Knight of Fortune - Klaus Offenberg - E-Book

Knight of Fortune E-Book

Klaus Offenberg

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Warum müssen sechs alte Freunde aus Abiturzeiten in Ibbenbüren in kürzester Zeit sterben? Ist die Diagnose plötzlicher Herztod richtig oder steckt mehr dahinter? Gerd, der Sohn des ersten Toten und seine Frau Sonja Reschke glauben nicht daran. Sie fangen an zu recherchieren, als sie vom Tod des Apothekers, Gesthuesen, erfahren. Und dann taucht noch eine Leiche aus den 1960er Jahren auf, gefunden in einem Erdloch im Wald. Hängt dieser Tod mit den anderen zusammen? Gut, dass die beiden, Gerd und Sonja Reschke, Unterstützung durch die beiden Kripobeamten Anja und Kevin bekommen. Denn der Fall erweist sich komplizierter, als erwartet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Knight of Fortune

Ein Kriminalroman aus Ibbenbüren

 

Klaus Offenberg

 

 

Impressum

Texte:             © Copyright by Klaus OffenbergUmschlag:      © Copyright by Jakob SkatullaVerlag:            Dr. Klaus Offenberg

Herrenstr. 20

48477 Hörstel

[email protected]

Druck:            epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

2022

 

In Erinnerung an meinen Bruder Valentin,

der im Alter von 56 Jahren

am 18. Mai 2005 verstarb.

 

Knight of Fortune

Was sollte er jetzt machen? Er kannte die Person, die gemordet hatte. Aber nicht nur die, er selbst hatte getötet. Und jetzt sollte alles aus sein, herauskommen, nur wegen einer kleinen Unachtsamkeit? Und war es nicht gerecht, diese Herren zu töten? Hatten die nicht alle Dreck am Stecken, wie man so sagt?

Er stand am Scheideweg, geistig, wie er sich selber sagte. Nicht, dass er schon über Konsequenzen nachgedacht hatte. Nein, er wollte weiter leben, ebenso wie vorher. Notwehr, so glaubte er, auf der einen Seite und dabei ein optimales Ergebnis erzielen. Das war doch toll. Anfangs hatte er das gar nicht vorgehabt. Er grinste, wenn er daran dachte. Doch dann schien ihm diese Lösung richtig, wie von außen vorbereitet zu sein. Er machte keine Pläne, wie er es bewerkstelligen sollte. Auf der einen Seite waren schon einige der Herren getötet worden, auf der anderen Seite wusste man nie, ob alle für einen frühzeitigen Tod vorgesehen waren. Da ergriff er die Gelegenheit und schlug selber zu.

Weg ist weg, und wie schon gesagt, verdient hatten es alle. Nur das Ende war irgendwie falsch. So durfte es nicht enden! Noch hatte er alle Fäden in der Hand. Vielleicht improvisieren. Aber wie? Verdächtiges Material musste verschwinden. Das war recht einfach, da es sehr wenig gab. Das meiste konnte er verbrennen, da es nur Papiere waren, Kopien und ein paar Originale. Er brauchte für sich und diese andere Person ein Alibi. Gut, dachte er, man könnte sich gegenseitig ein Alibi geben. Warum eigentlich nicht. Das war es! Aufgekratzt fuhr er weiter, vor ein paar Minuten hatte er noch Selbstmord mit ins Kalkül gezogen. Dieser Gedanke war weg. Leben, weiter leben, er und…

 

Nie wieder Rom! Das hatte er sich geschworen. Dabei hatte es so schön angefangen! Mit einer Reisegesellschaft waren er und seine Frau nach Rom gekommen.

‚Wir kennen uns da nicht aus. Und was man nicht alles hört, Taschendiebe, überfüllte U-Bahnen! Nein,‘ er hörte immer noch ihre Stimme, ‚nein, wir machen das mit einer geführten Reisegruppe.‘

Ja, dachte er, ja sie hatte ja recht. War toll organisiert. Selbst den Papst, er fand das nicht zwingend erforderlich, aber es gehörte dazu, selbst den Papst hatten sie gesehen. Auf gut fünf Meter Entfernung war er an ihnen vorbeigefahren. 28 Grad zeigte das Thermometer Anfang April. Mit etwas Glück fanden sie an der letzten Säule der nördlichen Arkade am Petersplatz Platz zum Anlehnen und Schutz vor der Sonne.

War alles top, selbst wenn man von den übervollen U-Bahnen absah. Übervoll, er grinste, als er da dran dachte. Die quollen über. Eine Bewegung in den Wagons war nicht möglich. Hier hätte selbst ein Taschendieb kaum Platz, um seine Hände in die Tasche eines ‚Kunden‘ zu stecken.

Das war am ersten Tag gewesen. Dann kam die Stadtbesichtigung. Die Fremdenführerin, eine gebürtige Österreicherin, schleppte die gut 40 Personen starke Gruppe von Platz zu Platz, von Gasse zu Gasse und von Brunnen zu Brunnen. Wäre er nie zu diesem blöden Brunnen gegangen, dachte er. Der wurde gerade gesäubert oder besser gesagt, das Geld der Touristen wurde aus dem Becken gefischt.

Und da er in der ersten Reihe besser sehen konnte, stand er am oberen Rand des Brunnens. „Wie hieß der noch?“, fragte er sich laut.

„Hast du was gesagt, Schnäuzelchen?“

„Nein, Mauseschwänzchen. Redete nur mit mir selbst.“

„Machst du ja immer, wenn du etwas ausbrütest!“, kam es aus der Küche.

Eigentlich musste er lachen. Was sind das für Kosenamen. Er liebte die Asterixhefte. Und irgendwann hatte er das Heft von den Lorbeeren Cäsars in der Hand. Gutemine, die Frau des Chefs Majestix, nannte ihren Mann Schnäuzelchen. Wie niedlich, sagte er damals zu seiner Frau. Und schon war sein Kosename festgelegt.

Mauseschwänzchen, er hatte es vergessen. Er nannte sie immer schon so.

Gerd saß an seinem Laptop und ordnete die Fotos von Rom. „Aha, da ist ja dieser Brunnen. ‚Fontana di Trevi, Trevibrunnen‘. Was steht im Internet? Der ist der populärste und mit rund 26 Meter Höhe und rund 50 Meter Breite größte BrunnenRoms und einer der bekanntesten der Welt. Er wurde 1732 bis 1762 nach einem Entwurf von ‚Nicola Salvi‘ im spätbarocken, im Übergang zum klassizistischen Stil, im Anschluss an den ‚Palazzo Poli‘ erbaut.“

Scheiße, was war das für ein Tag gewesen! Gerd erinnerte sich leider viel zu gut daran.

„Werde diesen Tag nie vergessen!“

„Was hast du vergessen?“, fragte Sonja aus der Küche.

„Du weißt schon, diesen Tag am Trevibrunnen.“

„Verstehe, du solltest aber darüber hinwegkommen. Ansonsten schicke ich dich auf die Couch.“

Er wusste, was sie damit andeuten wollte, Psychiater.

„Ist ja nur so eine Erinnerung, weil ich gerade die Bilder abspeichere.“

Gut, dachte er, dass sie nicht antwortete. So konnte er in seinen Erinnerungen schwelgen. Er stand an diesem Brunnen, im Südosten. Er hatte die Kirche, ‚Santi Vincenzo e Anastasio‘, gut das es Internet gibt, er hätte den Namen der Kirche nie erfahren, im Rücken. Der Brunnen wurde von der Sonne angestrahlt, ein wahnsinniges Weiß, wie er auf seinen Fotos gut erkennen konnte.

Das hinter ihm auf einer Terrasse an dem Eckhaus der ‚Via del Lavatore‘ oberhalb des Trevi Cafés jemand stand, hatte Gerd weder gesehen noch erwartet. Er schaute auf die Arbeiter, die mit Schläuchen das Geld vom Boden des Brunnens saugten. Er hätte eigentlich erwartet, dass die Arbeiter in den Brunnen stiegen und das Geld im Wasser aufsammelten. Interessiert schaute er Richtung Nordwest.

Sonja stand, heute war er froh, nicht neben ihm. Sie war mit der Gruppe zum Kirchenportal gegangen und hatte nichts mitbekommen.

Gerd erinnerte sich an dieses seltsame Pfeifen, oder hatte er sich das nur eingebildet? Schau ich mal im Internet nach, ob man sowas hören kann!, dachte er.

Und dann fiel sein Nachbar, ein etwa gleich großer Mann nach vorne auf die Stufen, die zum Brunnen hinab gingen. Die waren aber an diesem Morgen gesperrter Bereich. Sofort kamen Pfiffe von Nordwest, wo zwei Polizisten den Arbeitsvorgang der Geldsammler beobachteten.

Komisch, dachte Gerd, in dem Moment sah er nur den Mann, der auf den Stufen Richtung Brunnenrand rutschte. Und er hörte das unablässige Pfeifen dieser beiden Polizisten. Eine rote Spur auf dem weißen Marmor zog sich vor dem Mann her. Gerd war mehr oder weniger verblüfft. Dachte an Filmaufnahmen oder so was, nicht aber an Realität.

Erst als die ersten Frauen aufschrien, ja, da dachte er, es könnte was passiert sein. Die Polizisten pfiffen weiter, wedelten mit ihren Armen, aber keiner kam zu dem Verunglückten.

Was hatte diese Österreicherin noch gesagt, es gäbe mehr als 85 verschiedene Polizeizuständigkeiten in Rom. Jede Einheit regelt etwas bestimmtes, Unfall, Knöllchen und so weiter. Ja, dachte Gerd, das war hier ein Paradebeispiel. Vor ihm lag ein verletzter Mann, heute wusste er, dass der tot war, und links am Brunnen standen zwei Polizisten, die nur dafür sorgten, dass keiner zum Brunnen ging. Seltsame Zuständigkeiten!

Gerd hatte das Gefühl, dass es Stunden dauerte, bis sich irgendwer um diese Person kümmerte. Und dann brach nicht nur eine Panik aus, die er kaum bemerkte, jetzt kamen von allen Seiten Schaulustige. Beide liefen kontraproduktiv gegenläufig, so dass hinter ihm ein Gewühl von schreienden und schiebenden Touristen entstand. Gerd war einfach stehen geblieben, aus seiner Sicht vernünftig, aber aus Sicht der jetzt zuständigen Polizisten höchst verdächtig. Plötzlich rissen ihn zwei schwerbewaffnete Polizeibeamte auf den Boden und drehten ihm die Arme nach hinten. Er schrie auf, was die Blödmänner, so dachte er damals, nur dazu veranlasste noch härter mit ihm umzugehen. Gut, dass irgendwann seine Frau dazukam, auch wenn die erst einmal von den Polizisten hart und unerbittlich zur Seite gedrängt wurde. Aber wer von diesen Blödmännern kannte sein Mauseschwänzchen? Trainierte bei Stella Judo. Schon lag einer der Polizisten auf dem Boden. Doch das hatte Gerd gar nicht gesehen, sondern nur einen kräftigen Schlag von fallendem Metall oder so was gehört.

Sicher ein Fehler, aber sein Mauseschwänzchen wollte ihm doch nur helfen. Denn jetzt ging es erst richtig los. Gerd lag auf dem Boden, ein Polizist daneben und bald auch sein Mauseschwänzchen. Mit Gewalt wurden beide hochgezogen und zu den in einer Seitenstraße stehenden Polizeiwagen gedrängt.

Na, ja, dachte Gerd. So ganz richtig haben wir eben nicht reagiert. Aber wir hatten doch nichts mit der Sache zu tun. Standen, er verbesserte sich in Gedanken, ich stand dummerweise direkt neben dem Getöteten. Warum der, jetzt wusste Gerd, dass der erschossen wurde, warum der erschossen wurde, ja das hatte man ihm nicht gesagt.

Nachdem beide stundenlang von der Polizei befragt und in kleinen Vernehmungsräumen festgehalten wurden, durften beide am späten Abend die Wache verlassen.

„Rom, ich hab die Schnauze voll von Dir!“

„Was meinst du?“, fragte Sonja, indem sie in sein Büro trat.

„Bilder von Rom sortieren und fluchen. Du weißt doch, nie wieder Rom!“

„So würde ich das nicht postulieren!“

„Du und deine Fremdworte und dann noch direkt aus dem Lateinischen, wo ich nie wieder Rom sehen will!“

 

„Gerd, komm schnell nach Hause!“ Sonja war am Telefon, schrie mehr als das sie redete. „Es ist was Schlimmes passiert! Komm einfach, nein mir geht’s gut. Bitte, und fahr vorsichtig!“

Nichts ist schlimmer, als wenn man einen Anruf mit schrecklichen Nachrichten bekommt, diese aber nicht näher erläutert werden. Gerd ließ alles am Schreibtisch liegen und raste los.

„Frau Schwertfeger, muss weg, nach Hause, weiß nicht was los ist. Melde mich!“, rief er seiner Sekretärin zu. In seiner Hektik würgte er den Ford Kuga ab. War ihm noch nie passiert.

„Scheiße!“, schrie er. „Was ist da los? Mensch Sonja, warum hast du mich nicht aufgeklärt?“

Gerds Hände zitterten, als er den Wagen erneut startete. Dann raste er los. Bis zu seinem Haus waren es nur ein paar Kilometer. Eigentlich könnte man die auch mit dem Rad machen, dachte Gerd. Komische Gedanken, gerade jetzt wo er doch an eine Katastrophe denken sollte. Was war da passiert? War das Haus abgebrannt? Sonja ging es ja gut. Sein Mauseschwänzchen war am Telefon, sie lebte. Was war noch wichtig in seinem Leben? Ehefrau… Stopp, fast hätte er einen Schüler überfahren.

„Bleib ruhig!“ Er redete mit sich selbst. „Ruhe, Ruhe, Ruhe!“, wie ein Mantra. Es half. Das Zittern in den Händen konnte Gerd langsam kontrollieren.

Jetzt nahm er die Einfahrt. Vor dem Haus stand schon seine Frau. Also doch was Schlimmes. Den Wagen würgte er ab, zum zweiten Mal und fiel fast aus seinem Auto.

„Papa, dein Vater…“, mehr kam aus Sonja nicht heraus.

„Was ist mit Papa?“

„Tot!“

„Oh, Gott. Der ist doch gerade mal…“ Komisch, Gerd wusste nicht mal das Alter seines Vaters. So kurz vor 70, dachte er, sagte nichts, nahm nur sein Mauseschwänzchen in den Arm, die sofort in Tränen ausbrach.

Gerd schob vorsichtig seine Frau Richtung Haus. Hier vor der Tür wollte er nicht weiter reden. Das mit dem Tod war schon schlimm genug, aber das jetzt die neugierigen Nachbarn alles mitbekommen, fand Gerd in diesem sehr privaten Moment unpassend.

Gut, dass der Nachbarjunge, der Anton, noch in der Schule war. Der wäre sonst längst da, nervig wie immer.

Sonja ließ sich in die recht geräumige Küche drängen. Gerd schob sie auf einen der Stühle und holte ein Glas Wasser. Hatte er in irgendeinem Krimi gesehen, dass die Polizisten das so machten. Mehr als nicht helfen, konnte das ja nicht, dachte Gerd.

„Was ist mit Papa? Erzähl mal!“

„Tot!“

Aber soweit waren beide schon.

„Herzinfarkt?“, fragte Gerd.

„Nein.“

„Was denn, wie denn?“ Gerd wurde langsam nervös. „Sag schon! Zuhause, Straße, Krankenhaus, wo?“ Jetzt wurde er ungehalten. Sein Mauseschwänzchen könnte endlich alles erzählen.

„Wie, weiß ich nicht. Mama rief eben an. Papa sei tot. Liegt tot im Bett. Der Notarzt war da, konnte nicht mehr helfen.“

„Und wie…?“

„Gestorben, wissen die nicht. Eben tot.“

„Komm, los! Wir fahren hin.“

Die Eltern von Gerd wohnten in Hörstel am Südhang des Teutoburger Waldes. Eigentlich war das Riesenbeck, so hieß der Ortsteil. Das Haus lag optimal. Der Teutoburger Wald schirmte den Lärm der Autobahn A30 vom Norden ab, und nach Süden konnte bedingt durch die Hanglage die Sicht nicht verbaut werden. Gerd war hier groß geworden, nachdem sein Vater in den 1980er Jahren das Haus dort gebaut hatte.

Gerds Vater, Friederich Jeschke, hatte durch intelligente Geldtransfusionen ein kleines Vermögen erworben. Mit diesem Startkapital gründete er einen Großhandel für Medikamente. Der Großvater von Gerd war schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Münster Besitzer eines Apothekengroßhandels gewesen. Die Firma wurde aber im Krieg durch englische Bomber zerstört. Die Lagerräume wurden nie wieder aufgebaut, auch weil Sohn Friederich Jeschke nach dem Abitur in Münster keine Ambitionen für einen Wiederaufbau zeigte.

Friederich beschäftigte sich damals mit illegalen Drogen. Das Studium der Pharmazie nutzte er als Alibi, um den monatlichen Scheck seines Vaters zu erhalten. Gleichzeit half ihm das Studium zur Herstellung von Drogen, diese zu strecken und unter anderen Medikamenten zu verstecken. Doch bevor Friederich das Studium in Münster aufnahm, verschwand er länger als ein Jahr. Weder Eltern noch später Ehefrau wussten, wo er damals war. Bei Familientreffen kam häufig die Sprache auf diese Zeit, die Friederich damit abtat, dass das erstens keiner wissen wollte und zweites auch keinen was anginge.

„War eben weg, ob Arktis, Australien oder nur Palermo. Was geht es euch an! Hab´ danach ´ne Firma gegründet und die Jugendsünden, wenn es überhaupt welche gab, damit abgegolten.“

So, dachte Gerd im Auto, jetzt wissen wir nicht mal, wie der Alte an sein Geld gekommen ist, um den Apothekenhandel zu gründen. Neben ihm im Ford Kuga saß Sonja, die sich endlich etwas gefangen hatte. Komisch, dass sie das so mitnimmt, dachte Gerd. Ein Charmeur war mein Alter immer schon. Vielleicht hat er Sonja schöne Augen gemacht. Und dann erinnerte er sich, als er sie in den 90er Jahren zu Hause erstmalig vorstellte. Ja, sein Alter fand die auch rassig, dass merkte Gerd sofort. Gelaufen war da wohl nichts, oder doch? Scheiße, jetzt wo der Alte tot ist, trau´ ich ihm das auch noch zu.

Von Ibbenbüren über den Postweg, der den Kamm des Teutoburger Waldes diagonal überquerte, war der Weg bis Riesenbeck nicht besonders weit. Als Jugendlicher hatte Gerd diesen Weg hier und da mal zur Penne nach Ibbenbüren genommen. Wären da nicht die verfluchten Steigungen gewesen. Heute gibt’s es ja die E-Bikes. Müssten wir uns mal anschaffen!

Als beide im Haus am Teutohang eintrafen, saß Gerds Mutter recht gefasst am Küchentisch.

„Ja, Papa ist tot!“ Sie stand auf und nahm ihren Sohn in den Arm. Dann schluchzte sie doch, und selbst Gerd fing an zu weinen. Sonja hatte sich gesetzt, die Hände vors Gesicht genommen.

„So schnell. Gestern Abend haben wir noch Fußball geguckt, Bayern gegen Dortmund. Hat ihn aufgeregt, ihr kennt ihn ja. Ihr wart doch gestern Abend noch hier. Da ging es Papa doch gut?“ Kanntet, wollte sie noch sagen, doch ihre Stimme brach.

„Beerdigung“, damit fing Ursula Jeschke wieder an. „Wen müssen wir informieren? Sonja, du kannst am besten schreiben. Lass uns ´ne Liste machen!“

„Gleich, Mutter, zuerst erzähl mal! Ist Papa noch oben?“

„Nein, der vom Beerdigungsinstitut aus Hörstel hat ihn schon mitgenommen. Der kümmert sich um alles, Grabstelle, Seelenmesse hier in der Kirche. Wir müssten noch ´nen Sarg aussuchen.“

„Mhm“, brummelte Gerd. „das läuft. Den Sarg suchen wir heute Nachmittag aus. Erzähl´ lieber von der Nacht, oder hast du nichts mitbekommen?“

„Nein, wir sind ins Bett, ich etwas später. Freddy schlief schon. Ich hab´ noch gelesen. ‚Unternehmen Aasgeier.‘ Autor wohnt in Bevergern. Solltet ihr auch mal lesen! Tolle Geschichte.“

„Machen wir Mutter. Doch was passierte dann?“

„Nichts. Bin irgendwann auch eingeschlafen! Und heute Morgen war Papa tot.“ Sie stockte mit ihrem Bericht. „Ich hab´ ihn geweckt. Der schläft ja immer viel länger als ich. Aber wir wollten doch nach Holland. Einkaufen in Enschede. Ich bin aufgestanden, ins Bad und dann zu Papa. ‚Freddy aufwachen, wir wollen doch nach Holland!‘, hab ich noch gesagt. Der lag ganz zusammengekrümmt im Bett. Hab´ noch gedacht, was für einen festen Schlaf der hat. Hab´ ihn geschüttelt, und der war ganz kalt. Hab´ Dr. Engelsmann gerufen. ‚Tot‘, hat der gesagt. ‚Frau Jeschke ihr Mann ist tot. Herzinfarkt‘ oder sowas, hab´ den genauen Wortlaut vergessen.“

„Kümmere ich mich drum“, sagte Sonja. „Ich ruf´ den gleich an.“ Sie ging hinaus ins Büro des Verstorbenen.

„Gerd, was soll ich nur machen? Ich hab´ mich doch nur um den Haushalt gekümmert!“

„Ach Mutter, das kriegen wir schon hin. Und sonst kommst du eben zu uns. Da wird es für dich einfacher. Aber das machen wir später. Zuerst die Formalitäten.“

Sonja hatte im Büro das Gespräch mitbekommen. Bloß nicht, dachte sie. Nicht, dass die Schwiegermutter zu uns kommt. Das ertrag ich nicht. Gut, dass ich da noch ein Wörtchen mitzureden hab.

 

Auf dem Riesenbecker Friedhof, der direkt am Dortmund-Ems-Kanal gelegen, fand Friederich Jeschke seine letzte Ruhe. Sonja war für eine Einäscherung, Ehefrau Ursula dagegen und Gerd war es egal. So wurde der Sarg von sechs Nachbarn getragen und zum ausgehobenen Grabstelle nahe dem Kanal gebracht. Die Seelenmesse fand danach in der St. Kalixtuskirche statt.

Da Friederich Jeschke den Ort Riesenbeck nur als Wohnort vor gut 40 Jahren gewählt hatte, in keinen Verein eingetreten war, außer in die Orts-SPD, hatten sich nur wenige Trauergäste auf dem Friedhof eingefunden. Neben der Ehefrau, Gerd hatte noch eine Schwester, die in Bremerhaven einen Kapitän geheiratet hatte, standen am offenen Grab die beiden Kinder der Schwester, der Vertreter der SPD, eine Abordnung der Firma, die Sargträger, der Geistliche mit zwei Messdienern und drei ältere Herren, die aber keiner kannte.

Das Seelenamt war schlicht und recht kurz. Danach wurde zum Kaffee ins Parkhotel in der Nähe des Schlosses Surenburg geladen. Der Pastor war gekommen, ansonsten die Nachbarn und die Familie. Die drei Herren waren nur beim Begräbnis geblieben. Sie hatten Gerd beim Verlassen des Friedhofs einen Umschlag in die Hand gedrückt.

„Seltsame Herren“, meinte Sonja, die neben dem Kapitän, Lars Schleiper, dem Ehemann von Gerds Schwester saß.

„Kanntet ihr die drei?“; fragte Lars seine Schwägerin. „Erinnern mich an Asterix in Belgien, aber das waren nur zwei, die Herren Schulze und Schultze aus Tim und Struppi. Hätten die sein können, meint ihr nicht?“

„Nicht heute Lars! Wir kennen deine Liebe zu Asterix und den anderen seltsamen Comicfiguren, aber nicht heute an Papas Beerdigung.“

„Ich mein ja nur…“, und dann verstummte Lars, als seine Frau ihn strafend ansah.

„Mutter“, Gerd nahm den Gesprächsfaden wieder auf. „Kanntest du die drei Herren?“, wobei Gerd drei besonders betonte.

„Hab´ nicht darauf geachtet. Gerd, waren dir die drei schon mal begegnet?“

„Nein, nicht das ich wüsste, Mutter, dir?“ und dann redetet er sehr leise vor sich hin. „Obwohl,…“, und dann verstummte er.

Als auch Ursula verneinte, meinte Sonja, Gerd könne doch den Brief öffnen, den einer dieser drei ihm zugesteckt hätte.

„Hier sind nur drei 20 Euroscheine, mehr nicht. Keine Namen oder Karte. Seltsam. Hatte Papa Kontakt zu alten Bekannten, besonders in den letzten Jahren?“ Gerd schaute fragend seine Mutter an.

„Nicht das ich das wüsste. Ich hab´ ihn ja nicht kontrolliert. Es saß wohl mal in seinem Büro, schrieb Mails und hat auch telefoniert. Wenn ich ihn danach fragte, sagte er immer, es ginge noch um die Firma.“

„Komisch“, brummelte Gerd, „dabei hat er doch seit 2000 die Firma nicht mehr betreten.“

„War sicher nur ´ne Ausrede“, meinte Sabrina Schleiper, die sich jetzt in das Gespräch eingemischt hatte.

„Ich geh´ mal davon aus“, ergänzte Lars, „dass die drei Herren sich noch melden, telefonisch oder per Brief.“ Und dann murmelte er vor sich hin: „Briefe erinnern mich an den Postboten Rohrpostix, der einen Katalog für Waren und Waffenmanufaktur gehauen in Stein in das unbeugsame Dorf schleppte.“ Und ganz leise setzte er noch hinzu: „Aus Asterix als Legionär.“

Damit war das Thema durch. Das Gespräch der Hinterbliebenen ging jetzt in Richtung Erbe und Testament, ein an solchen Tagen heikles Thema. Die Firma war noch zu Zeiten von Friederich in eine GmbH umgewandelt worden, auch wenn Sabrina gerne eine KG gesehen hätte. So ging es bei dieser Unterhaltung nur um das Wohnhaus von Ursula und um Aktienpakete bei der Deutschen Bank.

„Hatte Papa nicht noch ein Waldstück letztes Jahr am Mittellandkanal gekauft?“, fragte Sabrina.

„Richtig. Bitte keine voreiligen Schlüsse“, meinte die Witwe leicht sarkastisch. „Wir haben beim Notar in Ibbenbüren ein Berliner Testament gemacht. Wir haben euch nicht informiert, warum auch. Ich brauch´ euch nicht zu erklären, was das bedeutet!“

„Alles gehört bis zu deinem Tod dir!“, brummelte Gerd, der die fragenden Gesichter der beiden Enkeltöchter sah.

„Oder ich verschenke es, dann gehört es vor meinem Tod jemand anderem, das oder Teile.“

„Mutter, du willst doch nichts verschenken?“, Sabrina wurde ganz hektisch.

„Mal sehen. Weiß man nie, Kirche, Heimatverein, SPD oder Kinder in Not.“

Sabrina war entrüstet, Lars hielt sie noch schnell zurück. Besser jetzt nichts sagen, dachte er, auch wenn ihm wieder ein Asterix-Band in den Sinn kam: Erinnert mich an die Hinkelsteinproduktion bei Asterix GmbH und Co KG. Denn alles Gesagte kann Schwiegermutter nur in den falschen Hals bekommen.

 

„Und jetzt? Freddy ist tot, wie kommen wir an unser Geld? Habt ihr schon mal daran gedacht? Oder hat einer von euch den Alten auf dem Gewissen?“

„Ich nicht, bin doch nicht blöd. Und du?“ Und damit schaute der kleinste der Herren, Little, seine Gegenüber an.

„Ne goldene Kuh sollte man nicht schlachten!“

„Richtig, wäre auch sehr dumm, wenn einer von euch den ermordet hättet. Zurück zur Ausgangsfrage! Wie kommen wir an unser Geld, an unsere jährliche Auszahlung? Vorschläge!“

Fünf Männer im gesetzten Alter saßen um einen großen Holztisch, der Wortführer, Rod, stand neben seinem Stuhl. Rod war der größte der Freunde, gut 180 groß, schlank mit einer beginnenden Glatze. Er tat sich schon als Schüler durch seine Eloquenz hervor, die er bei vielen Diskussionen immer wieder zu seinen Gunsten ausgenutzt hatte.

Die Herren saßen in einem Raum, der komplett holzvertäfelt war. Das Haus war ihnen seit Jahrzehnten bekannt. Damals, beim ersten Mal, waren sie noch auf die Holzbauweise aufmerksam geworden. Das Holzhaus lag etwas abseits von anderen kleinen Ferienhäusern am Lehmloch, einem künstlichen kleinen See in Ladbergen, gut 500 Meter von der Autobahn A1 entfernt.

Zum Haus gab es nur eine Zufahrt, leider eine Sackgasse, wie Rod mal vor Jahren gesagt hatte. „Flüchten kann man hier nur zu Fuß“, wobei er laut gelacht hatte. Seine Freunde, damals noch mit Freddy vereint, fanden das gar nicht spaßig. Denn ihre Treffen in diesem Ferienhaus waren konspirativer Natur. Und ein Kontrolle durch die Polizei wäre fatal gewesen, nicht nur für die damals jungen Kerls, eben auch für den Besitzer des Holzhauses, den Vater von Rod.

Die Lehmkuhle, die Buddenkuhle, der Waldsee, das waren alles Sandabgrabungsflächen für die Dämme der Hansalinie, der A1, in den 1960er Jahren. Nach der Kies- und Sandabgrabung füllte das Grundwasser diese Narben in der Landschaft. Während Waldsee und Buddenkuhle von der Naherholung schnell eingenommen wurden, konnten einflussreiche und vermögende Bürger aus dem nördlichen Münsterland Parzellen direkt am See erwerben und kleine Sommerhäuschen errichten. Das war auch der Grund, diesen See nur mit einer Sackgasse anzubinden. Kaum ein neugieriger Wanderer verlief sich, ging oder befuhr diesen nicht ausgebauten erdgebundenen Waldweg. Eine Holzschranke, die zwar meistens offen stand, und ein Schild ‚Betreten verboten, Privatbesitz‘ hielt zusätzlich Autofahrer ab.

„Hier sind wir unter uns. Vater hat mir erlaubt mit euch hier zu feiern. Daher hab´ ich auch einen Schlüssel.“ Die Herren erinnerten sich noch gut an das erste Treffen der sechs, oder waren nicht noch ein paar Klassenkameraden zusätzlich gekommen? Damals, Mitte der 1960er Jahre, hatten sie gerade das Abitur in Ibbenbüren bestanden. Hier in dieser abgelegenen Ecke des Münsterlandes wollten sie feiern. Bob war ein recht guter Gitarrenspieler, David kam aus einem Getränkegroßhandel und Joe war der Sohn eines Hoteliers. Dadurch waren alle wichtigen Erfordernisse für eine Fête, wie es damals genannt wurde, vorhanden. Es fehlten nur noch Mädels. Dafür war Rod der richtige Ansprechpartner. Er, schon damals charmant, sehr offen und, was besonders wichtig war, er sah hervorragend aus. Auf dem Schulhof war er in den Pausen immer von einer Schar junger Damen umringt.

Der 22. Mai 1966 war wie gemacht für eine kleine Fête an einem See. Die Temperatur stieg auf 25 Grad. Selbst an der Ostsee wurden über 21 Grad gemessen. Die Freunde waren mit Rädern am Nachmittag von Ibbenbüren aus zum Holzhaus gefahren. Am Abend vorher, einem Samstag, hatten David und Joe alles Notwendige mit dem Auto des Hoteliers zur Lehmkuhle transportiert. Das Bier wurde in Kisten im See versenkt, um es am Folgetag einigermaßen gekühlt zu genießen. Ein Seil an einer Erle festgebunden, half tags drauf den Schatz zu heben, ohne dabei ins Wasser zu steigen. Schlafsäcke deponierten die zwei im Holzhaus, da keiner vorhatte, in der Nacht zurückzufahren. Den Eltern der Mädchen wurde das damals schon bekannte Märchen vom Schlafen bei einer Freundin aufgetischt. Dabei, so meinten die Mädchen, wäre das ja auch wahr, denn sie schliefen alle bei Freundinnen, nur nicht im Haus der Eltern der Freundin.

Ausgelassen kamen die Radfahrer am Sonntagnachmittag an der Lehmkuhle an. Vom Holzhaus aus sah man den See glitzern, die Gruppe war durch die ungewohnte Hitze des Mai durchgeschwitzt, so dass alle ins Wasser wollten. Badehosen, Badeanzüge oder Bikinis lagen im Holzhaus.

„Wozu so umständlich?“, meinte der Forscheste, Rod. Er entledigte sich seiner Klamotten noch vor der Hütte und lief nackt zum See.

Bis auf Freddy, der recht schüchtern war, sprangen die jungen Männer unbekleidet in den See. „Boah, ist der kalt! Mädels, bevor ihr euch das anders überlegt, Klamotten vom Leib und hinein ins kalte Vergnügen!“, schrie Rod vom Wasser aus.

Zwei Mädchen zogen sich aus, zuerst etwas schüchtern, aber dann entledigten sie sich komplett aller Klamotten. Die anderen schauten erstmal zu. Dann folgten zwei weitere und die beiden letzten mussten jetzt wohl oder übel mitmachen, wenn sie nicht als Sonderlinge außen vor bleiben wollten.

Das Wasser war wirklich so kalt, dass zwar alle im See gewesen waren, so erinnerte sich Rod noch gut an diese Szene. Aber lange blieb damals keiner im Wasser. Nass und frierend kamen sie nacheinander heraus. Gut, dass der Eigentümer einen kleinen Steg für den Ein- und Ausstieg gebaut hatte, da das Ufer steil und der Grund morastig war. Da die Männer zuerst schwimmen waren, standen sie auch zuerst wieder auf dem Trockenen.

„Haut ab!“, riefen die Mädchen im Wasser. Wir wollen raus!“

„Könnt ihr doch. Wir beißen nicht!“

„Aber ihr spannt!“

„Dann bleibt im Wasser!“

Der ersten wurde es zu kalt, vielleicht war sie auch die Forscheste.

„Süß!“, rutsche es Freddy raus.

„Kommt aus dem Wasser! Oder glaubt ihr wirklich, dass wir noch nie nackte Mädels gesehen haben?“, fragte Elvis, der nackt und zitternd am Ufer mit seinen Freunden stand. Alle lachten.

„Das glauben wir!“, rief eines der Mädels dem Wortführer zu und stieg dabei an der Leiter des Stegs hinauf. „Hier, so seh´ ich aus! Schaut es euch genau an! Denn das ist das letzte Mal, dass ihr mich so seht!“

Das stimmte wohl nicht, dachte Elvis, der sich noch gut an die Folgen in dieser Nacht erinnerte. Elvis, damals mit Schmalzlocke, war in den letzten Jahren richtig fett geworden. Aus dem so lockeren jungen Mann war ein konservativer Herr geworden, der immer maßgeschneiderte Anzüge trug. Seine Freunde meinten, dass er bedingt durch seine Leibesfülle auch in keinen Anzug von der Stange passen würde.

„Vorschläge, ich höre nichts, oder habt ihr eben geschlafen?“

„Nein, nur an damals gedacht, unser erstes Treffen hier.“

„Damals, an den verdammt heißen Mai?“

„Ja, ihr erinnert euch?“

„Ja, ja, nur das hilft uns jetzt nicht weiter. Kommt zur Sache! Ad rem!, wie mein Vater immer sagte. Ich höre!“

„Du redest schon wie der Typ im Tatort. Wie hieß der noch?“

„Kommissar Borowski!“

„Jetzt reicht´s!“, Rod wurde laut und ungehalten. „Wir sind hier nicht in einer Quizsendung, wir haben ein Problem. Noch ein überflüssiger Kommentar, und ihr macht euren Scheiß alleine.“

„Friedrich August III. von Sachsen“, brummelte David ganz leise vor sich hin. David sah in den 70er Jahren aus wie David Bowie. Doch daran erinnerte heute nichts mehr. Nach dem Landwirtschaftsstudium in Göttingen hatte er Glück und erhielt eine Stelle bei der Landwirtschaftskammer in Münster. Nach mehreren Zwischenstationen leitete er die Regionalplanung. Sein Herz hing an der Tierzucht. So lief er immer mit dunkelgrünen Cordhosen und einem Trachtensakko herum. Es konnte passieren, dass David mit Gummistiefeln bei einer Besprechung erschien, die in einem Hotel oder im Tagungsraum einer Behörde stattfand. Auch an diesem Tag steckten Davids recht großen Füße in grünen Gummistiefeln.

„Ich hoffe, du hast einen guten Vorschlag, anstatt hier den Historiker abzugeben!“

„Der Witwe drohen, mit Enthüllungen oder so was!“

„An so was hab´ ich auch schon gedacht. Nur besser wäre es, den Sohn damit zu konfrontieren, was meint Ihr?“

„Ich denke auch. Dem gehört jetzt die Firma, besser gesagt, der ist jetzt Geschäftsführer. Und ohne uns, und das sollte der wissen, gäbe es die nicht.“

„Guter Hinweis. Ich werde John Fiktus beauftragen, einen Entwurf zu machen. Der schickt euch den dann mit der Post zu.“

„Mach doch per Mail, das ist doch…“

„Denk mal nach, Joe! Könnte jeder nachvollziehen!“

„Ja, hab´ ich nicht dran gedacht!“

Hat der früher schon nicht. Wie hat der bloß damals das Abi bestanden?, fragte sich der Wortführer, sagte aber nichts. Und in den Gesichtern der anderen sah er, dass alle ähnlich dachten. Nur sie brauchten ihn, heute und damals noch viel mehr. Seinem Vater gehörte das Hotel. Joe war ins Hotelfach eingestiegen. Erfahrungen sammelte er in Recklinghausen im ‚Engel‘. Dort fand er auch seine Frau, eine quirlige, damals sehr attraktive Kellnerin. Ohne die, das wussten alle hier im Raum, wäre das Hotel längst geschlossen worden. Joe unterhielt sich lieber mit seinen Gästen, Smalltalk, das konnte er. Trotz des guten Essen in seinem Hotel, Joe war immer noch schlank. Nur seine Vollglatze erinnerte daran, dass er das Alter von 60 überschritten hatte.

Gut, dachte Rod, einer ist immer dabei, dem man auf die Füße helfen muss. Und bis jetzt hat er immer dicht gehalten, ganz zu schweigen von dem anderen, der zwar intelligenter ist, dafür aber ein Quatschweib.

„Ich hab noch ´ne Frage zu John Fiktus. Der ist ja heute nicht hier…“, meinte Joe.

„Kann der nicht, der ist schon wie damals immer auf Tour“, unterbrach ihn Rod. „Ganze Welt. Ich seh´ ihn aber morgen, so dass ich das mit ihm absprechen kann.“

„Wollt´ ja nur mal nachfragen“, brummelte Joe etwas beleidigt.

 

Immer wenn Gerd abends aus der Firma kam, war sein erster Gang in sein Büro, liebevoll Kontor genannt. Dort hatte sein Mauseschwänzchen die Post auf dem alten vom Vater geerbten Schreibtisch ausgebreitet. Die Briefe waren schon vorsortiert. Sonja kannte die Ordnungsliebe ihres Schnäuzelchens. Die Briefe hatte sie ungeöffnet und nach überflüssig und interessant oder noch zu beantworten aufgeteilt.

Gerd, gerade 40 geworden, war schon als Schüler eitel gewesen. Er legte Wert auf eine ausgefallene und gut sitzende Garderobe. Es konnte sein, dass er ähnlich dem Entertainer Thomas Gottschalk ein recht farbenfrohes Jackett und dazu rote Hosen trug. Tags drauf hatte Gerd dann eine helle Hose und ein blaues Jackett an, Gruftieklamotten genannt. Nur nicht an zwei Tagen dieselben Sachen! Gerd war fast 1,90 groß, trug recht lange dunkelblonde Haaren, natürlich immer frisch geföhnt.

Gerd blieb an seinem Schreibtisch stehen, sortierte die Post nochmal durch und schlitzte die wichtigsten Briefe, Kontoauszüge, Rechnungen oder Infos zu Berufsverbänden oder ähnlichem auf. Dann erst entnahm er den Inhalt, überflog ihn und sortierte neu, nach sofort, morgen oder später zu erledigen.

Ein großer brauner DIN A4-Umschlag ohne Absender lag unter zwei Katalogen, einer von einem Jagdausstatter und einer von seiner Bank. Den Jagdausstatterkatalog warf Gerd sofort in den Papierkorb, aus dem braunen Umschlag zog er einen Brief mit einigen Kopien und einem vergilbten schwarz-weiß Foto heraus.

Gerd zog den Schreibtischstuhl mehr unbewusst zu sich, setzte sich und nahm das oben liegende Papier in die Hand. Was steht da?, fragte sich Gerd, der die auf einem PC geschriebenen Sätze überfolgen hatte. PC, ist schon seltsam, dachte Gerd, dass mir das sofort aufgefallen ist.

‚Lieber Gerd,

wir dürfen Sie doch so nennen? Wir sind Freunde Ihres so plötzlich verstorbenen Vaters. Auf dem alten Foto sehen Sie ihn, uns nicht, aber das werden wir im folgenden Text erklären. Seit den 60er Jahren kennen wir uns schon. Damals begann die Karriere Ihres Vaters. Wir haben gemeinsam Geschäfte gemacht und somit Geld in die Firma Ihres Vaters gesteckt. Damit sind wir Teilhaber, sogenannte stille Teilhaber. Auch wenn das Ganze von einem Juristen damals beurkundet wurde, einklagen können wir unsere Teilhaberschaft nicht.‘

Hier stutzte Gerd und legte den Brief erst mal auf seinen Schreibtisch. Der Alte war nicht alleiniger Besitzer des Apothekengroßhandels, fragte sich Gerd. War ihm nie aufgefallen. Er war frühzeitig als Geschäftsführer vom Alten eingesetzt worden, der Alte zog hier und da noch die Strippen, aber das große Ganze bestimmte er, nämlich Gerd. Er nahm den Brief erneut in die Hand.

‚Seit der Gründung der Firma hat uns Freddy, wir nannten ihn so, die Tantiemen jährlich bar ausbezahlt. Sicher, das waren keine großen Beträge, aber da wir Teilhaber sind, bestehen wir weiter auf diese Auszahlung. Wir waren acht Freunde, jetzt sieben ohne Ihren Vater, die jährlich 25 000€ erhielten, und wir gehen davon aus, den Betrag weiterhin zu erhalten.

Wir wollen nicht drohen, aber wir haben als Kopie den Teilhabervertrag beigelegt, natürlich mit geschwärzten Namen. Zusätzlich ein Andenken an schöne Tage in den 60ern. Wie Ihr Vater das Geld der Firma entnahm, ging uns nichts an. Vielleicht finden Sie das heraus und machen es ähnlich.

Wir können uns denken, dass Sie jetzt etwas verunsichert sind und erst einmal über diese neue Information nachdenken müssen. In zwei Wochen werden wir uns wieder an Sie wenden.

Bis dann alles Gute, besonders für unsere Firma

Ihre sieben neuen Freunde!

Gerd legte den Brief auf den Schreibtisch und blätterte die weiteren Unterlagen durch. Ein Vertrag von seinem Vater unterzeichnet mit sieben geschwärzten Unterschriften brachte keine neuen Erkenntnisse. Acht Unterschriften, dachte Gerd, komisch, es leben doch heute noch sieben Freunde plus Anwalt, ergibt acht. Vielleicht zählte der Anwalt auch zu den Freunden? Oder den hat es nie gegeben.

„Egal!“

„Was hast du gesagt?“, kam es von der Treppe. Sonja war mit einem Glas Wasser hinaufgekommen, um Gerd seine abendlichen Vitamintabletten zu bringen. „Hier deine Vitamine. Du weißt doch, ohne die läuft nichts. Du hast eben schon das Alter!“, und sie lächelte ihn so verführerisch an, dass er drauf und dran war sie zu vernaschen, wie er das gerne sagte.

„Danke, aber erst heute Abend, vielleicht nach der Sauna.“ Und er schob seine rechte Hand unter ihren kurzen Rock. „Verd …, du hast ja nicht mal ein Höschen an!“

„Eben, mach die Tür zu! Ich warte!“, sie schob dabei ihren Rock noch höher, so dass er in die glatt rasierte Scham seiner Frau schauen musste.

 

„Also, was hast du eben gesagt, als ich rauf kam?“

„Du bist nicht raufgekommen, du bist mehrmals gekommen. Und ich, wie immer nur einmal!“, lachte Gerd sein Mauseschwänzchen an.

„Dafür, dass du Stress hast, war das nicht schlecht!“

„Nicht schlecht? Hervorragend war ich… er!“

Und beide lachten.

„Omne animal post coitum triste praeter gallum qui cantat.”

„Was soll das denn heißen? Der Herr wird impertinent!“

„Nein, nur mir fiel dieser lateinische Spruch gerade ein.“

„Und der heißt auf Deutsch bitte?“

„Nach dem Koitus ist jedes Tier traurig, außer dem Hahn, der kräht!“

„Wenn das so ist, dann komme ich jeden Abend und bringe dir deine Tabletten.“ Sie lächelte ihn so verführerisch an, dass er fast nochmal gekonnt hätte.

„Bloß nicht“, lachte Gerd, „das schaff ich nicht!“

„Du nicht, aber ich!“

„Und davon bin ich überzeugt“, grinste Gerd.

„Schnäuzelchen“, begann Sonja zu schnurren.

„Nein, nein, ich weiß schon, wenn du so anfängst, willst du was.“

„Ach nein“, und sie schob den Rock wieder so hoch, dass Gerd das Himmelreich wieder vor Augen hatte.

„Du hast ebenso gestöhnt…“

„Klar doch, du etwa nicht?“

„Nein, davor, anders gestöhnt, nicht so schön wie eben, also eben anders.“

„Ach das. Hab´ hier diesen Umschlag mit einem seltsamen Brief bekommen. Kann im Moment nicht viel damit anfangen. Hier lies mal!“

„Seltsame Geschichte“, meinte Sonja. Damit gab sie ihrem Mann den Brief zurück. „Was hältst du davon?“

„Sind noch viel zu viele Fragen offen. Wer sind diese sieben? Wollen die wirklich Geld? Könnten die uns erpressen, mich oder meine Mutter? Was meinst du?“

„Vielleicht sollten wir den nächsten Brief abwarten?“

„Vielleicht“, brummelte Gerd, „vielleicht sollte ich vorher schon mal einige Recherchen machen. Sollten wir nicht meine Schwester einweihen?“

„Nun übertreib mal nicht, Recherchen sind gut, aber nicht gleich an die große Glocke hängen. Hast du dir das Foto mal angesehen?“

„Wollte ich, da wurde ich überfallen…“

Sonja lachte schallend auf. „War doch schön, oder? Bilder können wir immer noch ansehen, etwas Sex am Abend, vertreibt alle Sorgen!“

„Reimt sich nicht und Sorgen kommen leider wieder! Hier schau! Ein Bild von einer Hütte im Sommer. Davor ein paar junge Leute. Hatten sicher Spaß. Aber leider sind die Gesichter unkenntlich gemacht, nur von einem nicht. Klar, dass ist Papa. Eben noch sehr jung.“

„Da hast du doch ´nen Anhaltspunkt. Such´ den Teich und dann findest du auch die jungen Leute!“

 

Wer kann den Standort eines alten Fotos bestimmen? Gerd saß im Büro seiner Firma und grübelte über den Inhalt des Briefes nach.

Es klopfte, und seine Sekretärin, Frau Schwertfeger, steckte den Kopf durch die Tür.

„Herr Jeschke, ein Herr von Hülst ist hier und möchte Sie sprechen. Haben Sie Zeit für ihn?“

„Passt mir zwar im Moment nicht, aber schicken Sie ihn rein!“

Gerd war aufgestanden und begrüßte den unbekannten Gast. „Herr von…“

„von Hülst, Alfred von Hülst. Mein Großvater hatte einen Apothekengroßhandel in Münster. Kennen Sie vielleicht noch aus den Erzählungen Ihres Vaters.“