Klapperstorch - Uli Brée - E-Book

Klapperstorch E-Book

Uli Brée

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Beschreibung

Das ist schon blöd, wenn du in der Früh auf den Balkon trittst und ein Klapperstorch in deinem Garten steckt. Blöd deshalb, weil deine Frau nicht schwanger ist und das überhaupt nicht lustig findet. Und für die Liesl ist es doppelt blöd, weil sie alle in Öd für schwanger halten und denken, dass sie dahintersteckt, weil sie sich den in Österreich weltbekannten Showmoderator Adam Möschl angeln wollte, bevor er in den Ruhestand abtaucht. Als er dann auch noch in seinem alten Wohnmobil in Flammen aufgeht, ist allen klar: Die Liesl war es. Dabei war es doch ganz anders. Aber wie soll sie der Welt beweisen, dass sie nicht schwanger ist, obwohl sie es doch so gern wäre. Nur halt nicht vom Möschl. Und ermordet hat sie ihn auch nicht. Die Krimi-Reihe wird mit Katharina Straßer in der Hauptrolle verfilmt und läuft ab Herbst 2024 auf Servus-TV.

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Über das Buch

Das ist schon blöd, wenn du in der Früh auf den Balkon trittst und ein Klapperstorch in deinem Garten steckt. Blöd deshalb, weil deine Frau nicht schwanger ist und das überhaupt nicht lustig findet. Und für die Liesl ist es doppelt blöd, weil sie alle in Öd für schwanger halten und denken, dass sie dahintersteckt, weil sie sich den in Österreich weltbekannten Showmoderator Adam Möschl angeln wollte, bevor er in den Ruhestand abtaucht. Als er dann auch noch in seinem alten Wohnmobil in Flammen aufgeht, ist allen klar: Die Liesl war es. Dabei war es doch ganz anders. Aber wie soll sie der Welt beweisen, dass sie nicht schwanger ist, obwohl sie es doch so gern wäre. Nur halt nicht vom Möschl. Und ermordet hat sie ihn auch nicht.

Uli Brée

DIE LIESL VON DER POST

Zwei Frauen und (k)ein Mord

Band Zwei

KLAPPERSTORCH

ueberreuter

INHALT

TEIL EINS Das Paradies, der Storch, die Barbara, das Fegefeuer und die Liesl, die keine Mörderin sein will

TEIL ZWEI Die Geheimnisse, der Sex, die Tränen, das Danach, das Parfüm und das Baby

TEIL DREI Sechs Monate, vier Tage und 12 ½ Stunden nach dem Geburtstagsfest des Adam Möschl

Normalerweise steht an dieser Stelle: „Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.“

In diesem Fall geht das nicht, denn es gibt sie, die Liesl von der Post, auch wenn sie in Wirklichkeit Michi heißt. Ich lebe in einem netten kleinen Ort in Tirol, wo jeder jeden kennt. Unsere Briefträgerin, die Michi, bleibt gern für einen Ratscher bei uns am Gartentor stehen. Sie hat immer ein paar Leckerlis für die Hunde dabei und den Motor von ihrem verbeulten Postauto lässt sie auch immer laufen. Die Michi ist gern daheim und fährt nie fort. Witzigerweise hat sie einen Freund, der Fernfahrer ist. Diese Kombination diente mir als Inspiration. Nur Krimis löst sie keine. Und Morde passieren bei uns im Ort auch eher wenige.

Ich habe einmal in einem Interview mit einem namhaften Autor gelesen, dass er nur über Dinge schreibe, die er kenne. Wenn wir das alle tun würden, gäbe es wohl weitaus weniger Krimis. Und doch verstehe ich, was er meint. Es ist durchaus hilfreich, am Land zu leben, wenn man übers Land und seine seltsamen Gepflogenheiten schreibt. Vieles von dem, was Sie hier lesen werden, kenne ich aus eigener Erfahrung, auch wenn alle weiteren Personen, Handlungen und Örtlichkeiten völlig frei erfunden sind. Sollten Sie sich also in irgendeiner Form in dieser Geschichte wiedererkennen und mit einer Sammelklage, Verleumdungen oder persönlicher Kränkung liebäugeln, bitte ich Sie höflichst, davon abzusehen. Um es mit dem großen Nestroy zu halten: „Ist alles Chimäre, aber mich unterhalt’s.“

– Uli Brée

TEIL EINSDas Paradies, der Storch, die Barbara, das Fegefeuer und die Liesl, die keine Mörderin sein will

Klopf, Klopf, du bist da, die Welt steht Kopf

Liesl versteht das Problem nicht. Die Leute machen sich immer nur Gedanken darüber, dass Affären Ehen zerstören, aber niemand denkt darüber nach, wie oft Ehen Affären zerstören. Jetzt kommt gleich die lang gezogene Kurve. Der Asphalt ist eigentlich ein Verbrechen. Aber vielleicht liegt es auch an den gnadenlosen Blattfedern ihrer alten Postkutsche. Irgendwann fällt die Kiste auseinander. Bei ihrer Freundin Barbara zum Beispiel ist sie sich gar nicht sicher, was zuerst da war: ihre Ehe oder die Affäre ihres Mannes. Von daher stellt sich doch die Frage, was jetzt was zerstört hat. Mist, sie hat vergessen runterzuschalten. Das hat sie davon, wenn sie zu viel nachdenkt. Jetzt kommt gleich die Kuppe. Eins ist jedenfalls klar, Barbaras Mann hatte bereits vor ihrer Ehe eine Affäre und jetzt hat er sie wieder. Während der Ehe ist sie wohl wieder aufgeflammt. Ihr Ehebett war ja eher eine verkehrsberuhigte Zone. Und schon ist sie da, die Kuppe. Normalerweise wäre sie hier bereits auf 70 km/h. Jetzt zeigt der Tacho grad einmal 40 an. Wenn sie im richtigen Moment runterschaltet, hebt ihr altes Postauto bei der Kuppe ab und schwebt 20 Zentimeter über dem löchrigen Asphalt bis zum Ortseingangsschild von Öd. Liesl liebt das Gefühl, wenn sich der Magen hebt und gleich wieder senkt und ihr Auto, die Packerln und ihr ganzes Leben gleich mit. Dann ist sie für ein paar Sekunden schwerelos. Da fliegt sie mit dem Post-Shuttle zum Mond. Alles fühlt sich wunderbar leicht an. Im Moment der schwebenden Stille ist es völlig egal, ob die Ehe zuerst da war oder die Affäre oder das Ei oder das Huhn oder der Brief oder die Briefträgerin. Aber damit ist heute nix. Weil sie zu wenig Gas gegeben und zu viel nachgedacht hat. Das hat sie jetzt davon. Naja, vielleicht auch besser so. Sie hat ihrer Freundin Barbara versprechen müssen, dass sie damit aufhört. Leider.

Ihr Auto und ihr Leben fühlen sich bleischwer an. Dabei hat sie gar kein Problem. Und ihre Freundin, die Frau Doktor, eigentlich auch nicht. Barbara ist inzwischen in das schöne alte Haus der so beneidenswert lustvoll verstorbenen Magdalena Schamberger gezogen. Dummerweise teilt Barbara sich noch die Arztpraxis mit ihrem Ex-Mann Bernhard. Und der wohnt jetzt in der modernen Betonvilla in der Nähe vom Badesee mit seiner neuen oder eher alten Affäre, dem Mike Donath. Ja, der ist jetzt mit einem Mann zusammen. Oder er war es eh schon immer. Und nicht der Mike war die Ausnahme, sondern die Barbara.

In der Provinz ist die Welt auch nicht anders als in der Stadt, nur verlogener. Andererseits sind die Leute am Land deshalb auch freundlicher, denkt sich Liesl, wie sie von Öd auf die Bundesstraße biegt, an der Schottergrube vorbei. Irgendwas klappert am Heck. Entweder ist es der Auspuff oder die hintere Türe schließt wieder nicht richtig. Irgendwann werden die ganzen Packerln rausfliegen. Aber das ist dann nicht ihre Schuld. In einer Großstadt, in der Anonymität, sind die Leute viel unfreundlicher, weil sie davon ausgehen, dass sie sich eh nicht so schnell wieder begegnen. Aber am Land? Wenn die Liesl dem Krug Andreas die Vorfahrt nimmt und ihn auch noch dafür beschimpft oder ihm gar in der Rage den Vogel zeigt, ist das schon blöd, wenn sie gleich danach beim Nah & Frisch gemeinsam an der Kassa stehen oder bei der Roswitha am Postschalter. Das sollte man sich schon sehr genau überlegen. Gut, es gibt auch Leute, die sich das nicht überlegen, denen das wurscht ist. Dem Brenner Rudi zum Beispiel, der ist kategorisch unfreundlich, weil er glaubt, dass das Leben zu ihm auch nicht freundlich ist. Liesl weiß nicht, wieso das so ist. Dass manche Leute immer nur schlecht gelaunt sind und in jedem und allem nur das Schlechte sehen, aber nicht den Ursprung dafür bei sich selber suchen. Sie geben der Welt die Schuld daran, dass ihr Leben unlustig ist. Also soll es auch kein anderer lustig haben.

Echt nicht lustig, denkt sie sich, wie sie in die protzige Allee zur Villa der Möschls einbiegt. Hat ein bisschen was von Denver Clan oder Dallas. Augenblicklich summt sie die Titelmelodie, wobei sie nicht mehr so genau weiß, von welcher der beiden Serien die jetzt ist. Da da da, da da da dada da da da da daaa! Ihre Eltern haben das immer geschaut. Weil es da so wild herging, im Gegensatz zu ihrem Heimatort. Eine Serie, die Öd heißt, würde sich wahrscheinlich niemand ansehen.

Die schnurgerade Allee wird von Hainbuchen gesäumt, die der Möschl seinerzeit hat setzen lassen. Dummerweise sind die noch nicht wirklich gewachsen in all den Jahren. Es schaut ein bissel aus wie eine Miniatur-Allee. Eher für Alleebesitzer-Anfänger oder -Einsteiger. Eine Minimundus-Allee, quasi. In Klagenfurt gibt es ja so was, wo alles in Miniatur nachgebaut ist. Sie war zwar noch nie in Klagenfurt, weil sie Öd eigentlich nie verlässt. Aber sie hat einmal eine Doku darüber gesehen. Vom Namen her würde Klagenfurt ja viel besser zum Brenner Rudi passen, der beklagt sich doch ständig und verklagen tut er auch alle. Kommt ihr gerade so in den Sinn.

Weil die Allee eine Privatstraße ist, hat der Möschl sie auch gleich nach sich benannt. Das ist doch mal eine ganz besondere Form von Bescheidenheit. Auf den Briefen, die die Liesl dem Möschl Adam zustellt, steht also An Herrn Adam Möschl, Adam-Möschl-Allee 1. Wer hat das schon?

Sie fährt durch ein großes Steinportal mit einem geschwungenen Eisentor, wobei das gar keine richtigen Steine sind, sondern nur verzierter Beton. Naja. Der Michael Jackson hat das auf seiner Neverland Ranch irgendwie besser hinbekommen. Sie hat da mal eine Doku gesehen. Lisa-Marie Presley hingegen hat das Erbe ihres berühmten Vaters – und Graceland gleich mit – ganz mächtig an die Wand gefahren. Bedingt durch die eine oder andere nicht beneidenswerte Lebenskrise. Man weiß ja, was Entzugskliniken in Amerika kosten können. Der Liesl würde ja schon das Geld für die vielen teuren Drogen fehlen. Da fängt’s schon an. Aber auch reiche Menschen haben das Recht auf Unglück und eine beschissene Kindheit. Das ist nur fair. Wir sind alle nicht gefeit. Da hilft auch das ganze schöne Geld nichts, denkt sich Liesl. Weder der Michael Jackson noch die Lisa-Marie waren glückliche Menschen. Waren die nicht sogar einmal miteinander verheiratet? Oder verwechselt sie da gerade was? Muss ja schräg gewesen sein: „Honey, wo magst denn heute übernachten, Graceland oder Neverland?“ Das sind Sorgen. Und was für eine Musik haben die wohl gehört? Privat. Zu Hause. Die konnten ja auch nicht den ganzen Tag Elvis oder Michael Jackson hören. Egal. Die Liesl ist jedenfalls heilfroh darüber, dass sie nicht reich und berühmt ist, sondern nur die Liesl von der Post mit einem Stundenlohn von 17,76 Euro. Dafür geht man im Schnitt bei der Post bereits mit 53,57 Jahren in Pension. Da war der Michael Jackson schon vier Jahre tot und die Lisa-Marie wäre quasi genau bei Pensionsantritt verschieden. Auch nicht lustig. Doch nicht so schlecht bei der Post, sinniert Liesl. Und die Frage nach einer Lebenskrise stellt sich erst gar nicht. Weil man sich die nicht leisten kann. Und die Frage, wo sie heute übernachtet auch nicht. Einfach zu Haus, im Liesl-Land.

Und dann ist es auch schon da, Schloss Möschl, selbstverständlich in Schönbrunn-Gelb gestrichen. Das hätte schon was Einschüchterndes. Da würde man sich gleich einmal minderwertig vorkommen. Der bedrohlich knirschende Kies, über den man fährt, die breite Auffahrt rund um ein Blumenbeet mitsamt einer Hommage an den römischen Trevi-Brunnen. Sie war zwar noch nie in Rom, aber sie trägt immer wieder mal Postkarten aus, auf denen der Brunnen zu sehen ist. Wenn der Trevi-Brunnen der größte Brunnen von Rom ist, dann ist der Möschl-Brunnen definitiv der größte von Öd. Gut, er ist auch der einzige.

Die vielen Skulpturen und Säulen rund ums Haus, die Jugendstil-Balustraden aus feinstem Beton, die geschwungene Treppe zur Eingangstüre. Ein bissel Kaiser Franz Joseph und Sisi. Wie gesagt, das hätte schon was Einschüchterndes. Wenn es kein Fertigteilhaus wäre. Es wirkt, als wäre es aus dem „Barbie & Sisi“-Katalog, nur nicht in Rosa, sondern in Gelb. Jedes Mal, wenn die Liesl da herkommt, wundert sie sich, dass man die Wände nicht aufklappen kann wie bei einem Puppenhaus. Die Fenster haben zwar so kleine Kasteln, aber sie sind halt aus weißem Plastik mit Wärmeschutz und Doppelglas. Es gibt Leute, die nennen so was „repräsentativ“. Aber was hätte der Möschl tun sollen? Er hat sein Märchenschloss geschenkt bekommen, von einem Fertigteilhaushersteller. Der Möschl hat einmal einen volkstümlichen Schlager rausgebracht, der „Mia wohnan in einem Luftschloss“ geheißen hat, und weil der Fertigteilhaushersteller mit dem Lied und dem Adam seine Häuser bewerben durfte, hat er dem Adam ein Schloss hingestellt. Adam Möschl wohnt also nicht nur in der Adam-Möschl-Allee, nein, er wohnt auch noch in seinem eigenen Luftschloss. Blöderweise ist das Märchen nicht aufgegangen. Niemand anderer wollte ein Schloss aus Pappmaché.

Der Liesl würde nie einer ein Haus schenken. Nicht einmal eine Gartenhütte. Der Adam ist halt ein bekannter Mann in der Schlagerbranche. Vielleicht kein Elvis und auch kein Michael Jackson, aber Österreich ist ja auch nicht Amerika und Öd ist nicht Chicago. Und das wird es auch nie werden.

Seit einer Ewigkeit moderiert der Möschl Was wäre das Paradies ohne Musi? Früher hat die Liesl das auch immer geschaut. Mit ihren Eltern zusammen. Das war ein Pflichttermin. So wie Dallas oder Denver-Clan. Die Öder und Öderinnen sind noch immer mächtig stolz darauf, dass der Möschl, ein echter Uröder, seinem Heimatort treu geblieben ist. Die Gemeinde hat ihm die Entscheidung vielleicht ein klein wenig erleichtert, indem sie ihm den Grund für sein Schlössl quasi gratis überlassen hat. Um das, was er dafür bezahlt hat, können andere gerade einmal eine halbe Stunde in der Kurzparkzone stehen bleiben.

Sie bremst vielleicht eine Spur zu heftig, jedenfalls reißen die Reifen eine Wunde in den schön geharkten Kies, obwohl sie eh total abgefahren sind. Liesl schnappt sich die vielen Postkarten, wahrscheinlich Fanpost, und sprintet die halbherzige Treppe rauf. Halbherzig deshalb, weil man quasi die linke oder die rechte Treppenherzhälfte nehmen kann. Im Ganzen und aus der Ferne betrachtet, schaut’s aus wie ein Herz. Nur eben aus Beton.

Eine witterungs- und einbruchsresistente Haustüre mit formschönen Applikationen empfängt sie. Modell „Der erste Eindruck zählt“. Wahrscheinlich war die Türe auch ein Geschenk. Ein Wunder, dass nicht überall die Namen der Sponsoren draufstehen, wie bei den Sportlern. Schon komisch, wenn du Geld hast, brauchst du keins mehr, weil dir eh alles hinten reingeschoben wird. Sie zieht an der Kette mit der Glocke. Das Prozedere kennt sie schon. Gleich drauf ertönt Möschls größter von ihm produzierter Hit als Klingelton im Inneren des Hauses. „Komm Schatzl, ich zeig dir mein Spatzl.“ Ein echter Ohrwurm auf jedem Feuerwehrfest.

Kein Licht. Niemand ist zu hören. Und noch einmal klingeln will sie sich ersparen. Na gut, was soll’s. „Komm Schatzl, ich zeig dir mein Spatzl.“ Nicht einmal der Hund bellt. Vielleicht ist sie ja noch zu früh dran. Halb neun. Da sind Leute im Alter vom Adam und der Dietlinde eigentlich schon wach. Der Adam hat ja vor drei Monaten seinen 65er gefeiert. Das war vielleicht ein Festl. Aber vielleicht sind sie ja auch schon an der Algarve, wie angekündigt. Der Möschl ist noch alte Schule, eine nicht aussterben wollende Saurier-Spezies, die noch nicht begriffen hat, dass für Leute wie sie längst Eiszeit herrscht. Einer wie er hält MeToo für eine Rockband aus Irland. Die Liesl hat da auch so ihre Erfahrungen gemacht.

Na gut, wenn keiner kommt, dann versucht sie es eben auf der Rückseite. Die Dietlinde sitzt um die Zeit gern auf der Terrasse beim Frühstück. Also schreitet Liesl die halbherzige Feinbeton-Prunktreppe wieder runter und fühlt sich dabei ein bissel wie Romy Schneider auf dem Weg zu ihrem Karlheinz Böhm. Liesl und ihre Eltern haben das damals immer geschaut. Zu Weihnachten. Sissi, die junge Kaiserin. Oder Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin. Jetzt, wo sie drüber nachdenkt, haben sie und ihre Eltern schon viel ferngeschaut. Damals. Da war der Samstagabend noch heilig. Gemeinsam mit der Familie. Aber heute? Da hocken zwar noch alle beieinander, aber jeder streamt für sich allein. Trostlos irgendwie.

Als Liesl sich durch die grüne Kunsthecke schlängelt, die wirklich täuschend echt nach Lorbeer ausschaut, nur viel pflegeleichter, steht sie mitten auf dem sauber gemähten Rollrasen direkt vor einem Klapperstorch. Aber der ist genauso wenig echt wie das Luftschloss, die Hecke und womöglich auch der akkurat gestutzte Rasen. Sie fragt sich kurz, ob zumindest der Gärtner echt ist oder ob sie da vielleicht einen Schauspieler engagieren, der so tut, als würde er die Plastikhecke schneiden und den Kunstrasen mähen. Vielleicht heißt er ja Ken und wohnt bei seiner Barbie im Puppenhaus.

Irgendjemand hat den aus billigen Pressspanplatten gesägten, orange-weiß bemalten Storch mit einem spitzen Stecken ins unberührte Grün gerammt. Aus seinem schwarzen Schnabel ragt ein rosa Bündel und drinnen steckt ein nacktes Baby. Das ist allerdings auch nicht echt. Gott sei Dank, denkt Liesl. Umso echter ist allerdings die Dietlinde Möschl, die in seidenem Morgenmantel und sündteuren Dior-Schlapfen auf dem ahnungslosen Grün steht und den flachen Storch anstarrt. Unpassender hätte die Liesl nicht daherkommen können. Doch damit nicht genug. Jetzt tritt auch noch der Möschl Adam auf den Balustradenbalkon oben im ersten Stock. Wie Gott ihn schuf. Man muss sagen: Gott hat nicht immer Geschmack. Früher galt ja ein großer Bauch als Zeichen von Wohlstand. In irgendeiner Studie hat Liesl mal gelesen, dass Männer mit Bauch entspannter sind und einen besseren Charakter haben. Der Adam Möschl dürfte an der Studie eher nicht teilgenommen haben. Liesl seufzt erleichtert, eine von den bauchigen Säulen verdeckt großzügig Adams ehrloses Gemächt.

Dietlinde schaut vom Storch rauf zu ihrem Adam und dann zur Liesl, der daraufhin gleich einmal die ganze Fanpost aus der Hand rutscht und sich vorm Storch und seinem Baby ergießt. Erst jetzt bemerkt sie, dass das alles die gleichen Glückwunschkarten sind: Klopf, Klopf, du bist da, die Welt steht Kopf, steht vorne drauf und ein Baby hockt daneben und grinst.

Es gibt manchmal so Momente, wo man sieht, wie ein Leben kippt. Und so kommt es Liesl gerade vor. Sie sieht den nackten Adam taumeln, sieht, wie er sich mit der linken Hand an die Brust greift und mit der anderen an der Feinbeton-Balustrade abzustützen versucht. Sie sieht, wie er nach vorne kippt und mit dem gesamten Gewicht auf das Säulengeländer kracht, das daraufhin wie Spielzeug zerbirst, Feinstaub aufwirbelt und Adam kopfüber den Weg in den Abgrund ermöglicht. Dumpf schlägt er auf dem Grün auf und federt nach, als wäre der Rasen aus Schaumstoff. Ja, es wirkt fast harmlos. Als hätte nur jemand mit dem Finger auf ein Mikrofon mit Windschutz geklopft. Klopf, Klopf. Aber da hört Liesl auch schon Dietlindes schrilles Organ und begreift, dass sie sich den Sturz des Patriarchats nur eingebildet hat.

Das Paradies ohne Adam

Drei Monate zuvor ist die Welt noch in Ordnung. Genau da, wo der Storch eine Platzwunde ins Grün reißen wird, steckt nun ein lebensgroßer Adam Möschl aus recyclingfähigem Pappkarton. Ebenso flach wie der klappernde Storch. Aber diesmal hat Gott mehr Geschmack bewiesen und Adam Möschl in einen Trachtenanzug gesteckt. Einen weißen, wohlgemerkt. Fehlen nur noch die zarten Flügerln und man könnte ihn für einen Engel halten. Den Anzug hat er wahrscheinlich geschenkt bekommen. Von einem namhaften Herrenausstatter aus dem vorigen Jahrhundert. Der Pappkarton-Adam grinst und hält ein goldenes Schild in der Hand, auf dem in roten Buchstaben „Was wäre das Paradies ohne Adam? – 65 göttliche Jahre“ steht.

Gleich daneben hat jemand ein Podest aufgebaut. Inferno-Mike Donath kümmert sich um die Technik. Ganz in Weiß, nur ohne Blumenstrauß, denkt sich Liesl. Dass sie das noch erleben darf. Normalerweise trägt der schöne (inzwischen leicht vergilbte) Mike ausschließlich Schwarz. In all den Jahren, die sie Mike nun schon kennt, hat sie ihn nie in einer anderen Farbe gesehen. Und sie ist sich sicher, dass er mit seinen knapp 50 Jahren auch schon vor ihrer Geburt Schwarz getragen hat. Wahrscheinlich war sogar schon sein Strampler schwarz, wie er noch ein Baby war. Sie muss unbedingt mal die Gerda, seine Mama, fragen, wenn sie sie das nächste Mal im Seniorenheim besucht. Überhaupt trägt Mike immer das gleiche Gwand. Schwarze, enge Stretch-Röhrenjeans (von denen sich Liesl jedes Mal fragt, wo man die heute noch kaufen kann), die in schwarzen Westernstiefeln mit schrägen Absätzen stecken. Dazu ein schwarzes, hautenges Ruderleiberl, unter dem sich inzwischen ein Bäuchlein abzeichnet. Ansonsten ist er knochig und dürr, so wie sich ein geschultes Auge einen routinierten, unauffälligen Alkoholiker und Kettenraucher nun mal vorstellt.

Auf dem selbst entworfenem Shirt steht entweder Disco-Inferno oder Video-Inferno oder (Liesls Lieblingsmotiv) The Master of Inferno, das Mike mit einem Laserschwert zeigt, während er auf Luke Skywalker macht, der wie John Travolta da steht. Sogar sein schütteres Haar und sein schmaler Gigolo-Bart sind schwarz gefärbt. Die geföhnte Haartolle geht sich schon länger nicht mehr aus. Irgendwie kann der Mann nicht alt werden, sinniert Liesl. Oder er ist in einer 80er-Jahre-Zeitschleife hängen geblieben.

Mike hat schon alles in seinem Leben versucht und ist jedes Mal infernal gescheitert. Und immer waren die anderen schuld – oder die Umstände oder das Finanzamt. Als er seine Videothek eröffnet hat, kam gleich drauf die DVD. Kaum hatte er alles auf DVD umgestellt, kam das Streaming. Und mit seiner Disco lief es nicht viel anders. Mikes Leben ist das reinste Inferno. Ein ständiges Scheitern. Vielleicht hat ihm ja deshalb der Möschl Adam einen Job gegeben. Anstatt was zu spenden.

Liesl kann es noch immer nicht fassen und macht heimlich ein Foto von ihm. Ein Traum. Sogar die Stiefel sind weiß und statt einem schwarzen Shirt trägt er doch tatsächlich ein weißes Hemd, das bis kurz vorm Bauchansatz aufgeknöpft ist und ein Inferno-Tattoo auf seiner Brust offenbart. Eh klar, was sonst.

Mike schwirrt gestresst zwischen Bühne und Mischpult hin und her, dabei singen eh alle zum Halbplayback. Jetzt sind gerade die Luschtigen Okroatzer Buam dran. Die hat der Möschl groß gemacht und unter Vertrag.

Mia Buam tonzen durch heit Nocht.Die Nocht, die werd zum Tag g’mocht,es wird g’soffen und g’locht,bis es scheppert und krocht, krocht, krocht.Juchhei, Juchhei, Juchhei!Dirndl, hasch koa Daweil oder bisch’ dabei?

Weiße Lampions hangeln sich von Baum zu Baum. Überhaupt ist die gesamte abendliche Gartenparty in jungfräulichem Weiß gehalten. Die hässlichen Stehtische, die alten Klappbänke und die verkratzten Biertische sind allesamt unter weißen Tüchern versteckt, passend zum hell erleuchteten Märchenschloss. Hier ist keiner das, was er vorgibt, zu sein. Nicht einmal der Biertisch. Wenn die Liesl nicht wüsste, dass grad Sommer ist, könnte man fast glauben, dass gleich der heilige Adam als Weihnachtsmann verkleidet und auf einem von sechs Rentieren gezogenen Schlitten vom Himmel hoch über seinem Märchenschloss geflogen kommt und es Geschenke regnen lässt.

Es sind alle da. Alle, die man kennt aus der volkstümlichen Schlagerwelt: Die Okroatzer Buam („Juchhei, Juchhei, Juchhei!“), Angela Schön („Der Himmel weint um di, mei Engel“), Die Drei Wuiden („Die wuide Hilde“), Jacky Herzog („Ich will leben, lieben, frei sein“), Die fidelen Kamptaler („A Bussl geht immer“), Arnulf Pircher („Komm, süßer Schmetterling“), Die Heimat-Vagabunden („Mei Hoamat bist du, du, du“), Joschi & Martina („A Jodler nur für di“), Franz & die Bergfexen („Kumm auf den Berg mit mir“), Nino Martini („Heut lass ma’s krachen“) und sogar Die romantischen Oberrainer („Ein bisserl Herz ist immer dabei“). Alle huldigen dem alten Möschl. Dem Herrgott über Hit oder Flopp, über Fernsehshow oder Bierzelt, über Scheinwerferlicht oder Versenkung. Wer es in seine Sendung schafft, hat die Chance, die großen Hallen zu füllen oder die Skisaison in der Ramsau zu eröffnen. Wenn er will, verdienst du viel Geld. Dann wird aus einem Luftschloss schnell ein echter Traum.

Liesl schwirrt mit einem Tablett voller Getränke durch die Menge. Die Rita vom Jägerwirt’n ist fürs Catering zuständig. Dabei schaut die immer so ernst drein, als wäre ihr schon vor Jahren das Lachen vergangen. An der ist viel verloren gegangen, aber sicher keine Wirtin. Die Rita wirkt immer so, als würde sie sich vom Leben ungerecht behandelt fühlen, hat die Liesl das Gefühl. Wer weiß, vielleicht wollte sie ja immer ganz was anderes vom Leben. Aber keiner hat sie je gefragt. Ihre Eltern haben schon den Jägerwirt geführt und davor ihr Großvater. Also wurde das Madl auf die Tourismusschule geschickt, um nachher das Gasthaus zu übernehmen. Das war damals so.