deren Gefahren er eindringlich gewarnt wurde und denen dennoch die ein oder andere vorwitzige Haarlocke zum Opfer gefallen war. Feuer, die völlig harmlos wirkten, verglichen mit der Feuersbrunst, die sich vor seinen Augen entwickelte.

Die Eimer waren längst untergegangen in einem Meer aus Flammen und schwarzem Rauch. Ein großer brauner Fleck von verdorrtem Gras rund um den Brandherd breitete sich immer weiter aus. Eben noch grünes Gras verbrannte dampfend und zischend in flirrender Hitze.

Die beiden Gesellen schienen keineswegs beunruhigt im Angesicht der Gefahr, dass womöglich der ganze Tierpark Feuer fangen könnte. Jockel, mittelgroß mit dunklem Haarschopf, brannte sich eine Zigarette an, um gelassen die lodernden Flammen und dunklen Wolken zu betrachten. Bernd, der Jockel in nichts nachstand – helle Haare, blaue Augen, welche die Ruhe, die er ausstrahlte, mit einer Prise Schalkhaftigkeit würzten –, erwiderte Erdmanns nervösen Blick mit einem aufmunternden Schmunzeln.

Die Gelassenheit, die von beiden ausging, beruhigte Erdmann und verhinderte panische Reaktionen seinerseits. Die Beine wurden ihm dennoch weich und er hätte sich nicht gewundert, wenn die Feuerwehr heran heulen würde. Beinahe verabschiedete er sich von seiner Lehre, die kaum begonnen hatte. Allerdings nur, wennder Rest des Tierparks tatsächlich verschont bleiben sollte. Wenn nicht … Das wollte er sich gar nicht erst vorstellen.

Währenddessen nahmen die Flammen fast ebenso schnell ab, wie sie sich erhoben hatten. Nachdem die Eimer wieder aus der meterhohen Feuerwand aufgetaucht waren, züngelten die Flammen kaum noch über die Ränder. Kurze Zeit später hatte sich der Qualm vollständig verzogen und auf den Backsteinen standen drei saubere und kochend heiße Blecheimer. In einem Umkreis von drei oder vier Metern hatte sich alles in Asche verwandelt. Es stand kein einziger Stängel mehr auf der etwas abseits liegenden Wiese und der kohlrabenschwarze Boden qualmte noch etwas. Doch der Tierpark stand noch. Nicht einmal die Tierpfleger hatten, zu Erdmanns größter Verwunderung, von dem Treiben Notiz genommen.

»Komm, wir machen erst mal Frühstück. Gearbeitet ist dann schnell«, ließ Jockel die beiden anderen wissen. Sie setzten sich an einen Tisch, der mit einem Dach und zwei Bänken verbunden war. Erdmann wollte die mitgebrachten Bemmen herausholen.

»Brauchst du nicht. Der Herr Kettler hat heute Geburtstag und hat für uns was zum Frühstück mitgebracht«, teilte Bernd mit, während aus Jockels Tasche Brötchen, ein stattlicher Klumpen frisches Gehacktes und drei Flaschen Bier zum Vorschein kamen. Erdmann war positiv überrascht und aß mit großem Appetit. Wobei ihm nicht der Gedanke kam, sich mit einer Gratulation zu bedanken. Über das Bier wunderte er sich ein wenig, nahm es aber als selbstverständlichhin. Immerhin hatte er schon des Öfteren auf einer Baustelle Handlanger gespielt – meist samstags, um sein Taschengeld aufzubessern. Da war es nicht unüblich, ein Bier zu trinken.

Da fuhr vor dem Tierpark ein alter Wartburg vor. Durch den Zaun war die Annäherung des Autos, schon lange bevor es das Tor passierte, zu sehen.

»Oh, der Alte! Mist! Schnell das Bier weg. Schnell«, warnte Bernd. Er hatte den Meister als Erster erspäht. Die Flaschen verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren in einem Abfalleimer des Tierparks. Gut, dass die kleinen Pilsner schon ausgetrunken waren.

»Guten Tag, die Herren! Wie macht sich der neue Lehrling?« Die Frage machte klar, warum es den Meister außer der Reihe auf die Baustelle getrieben hatte.

»Er fällt zumindest nicht über seine eigenen Schuhe und schläft beim Laufen nicht ein«, antwortete Jockel dienstbeflissen.

»Viel mehr lässt sich noch nicht sagen, Chef!«, fügte Bernd hinzu.

»Schön! Schön! Hrrm!«, nahm der Meister die Auskunft blinzelnd zur Kenntnis. Seine sehr beweglichen Augen schienen alles auf einmal erfassen zu wollen.

Es folgten noch drei, vier Sätze, die die Baustelle betrafen. Erdmann wagte kaum zu atmen, weil er befürchtete, dass der Meister von seinem Bierkonsum Wind bekommen könnte.

Nicht nur ihm fiel ein Stein vom Herzen, als der Alte, wie ihn die Gesellen nannten, wieder im Auto saß und nur eine Staubwolke hinterließ.

»Na, da haben wir ja noch mal Glück gehabt«, konstatierte Jockel.

»Ja. Es hätte gerade noch gefehlt, dass er den Lehrling am zweiten Tag mit einem Bier erwischt hätte«, stimmte Bernd zu.

Erdmann wurde klar, dass es doch nicht so selbstverständlich war, Bier zum Frühstück zu trinken wie auf den samstäglichen Schwarzbaustellen. Er war heilfroh, dass es so glimpflich ausgegangen war. Er hätte seinen Eltern kaum klarmachen können, dass er am zweiten Tag der Lehre durch Biertrinken die Ausbildung riskiert hatte.

Der Rest des Tages verging schnell und ohne weitere Zwischenfälle.

Auf dem Heimweg, als Erdmann in die Pedale trat, ließ er den Tag Revue passieren. Zu Hause angekommen, war er sich dann nicht ganz sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte oder ob er doch lieber eine andere Lehre begonnen hätte. Andererseits war Meister Gebauer der Einzige, der ohne Zögern die Zusage gegeben hatte.

Fressen

Ein plötzliches lautes Geräusch ließ Erdmann aus dem Tritt geraten. Nur mit Mühe konnte er die Rolle Dachpappe auf der Schulter ausbalancieren. Ein riesiger Truthahn stand am Zaun seines Geheges. Genau da, wo Erdmann in einer Entfernung von kaum einem halben Meter vorbeiging. Der Truthahn reichte Erdmann fast bis zur Brust. Der Kopf knallrot, der Hautlappen, der von seinem Schnabel hing, wurde länger und länger, während er den Kopf schüttelte und dabei aus Leibeskräften schrille, gurgelnde Geräusche von sich gab.

Je weiter sich Erdmann vom Zaun entfernte, desto ruhiger wurde der Truthahn. Selbst der merkwürdige runzlige Hautlappen, der vom Kopf des Truthahns hing, verkürzte sich wieder auf eine anständige Länge. Erdmann lud die Pappe ab und machte sich auf den Rückweg, wobei er wieder am Gehege des Truthahns vorbeikam.

Der hatte Erdmann nicht aus den Augen gelassen und machte erneut seinem Unmut lautstark Luft, je näher Erdmann kam, wobei der Kopf aufs Neue die knallrote Farbe annahm und der Hautlappen sich abermals zusehends verlängerte. Ein Ritual, das sich jedes Mal wiederholte, wenn Erdmann oder einer seiner Kollegen am Zaun vorbeilief.

Nachdem sie sich um das Dach des Hauptgebäudes gekümmert hatten, waren Erdmann und seine Gesellen dabei, einige Dächer im Tierpark zu flicken. Dass die Dachpappe nicht leicht war, hatte Erdmann inzwischen gelernt. Ebenso hatte Jockel ihm gezeigt, wie er die Dachpappe auf die Schulter bekam, ohne, wie es Bernd ausdrückte, über dem Gürtel abzubrechen.

»Ob der Lehrling heute Vormittag was gelernt hat?«, fragte Jockel in Richtung Bernd.

»Ich weiß nicht. Zumindest, warum es heißt, dass du einen ›Zapfen‹ hängen hast, wenn du sauer bist«, meinte Bernd.

»Meinst du? Der Truthahn sieht schon irgendwiekomisch aus, wenn er bockig wird«, fand Jockel.

»Der Krawall, den er macht, weckt Tote auf. Aber wir waren doch beim Stift hängen geblieben und was der …«

»… gelernt hat«, beendete Bernd Jockels Satz. »Wer weiß schon, was in seinem Kopf vor sich geht. Wollten wir nicht heute noch mit dem Bärenkäfig anfangen?« Erdmann wusste nicht, was er von der Unterhaltung seiner Gesellen halten sollte. Auch wusste er nicht, wie er sich daran beteiligen sollte, und entschied sich dafür, den Mund zu halten. Nach einer Woche als Lehrling schien ihm diese Lösung am besten.

»Ja doch! Das wollen wir. Lass uns mal sehen, wie und wo wir am besten angreifen können.« Sie gingen langsam in Richtung Bärenkäfig. Erdmann folgte ihnen mit einigem Abstand. Da er nichts zu tun hatte, versuchte er sich so unauffällig wie möglich zu geben, da die Gesellen sonst nur auf dumme Ideen kamen, wenn sie ihn ohne Beschäftigung wähnten. So viel hatte er schon mal gelernt.

Der Braunbär hatte sein Quartier gleich im Eingangsbereich. Er bekam sein Fressen mithilfe einer Art Schaufel, die der Tierpfleger durch die dafür vorgesehene Öffnung im Gitter schob. Er überließ die Schippe samt Inhalt dem Bären und ging die nächsten Tiere versorgen.

Jockel sah zu, wie der Bär sein Fressen in Empfang nahm. Ruhig und gelassen machte der Bär sich daran, das Futter zu inspizieren, und schließlich begann er zu fressen. Jockel trat hinzu und wackelte an der Schaufel, deren Griff in Kniehöhe aus dem Gehege ragte. Der Bärhörte auf, geräuschvoll zu kauen, und beobachtete das Wackeln seines Futters ohne ein Zeichen von Aufregung. Jockel zog und rüttelte stärker an der Futterschippe. Der Bär hob den Kopf langsam höher und sah den merkwürdigen Bewegungen seiner Mahlzeit zu. Diese Gleichgültigkeit seitens des Bären ließ Jockel sein Tun weiter intensivieren. Er zog die Futterschippe unter weiterem Schlackern und Schütteln ein Stück heraus und schob sie wieder rein und so fort. Durch den ziemlich kurzen Griff der Schippe und die hektische Tätigkeit, in die sich Jockel immer weiter hineinsteigerte, kam es, dass er und der Bär inzwischen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren – nur getrennt durch einige stabile Gitterstäbe. Der Bär begann leise zu brummen. Sein Kopf schwang bedächtig hin und her.

Plötzlich ließ Jockel die Schaufel los und versuchte rückwärts zu springen, wobei er nach hinten umfiel und über den Rasen kullerte. Mit einem letzten Schwung kam er wieder auf die Beine und blieb schwankend mit verdutztem Gesicht stehen.

»Beinahe hätte mich der Bär erwischt!«

Der Bär hatte mit einer seiner Pfoten blitzartig, ohne Vorankündigung, durch das Gitter gegriffen und Jockels Jacke nur um Haaresbreite verpasst. Die nötige Ruhe beim Fressen war damit wiederhergestellt.

Bernd lachte herzhaft. »Das hast du davon, wenn du den Bären ärgerst«, prustete er außer Atem. »Wie hätte der Alte das deiner Mutter erklären sollen? Den Arm von einem Bären abgebissen!«

Jockel pumpte noch wie ein Maikäfer und versuchte sich über die Situation klar zu werden.

»Der Alte! Er würde überall rumfahren und allen erzählen, was los war. Als Erstes würde er zu Karlo fahren: ›Hrrm! Hrrm! Stell dir vor, Karlo. Den Kettler hat der Bär zum Frühstück gefressen!‹« Bernd lachte immer noch.

»Das kann ich mir vorstellen. Da haste mal eine kleine Rauferei mit einem Bären, schon wirst du für tot erklärt. Schöne Kollegen!«, war Jockel ein wenig säuerlich.

»Ach so, ’ne kleine Rauferei! Dafür bist du aber sehr weit weg gehopst. Sah wie Angsthase auf der Flucht aus.«

»Ach was! ’ne perfekte Stuntrolle war das.« Jockels gesunde Gesichtsfarbe kehrte zurück.

»Nee, Rolle rückwärts«, prustete Bernd.

»Jeder Stuntman wäre stolz. Ich könnte morgen bei der DEFA anfangen. Oder nicht?«, war Jockel stolz auf sich.

»Eher oder! Wir müssen weitermachen! Was soll der Lehrling denken?«, beendete Bernd abrupt die Diskussion.

Erdmann dachte gar nichts. Auch er hatte sich ein Lachen nicht verkneifen können. Aber es schien ihm angemessen, leise zu lachen, ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Am nächsten Tag war Jockel damit beschäftigt, das Dach der Bärenunterkunft mit einem neuen Bitumenanstrich zu versehen. Dächer aus Dachpappe mussten alle paar Jahre gestrichen werden.

Die künstliche Bärenhöhle, ein Anbau am Bärenzwinger, war gut zweieinhalb Meter hoch. Nach oben setzte sich das Gitter des daran angeschlossenen Außengeheges noch zwei Meter fort. Erdmann versorgte Jockel mit dem nötigen Bitumenkaltanstrich und einem Besen zum Verstreichen desselben. Als Erdmann mit dem nächsten Eimer Kaltanstrich ankam und nach Jockel sah, wurde ihm heiß und kalt. Jockel stand auf dem Dach mit dem Rücken zum Gitter. Hinter ihm hing der Bär, mit den Füßen auf dem Rand seiner Höhle stehend, an den Gitterstäben und angelte mit einer Pfote nach ihm.

»Pass auf! Hinter dir!«

Jockel war schneller vom Dach, als Erdmann gucken konnte.

»Den Rest machst du fertig.«

»Aber, ich hab doch keine …«

»Ach? Du hast keine Ahnung. Du hast gesehen, wie es geht!«

»Und wer holt den Anstrich und gibt mir die Eimer hoch?«

»Ich! Gib her! Du gehst hoch und streichst das bisschen!«

Jockel nahm den vollen Eimer, den Erdmann gerade hatte hochgeben wollen, und Erdmann stieg auf das Dach des Bärenkäfigs.

Der Bär hatte sich brummend zurückgezogen und beobachtete die Machenschaften auf dem Dach seiner Unterkunft von Weitem.

Erdmann erledigte auf diese Weise in der ersten Wocheseiner Lehrzeit die erste und vorläufig letzte eigenverantwortliche Arbeit, wobei ihm sogar ein Geselle als Handlanger unter die Arme griff. Wenn der Bär nicht gewesen wäre, hätte er sich auch entsprechend großartig gefühlt, doch so wollte sich keine wirkliche Freude einstellen. Erdmann strich langsam und vorsichtig das Dach mit Bitumenanstrich an, wobei er darauf achtgab, dem Bären nicht den Rücken zuzudrehen. Aber die Aussicht, Erdmanns habhaft zu werden, schien den Bären nicht besonders zu reizen. Vor den lebhaften Bewohnern des Affenkäfigs, es handelte sich um eine Horde Rhesusaffen, wurden die drei von einem mürrisch dreinschauenden Tierparkmitarbeiter gewarnt.

»Passt auf! Die greifen nach allem, was sie erwischen können. Dann ziehen sie es zu sich rein. Ich schätze, euer Werkzeug wollt ihr behalten. Wer weiß außerdem schon, was die Affen mit einem Hammer von euch machen würden! Die Jungen, so niedlich wie die sind, die passen noch durch die Gitterstangen und sie sammeln das ein, was die Großen nicht erreichen. Die hopsen immer in den in der Nähe stehenden Bäumen rum, nur so weit, wie sie die Mütter noch hören und sehen können. Wenn die rufen oder wenn es dunkel wird, kommen sie zurück, drängeln sich wieder durch die Gitter rein und tun so, als wäre nichts passiert. Einfangen kannst du vergessen. Haben wir schon probiert. Gut, dass sie größer werden, dann hat das fröhliche Jugendleben ein Ende.«

Damit überließ der Tierpfleger Erdmann und seinen Kollegen die Affen.

Jockel leitete die Information umgehend an den Lehrling weiter.

»Hast du gehört?! Die Affen sacken alles ein, was sie erwischen. Sieh zu, dass die nichts kriegen können! Und pass auf die ganz kleinen auf. Die passen womöglich noch durch die Gitterstäbe.«

»Schon gut. Ich hab’s gehört!«

Erdmann hatte längst mitbekommen, wie behände die Affen waren und wie flink sie sich Dinge unter den Nagel rissen.

»Bernd, ist das dein Zollstock?«

»Zollstock?« Bernd griff automatisch an seine Zollstocktasche. »Nö, der ist hier!«

»Meiner ist es auch nicht. Komisch. Dort! Siehst du, der große Affe, der hat doch einen Zollstock. Oder?«

Der Chef der Affenbande besah sich einen nagelneuen Zollstock von allen Seiten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, da hatte er raus, wie der Zollstock aufgeklappt wurde. Da er zu forsch heranging, zerbrach der Zollstock knirschend in zwei Teile.

»Ich möchte mal wissen, woher der Affe das Ding hat. Ist jedenfalls ein cleveres Bürschchen. Vielleicht sollten wir den als Lehrling mitnehmen.«

»Gar nicht schlecht, die Idee. Der kommt dorthin, wo wir nicht hinkommen. Aber wir haben schon einen Stift. Und ich könnte wetten, der weiß, wie der Affe an den Zollstock gekommen ist!«

Jockel und Bernd sahen Erdmann an, dem ganz schwummrig wurde.

»Na ja, es ist mein Zollstock! Ich habe ihn nur mal kurz abgelegt, als ich die Dachpappe zurechtgeschnitten habe.«

»Ach! Und was haben wir dir gesagt?« Jockels belustigte Miene passte nicht zu seinen Worten. Bernd lachte. »Zu spät!«

Erdmann war erleichtert ob der gelassenen Reaktion seiner Gesellen.

»Ich konnte nicht wissen, dass die Affenkinder durch das Gitter kommen. Einer von den Burschen hat sich tatsächlich durch die Gitterstäbe gezwängt und sich den Zollstock geschnappt. Schneller, als ich gucken konnte, war er samt dem Zollstock wieder durch das Gitter im Käfig. Als wüsste er, dass ich ihm nicht folgen kann.«

»Du konntest nicht wissen, dass die kleinen Affen durch die Gitter kommen? Ach und was hat der Tierpfleger vor zehn Minuten gesagt? Die Ohren verstopft? Wasch dir die Füße, damit der Dreck nachrutschen kann! Wer nicht hören will, der muss fühlen«, dozierte Jockel.

»Jetzt weißt du jedenfalls, was es bedeutet, sich in affenartiger Geschwindigkeit zu bewegen«, legte Bernd nach.

Als sie zur nächsten Tierunterkunft weiterziehen wollten – das Haus der Hängebauchschweine war stark reparaturbedürftig –, kam der brummige Tierpfleger um die Ecke mit einem großen, blechernen Teller mit frischen Früchten für die Rhesusaffen.

»Guckt euch das an! Den Affen geht’s nicht schlecht. Jedenfalls bekommen die keine Castrokugeln!«, stellte Bernd fest.

»Tatsächlich! Richtige Apfelsinen! Ist ja interessant! Da frag ich mich, woher die Teile sind! Sonst gibt es doch nur die Kubaorangen. Süß und saftig, aber ein

Fruchtfleisch wie Stroh.« Jockel nahm sich eine von den orangefarbenen Früchten und besah sie sich aus der Nähe.

»Stimmt!«, gab der Tierpfleger zu. Und mit verschwörerischer Miene erzählte er leiser: »Es gibt einen Laden für die Genossen oben im Kreml.«

»Wie, oben in der SED-Kreisleitung gibt’s einen Laden?«, wollte Erdmann wissen.

»Ja doch! Dort gibt es das ganze Jahr über frische Südfrüchte. Den Genossen fehlt’s an nichts. Dort hole ich immer die übrigen Früchte für die Affen ab«, erklärte der Tierpfleger den Ursprung der süßen Apfelsinen.

»Da will man doch gleich Genosse werden!«, erwog Jockel mit wenig Überzeugung.

»Nicht wegen ein paar Apfelsinen«, befand Erdmann mit Bestimmtheit.

»Ist auch wieder wahr. Wenn man’s richtig bedenkt, fressen Affen und Genossen aus einer Schüssel!« Jockel nahm das Werkzeug unter den Arm. »Die Affen haben eben vor gar nix Angst. Wir sollten bei den Hängebauchschweinen weitermachen!«

Huro

Nachdem Erdmann die ersten beiden Wochen Berufsschule absolviert hatte, wurde er zwei neuen Gesellen zugeteilt. Die beiden waren sechs oder sieben Jahre älter als er, damit auch zwei oder drei Jahre älter als seine beiden ersten Kollegen. Die zwei hörten auf die Namen Rudi und Billy. Dass es sich dabei nicht um die richtigen Namen handelte, bekam Erdmann erst viele Wochen später mit.

Der Meister wühlte nervös brummelnd mit seinen riesigen Händen in der Schublade seines gewaltigen, aus schwarzem Eichenholz bestehenden Schreibtisches. Nach der ersten folgte die zweite Schublade und die dritte. Als der Meister die vierte öffnen wollte, beendete Rudi diese Tätigkeit, indem er dem Meister eine Zigarette anbot.

Kaum hatte er die Karo im Mund, hatte er sie angebrannt und saugte den Rauch so gierig ein wie ein aus dem Wasser gezogener Schiffbrüchiger frische Luft. Durch den augenblicklich entstandenen Nebel drangen seine Anweisungen.

»Ihr holt mit dem Blauen den Grauen aus der Scheune und schleppt ihn zum Autoschlosser! Der Graue steht schon zwei Wochen in der Scheune. Karlo hat ihn dort abgestellt. Als er ihn wieder abholen wollte, ist er nicht mehr angesprungen.«

Also fuhr Rudi den Blauen aus der Garage. Es kam ein UAZ-Kleintransporter zum Vorschein. Ein Fahrzeug, das Erdmann schon öfters gesehen hatte. Ein Vehikel, das die Sowjetarmee unter anderem als Krankenwagen nutzte. In den endlosen Fahrzeugkolonnen der russischen Armee, die sich von Zeit zu Zeit durch Städte und Dörfer wälzten, fuhren immer auch einige solcher Fahrzeuge mit. In der Stadt und in den umliegenden Gemeinden war eine große Anzahl von russischen Soldaten stationiert, die häufig wegen des einen oder anderen Manövers unterwegs waren. Dabei hinderten sie die halbe Stadt am Schlafen, wenn sie mitten in der Nacht – mit Mann und Maus, mit großen und kleinen Panzern – lärmend durch die Straßen schepperten. Der zivile Einsatz eines solchen Gefährts war Erdmann neu.

Auf die Ladefläche, direkt hinter dem blauen Führerhaus, war ein Windfang aus Blech gebaut worden, vielleicht eineinhalb Meter hoch und 80 Zentimeter tief, unter dem sich zwei alte Autositze fanden.

Billy öffnete die hintere Bordwand der Ladefläche und wartete.

Erdmann sah ihn verwirrt an.

»Schon klar!«

Billy klappte eine an die Bordwand montierte Trittstufe herunter.

»Bitte schön! Kann der Herr Lehrling jetzt vielleicht auf die Ladefläche steigen?« Erdmann kletterte ein wenig nervös auf die Ladefläche und rückte sich einen der Autositze zurecht.

»Hinsetzen!«, kommandierte Billy aus dem Führerhaus, wo er inzwischen auf dem Beifahrersitz saß.

Rudi fuhr an, das Auto ruckelte und Erdmann saß endgültig auf einem der alten Autositze. Der Ausblick von der Ladefläche stellte sich als hervorragend heraus. Vor allem, was Mädchen betraf. Das versöhnte Erdmann etwas mit seiner ungewohnten, ziemlich luftigen Lage auf der Ladefläche des UAZ.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Einige Straßenecken weiter hielten sie schon wieder an. Billy sprang aus dem Auto und ging auf ein großes, hölzernes Tor zu. Eine Scheune mitten in der Innenstadt. Erdmann staunte schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Billy machte das Tor weit auf und Rudi rangierte rückwärts hinein.

Im Halbdunkel standen rußige Teeröfen, schwarze Gegenstände, die an Eimer erinnerten, verschiedene Stapel Ziegeln und ein wilder Haufen Latten, ebenso fanden sich einige Rollen Dachpappe. Zwischen großen, rostigen Blechfässern stand ein baugleicher Transporter, nur dass dessen Führerhaus grau war und er eine Ladefläche mit Spriegel und grauer Plane hatte.

Rudi stieg voller Tatendrang in das Führerhaus des grauen Transporters, setzte sich hinter das Lenkrad und machte sich geschäftig am Zündschloss zu schaffen.

»Was machst du da?«, wollte Billy wissen.

»Mal sehen, ob ich ihn anschmeißen kann!«

»Quatsch! Karlo hat es nicht geschafft, aber du?!«

»Werden sehen!«

Erdmann wusste noch nicht, dass Rudi – stämmig, blonde Haare, Brille – von allem angezogen wurde, was einen Benzin- oder Dieselmotor besaß und sich für einen ernsthaft verhinderten Automechaniker hielt.

Der Anlasser leierte mühsam, der Motor gab ein heiseres Husten von sich. Rudi drehte den Zündschlüssel ein zweites Mal und der Anlasser machte eine letzte müde Umdrehung, dann war nur noch ein Klicken zu hören.

»Mist! Ich dachte schon …«

Rudi klappte den Beifahrersitz herum.

»Was denn nun noch?«

»Ich weiß, hier war doch … Hier ist die Batterie. Wenn wir unsere anschließen, dann könnten wir …«

»Ja. Dann könnten wir! Es fehlen nur ein oder zwei Kabel!«

Rudi klapperte und wühlte weiter unverdrossen hinter dem Fahrersitz herum, um eine lange Kurbel hervorzuholen.

»Ich wusste doch, dass man die Karre ankurbeln kann!« Erdmann sah zu Billy hinüber. Der fasste sich an den Kopf und verdrehte die Augen.

»Jetzt spinnt er endgültig!« Rudi klappte das vordere Nummernschild hoch, eine Öffnung kam zum Vorschein, dort hinein bugsierte er die Kurbel.

»Passt, wackelt und hat Luft.«

Mit triumphierendem Blick machte sich Rudi daran, den Motor in Gang zu bringen. Er nahm Schwung und drehte, bis die Kurbel heftig zurücksprang. Beim nächsten Versuch gelang es ihm, die Kurbel ein wenig weiter herumzudrehen, doch dann versagten erneut seine Kräfte und wieder schnippte die Kurbel mit voller Wucht zurück. Beim dritten Versuch war der Rückschlag so heftig, dass Rudi erschreckend hart auf seinem Hinterteil zwischen einem Stapel Ziegeln und einem Haufen alter Zementsäcke landete.

»Verfluchte Scheiße!«

Auch der rechte Arm schien was abbekommen zu haben, so wie Rudi ihn vorsichtig betastete.

Billy lachte. »Das hätte ich dir sagen können! Das Ding hat mindestens zwei Liter Hubraum, da drehst du nix!«

Rudi rückte brummelnd seine Kappe zurecht und rappelte sich auf.

»Und wozu dann die Kurbel?«

»Die Russen. Die haben Mumm in den Knochen. Nicht wie ’n Weichei vom Land!«

»Probier’s doch selber! Idiot!«

Rudi massierte immer noch seinen Arm.

»Nee, fällt aus! Wegen dir breche ich mir nicht die Arme. Wir hängen den Karren an und schaffen ihn zum Autoschlosser, soll er zusehen. Der kriegt’s ja auch bezahlt.«

»Wir hängen ihn an und ziehen den Motor an!«

»Da können wir ihn gleich bis zum Autoschlosser schleppen! Such endlich ein Seil, damit wir ihn überhaupt anhängen können!«

»Schon gut! Wo hatten wir eigentlich das Seil hin? Du weißt doch, letztens, als wir den Blauen abschleppen mussten.« Brummelnd sah sich Rudi um. Sein Blick blieb an Erdmann hängen und sein Gesicht hellte sich auf.

»Der Stift. Der kann doch kurbeln!«

Erdmann schrak zusammen. Bis dahin hatte er sich ruhig in der Scheune umgesehen und sich damit begnügt, seine beiden neuen Gesellen von Weitem zu beobachten. Von Automotoren verstand er sowieso nichts.

Billy lachte schallend.

»Der?! Der halbe Hahn?!«

»Hmm …« Rudi drehte seine Schirmmütze auf dem Kopf hin und her. Dann entschied er: »Stimmt womöglich. Da gibt es nur eins: Fass-Aufstelltraining!«

Er kippte eines der herumstehenden Fässer um, wobei ihm der rechte Arm schon keine Probleme mehr bereitete, und wies Erdmann an, es wieder aufzustellen. Voller Zuversicht trat Erdmann an das Fass heran – von wegen halber Hahn. Er bückte sich, fasste unten am Deckelrand an und ein Ruck erfasste seinen schmächtigen Körper.

Der eigene Schwung ließ ihn den Halt verlieren, wobei sein Gesicht dem Fass bedenklich nahekam. Er ließ los. Mit einem Ausfallschritt konnte er knapp einen Sturz verhindern. Das Fass hatte sich keinen Millimeter bewegt. Nächster Versuch, gleiches Ergebnis. Das Fass bewegte sich nicht das allerkleinste Stückchen. Rudi und Billy kicherten wissend.

Was er auch tat, das Fass rollte nicht mal hin und her. Mit zitternden Beinen, nach Luft ringend, richtete sich Erdmann auf und schnappte außer Atem: »Was is’n da drin? Is’ schwer wie sau!«

»Bitumenkaltanstrich! Zweihundert Liter, wenn’s noch voll ist.«

»Wie soll’n das gehen? Viel zu schwer!«

»Klar geht das. Los, Rudi, zeig’s ihm!« Rudi stellte sich breitbeinig vor das obere Ende des liegenden Fasses, ging in die Hocke und fasste mit beiden Händen so weit unten wie möglich den Deckel.

»Du musst aus den Beinen heben wie ein Gewichtheber! Guck so!«

Er drückte die Beine langsam durch, wobei er das Fass wie in Zeitlupe anhob.

»Und du musst beim Drücken Hhhrrrrrrr … machen!« Er bekam einen feuerroten Kopf, während er brummte wie ein Bär, bis das Fass stand.

»Von wegen geht nicht! Das hat bis jetzt jeder geschafft!«, schnaufte Rudi.

»Nicht jeder.«

»Was? Wer denn nicht?!«

»Na wer?«

»Ach ja! Hugo!«

»Genau. Mit dem mussten wir auch erst üben.«

»Stimmt! Es hat eine Weile gedauert, aber er hat es dann geschafft.«

»Na, da soll doch der Stift das Fass wenigstens umwerfen. Zum Üben.«

Das sollte gehen.

Erdmann fasste neuen Mut, postierte sich am stehenden Fass und drückte mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Es bewegte sich wieder nichts. Er schob und schob, der Schweiß begann zu rinnen.

»Du musst brummen! Und richtig drücken! Nicht wie auf dem Scheißhaus! So richtig!«

Rudi tat, als würde er ein imaginäres Fass umwerfen, wobei er fachmännisch mit rotem Kopf brummte. Billy hielt sich den Bauch vor Lachen. Er war ein kleines Stück größer als Rudi, jedoch nicht so blond. Seine Bartstoppeln konnten die ihm eigene Freundlichkeit nicht völlig verbergen.

So schwer konnte das doch nicht sein? Verdammter Mist. Schnaufend schob und drückte Erdmann weiter und weiter. Dass er es nicht hatte aufstellen können, hatte ihn schon gehörig gewurmt. Aber dass das Fass sich jetzt kein bisschen rührte, trotzdem Erdmann seine ganze Kraft mobilisierte, fuchste ihn richtig. Billys Lachen trug das seine bei. Erdmann begann vor Wut und Verzweiflung wie Rudi zu brummen und mobilisierte seine gesamten 65 Kilo. Da merkte er, wie sich der Boden des Fasses auf seiner Seite ein wenig vom Erdboden abhob. Angespornt drückte er weiter und weiter, Millimeter für Millimeter, bis das Fass plötzlich kippte und fiel. Beinahe flog er hinterher.

»Na immerhin«, brummte Billy beifällig und Rudi stellte zufrieden fest: »Beim nächsten Mal üben wir das Aufstellen, Huro!«

Erdmann taten alle Knochen weh, auch die, von denen er gar nicht wusste, dass er sie hatte. Aber er war sehr zufrieden, dass er das Fass letztendlich doch umgeschubst hatte. Im Verlauf der Lehrzeit bekam er es noch öfter mit vollen Fässern zu tun. So kam es immer mal wieder vor, dass er ein Fass-Aufstelltraining absolvierte, und irgendwann schaffte er es auch, das Fass hinzustellen, ohne außer Atem zu geraten. Da Hugo nicht mehr zu haben war, blieb Huro als Spitzname an Erdmann hängen.

Mithilfe eines Seils, das Billy hinter einem Haufen Betonziegeln hervorholte, zogen sie den Grauen dann schlussendlich mit dem Blauen zum Autoschlosser.

Stehen geblieben

Mit einer Palette Bitumenschindeln waren Huro und Kutte in Richtung Kaserne unterwegs, wo mit den Schindeln eins der zahllosen Dächer eingedeckt werden sollte. Es war ein Sommertag wie aus dem Lehrbuch – warm und sonnig, Schäfchenwolken zogen träge über den Himmel, überall Mädchen und Frauen in leichter Sommergarderobe, die zum Hinsehen einlud.

Ihr Ziel lag am Rande der Stadt an einer Straße, die zur Autobahn führte. Sie fuhren um die letzte Kurve, das Tor der Kaserne schon in Sicht, als der Motor des UAZ zu stottern begann. Im nächsten Augenblick gab der Motor ganz auf und der UAZ rollte an den Straßenrand, wo er zum Stehen kam.

»So ein Mist!«, fluchte Kutte aus tiefster Brust, wobei er erfolglos versuchte, den Motor zu starten.

»Mach schnell! Dort sind die Genossen der Volkspolizei«, bemerkte Huro mit ansteigender Aufregung in der Stimme.

»Was? Wo denn?« Kutte wurde blass.

»Na, dort vorn, wo sie immer stehen.«

Das liegen gebliebene Fahrzeug zog tatsächlich die Aufmerksamkeit eines Volkspolizisten auf sich, der in einiger Entfernung mit einem Kollegen gerade damit angefangen hatte, die Gerätschaften für eine Geschwindigkeitskontrolle aufzubauen. Die Stelle war ziemlich beliebt bei der Volkspolizei. Regelmäßig waren dort die Herren in Grün am Werk, um die Autofahrer zu kontrollieren und wenn möglich, zur Kasse zu bitten.

Es gab sogar ein Schild mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung, das, je nach Bedarf, eingesetzt werden konnte. Mal waren es dreißig Stundenkilometer, die erlaubt waren, mal waren es fünfzig, wenn das Schild abgehangen war.

»Scheißdreck, auch das noch!«

Der UAZ hatte schon unzählige Jahre und noch viel mehr Fuhren hinter sich. Der Lack war an den meisten Stellen, wenn nicht ab, so doch sehr dünn. In der Fahrerkabine gab es Platz für Fahrer, Beifahrer und den Motor, der sich unter einer hochklappbaren Haube befand, die im Winter die Heizung ersetzte und im Sommer das Fahrerhaus zur Sauna machte.

Kutte, der das Museumsstück nicht zum ersten Mal fuhr, versuchte nervös, den Motor wieder in Gang zu bekommen. Der Anlasser jaulte mehrmals wie eine grausam gequälte Kreatur. Solche Kalamitäten waren in den meisten Fällen mit ein klein wenig Fingerspitzengefühl lösbar und Kutte war in Sachen UAZ-Funktionsstörungen aller Art ein alter Hase. Beim nächsten Versuch blubberte der Motor dumpf, bevor er endgültig schwieg. Pech.

Die Bemühungen wurden von den Polizisten mit wachsendem Interesse bedacht. Kutte wiederum wurde flattriger. Aus seinem fast noch jugendlichen Gesicht schwand endgültig jegliche Farbe, einige seiner blonden Locken klebten an der verschwitzten Stirn. Er war zwar etliches älter als Huro, doch hatten die beiden ein eher von Freundschaft geprägtes Verhältnis. Das fußte nicht zuletzt darauf, dass sie quasi Leidensgenossen waren. Kutte hatte seine zweite Lehre begonnen. Nach einer Ausbildung zum Maurer erlernte er noch das ehrenwerte Dachdeckerhandwerk.

Verwünschungen ausstoßend, sah er sich hektisch um. Huro war die Situation auch nicht einerlei. Als Beifahrer schwebte Huro nicht in der Gefahr der direkten Konfrontation mit der Staatsmacht, doch hatte er schon genug Bekanntschaft mit den grün uniformierten Staatsdienern gemacht, um zu wissen, dass eine Begegnung mit ihnen unangenehm und teuer werden konnte.

Einer der beiden Polizisten kam ohne Eile näher. Nicht viel mehr als einen Meter vorm Auto blieb er stehen, um die Szenerie aus schmalen Augen zu betrachten. Dann folgte ein denkwürdiger Dialog, der von dem Beamtender Volkspolizei mit ausdruckslosem Gesicht eröffnet wurde: »Guten Morgen.«

»Morgen.«

»Was macht ihr hier?«

»Wir wollen zur Kaserne auf die Baustelle.«

»Hm. Und warum steht ihr hier?«

»Na ja, ich weiß auch nicht. Ich krieg den Motor nicht mehr an.«

»Wie? Ist der Motor kaputt oder nicht?«

»Scheinbar kaputt«, hauchte Kutte mit merkwürdig leiser Stimme.

»Könnt ihr noch ein Stückchen weiter vorfahren?« Blöde Frage. »Ihr steht hier im Weg.«

Als Antwort erhielt er nur ein unverständliches Geräusch, welches Kutte entfuhr, während er aussah, als säße er auf einer heißen Herdplatte.

»Ihr könnt nicht? Dann stellt wenigstens ein Warndreieck vor die Kurve.«

»Haben wir nicht.« Das gab’s mal, lag immer hinter dem Beifahrersitz und war beim Transport von langen Latten als rotes Fähnchen umgenutzt worden. Seitdem fehlte es.

»Zieht die Handbremse an, dass ihr nicht auf die Straße rollt.«

»Geht nicht.« Kuttes Antwort, wobei er an den Polizisten vorbeisah.

»Macht das Fenster zu.«

»Geht nicht.« Huro drehte zaghaft an der Fensterkurbel der Beifahrertür. Der hölzerne Keil, der sonst dafür sorgte, dass die Fensterscheibe oben blieb, war an diesem Morgen endgültig in den Eingeweiden der Tür verschwunden. Die zum Heben und Senken der Fensterscheibe vorgesehene Seilzugkonstruktion funktionierte schon seit Langem nicht mehr.

»Schließt ab!«

»Geht nicht.«

Der Polizist, ein Mann kurz vor der Rente, verzog auch jetzt keine Miene und blieb unheimlich ruhig. Wie von einer Schlange hypnotisierte Karnickel in der Falle warteten Huro und Kutte auf den Fortgang der Ereignisse. Mit Volkspolizisten war nicht zu spaßen. Unausweichlich würde die Frage nach der Fahrerlaubnis und den Wagenpapieren kommen. Was wiederum bedeuten würde, dass Kutte die Fahrerlaubnis auf unabsehbare Zeit verlieren würde. Mit einer saftigen Geldstrafe und ein oder zwei Stempeln auf der Stempelkarte war es bestimmt nicht mehr getan.

Der Polizist drehte sich wie in Zeitlupe um und machte mit der Hand eine wegwerfende, maßlos müde Bewegung und ging ohne ein weiteres Wort kopfschüttelnd zurück zu seinem Kollegen.

Huro atmete hörbar aus.

»Da haben wir aber Schwein gehabt«, platzte es aus Kutte heraus. »Ich hab schon gedacht, dass ich demnächst zu Fuß gehen muss.«

»Von Arschlochshausen fährt wohl kein Bus in die Stadt!«, rutschte Huro schneller raus, als er es halten konnte.

»Schnauze!«, raunzte Kutte, der nach eigenem Bekunden aus besagtem Arschlochshausen stammte.

»Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden«, befand Huro.

»Gut! Klar! Sowieso! Wer weiß, was unseren Freunden und Helfern sonst noch einfällt. Nur wohin? Was machen wir mit dem Auto?« Kutte sah sich suchend um.

»Das lassen wir hier. Unter der Aufsicht der Kollegen von der Volkspolizei. Da kommt es wenigstens nicht weg«, schlug Huro vor.

»Und dann? Lassen wir das gute Stück bis morgen stehen? Quatsch kein Blech, Huro! Wir müssen uns was anderes einfallen lassen.«

Kuttes Gesicht vermochte nicht zu verbergen, dass er angestrengt nachdachte. Dann fragte er laut: »Wo ist denn eigentlich Karlo mit dem andern UAZ?«

»Gute Idee. Der kann uns abschleppen«, stimmte Huro zu.

»Aber wo ist er denn nu?«, fragte Kutte nach, bevor ihm einfiel: »Ach du Scheiße! Die sind heute Morgen nach S. gefahren. Da kommen wir nie im Leben hin. Ohne Auto.«

»Bus?«, schlug Huro vor.

»Was hast du heute nur mit Bussen. Der fährt nur dreimal am Tag und einer ist schon weg!«, raunzte Kutte.

»Vielleicht kann uns der Meister abschleppen?«

»Wäre möglich. Bis zum Autoschlosser sollte es gehen, wenn er eine Anhängerkupplung am Wartburg hat«, überlegte Kutte.

Sie machten sich schleunigst auf den Weg, nutzten die Straßenbahn und kamen eine halbe Stunde später beim Meister an. Der war zum Glück auch in seinem Büro und war sofort einverstanden.

»Ich schleppe den UAZ mit dem Wartburg ab und Sie setzen sich in den UAZ und lenken während der Fahrt.« Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Kutte der Einzige, den der Meister mit »Sie« ansprach.

»Huro, hol das Abschleppseil aus dem Keller, das müssen wir mitnehmen. Ich geh mal gucken, was mit dem Wartburg ist!«, stimmte Kutte dem meisterhaften Plan zu.

Während Huro im Keller das Seil suchte und fand, drehte Kutte eine Runde um den neuen Wartburg.

»Mist, da ist keine Anhängerkupplung dran. Was machen wir jetzt?«

»Wir machen das Seil einfach an der Stoßstange fest!«, schlug der Meister eifrig vor, der mit dem Autoschlüssel klappernd aus dem Büro gekommen war.

»An der Stoßstange?!« Kutte sah den Meister verwirrt an.

»An der Stoßstange. Warum nicht?!«, antwortete der mit ernster Miene.

Kutte stutzte für wenige Sekunden und entschied, dass der Vorschlag ernst gemeint war.

»Chef, das geht nicht. Die Stoßstange reißt ab!«

»Ach was! Wenn ich ganz langsam anfahre, geht das!«