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Im Krypto-Universum spielen sich Dramen darüber ab, welche Kryptowährung sich gegenüber anderen durchsetzt. "Kings of Crypto" taucht tief in diese Dramen ein: Star-Kryptojournalist Jeff John Roberts verfolgt den Aufstieg, den Fall und die Wiedergeburt von Kryptowährungen anhand der Erfahrungen der wichtigsten Akteure weltweit. Im Mittelpunkt seines Buchs stehen die Story des Silicon-Valley-Unternehmers Brian Armstrong und der turbulente Höhenflug seines Start-ups Coinbase, das heute die führende US-Kryptowährungsbörse ist. Scharfsinnig beobachtet und brillant recherchiert enthüllt Roberts diese Erfolgsgeschichte – von der einfachen Bude zum Milliardengeschäft. Dabei vermittelt er die ganze Faszination, aber auch die Abgründe der Kryptowelt.
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Seitenzahl: 309
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JEFF JOHNROBERTS
Wie einStart-upmitBitcoin und CodieWall Streeterschüttert(e)
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Kings of Crypto: One Startup’s Quest to Take Cryptocurrency out of Silicon Valley and Onto Wall Street
ISBN 978-1-64782-018-3
Copyright der Originalausgabe:
Original work copyright © 2021 Jeff John Roberts
Published by arrangement with Harvard Business Press Review.
Unauthorized duplication or distribution of this work constitutes copyright infringement.
Copyright der deutschen Ausgabe 2022:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Sascha Mattke
Gestaltung Cover: Stephani Finks
Illustration Cover: Mike McQuade
Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt
Lektorat: Egbert Neumüller
ISBN 978-3-86470-819-0
eISBN 978-3-86470-820-6
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Für meine Ehefrau Amy
Hinweis zu den Quellen
TEIL EINSVom offenen Geheimnis zum Bürgerkrieg
1Brian hat ein Geheimnis
2Die Kriminellen-Währung
3Durch Wände laufen
4Absturz
5Harte Zeiten
6Bürgerkrieg
TEIL ZWEIVom Boom zur Blase bis zum Absturz
7Auftritt Ethereum
8Der Ruf der Wall Street
9Armstrongs Masterplan
10Uncle Sam klopft an
11ICO-Wahnsinn
12Coinbase-Knirschen
TEIL DREIVom Kryptowinter in die Kryptozukunft
13Verkatert
14„In den Arsch getreten“
15Machtkampf
16Bitcoin triumphiert
17Die Zukunft der Finanzwelt
Epilog
Danksagungen
Über den Autor
Zum ersten Mal bin ich Bitcoin und Coinbase im Jahr 2013 begegnet. Damals war ich Reporter bei dem Technologie-Blog GigaOm, für den ich über Konflikte zwischen Gesetzen und Technologie berichtete – darunter das damals neue Phänomen der Kryptowährungen. An einem heißen Tag im Juli machte ich mich auf, um eine Veranstaltung namens Satoshi Square zu besuchen, die an einer Ecke des Union Square in New York stattfand. In der Annahme, ich würde für die Teilnahme Bitcoin brauchen, kaufte ich eine Einheit für 70 Dollar bei Coinbase, die ich als Spesen abrechnen wollte. Das habe ich zum Glück vergessen. Ich behielt die digitale Münze – und verkaufte die Hälfte davon, als der Preis im gleichen Jahr das absurd erscheinende Hoch von 800 Dollar erreichte.
Seitdem bin ich von Kryptowährungen ebenso fasziniert wie von der Rolle, die Coinbase dabei gespielt hat, sie in die breitere Öffentlichkeit zu bringen. Seit 2013 habe ich für GigaOm und das Magazin Fortune unzählige Artikel über das Unternehmen geschrieben.
Bei den Recherchen für dieses Buch baute ich auf dieser früheren Arbeit auf und führte außerdem viele weitere Interviews mit Führungskräften und Board-Mitgliedern bei Coinbase. Zusätzlich habe ich mit vielen einflussreichen Persönlichkeiten aus der Welt der Kryptowährungen gesprochen – Wissenschaftler, Investoren und Personen aus dem Umfeld von Coinbase-Konkurrenten. Die meisten Informationen in diesem Buch, einschließlich fast aller Zitate von Beteiligten bei Coinbase, stammen aus diesen Gesprächen.
Darüber hinaus habe ich umfangreiches Sekundärmaterial ausgewertet, darunter Berichte von Wired, der New York Times, Forbes und Coindesk. Außerdem profitiert dieses Buch von der exzellenten ersten Generation von Krypto-Historien wie Digital Gold, The Age of Cryptocurrency und Blockchain Revolution. Wenn ich Material aus diesen Quellen direkt für meine eigene Darstellung verwendete, gab ich mir jede erdenkliche Mühe, es entsprechend zu kennzeichnen.
Abschließend ist diese Arbeit als ausgefeiltere Version des Hörbuchs Kings of Crypto zu verstehen, erschienen im Mai 2020. Was Ihnen jetzt vorliegt, enthält neuere Entwicklungen bezüglich Coinbase und einige kleinere Fehlerkorrekturen.
Brian Armstrong stieg aus seinem Auto aus, spürte den sanften Sonnenschein Kaliforniens auf seinem kahlen Kopf und roch Eukalyptus. Er betrachtete die Fassade von Y Combinator: Das einstöckige Gebäude, nur fünf Meilen entfernt vom Google-Campus in Mountain View, sah eher nach verschlafenem Vorstadt-Büropark als nach einer berühmten Schule für Start-ups aus, in der die Gründer von Stripe, Dropbox und weiteren Milliardenunternehmen gelernt hatten. Armstrong interessierte sich nicht für das unspektakuläre Äußere dieses Ortes – er wusste, wer vor ihm schon alles dort gewesen war. Die Gründer von Airbnb, wo er bis vor Kurzem gearbeitet hatte, entstammten Y Combinator, ebenso wie die CEOs anderer Silicon-Valley-Stars wie Doordash, Twitch und Reddit. Armstrong, blass und auf den ersten Blick schüchtern aussehend, strahlte mit seiner trainierten Figur eine ruhige Zuversicht aus. Er störte sich nicht daran, dass er erst wenige Tage zuvor mit seinem vorgesehenen Mitgründer gebrochen hatte, sodass er das Programm als einer von nur wenigen Entrepreneuren allein durchlaufen würde. Es war der Sommer 2012, und Armstrong strotzte vor Gewissheit, dass er das nächste berühmte Start-up aus Y Combinator schaffen würde.
So war er nicht immer gewesen. In den 1990ern hatte Armstrong seine frühen Teenager-Jahre nur zwölf Meilen südlich in San José verbracht, ruhelos und vage unglücklich. San José ist die zehntgrößte Stadt der Vereinigten Staaten und das Zentrum des Silicon Valley. Aber es konnte – und kann immer noch – wirken wie ein lebloser Parkplatz, auf dem viele Menschen nichts zu tun haben. So fühlte sich Armstrong häufig. Bis das Internet kam.
Wie so vielen anderen intelligenten, aber introvertierten jungen Menschen brachte das World Wide Web Armstrong sowohl Freunde als auch einen Strom spannender Ideen. Im engen San José zu sitzen, machte ihm nichts mehr aus, als er über seine Tastatur mit einer globalen Gemeinschaft von Hackern und Philosophen verbunden war. Als er im Jahr 2001 an der Rice University anfing, wusste er, dass er das Internet nutzen wollte, um die Welt zu verändern, so wie es eine frühere Generation von Tech-Visionären mit Mikrochips und Desktop-Computern getan hatte.
Aber es gab ein Problem.
„Ich hatte immer den Gedanken, dass ich gern ein bisschen früher geboren worden wäre. Als ich mit dem College fertig war und zu arbeiten begann, hatte ich die Befürchtung, dass ich zu spät dran wäre“, erinnert sich Armstrong. „Die grundlegenden Internet-Unternehmen waren schon aufgebaut, und die Revolution war vorbei.“
Natürlich irrte er sich. Die Internet-Revolution tobt noch immer, und Entrepreneure nutzen sie, um unsere Häuser und unser Leben umzukrempeln – ob zum Guten oder zum Schlechten. Ende 2008 veröffentlichte eine mysteriöse Person unter dem Namen Satoshi Nakamoto im Internet zudem ein neunseitiges Forschungspaper, das die gleiche Revolution bei Geld in Gang bringen sollte. Armstrong wurde ein Jahr später auf diesen Aufsatz aufmerksam.
Es war Weihnachten, und er war in seinem alten Zimmer im Haus seiner Eltern in San José, wo er wie üblich im Internet Technologie-Nachrichten las. Jemand hatte das Nakamoto-Paper in einem Computer-Diskussionsforum veröffentlicht, und Armstrong war sofort fasziniert davon. Er las und las dann noch einmal, worum es ging: eine neue Art von digitaler Währung namens Bitcoin, die unabhängig von jeder Bank, jedem Unternehmen und jeder Regierung funktioniert. Bei Bitcoin wurde wie bei einer Bank protokolliert, wer an wen bezahlt, in diesem Fall aber von irgendwelchen Leuten mit Computern rund um die Welt. Es war echtes Geld ohne Banken oder Grenzen. Armstrong fing an, den Aufsatz von Nakamoto zum dritten Mal zu lesen. Rufe seiner Mutter, nach unten zum Abendessen mit der Familie zu kommen, ignorierte er.
Als er zweieinhalb Jahre später durch die Türen von Y Combinator schritt, war Armstrong stärker auf Bitcoin fixiert als je zuvor. Inzwischen hatte er selbst eine besondere Erkenntnis über die Währung entwickelt, und die wollte er bald Millionen Menschen vermitteln.
In seiner Start-up-Bibel „Zero to One“ schreibt der umtriebige Milliardär Peter Thiel über „offene Geheimnisse“ – Geschäftsideen, die jeder umsetzen kann, wenn er keine Angst davor hat, konventionelles Denken infrage zu stellen. Thiel nennt als Beispiele Airbnb, dessen Gründer einen nicht bedienten Markt für leere Zimmer sahen, und Uber, dessen Gründer erkannten, dass man mit einem GPS-Signal und einer Smartphone-App Taxis ersetzen kann.
In den Büchern des Wirtschaftsautors Michael Lewis sind weitere Beispiele für solche offenen Geheimnisse zu finden. In „Moneyball“ beschreibt er einen Sport-Manager, der ein erfolgreiches Baseball-Team mithilfe von Daten aufbaute statt mit den alten Weisheiten erfahrener Spieler-Scouts. Und in „Liar’s Poker“ erzählt er, wie ein Händler bei seiner Wall-Street-Firma ein Vermögen machte, indem er Hypothekenkredite zu Hypothekenanleihen bündelte. Die Idee war offensichtlich, aber damals ein Geheimnis, weil der allgemeine Konsens nichts von ihr wissen wollte.
Im Jahr 2012 stieß Armstrong auf sein eigenes offenes Geheimnis. Er wusste, dass Bitcoin als Technologie die Welt verändern würde, dass der Kauf der Währung aber für die meisten Menschen eine verwirrende und komplizierte Angelegenheit war. Was wäre, wenn er das einfacher machen könnte? Sam Altman, der Präsident von Y Combinator, verstand die Kraft einer solchen Einfachheit und dessen, was Armstrong sich vornahm. „Etwas leicht nutzbar zu machen ist für 99 Prozent der Menschen von Bedeutung, aber technisch denkende Menschen neigen dazu, das zu übersehen. Beim Start von Dropbox sagten Programmierer: ‚Warum sollte das irgendjemand benutzen? Man kann doch mit den Kommandozeilen-Befehlen Backups von allen Dateien erstellen’“, erklärt er mit Blick auf einen Computer-Prozess, der für Experten offensichtlich, aber für alle anderen rätselhaft ist.
Dieselbe Überlegung traf auf Bitcoin zu. Viele Menschen wollten sich darin versuchen, wenn nur jemand eine Webseite aufbauen würde, auf der man die Kryptowährung so kaufen kann wie sonst Aktien im Internet. Aber die Bitcoin-Anhänger, die dazu in der Lage gewesen wären, wollten davon nichts wissen. Sie verstanden die Idee nicht. Stattdessen versuchten viele, die technischen Grundsätze aus Nakamotos Aufsatz zu übernehmen und damit eigene Kryptowährungen aufzubauen, in der Hoffnung, reich zu werden. Dazu Altman: „Jeder in der Krypto-Community wollte eine neue Version von Bitcoin starten. Es gab diese Mentalität von ‚Ich werde schnell reich, indem ich eine neue Währung entwickle und 20 Prozent davon behalte’.“
Armstrong sah das anders. Er nutzte sein offenes Geheimnis der aufgestauten Nachfrage nach einfachem Bitcoin-Zugang und produzierte ein Modell für die Website, aus der Coinbase werden sollte. Am 21. August 2012 stand er bei Y Combinator Demo Day auf der Bühne, einer alle sechs Monate stattfindenden Veranstaltung, bei der Scharen von Start-ups versuchen, Risikokapitalgeber und Technologiemedien zu überzeugen. Für die meisten Gründer ist sie ein kleiner Moment des Ruhms, bevor sie in den Monaten darauf unweigerlich untergehen – das ist nun einmal das häufigste Schicksal von Start-ups. Allerdings ergeht es nicht allen so, und in Armstrongs Jahrgang gab es noch zwei weitere spätere Erfolge: Instacar, heute ein Lebensmitteldienst mit Milliarden-Bewertung, und Soylent, Hersteller eines Fleischersatz-Produkts, das im Silicon Valley und anderswo Kultstatus genießt.
Als er am Demo Day an der Reihe war, betrat Armstrong die Bühne mit ruhiger Zuversicht. Er wandte sich dem Publikum zu und verkündete seine Idee mit einem schlichten Slogan: „Coinbase: die einfachste Möglichkeit, um mit Bitcoin anzufangen.“
Es schien so offensichtlich – im Rückblick.
Armstrongs frühe Einsichten über Bitcoin sollten ihn zum Milliardär machen. Aber es kostete ihn auch einen Freund. In jenem Sommer 2012 hatte er nicht geplant, allein zu Y Combinator zu gehen, wo Ein-Mann-Bands nicht gern gesehen sind. Die Start-up-Schule wollte Mitgründer. Im Plural.
Trotz der Verehrung für Einzel-Entrepreneure im Silicon Valley sind Technologie-Start-ups, wie so viele kreative Vorhaben, in der Realität viel eher ein Teamsport – häufig in einer 2-Personen-Partnerschaft. In Arbeiten wie „Collaborative Circle“ oder „Powers of Two“ haben Forscher gezeigt, dass Genialität selten allein auftritt: John Lennon und Paul McCartney brauchten einander, um zeitlose Beatles-Hits zu schreiben, Pablo Picasso und Georges Braque schwangen Seite an Seite die Pinsel, um den Kubismus zu erfinden, und auch die Biologen James Watson und Francis Crick arbeiteten bei ihrer Entdeckung von Doppelhelix und DNA intensiv zusammen.
Bei der Technologie ist es nicht anders. Für Apple ist vor allem Steve Jobs berühmt, aber in seiner frühen Zeit wäre das Computerunternehmen ohne den anderen Steve nicht in Gang gekommen – Jobs’ Partner und Programmierer-Virtuosen Steve Wozniak. Das Gleiche gilt für Google. Der Doktorvater von Larry Page und Sergey Brin an der Stanford University sprach einmal von einer fast kompletten mentalen Verschmelzung der beiden Suchmaschinengründer. Und eine berühmte Garage in Palo Alto, bekannt als Geburtsort des Silicon Valley und heute ein offizielles Wahrzeichen des Bundesstaats Kalifornien, gehörte nicht etwa einem einsamen Erfinder, sondern zwei Männern: Bill Hewlett und Dave Packard, den Gründern von HP.
Durch ihre Erfahrung wusste die Führung von Y Combinator, dass ein guter Mitgründer nicht weniger wichtig ist als ein guter Geschäftsplan. „Erfolgreiche Unternehmen wurden schon immer von Partnern gegründet“, sagt President Altman. „Nach unserer Erfahrung ist es für Einzelgründer sehr, sehr schwierig. Die Aufs und Abs eines Start-ups sind so intensiv, dass man sich gegenseitig aufmuntern muss, wenn jemand gerade nicht zurechtkommt.“
Bis direkt vor dem Start des Programms bei Y Combinator hatte Armstrong noch einen Mitgründer. Sein Name war Ben Reeves, ein scheuer Junge mit britischen Wurzeln und ein Programmier-Magier, der nicht weniger leidenschaftlich an Bitcoin glaubte. Das Duo fand sich, nachdem es sich auf einer Website für Bitcoin-Diskussionen kennengelernt hatte. Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis sie planten, zusammen ein Unternehmen zu gründen. Als Team bewarben sie sich bei Y Combinator, und die angesehene Schule nahm sie an. Aber wenige Tage, bevor Reeves in ein Flugzeug aus Großbritannien steigen sollte, hatten sie Streit über ein wichtiges Thema, und Armstrong kündigte die Partnerschaft auf. „Zusammen gründen ist wirklich wie eine Ehe. Ich glaube zwar, wir haben wechselseitigen Respekt füreinander, aber wir können nicht besonders gut zusammen arbeiten“, schrieb Armstrong wenige Tage vor dem geplanten Start per E-Mail an Reeves.
Bei der Gelegenheit änderte er die Passwörter zu den Bibliotheken mit Programmcode, die sie zusammen aufgebaut hatten. In der Welt der Start-ups ist dies das Äquivalent zur Sperrung des Bankkontos für einen Lebenspartner. Aber es musste sein.
Der Punkt, über den sich die beiden nicht einigen konnten, war nicht ästhetischer Natur gewesen und auch nicht nur strategischer. Er war existenziell. Der Disput wurde zu einem fast religiösen Streit darüber, was Bitcoin sein sollte.
Als der pseudonyme Satoshi Nakamoto Bitcoin auf neun Seiten enthüllte, beschrieb er die Erfindung einer neuen und dezentralen Technologie. Auf das Wort dezentral kommt es dabei entscheidend an. Es bedeutet, dass keine einzelne Person, kein Unternehmen und kein Staat das Netzwerk kontrollieren kann, auf dem Bitcoin basiert. Gleichzeitig konnten Personen, die Bitcoin kauften oder verkauften, keine Bank und auch sonst keinen Dienst nutzen, um ihr digitales Geld zu verwahren. Bitcoin zu besitzen bedeutete, einen sogenannten privaten Schlüssel zu haben – ein langes Wirrwarr aus Buchstaben, Zahlen und Symbolen, um die eigene Online-Wallet zu öffnen und zu verschließen. Wenn dieser Schlüssel verloren ging, war das endgültig. Es ist das digitale Äquivalent einer Menge Bargeld in einem aufbruchsicheren Safe, dessen Kombination niemand kennt.
An diesem Punkt setzte Coinbase an. Die Idee von Armstrong – das offene Geheimnis, das er nutzte – bestand darin, einen Service für den Besitz von Bitcoin ohne private Schlüssel anzubieten. Das sollte Coinbase für die Kunden übernehmen.
Es war eine naheliegende Lösung. Trotzdem sahen Bitcoin-Puristen sie als Ketzerei an, als Verstoß gegen alles, wofür Nakamoto stand. Dass Kunden über Coinbase gekaufte Bitcoin auf eine Wallet übertragen konnten, die sie mit einem privaten Schlüssel kontrollierten, spielte keine Rolle. Es ging ums Prinzip. In den Augen der Puristen – und die stellten 2012 noch die überwältigende Mehrheit in der Krypto-Community dar – standen Armstrong und seine Coinbase-Pläne für das Wort mit Z: Zentralisierung. Er war ein Ketzer und beging Verrat an Nakamotos Vision.
Armstrong und Reeves haben sich nie versöhnt. Der verschmähte Partner gründete selbst ein erfolgreiches Bitcoin-Unternehmen, aber er hat nie vergessen, dass Armstrong ihn sitzen ließ. Jahre danach erlaubte er dem Magazin Wired, den wörtlichen Text der E-Mail zu veröffentlichen, mit der er vom Ende der gemeinsamen Pläne erfahren hatte. Auf seiner LinkedIn-Seite ist immer noch „Mitglied des Gründungsteams von Coinbase“ angegeben.
Armstrong spielt den Bruch heute herunter. Die Trennung von Reeves sei auf Drängen einer hohen Führungskraft bei Y Combinator erfolgt und zudem nötig gewesen, sagt er. Damals aber stellte sie zugleich ein großes Problem dar. Als Folge des Bruchs in letzter Minute wurde Armstrong zu einem der weniger Entrepreneure, die Y Combinator allein durchlaufen. Dabei profitierte er von der Coaching-Kompetenz in dem Inkubator und konnte die fantastischen Kontakte zu Mentoren und Investoren nutzen. Aber er hatte niemanden, der ihn aufmunterte, wenn die Lage schwierig wurde. Und sie sollte sehr schwierig werden.
Y Combinator bot Prestige und Bekanntheit, weil nur wenige Unternehmen dort Aufnahme fanden. Aber das war noch keine Garantie für Erfolg. In der Realität ging 80 Prozent der am Demo Day viel gelobten Start-ups anschließend leise das Geld aus, und von ihnen blieb nichts übrig, obwohl sich um diese Unternehmen meist zwei bis drei Gründer kümmerten. Im Sommer 2012 war Coinbase wenig mehr als eine Marketing-Idee und eine unfertige Website mit einem einzelnen Gründer. Das Unternehmen brauchte mehr, um in Gang zu kommen – Millionen mehr Zeilen Software, Produkt-Tests, einen Geschäftsplan und natürlich echte Kunden. Wenn Armstrong dafür nicht hätte sorgen können, hätte Coinbase das Schicksal der meisten Start-ups geteilt: das Scheitern. Seine Chancen waren nicht gut.
Fünf Meilen südlich von Y Combinator in Mountain View befindet sich eine weitere Silicon-Valley-Stadt namens Sunnyvale. Sie hat dieselbe milde Luft, den Eukalyptusgeruch, die öden Vorstadtstraßen und eine Station für den Cal-Train, den einfachen Zugdienst für Pendler in der Region. Dutzende bekannte Technologieunternehmen haben dort ihren Sitz, darunter Atari, Yahoo, Palm und der Chiphersteller AMD. Und im Sommer 2012 wurde es auch die Heimat eines jungen Flüchtlings von der Wall Street mit dem Namen Fred Ehrsam.
Ehrsam war eines dieser Superkinder, wie sie jeder aus der eigenen Schulzeit kennt. Er sah aus wie ein Model, das Gesicht wie gemeißelt und darüber ein Schopf blondes Haar, und er strahlte verwegene Sportlichkeit aus. Aufgewachsen in Concord im US-Bundesstaat New Hampshire, hatte er zur Gruppe der Beliebten gehört – wie konnte es auch anders sein? Aber es fühlte sich nie ganz richtig für ihn an.
„Ich fühlte mich wie ein Beobachter meines eigenen Lebens“, sagt er. Ehrsam tat, was von ihm erwartet wurde: Er bekam gute Noten und zeigte Top-Leistungen in Lacrosse und Basketball. Der Wunsch, seinem Vater zu gefallen, nagte an ihm. Der war ein hart arbeitender Ingenieur mit einem Abschluss von der Harvard Business School und erwartete nicht weniger als alles. Als Ehrsam Jahre später aus einem prächtigen Penthouse mit grandiosem Ausblick auf San Francisco und das Meer dahinter in die Ferne blickte, wusste er immer noch nicht, ob er dem gerecht geworden war. „Wenn man in einem Videospiel sehr gut wird, werden die Level immer schwieriger“, sagte er melancholisch.
Dass Ehrsam diesen Vergleich wählte, ist kein Zufall. Videospiele kennt er besser als fast alles andere. Die Welt um ihn herum in der Highschool mag sich nie ganz richtig angefühlt haben, aber die, die er im Internet fand, war perfekt für ihn. Jeden Tag beendete er das Lacrosse- oder Basketball-Training so früh wie möglich und eilte los, um World of Warcraft oder Call of Duty zu spielen. Oft machte er das die ganze Nacht lang, um in zwei Online-Ligen konkurrenzfähig zu bleiben – eine in den USA und die andere in Europa. In seinem letzten Jahr an der Highschool wurde er zum professionellen Gamer, der an Turnieren im ganzen Land teilnahm und gewann.
Videospiele ermöglichten Ehrsam eine Flucht vor dem Druck der Highschool und des Familienlebens, aber die war nur vorübergehend. Bald wurde es Zeit, einen College-Abschluss zu machen, wofür er Informatik an der Duke University wählte, und dann musste er einen vorzeigbaren Lebensunterhalt verdienen. Das tat er als Devisenhändler bei Goldman Sachs. „Forex-Händler bei Goldman Sachs war der Job im echten Leben, der Video-Games am nächsten kam, und gleichzeitig brachte er Geld und Prestige“, gibt er zu.
Ehrsam sah gut aus und war auch gut in seinem Job. Das hieß aber nicht, dass er ihn mochte. Tatsächlich starb er innerlich. Seine Chefs bei Goldman Sachs waren Wall-Street-Leute der alten Schule, die einst in Telefone gebellt und auf dem Parkett mit anderen Männern gerangelt hatten. Den neuen Stil, der sich in die Finanzindustrie einschlich, mochten sie nicht – zunehmend wurden diejenigen belohnt, die am besten Algorithmen schrieben. Die Prophezeiung von Marc Andreessen, berühmter Risikokapitalgeber von der Westküste (und zukünftiges Mitglied im Coinbase-Board), war dabei, sich zu bewahrheiten: „Software verschlingt die Welt.“ Und all diese Old-School-Händler würde sie mit verschlucken, auch wenn sie es nicht zugeben wollten.
„Sie haben die Software-Entwickler ‚IT’ genannt und als zweitklassig behandelt“, erinnert sich Ehrsam. „Sie hatten eine Abneigung gegen Automatisierung. Wenn ich etwas vorschlug, mit dem sich die halbe Handelsabteilung hätte ersetzen lassen, wollten sie das nicht. Es war eine total bizarre Zeit.“
Es war wieder wie in der Highschool. Oberflächlich erschien und agierte Ehrsam wie ein angesagter Händler, und seine Eltern waren zufrieden mit ihm, aber tief in seinem Inneren wünschte er, irgendwo anders zu sein. Also machte er das Gleiche wie damals. Spät am Abend flüchtete er ins Internet, wo er Menschen, Welten und Orte entdeckte, zu denen er sich zugehörig fühlte. Dieses Mal ließ er sich von Blogs und Reddit-Threads über eine neue Digitalwährung fesseln, die jeder ohne Zentralbank nutzen konnte – und auch ohne Geschäftsbanken wie Goldman Sachs. Bitcoin, eine Währung ohne Regierung, war nicht nur eine faszinierende Idee, fand Ehrsam, sondern auch eine notwendige. Tag für Tag sah er zu, wie die Wall Street Papiere der Federal Reserve aufsaugte. Die Situation im Ausland war sogar noch schlimmer – Länder wie Griechenland taumelten infolge von politischem Versagen im epischen Maßstab von Rettung zu Rettung. Im Vergleich dazu erschien das einst verrückte Konzept Bitcoin völlig vernünftig. Außerdem sah Ehrsam darin einen Job, für den er geboren war: Mit digitalem Geld kannte er sich aus, weil er es als Währung in seinen Spielen genutzt hatte, und klassische Finanzen hatte er als Händler an der Wall Street kennengelernt. Er wollte ins Bitcoin-Geschäft.
Dabei gab es nur ein Problem. Die gesamte Aktivität schien sich im Silicon Valley abzuspielen. Von diesem Ort hatte Ehrsam natürlich gehört, aber er war in New England aufgewachsen und wusste nicht, worum es dort wirklich geht. Nach und nach aber wurde ihm klar: So wie Maler nach Paris strömten und Filmemacher nach Hollywood, so ging man in das Silicon Valley, wenn man große Sachen mit Software vorhatte. Selbst New York City, das eigentlich alles bieten sollte, konnte nicht mit dieser besonderen Mischung aus geschäftlichem Treiben und Computer-Zauberei aufwarten. Es war Zeit, zu gehen. Nach zwei Jahren bei Goldman Sachs ließ Ehrsam die hohen Gebäude der Wall Street hinter sich und machte sich auf in das kleine Sunnyvale.
Ehrsam und Armstrong lernten sich in The Creamery kennen Wie so viele berühmte Orte im Silicon Valley sieht auch dieses Café nicht nach viel aus: ein flaches, einstöckiges Holzgebäude mit weißen Buchstaben über dem Eingang, kleiner Terrasse, ein paar Tischen innen, einer Speisekarte mit Sandwiches und Salaten und der üblichen Mischung aus Cocktails und Cappuccinos. Es ist ein bescheidener Ort an einer unauffälligen Straßenecke in San Francisco. Aber trotzdem waren seine Wände Zeuge von vielen Milliarden Dollar an Risikokapital-Geschäften und zahllosen Bewerbungen um eine Finanzierung für Start-ups, die später massive Erfolge feierten oder auch grandios scheiterten.
Vielleicht ist The Creamery so beliebt, weil es direkt an einer Autobahnabfahrt und einer Station von Cal-Train liegt. Vielleicht ist der Grund dafür auch, dass man einfach hinein- und wieder herausgehen kann, ohne Theater. Oder es liegt daran, dass sich die Technologiebranche schon immer dort getroffen hat (allerdings haben die vielen wohlhabenden Besucher nicht verhindert, dass The Creamery die Corona-Pandemie nicht überlebte. Das berühmte Lokal musste im August 2020 schließen).
Im Fall von Armstrong fiel die Wahl auf The Creamery, weil es direkt gegenüber des improvisierten Büros lag, das er unter der Adresse 1 Bluxome Street gemietet hatte. Ein paar Monate zuvor hatte er Y Combinator abgeschlossen, ausgestattet mit einer dicken Liste von Kontakten und potenziellen Investoren; der Start-up-Schule gehörten jetzt wie bei ihr üblich sieben Prozent von seinem Unternehmen. Aber immer noch war er weitgehend auf sich allein gestellt, professionell wie persönlich, als er Ehrsam auf einen seiner Bitcoin-Threads bei Reddit antwortete.
Ehrsam war ein paar Wochen zuvor von Sunnyvale, wo er bei alten College-Freunden gewohnt hatte, nach San Francisco gekommen. Als er Armstrong traf, war das wie bei einem der seltenen Tinder-Dates, bei denen es wirklich funkt. „Irgendetwas in meinem Bauch fühlte sich richtig daran an. Es war einfach aufregend“, erinnert sich Ehrsam. Das entstehende Unternehmen war für ihn wie ein verlockendes Videospiel, wie er es noch nie gespielt hatte. Aber es war real.
Die brüderliche Anziehung zwischen den beiden Männern Mitte 20 war wechselseitig. Bei seinem ersten Partner Reeves hatte Armstrong vor der Start-up-Ehe kalte Füße bekommen, dieses Mal aber war er rasch bereit dafür. Mit Ehrsam fand er einen Mitgründer, Freund und Co-Fanatiker. Zusammen hämmerten sie rund um die Uhr auf ihre Tastaturen ein und arbeiteten oft 16 Stunden am Tag, während sie mit dem Programmcode kämpften, der ermöglichen sollte, was bis dahin nicht möglich war: Bitcoin kaufen, indem man das eigene Bankkonto angibt. Keine Überweisungen ins Ausland, keine einschüchternden Zeichenfolgen – nur eine einfache Website, die aussah wie Online-Banking.
Seit Armstrong bei Y Combinator auf der Bühne gestanden hatte, waren knapp vier Monate vergangen. Jetzt war es November 2012 und Zeit, herauszufinden, ob Coinbase reale Chancen hatte. Es war Zeit, eine Funktion für den Kauf und Verkauf von Bitcoin mit einem Klick herauszubringen. Ein Hauch von San-Francisco-Nebel hing vor dem Fenster, als Armstrong und Ehrsam gebannt vor einem Laptop zusahen, wie sie freigeschaltet wurde.
Erfolg!
Zuerst tröpfelten auf der Website einige Aufträge von Kunden ein. Einige Wochen später wurde daraus eine Flut. Die Nachricht von der neuen und einfachen Möglichkeit zum Bitcoin-Kauf sprach sich herum. Das Volumen nahm zu, ebenso die Arbeitsbelastung für Armstrong und Ehrsam, die kämpfen mussten, um die Seite am Laufen zu halten.
Die erste Krise kam dann, als ein Softwarefehler die Anzeige der Bitcoin-Positionen bei den Kunden verfälschte. Auf der Seite von Coinbase war alles richtig, aber bei manchen Kunden sah es so aus, als wäre ihr Bestand ausgelöscht worden. Das einfache Kundenservice-Portal von Coinbase lief mit Dutzenden, dann Hunderten und dann mehr als 2.000 hektischen Anfragen von panischen Kunden über.
„Wo zum Teufel ist mein Bitcoin?“, „Ist das ein Betrug?“, „Ich will mein Geld zurück!“ Die besorgten und oft beleidigenden Nachrichten hörten nicht auf. Es war ein kritischer Moment für ein fragiles Start-up mit einer noch fragileren Reputation in einer von Misstrauen geprägten Branche. Armstrong und Ehrsam arbeiteten rund um die Uhr. Abwechselnd schliefen sie auf dem Boden, während der jeweils andere gegen die Welle von Kundenanfragen ankämpfte und an der Behebung des Softwarefehlers arbeitete.
Endlich, nach vielen Stunden erschöpfenden Programmierens, war das Feuer gelöscht und die Seite in Ordnung. Die Glaubwürdigkeit von Coinbase war wiederhergestellt. Armstrong, ruhig wie immer, wandte sich wieder der Lektüre von Technologienachrichten zu. Ehrsam war zu sparsam, um sich ein Uber-Auto zu rufen, und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause im berüchtigten Distrikt Tenderloin, die Straßen voller Scherben und Schreien von Junkies. Nichts davon nahm er wahr. Zwischendurch folgte er zwei Blocks lang einem blinden Mann, der bedauernswert über den holprigen Bürgersteig stolperte.
Am Ende fand Ehrsam den Weg in sein Bett. Draußen war immer noch viel los.
Katie Haun tippte die Buchstaben F-N-U L-N-U in die neue Kriminalakte: „first name unknown, last name unknown“ – so nennen Bundesbeamte in der USA Verdächtige, die noch nicht identifiziert sind. Ausgesprochen wird es „fi-nju el-nju“.
Haun freute sich über die Chance, diesem FNU LNU auf die Schliche zu kommen, wer auch immer er war.
Die blonde Frau voller Energie war im Jahr 2009 nach San Francisco gekommen und hätte dort die Spitze der juristischen Kreise erklimmen können. Vorher hatte sie als Assistentin für Richter Anthony Kennedy am Supreme Court der USA gearbeitet – das Ticket zu jedem hochbezahlten Job, den sie sich wünschen konnte. Stattdessen beschloss sie, beim Staat zu arbeiten. Seit mittlerweile drei Jahren hatte sie mit den gewalttätigsten Problemfällen im Northern District von Kalifornien zu tun und verfolgte sie eifrig: Bosse in der organisierten Kriminalität oder Biker-Gangs, die brutal ihre Rivalen ermordeten. Sie brachte sie vor Gericht und von dort ins Gefängnis. Diese Arbeit war höllisch interessant, aber sie war bereit für etwas Neues, weniger Blutiges.
Der neue Fall von FNU LNU passte zu diesem Wunsch. Die Details waren spärlich – ihre Vorgesetzten wussten nur, dass er mit Computern und einen großen Maß an illegaler Aktivität zu tun hatte. „Mein Chef kam herein und fragte, ‚Wie wäre es, wenn Sie diese neue Sache namens Bitcoin übernehmen würden?’ Ich hatte damals noch nie davon gehört“, erinnert sich Haun.
Trotzdem sagte sie sofort Ja.
Die Idee, eine Währung strafrechtlich zu verfolgen, erscheint lächerlich. Bitcoin vor Gericht zu stellen klingt genau so sinnvoll wie ein Kreuzverhör mit einem 100-Dollar-Schein. Doch für Staatsanwälte war im Jahr 2012 zwar noch nicht klar, was Bitcoin ist, aber sehr klar, was im Umfeld passierte. Das digitale Geld spielte bei einer ganzen Reihe von kriminellen Aktivitäten eine Rolle, von Geldwäsche über Drogenhandel bis zu Erpressung.
Haun brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass ihr FNU LNU kein Gangsterboss und keine kriminelle Bande war, sondern eine radikal neue Technologie. Und so tat sie das, was die meisten Menschen machen, wenn sie anfangen, sich für Bitcoin zu interessieren: Sie begann zu lesen.
Bitcoin-Neulinge stellen schnell fest, dass sie ein Fass ohne Boden geöffnet haben und dass es Hunderte Stunden dauern kann, bis man Themen wie „Hash-Rate“ oder „Konsens-Mechanismus“ verstanden hat. Haun musste nicht alles genau wissen, sondern nur die Grundlagen verstehen. Und auf einer sehr grundlegenden Ebene erkannte sie, dass Bitcoin eine Computer-Software ist, wenn auch eine sehr clevere. Jeder kann sie herunterladen und auf einem Laptop zu Hause laufen lassen. Für sich genommen ist das nicht sehr interessant oder nützlich. Die Intelligenz – die Magie von Bitcoin – liegt darin, dass die Software auf Tausenden Computern in aller Welt läuft. Und zusammen lassen diese Computer ein Register von Transaktionen entstehen, das zeigt, wer die von der Software erzeugten digitalen Einheiten für Transaktionen nutzt. Im Kollektiv werden sie damit zum Buchhalter, der nie Pause macht und Aufzeichnungen über jede Bitcoin-Transaktion führt, die es je gab. Eine 2010 ausgegebene Bitcoin-Einheit ist noch heute öffentlich im Register zu sehen. Wenn heute jemand mit einem Millionstel Bitcoin bezahlt (ja, das ist möglich), erscheint das innerhalb von Minuten im Register und bleibt für immer dort. Es lässt sich nicht entfernen oder löschen, und jeder kann es sehen. Außerdem nutzt Bitcoin raffinierte Mathematik, um dafür zu sorgen, dass Transaktionen nicht zu bestreiten sind. Technisch wie rechtlich kann es also keinen Streit darüber geben, ob es sie gegeben hat.
Die Transaktionen erscheinen nicht eine nach der anderen. Stattdessen wirft ungefähr alle zehn Minuten einer der Computer im Bitcoin-Netz eine neue Reihe der neuesten Transaktionen aus und verpackt sie in einem Stück Computercode, das als Block bezeichnet wird. Jeder neue Block bezieht sich auf den vorigen, sodass eine lange Kette von Transaktionen entsteht, die in Pakete verpackt und für jeden zu sehen sind. Das wird als Blockchain bezeichnet. Heutzutage gibt es viele davon, und der Ausdruck kann jede Software bezeichnen, die mithilfe von mehreren Computern ein Register von Transaktionen anlegt. Aber die Bitcoin-Blockchain ist die erste und berühmteste.
Der erste Block in der Bitcoin-Kette erschien im Jahr 2009, als der mysteriöse Schöpfer Satoshi Nakamoto ihn dort anlegte. Seit dieser Zeit haben Computer rund um die Welt mehr als eine halbe Million zusätzliche Blocks daran angehängt. Ende 2019 war Block Nummer 600.000 erreicht. Er wurde an Block 599.999 gekettet und enthielt wie alle anderen zuvor eine Liste von Bitcoin-Transaktionen verschiedener Besitzer. Die Blockchain nennt nicht die Namen dieser Personen, sondern nur ein langes Wirrwarr von Buchstaben und Ziffern, die zu ihnen gehören. Jeder in der Blockchain hat so etwas. Es wird als Adresse bezeichnet. Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann vielleicht, weil schon im Zusammenhang mit privaten Schlüsseln von einem Zeichen-Wirrwarr die Rede war – mit diesen bekommen die Eigentümer Zugriff auf die Bitcoin, die zu ihrer Adresse gehören. Wichtig dabei ist, dass jeder von ihnen zwei solcher Zeichenketten hat: Eine ist die Adresse, die jeder im Register sehen kann, die andere der private Schlüssel für den Zugriff auf den eigenen Bitcoin-Bestand.
Mit Coinbase nahm Armstrong diese gesamte Komplexität mit Adressen und Schlüsseln aus dem Spiel und ließ die Kunden Bitcoin so nutzen, wie sie es vom Online-Banking gewöhnt waren. Private Schlüssel auf USB-Sticks und in speziellen Software-Wallets zu speichern war schön und gut für Techies. Die meisten anderen Menschen aber konnten sich nicht dazu durchringen. Ihnen war es lieber, das einem technischen Vermittler zu überlassen – Coinbase eben.
Doch auch Coinbase nutzt immer noch die Blockchain. Wenn der Dienst im Auftrag von Kunden Bitcoin kauft oder verkauft, generiert er Transaktionen, die in Blocks verpackt dem stetig wachsenden Register hinzugefügt werden, so wie alle anderen. Aber wenn man nicht weiß, welche Adresse Coinbase verwendet, lässt sich kaum erkennen, dass das Unternehmen hinter einer Transaktion steht. Das ist das Besondere an Bitcoin: Die Blockchain ist zwar vollkommen öffentlich, aber man weiß nicht, wem welche Position gehört, wenn sich der Besitzer der Adresse nicht zu erkennen gibt. Wenn die Blockchain eine Million Dollar in Bitcoin für eine bestimmte Adresse anzeigt, kann diese ebenso gut einer Silicon-Valley-Größe gehören wie einem russischen Oligarchen oder einem Studenten in Korea. Heutzutage können Blockchain-Forensiker in manchen Fällen recht genau sagen, wer eine bestimmte Bitcoin-Adresse kontrolliert. In vielen anderen Fällen aber lässt sich kaum herausfinden, welche Person hinter welcher Transaktion steckt – vor allem dann nicht, wenn sie vorsichtig ist und ihre Spuren verwischt. Darin liegt die Brillanz, und für manche zugleich die Gefahr von Bitcoin als wirklich anonymer Währung. Gleichzeitig ist es der Grund, warum Katie Haun und andere Ermittler dachten, hinter Bitcoin könne nur ein kriminelles Superhirn stecken.
Doch trotz aller technischen Eleganz und Brillanz brauchte Bitcoin noch einen zusätzlichen Trick, um in Schwung kommen zu können – die richtigen Anreize. Das Blockchain-Register benötigt ein verteiltes Netzwerk aus freiwillig teilnehmenden Computern. Aber warum sollte irgendjemand seinen Rechner für ein globales Buchhaltungssystem verleihen? Auch an dieses Anreizproblem hatte Nakamoto gedacht. Seine Antwort darauf war ein geniales Lotteriesystem, das fester Bestandteil des Kerns von Bitcoin ist. In dem System kann jeder an einem Wettbewerb um neue Bitcoin teilnehmen. Dazu muss ein mathematisches Problem gelöst werden, was nur durch intensives Durchprobieren mit Versuch und Irrtum möglich ist. Ungefähr alle zehn Minuten findet ein solcher Wettbewerb statt, und wer zuerst die richtige Antwort findet, schickt sie an die anderen Computer im Netz. Dadurch wird der neueste Block – der sowohl die Lösung für die Rechenaufgabe als auch die neueste Reihe von Bitcoin-Transaktionen enthält – in das Register eingetragen. Wenn die Lösung korrekt ist, wenden sich die Teilnehmer der Lotterie – sie werden als Miner bezeichnet – dem nächsten Rechenproblem zu. Für ihren Einsatz erhalten die Gewinner eine gewisse Menge Bitcoin, die zu dem jeweiligen Block gehört. Von manchen Leuten wird sie Block Reward genannt, von anderen auch Coinbase.
Das Blockchain- und Anreizsystem von Bitcoin ist intelligent – vielleicht sogar brillant. Aber das erklärt noch nicht, warum Bitcoin überhaupt etwas wert ist. Schließlich handelt es sich dabei nicht um echte Münzen. Bitcoin sind nichts als Stückchen Computercode, die man nicht sehen oder anfassen kann.
Aber das spielt keine Rolle. Bitcoin ist eine Währung, und Währung bedeutet Vertrauen. Wichtig ist, dass sich genügend Menschen darüber einig sind, dass Bitcoin einen Wert hat, und bereit sind, etwas Wertvolles dafür herzugeben. In diesem Sinn unterscheidet sich Bitcoin nicht von jeder anderen Währung, die Menschen im Laufe ihrer Geschichte genutzt haben: Muscheln, Stückchen von gelbem Metall, von Banken oder Regierungen gedruckte Papierstücke. Aktuell glauben viele Millionen Menschen, dass Bitcoin wertvoll ist – und sind bereit, Tausende Dollar für eine Einheit zu bezahlen.
Anfangs war Bitcoin so viel wert, wie Skeptiker angemessen fanden: nichts. Oder jedenfalls fast nichts. Früh im Jahr 2010 entstand rasch eine Handvoll Online-Börsen, die Dutzende Bitcoin für Cent-Beträge verkauften. Sie boten eine einfachere Möglichkeit, an Bitcoin zu kommen, als sich an der Mathematik-Lotterie der Miner zu beteiligen. Aber den meisten Menschen kam der Kauf von Bitcoin gegen Dollar damals ungefähr so sinnvoll vor wie der Tausch einer Kuh gegen magische Bohnen. Es war nur eine Pseudowährung für Verrückte und Fanatiker.
Dann aber, am 22. Mai 2010, wurde Bitcoin ganz wörtlich zur Währung. Ein Mann aus Florida namens Laszlo Hanyecz wollte der Welt zeigen, dass Bitcoin einen realen Nutzen haben kann. „Ich biete 10.000 Bitcoin für ein paar Pizzas … vielleicht zwei große, damit ich noch ein bisschen für den nächsten Tag übrig habe“, schrieb er in einem Online-Forum. Ein Mitglied aus Großbritannien ging auf das Angebot ein. Es erhielt die 10.000 Bitcoin, damals etwa 35 Dollar – und schickte Hanyecz zwei Pizzen von Papa John’s. Der Tausch Pizza gegen Bitcoin machte Schlagzeilen in Technologiemedien weltweit, und die Welle der Publizität half auch dem Kurs auf die Sprünge. Ein Jahr später hätten die 10.000 Bitcoin schon für Hunderte Pizzen gereicht, und ein Jahrzehnt später für Dutzende von Filialen von Papa John’s. Doch zu der Zeit wollte Hanyecz nur etwas demonstrieren – und das ist ihm gelungen. Heute ist er eine kleine Berühmtheit, und sein Kauf wird jedes Jahr als Bitcoin Pizza Day gefeiert. Neun Jahre nach der denkwürdigen Transaktion wurde er in die CBS-Sendung 60 Minutes