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Dieses eBook: "Kindertodtenlieder" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Als Kindertodtenlieder bezeichnete der Dichter Friedrich Rückert die 428 Gedichte, die er unter dem Eindruck des Todes seiner Kinder Luise und Ernst 1833/1834 schrieb. Die Gedichte erlangten Bekanntheit durch die Vertonung Gustav Mahlers. Der Historiker und Schriftsteller Hans Wollschläger nannte die Kindertodtenlieder "die größte Totenklage der Weltliteratur". Alle damals sechs Kinder Rückerts waren im Dezember 1833 an Scharlach erkrankt. Am 31. Dezember 1833 starb Rückerts jüngstes Kind und einzige Tochter Luise. Am 16. Januar 1834 starb Rückerts Sohn Ernst. Die übrigen vier Kinder erholten sich von der Krankheit. Rückert schrieb die Kindertotenlieder im Gedenken an seine "beiden liebsten und schönsten Kinder", von denen nur wenige zu seinen Lebzeiten gedruckt wurden. Es sind keine Verzweiflungsausbrüche, sondern Seufzer, in denen nach dem Sinn des Schicksals gefragt wird. Annemarie Schimmel ist der Ansicht, dass der Tod dieser beiden Kinder das Ende von Rückerts eigentlich schöpferischer Zeit als Dichter gewesen sei. So sagt er von seiner Tochter Luise "Sie ist nicht geblieben und hat mir fort genommen mein Wort", denn er hatte ihr nicht, wie er es versprochen hatte, folgen können. Die Gedichte sind sehr variabel in Länge (von vier bis zu über 30 Versen), Reimschema und Metrum. Häufig sind orientalisch inspirierte Wiederholungen von Reimen. Friedrich Rückert (1788-1866) war ein deutscher Dichter, Sprachgelehrter und Übersetzer sowie einer der Begründer der deutschen Orientalistik. Er ist Namensgeber des Friedrich-Rückert-Preises und des Coburger Rückert-Preises. Rückert beherrschte neben der Muttersprache mindestens 44 weitere Sprachen und gilt als Sprachgenie.
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Seitenzahl: 235
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Ergreifendste Trauergedichte der deutschen Sprache
Der Liebe Leben ist schnell vollbracht, Es keimet, es reift in einer Nacht; Frühmorgens erwacht, Noch eh du's gedacht, Hüpfts Kindlein frisch Durch Blütengebüsch, Und regt die Glieder Mit Macht, mit Macht. Kommts Abendroth, Ists Kindlein todt, Es legt sich nieder, Ersteht nicht wieder, Ist nimmer erwacht, Gute Nacht, gute Nacht! Dein Lauf ist vollbracht, Dein Grab ist gemacht, Gute Nacht, gute Nacht!
Erwach, o Licht des Gesanges, O Licht der Erinnerung! Rings am Himmel ist banges Gewölk der Trauer genung.
Es soll in meinem Herzen Nicht auch noch finster seyn. Dazu in der Nacht hat man Kerzen, Wenn aus ist Sonnenschein.
Den Schein der Sonn' ersetzen, O Kerze, kannst du nicht; Doch kann das Auge sich letzen An keinem anderen Licht.
Ich zag' ums Herz, wie lang es Ist ohne Freudenschwung; Erwach, o Licht des Gesanges, O Licht der Beseligung!
Wach, holden Überschwanges, O Licht der Erinnerung, Bis ich beschwichtigten Dranges Schlaf ein in Dämmerung!
In meine häuslichen Lieder, Das Tagebuch meiner Lust, Schrieb ich mit Freuden bewußt Nur Freudengewinnste nieder, Nie schrieb ich einen Verlust In meine häuslichen Lieder.
In meine häuslichen Lieder Schreib' ich nun euern Verlust. So hat sich schließen gemußt Die Rechnung! und wohl nicht wieder Schreib' ich sobald eine Lust In meine häuslichen Lieder.
Meine Klagen sollen lieblich wallen, Den Kristallen gleich im Frühlingsbache, Die mit Ache hüpfen auf am Strande, Wo vom Rande sich zwei Blumen neigen Und mit Schweigen sich im heiterblauen Spiegel schauen, aber, eingeladen Sich zu baden, scheu zurück sich biegen, Und sich schmiegen, alsob sie sich schämen; Doch mit Grämen trüben ihren hellen Blick die Wellen, die vorüber müßen, Schmerzlich grüßen sie im Weitereilen, Möchten weilen, müßen doch entjagen.
Meine Klagen sollen lieblich wanken, Wie die Ranken sich am Boden dehnen, Auf sich sehnen nach der Lebensflamme, Nach dem Stamme, der zum Himmel steiget, Der sich neiget, wenn ihn rühren linde Frühlingswinde, doch die stolzen Glieder Hebt er wieder, ohne sich der armen Zu erbarmen, die umsonst sich mühen Aufzublühen, jede Luft benützen, Falsche Stützen, die sie nur erheben, Um mit Beben fallen sie zu lassen Auf den nassen Grund, wo sie verzagen.
Meine Klagen sollen lieblich stöhnen Gleich den Tönen holder Nachtigallen, Die vor allen, Rose, dich zu lieben Sind getrieben, und die Blumenschaaren Nicht gewahren, die zu den Gesängen Rings sich drängen, doch nur dir zum Preise Tönt die Weise: Ros' im Brautgemache Wach', erwache! Tritt vom Duft der Träume In die Räume, daß die rauhe Erde Lieblich werde, daß des Todes Bleiche Schamroth weiche, wenn mit Brautgesange Dir die Wange röthet unser Schlagen.
Was an dir des Tods Unbilden Frevelten, hat mit dem milden Zauberstab gerochen Poesie, die soviel Leben Dir bemüht ist zuzugeben, Als das Schicksal dir hat abgebrochen.
Armer Stab! ihm, der so wichtig Sich geberdend, ist so nichtig, Sei der Stab gebrochen! Frommen dir die Zauberweisen, Die dich in den Himmel preisen, Da der Tod dich hat ins Grab gesprochen?
Doch sie sollen dir nicht frommen, Sondern uns zu Gute kommen, Übers Grab gesprochen; Dir nicht sollen sie dein Leben, Sondern uns zurück es geben, Denn nur uns, nicht dir wards abgebrochen.
Hab' ich jetzt erst eingesehn, Was mir Schönstes lebte, Seit es mir gestorben ist? Nein, ich wußt' es lange.
Wollt' es nur nicht eingestehn, Weil vor dir ich bebte, Schicksal, das du neidisch bist Allem Überschwange.
Nun das Unglück ist geschehn, Und die Zierd' entschwebte, Nicht mehr deine Hinterlist Fürcht' ich nun, o Schlange.
Und im Liede soll es stehn, Daß ein Schönstes lebte Und mir leben jeder Frist Soll es im Gesange.
So kurz war euer Beider Leben, Von euch ist wenig zu berichten In Staats- und Zeit- und Weltgeschichten; Es muß, euch irgend zu erheben, Der Leichenstein so wie daneben Der Leichenprediger verzichten; Und nur der Liebe könnt ihr geben Stoff zu unendlichen Gedichten.
Ich fürcht', es war Entweihung Der stillen Häuslichkeit, Daß ich sie der Beschreiung Liebloser Welt geweiht; In manchem Lied, gedichtet Aus meiner Kinderwelt, Die wie ein Traum vernichtet Jetzt auseinander fällt.
Und recht als wie zum Hohne, Da sie zusammenbrach, Kommt an mit Sündenlohne Der neuste Almanach. Das Honorar, das reiche, Das man dem Vater gab, Reicht, um der liebsten Leiche Zu kaufen grad ein Grab.
Und hab' ich mich versündigt, Daß statt des Herzens Schlag Der Harfe Schlag verkündigt, Was mir am Herzen lag? Nicht hab' ich mich gerühmet, Doch hab' ich mich gefreut, Und mir den Pfad beblümet, Der mir nun Dornen beut.
Die allgemeine Sünde Der Dichtkunst war es nur, Zu decken auf die Gründe Der innersten Natur. Und wie die Lust erklungen Aus meiner Siedelei, Sei nun das Leid gesungen, Und ob es Sünde sei.
Im Verluste zu gewinnen, Ist ein schwieriges Beginnen, Und gelinget andern nie Als der Lieb' und Poesie.
Liebe läßt sich nichts entrinnen, Hat nicht außen, sondern innen; Und das Nichts, sie weiß nicht wie, Macht zum Etwas Poesie.
Nicht dahin ist, was von hinnen, Bleibt im Sinn, nicht in den Sinnen; Fest auf ewig haltens die Beiden, Lieb' und Poesie.
Manches ist mir doch beschieden, Daß ich wohl zufrieden Dürfte sein, so viele Gaben, Die nicht viele haben, Unerschöpflich reiche Flüsse Eigenster Genüsse, Und nicht minder solche Leiden, Die mir würde neiden Wer, wie sie herzlieblich brennen, Könnte recht erkennen, Und wie sanft, wers könnte fühlen, Sie sich selber kühlen; Wie der Speer die Wunde heilet, Die er hat ertheilet, Wie die Aerzt' aus Bitterkeiten Arzeneyn bereiten, Und zur süßen Kost der Bienen Gräberblumen dienen.
Musen, meine Freundinnen, Oft schon in betrübten Lagen Brachtet ihr mir Trost ins Haus, Nie doch wie in diesen Tagen, Als die lieben Kinder mir An der Seuche niederlagen, Deren Todesfunken so Leicht ansteckend weiter schlagen, Freunde viel und Freundinnen Zählt' ich sonst mit Wohlbehagen In der Stadt, die gegen mich Jeder zarten Sorgfalt pflagen; Doch für eigne Kinder jetzt Hatten Sorge sie zu tragen, Keiner durfte einen Schritt In mein Haus zu setzen wagen, Aus gerechter Furcht, das Gift In sein eignes Haus zu tragen. Keiner kam, um meinem Tod Oder Leben nachzufragen, Keiner, um aus Freundes Mund Mir ein Trostwort anzufragen, Und mit mir zu klagen, als Lag mein Liebstes auf dem Schragen. Ihr nur, meine Freundinnen, Ließet nicht in Furcht euch jagen; Denn ihr wisset, Himmlische, In die Flucht die Furcht zu schlagen, Und Ansteckung droht euch nicht; Darum dürft ihr mit mir klagen, Krankenwärterinnen seyn, Und die Küchenschürze tragen. Und solang' ihr bei mir seid, Wird mein Herz nicht ganz verzagen; Und solang' ihr tragen helft, Trag' ich muthig alle Plagen. Drum vor allen Freundinnen, Ohne eine zu verklagen, Weil sie sterblich, hab' ich Dank Euch, Unsterbliche, zu sagen.
Also sei ich selbst, und also mein Gedicht, Wie die Stechpalm' unten rauh von Blättern sticht, Wo das Vieh sie wollte nagen; Aber oben stechen ihre Blätter nicht, Um mit Schaukeln Himmelslüfte, Frühlingslicht, Oder Vogelsang zu tragen.
Immer that ich ihren Willen Meiner Dichtung, und sie meinen; Herzbedürfnisse zu stillen, Seh ich immer sie erscheinen. Und so kommt sie nun, zu weinen Mit mir um zwei theure Schatten; Sollten wir's uns nicht gestatten?
Die von mir das Leben hatten, Haben es zu früh verloren; Soll die Mutter ihrem Gatten Haben sie umsonst geboren? Nein, ich hab' es mir geschworen, Euer Leben fort zu dichten, Daß mir nichts es kann vernichten.
Pflegte stets die Poesie Mir den Zustand zu begleiten, Doch im Anfang pflegte sie Zu begleiten ihn vom weiten.
Immer näher ist gerückt Dann dem Zustand sein Erkennen, Und nun ist es so geglückt, Daß nicht beide sind zu trennen.
Freilich bist du selber krank, Wenn du singst, wo Kinder sterben; Doch der Krankheit sage Dank, Die dir bricht des Todes Herben.
1.
In Gesichten und Gedichten Was mir Schönstes je erschienen, Habt ihr alles überschönet; Und ich staunte, daß ich lebend Sollt' in euch vor Augen sehen, Was ich nur geglaubt, es lebe In Gedichten und Gesichten.
Aus Gedichten und Gesichten Daß wie Bilder aus dem Rahmen Ihr heraus ins Leben tratet, Hat mich immer so gewundert, Daß es nun mich wundert minder, Wie ich sehn muß, daß den Augen Schwindend ihr zurück euch wandelt Zu Gesichten und Gedichten.
2.
In mildem lauem Klima, Wie eines waltet unter Italiens Sonne, oder Auf Raphaels Gemälden, Gedeihn nur solche Knospen Von Schönheit, wie ihr waret, Zu völliger Entwicklung, Ohn' Abbruch und Verkrüpplung. Wie werdet ihr gedeihen, Dacht' ich hier voll Besorgniß, In wildem rauhem Klima?
In wildem rauhem Klima, Wie wird der reine Spiegel Der Anmuth bald sich trüben, Der Blüthendrang der Knospen Sich im Aufbrechen stumpfen, Verschrumpfen und versumpfen! Darum seid ihr, o Weh mir, Heil euch, ihr seid gegangen, Und blühet nun im Himmel, Und blüht in meinem Liede; Ihr blühet hier und dorten In mildem lauem Klima.
Von Freuden floß um mich vorzeiten Ein Überfluß; Und wie ich schöpfte, blieb beizeiten Ein Überschuß.
Wie dacht' ich, daß versiegen könnte Der Überschwang? Ergossen war nach allen Weiten Der Überguß.
Wohin verlaufen hat das Wasser Sich über Nacht? Es eilt wohl, um mir zu bereiten Nicht Überdruß!
Vorüber eilt des Glückes Fülle, Und rauscht von fern Mir einen noch, und keinen zweiten Vorübergruß.
Ihr Augen, wollt Ersatz ihr weinen? So weinet nur! Und mich durchs Leben soll begleiten Ein trüber Fluß.
Wo ich am Strom der Wehmuth lausche Im Hauch der Nacht, Weht her von jenseit goldner Saiten Herübergruß.
Am Ufer pflanz' ich dunkle Lieder, Ihr Duft weht hin, Bis ich geflügelt selber schreiten Hinüber muß.
Ein leichenbalsamirender Aegypter ist mein Herzensdrang, Ein nach der Kunst verzierender, Was er dem Tod von dir entrang; Das alles, was uns peiniget, Gereiniget, Soll werden ein Gesang.
Ein Todtenasche-sammelnder Hellene sei mein Grabgesang, Auflesend, was hold stammelnder Süßmundigkeit von dir entsprang, Das alles, hier vereiniget, Bescheiniget Des Vaterherzens Drang.
Du bist ein Schatten am Tage, Und in der Nacht ein Licht; Du lebst in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage, Da wohnst du bei mir dicht; Du bist mein Schatten am Tage, Und in der Nacht mein Licht.
Wo ich auch nach dir frage, Find' ich von dir Bericht, Du lebst in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage, Doch in der Nacht ein Licht; Du lebst in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
Wenn ihr solltet gehn einmal, War es gut, ihr gingt zusammen, Nicht, daß ging' in Eins die Qual, Sondern daß als Doppelflammen Ihr im Tod auch ungetrennet Auf dem Hausaltar uns brennet.
Was verloren, ist dahin, Und kein Wunsch kann es regieren, Doch Gefahr läuft schwacher Sinn, Noch einmal es zu verlieren; Denn erst ganz, wenn wir's vergessen, Ist verloren, was besessen.
Darum brennt euch so ins Herz, Ewige Geschwisterflammen, Daß nie der lebend'ge Schmerz Sink' in Aschentod zusammen, Sondern glühe fort in milder Farbenglut wie eure Bilder!
Sie haben ganz, o Kind, um das wir trauern, Mit Blumen dich und Kränzen überdecket; Die werden tief nun, wo du liegst gestrecket, Mitmodernd, deinen Leib nicht überdauern. Und wann des Frühlings Lüfte wieder schauern, Sind neue Blumen deiner Gruft erwecket; Die werden blühn, von keinem Aug' entdecket, Und welken hinter freudelosen Mauern. Dein Vater aber, der sich nennt ein Dichter, Er möchte dich, und dauerhafter, krönen; Sein ganzes Leid für dich in Kränze flicht er. O bliebe nur ein Ton von diesen Tönen Durch Göttergunst entzogen dem Vernichter, Ein ew'ges Denkmal früh verblichnem Schönen!
Du warest klein, und kleine Blumen schling' ich Zum Kranze dir, und kleine Lieder sing' ich, So kleine Gaben großer Liebe bring' ich.
An Blumen hast du wol wie sonst Gefallen, Und Lieder, die hier nicht verstand dein Lallen, Die lernst du singen nun in jenen Hallen.
Auf meine Blumen blickst du lächelnd nieder, Und singt auf Erden Niemand meine Lieder, So tönen sie vom Himmel schöner wieder.
Wie du mir von lustdurchpochter Brust die Tochter Reichtest einst, ein süßes Glück; Hier aus schmerzenslustdurchkochter Brust die Tochter Geb' ich dir als Lied zurück.