Kirmes im Kopf - Angelina Boerger - E-Book
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Kirmes im Kopf E-Book

Angelina Boerger

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Beschreibung

Lange Zeit fragt sich Angelina Boerger: Bin ich einfach chaotisch und kann nicht gut mit Stress umgehen, oder steckt vielleicht mehr dahinter? Mit Ende zwanzig erhält sie schließlich die Diagnose »AD(H)S im Erwachsenenalter« und ist erleichtert: Endlich hat die Kirmes in ihrem Kopf einen richtigen Namen. Schätzungsweise 2,5 Millionen Erwachsene sind in Deutschland von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz AD(H)S, betroffen. Die Symptome bei Erwachsenen sehen in der Regel anders aus als bei Kindern und auch das Bild des klassischen »Zappelphilipps« ist längst überholt. Aber warum wissen wir über AD(H)S im Erwachsenenalter so wenig? Warum ist der Weg zur Diagnose so lang? Und wieso erhalten gerade Mädchen und Frauen oft sehr späte oder falsche Diagnosen? Diese und mehr Fragen beantwortet Angelina Boerger in »Kirmes im Kopf«. Sie klärt über die gängigsten Vorurteile gegenüber Menschen mit AD(H)S auf, berichtet von den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen – und erzählt mit Leichtigkeit und Witz aus ihrem Alltag: von Lernkrisen während des Studiums und Busfahrten ans falsche Ende der Stadt über Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen bis hin zu übersprudelnden Ideen und kreativem Potenzial. Denn das Gehirn von Menschen mit AD(H)S tickt etwas anders – aber wer sagt eigentlich, dass das etwas Schlechtes ist?

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Angelina Boerger

Kirmes im Kopf

Wie ich als Erwachsene herausfand, dass ich AD(H)S habe

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Angelina Boerger

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Angelina Boerger

Angelina Boerger, geboren 1991, ist freie Journalistin und arbeitete für verschiedene funk-Formate und den WDR. Mit Ende zwanzig erhielt sie die Diagnose AD(H)S. Seitdem bertreibt sie online und offline Aufklärungsarbeit zu den Themen mentale Gesundheit, AD(H)S im Erwachsenenalter und Neurodiversität.

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Über dieses Buch

Lange Zeit fragt sich Angelina Boerger: Bin ich einfach chaotisch und kann nicht gut mit Stress umgehen, oder steckt vielleicht mehr dahinter? Mit Ende zwanzig erhält sie schließlich die Diagnose »AD(H)S im Erwachsenenalter« und ist erleichtert: Endlich hat die Kirmes in ihrem Kopf einen richtigen Namen.

Schätzungsweise 2,5 Millionen Erwachsene sind in Deutschland von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz AD(H)S, betroffen. Die Symptome bei Erwachsenen sehen in der Regel anders aus als bei Kindern und auch das Bild des klassischen »Zappelphilipps« ist längst überholt. Aber warum wissen wir über AD(H)S im Erwachsenenalter so wenig? Warum ist der Weg zur Diagnose so lang? Und wieso erhalten gerade Mädchen und Frauen oft sehr späte oder falsche Diagnosen?

Diese und mehr Fragen beantwortet Angelina Boerger in »Kirmes im Kopf«. Sie klärt über die gängigsten Vorurteile gegenüber Menschen mit AD(H)S auf, berichtet von den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen – und erzählt mit Leichtigkeit und Witz aus ihrem Alltag: von Lernkrisen während des Studiums und Busfahrten ans falsche Ende der Stadt über Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen bis hin zu übersprudelnden Ideen und kreativem Potenzial. Denn das Gehirn von Menschen mit AD(H)S tickt etwas anders – aber wer sagt eigentlich, dass das etwas Schlechtes ist?

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Einleitung

1 Welcome to my Brain – Wir haben 24/7 für Sie geöffnet

»Was, DU hast ADHS? Seit wann denn das?«

Bevor es richtig losgeht, noch ein paar Dinge über dieses Buch …

2 Faktencheck: Was ist ADHS und woher kommt sie?

Eine kurze Geschichte der ADHS

Ein Relikt aus der Steinzeit?

Wieso das ADHS-Gehirn etwas anders tickt

1 Neurologische Faktoren

2 Genetische Faktoren

3 Umweltbedingte Risikofaktoren und psychosoziale Einflüsse

ADHS im Kindes- und Jugendalter

A Konzentrier’ dich mal! – Mein unaufmerksames Ich

B Komm doch mal zur Ruhe! – Mein hyperaktives Ich

C Denk doch mal nach, bevor du handelst! – Mein impulsives Ich

Von wegen das verwächst sich – ADHS im Erwachsenenalter

Kriterien für eine ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter

Wieso der Begriff »ADS« streng genommen nicht mehr zeitgemäß ist

A Vorwiegend unaufmerksam

B Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv

C Kombiniert

3 Es ruckelt im Betriebssystem: Exekutive Dysfunktion

Die exekutiven Funktionen – Unser Selbstmanagementsystem

Die Impulskontrolle

Das Arbeitsgedächtnis

Die kognitive Flexibilität

Wieso wir vorhaben, etwas zu tun – und es doch nicht machen

Nur die Spitze des Eisbergs – Wieso wir endlich erkennen müssen, was im Verborgenen liegt

4 Haben wir nicht alle ein bisschen ADHS? – Die Menge macht’s

Heute ist gestern schon morgen – Aufschieberitis

Ich entscheide mich, mich nicht zu entscheiden – Die Analyse-Paralyse

Wenn mein fehlendes Zeitgefühl den Stand-by-Modus aktiviert

Zu laut, zu schnell, zu viel – Die Labertasche

Aus den Augen, aus dem Sinn

Nächster Halt: Koblenz! Oder: Wieso ich den 30. Geburtstag meiner Freundin verpasst habe

5 Rückblickend war es schon immer klar: Mein Leben vor der Diagnose

Ich bin doch kein »Psycho« – oder?

Wie ein Kultseelsorger (zufällig) das fehlende Puzzleteil lieferte

Jetzt bloß nicht aufgeben: Wieso ich meine Therapeutin in den Wind schoss

Der Verdacht erhärtet sich – Mein Weg zur Diagnose

6 So was wie eine zweite Geburt – Mein Leben nach der Diagnose

Spread the word: Die Geburt von @kirmesimkopf

Nein, es geht nie mehr weg – aber es gibt Möglichkeiten, damit umzugehen!

»Da kannst du ja gleich dopen!« – Wieso Vorurteile über ADHS-Medikamente so gefährlich sind

Es ist nie zu spät! – Wieso auch eine Diagnose im Erwachsenenalter noch Sinn macht …

… und was sie manchmal so schwer macht

Wenn da nicht die Maske wäre …

Wenn da nicht die anderen wären …

Wenn man doch nur ein Mann wäre …

7 ADHS kommt selten allein: Die Schattenseiten

Teuer, teurer, ADHS – Wieso uns das Thema alle kostet

Schwerwiegende Folgen – Die Komorbiditäten

Einfach mal abschalten – mit Risiko: ADHS & Sucht

Mehr als nur traurig: ADHS & Depression

Die unsichtbare Gefahr: ADHS & Angststörungen

Die Lerche im Eulenkostüm: ADHS & Schlafstörungen

Überdauernde Muster: ADHS & andere Störungen

Wenn sich die Krisen zuspitzen: Wieso Menschen mit ADHS eine geringere Lebenserwartung haben

8 Alles hängt mit allem zusammen – Wie ADHS unsere Beziehungen beeinflusst

Wieso ich Angst habe, dass mein Freund mich bald verlässt: ADHS & Partnerschaft

Wieso ich ständig denke, dass mich keiner lieb hat: ADHS & Freundschaft

Wieso ich mich häufig selbst nicht leiden kann: ADHS & Selbstliebe

Wieso ich manchmal denke, dass ich eigentlich gar nichts kann: ADHS & Beruf

Wieso ich manchmal Superkräfte habe: Nenn mich Superwoman

9 Bin ich das Problem oder sind es die anderen? Zeit für einen Perspektivwechsel

Ist ADHS das »neue Normal«?

Ist ADHS eine Krankheit?

Ist ADHS eine Behinderung?

Aber was ist ADHS denn nun? Der Ansatz der Neurodiversität

»Du bist einfach viel zu sensibel!« – Was ADHS und Hochsensibilität gemeinsam haben

Nieder mit den Kategorien!

Es lebe die Kategorie!

Diskriminierung in der Medizin: Was eine gute Behandlung so schwierig macht

10 Und jetzt? – Ein Ausblick

Ich möchte mich bedanken …

Tolle Instagram-Accounts über ADHS, mentale Gesundheit und mehr

Quellenverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Für all die wundervoll anders tickenden Gehirne da draußen

Ich glaube, vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie häufig sie sich einfach auf ihr Gehirn verlassen können. Was für ein Privileg es ist, sich nicht ständig anpassen zu müssen und einfach zu funktionieren.

Meine Freundin Fanny, die mit 25 Jahren ihre ADHS-Diagnose bekam

Tränen laufen mir über das Gesicht. Die glücklichen und die traurigen. All die Anspannungen des letzten Dreivierteljahres lösen sich auf einmal auf und vermischen sich mit pulsierenden Glücksgefühlen. Ich könnte die ganze Welt umarmen. Auch jetzt schießen mir wieder tausend Gedanken durch den Kopf: »Zum Glück hast du das durchgezogen, all der Aufwand hat sich gelohnt!«, »Die Welt muss unbedingt mehr darüber erfahren!«, »Du musst es allen erzählen – mit wem fängst du an?«, »Was ist, wenn sie nicht verstehen, was es für dich bedeutet?«, »Wie wäre wohl dein Leben verlaufen, wenn du diese Info schon vor Jahren bekommen hättest?«, »Was wird sich dadurch verändern, für dich, für dein Umfeld, für dein ganzes weiteres Leben?«

Ein klitzekleines Gefühl der Angst huscht durch meinen Körper. Dann fällt mein Blick wieder auf die sieben rosa Zettel, die ich ganz fest in meiner Hand halte, damit ich sie ja nirgendwo liegen lasse. Und ich muss grinsen. Nein, Angelina, das hier ist keine Erschütterung und kein Todesurteil. Das hier ist der Beweis, es ist eine Genugtuung, eine Chance, eine Aufgabe, die Antwort auf viele deiner Fragen. Es ist nicht das Ende, es ist der Anfang. Ich merke, wie mir wieder ein paar Tränen über die Wangen laufen. Ich fische mein Handy aus den Tiefen meiner chaotischen Handtasche und drücke auf den grünen Hörer: »Schatz? Ich hab’ sie. Ich hab’ die Diagnose. Hier steht es schwarz auf weiß. Ich hatte recht. Ich habe ADHS.«

1Welcome to my Brain – Wir haben 24/7 für Sie geöffnet

Ich habe ADHS. Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Ich ticke etwas anders und brauche deshalb individuelle Strategien. Ich bin anders belastbar und muss meiner Psyche immer wieder Zeit geben, sich zu regenerieren. Durch die Diagnose habe ich das erkannt und konnte endlich ein bisschen Frieden mit mir selbst schließen. Seitdem habe ich es mir beruflich und privat zur Aufgabe gemacht, über psychische Gesundheit aufzuklären. Denn das Thema muss endlich raus aus der Tabuzone.

Bis heute werden Menschen, die psychische Probleme haben, dafür verurteilt und schnell als schwach oder krank abgestempelt. Vielen von ihnen würde der Gang zum Arzt oder zur Psychotherapeut*in vermutlich leichter fallen, wenn es nicht so viele gesellschaftliche Vorurteile über psychische Erkrankungen gäbe. Wenn ich mit einem gebrochenen Bein zum Arzt oder zu einer Ärztin gehe, würde mich ja auch niemand schief angucken.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mich irgendwann in der Zukunft beinahe jeden Tag mit den Themen »Mental Health« und ganz besonders »ADHS im Erwachsenenalter« beschäftigen würde, hätte ich der Person das nicht geglaubt. Mittlerweile ist es aber genau so. Ich verbringe jeden Tag damit, die Aufklärungsarbeit in Deutschland ein Stückchen voranzutreiben: Ich lese mich stundenlang in Studien ein, verfasse mal kürzere und mal längere Texte, halte regelmäßig meinen Alltag mit der Handykamera fest und bespiele meine Social-Media-Kanäle. Ich tausche mich mit anderen aus, frage Fachmenschen für Interviews an, führe Hintergrundgespräche für Radiobeiträge, stelle mich auf Bühnen und vor Kameras, setze mich in Panels, betreibe Networking und entwickele neue Projekte. Ach ja –, und ich habe dieses Buch geschrieben.

 

Wenn ich Menschen erzähle, dass ich ADHS habe, gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen. Es gibt diejenigen, die mir freudig von sich oder Menschen aus ihrem Umfeld erzählen, die auch ADHS haben (die Verbündeten & Informierten). Dann sind da die, die mich mit großen Augen anschauen, aber sofort verständnisvoll zuhören und tausend Fragen haben (die Interessierten). Ein paar andere schauen mich mitleidig an und verhalten sich eher zurückhaltend. Sie kennen vielleicht im weiteren Umfeld ein Kind, das ebenfalls »an dieser Krankheit leidet« (die Unsicheren). Wieder andere heben sofort eine Augenbraue und sagen: »Du? ADHS? Du brauchst doch gar nicht so viel Aufmerksamkeit« oder »Das hätte ich nicht gedacht. Du bist doch gar nicht so hibbelig« (die Skeptischen). Und dann gibt es noch die, die aus anderen Gründen skeptisch schauen. Eine armeverschränkende Skepsis, die ausdrücken soll: »ADHS? Das gibt es doch gar nicht! Vor allem nicht bei Erwachsenen …« (die Ablehnenden).

Ungefähr so verhält es sich auch mit dem Wissen über ADHS in unserer Gesellschaft: In den letzten Jahren hat sich die Akzeptanz für ADHS Stück für Stück verbessert, und die Aufklärung macht kleine Schritte in die richtige Richtung. Aber ich spreche hier von Babysteps. Doch trotz der positiven Entwicklung halten sich gewisse Vorurteile nicht nur hartnäckig in unseren Köpfen, sondern auch in der Wissenschaft und vor allem bei denjenigen, die ADHS komplett ablehnen.

Das macht es umso schwieriger, breitflächig aufzuklären und Vorurteile endlich abzubauen. Und genau das soll dieses Buch tun: Es richtet sich nicht nur an Menschen mit ADHS (egal, ob sie eine Diagnose haben oder nicht), an deren Familien, Partner*innen und Freund*innen, sondern an alle. Denn auch Menschen mit ADHS sind ganz klar Teil dieser Gesellschaft, auch wenn es ihnen oft sehr schwer, ja sogar fast unmöglich gemacht wird, sich zugehörig zu fühlen. Denn in einer Welt zurechtzukommen, die von Nicht-ADHS-Hirnen entwickelt wurde und ausschließlich an ihnen ausgerichtet ist, ist für Menschen mit ADHS-Hirn eine mitunter sehr anstrengende Aufgabe. Vor allem, wenn die Anpassung unglaubliche Kraft erfordert, aber gleichzeitig der einzige Weg zu sein scheint.

Um diese Situation zu verändern, braucht es nicht nur jede Menge weitere Forschung, sondern auch offene Ohren und offene Herzen. Ich weiß, dass das jetzt sehr pathetisch klingt, aber gerade die (vermeintlich) negativen Seiten, die ADHS mit sich bringt, werden in erster Linie nicht von uns selbst, sondern von anderen definiert: von Eltern, von Lehrer*innen oder Arbeitgeber*innen – und ja, auch von Ärzt*innen und den Medien. Dass jemand mit ADHS in dem System, in dem wir leben, immer wieder aneckt, überrascht nicht. Aber sind es nicht wir als Gesellschaft, die definieren, was richtig oder falsch, gut oder schlecht, »normal« oder »unnormal« ist? Gerade weil das so ist, bin ich davon überzeugt, dass wir auch unsere Einstellung gegenüber Dingen wie psychischen Störungen und Erkrankungen oder mentaler Gesundheit im Allgemeinen verändern können und müssen.

 

Noch vor Jahrzehnten war es fast undenkbar, dass bekannte Persönlichkeiten in Talkshows sitzen und über ihre Depressionen sprechen. Denn gerade psychische Störungen oder Erkrankungen, aber auch andere Abweichungen von einer scheinbaren Norm wurden und werden bis heute stigmatisiert. Diese Stigmatisierung hat die Menschheit schon zu den wildesten Diagnosen, Therapien, Experimenten und leider auch Gräueltaten bewegt. Es ist noch nicht lange her, da wurden Leben in »lebenswert« und »weniger lebenswert« eingeteilt und diese Einteilungen haben bis heute Spuren hinterlassen. Die Rechte von Menschen, die außerhalb dessen lebten und liebten, was Kirche und Staat zur Norm auserkoren hatten, wurden systematisch eingeschränkt. Und auch Frauenrechte unterlagen die längste Zeit vermeintlichen Naturgesetzen oder medizinischen Prämissen, die erst heute langsam aufbrechen. Wie aktuell die Kämpfe um ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen und wie fragil die bisherigen Errungenschaften sind, hat sich nicht zuletzt im Jahr 2022 in den USA gezeigt, als die Abtreibungsrechte in vielen Bundesstaaten massiv eingeschränkt wurden. Diese wenigen Beispiele machen klar, welche unglaublichen Wandel medizinische Erkenntnisse hinter sich haben, wie viel Leid nicht nur von laienhaften Annahmen, sondern auch von vermeintlichem Expertenwissen ausgehen kann und welche gravierenden Auswirkungen zu wenig Erforschung mit sich bringt.

ADHS zählt laut dem Bundesgesundheitsministerium zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Die große Anzahl an Kindern mit ADHS hat in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die Forschung und Behandlung von ADHS in dieser Altersgruppe deutlich vorangekommen sind. Doch Erwachsene mit ADHS wurden lange Zeit ausgeklammert und wenig beachtet, viel mehr noch: Ihnen wurde zum Teil ihre Existenz abgesprochen. Auch deswegen herrscht bis heute ein großes Defizit in der Forschung, der Diagnostik und der Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter. Aber wie kann so ein Missverhältnis entstehen? Schließlich ist der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter doch eigentlich fließend.

Nicht nur Menschen mit ADHS und ihr Umfeld finden bis jetzt keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage. In deutschsprachigen Fachkreisen greift man noch immer auf eher spärliche Studiengrundlagen, Untersuchungen, Beobachtungen und Theorien zurück. Das führt nicht selten dazu, dass Menschen sich mit einem Verdacht nicht sofort an Ärzt*innen oder Therapeut*innen wenden. Vor allem deswegen nicht, weil sie teils monatelang auf einen Platz bei Spezialist*innen warten und sich in der Zwischenzeit viele Informationen auf andere Weise beschaffen, zum Beispiel über Social Media.

Gerade Plattformen wie Instagram und TikTok haben massiv dazu beigetragen, dass sich das Wissen und die Aufklärung über ADHS im Erwachsenenalter verbreiten. Nicht selten, weil Menschen mit ADHS dort über ihre eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse berichten und in den direkten Austausch mit anderen gehen können oder Expert*innen die Plattformen nutzen, um über das Thema zu informieren. So werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Erstens fühlt man sich weniger alleine. Zweitens bieten die zahlreichen Beiträge kompakte Informationen ohne monatelange Wartezeit auf einen Diagnose- und Therapieplatz oder eine nervenaufreibende Odyssee bei diversen Ärzt*innen.

So hilfreich und besonders diese Art des Wissensaustauschs und des Community-Gedankens auch ist, birgt sie natürlich auch einige Gefahren: Im Internet kann beispielsweise in Windeseile ein Video, ein Text oder ein Audiobeitrag veröffentlicht werden, der völlig ungeprüft falsche Wahrheiten verbreitet oder von einem Menschen stammt, der nicht mal eine gesicherte Diagnose vorweisen muss, um sich als »Betroffene*r« zu bezeichnen. Auch die Begriffe »Expert*in« und »Coach« können irreführend oder sogar missbräuchlich verwendet werden, gerade wenn Menschen anfangen, plötzlich auch noch viel Geld für ihre vermeintlichen Tipps zu verlangen.

Trotzdem hat mir die Gründung meines Instagram-Kanals @kirmesimkopf gezeigt, wie unglaublich dankbar die mittlerweile gewachsene deutsche ADHS-Community dieses Angebot aus Information, Austausch, Erfahrungsberichten und einer guten Prise Humor annimmt – was mich letztendlich auch dazu bewegt hat, dieses Buch hier zu schreiben. Denn das Bild des kindlichen und überwiegend männlichen »Zappelphilipps« hat endgültig ausgedient: Gerade viele erwachsene Menschen mit ADHS sind daran interessiert, dass weder die Gesellschaft noch die Wissenschaft ADHS als »Kinder- und Jugendkrankheit« abstempeln, die sich spätestens mit Eintritt ins Erwachsenenalter »auswächst«. Unser Wissen und Denken über ADHS sind im Umbruch. Vieles, was jahrzehntelang als gesichert angesehen wurde, hat an Gültigkeit verloren. Trotzdem ist die Erkenntnis, dass auch erwachsene Menschen (immer noch) ADHS haben, noch lange nicht in allen Köpfen angekommen – zu allem Übel nicht mal bei denen, die es betrifft.

 

Deshalb möchte ich dieses Buch in erster Linie all denen widmen, die sich spätestens nach der Lektüre darin wiederfinden. All denen, die es schon länger vermuten, bei denen der Verdacht bereits im Raum steht oder die schon eine gesicherte Diagnose haben. Es soll all denen Mut machen, die schon immer das Gefühl hatten: irgendwie passe ich da nicht rein, obwohl ich gerne dazugehören würde; irgendwie bekomme ich die Sachen nicht so hin wie andere, obwohl ich mich doch so sehr anstrenge.

Euch möchte ich aus tiefstem Herzen mitgeben: Ihr seid nicht falsch. Ihr seid genau richtig, auch wenn ihr womöglich enorme Schwierigkeiten habt, die sich manchmal sogar unbezwingbar anfühlen. Das macht euch trotzdem nicht zu Fehlern, sondern einfach nur zu einer weiteren Variante menschlicher Vielfalt in einem System, das einfach nicht für Menschen wie uns gemacht ist. Höchste Zeit, das zu ändern.

»Was, DU hast ADHS? Seit wann denn das?«

Wenn Menschen etwas über die Symptome von ADHS erfahren, reagieren sie oft so wie eine Bekannte von mir: »Was? DAS ist ADHS? Dann habe ich das ja auch!« Mal abgesehen davon, dass diese Aussage manchmal ziemlich nervt, ist es gar nicht so unwahrscheinlich: Alleine in Deutschland liegt die Zahl der Erwachsenen mit ADHS laut dem Verein ADHS Deutschland e.V. schätzungsweise bei ca. 2,5 Millionen, das sind ungefähr 2,8 Prozent der deutschen Bevölkerung. Doch die tatsächliche Zahl könnte wegen vieler fehlender Diagnosen weit höher sein – aber dazu später mehr.

Weltweit ist ADHS eine der häufigsten Diagnosen im Kindes- und Jugendalter. In Deutschland schätzt man die Zahl der zwischen 0- bis 17-Jährigen mit ADHS auf ca. 5 Prozent – Tendenz steigend –, wobei Jungen drei- bis viermal häufiger diagnostiziert werden als Mädchen. Das liegt vor allem daran, dass wir immer noch kleine, freche Jungs vor Augen haben, wenn wir an ADHS denken. Ein Bild, das nicht nur falsch ist, sondern das Kindern mit ADHS in keiner Weise gerecht wird. Heute verstehen wir so langsam: Bei vielen Mädchen äußert sich ADHS anders. Ihre Symptome unterscheiden sich, oft fallen sie weniger auf. Das führt dazu, dass Mädchen häufig erst sehr spät oder gar nicht diagnostiziert werden. Was das für gravierende Folgen haben kann, wird im Verlauf dieses Buches hoffentlich klar.

 

Zwischen meiner Bekannten, die vorschnell schlussfolgerte, sie habe vielleicht auch ADHS, und mir gibt es einen entscheidenden Unterschied: Ich habe nicht nur ab und zu mal einzelne Symptome. Auch nicht phasenweise. Ich habe sie IMMER. Und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche, und das meistens sehr intensiv oder mit unvorhersehbaren Schwankungen. Deshalb »liebe« ich es auch, wenn ich zum Beispiel von Journalist*innen gefragt werde: »Erzähl doch mal, in welchen Situationen merkst du deine ADHS besonders?« Ich möchte dann am liebsten sagen: »Leute, ADHS ist nichts, was mal da ist und mal nicht.« Ich habe auch keinen Vergleich, weil ich ja überhaupt nicht weiß, wie ein »normales« Gehirn so tickt. Ich lebe, denke, handle und »bin« ADHS, weil es mich nicht ohne gibt, nie ohne gab und wahrscheinlich auch niemals ohne geben wird. Ich kann nur berichten, was mir Menschen ohne ADHS spiegeln, also wann sie merken, dass ich »anders« ticke. Das ist aber ihre Sicht. Für mich bin ich der Normalzustand, und die anderen sind eben »die anderen«, wenn ihr versteht, was ich meine.

Natürlich können auch Menschen mit »normalen« Gehirnen ADHS-typische Eigenschaften haben. Wir kommen ja nicht von einem anderen Planeten und haben lauter andersartige Eigenschaften – auch wenn wir manchmal genau so behandelt werden. Das, was unser Hirn technisch kann, unterscheidet sich nicht wirklich von »durchschnittlichen« Gehirnen. Nur die Art und Weise, wie es funktioniert, ist anders. Und das fällt auch nur deshalb auf, weil wir uns ständig miteinander vergleichen. Es kann zum Beispiel sein, dass man mit ADHS genauso oder doppelt so hart an seinen Aufgaben arbeitet wie Menschen ohne ADHS, am Ende des Tages aber nicht einmal die Hälfte erledigt bekommt. Wir können uns auch nicht aussuchen, ob wir uns auf etwas konzentrieren wollen oder nicht. Entweder ist unsere Konzentration maximal aktiv – oder kaum bis gar nicht vorhanden. Das lässt sich nicht wirklich kontrollieren. Und ja, jede*r ist mal verpeilt und verschwitzt einen Termin oder schiebt eine unliebsame Aufgabe lieber noch mal auf. Die meisten haben vielleicht schon mal die Tür hinter sich zugezogen, obwohl der Schlüssel innen steckt, online etwas bestellt, was sie gar nicht brauchen, oder vor lauter Stress vergessen, das Kind aus der Kita abzuholen. Menschen mit ADHS passiert das alles allerdings nicht nur »manchmal«: Wir verschwitzen regelmäßig wichtige Termine, egal, wie fett sie im Kalender stehen oder ob wir darauf ein halbes Jahr gewartet haben. Wir verschieben Aufgaben nicht, wir sind pathologische Prokrastinierende. Wir müssen keinen Schlüsseldienst googeln, wir haben ihn auf der Schnellwahltaste oder – um Kosten zu sparen – irgendwo eine Plastikkarte versteckt, mit der man die Tür öffnen kann. Oder noch besser: einfach einen Ersatzschlüssel beim Nachbarn. Wir bestellen nicht nur alles, was wir gut finden, sondern wir befüllen stundenlang virtuelle Warenkörbe, um sie dann doch nicht zu bestellen, um sie dann doch zu bestellen. Das machen wir so lange, bis wir der Postbotin nicht mehr in die Augen schauen können, was sowieso irgendwann gar nicht mehr möglich ist, weil wir selbst hinter einer »Wall of Kartons« verschwinden. Kartons, die voller gekaufter Sachen sind, die wir, schon wenn sie ankommen, eigentlich gar nicht mehr wollen (Goodbye, Dopamin) und eigentlich zurückschicken müssten, hätten wir nicht schon lange die Frist dafür verpasst. Aber alles halb so schlimm, denn nach dem dritten Waschmaschinendurchlauf riecht die vergessene Wäsche eh so mies, dass sie reif für die Tonne ist und wir wieder Platz für Neues im Schrank haben.

Auch wenn das gerade vielleicht eher eine individuelle Beichte als das allgemeine Verhalten ALLER Menschen mit ADHS ist, hilft es vielleicht, um klarzumachen, wie umfassend die Sache ist. Diese etwas überspitzte Schilderung ist nur ein winzig kleiner Auszug aus meinem Leben und nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt Tage, da passiert all das und mehr innerhalb von wenigen Stunden, und es gibt Tage, an denen passiert so gut wie gar nichts davon. Es gibt Tage, da zucke ich mit den Schultern und schüttle nur lachend den Kopf, und es gibt Tage, an denen macht es mich so fertig, dass ich nicht mehr weiß, wie ich das noch eine einzige Sekunde lang ertragen soll.

Denn die ADHS bestimmt meinen Alltag, ganz egal, ob ich will oder nicht. Sie hält mich auf, sie engt mich ein, sie bringt mich in Schwierigkeiten, sie macht mich fertig, sie behindert mich und lässt mich und andere verzweifeln. Aber – und damit würde jetzt vielleicht niemand rechnen – ich würde sie nicht missen wollen. Denn zugleich, und das wird im Laufe dieses Buches hoffentlich klarer, liebe ich die Brille, durch die ich die Welt sehe, und bestimmte Eigenschaften meiner ADHS machen mich genau zu der Person, die ich bin.

Bevor es richtig losgeht, noch ein paar Dinge über dieses Buch …

Vorab möchte ich vor allem eines klarmachen: Ja, Menschen mit ADHS haben viele Dinge gemeinsam. Auch die, die noch nichts von ihrer ADHS wissen oder es vielleicht niemals wissen werden. Trotzdem gibt es keine zwei Menschen auf diesem Planeten, die ADHS auf die gleiche Weise erleben. Wie intensiv ihre Symptome sind, welche Strategien sie entwickeln, welche Ressourcen sie zur Verfügung haben, welche weiteren Formen von Diskriminierung sie vielleicht zusätzlich erleben, wie ihr Umfeld damit umgeht, wie die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, sie prägt, was sich dadurch für Leidenswege oder einmalige Chancen ergeben, zu welchem Zeitpunkt sie eine Diagnose bekommen und wie ihr Umgang damit ist, ist sehr einzigartig. Deshalb möchte ich schon an dieser Stelle betonen: Das hier ist kein Buch, das universelle Antworten bereithält. Und auch wenn viel Wissenschaft darin steckt und ich mich durch Berge von Studien gewühlt habe, ist es unterm Strich vor allem eines: meine persönliche Geschichte und mein ganz persönlicher Blick auf das Thema ADHS.

Deshalb erhebe ich auch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Das könnte ich auch niemals, denn ich bin keine Ärztin, Psychotherapeutin oder Wissenschaftlerin – und selbst viele Expert*innen tappen oft noch im Dunkeln. Deshalb steht auch in fast jeder Studie und Untersuchung zu ADHS (auch in den ganz aktuellen), dass dringend mehr geforscht werden muss. Selbst erste bahnbrechende Ergebnisse der letzten Jahre benötigen häufig noch viel mehr Forschung und Belege, um diese neuen Erkenntnisse ausreichend zu untermauern. Viele ältere Untersuchungen, auf denen heutige Studien basieren, wurden beispielsweise vor allem an weißen Jungen und Männern durchgeführt. Auch deshalb ist über ADHS bei Mädchen und Frauen und die damit verbundenen Gefahren immer noch viel zu wenig bekannt. Und eine noch vielfältigere Forschung jenseits der binären Geschlechterkategorien »männlich« und »weiblich« fehlt bis heute gänzlich. Hier hat die Forschung in den nächsten Jahren also noch viel Arbeit vor sich.

Ich habe versucht, in diesem Buch eine gendergerechte und inklusive Sprache zu nutzen, weil es mir wichtig ist, auch die Menschen sichtbar zu machen, die noch viel zu oft übersehen und nicht mitgedacht werden, obwohl sie existieren. Die genauso viel zu sagen haben wie ich, aber vielleicht nicht gehört werden. Sprachlich ist es dabei manchmal gar nicht so leicht, es so zu machen, dass sich wirklich JEDE*R mit genau dem von mir genutzten Begriff identifizieren kann. Ich hoffe, ihr seht es mir nach, wenn es am Ende nicht genau der Begriff ist, den ihr persönlich für euch wählen würdet.

An all diejenigen, die vielleicht manche der Begriffe zum ersten Mal hören, zum ersten Mal mit Gedanken und Lebensrealitäten bestimmter Menschen konfrontiert werden: Stresst euch nicht. Man kann nicht von heute auf morgen alles wissen und alles richtig machen. Auch nicht als Angehörige*r eines Menschen mit ADHS. Trotzdem gilt für mich, was Alina Buschmann, Beraterin für Inklusion und Antidiskriminierung, auf ihrem Instagram-Account @dramapproved schreibt: »Diskriminierung wird oft mit ›böser Absicht‹ in Verbindung gebracht. Wir müssen nicht die Intention haben, Menschen zu verletzen, um diskriminierend zu sein! ›Ich meinte das nicht böse‹, schließt nicht aus, dass eine Aussage oder das eigene Verhalten diskriminierend war.« Aber das Gute ist: Wir haben immer die Möglichkeit, uns zu informieren, dazuzulernen und sensibler zu werden, auch für die Themen, die uns nicht direkt betreffen, auf die wir als Gesellschaft aber einen Einfluss haben. Ob uns das bewusst ist oder nicht.

 

Ich werde mit diesem Buch auch weder diejenigen zufriedenstellen, die ADHS als »Monster« bezeichnen, noch die, die es als »göttliche Gabe« beschreiben. Und es ist gewiss nichts für diejenigen, die inhaltslos behaupten, ADHS sei eine »Verschwörung der Pharmaindustrie«.

Dieses Buch ist für Menschen, die mehr wissen wollen, für diejenigen, die sich gut informiert mit ADHS auseinandersetzen möchten. Ich bin überzeugt davon, dass vor allem eine Sache für Vorurteile, fehlende Diagnosen und damit häufig verbundene leidvolle Lebenswege sorgt: Unwissenheit. Es ist keine pauschale Ablehnung, die die meisten Menschen dazu verleitet, ADHS als etwas zu sehen, das für »Die Person ist laut, anstrengend, verträumt, verpeilt und hat für alles eine Ausrede« steht. ADHS ist multidimensional und kann von Schulnoten und Beruf über Essgewohnheiten und Sexleben bis hin zu Selbstbewusstsein, dem Kontostand oder der Inneneinrichtung, kurz gesagt das ganze Leben, beeinflussen. Wer das einmal begriffen hat, kann eigentlich gar nicht mehr sagen, ja: nicht mal mehr denken, dass ADHS einfach nur ein Wort ist, um »verhaltensauffällige« Kinder zu beschreiben. Deshalb möchte ich mit diesem Buch auch eine Grundlage für all diejenigen schaffen, die Menschen mit ADHS unbedingt besser verstehen wollen und die sich am Ende vielleicht, ohne jede Vorwarnung, in einigem oder sogar allem selbst wiederfinden. Kirmes im Kopf soll einfach ein Buch für Menschen sein, die Vorurteile abbauen wollen, die anderen zuhören möchten und die bereit dafür sind, dass Diversität über das hinausgeht, was wir mit bloßem Auge erkennen können.

2Faktencheck: Was ist ADHS und woher kommt sie?

Das Interesse an ADHS und allem, was damit zusammenhängt, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Das kommt nicht nur mir so vor, die sich nun schon länger Tag für Tag mit dem Thema beschäftigt, sondern das lässt sich auch mit wenigen Klicks nachweisen.

Start meiner Recherche für dieses Buch ist ein Blick in die Google Trends. Dafür habe ich mir das Suchwort »ADHD« angeschaut, also »ADHS« in der englischen Schreibweise. Google Trends ist ein Onlinedienst, mit dem man recherchieren kann, welche Suchbegriffe von Nutzer*innen der Suchmaschine Google wann und wie oft eingegeben wurden. In den Suchparametern habe ich »weltweit« und den Zeitraum »2004 bis heute« ausgewählt, woraufhin mir die folgenden spannenden Daten angezeigt wurden: Das sogenannte Interesse im zeitlichen Verlauf hat sich vom Wert 48 im Januar 2004 auf den Wert 96 im Juni 2022 verdoppelt. Im März 2022 kletterte der Wert sogar auf 100. Der Wert 100 steht für die höchste Beliebtheit eines Suchbegriffs. Das deckt sich auch mit den Suchanfragen für den Begriff »ADHS« mit dem geografischen Filter »Deutschland«: Lag das Interesse Anfang 2004 noch bei einem Wert von 26, stieg er im März 2022 auf schwindelerregende 96 an. Am häufigsten wurde er tatsächlich in Schleswig-Holstein »gegoogelt«, am wenigsten in Sachsen-Anhalt.

Das Interesse an der Thematik nimmt also nachweislich zu. Die Menschen sind genau wie ich auf der Suche nach Informationen, um vielleicht sich selbst oder jemanden aus ihrem Umfeld besser zu verstehen. Und das Internet ist in diesem Fall ein Segen, denn es hilft dabei, erste Antworten zu bekommen, Hilfe zu finden und sich mit anderen auszutauschen.

Doch ADHS gibt es natürlich schon länger als das Internet, und höchstwahrscheinlich haben sich auch schon Menschen vor der Erfindung des World Wide Web gefragt: »Was ist eigentlich los mit mir? Wieso bin ich anders als andere?« Und sicherlich wurden Menschen auch früher schon von Außenstehenden wegen irgendwelcher ADHS-typischer Eigenschaften belächelt, gedemütigt oder ausgegrenzt. Weshalb wir unweigerlich zu der Frage kommen: »Wer hat’s erfunden?«

Eine kurze Geschichte der ADHS

An dieser Stelle ergibt es Sinn, ein bisschen tiefer in die Materie einzutauchen. Deshalb geht es jetzt erst mal auf Reisen, und zwar in die Vergangenheit, ein historischer Exkurs sozusagen. Denn um zu verstehen, wieso gerade ADHS im Erwachsenenalter oft sehr spät diagnostiziert wird und wieso es so viele Vorurteile und gegensätzliche Behauptungen gibt, muss man erst einmal verstehen, wie die Entstehungsgeschichte von ADHS als medizinisches Störungsbild ist.

 

Einige der ersten Beschreibungen von Kindern mit ADHS-typischen Symptomen, wie etwa Hyperaktivität, motorischer Unruhe, Unaufmerksamkeit oder Impulsivität, finden sich nicht in einem medizinischen Fachbuch, sondern in den Dichtungen von Heinrich Hoffmann aus dem 19. Jahrhundert. Später bekannt unter dem Namen Struwwelpeter schrieb der deutsche Arzt im Jahr 1844 ursprünglich ein Kinderbuch für seinen Sohn, das in der damaligen Zeit als revolutionär, freigeistig und antimoralistisch galt. Mit dabei: die Geschichte vom »Zappelphilipp«. Darin beschreibt Hoffmann einen Familienkonflikt beim Abendessen, der durch das Verhalten des Sohnes verursacht wird. Der Streit gipfelt darin, dass der Junge zusammen mit dem Tisch samt Essen umfällt. Bis heute habe ich diese Zeile über Philipps Mutter im Kopf, die völlig desinteressiert (oder unaufmerksam?) wirkt, während der Vater sich mächtig ärgert: »Und die Mutter blicket stumm, auf dem ganzen Tisch herum.«

Hoffmanns Buch wird zum weltweiten Kassenschlager und die Bezeichnung »Zappelphilipp« gesellschaftstauglich. Interessanterweise werden in Hoffmanns Geschichten auch andere ADHS-Symptome relativ detailliert beschrieben. In der Erzählung vom »Hanns Guck-in-die-Luft« geht es zum Beispiel um einen Jungen, der verträumt durch die Gegend läuft und beinahe im Fluss ertrinkt. Rückblickend erscheint das ziemlich eindeutig, aber damals war es eben noch nicht klassifizierbar.

 

Im wissenschaftlichen Kontext wurde ADHS erstmals ausführlicher im Jahr 1902 durch den britischen Professor der Kinderheilkunde George Still beschrieben. Still machte in seiner Praxis als Kinderarzt zwar eine Reihe wichtiger Beobachtungen, aber die, wie er es nennt, »anormalen psychischen Zustände bei Kindern« schreibt er fälschlicherweise einem »moralischen Defekt« zu – eine Annahme, die sich bis heute in abgewandelter Form hartnäckig hält. Wie oft habe ich schon gelesen oder zu hören bekommen, dass zu viel Fernsehen oder eine mangelhafte Erziehung der Grund für die Entwicklung einer ADHS seien. Interessanterweise beobachtete Still 15 Fälle solcher Zustände bei Jungen und nur fünf bei Mädchen. Und auch ihm fällt auf: Das ist »ein Missverhältnis, das nicht ganz zufällig ist«.

Auf Still folgte noch eine Reihe anderer Menschen, die bestimmte Symptome beobachteten und beschrieben, aber auch ihre Forschungen kann man nicht unbedingt als klassische Vorgänger der heutigen ADHS-Diagnostik verstehen. Dafür haben sie zu wenig mit dem uns heute bekannten Gesamtbild zu tun. Viele Forschende sahen die Symptome eher als Begleiterscheinungen anderer Krankheitsbilder, die sie schon kannten, und erkannten darin kein eigenes Störungsbild oder Facette des menschlichen Gehirns. Viele dieser Annahmen haben dazu geführt, dass sich bestimmte Vorurteile, aber auch vermeintlich medizinische Erkenntnisse bis heute festgesetzt haben. Sie sind zum Beispiel der Grund für fehlende Diagnosen bei Mädchen und Frauen und sorgen weiterhin für hartnäckige Stigmata, wie eben für die Erklärung, dass einzelne Dinge wie ein erhöhter Medien- oder Zuckerkonsum ADHS verursachen können.

Die deutschen Ärzte Franz Kramer und Hans Pollnow nennen im Jahr 1932 ihre Beobachtungen von dem, was wir heute ADHS nennen, eine »hyperkinetische Erkrankung im Kindesalter« und gehen davon aus, dass Kopfverletzungen, Geburtsverletzungen oder durch Krankheiten ausgelöste Hirnschäden der Ursprung für »abweichendes Verhalten« sein könnten. Im Jahr 1937 macht der Psychiater Charles Bradley dann eine zufällige Entdeckung: Er verabreicht Kindern das stimulierende amphetaminhaltige Medikament Benzedrin, um ihre Kopfschmerzen zu heilen. Die Folge: eine Reihe erstaunlicher Verhaltensveränderungen, zum Beispiel gesteigerte Konzentration, Motivation oder verbessertes Sozialverhalten. Ein erster Hinweis darauf, welche Wirkung Stimulanzien auf ADHS-Gehirne haben können.

1944 entwickelt der Schweizer Chemiker Leandro Panizzon diesen Gedanken weiter und arbeitet an einer neuartigen Stimulanz mit dem Wirkstoff Methylphenidat, das erst zehn Jahre später auf den Markt kommt. Bei Selbsttests spürt der Pharmazeut keine Wirkung, doch seine Frau Marguerite, Spitzname Rita, spielt nach der Einnahme viel konzentrierter und besser Tennis. Ihr zu Ehren bekommt das Mittel den bis heute verwendeten Markennamen: Ritalin.

Doch auch zu dieser Zeit gibt es die Bezeichnung »ADHS« noch nicht, stattdessen entwickelt sich ab 1968 eine neue Bezeichnung: die »hyperkinetische Störung im Kindesalter«. Die damalige Definition: »Die Störung ist gekennzeichnet durch Überaktivität, Unruhe, Ablenkbarkeit und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, insbesondere bei kleinen Kindern, denn das Verhalten nimmt normalerweise im Jugendalter ab.« Die Ursachen der »hyperkinetischen Störung« blieben bis dahin jedoch unerforscht: Noch bis in die späten 60er-Jahre hinein nahm man an, dass minimale Schäden am Gehirn, selbst wenn sie objektiv nicht nachgewiesen werden konnten, hyperaktives Verhalten verursachten. Außerdem tauchte in den 1960er-Jahren zum ersten Mal die Vermutung auf, dass es womöglich auch Gehirne gibt, die zwar genauso funktionieren wie das eines Menschen mit ADHS, aber einen Unterschied aufweisen: Die Hyperaktivität ist kaum oder gar nicht sichtbar – ADS war »geboren«.

 

Die Vermutung, dass ADHS nicht ausschließlich Kinder betrifft, kam erst in den 1970er-Jahren auf. Erste aufmerksame Therapeut*innen stellten fest, dass die Eltern, die mit ihren Kindern zur Diagnostik kamen, oft von ähnlichen Problemen berichteten und sich in vielem, was für eine Diagnose relevant war, wiedererkannten. Es entstand erstmals der Gedanke, dass ADHS sich vielleicht doch nicht einfach so »verwächst«, sondern in manchen Fällen bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben kann. Doch erst in den 1990ern begann sich die Forschung auch vermehrt der Störung bei Erwachsenen zu widmen. Im Jahr 1994 titelt das TIME-Magazin:

»Desorganisiert? Abgelenkt? Durcheinander? Ärzte sagen, dass Sie möglicherweise eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung haben. Es sind nicht nur Kinder, die darunter leiden.«

Es ist also quasi erst einen Wimpernschlag her, dass das Thema ADHS bei Erwachsenen Beachtung bekommt. Das merkt man auch in der Gegenwart: Fast 30 Jahre später sind Menschen immer noch jeden Tag aufs Neue erstaunt, wenn sie davon hören.

Auch die Erstellung von Kriterien benötigte ihre Zeit und ist tatsächlich bis heute nicht abgeschlossen. Erst 2008 erfolgte die Übersetzung der Wender-Reimherr Adult Attention Deficits Disorders Scale aus dem Jahr 1995 ins Deutsche. Sie dient bis heute als Grundlage für die Erfassung von ADHS-Symptomen bei Erwachsenen. 2013 ging das DSM(Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), das wichtigste Klassifikationshandbuch der USA für psychiatrische Erkrankungen, erstmals auch auf die ADHS-Symptomatik und Diagnostik bei Erwachsenen ein. Das DSM zählt neben der ICD zu den weltweit bekanntesten Klassifikationshandbüchern, die vor allem psychische Störungen definieren und in denen auch die diagnostischen Kriterien für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen aufgeführt sind. Diese beiden Diagnosekataloge werden immer wieder überarbeitet und angepasst, je nach aktuellem wissenschaftlichem Stand.

 

Ähnlich wie bei der allgemeinen Forschung zu ADHS im Erwachsenenalter sieht es bei den medikamentösen Therapiemöglichkeiten aus: Bis zum Jahr 2011 erhielten beispielsweise ausschließlich Kinder das Methylphenidat-haltige Arzneimittel Ritalin. Erwachsene mit ADHS durften bis dahin nicht mit Ritalin behandelt werden, da das Medikament ausschließlich für Kinder zugelassen war. Inzwischen darf es aber auch Erwachsenen verordnet werden, wenn bei ihnen in der Kindheit ADHS diagnostiziert wurde oder wenn dies durch eine gute Diagnostik auch rückwirkend sichergestellt werden kann.

Diese Jahreszahlen zeigen deutlich, dass zwar schon viele der Symptome bereits vor über 200 Jahren zum ersten Mal beschrieben wurden, die Diagnostik aber noch sehr jung und das Wissen darüber noch lange nicht ausgereift ist.

Ein Relikt aus der Steinzeit?

Auch wenn die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erst in im letzten Jahrhundert auf wissenschaftliches Interesse gestoßen ist, gibt es Theorien, dass ihre Symptome uns höchstwahrscheinlich schon viel länger begleiten als allgemein angenommen. Der Autor Thom Hartmann veröffentlichte 1997 sein Buch Attention Deficit Disorder: A Different Perception, in dem er eine spannende Theorie aufstellt: Lange vor der Industrialisierung, noch bevor sich die Menschheit dem Ackerbau und der Viehzucht widmete, waren unsere Vorfahren Jäger und Sammler. Dieses Leben bedurfte anderer Überlebensfähigkeiten als heute, denn wer zur Jagd ging, musste ständig auf der Hut sein, weil überall Gefahren lauern konnten. Es war von enormer Wichtigkeit, dass die ganze Umgebung permanent »gescannt« wurde, denn jedes Knacken im Gebüsch, jede plötzlich eintretende Veränderung konnten über Leben oder Tod entscheiden. War ein Beutetier oder Feind in Sicht, musste blitzschnell und impulsiv gehandelt werden, damit man weder das Abendessen noch das eigene Leben aufs Spiel setzte. Voller Fokus auf das Hier und Jetzt, alles andere war unwichtig. Und genau zu diesen Vorfahren stellt Thom Hartmann eine Verbindung her.

Er geht davon aus, dass Menschen mit ADHS direkte Nachfahren dieser Jäger und Sammler sind und dass sie deren Fähigkeiten immer noch sehr ausgeprägt in sich tragen. Das Problem: Die Altsteinzeit ist lange vorbei, und viele dieser Fähigkeiten werden entweder nicht mehr gebraucht oder sind in Vergessenheit geraten. Was einst das Überleben unserer Spezies sicherte, wirkt in unserer heutigen Gesellschaft oft wie ein unnötiges Überbleibsel aus grauer Vorzeit. Hartmanns Theorie geht davon aus, dass die Menschen, die wir heute als »normal« bezeichnen würden, keine oder kaum noch Fähigkeiten eines »Jägers« besitzen. Sie haben sich stattdessen dem sesshaften Bauern-Dasein gewidmet – bereit, die oft langen und eintönigen Zeiten zwischen Aussaat und Ernte zu überbrücken und beispielsweise monotoner und körperlich anstrengender Arbeit nachzugehen. Während sie früher wahrscheinlich verhungert oder gefressen worden wären, haben sie im Laufe der Jahrtausende so einen vermeintlichen Vorteil entwickelt.

Doch auch wenn gerade der Ackerbau häufig als großer Fortschritt im Hinblick auf die Entwicklung unserer Zivilisation beschrieben wird, bezahlten die Menschen damals einen nicht unerheblichen Preis dafür: Sie tauschten ihre Freiheit gegen Sesshaftigkeit, ihre Impulsivität gegen Monotonie, ihre Kreativität und ihren Freigeist gegen harte Arbeit und strenge Hierarchien. Die Eigenschaften des »Jägers« verkümmerten mehr und mehr, und wer dann doch noch so tickte und sich nicht an das Bauern-Dasein anpassen konnte, fiel auf, tanzte aus der Reihe und wurde womöglich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen – oder sogar Schlimmeres.

Spätestens aber seit der Moderne könnten genau diese »Jäger«-Ausprägungen, die Menschen mit ADHS laut dem Autor immer noch in sich tragen, wieder eine besondere Rolle zugeteilt bekommen und wichtiger denn je für unser (Über-)Leben werden. In einer Zeit, in der sich alles rasend schnell weiterentwickelt und Veränderungen ganz plötzlich eintreten können – man denke nur mal an den Klimawandel, globale Konflikte oder die Inflation –, werden wir immer wieder auf Menschen angewiesen sein, die Problemlagen aus einem anderen Blickwinkel betrachten und Aufgaben anders als gewöhnlich lösen. Auf Menschen, die Zusammenhänge blitzschnell erkennen und den Mut haben, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen. Wenn eine Gesellschaft diese besonderen Fähigkeiten nicht mehr als »Krankheit« oder »Störung« definiert, sondern sie vielleicht gezielt im Zusammenspiel mit den Fähigkeiten eines »Bauern« oder einer »Bäuerin« einsetzt, ist sie laut Hartmann dazu in der Lage, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. ADHS könnte also tief in der Evolutionsgeschichte des heutigen Menschen verwurzelt sein und keine zufällige Abnormität, die mal hier und da völlig grundlos auftritt. Und ich muss sagen, mir gefällt diese Vorstellung.

Wieso das ADHS-Gehirn etwas anders tickt

Wer wissen möchte, welche Ursachen ADHS hat, findet auch im Jahr 2022 keine eindeutige Antwort. Denn der einer ADHS zugrunde liegende »Code« ist immer noch nicht entschlüsselt. In einem Punkt sind sich aber alle weitestgehend einig: Wie bei vielen psychischen Erkrankungen, Störungen und neuronalen Besonderheiten geht man auch bei ADHS von multifaktoriellen Ursachen aus. Das bedeutet, dass wahrscheinlich mehrere Faktoren ausschlaggebend sind und diese sowohl veranlagt (endogene Faktoren) als auch abhängig von unserer Umwelt (exogene Faktoren) sein können.

Unter »Anlage« verstehen Entwicklungspsycholog*innen und Pädagog*innen Voraussetzungen, die bereits genetisch vorhanden sind und abhängig von den Bedingungen unserer Umwelt zu einem bestimmten Sozialverhalten führen können. In den meisten Fällen entsteht ADHS aus einer Kombination mehrerer genetischer und umweltbedingter (Risiko-)Faktoren, die jeweils einen kleinen Effekt haben und je nachdem, wie sie zusammenwirken, die Anfälligkeit erhöhen. Deshalb äußert sich ADHS trotz seiner vorhandenen Kernsymptomatik auch bei jedem Menschen ein bisschen anders, denn die Ausprägung wird nicht nur von dem beeinflusst, was bereits vor unserer Geburt vorhanden ist.

Wie wir uns entwickeln und wie es uns letztendlich gesundheitlich geht, steht also immer im Zusammenhang mit unserem biologischen Körper, unserer Psyche und unserem sozialen Umfeld. Das nennt man in der Medizin das biopsychosoziale Modell. Die Stiftung Gesundheitswissen erklärt es wie folgt: Ob ein Mensch gesund oder krank ist, hängt von drei Ebenen ab, die permanent aufeinander einwirken. Einmal ist da der Körper mit seinen Organen und Zellen. Auf der zweiten Ebene, der seelischen Gesundheit, ist unsere Psyche die Chefin. Sie beeinflusst unser Denken, Handeln und vor allem das Fühlen. Unser Umfeld und unsere Lebensbedingungen bilden die dritte, die soziale Ebene. Alle drei Bereiche können sich negativ und positiv auf unsere Gesundheit auswirken und spielen somit auch bei den möglichen Ursachen von ADHS eine wichtige Rolle.

Wo genau der Ursprung von ADHS liegt und welchen Stellenwert die unterschiedlichen Faktoren haben, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Unter anderem diese Wissenslücken verhindern die allgemeine Akzeptanz von ADHS, egal, ob man von ADHS