Klassiker der Erotik 28: Das Tagebuch einer Kammerzofe - Octave Mirbeau - E-Book

Klassiker der Erotik 28: Das Tagebuch einer Kammerzofe E-Book

Octave Mirbeau

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Beschreibung

Octave Mirbeau führt in die Welt der Dienstboten im Frankreich des Fin de siècle zur Zeit der Dreyfus-Affäre. Célestine, die Erzählerin, dient als Kammerzofe im großbürgerlichen Haus der Familie Lanlaire in der Normandie. Was sie dort erlebt, wirft ein grelles Licht auf die Herrschaften. Sie verurteilt die Dienerschaft und Knechtschaft der modernen Zeiten und legt die negativen Seiten des Bürgertums offen. Am Ende gelingt dem Kammermädchen der Aufstieg ins Bürgertum, indem sie eine Ehe mit dem sadistischen und antisemitischen Gärtner Joseph eingeht, obwohl sie ahnt, dass er ein Kind vergewaltigt und getötet hat. In diesem pessimistischen Roman denunziert Mirbeau das verdorbene Großbürgertum und die verlogene Fassade der französischen Gesellschaft.

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Octave Mirbeau

Tagebuch einer Kammerzofe

Inhalt

14. September

15. September

18. September

26. September

28. September

1. Oktober

6. Oktober

18. Oktober

25. Oktober

3. November

10. November

12. November

13. November

18. November

20. November

25. November

Cherbourg, im Juli

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14. September

Heute, an diesem regnerischen Tag, habe ich um drei Uhr nachmittags eine neue Stellung angetreten. Es ist bereits die zwölfte im Verlaufe von nur zwei Jahren. Es ist mir unmöglich, all die Stellungen aufzuzählen, die ich innerhalb der letzten Jahre angetreten und auch bald wieder aufgegeben habe. Eines jedoch steht fest: Ich bin zahlreichen edlen Gesichtern begegnet, hinter denen sich schmutzige Seelen befunden haben. Heutzutage ist es wirklich schwer, es seiner Herrschaft recht zu machen, es ist unglaublich, wissen Sie!

Ohne Madame vorher jemals gesehen zu haben, nahm ich diese Stelle also an, einer Anzeige im Figaro folgend. Ein wenig Korrespondenz mit meiner neuen Herrin ging voraus, mehr war es nicht. Diese Art Glücksspiel bereitet einem oftmals so manche Überraschung. Ihre Briefe waren sehr redegewandt und von gepflegtem Stil, ihre Worte lassen auf einen äußerst pedantischen Charakter schließen. Ihr Briefpapier ist nichts Besonderes, was auf einen gewissen Geiz schließen lässt, jedoch möchte ich hier nicht voreilig sein. Ich bin ja nun wirklich nicht reich, doch in Bezug auf mein Briefpapier achte ich nicht auf das liebe Geld.

Ich überantworte meine Zeilen einem Papier, das nach „Peau d’Espagne“ riecht, feines Papier, welches ich bei meiner letzten Herrschaft mitgehen ließ. Einige der Bögen tragen sogar gravierte Grafenkronen, etwas, das Madame vermutlich ganz schön in Erstaunen versetzt hat.

Ich bin jetzt jedenfalls in der Normandie, in Mesnil-Roy, um genau zu sein. Madames Besitz liegt etwas außerhalb dieses kleinen Ortes und nennt sich Le Prieuré.

Ein wenig besorgt bin ich schon darüber, dass ich mich in die Provinz habe leiten lassen. Was ich davon bisher gesehen habe, beruhigt mich keinesfalls, und ich gäbe einiges darum, zu erfahren, was mich hier noch alles erwartet. Ich nehme mal an, die üblichen Scherereien. Etwas also, das unser Beruf ganz automatisch zu Haufe hervorbringt.

Ich hatte keine Wahl, also, auf ins Abenteuer.

Es ist dies nicht meine erste Anstellung in der Provinz. Vor gut vier Jahren hatte ich eine auf dem Lande. Kurz nur, wie zumeist. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, es ist mir, als wäre es gestern gewesen. Lassen Sie mich berichten ...

Bevor ich nun aber damit beginne, möchte ich dringlichst darauf hinweisen, dass ich mir in meinem Tagebuch kein Blatt vor den Mund nehme und vor keinem auch noch so unmoralischen Detail Halt mache!

Hier nun also die Episode:

Ich war von einer dicken Haushälterin als Kammerzofe zu einem gewissen Monsieur Rabour in die Provinz Touraine engagiert worden und, wie so oft, geschah dies über ein Vermittlungsbüro.

Ich wurde an einem Bahnhof pünktlich von einem schlecht gelaunten Kutscher abgeholt.

„Soso, dann sind Sie wohl die neue Kammerzofe des Monsieur Rabour?“, fragte der.

„Ja, ich bin es.“

„Führen Sie wohl auch Gepäck mit sich?“

„Ja, Gepäck habe ich auch!“

Monsieur Louis, wie ihn die Bahnhofsbeamten nannten, veranlasste das Verladen meiner Gepäckstücke in die Kutsche.

„Steigen Sie jetzt also ein?“

Ich setzte mich neben ihn auf den Kutschbock und wir trabten los.

Ich konnte fühlen, wie er mich während der Fahrt genau musterte. Ich erkannte sofort, dass ich es hier mit einem ungehobelten Bauernlümmel zu tun hatte, der vorher wohl noch nie in einem wohlhabenden Haus gedient hatte. Schade irgendwie, denn ich liebe diese Livreen, mit den eng anliegenden Hosen aus weichem, geschmeidigem, weißem Leder. Louis fehlte es an all dem Schick. Er trug noch nicht einmal Handschuhe, der Anzug war ihm viel zu groß und auf dem Kopf trug er eine seltsame flache Mütze, die mit einer doppelten goldenen Tresse mehr zu sein versuchte, als sie eigentlich war.

Er sah irgendwie grimmig und Furcht einflößend aus. Naja, am ersten Tag spielen sie sich vor den Neuen immer auf, etwas, das sich dann oftmals bald in Wohlgefallen auflöst. Manchmal sogar mehr, als einem lieb ist.

Die Landschaft bot nichts Besonderes. Ländliche Idylle halt, durch die uns unsere zunächst wortlose Fahrt führte.

Plötzlich wurde der grimmige Kutscher gesprächig:

„Haben Sie wenigstens eine Auswahl an prächtigen Stiefelchen mitgebracht?“, fragte er mit hämischem Grinsen.

Ich war ziemlich erstaunt über diese Frage.

„Selbstverständlich“, entgegnete ich. „Komische Art, Fragen zu stellen ...“

Er stieß mich in die Seite und schickte mir einen zweideutigen Blick:

„Gut so! Schaut dabei drein, als könnte sie kein Wässerchen trüben! Ha! Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist!“

Er verfiel in ein meckerndes Lachen, schnalzte mit der Zunge und damit fiel das Pferd wieder in eine schnelleren Gangart.

Ein wenig konsterniert war ich schon. Was mochte dies bedeuten? Vermutlich wohl gar nichts, der Kerl war eben einfach nur etwas beschränkt und ihm ist wohl kein besserer Gesprächsstoff eingefallen, für eine Frau aus der Stadt.

So ging es dann also schweigend weiter, durch diese idyllische, wenig überraschende Landschaft.

Monsieur Rabours Besitz war recht beeindruckend, stellte ich bald darauf fest. Weniger erfreut war ich über das erneute Wiedersehen mit dieser fetten Haushälterin, die von mir schon beim Vorgespräch im Vermittlungsbüro intimste Details aus meinem Leben und Tun erfahren wollte. Sie erschien mir eher wie eine Zuhälterin als wie eine nöbliche Hausangestellte. Sie brachte mich gleich nach meiner Ankunft in einen kleinen Salon.

„Ich bin ja gespannt, was Monsieur zu Ihnen sagen wird, ich habe Sie zwar engagiert, doch gefallen müssen Sie allein ihm!“, sagte sie mit schnarrender Stimme.

Ich sah mich ein wenig um. Alles war blitzblank und bieder arrangiert. Der Raum strömte provinziellen Schick aus. Es konnte nur langweilig werden, hier an diesem Ort. Endlich kam Monsieur. Du liebe Güte, was für ein putziges Kerlchen er doch war. Ich konnte ein Lachen kaum unterdrücken. Er hoppelte durchs Zimmer wie ein kleines Häschen, begrüßte mich und fragte in einem sehr höflichen Ton:

„Wie heißen Sie?“

„Mein Name ist Celestine, Monsieur“, antwortete ich artig.

„Celestine? Sapperlot, ein hübscher Name. Jedoch viel zu lang. Ich werde Sie Marie nennen, wenn’s recht ist?“

Alle hohen Herren haben diese seltsame Manie, einen nie beim richtigen Namen zu nennen. Ich habe bei meinen verschiedenen Dienststellen bereits die Namen von sämtlichen Kalenderheiligen erhalten.

So erklärte ich mich auch diesmal einverstanden. Marie sollte ich also heißen.

„Ein hübsches Mädchen“, fuhr er sodann fort, „mit guten Charakterzügen ... fein, fein!“

Er verhielt sich sehr respektvoll und zog mich nicht mit den Augen aus, wie es sehr oft zuvor bei anderen Dienstherren geschehen war. Vielmehr starrte er unentwegt auf meine Stiefel.

Etwas befremdlich kam mir dies vor, jedoch beunruhigte mich dies nicht weiter.

„Haben Sie noch mehr davon?“, fragte er dann.

„Wie? Noch mehr Namen, Monsieur?“

„Nein, ich meinte Stiefel!“ und dabei leckte er sich die Lippen mit seiner kleinen Hasenzunge. Seine Frage erinnerte mich plötzlich an die seltsamen Andeutungen des Kutschers.

Schließlich antwortete ich ihm:

„Ja, ich habe noch mehr davon!“

„Auch welche aus Lack, glänzendem Lack?“

„Aber ja doch, sicherlich.“

„Besitzen Sie auch solche aus gelbem Leder?“ „Habe ich nicht, der Herr.“

„Sollten Sie aber haben, Marie, sollten Sie! Ich werde Ihnen welche zum Geschenk machen!“

„Vielen Dank, Monsieur“, ich war sehr erstaunt über diesen Einstand.

Seine Augen hatten plötzlich seltsame Schleier und seine Mundwinkel glänzten vor Feuchtigkeit. Wo war ich da nur hingeraten? Seine Stirn zierten Schweißtropfen, seine Bewegungen wurden zittrig und fahrig, als wir dieses Gespräch führten.

„Ich habe halt so meine Eigenheiten“, sagte er dann, schon wieder etwas ruhiger, „Ich finde es beispielsweise völlig ungehörig, dass eine Frau ihre Stiefelchen selber putzt. Sie sollte auch meine Schuhe nicht reinigen müssen! Verstehen Sie, meine Liebe. So werden Sie jeden Abend ihre Stiefel in meine Kammer bringen, Sie stellen sie einfach auf das Tischchen neben meinem Bett und nehmen sie jeden Morgen, wenn Sie die Fenster meines Zimmers öffnen, wieder mit!“

Ich starrte ihn völlig entgeistert an. „Nun, dies ist doch nichts so Außergewöhnliches“, fuhr er nervös fort, „und wenn Sie schön folgsam sind, dann gebe ich ihnen dies ...“ Er zog zwei Louisdors aus seiner Tasche und hielt sie mir hin. „Wir werden gut miteinander auskommen, wenn Sie schön brav sind, verstehen Sie?

Die Haushälterin zahlt Ihnen monatlich Ihren Lohn und von mir bekommen Sie dann ständig ein paar Geschenke und Zuwendungen extra! Dies ist doch bei Gott nichts Außergewöhnliches!“

Er begann wieder zu beben. Seine Stimme wurde zittrig, ebenso seine Hände. Schaum bildete sich vor seinem Mund.

„Weshalb sagst du nichts, Marie? So sag doch was ... beweg dich, geh ein wenig im Zimmer umher, damit ich diese wunderbaren Stiefelchen in Bewegung betrachten kann“, sagte er, während er sich vor mich hin kniete und meine Stiefel mit Küssen bedeckte. Er streichelte sie, löste die Bänder, zog sie mir von den Füßen.

„Oh Marie ... diese wunderbaren Stiefel ... gib sie mir ... jetzt sofort!“ Ich war starr vor Schreck und so unternahm ich nichts, als er sie mir von den Füßen zog und damit in sein Zimmer verschwand.

„Sie gefallen Monsieur außerordentlich gut“, sagte mir hernach die fette Haushälterin, „Sie sind engagiert, mein Kind! Es ist eine gute Stellung, sehen Sie zu, dass sie hier bleiben!“

Vier Tage später fand ich Monsieur tot vor. Er lag leblos auf dem Rücken auf seinem Bett und hatte eines meiner Stiefelchen zwischen den Zähnen. Er schien in dieser Stellung sanft entschlummert zu sein. Ich musste angewidert ein Rasiermesser benutzen, um meine Stiefel aus seinen Fängen zu befreien.

Ich bin fürwahr keine Heilige, habe vielerlei Männer kennen gelernt. Aber jemand wie Monsieur war mir vorher noch niemals über den Weg gelaufen!

Wo haben die nur all ihre abwegigen Ideen her? Dabei wäre es doch so schön und einfach, so zu lieben, wie jedermann es tut.

Ich nehme einmal an, dass mir solches hier in meiner neuen Stelle nicht widerfahren wird.

Vielleicht hätte ich besser von der Stellung des Dienstboten ins Gunstgewerbe wechseln sollen. Da wäre alles viel eindeutiger, viel leichter zu erkennen und zu bewältigen als ständig unter dem Deckmantel einer Herrschaft.

Ich bin im landläufigen Sinne nicht sehr hübsch, jedoch, und das wurde mir schon oftmals bestätigt, habe ich das „gewisse Etwas“, das mich für die Männerwelt anziehend macht.

Ich habe Chic, Charme und einiges mehr, um das mich die Welt der feinen Damen des Gewerbes wohl beneiden würde.

Ich bin groß, schlank und geschmeidig, habe blondes Haar, volle, glänzende Lippen, schöne, dunkelblaue Augen, bin originell, schlagfertig, lebhaft und zugleich auch gemütvoll. Ich hätte es zu etwas bringen können. Doch die besten Chancen habe ich, zumeist durch eigene Schuld, leider verpasst. Wer garantiert mir aber, dass ich als allein stehende Frau denselben Erfolg haben würde, den ich trotz allem als Kammerzofe habe? Nun ja, es ist nun einmal wie es ist. Ich glaube, das Milieu, in dem wir alle existieren, es prägt uns. In uns Zofen begehren die Männer unsere Herrinnen und deren Geheimnisse, die sie auf uns übertragen.

Trotz meines mitunter etwas schamlosen Lebenswandels habe ich mir ein Stückchen Religiosität bewahrt, das mich wohl davor schützt, in finstere Abgründe abzusteigen.

Ohne meinen Glauben wäre ich in meinen depressiven Zuständen jedenfalls viel unglücklicher, das steht fest! Außerdem passe ich im Umgang mit Männern viel zu wenig auf mich auf. Ich bin zu sehr in die Liebe verliebt, um aus meinem Tun Gewinn zu schlagen. Ich bringe es einfach nicht über mein Herz, von jemandem, der meine Pforte betritt und mich beglückt, auch noch Geld zu verlangen. Wenn sie zu mir kommen, auf mich einreden, mir schmeicheln, dann ist es einfach um mich geschehen, was sollte ich dagegen tun?

Nun jedenfalls bin ich auf Prieuré. Und ich weiß bei Gott noch nicht, was ich mir von diesem Ort eigentlich erwarte.

Ich werde den Dingen vorerst einfach ihren Lauf lassen. Ich fühle mich zurzeit auch nicht wirklich gut, mein Teint, auf den ich immer so stolz war, wirkt abgestumpft, mein Magen quält mich und immer wiederkehrende Schmerzen im Unterleib und in der Nierengegend machen mir zu schaffen. So werde ich immer reizbarer und ich hoffe nicht, dass ich ein Wort von Madame in den falschen Hals bekommen werde, was meiner Karriere hier im Hause wohl nicht unbedingt zuträglich wäre.

Hier ist es, ganz im Gegensatz zu Paris, wenigstens ruhig und ich werde Zeit finden, mich ein wenig zu pflegen. Obendrein ist die Landluft ja bekanntlich frisch und rein und wird das ihrige dazu tun, mich rasch zu heilen.

Der Aufenthalt hier wird mir sicher gut tun, auch wenn mir die Herrschaft nicht wirklich zusagt. Madame beherrscht sich zwar derzeit noch, wie sie es oft tun, wenn man ein Dienstverhältnis frisch angetreten hat, doch bald schon wird wohl auch sie ihre Maske fallen lassen. Sie hat mir sogar Komplimente wegen meiner Kleidung gemacht. Meine Zeugnisse haben sie ohnedies verblüfft. Wenn die wüsste, das die eigentlich gefälscht sind ...

Madame hat sehr kalte, herrschaftliche Augen, die mir überhaupt nicht gefallen wollen, sie wirkt so irgendwie geizig und misstrauisch, ebensolches weiß ihr schmaler Mund zu erzählen.

Ich habe jedoch beschlossen, lieber abzuwarten, wie die Dinge sich hier entwickeln, und allem möglichst neutral gegenüberzustehen. Ein alter Reim sagt ja: Hoffen und harren, das tun alle Narren. Und dem schließe ich mich vorerst an.

Madame lotste mich gleich nach meiner Ankunft am Ende einer Zugfahrt dritter Klasse ohne Verpflegung aus der Küche durch das ganze Haus. Ich sollte rasch alles kennen lernen und mich mit meinen Aufgaben vertraut machen. Sapperlot! Was für ein großes Haus! Das sieht nach verdammt viel Arbeit aus, für ein zartes Mädchen wie mich. Das Haus ist verwinkelt und angestopft mit diversem Gerümpel. Um es wirklich in Schuss zu halten, hätte es mindestens zehn von meiner Sorte gebraucht. Ich bräuchte wohl eigentlich einen detaillierten Plan, um mich hier jemals zurechtzufinden. Und dann noch ihre Unterweisungen: „Hier müssen Sie aufpassen, vorsichtig mit dem, meine Liebe, das ist ein ganz seltenes und wertvolles Stück!“

Sie nennt mich immerzu „meine Liebe“, es scheint unter ihrer Würde, mich bei meinem richtigen Namen zu nennen.

Ich nenne sie ja auch nicht „meine Beste“! Nun ja, dieser beleidigende Umgang mit dem Personal ist heutzutage leider sehr geläufig und lässt sich wohl nicht mehr abstellen.

Sie begann mir in ihrer Hochnäsigkeit die banalsten Dinge zu erklären. „Meine Liebe, diese Lampe ist ein äußerst wertvolles Stück, man könnte sie nur in England reparieren lassen, hüten Sie sie, als wäre sie Ihr Eigentum!“ Und sie zeigte mir, wie man sie vor dem Reinigen richtig zerlegt, als ob ich selbiges nicht längst schon wüsste und hunderte Male getan hätte!

Das Haus ist nicht gerade berühmt. Jedenfalls kein Grund, so viel Aufhebens darum zu machen, um diese wertvollen Dinge. Ha! Ihr Nachttopf stammt sicher auch aus London und kann nur dort repariert werden, wenn er unter ihrem Gewicht in die Brüche geht!

Der weitläufige Garten des Hauses sah da schon bei weitem eindrucksvoller aus! Im Haus jedoch ist alles modrig und verstaubt, ich verstehe gar nicht, wie man freiwillig darin leben kann!

Eben tiefste Provinz, was soll man machen. Die Teppiche sind staubig und niedergetreten, das Mahagoni matt und einer Politur dringend bedürftig, geschossene Wandteppiche, steife, unbequeme Sofas und Sessel. Herz, was willst du mehr. Verglichen mit Paris ein echter Abbruch, das Ganze.

Ich befürchte jetzt schon, mich niemals an diesen Mangel an Komfort gewöhnen zu können.

Madames Kleiderschrank entbehrt auch jeglichen Chics. Sie ist angezogen, als wäre die Mode vor zehn

Jahren stehen geblieben, ihre Parfüms sind genauso antiquiert wie ihr Stil.

Sie sieht mehr aus wie eine Vogelscheuche, frisch geschminkt und gekleidet. Naja, sie zählt zu jener Art Frau, die es nur noch schafft, mittels Stützmieder und ähnlichen Bandagen aufrecht zu gehen. Und dann posiert sie noch lächerlich herum, um den Männern zu gefallen. Einfach lächerlich, das Ganze.

Ich möchte auch wetten, dass sie absolut nichts von der Liebe wissen mag, sie hat hierfür weder das entsprechende Talent noch eine ersichtliche physische Veranlagung. Obwohl sie eine Blondine ist, hat sie die Ausstrahlung einer ältlichen Jungfrau, irgendwie mumienhaft und vertrocknet ...

Bin ja gespannt, denn manche, die mir schon so vertrocknet begegnet sind, hatten es ja dann faustdick hinter den Ohren, was das Triebleben und die Lust angeht, und beherrschten dann im Ernstfall die ausgeklügeltsten Kniffe, um die Männer zu beglücken!

Wenn Madame dann einmal nett und liebenswürdig ist, dann vermute ich dahinter Falschheit und Hinterfotzigkeit. Ich denke, sie säuselt lieblich und denkt sich ihren bösen Teil. Sie gehört sicher zu der Art falschen, in Wahrheit bösen Geschöpfe auf Mutter Erde.

Sie ist wahrscheinlich den ganzen Tag über schikanierend hinter den Dienstboten her.

Ich habe schon jetzt ihr „Können sie dies?“ und „Können sie das?“ im Ohr. Ihr „Sind sie auch sorgfältig genug?“ und ihr „Sind sie auch ordentlich genug?“ „Sind sie sauber? Wie sie wissen halte ich sehr viel auf Ordnung und Reinlichkeit!“ höre ich sie sagen.

Bah. Sie hält mich wohl für einen Trampel. Sollte vor ihrer eigenen Türe kehren. Wenn man genau hinsieht, dann kann man ihren Dreck erkennen, in den Rocksäumen und überall in ihrer Wäsche. Da dreht sich mir manchmal der Magen um, vor lauter Ekel!

In ihrem Badezimmer gibt’s noch nicht mal ein Bidet und die paar vergammelten Flakons mit Duftwässerchen machen das Kraut auch nicht fett. Ich bin schon mal neugierig, Madame einmal nackt zu sehen! Du liebe Güte, das wird ein Vergnügen von höchster Seltenheit, ich denke, da werde ich meinen Spaß haben und mich mal so richtig ekeln.

Des Abends, als ich gerade den Tisch deckte, kam Monsieur nach Hause. Direkt von der Jagd. Er ist ein etwas schwerfälliger Typ mit breiten Schultern, blassem Teint und Schnauzbart, scheint mir jedoch ein gutmütiger Kerl zu sein. Er ist zwar kein Genie, wie Monsieur Jules Lemaitre, dem ich oft in der Rue Christophe Colombe servieren durfte, auch bei weitem nicht so elegant wie mein Monsieur Janze - du meine Güte, Monsieur Janze! -, doch er ist nicht unsympathisch!

Ich denke, er ist, ganz im erfreulichen Gegensatz zu seiner Frau, sehr wohl für die Liebe zu haben! Wie sehr viele schwerfällige, aber muskulöse Männer mit breiten Schultern ist er sehr schüchtern.

Ich musste ihn irgendwie beeindruckt haben und ihn sichtlich aufregen, denn er zog mich wohl für einen kurzen Moment mit seinen Blicken aus, wie es viele tun, jedoch wirklich nur einen Blitzer von einer Sekunde, um sogleich wieder betreten und unsicher zu Boden zu blicken.

„Aha, ach ja, soso ... hm ... dann sind Sie wohl die neue Kammerzofe?“, sagte er nun, ein wenig verwirrt.

Ich schlug sogleich die Augen nieder und streckte meine Oberweite heraus.

„Ja, Monsieur, die bin ich!“

Er begann heillos zu stottern:

„Ah, dann sind Sie also angekommen? Sehr gut, sehr schön ...“

Er suchte sichtlich nach Worten, was mich amüsierte.

„Dann kommen Sie also aus Paris?“

„Jawohl, Monsieur“, antwortete ich artig.

„Sehr gut, sehr schön, ja, ja ...“ Und dann gab er sich einen Ruck.

„Und wie heißen Sie?“

„Mein Name ist Celestine, Monsieur!“

Er rieb aufgeregt die Hände.

„Celestine also? So so, sehr gut ... wunderbar! Fürwahr kein alltäglicher Name, dieser hübsche Name! Ich hoffe stark, Madame gibt Ihnen keinen anderen, wie sie es sonst gerne tut.“

„Wie Madame es eben wünschen, so werde ich gerufen“, sagte ich brav.

„Natürlich, selbstverständlich! Wirklich? ... ein sehr hübscher Name. Celestine ... hm.“

Ich hätte mein Lachen kaum noch halten können. Monsieur stolzierte im Zimmer auf und ab und ließ sich sodann in einen Fauteuil fallen.

„Also, liebste Celestine, ich werde Sie immer so nennen. Dann würden Sie mir jetzt bitte behilflich sein, mir die Stiefel auszuziehen? Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht!“

„Natürlich, Monsieur!“

So ließ ich mich denn zu seinen Füßen auf die Knie fallen und zerrte an den Stiefeln.

Ich bemerkte sehr wohl, dass er mich aufmerksam musterte, die Formen unter meiner Bluse studierte und den Duft meines Parfüms in meinem Nacken gierig aufsog.

„Celestine! Bei Gott ... Sie duften verflixt gut ...“, murmelte er plötzlich.

Ohne aufzusehen, sagte ich:

„Ich, Monsieur?“

„Na selbstverständlich Sie, meine Füße sind es gottverdammtnochmal nicht!“

„Oh, Monsieur!“

Mein gespielter Ausruf nun animierte ihn, wie ich es mir gedacht hatte, zu mehr.

„Celestine, Sie duften gut, verdammt gut sogar!“

Na bitte, er wird langsam warm! Ich tat so, als wäre ich ein wenig schockiert und schwieg vor mich hin.

Er dachte sicher, so ganz als Mann von Stil, er sei zu weit gegangen, und wechselte nun rasch das Thema.

„Haben Sie sich schon eingelebt, liebe Celestine?“

Er war schon ein komischer Vogel, der Beste. Was sollte diese Frage nun schon wieder? Ich musste mich beherrschen, um nicht aus voller Kehle loszulachen.

Aber irgendwie gefiel mir seine etwas linkische Art und sein animalischer Geruch inspirierte mich und berührte meine niederen Instinkte.

Endlich hatte ich ihn seiner Stiefel entledigt und fragte nun meinerseits:

„Ich sehe, Monsieur sind Jäger ... war Ihre Jagd von Erfolg gekrönt?“

„Nein, Celestine, ich habe niemals eine gute Strecke, ich gehe hinaus, um mich an der frischen Luft zu bewegen, um nur nicht hier im Haus bleiben zu müssen. Das langweilt mich.“

„Aha, Monsieur langweilen sich hier also?“

Er verbesserte elegant:

„Bis jetzt habe ich mich gelangweilt ... bis jetzt, Celestine!“

Und dann:

„Celestine?“

„Monsieur?“

„Könnten Sie so lieb sein und mir meine Pantoffeln geben?“

„Natürlich, gerne, Monsieur, dafür bin ich ja hier!“ „Sie befinden sich unter der Treppe, in einem kleinen Verschlag, gleich links davon!“

Ich denke, von dem kann ich alles kriegen. Er ist nicht der Schlaueste, jedoch ergibt er sich sofort nach dem ersten Angriff. Daraus könnte man einiges machen ...

Das Abendessen verlief im weitesten Sinne ruhig und ohne besondere Höhepunkte oder Zwischenfälle. Madame beobachtete mich genau, abschätzig und wohl im Gedanken, womit sie mich nun schikanieren könnte, während Monsieur mir unentwegt auf die Hände blickte und mir ab und zu zweideutig und verstohlen zublinzelte. Was die Herren nur alle an meinen Händen finden ... Ich tat so, als merkte ich von all dem nichts.

Madame aß wenig, bekam sie doch vor dem Essen immer einen ganzen Haufen Pillen und Wässerchen auf ihrem Teller aufgebaut, die sie dann mehr oder minder widerwillig in sich hineinstopfte, während Monsieur alles was auf den Teller kam, hastig hinunterschlang.

Eines ist mir jedenfalls schon jetzt klar: Madame hat hier die Hosen an und die Ehe der beiden hat die besten Zeiten längst überstanden. Ich denke, Madame macht ihrem Gatten das Leben hier ziemlich zur Hölle. Gut, dass ich jetzt da bin.

Da plötzlich sagte Madame in herrischem Tonfall: „Ich möchte nicht, dass Dienstboten hier im Hause Parfüm tragen!“

Ich tat so, als richte sich der Satz nicht an mich, und würdigte sie keiner Antwort.

„Haben Sie das verstanden, Celestine?“

„Jawohl, Madame“, entgegnete ich.

Ich blickte verstohlen zu Monsieur, der doch mein Parfüm so sehr schätze, doch der blickte nur betreten auf seinen Teller.

Es dämmerte inzwischen und es legte sich trostloses Schweigen über die Gesellschaft im Speisezimmer.

„Celestine, die Lampe!“, durchschnitt plötzlich Madames Stimme das Schweigen.

Ich zuckte zusammen.

So zündete ich die gute Petroleumlampe an, das Stück, das nur in England repariert werden konnte, und hätte Monsieur am liebsten zugeflüstert:

„Warte nur, mein Lieber, du sollst von mir noch alle Parfüms dieser Welt bekommen, die du so liebst und die man dir nicht gönnen mag. Du wirst dich daran erquicken, das verspreche ich dir, du wirst sie über mein Haar einatmen, auf meinem Mund, ja, auf meinem ganzen Körper! Wir zwei, wir werden es der alten Trauerweide schon noch zeigen!“

Um das noch zu unterstreichen, berührte ich leicht Monsieurs Arm, bevor ich die Lampe auf den Tisch stellte und das Speisezimmer verließ.

Das restliche Personal hier ist nicht weiter anregend. Neben mir gibt es noch einen schweigsamen Gärtner und eine fette, unansehnliche Köchin, die den ganzen Tag nur rumnörgelt.

Die Köchin heißt Marianne, der Gärtner, der zugleich Kutscher ist, nennt sich Joseph.

Sie ist wie gesagt ziemlich beleibt, trägt um ihren Specknacken ein dreckiges Halstuch und ihre enorm unförmigen Brüste baumeln unter einer fettverschmierten, blauen Bluse. Fette Knöchel und ein etwas zu kurz geratender Rock runden das elendige Bild ab. Der Gärtner kommt hemdsärmelig daher, mit Arbeitsschürze, ist wenigstens gut rasiert und trägt immer ein eher unangenehmes Grinsen zur Schau. Er steht krumm da und bewegt sich scheinheilig wie ein Messdiener.

Es ist leider kein Esszimmer fürs Personal vorhanden. So müssen wir immer an dem dreckigen Arbeitstisch in der Küche speisen. Ekelig. Selbst Gefangene oder Tiere leben da besser.

Zu Trinken bekamen wir nur sauren Cidre und zumeist nur alten stinkigen Käse, Kohl oder ähnlich Minderwertiges. Billiges Geschirr und Blechgabeln vervollständigen das ärmliche Gedeck.

Neu im Hause verkniff ich es mir, mich zu beschweren, jedoch aß ich auch nichts. Ich hatte keine große Lust, mir den Magen zu verderben.

„Mademoiselle bekommen wohl erst bei Trüffeln Hunger?“, wetterte die Köchin.

„Ich weiß ja noch wenigstens, wie Trüffel schmecken, was wohl von den anderen im Hause nicht anzunehmen ist!“, entgegnete ich barsch.

Der Gärtner beobachtete mich beim Essen ständig aus den Augenwinkeln. Er stopfte das Futter in sich rein wie ein Tier. Sein Schweigen machte mich zugegebenermaßen nervös. Obwohl er nicht mehr in den besten Jahren ist, machte er sehr geschmeidige, geradezu jungenhafte Bewegungen. Er erinnert mich an ein Reptil. Lasst mich ihn beschreiben:

Sein Haar ist glatt und geschmeidig, er hat eine niedrige Stirn, tief liegende Augen und dreist hervorstehende Backenknochen. Die breiten Kiefermuskeln und das lange, fleischige Kinn machen ihn mir irgendwie undefinierbar. Ist er nun ein Tölpel oder eine Kanaille?

Ich werde nicht schlau aus ihm. Irgendwie beschäftigt er mich jedenfalls. Mit gehörigem Abstand betrachtet, ist er doch wohl nur in meiner ausschweifenden Fantasie irgendwie interessant. In Wahrheit ist er ein einfacher, schmieriger Bauerntölpel. Ich muss mich einfach mehr im Zaum halten.

Joseph widmete sich nach der Mahlzeit einer Ausgabe des Libre Parole, während Marianne, die gut zwei Karaffen Cidre allein geleert hatte, nunmehr etwas zugänglicher wurde.

Sie begann damit, mich nach meiner Herkunft auszufragen, wo ich zuvor gedient hatte, ob ich etwas gegen die Juden hätte und so fort. So plauderten wir eine Weile, beinahe freundschaftlich. Ich meinerseits stellte Fragen wie, ob Monsieur dem Personal nachstelle, ob Madame einen Liebhaber hätte, ob es oftmals Gäste gebe hier im Haus und dergleichen mehr.

Ihr entgeistertes Gesicht war mir Antwort genug, auch Joseph blickte einigermaßen schockiert von seiner Zeitung auf.

„Da sieht man ja gleich, dass sie aus Paris kommen, und man fragt sich, aus welchem Hause!“, rief die Köchin pikiert aus.

Joseph nickte und fügte ein knappes: „Genau!“ hinzu. Dann widmete er sich wieder seiner Lektüre. Marianne erhob sich und nahm einen Topf vom Feuer.

Damit war die Abendunterhaltung auch schon wieder vorbei.

Wie vornehm war dagegen Monsieur Jean, mit seinen schwarzen Koteletten und seiner blütenweißen Haut! Wehmütig dachte ich an meine letzte Stellung zurück. Er war delikat, fröhlich und herzlich, während er uns aus dem Fin de Siecle vorlas oder uns rührende Geschichten erzählte oder uns über die Korrespondenz von Monsieur auf dem Laufenden hielt.

Was für eine jämmerliche Verschlechterung. Mir ist zum Heulen.

Ich berichte von alldem in meinem schäbigen Zimmer, einer kleinen, dreckigen Kammer direkt unterm Dach des Hauses. Nicht mehr als ein scheußliches Eisenbett, ein grauslicher Holzschrank, der nicht schließt und meine umfangreiche Garderobe gar nicht fassen mag, stehen mir hier zur Verfügung. Ein Drama. Eine qualmende, tropfende Kerze ist die einzige Lichtquelle hier. Ich muss mir wohl vom sauer verdienten Geld ordentliche Wachskerzen kaufen, um hier etwas lesen oder mein Tagebuch schreiben zu können! Madames Kerzen sind nämlich unter Verschluss, an die komme ich nicht ran.

Morgen werde ich versuchen, hier alles etwas wohnlicher zu gestalten. Ein kleines vergoldetes Kreuz überm Bett, auf den Kaminsims gebe ich die heilige Jungfrau aus dem farbigen Porzellan. Daneben arrangiere ich dann meine Nippes und die Fotografie von Monsieur Jean. Dann wird es hier wohl etwas behaglicher aussehen.

Mariannes Zimmer liegt gleich neben meinem und man hört hier jedes Geräusch von drüben.

Jetzt schnarcht sie. Ich denke, mit dem Joseph hat sie was, aber da treibt sie’s mit dem dann wohl am Tage. Ich werde mich jetzt auch ins Bett begeben und versuchen, ein wenig zu schlafen.

Ich sehe mich in dieser Rumpelkammer schon vor meiner Zeit altern, du meine Güte!

15. September

Worüber ich mich noch nicht ausgelassen habe, sind die Namen meiner neuen Herrschaft.

Merkwürdig und zu so manchem Späßchen geeignet ist deren Nachname: Sie heißen Lanaire, Monsieur und Madame Lanaire. Wenn das nicht ein komischer Name ist, der zur Verballhornung geradezu herausfordert! Die Vornamen der beiden geben fast noch mehr her: Monsieur heißt Isidore und Madame wird Euphrasie gerufen ... Euphrasie! Sehr eigen, finden Sie nicht?

Die Händlerin, bei der ich vorhin meinen Vorrat an Nähgarn auffüllen wollte, hatte einiges nicht sehr Nettes über die beiden zu erzählen. Ein derart klatschsüchtiges Weib wie diese Krämerin ist mir bis heute allerdings auch noch nie begegnet. Naja, typisch ländlich halt.

Monsieurs Vater war Tuchfabrikant und Bankier in Louviers gewesen. Er hatte wohl recht betrügerischen Bankrott mit seiner Firma gemacht und damit hatte er alle Kleinkaufleute der Gegend ruiniert. Zehn Jahre Gefängnis hat er dafür bekommen. Er verstarb während der Haftstrafe, die er in Gaillon abzusitzen hatte. Es war ihm jedoch gelungen, noch vor seiner Inhaftierung vierhundertfünfzigtausend Francs auf die Seite zu schaffen, welche er seinem Sohn, Monsieur Isidore - was für ein Name -, vermachte und die dessen Reichtum begründeten.

Um einiges schlimmer ist da noch die Geschichte von Madames Vater, obwohl dieser seinen Lebensabend nicht hinter Gittern verbringen musste, sondern vielmehr ehrenhaft und als weithin geachteter Mann gestorben ist.

Er war eine Art Menschenhändler. Zu Zeiten Napoleons III. konnten sich reiche junge Männer aus gutem Hause vom Militärdienst freikaufen. Sie brauchten sich nur an eine Agentur oder an einen Mann zu wenden, der für einen Betrag zwischen 1.000 und 2.000 Francs jemanden finden musste, der an ihrer Stelle den siebenjährigen Frondienst ableisten oder an ihrer Stelle sterben würde. Hier kam also der Vater von Madame ins Spiel. So hatte dieser in Frankreich mit weißem Fleisch gehandelt, so wie man es in Afrika mit den Schwarzen macht.

Naja, wahrlich keine ruhmreiche Karriere. Doch was unterscheidet die Stellen von damals eigentlich von den heutigen Vermittlungsbüros und ihren provisionsjagenden Besitzern? Nichts anderes als Sklavenmärkte sind das!

Als Madames Vater verstarb, bekleidete er wichtige Ämter, er war Bürgermeister von Mesnil-Roy, der stellvertretende Friedensrichter, Departementsrat, Fabrikdirektor sowie Schatzmeister des Wohlfahrtsamtes und ein hoch dekorierter Ehrenmann. Er hinterließ ihr sechshunderttausend Francs und Prieuré obendrein und ihr missratener Bruder erhielt noch mal sechshunderttausend Francs! Von dem hat man aber bis heute nichts mehr gehört.

So besitzen die Lanaires also über eine Million, einen feinen Landsitz und noch mehr - ist das nicht widerlich?

Zudem knausern sie, sind regelrechte Sparmeister und verbrauchen in ihrem Geiz noch nicht mal ein Drittel der Jahreszinsen für ihr stattliches Vermögen.

Jaja, Geld kommt halt zu Geld und bleibt auch dort!

„Die würden ja sogar noch Bettler bestehlen“, sagte die Händlerin, deren üble Tratschsucht mir zu denken gibt.

Madames Geiz ist in der Gegend legendär, etwas besser kommt hingegen Monsieur weg, dessen einzige Schwäche es ist, sich nicht gegen seine Furie von einer Gattin durchsetzen zu können. Sie gibt ihm gerade mal ein Taschengeld, das noch nicht einmal wirklich für seinen Tabakvorrat reicht.

Oft muß er Gläubiger abweisen, wenn seine Frau nicht im Hause ist, zumeist mit der faulen Ausrede, er habe nur ganze Tausend-Francs-Scheine und könne die kleinen Beträge nicht bezahlen, wenn der Betreffende nicht in der Lage sei, diese zu wechseln - und wer könnte das schon, wenn nicht eine Bank?

Selbst Briefpapier bekommt er nur in kleinsten Mengen von ihr ausgehändigt mit der Auflage, doch nicht so viel zu schreiben!

Einfach lächerlich das Ganze. Er duckmäusert vor ihr in ungeheurem Maße und lässt sich um des lieben Friedens willen alles von ihr gefallen.

Sie leben auch nicht wie richtige Eheleute zusammen.

Madame, die angeblich krank ist und deshalb auch keine Kinder bekommen kann, will von geschlechtlichen Dingen einfach nichts wissen. Alle Arten der ehelichen Pflichten bereiteten ihr nichts als Schmerzen. Armer Monsieur.

Hierzu gibt es eine nette Geschichte, die auch wieder für Madames unsagbaren Geiz spricht und geradezu lachhaft ist:

Eines Tages erklärte sich Madame mit ihrem Problem bei der Beichte dem örtlichen Pfarrer und fragte an, ob man in Zusammenhang mit den ehelichen Pflichten denn nicht auch mogeln dürfe.

„Was verstehen Madame unter mogeln?“, soll der Pfarrer gefragt haben.

„Nun, ich meine, gewisse andere Liebkosungen austauschen anstelle des gewöhnlichen Aktes“, antwortete diese.

„Aber meine Tochter, gewisse Liebkosungen ... das ist ja eine Todsünde!“

„Eben, Herr Pfarrer, deswegen bitte ich die Kirche ja um eine Genehmigung!“

„Aha. Naja ... also ... wie oft sollen denn diese Liebkosungen Vorkommen?“

„Nun, mein Gatte ist ein sehr vitaler Mann, gesund und gut im Saft, also ... wie wäre es mit zweimal die Woche?“

„Zweimal in der Woche?! Das ist oft. Viel zu oft, Madame! Wer braucht schon wirklich zweimal in der Woche derlei Liebkosungen?“

Der Pfarrer verstummte und dachte eine ganze Weile schwer atmend nach. „Also gut, meine Liebe! Ich gestatte Ihnen ... gewisse Liebkosungen ... zweimal in der Woche, jedoch nur unter zwei Bedingungen. Sie dürfen zum einen keine Lust dabei verspüren ... und zweitens ... dass Sie im Jahr zweihundert Francs an das Heim der Allerheiligsten Jungfrau spenden!“ Madame war entsetzt.

„Zweihundert Francs für so was? Nein! Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

Sie verließ mit energischen Schritten den Beichtstuhl und die Kirche.

„Also, da frage ich Sie, warum Monsieur so gutmütig ist und derart unter dem Pantoffel seiner Gattin steht, die ihm nicht nur Geld, sondern auch eheliche Dienste versagt? Ich würde die mal zur Vernunft bringen, und nicht zu sanft!“, schloss die Krämerin ihren Bericht.

Wie es auch sei. Abseits von all der schmutzigen Wäsche, die hier über die Lanaires geworfen wurde, man war trotz alledem stolz auf die reichen Leute mit ihrem Anwesen. Denn was hatte dieses Provinznest schon zu bieten außer einer netten Kirche, einem schönen Brunnen und vor allem den Lanaires auf ihrem „Schloss“. So wäre vermutlich sogar die Händlerin stolz auf die Sehenswürdigkeiten der Gegend. Es war die klassische Anbetung des „Goldenen Kalbes“, ein niederer Instinkt, der nicht nur bei der Bourgeoisie anzutreffen ist, sondern auch bei den kleinen Habenichtsen. Selbst ich kann mich nicht ganz davon befreien. Ich verdanke dem Reichtum anderer meinen Kummer, meine Laster, meinen Hass, habe durch ihn meine bittersten Demütigungen erfahren, unerfüllbare Träume vor Augen und endlose Quälereien. Und doch sehe ich zu einem Reichen auf wie eine dumme Kuh, wie zu einem Weltwunder an Schönheit, wie zu einem glänzenden, unerreichbaren Gott! Zu albern. Und warum ist das so?

Und das Neueste: Madame kleidet und frisiert sich allein, sperrt sich in ihrem Badezimmer ein und lässt keinen vor. Was weiß ich, was die hinter verschlossenen Türen alles treibt?

Heut Abend nun konnte ich mich einfach nicht mehr beherrschen und klopfte an die verschlossenen Badezimmertür.

„Wer ist da?“, fragte sie mit säuerlicher Stimme.

„Ich bin es, Madame, ich möchte das Bad richten!“

„Es ist bereits gemacht! Kommen Sie erst, wenn ich nach Ihnen läute“, schallte es zurück.

Jetzt bin ich hier also nicht einmal Kammerzofe!

Wozu hat man mich dann eigentlich überhaupt eingestellt? Anziehen, Ausziehen, Frisieren, zu gern spiele ich mit den Chiffons und Bändern, liebe die feine Wäsche, die Hüte, Spitzen und die Pelze meiner Herrschaft! Gerade das ist es doch, was meinen Beruf so interessant macht! Nichts bereitet mir so viel Vergnügen, wie meine Herrinnen nach dem Bade zu frottieren, ihre Brüste zu parfümieren, sie zu pudern, ihre Füße zu pflegen, das Haar zu bleichen. Kurz gesagt: sie vom Absatz ihrer Pantoffeln bis zu ihren Haarspitzen genau zu kennen, sie gänzlich nackt zu sehen, denn nur derart werden sie von reinen Vorgesetzten zu vertrauten Freundinnen oder Komplizinnen. Manchmal sogar, und das gefällt mir besonders, sogar zu Sklavinnen. Man gewinnt so Einblick in ihre Sehnsüchte, Laster und Krankheiten sowie in ihre Enttäuschungen, kurzum, man gewinnt wichtige Erkenntnisse über ihre intimsten Geheimnisse. Bald hat man sie in der Hand, ohne dass ihnen das zu Bewusstsein gelangt.

Im Badezimmer fallen die Masken, dort stürzen die tollsten Fassaden ein, da wird die Herrin zum menschlichsten aller Menschen und unterscheidet sich kaum vom gemeinen Volk.

Ich war einmal bei einer, die hatte einen sonderlichen Tick. Jeden Morgen, bevor sie ein Hemdchen anzog, und jeden Abend, nachdem sie sich der Alltagskleidung entledigt hatte, drehte und wendete sie sich stundenlang vor dem Spiegel und studierte jeden Zentimeter ihres Körpers. So griff sie beispielsweise zu ihren Hautfalten, die sie da Brüste nannte, präsentierte mir diese und fragte:

„Celestine, sehen Sie! Sie sind doch noch immer schön und fest?“

Ich hätte vor Lachen beinahe platzen können, denn der Körper von Madame war nichts weiter als eine ältliche Ruine, ein Schatten ihrer selbst, würde ich sagen.