Kirchengeschichte - Martin H. Jung - E-Book

Kirchengeschichte E-Book

Martin H. Jung

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Beschreibung

2000 Jahre Kirchengeschichte auf 330 Seiten – aus evangelischer Perspektive, aber im ökumenischen Geist. Dieses Buch gibt einen Überblick und konzentriert sich auf das Wesentliche. Es basiert auf dem neuesten Stand der Forschung und schlägt Brücken von der Geschichte in die Gegenwart. Die Geschichte des Christentums wird konsequent kritisch behandelt, den dunklen Seiten wird nicht ausgewichen. Das Lehrbuch ist didaktisch aufbereitet und bietet Begriffserklärungen und Arbeitsaufgaben sowie Hinweise zu Klausuren und Hausarbeiten. Konsequent wird auf Lesbarkeit und Verständlichkeit geachtet und nicht mehr vorausgesetzt als das, was Studierende heutzutage an Allgemeinwissen mitbringen. Das Buch zeigt, dass Kirchengeschichte nicht verstaubt und langweilig ist, sondern spannend, höchst relevant und aktuell.

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Seitenzahl: 981

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Martin H. Jung

Kirchengeschichte

3., überarbeitete und aktualisierte Auflage

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Prof. Dr. Martin H. Jung ist Universitätsprofessor für Historische Theologie (Kirchen-, Dogmen- und Konfessionsgeschichte sowie Ökumenische Theologie) am Institut für Evangelische Theologie der Universität Osnabrück.

 

Umschlagabbildung: Atelier Reichert, Stuttgart, nach Bildern des Autors

 

3., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2022

2., überarbeitete Auflage 2017

1. Auflage 2014

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838557588

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

 

utb-Nr. 4021

ISBN 978-3-8252-5758-3 (Print)

ISBN 978-3-8463-5758-3 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Christus, die ersten Christen und das Christentum2 Antike2.1 Kirchengeschichte der Antike im Überblick2.2 Hauptthemen der antiken Kirchengeschichte2.2.1 Judenchristen und Heidenchristen2.2.2 Apostel und Apostolische Väter2.2.3 Verfolgungen und Martyrien2.2.4 Apologeten und Kirchenväter2.2.5 Konstantins Wende2.2.6 Christologien und Trinitätslehren2.2.7 Asketen und Eremiten2.2.8 Gnosis und ManichäismusAufgabenAlte Kirche im Internet3 Mittelalter3.1 Kirchengeschichte des Mittelalters im Überblick3.2 Hauptthemen der mittelalterlichen Kirchengeschichte3.2.1 Mission3.2.2 Mönchtum3.2.3 Frömmigkeit3.2.4 Kreuzzüge3.2.5 Papsttum3.2.6 Scholastik3.2.7 Humanismus3.2.8 Christen und Juden3.2.9 Christen und MuslimeAufgabenMittelalter im Internet4 Reformation4.1 Kirchengeschichte der Reformation im Überblick4.2 Hauptthemen der Reformationsgeschichte4.2.1 Biografie und Theologie Luthers4.2.2 Von der Gemeinde- zur Fürstenreformation4.2.3 Biografie und Theologie Zwinglis4.2.4 Täufer, Spiritualisten und Antitrinitarier4.2.5 Vom Augsburger Bekenntnis zum Augsburger Religionsfrieden4.2.6 Biografie und Theologie Calvins4.2.7 Gegenreformation und katholische Reform4.2.8 Luthertum und Calvinismus in EuropaAufgabenReformation im Internet5 Frühe Neuzeit5.1 Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit im Überblick5.2 Hauptthemen der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte5.2.1 Orthodoxie5.2.2 Barockscholastik5.2.3 Der Dreißigjährige Krieg5.2.4 Pietismus5.2.5 Aufklärung5.2.6 Kirchen in EnglandAufgabenFrühe Neuzeit im Internet6 Moderne6.1 Kirchengeschichte der Moderne im Überblick6.2 Hauptthemen der Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts6.2.1 Diakonie und Caritas6.2.2 Neue Theologien6.2.3 Staatskirchen, Volkskirchen, Freikirchen6.2.4 Antisemitismus und Philosemitismus6.2.5 Päpste und Konzile6.2.6 Die Kirchen im „Dritten Reich“6.2.7 Kirchen in Deutschland nach 19456.2.8 Mission und Dialog6.2.9 Ökumene6.2.10 Kirchen in AmerikaAufgabenModerne im Internet7 ZeitgeschichteKirchliche Zeitgeschichte im ÜberblickAufgabenZeitgeschichte im Internet8 Vertiefungen8.1 Warum Kirchengeschichte – und wie?8.2 Geschichte der Kirche oder Geschichte der Kirchen?8.3 Kirchengeschichte als Christentumsgeschichte8.4 Die Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung8.5 Kirchengeschichte und Theologie8.6 Kirchengeschichte in der Region8.7 Kirchengeschichte in der Schule8.8 Kirchengeschichte in der Gemeinde8.9 Epochen der Kirchengeschichte8.10 Kirchengeschichtliche Quellen und Hilfsmittel8.11 Kirchengeschichte im Internet8.12 Prominente Kirchenhistoriker8.13 Kirchengeschichtliche Arbeitsweisen8.14 Seminar- und Examensarbeiten in Kirchengeschichte8.15 Kirchengeschichtliche Zukunftsperspektiven9 Anhang9.1 Musterklausuren9.2 Glossar9.3 Lösungen zur Musterklausur S. 2929.4 Lösungen zu den Bildinterpretationen9.5 Personenregister9.6 Orts- und Sachregister

Vorwort

Dieses Buch geht in mehrfacher Hinsicht neue Wege. Erstmals wird Kirchengeschichte nach einem durchdachten didaktischen Konzept vermittelt. Erstmals werden beim Gang durch die Kirchengeschichte laufend aktuelle Bezüge hergestellt. Erstmals endet die Kirchengeschichte nicht 1945 oder 1989, sondern reicht bis ins Jahr 2021. Erstmals wird Kirchengeschichte unter konsequenter Einbeziehung der beiden für das Christentum wichtigen Nachbarreligionen, des Judentums und des Islams, behandelt. Erstmals kommen neben Deutschland auch Österreich und die Schweiz zur Geltung. Und selbstverständlich findet auch der neuzeitliche Katholizismus die ihm gebührende Beachtung und den evangelischen Freikirchen wird angemessen Raum gegeben. Die zahlreichen, teilweise nur wenig bekannten Bilder dienen nicht (nur) der Illustration und Auflockerung, sondern sind allesamt gut für die Verwendung im Unterricht an Schulen und Hochschulen geeignet. Konsequent wurde auf Verständlichkeit geachtet, sodass diesen Kirchengeschichtsüberblick auch diejenigen verstehen, die nur wenige Vorkenntnisse haben.

Das große Reformationsjubiläum 2017 liegt hinter uns. Weitere Gedenkjahre stehen an: 2023 sind es 500 Jahre, dass erstmals Frauen mit Flugschriften an die Seite der Reformation traten, 2025 jährt sich der Bauernkrieg und 2030 werden zusammen mit „500 Jahre Augsburger *Bekenntnis“ auch 2000 Jahre Christentum begangen. Zur Mitgestaltung dieser Jubiläen in Gemeinde und Schule will dieses Buch ebenfalls anregen und dienen.

Seit 1987, als ich in Tübingen erstmals eine Assistentenstelle übernahm, lehre ich Kirchengeschichte aller Epochen. Mein Berufsweg führte mich nach Siegen und nach Basel und zuletzt nach Osnabrück, wo ich seit 2002 die Professur für Historische Theologie (Kirchengeschichte, Dogmen-, Theologie- und Konfessionsgeschichte sowie Ökumenische Theologie) am Institut für Evangelische Theologie an der Universität Osnabrück innehabe und mich im evangelisch-​katholischen, im christlich-​jüdischen und im christlich-​muslimischen Dialog engagiere. Meine Lehrerfahrung in verschiedenen Kontexten, bei der Aus- und Fortbildung von evangelischen Religionslehrer/innen und Pfarrer/innen, hat Eingang in dieses Buch gefunden. Seit meiner Promotion 1990 habe ich selbst zu zahlreichen Kapiteln der Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte der Neuzeit eigene Forschungsbeiträge erbracht und publiziert. Auch sie haben Eingang gefunden in dieses Buch, sodass es verschiedentlich eigene Akzente setzt. Die knapp gehaltenen Literaturangaben enthalten neben Standardwerken zum jeweiligen Thema auch Hinweise auf solche Literatur, die dabei zur Überprüfung und Vertiefung dient.

Das Glossar im Anhang hilft beim Verstehen von Fachwörtern. Hochgestellte Sternchen markieren Begriffe, die im Glossar erklärt werden. Das Buch macht auch mit den Möglichkeiten bekannt, die das Internet bietet. Auf der zum Buch gehörenden Website finden sich unter anderem Aussprachehilfen für fremdsprachige Begriffe, zum Beispiel aus dem Französischen. Eine wichtige Hilfe bei der Vorbereitung von Referaten oder mündlichen Prüfungen! Im Text wird durch ein Notenzeichen (→ ♫) auf dieses Hörangebot verwiesen. Zur Website des Buches führt folgender Link:

 

URL:http://s.narr.digital/aggxb

 

Für zahlreiche Anregungen und Hinweise, die in diese dritte, neu bearbeitete Auflage Eingang gefunden haben, danke ich meinen Studierenden des ersten Corona-​Studienjahrs 2020/21, in dem dieses Buch meine Vorlesung ersetzte, sowie ganz besonders Tim Hocks, M.Ed., B.A. (Hons.).

 

Osnabrück, im April 2022     Martin H. Jung

1ChristusChristus, die ersten ChristenChristen/Christentum und das Christentum

Das ChristentumChristen/Christentum wurzelt in Jesus JesusJesus, den seine Anhänger als ChristusChristus ansahen und bezeichneten. Jesus war eine Gestalt der Geschichte, daran besteht kein ZweifelZweifel. Wir wissen zwar nur wenig historisch Zuverlässiges über sein Leben, aber dass er gelebt hat, dass er gepredigt und geheilt hat sowie als Dämonenaustreiber (ExorzistExorzist) auftrat, ist gesichert. Ebenso sicher ist, dass er am KreuzKreuz gestorben ist. Das bezeugen auch außerchristliche QuellenQuellen.

Wann JesusJesus geboren wurde, wissen wir nicht. Alles, was die BibelBibel über die Umstände seiner Geburt erzählt, sind nach seinem TodTod entstandene Legenden, die wichtige und richtige theologische Gedanken in anschauliche und einprägsame Geschichten kleideten. Jesus stammte aus NazarethNazareth, sein Vater hieß JosephJoseph (Vater Jesu) und seine Mutter MariaMaria (Mutter Jesu). Er hatte mehrere Geschwister. Vielleicht lernte er den Beruf seines Vaters und wurde Zimmermann. Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Irgendwann begegnete ihm ein jüdischer Bußprediger namens Johannes der Täufer JohannesJohannes der Täufer, eine historisch greifbare Gestalt, und Jesus ließ sich von ihm im Jordan taufen. Anschließend begann Jesus eigenständig zur Lebenserneuerung aufzurufen und zu predigen. Er war damals etwa dreißig Jahre alt. Er durchstreifte seine Heimat, Galiläa, gelangte an den See Genezareth und sammelte Anhänger und Anhängerinnen, darunter einen kleinen Kreis von besonderen Vertrauten, die zwölf „Jünger“.

JesusJesus war nur wenige Jahre, vielleicht sogar nur ein Jahr lang unterwegs. Dann zog er mit seinen Anhängern nach JerusalemJerusalem (Abb. 2.1). Dort wurde er verhaftet, verhört, verurteilt und hingerichtet. Das Urteil sprach PilatusPilatus / Pontius Pilatus (auch: Pontius Pilatus) – eine geschichtlich greifbare Gestalt –, der in Palästina von 26 bis 36 als römischer Statthalter regierte. Das Urteil vollstreckten römische Soldaten. Jesu Anhänger waren entsetzt und suchten überwiegend das Weite. Andere Zuschauer ergötzten sich jedoch an dem grausamen Schauspiel und empfanden das Urteil als gerecht. Die Kreuzigung KreuzigungKreuzigung fand an einem Freitag statt, unmittelbar vor einem Passahfest. Es war der 14. Nisan (Johannesevangelium) oder der 15. (Markus-, Matthäus-, Lukasevangelium) nach dem jüdischen Kalender. Diese Angaben führen in das Jahr 27 oder 30 oder 31 nach unserer ZeitrechnungZeitrechnung. Das Jahr 30 30 ist am wahrscheinlichsten. Die Kreuzigung war dann am 7. April 30. Nach den neuesten archäologischen Erkenntnissen fanden Kreuzigung und Grablegung tatsächlich dort statt, wo vom 4. Jahrhundert an und noch heute die „GrabeskircheGrabeskirche“ steht. Aber den ersten ChristenChristen/Christentum waren die Orte nicht wichtig, da sie Jesus auf neue Weise als gegenwärtig erlebten und als von Gott aus dem TodTod erweckt verkündeten. Erst später begannen sich die Christen für heiligeheilig Orte zu interessieren und versuchten zu identifizieren, was noch zu identifizieren war.

JesuJesus Anhänger sahen in ihm den Christus ChristusChristus. Ob er sich selbst so gesehen hat und ob seine Anhänger ihn schon zu Lebzeiten oder erst nach seinem TodTod so ansahen, ist unsicher. Christus (→ S. 55) war das griechische Äquivalent zu dem hebräischen MessiasMessias (→ S. 55) und bezeichnete den „gesalbten“ Erlöser-​König, eine sehnsüchtig erwartete Gestalt der Endzeit, die dem unterdrückten Judenvolk die WendeWende bringen sollte. Mehrfach waren im Zeitalter Jesu Gestalten der Geschichte als Messias/Christus angesehen worden, doch immer wurden die Erwartungen enttäuscht. Jesus entsprach zwar auch nicht den gängigen Vorstellungen, insbesondere passte sein Kreuzestod nicht ins Konzept, denn seine jüdischen Anhänger lasen im Alten Testament: „Ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott.“ (Dtn 21,23) Dennoch blieben sie mehrheitlich bei ihrer Entscheidung und ihrem Glauben. Die KreuzigungKreuzigung war die grausamste und schmachvollste Hinrichtungsart der Römer und wurde vor allem an politischen Verbrechern vollstreckt. Pointiert könnte man sagen: Das ChristentumChristen/Christentum entstand, als die Anhänger Jesu anfingen, seinen Schmachtod theologisch, das heißt positiv und als sinnvoll zu deuten. Dabei half ihnen das Alte Testament, zum Beispiel Jes 53,4f., das Lied vom GottesknechtGottesknecht:

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir FriedenFrieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Die Auferweckung Auferweckung JesuJesus war für die frühen ChristenChristen/Christentum so zentral wie seine KreuzigungKreuzigung. Anders als die Kreuzigung ist sie allerdings kein geschichtlich greifbares Faktum. Wir haben nur die Berichte des Neuen Testaments, von denen die ältesten, bei PaulusPaulus (Apostel), von Erscheinungen Jesu nach seinem TodTod berichten (1 Kor 15,3–6). Dies wurde und wird unterschiedlich interpretiert. Die Erscheinungen lassen sich als *VisionenVisionen erklären. Solchen muss keine reale, leibliche Auferweckung aus dem Tod vorausgehen. ModerneModerneTheologenTheologen/Theologie erklärten, AuferstehungAuferstehung bedeute einfach: Die Sache Jesu geht weiter (Willi MarxsenMarxsen, Willi, Dorothee SölleSölle, Dorothee). Immer wieder spielte aber auch die Hypothese eine Rolle, Jesus sei gar nicht am KreuzKreuz gestorben, er sei scheintot gewesen oder ein anderer sei an seiner Stelle gekreuzigt worden. Letzteres glauben auch die MuslimeMuslime. Klar ist: Mit Auferstehung oder Auferweckung meint die BibelBibel nicht die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern den Übertritt Jesu in eine neue Existenzweise in der Sphäre Gottes, als „Erstling der Entschlafenen“ (vgl. 1 Kor 15,20), das heißt wie sie von JudenJuden/Judentum und Christen – und von Muslimen – für jeden Gläubigen nach dem Tod erwartet wird.

Motiviert von der Botschaft „Er ist auferstanden!“ versammelten sich die ersten ChristenChristen/Christentum in Hauskreise HauskreisenHauskreis in Privathäusern und bedachten miteinander JesuJesus Leben und Sterben. Sie verbreiteten ihren Glauben mit Worten, und sie überzeugten durch ihre Taten. Kreise von Jesusanhängern – christliche Gemeinden – bildeten sich in JerusalemJerusalem, aber auch in anderen Orten Palästinas. Wir wissen von frühen Jesusanhängern in Samaria, Lydda (heute: Lod), Joppe (heute: Jaffa), CäsareaCäsarea (Abb. 2.1), aber auch im syrischen DamaskusDamaskus (Abb. 2.1).

Sie bezeichneten JesusJesus als ChristusChristus, und der Titel wurde rasch zu einem Beinamen. Seit den 40er Jahren und erstmals in AntiochienAntiochien (Abb. 2.1), einer damals bedeutenden Großstadt in Syrien mit 500.000 Einwohnern, heute in der Türkei gelegen und Antakya genannt, bezeichneten Außenstehende die Anhänger Jesu als Christen ChristenChristen/Christentum (vgl. Apg 11,26). Bald wurde aus der Fremd- eine Selbstbezeichnung. Damit war eine neue ReligionReligion entstanden, die sich rasch verbreiten und schließlich die ganze Welt erfüllen sollte. Die Bezeichnung als „Christentum“ ist auch erstmals in Antiochien aufgekommen, zu Beginn des 2. Jahrhunderts.

Das Christentum ChristentumChristen/Christentum hat eine 2000-jährige Geschichte, ist jünger als das Judentum JudentumJuden/Judentum, jedoch älter als der Islam IslamIslam (s. auchMuslime), aber es ist von allen Religionen – noch – die bedeutendste. Weltweit zählen heute knapp 2,3 Milliarden Menschen zu dieser ReligionReligion. Zum Vergleich: MuslimeMuslime gibt es knapp 2 Milliarden und Juden gut 15 Millionen. Die Angaben beruhen freilich nicht auf wirklichen Zählungen.

MERKE: Der korrekte sprachliche Umgang mit den zentralen christlichen Namen und Titeln ist im Deutschen nicht einfach, weil die griechischen und lateinischen Wortendungen nach den RegelnRegel ihrer jeweiligen Sprache gebeugt werden oder sich altertümliche Formen des Deutschen erhalten haben.

JesusJesus (Genitivbildung): „der TodTod Jesu“ [üblich] oder „der Tod von Jesus“

JesusJesus (Akkusativbildung): „ich ehre Jesum“ [altertümlich] oder „ich ehre Jesus“

JesusJesus (Dativbildung): „ich vertraue Jesu“ [altertümlich] oder „ich vertraue Jesus“

JesusJesus (Vokativbildung): „hilf mir, Jesu“ [Kirchensprache] oder „hilf mir, Jesus“

JesusJesusChristusChristus (Genitivbildung): „der TodTod Jesu Christi“ oder „der Tod von Jesus Christus“

ChristusChristus (Genitivbildung): „zwei Jahre nach Christi Geburt“ oder „zwei Jahre nach Christus“

JesusJesusChristusChristus (Akkusativbildung): „ich ehre Jesum Christum“ [altertümlich] oder „ich ehre Jesus Christus“

JesusJesusChristusChristus (Dativbildung): „ich vertraue Jesu Christo“ oder „ich vertraue Jesus Christus“

JesusJesusChristusChristus (Vokativbildung): „hilf mir, Jesu Christe“ [Kirchensprache] oder „hilf mir, Jesus Christus“

Herr JesusJesusChristusChristus (Genitivbildung): „das Leiden unseres Herrn Jesus Christus“

Herr JesusJesusChristusChristus (Akkusativbildung): „der GlaubeGlaube an unseren Herrn Jesus Christus“

Herr JesusJesusChristusChristus (Dativbildung): „ich vertraue dem Herrn Jesus Christus“

Herr JesusJesusChristusChristus (Vokativbildung): „wir rufen zu dir, Herr Jesus Christus“

MariaMaria (Mutter Jesu) (Genitivbildung): „Mariä Himmelfahrt“ oder „die Himmelfahrt Marias“ oder „die Himmelfahrt Mariens“ oder „die Himmelfahrt von MariaMaria (Mutter Jesu)“

PetrusPetrus (Apostel) (Genitivbildung): „der Nachfolger des Petrus“ oder „der Nachfolger Petri“ oder „der Nachfolger Petrus’“ [Apostroph!] oder „PetrusʼPetrus (Apostel) Nachfolger“ [Apostroph!]

Blickt man zurück auf die Anfänge, so ist dieser Erfolg Erfolg des ChristentumsChristen/Christentum erstaunlich, ja beinahe wundersam. Aus der kleinen Anhängerschar eines Gekreuzigten ist die größte Weltreligion geworden. Die Gründe des Erfolgs liegen sowohl in der inneren Kraft dieser ReligionReligion als auch in äußeren Umständen, die ihre Verbreitung begünstigten. Die innere Kraft herauszuarbeiten ist Aufgabe der TheologieTheologen/Theologie, die äußeren Umstände zu klären Aufgabe der Historie. Die kirchengeschichtliche Disziplin verbindet Theologie und Historie und zeigt Zusammenhänge und Entwicklungen auf. Sie ignoriert dabei nicht, dass zu den äußeren Umständen, beginnend mit dem 4. Jahrhundert, eines hinzukam: GewaltGewalt. Auch Gewalt, mitunter brutale Gewalt, hat zur Verbreitung des Christentums beigetragen und es zu dem gemacht, was es heute ist. Das wird insbesondere deutlich, wenn man das 8. und 9. Jahrhundert betrachtet, ferner das 16. und 17. sowie das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Heute allerdings ist die weltweit erfolgreichste Religion zurückgeworfen auf ihre Anfänge. Weitere Erfolge und ihre ZukunftZukunft hängen nur noch von einem ab, der inneren Kraft. Wie in den Anfangsjahren der christlichen Religion versammeln sich auch heute Christen wieder in Hauskreisen und fragen, warum und wofür JesusJesus gestorben ist, und sie werben für den Christenglauben mit Worten und überzeugen durch ihre Taten.

Das ChristentumChristen/Christentum entfaltete sich als Sonderform des Judentums in einer von religiöse Vielfalt religiöser Vielfalt geprägten Welt. Das römische Weltreich, das religiös und kulturell stark griechisch ausgerichtet war, hatte keine einheitliche ReligionReligion, sondern erlaubte höchst unterschiedliche religiöse Kulte, sofern sie nichts Sittenwidriges praktizierten. ReligionspluralismusReligionspluralismus ist also keine Erfindung der von der *AufklärungAufklärer/Aufklärung geprägten ModerneModerne, sondern war schon bei den alten Griechen und Römern eine Selbstverständlichkeit. Dass es zwischen dem Ende der AntikeAntike und dem Beginn der Aufklärung anders war, hat das Christentum zu verantworten.

Die JudenJuden/Judentum hatten nur einen TempelTempel besessen, die Griechen und Römer Griechen und die Römer besaßen viele. Griechen und Römer kannten und verehrten die traditionellen griechischen und römischen Götter, wobei die Kulturverschmelzung zwischen Griechen und Römern auch zur Verschmelzung ihrer Gottheiten geführt hatte. Der griechische Hauptgott, ZeusZeus, verschmolz mit dem römischen Hauptgott, JupiterJupiter (Gott). Dieser wurde als „Vater“ und „König“ verehrt. Sein Kultort befand sich in RomRom, auf dem Kapitol, einem der sieben Hügel, auf denen die Stadt erbaut worden war. Hier opferten ihm der Senat, die Beamten und die Soldaten. Aber auch in der privaten FrömmigkeitFrömmigkeit spielte Jupiter eine Rolle. Neben Jupiter/Zeus gab es viele, viele weitere Götter mit unterschiedlichen Zuständigkeiten: MarsMars (Gott)/AresAres brauchte man für den KriegKrieg, VenusVenus (Göttin)/AphroditeAphrodite für die LiebeLiebe und BacchusBacchus/DionysDionys für den Weingenuss.

Ein wichtiger Punkt der römischen Religiosität war die Kaiser-verehrung KaiserverehrungKaiserverehrung. KaiserKaiser/Kaiseramt wurden nach ihrem TodTod als Götter verehrt. Dies galt auch für AugustusAugustus (Kaiser), der zur Zeit JesuJesus regiert hatte. Eigentlich hieß er Gaius Octavius, trug jedoch den ihm 27 v. Chr. verliehenen Ehrentitel Augustus (lat., dt.: der Ehrwürdige) wie einen Namen. Nach seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. wurde er in RomRom in einem eigens erbauten Mausoleum beigesetzt. In den Römerstädten wurden TempelTempel zu seinen Ehren errichtet und Statuen aufgestellt. Ein berühmter Augustustempel stand in Pula in Kroatien. Aber auch in TrierTrier wurde er als Gott verehrt, trug die Stadt an der Mosel doch seinen Namen: Augusta Treverorum (lat., dt.: Augustusstadt im Lande der Treverer). Kaiserverehrung gehörte zur römischen Kultur, aber sie wurde von Staats wegen organisiert, kein einfacher Bürger war verpflichtet oder auch nur gehalten, daran aktiv Anteil zu nehmen. Erst in der Mitte des 3. Jahrhunderts wurde das anders (→ S. 41).

Das Christentum ChristentumChristen/Christentum nahm seinen Anfang in einer religionspluralistischen Kultur, bekämpfte aber diesen PluralismusPluralismus und unterdrückte ihn, auch mit GewaltGewalt, nachdem es im Laufe des 4. Jahrhunderts die Möglichkeit dazu erlangt hatte. 380 380 wurde das Christentum *StaatsreligionStaatsreligion. Weitere Wegmarken auf der Bahn zur religiösen Vereinheitlichung waren die Zerstörung der *SynagogeSynagoge von Kallinikon am Euphrat 388/89, die Ermordung der neuplatonischen Philosophin HypatiaHypatia in Alexandrien 415 und die zwangsweise Schließung der Athener „AkademieAkademie“, des Zentrums des NeuplatonismusNeuplatonismus, 529.

Das ChristentumChristen/Christentum war in seinen Anfängen auch selbst pluralistisch pluralistisch. Die Einheit der Christen war durch den einen Herrn, den einen Glauben und die eine TaufeTaufe (vgl. Eph 4,5) gegeben, aber von Anfang an gab es viele *Christologien (→ S. 55) und viele Theologien, und es gab auch kein Zentrum, geschweige denn eine einzelne Person, die das Sagen hatte. Nachhaltigen und bleibenden Ausdruck hat der innerreligiöse PluralismusPluralismus in den vier EvangelienEvangelium gefunden: Nicht ein EvangeliumEvangelium berichtet vom Sterben JesuJesus und seinem Leben, sondern vier EvangelienEvangelium berichten auf unterschiedliche Weise darüber, mit verschiedenen Abläufen, mit verschiedenen Einzelheiten und mit verschiedenen Deutungen. Doch schon bevor sich das Christentum mit der Staatsmacht verbinden konnte, bekämpfte und unterdrückte es den innerreligiösen Pluralismus. Wegmarken auf der Bahn zur religiösen Vereinheitlichung Vereinheitlichung waren die Fixierung und Abgrenzung des Neuen Testaments im 2. Jahrhundert (→ S. 46) und die Herausbildung eines Glaubensbekenntnisses im 3. Jahrhundert. Beides waren allerdings Prozesse und keine Festlegungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort getroffen worden wären. 325, 381 und 451 wurden hingegen an konkreten Orten konkrete Entscheidungen gefällt, die das Christentum nachhaltig normierten und definierten. 325 325 wurde in NicaeaNicaea (auch: Nicäa, Nizäa, Nikaia) die Lehre von der Gottgleichheit des Sohnes Gottes für verbindlich erklärt, 381 381 in KonstantinopelKonstantinopel die von der Göttlichkeit des *HeiligenHeiligeGeistHeiliger Geistes und 451 451 in ChalcedonChalcedon die Lehre, dass Jesus Christus zugleich Gott und Mensch war. Wer fortan von diesen zentralen theologischen Lehren abwich, wurde als IrrlehrerIrrlehren/Irrlehrer betrachtet und aus der religiösen Gemeinschaft ausgeschlossen, mitunter sogar getötet.

Erst in der ModerneModerne fand das ChristentumChristen/Christentum zum innerreligiösen Pluralismus PluralismusPluralismus zurück und erst in der Moderne lernte es wieder, in einer religionspluralistischen Kultur zu leben. In beiden Fällen entschied sich das Christentum nicht bewusst für den Pluralismus, sondern er kam von außen, letztlich durch die Ideen und Umwälzungen der *AufklärungAufklärer/Aufklärung, und das Christentum rang sich Schritt für Schritt dazu durch, ihn zu akzeptieren. Im *ProtestantismusProtestanten/Protestantismus begann dieser Prozess schon im 18. Jahrhundert, die römisch-​katholische Kircherömisch-​katholische Kirche dagegen akzeptierte die Religionsfreiheit ReligionsfreiheitReligionsfreiheit und damit den äußeren ReligionspluralismusReligionspluralismus offiziell erst 1965, während sie den innerchristlichen Pluralismus bis heute nicht als etwas Positives ansehen kann. Religionsfreiheit hat, evangelischevangelisch betrachtet, ihren theologischen Grund in der Unverfügbarkeit des Glaubens, und Letzteres ist eine reformatorische ErkenntnisErkenntnis.

2AntikeAntike

2.2Hauptthemen der antiken KirchengeschichteKirchengeschichte

2.2.1JudenchristenJudenchristen und HeidenchristenHeidenchristen

JesusJesus war JudeJuden/Judentum und die ersten Christen waren Juden, Christen aus dem Judentum, kurz Judenchristen JudenchristenJudenchristen. Über Jesus wissen wir nicht viel, was streng historisch betrachtet sicher ist. Unstrittig ist jedoch, dass er gelebt hat und seine Gestalt nicht erdichtet und erfunden wurde, und unstrittig ist, dass er Jude war und sich als Jude verstand. Unter seinen Anhängern waren Männer und FrauenFrau, und alle waren Juden. Allerdings gab es Juden Juden, die aus PalästinaPalästina stammten und aramäisch sprachen, und es gab Juden, die irgendwo in einer der Städte des Römerreichs lebten und griechisch – oder lateinisch – sprachen. Das Hebräische wurde nur noch im GottesdienstGottesdienst verwendet, aber das Aramäische war mit dem Hebräischen verwandt. Die aramäisch sprechenden Juden unter den Jesus-​Anhängern wurden deshalb HebräerHebräer genannt, die griechisch sprechenden HellenistenHellenisten. Beide Gruppen unterschieden sich in ihrem Verhältnis zum Religionsgesetz, in ihrem Verhältnis zum TempelTempel und in der Art und Weise, wie sie die BibelBibel auslegten. Generell waren die Juden Palästinas konservativer als die hellenistischen.

JudenJuden/Judentum

Als JudenJuden/Judentum werden gleichermaßen Angehörige eines Volkes wie einer ReligionReligion bezeichnet, wobei das Volk letztlich durch die Religion definiert wird, auch wenn nicht alle Angehörige des Volkes diese Religion praktizieren, und die Religion ihrerseits fest mit einem Volk verbunden ist, auch wenn Konversionen zu dieser Religion immer möglich waren und sind. Unter den zwölf Stämmen IsraelsIsrael gab es einen Stamm Juda, der südlich von JerusalemJerusalem lebte. Juden sind aber nicht nur die Nachfahren dieses Stammes, vielmehr ist der Stammesname auf das Gesamtvolk übergegangen. Zur Zeit JesuJesus und der Alten Kirche besaßen die Juden schon lange keinen eigenen, souveränen Staat mehr. Sie hatten aber ihr religiöses Zentrum in Jerusalem, ihrer ehemaligen Hauptstadt, wo bis 70 n. Chr. ihr TempelTempel stand. Die Mehrzahl lebte jedoch außerhalb Palästinas, im Mittelmeerraum und im Orient. Religiös war das Judentum nicht einheitlich. Verbindend war die HeiligeHeilige Schrift, aber der Tempelkult mit seinen Tieropfern stand schon länger nicht mehr im Zentrum des religiösen Interesses aller. Die religiöse Bewegung der PharisäerPharisäer (→ S. 16) hielt Wortgottesdienste in lokalen Gebetshäusern ab, den *SynagogenSynagoge. Das heutige Judentum basiert auf dieser pharisäischen Richtung. Zwischen Judentum und Christentum besteht, geschichtlich betrachtet, ein Mutter-​Tochter-​Verhältnis. Die Mutter hat sich aber nach dem Auszug der Tochter aus dem MutterhausMutterhaus noch einmal stark verändert. Außerdem kam Streit auf zwischen Mutter und Tochter. Zunächst verfolgte die Mutter die Tochter, später, aber nachhaltiger verfolgte die Tochter, das Christentum, ihre Mutter, das Judentum. Juden- und Christentum lassen sich aber auch, aktuell betrachtet, als Schwester-​Religionen begreifen, denn Judentum gibt es heute ja nur noch in der Form, die sich aus dem Pharisäertum heraus- und somit parallel zum Christentum auf dem gemeinsamen Boden des antiken Judentums entwickelt hatte. Auch unter Geschwistern kann es zum Streit kommen, und auch zerstrittene Geschwister können sich wieder versöhnen.

Unter den Christen wurden die weltoffenen und überregional vernetzten HellenistenHellenisten zum Träger der * Mission MissionMission/Missionare. Ihrer offenen Art entsprach auch die Bereitschaft, auf Nichtjuden zuzugehen, ihnen den christlichen Glauben nahezubringen und ihnen den Schritt zum Christsein zu erleichtern. Dazu gehörte als wesentlicher Punkt der Verzicht auf die *BeschneidungBeschneidung. Ein männlicher Nichtjude, der JudeJuden/Judentum werden wollte, musste sich beschneiden lassen, ein Nichtjude, der Christ werden wollte, jedoch nicht. Die Beschneidung war bei denen, die sich für das Judentum interessierten, unbeliebt, nicht nur weil sie schmerzhaft war, sondern auch, weil man sich dadurch unter Nichtjuden dem Spott aussetzte. So bot das Christentum die Möglichkeit, an dem teilzunehmen, was das Judentum attraktiv machte, allerdings ohne seine Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Als Aufnahmeritual genügte die Taufe TaufeTaufe, ein dreimaliges Untertauchen des zum JesusJesus-Glauben Gekommenen in fließendem Wasser, ersatzweise ein dreimaliges Übergießen des Kopfes mit Wasser unter Anrufung des dreieinigen Gottes. Die Taufe wurde als reinigendes Bad verstanden und diente der SündenvergebungSündenvergebung. Außerdem verlieh sie dem Glaubenden den *HeiligenHeiligeGeistHeiliger Geist. Die Taufe, bis heute ein alle Christen verbindendes *SakramentSakramente (eine HeilHeil vermittelnde Handlung), wurde von den Christen von Anfang an praktiziert und knüpfte wohl an JohannesJohannes der Täufer den TäuferTäufer an, von dem sich Jesus hatte taufen lassen (Mk 1,9–13). Jesus selbst dagegen und seine Jünger zu seinen Lebzeiten praktizierten die Taufe noch nicht.

MERKE: JesusJesus war JudeJuden/Judentum, seine Anhänger waren Juden, die ersten Christen waren Juden. Doch bald schon kamen Nichtjuden – Heiden – hinzu, gewannen rasch die Oberhand und drängten die Juden unter den Christen und viele jüdische Elemente des Christentums in den Hintergrund.

Die christliche Botschaft hatte unter Griechen und Römern, die dem JudentumJuden/Judentum nahestanden und Kontakte zu *SynagogenSynagoge hatten, rasch großen Erfolg. Während die Juden selbst zurückhaltend, teilweise feindselig auf die Botschaft der Christen reagierten, dass JesusJesus der erwartete *MessiasMessias gewesen und ein neues Zeitalter oder sogar das Ende der Zeiten gekommen sei, schlossen sich immer mehr Nichtjuden dem neuen Glauben an. Gemeinden entstanden in AntiochienAntiochien und in RomRom sowie in mehreren Städten Kleinasiens und GriechenlandsGriechenland. Auch im ägyptischen Alexandrien, einer weiteren Großstadt des Römerreichs, bildete sich früh schon eine Gemeinde. Beinahe überall dominierten die nichtjüdischen Christen, die – ohne negative Konnotation – auch als Heidenchristen HeidenchristenHeidenchristen (Christus-Anhänger aus den Heiden, den nichtjüdischen Völkern) bezeichnet werden. Bald stellten sie die bedeutenderen TheologenTheologen/Theologie. Ignatius von AntiochienIgnatius von Antiochien, einer der Apostolischen VäterApostolische Väter (→ S. 37), war ebenso Heidenchrist wie der *ApologetApologeten/ApologienJustinJustin (Apologet) und der *KirchenvaterKirchenväterOrigenesOrigenes.

Die Situation der *JudenchristenJudenchristen wurde auch durch zwei politische Einschnitte erschwert, die die JudenJuden/Judentum betrafen. Im Jahre 66 wagten die Juden Palästinas einen 1. Aufstand Aufstand gegen die Römer, der 73/74 mit einer vernichtenden Niederlage, verbunden mit der Zerstörung des TempelsTempel (70), endete. Die Christen beteiligten sich nicht an dieser Rebellion, hatten aber auch die Folgen der Niederlage zu tragen. Die Judenchristen wurden wegen mangelnder Solidarität mit ihrem Volk angefeindet, und der Verlust des Tempels traf auch sie, weil für sie dieses Heiligtum ihres Volkes weiterhin von Bedeutung gewesen war. Wenige Jahrzehnte später, 132–135 kam es zu einem zweiten, nun deutlich messianisch inspirierten jüdischen 2. Aufstand Aufstand, geleitet von einem Bar KochbaBar Kochba (aramäisch, dt.: Sternensohn) genannten Führer, der als göttlicher HeilsHeilbringer verehrt wurde. Wieder beteiligten sich die Christen nicht, was nun sogar antichristliche Ausschreitungen seitens der aufständischen Juden zur Folge hatte. Erneut behielten die Römer die Oberhand und schlugen den Aufstand nieder. In der Folge wurde JerusalemJerusalem in eine heidnische Stadt umgewandelt und allen Juden, und damit auch den Judenchristen, der Aufenthalt in der Stadt verboten. Nun gab es keine judenchristliche Gemeinde in Jerusalem mehr, die Ursprungsgemeinde des Christentums war untergegangen, und Jerusalem gewann erst nach Jahrhunderten seine alte Bedeutung wieder.

Die *JudenchristenJudenchristen waren von der politischen und religiösen Katastrophe des Judentums mitbetroffen, und gleichzeitig wurden sie innerhalb des Christentums mehr und mehr an den Rand gedrängt. Sie sonderten sich aber auch selbst von den anderen Christen ab und gingen eigene Wege. Judenchristen Judenchristen hielten an der *BeschneidungBeschneidung fest, feierten weiterhin den SabbatSabbat (Samstag) als Ruhetag neben dem SonntagSonntag als dem Tag der AuferstehungAuferstehung Christi. Und sie sahen in JesusJesus nicht, wie die meisten *HeidenchristenHeidenchristen, einen vom HimmelHimmel auf die Erde gekommenen Gottessohn, sondern einen von Gott bei seiner TaufeTaufe erwählten und zum Dienst ausgesonderten Menschen. Die Christen aus den Heiden wiederum sahen in den Judenchristen Abweichler von der eigentlichen christlichen Lehre, Außenseiter und IrrlehrerIrrlehren/Irrlehrer. Nachdem sich das Christentum zuvor schon vom JudentumJuden/Judentum distanziert hatte, distanzierte es sich nun auch von den an Jesus glaubenden Juden in den eigenen Reihen. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts beschrieb einer der ersten *KirchenväterKirchenväter, der in Lyon als *BischofBischof wirkende IrenäusIrenäus von Lyon, die Judenchristen mit folgenden Worten:

Sie benutzen allein das EvangeliumEvangelium nach Matthäus und verwerfen den *ApostelApostelPaulusPaulus (Apostel), den sie als vom Gesetz Abgefallenen bezeichnen. Auch lassen sie sich beschneiden, halten an den Bräuchen fest, wie sie das Gesetz vorschreibt, und verharren in der jüdischen Lebensweise, wie sie auch JerusalemJerusalem eine Verehrung bezeigen, als sei es die Wohnung Gottes. (IrenäusIrenäus von Lyon: Wider die Häresien 1,26,2)

Bereits im 2. und 3. Jahrhundert ist für uns das *Judenchristentum in der Gestalt konkreter Gemeinden sowie konkreter Personen kaum mehr greifbar. Aber religiöse Texte zeugen von seiner weiteren Existenz, insbesondere im Orient. Die letzten Verbliebenen integrierten sich vom 7. Jahrhundert an in den IslamIslam (s. auchMuslime), der mit seinem strengen MonotheismusMonotheismus, seiner rigorosen Ethik und seiner Sicht JesuJesus als eines Propheten unter Propheten judenchristlichen Haltungen nahestand. Im Zweistromland, dem heutigen IrakIrak, hielt sich eine judenchristliche Gruppe, die rituelle Waschungen durchführte, bis in das 10. Jahrhundert. Nach ihrem Gründer ElchasaiElchasai werden sie als Elkesaiten ElkesaitenElkesaiten bezeichnet.

IslamIslam (s. auchMuslime)

Der IslamIslam (s. auchMuslime) entstand im frühen 7. Jahrhundert auf jüdischer und christlicher Grundlage. Im Zentrum stehen der Prophet MohammedMohammed, eine geschichtliche Gestalt, und die von ihm empfangenen göttlichen OffenbarungenOffenbarung, die im KoranKoran, der heiligen Schrift der MuslimeMuslime, festgehalten wurden. Mit Mitteln der religiösen Überzeugung, aber auch militärischer GewaltGewalt, eroberten vom Islam erfasste arabische Stämme rasch weite Gebiete des Orients und Nordafrikas und gelangten bis nach SpanienSpanien und FrankreichFrankreich (→ S. 111). Obwohl die MuslimeMuslimeJudenJuden/Judentum und Christen tolerierten, schlossen sich die meisten Christen, vor allem die noch übrigen *JudenchristenJudenchristen, der neuen ReligionReligion an.

Über ein ganzes Jahrtausend blieb das *Judenchristentum erloschen. Vereinzelt traten zwar JudenJuden/Judentum zum Christentum über, bildeten aber keine judenchristlichen Gemeinden mit einem besonderen Profil, sondern integrierten sich in die bestehenden Kirchen. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert, als in den USAUSA sowie in IsraelIsrael vermehrt Juden zum Christentum wechselten und nunmehr eigene Gemeinden formten, die neben ihrem Glauben an JesusJesus als dem Christus an ihrer jüdischen IdentitätIdentität und ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Volk festhielten. Sie bezeichnen sich selbst als messianische Juden messianische Judenmessianische Juden. Diese neuen judenchristlichen Gemeinden gibt es heute auch in Deutschland. Sie sind durchweg *evangelikal geprägt.

Literatur

Andreas Hornung: Messianische Juden zwischen Kirche und Volk Israel. Entwicklung und Begründung ihres Selbstverständnisses. Gießen 1995 (Monographien und Studienbücher).

Hanna Rucks: Messianische Juden. Geschichte und Theologie der Bewegung in Israel. Neukirchen-​Vluyn 2014.

Bernd Wander: Trennungsprozesse zwischen frühem Christentum und Judentum im 1. Jahrhundert n. Chr. Datierbare Abfolgen zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. 2., durchges. u. verb. Aufl. Tübingen 1997 (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 16).