Klaus Störtebeker - Wilhelm Lobsien - E-Book

Klaus Störtebeker E-Book

Wilhelm Lobsien

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Beschreibung

Eigentlich ist Klaus ein Ritter. Als ihn dann ein schlimmer Schicksalsschlag trifft, entscheidet er sich, die böse Tat zu rächen. Er findet niemanden, der ihn dabei unterstützen will, und wird somit zum einsamen Schiffer. Nach einer stürmischen Nacht, in der sein Schiff kentert, treibt er auf Schiffstrümmern im Wasser. Dort findet ihn der gefürchtete Seeräuber Gödeke Micheel und nimmt ihn in seine Mannschaft auf. Hier beginnt Störtebekers schicksalhafter Weg zum tollkühnen Seeräuber. Er lernt viel dazu, findet wahre Freunde und wird zum wohl berüchtigtsten Pirat der Nord- und Ostsee. Doch manchmal läuft nicht alles wie geplant … Sein Lebensmotto „Gottes Freund, aller Welt Feind“ begleitet den Leser durch das ganze Buch. Dieses macht ihn auch zum volkstümlichen Helden, denn er kämpft bis zum Ende dafür. Ein spannender Roman über den wohl bekanntesten Piraten: Klaus Störtebeker. Das Buch erschien erstmals 1927 im K. Thienemanns Verlag Stuttgart, der das Buch in den folgenden Jahrzehnten mit wechselnden Illustrationen immer wieder neu auflegte. Im Boyens Buchverlag, Heide erschienen 1995 und 2006 zwei weitere Auflagen. 2023 erschien der unveränderte Nachdruck als Print im Demmler Verlag, Ribnitz-Damgarten.

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Wilhelm Lobsien

Klaus Störtebeker

Erzählung aus der Zeit

der Vitalienbrüder

Trotz gewissenhafter Bearbeitung kann eine Haftung für den Inhalt nicht übernommen werden. Für aktuelle Ergänzungen und Anregungen ist der Verlag jederzeit dankbar. Wir bedanken uns bei allen, die uns unterstützt haben.

Impressum

© 2023 RhinoVerlag Dr. Lutz Gebhardt & Söhne GmbH & Co. KG

Am Hang 27, 98693 Ilmenau

Tel.: 03677 / 46628-0, Fax: 03677 / 46628-80

www.RhinoVerlag.de

1. Auflage 2023

Das Buch erschien erstmals 1927 im K. Thienemanns Verlag Stuttgart, der das Buch in den folgenden Jahrzehnten mit wechselnden Illustrationen immer wieder neu auflegte. Im Boyens Buchverlag, Heide erschienen 1995 und 2006 zwei weitere Auflagen. 2023 erschien der unveränderte Nachdruck als Print im Demmler Verlag, Ribnitz-Damgarten.

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, Vervielfältigung und Verbreitung – auch von Teilen – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verbreitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Verlag grünes herz®, Sibylle Senftleben

Titelillustration: Peter Zislaw Wywiorski

Zeichnung, Seite 2: The pirate Storzenbecher, veröffentlicht ca. 1789 von Johann Caspar Lavater und Thomas Holloway, nach einer Zeichnung von Daniel Hopfer (1470?–1536). Digitalisat durch Wellcome Library, London, https://wellcomecollection.org/works/chcpcwme

Korrektorat, Satz & Layout: Runa Spindler

Autorenfoto: aus „Die Heimat“, № 10, Oktober 1911, 21. Jahrgang. Digitalisat durch Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN846060221_0021

Schrift: Perpetua

ISBN 978-3-95560-708-1 (EPUB)

Inhalt

Heimatlos

Gottes Freund, aller Welt Feind

Dänische Ränke

Die Herren der See

Die Vitalienbrüder

Auf Gotland

Bergenstürmer

Keno tom Broke

Letzte Fahrt

Heimatlos

Man schrieb das Jahr 1384. Die kleine, aber stark befestigte Burg Hellum blickte von hohem Wall über den breiten, schilfbestandenen Graben und über weite grüne Wiesen nach den seewärts drängenden Fluten der Ems und darüber hinaus in das weite, ebene Land.

Ein alter, weißbärtiger Reiterknecht kam aus dem Stall, wo er die Pferde gefüttert hatte, auf den im Sonnenglanz liegenden Hof, blickte einen Augenblick in die weiß über den klaren, blauen Himmel ziehenden Wolken und humpelte dann ans geschlossene Tor. Das linke Bein, das vorzeiten von einer feindlichen Lanze durchbohrt worden war, schleppte schwer über die holprigen Steine; aber die alten, schwertgewohnten Arme waren noch stark und fest. Das erkannte man, als er den schweren eichenen Balken von den eisenbeschlagenen Torflügeln hob und mit leichtem Druck den Weg nach draußen frei machte.

Die Hände über die Augen gelegt, um sie gegen die brennenden Strahlen der Sonne zu schützen, stand er da und schaute nach dem Stromufer hinüber, als suche oder erwarte er etwas.

Als er lange vergebens gestanden hatte, ging er wieder in den Burghof zurück, schloss aber zuvor umständlich das breite Tor. Es waren unruhige Zeiten, und man musste immer darauf gefasst sein, dass sich umhertreibendes Gesindel näherte. Dann stieg er die enge Treppe des nur niedrigen Turmes hinauf und blickte, halb verborgen hinter dem Mauerkranz, wieder aufmerksam in das Land hinaus, die Blicke bald nach Norden, bald nach Süden sendend. Eine tiefe Sorge lag in seinen alten, treuen Augen, und die Hände, die sich dann und wann von der moosbedeckten Mauer hoben, um die Augen zu überschatten, waren nicht so ruhig und fest wie sonst.

Es war auch kein Wunder, hatte doch das letzte Jahr viel Unruhe in den sonst so ruhigen Frieden der kleinen Burg gebracht. Sein Herr, der Ritter Klaus, dessen Geschlecht seit vielen, vielen Jahren auf der Burg Hellum gehaust hatte, lebte seit Monden im Kampf mit einigen der stärksten Rittergeschlechter des Landes, und so standen sie auf Hellum in ständiger Gefahr, überfallen zu werden. Ritter Klaus hatte nämlich vor einem Jahr bei Nacht und Nebel das junge Ritterfräulein Gerlinde, um deren Hand er bei dem stolzen Vater oft vergebens angehalten hatte, aus der väter-lichen Burg geraubt und auf jagendem Rosse nach Hellum gebracht. Die Wasser der Ems waren hoch gewesen, alles Wiesen und Felder rings um die Burg waren ein einziger brodelnder See, und so war es ihnen nicht schwer geworden, die Scharen der Feinde abzuwehren. Frühling und Sommer waren gekommen, und es schien, als hätten die Feinde die Rache aufgegeben, denn kein fremdes Fähnlein ließ sich vor den Toren blicken. Ritter Klaus wurde ruhiger, sorgloser und dreister, dehnte seine Jagdzüge weiter und weiter aus und lachte nur, wenn sein alter Reiterknecht Alban ihn warnte und ihn um Gottes und aller Heiligen willen bat, in der Nähe zu bleiben und nur in Sichtweite der sicheren Mauern zu pirschen.

„Schweig still, Alban! Du siehst doch selbst, dass sie uns vergessen haben. Wir sind ihnen wohl zu gering, als dass sie unsertwegen ihre Rosse satteln. Und seit gar der Priester mein Weib in Fluch und Bann getan hat, weil es mir aus freien Stücken in meine Mooreinsamkeit gefolgt ist, glaub ich schon nicht mehr, dass der stolze Vater sein Töchterlein zurückwünscht.“

„Glaubt nicht dran, Herr! Ich fürchte, sie planen Böses und lassen sich nur so lange Zeit, um ganz sicher zu sein, wenn sie ausziehen, uns zu fangen.“

„Hast du Furcht, Alban?“ spottete Ritter Klaus.

„Herr, wie könnt Ihr solches glauben? Hab’ ich nicht oft genug –“

Der Ritter unterbrach ihn freundlich lächelnd: „Lass gut sein, Alban; ich kenne deine tapfere Hand und dein treues Herz. Aber nun sprich auch nicht mehr von deinen törichten Sorgen, die wollen wir den Weibern und Buben überlassen.“

„Und doch werde ich immer wieder davon zu reden beginnen. Es geht ja nicht um mich, sondern um die Herrin und den jungen Herrn in der Wiege...“

So war es auch vor einigen Tagen gewesen, als Ritter Klaus zur Sommerfahrt ins Land gezogen war, um weiter droben, wo auf einer Hügelburg ein Freund wohnte, seinem jungen Weibe und dem Knaben einige Tage der Freude zu bereiten.

Heute wollten sie wiederkehren, und darum stand Alban, obgleich er wusste, dass es später Nachmittag werden würde, seit frühem Morgen auf dem Ausguck, um das weiße Segel in der Ferne zu erspähen. Endlich stand weit, weit drunten etwas Weißes gegen den Himmel und schob sich höher und höher herauf, wurde größer und größer.

War es eine Wolke, die über die Himmelskuppe segelte, ein Rauch, der in die blaue Höhe quoll? Nein, ein Segel war es, überflammt von einem langen goldgelben Wimpel, der lustig im Winde flatterte.

Da wusste Alban, wen Wind und Wellen hertrugen, eilte die Turmtreppe hinab und schlug mit dem Holzklotz gegen den großen Schild, der über dem Burgbrunnen hing, dass die Mägde und Knechte aus Keller, Kammer und Stall herbeigeeilt kamen, als fürchteten sie Unheil und Gefahr. „Rüstet euch!“ rief er, „sie kommen heran, bald sind sie da!“

Laut lachen musste er, als er sah, dass die Frauen aufkreischend davonstürmten und die Knechte nach den Waffen griffen.

„Nein! Nein!“ beschwichtigte er sie, „nicht die Feinde, sondern Ritter Klaus und sein Gemahl. Schürt das Feuer, dass das Mahl bereitet ist, wenn sie kommen, und ihr, Gesellen, kommt mit an den Strom.“

Da war plötzlich ein eifriges Leben in der eben noch wie ausgestorbenen Burg. Der Rauch stieg wirbelnd durch den Schornstein, das Schwatzen der Mägde scholl aus den offenen Türen, und lärmend stampften die Knechte durchs Tor und eilten lachend ans Stromufer hinunter. Aber sie mussten lange warten, bis endlich das Schiff anlegte.

Alban wies die Knechte an, das Fahrzeug in den Nebenarm des Stroms, der fast bis an den Fuß der Burg führte, hineinzuziehen. Dann erst wandte er sich an seinen Herrn, ergriff seine Hand und sagte leise, als schäme er sich seiner Worte: „Wie gut, dass Ihr da seid, und auch Ihr, Herrin.“

Lachend klopfte Ritter Klaus ihm auf die Schulter. „Hast du wieder Furcht gehabt, Alban? Du siehst, wir sind alle wieder heil daheim. Und nun nimm den Buben und trag ihn uns vorauf in die Burg, es soll heut ein Freudentag werden.“

Sorgfältig umspannten Albans Arme den Jungen, der Iachend und kreischend mit beiden Händen ihm den altersgrauen Bart zerwühlte, sich bald aufstellte, bald sich wie eine Schlange wand, dass der Alte seine liebe Not hatte, den Buben zu halten. Dabei verschob sich das Hemd des Kleinen, und da sah Alban ein seltsames, mattblinkendes Amulett, das dem Knaben an einem schmalen Leder-riemen am Halse hing. Vorsichtig fasste er es, um es genauer zu betrachten, aber er konnte es nicht recht erkennen, seine Augen waren zu alt und schwach.

Lachend trat die Herrin näher. „Was staunst du so, Alban? Ach so, das Amulett ist’s, das dir in die Augen sticht. Es ist ein altes Schmuckstück. Einer meiner Ahnen hat es aus dem Heiligen Lande mitgebracht. Es schützt gegen Hieb und Stich, gegen Seuche und bösen Blick. Bislang ist’s immer nur von Mädchen getragen worden und ist so von einem Geschlecht zum anderen gegangen. Marko ist der erste Bub, der’s trägt. Es soll ihm auch verbleiben, wird ja auch später neben Schwert und Lanze nicht von unnöten sein. Aber nun kommt, die Mägde warten mit dem Mahl.“

Die andern Knechte kamen vom Strom herauf. Donnernd schloss sich das Tor hinter ihnen, und der enge Hofraum scholl wider von der Freude des Gesindes über die glückliche Heimkehr. –

Ruhig und gemächlich glitten die Sommertage dahin, und der Herbst kam mit hellen, durchsichtigen Tagen. In Ruhe und Frieden lag die Burg, in Frieden und Ruhe rings das weite, ebene Land, das, soweit die Augen reichten, menschenleer und öde und wie von aller Welt vergessen schien.

Keiner dachte an irgendeine Gefahr. Nur der alte Alban verzog, wenn er sich unbeobachtet wusste, die Stirn in krause Sorgenfalten und konnte den Gedanken nicht loswerden, dass eines Tages dennoch ein schweres Unheil über sie alle hereinbrechen würde. Er war daher den ganzen Tag auf der Hut, putzte die Waffen, verstärkte das Tor, untersuchte die Burgmauer von innen und außen, ob sich keine Steine gelöst hätten, hob und senkte die Stauflügel an den Schleusen, durch die das Stromwasser in die Moore rings um die Burg geleitet werden konnte, wenn ein Feind nahte, und stieg stündlich in den Turm hinauf, um nach allen Windrichtungen Ausschau zu halten. Er ließ sich dabei weder durch das freundliche Lächeln der Edelfrau noch durch den gutmütigen Spott des Ritters irremachen, sondern tat nach wie vor, was er für seine Pflicht hielt.

Da geschah es eines Tages, dass Ritter Klaus Botschaft von einem Freunde bekam, der ihn zu Jagd und frohem Rittertrank rief. Der Ritter, der langen, tatenlosen Zeit müde, sagte freudig zu. Vergebens mahnte und warnte ihn Alban, der die kommenden dunklen Novembertage fürchtete, an denen sich die Feinde leichter ungesehen heranschleichen könnten. Sein Herr hatte nur immer ein Lachen für seine Warnungen und das fröhliche Wort:

„Ich lasse ja dich auf der Burg zurück, Alban, und wer ist getreuer als du?“

Und so ließ er eines Morgens die Segel setzen und fuhr mit zwei jungen Knechten den Strom hinab.

Eine Woche blieb er fort. Fröhlich und guter Dinge, mit Jagdbeute reich beladen, kehrte er heim. Es war ein nebeldunkler Tag. Schwer und dick lag der Dunst auf dem Strom; man konnte keine fünfzig Schritte weit sehen.

Der Ritter stand vorn und hielt Ausschau.

Stieg die Burg denn immer noch nicht aus dem dunklen Nebel auf?

Er spähte links und rechts nach dem Ufer – er musste doch jetzt zu Hause sein, nahe vor dem grauen Turm. Mit lauter Stimme rief er den Ruf ins Dunkel hinein, den er so oft hatte über die Felder schallen lassen, wenn er, sommertags von der Jagd heimkehrend, den Seinen hatte melden wollen, dass er nahe vor der Burg sei. Aber keine Antwort kam aus dem grauen Nebel heraus. Da packte ihn plötzlich eine seltsame Angst, und er trieb seine Knechte an, die Ruder zu gebrauchen, um schneller vorwärtszukommen.

„Herr“, sagte der eine mit zaghafter Stimme, „wir müssen schon da sein.“

„Aber ich sehe die Burg nicht.“

„Herr“, begann der andere nach einer Weile wieder, „Herr, da ist der Eingang zum Graben. Wir sind vor der Burg.“

In diesem Augenblick kam ein heftiger Windstoß von Süden auf, zerriss den Nebel, dass er in Fetzen über den Himmel flog, und da sahen die drei Heimkehrenden, dass von der Burg nicht viel mehr übrig war als schwelende Trümmer.

Ritter Klaus stand wie erstarrt. Sein Antlitz war totenbleich, und die Augen waren ihm weit aufgerissen, als könnten sie das Ungeheure nicht fassen, das vor ihnen lag. Er packte sein Schwert, das neben dem Mast lehnte, wartete nicht erst ab, bis das Schiff ans Ufer stieß, sondern sprang mit gewaltigem Satz heraus. Was kümmerte es ihn, dass der Sprung zu kurz war und er aufklatschend in die Fluten stürzte. Er raffte sich auf, klomm am Ufer empor und stürmte davon.

Die Knechte folgten ihm. Bald hatten sie ihn eingeholt. Halb zusammengesunken, auf seinen Schwertknauf gestützt, stand er vor dem verbrannten Tor, und ein qualvolles Stöhnen rang sich ihm aus der Brust.

Da erst sahen sie das Furchtbare, das während ihrer Abwesenheit geschehen war.

Zerbrochen lag das Burgwappen im Sand. Daneben Iag mit blutiger, zerspaltener Stirn der alte Alban, hinter ihm unter halbverkohltem Gebälk des Ritters junge Frau, tot und bleich.

„Packt an! Packt an!“ schrie Ritter Klaus, und seine Stimme war wie der Aufschrei eines gequälten Tieres, das wehrlos unter den Waffen seiner Peiniger verblutet. „So helft mir doch! Was starrt ihr mich so an?“

Seine Knechte waren immer noch wie erstarrt. Erst als sie ihren Herrn das Gebälk umkrallen sahen, kamen sie zu sich und griffen mit an. Aber es war alles vergebens; Iängst war das Leben aus dem zerschlagenen, von Blut und Rauch beschmutzten Körper gewichen. Sorgsam betteten sie die Herrin ins weiche Gras und breiteten ihre Mäntel über sie und den bis zum Tod getreuen Alban.

„Kommt! Kommt!“ mahnte der Ritter, fasste sein Schwert fester und eilte ihnen voran über Schutt und Trümmer in den Burghof. Da fanden sie die anderen Getreuen, die Knechte und Mägde, bleich und tot; es musste ein grimmiger Kampf stattgefunden haben.

Wo aber war der junge Marko?

Sie stürmten von Kammer zu Kammer, durchsuchten alle Ecken und Winkel, Ställe und Keller und fanden schließlich hinter einem Mauervorsprung die jüngste Magd. Erschrocken richtete sie sich auf, als sie die Schritte hörte, sank aber gleich wieder kraftlos zusammen und lag mit geschlossenen Augen.

Ritter Klaus kniete vor ihr nieder, hob ihr Haupt, strich ihr die Haare aus der bleichen Stirn und fragte sie mit zitternder Stimme nach seinem Sohn.

Mühsam öffnete sie die Lippen und wollte sprechen; aber ein Blutstrom quoll ihr aus dem Munde und erstickte ihre Worte.

Da schickte der Ritter den einen der Knechte zum Brunnen, um Wasser zu holen. In Eile kam er wieder, das erfrischende Nass im Helm tragend.

Ritter Klaus netzte der Magd die Stirn, wusch ihr die Lippen und führte ihr den Helm an den Mund. In langen, durstigen Zügen trank sie und schlug dann, ein wenig erfrischt, die Augen auf.

„Was ist geschehen?“

Sie wollte zu sprechen anfangen, aber der Ritter unterbrach sie gleich mit den Worten: „Nein, sprich mir nicht davon, sondern sag mir, wo Marko ist!“

Ängstlich irrten ihre Augen umher und blieben endlich am Ritter hängen, der sie noch immer mit seinen Armen stützte. Mit leiser Stimme begann sie zu sprechen. Die Feinde waren gekommen und hatten in Nebel und Nacht die Burg überfallen. Vergebens hatten sie sich alle gewehrt, Alban an der Spitze; die Übermacht war zu groß gewesen. Bald brach die Burg in Flammen zusammen. Sie war mit Marko ins Dunkel der Burgmauer geflohen, um den geheimen Ausweg zu finden. Schon glaubte sie, ihn unbemerkt zu erreichen, da sprang ein Waffenknecht auf sie zu, schlug sie mit dem Schwerte nieder, entriss ihr den Knaben und stürzte davon. Sie sprang auf, um ihm den Knaben zu entreißen; da streckte ein zweiter Schwerthieb sie zu Boden.

„Und wohin? Wohin?“ stöhnte der Ritter.

Sie wollte sprechen; aber sie konnte es nicht mehr. Mit einem schweren Seufzer sank sie zurück und war tot.

Einen Augenblick noch lag Ritter Klaus vor ihr auf den Knien. Dann erhob er sich, und sein Gesicht war weiß wie Schnee und hart wie Fels. Die Lippen hielt er fest zusammengepresst. Er sprach kein Wort, sondern winkte seinen Knechten, ihm zu folgen.

Mit langen, müden Schritten ging er durch das zertrümmerte Tor bis dahin, wo sein Weib und der treue Alban unter den Mänteln lagen. Schweigend hob er die Decken, blickte eine Weile mit finsteren Augen auf die Toten nieder, bedeckte sie schweigend und ging dann einige Schritte weiter bis dahin, wo die Burgmauer noch in voller Höhe stand. Hier begann er mit seinem Schwert eine Grube zu graben. Schweigend, ab und zu mit scheuen Blicken auf ihren Herrn, halfen ihm die beiden Knechte.

„Holt die Toten aus der Burg“, sagte er, als sie nach schwerer Arbeit die große Grube ausgeworfen hatten, und seine Stimme klang seltsam fern und hohl. „Tragt sie behutsam. Sie haben es verdient.“

Er selbst nahm sein Weib, hüllte es in den Mantel und legte es in die kühle Gruft, und stand lange stumm und starr davor.

Ein blasser Mond schien durch die windzerzausten Wolken, als sie die letzten Schollen auf die toten Schläfer warfen.

Scheu schlichen die Knechte beiseite; das furchtbar verzerrte Gesicht ihres Herrn war ihnen unheimlich. Und da sahen sie, wie er langsam sein Schwert aufhob, den Knauf wie ein Kreuz gegen den Nachthimmel streckte, und sie hörten das ächzende Stöhnen, das aus seiner Brust kam.

Lange stand er so, und als er sich endlich zu ihnen wandte, war er ganz ruhig.

„Rüstet das Schiff!“ sagte er. „Wir wollen fort!“

„Herr, es ist dunkle Nacht“, stotterte der eine von ihnen.

„Fürchtest du dich, so bleib.“

Aber schon eilten sie ans Ufer und taten, wie ihnen befohlen war. Leise knarrten die Taue, der Wind stieß in die Segel und drängte das Fahrzeug rauschend durch die Flut.

„Nach Friesland!“ sagte Ritter Klaus mehr zu sich selber als zu den andern. Alle seine Gedanken waren bei den wenigen Freunden, die er in Friesland wusste. Er hatte sonst niemand, der ihm, dem armen Moorritter, gegen die mächtigen Geschlechter stromaufwärts helfen würde; sie alle fürchteten für ihr eigenes Leben, ihr eigenes Hab und Gut.

Aber an den stromabwärts liegenden Burgen wollte er anklopfen, ihnen die Schmach, die ihm angetan war, entgegenrufen und mit ihnen gemeinsam den Rachezug unternehmen. Kein Stein sollte auf dem andern bleiben, und auf den Trümmern ihrer Burgen wollte er die Häupter der feigen Frevler aufpflanzen, die ihm Heim und Haus zerschlagen hatten.

Der Ritter fuhr die ganze Nacht, den ganzen Tag und noch eine Nacht und wieder einen Tag, und als die dritte Nacht herannahte, wusste er, dass er ganz allein war, dass sich keiner gefunden hatte, der ihm zum Rachezug das Schwert leihen wollte. Worte hatten sie für ihn, nichts als Worte und Versprechungen auf die Zukunft. All seine Bitten glitten an ihrer Furcht ab; sie waren alle arme Moorritter und durften ihren geringen Besitz nicht aufs Spiel setzen. Sie verwiesen ihn an den Kaiser – da lachte er. Sie verwiesen ihn an den Papst – da lachte er noch mehr. Sie verwiesen ihn an die großen Herrenstädte – da lachte er so wild und gellend, dass die Weiber erschreckt ein Kreuz schlugen und in die äußerste Nische flohen.

„Nun nennt mir noch den Teufel als Fahrtgesellen; aber wo find’ ich den?“ höhnte er, stampfte mit dem Schwert auf dem Estrich und ging grollend davon.

„Wenn Ihr reich wäret“, rief ihm einer nach, „wüsste ich Euch schon Schwertgenossen, den Häuptling vom Hilligenland; aber der tut nichts unter einer Tonne Goldes. Da ist’s schon besser, Ihr gebt Euch drein und sucht Euch anderswo Euer Ritterglück. ’s ist immer so gewesen: die Großen fressen die Kleinen. Möcht’ lieber ein elender Bauer im Herrendienst als ein armer Ritter sein.“

Einige Tage darauf trieb sein Fahrzeug vor der Emsmündung. Er war allein. Seine Knechte hatten ihn verlassen. Heimlich waren sie von Bord gelaufen. Ihm war alles gleich. Eine müde Verzweiflung hatte ihn gepackt. Hinter ihm lag dunkle Nacht, lagen Jammer und Schande, lagen die beschmutzten Scherben eines kurzen Lebensglücks, und vor ihm ein Leben so grau und düster wie die dunkle See, die wild an der Bordwand seines Schiffes aufspritzte. Mochte kommen, was da wolle, er ließ sein Leben wie sein Schiff ins Ungewisse hinausgleiten, gleichgültig, was daraus werden würde. Was er besessen hatte, sein, Weib, sein Kind, sein treuer Waffenknecht, war alles tot, seine Burg zerstört, sein Wappenschild zerschlagen, er selber verlassen, verfemt und geächtet.

Eine lähmende Müdigkeit kam über ihn. Kaum spürte er das schwere Rollen und Stampfen in der kochenden See und rührte sich kaum, wenn Brecher und Brandungswellen über ihn hinklatschten. So blieb es ihm auch unbewusst, dass der Sturm ihn weiter und weiter von der schützenden Küste abtrieb und auf die hohe See warf.

Immer lauter heulte und brauste es durch die Luft. Schneeweiß war das Meer. Hochauf warf es sein Schiff und stieß es dann wieder krachend in den dunklen Schlund hinab, dass es in allen Fugen zitterte und ihn jäh aus seiner matten Gleichgültigkeit weckte.

Er sprang auf und erstarrte schier, als er um sich nichts als die kochende, tanzende, brüllende See erblickte, die mit langen, weißen Armen nach ihm langte, als wollte sie ihn herunterreißen in ihr feuchtes, dunkles Reich. Da kam plötzlich neues Leben über ihn. Kampf! Kampf! Das war es ja, was er wollte. Kampf, gleichgültig gegen wen, war das einzige, was die wilden Stürme in seinem Innern ersticken konnte. Sein ganzes Leben sollte ein einziges Lied sein und hieß: Kampf! Rache für das, was ihm angetan war, Rache an allen, die ihm sein Glück zerschlagen hatten, Rache an den Menschen überhaupt mit all ihren Einrichtungen, die es mit sich brachten, dass solcher Frevel möglich war, wie er ihn erduldet hatte. Nein, er durfte hier draußen in der tobenden See nicht einsam und elend untergehen! Er musste sein Leben erhalten und sich und seinen Namen zu einem Schrecken machen. Als ein Landstörzer wollte er heimkehren und seine Rache durchs ganze Land tragen.

Mit eisernen Fäusten packte er das Ruder und zwang sein Fahrzeug durch den Sturm. Aber es waren nicht die Wellen der Ems, gegen die er zu ringen hatte: mit ihm rang heute die wilde, jauchzende, mächtige See. Zählte auch sie zu seinen Feinden? Mit tausend Armen packte sie ihn, und ihr Brausen und Heulen war wie ein höhnisches Gelächter.

Der einsame Schiffer biss die Zähne trotzig zusammen und blickte mit zusammengekniffenen Augen jeder neu heranrollenden Woge entgegen. Ihm war, als stünde er in der Schlacht und wehre, ein einziger, mit trotzigem Mut eine ganze Meute heranstürmender Feinde ab. Aber er spürte kein Ermatten und kein Verzagen; jeder neu herandrängende Wogenberg gab ihm neue Kraft und neuen Mut.

Von draußen kam eine neue Riesenwoge heran, mächtiger, größer, dunkler als alle andern. Wie eine schwarze Wand schob sie sich näher und näher heran krümmte sich noch einmal, als wolle sie neue Kräfte sammeln, bäumte sich dann wieder steil auf und brach donnernd über das sich ängstlich duckende Schiff.

Klaus krallte sich an der Bordwand fest. Er sah nichts als schwarze, drängende Flut, und um ihn war ein Brausen, Tosen, Toben, Brechen und Krachen, als fiele der Himmel über ihm ein. Ihm war, als versänke er tief, tief in einen gähnenden Abgrund, immer tiefer, immer tiefer. Er wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis er wieder den Himmel über sich sah.

Entsetzt blickte er auf sein Fahrzeug. Der Mast war gebrochen und trieb irgendwo fern auf den tanzenden Wellen. Das Ruder war zerschlagen, die Bordwand zersplittert, und klatschend schwappte das Wasser im Raum. Er versuchte, das Wasser auszuschöpfen; aber neue Wellen kamen heran und machten seine Arbeit zunichte.

Hoch hinauf – tief hinab – so taumelte das Wrack in der wilden See. Da ergab er sich in sein Schicksal und ließ sich treiben.

Gottes Freund, aller Welt Feind

Stolz und sicher drängte sich eine hochbordige, große Kogge durch die stark dünende See. Der Wind bauschte ihre blutroten Segel und zerrte an dem langen Wimpel, der an der Spitze des hohen Hauptmastes hing und hell und lustig wie eine Welle im fliegenden Ost tanzte.

Alle Mann waren an Deck und lugten bald über die schäumende See, bald zur Brücke hinauf, auf der ihr Kapitän, Gödeke Micheel, mit harten Schritten hin und her ging. Er trug sein Haupt gesenkt, als sähe er auf nichts anderes als auf die mattenbelegten Bohlen der Kommandobrücke; aber sie alle, vom Steuermann bis zum jüngsten Matrosen, wussten, dass seine dunklen, raschen Augen überall waren und alles sahen. Die Kogge brauchte nur einmal ein wenig aus dem Kurs zu fallen, so dass ein leichtes Flattern durch die Segel lief, gleich gellte sein Fluch über das Schiff hin und ermahnte den Mann am Ruder an seine Pflicht. Und wenn einmal das Geschwätz der Matrosen im Raum zu laut wurde, gleich hob er das finstere Antlitz, blickte mit seinen Feueraugen auf Deck hinunter und zwang seine Leute zur Ruhe.