Kobes - Heinrich Mann - E-Book

Kobes E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Eine Novelle, die 1923 geschrieben wurde und vor dem Hintergrund der Inflation während der Weimarer Republik zu betrachten ist: Die Titelfigur Kobes ist eng an dem damals sehr bekannten Großindustriellen Hugo Stinnes – einem Profiteur der Inflation – orientiert und beschreibt die Situation von Mittelstand und Arbeiterschaft mit einem gesellschaftskritischen Blick. Nicht nur literarisch, sondern auch aus historischer Sicht ist diese Novelle äußerst fesselnd.-

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Seitenzahl: 56

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Heinrich Mann

Kobes

 

Saga

Kobes

 

Coverimage/Illustration Shutterstock

Copyright © 1924, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726885170

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

I

Ein Mann lief durch die Stadt. Er trug einen Cut, im Laufen stand der nasse Cut wie Holz hinten ab, und Regen trommelte drauf. Sein Hut war fort; aber die Aktentasche hielt er fest. Um die fliegenden Beine warf er manchmal Arme samt Aktentasche, um noch höher zu fliegen. Er kreischte rauh dabei auf, um sich anzustacheln und auch, weil alles ihm furchtbar weh tat. In Hindernisse rannte er kurzweg hinein, so blind war er schon.

Feuersäulen standen rings in der Luft, der Himmel war rot und schwarz, ein höllisches Pfeifensignal krallte manchmal hinein. Tageszeit unbekannt, so war der Himmel von je. Auf leeres Pflaster fiel schwarzer Regen, der gewaschener Ruß war. Wo der einsame Läufer gerade patschte, sauste, anschlug, umfiel, da duckte sich der und jener angstvolle Kleinbürger beschleunigt in niedrige Türchen. Die Stadt hatte einstöckige Häuschen – und dann die ungeheuren, nackten, lodernden Fabriken über undurchdringlichen Labyrinthen von Kohlengruben. Alles Volk war in den Fabriken, den Gruben.

Der Wildling im Cut rannte nun schon über den feurigen Unflat des Flusses. Drüben das Haus! Das große Haus aus Glas und Eisen, das Haus mit dem Dach der fünfhundert Leitungsdrähte! Er lechzte danach, die Zunge weit draußen, Augen wie beim Nahen Gottes. Nochmals platt in eine Lache. Letztes Aufraffen, Endmatch mit dem Keuchen tödlicher Brunst, auf den Lippen schon Blut. Durchs Ziel und Treppen hinauf, Wild-um-sich-Schlagen statt Hilferufs, der nicht mehr kam.

Da rannte er in zwei Herren. Augenblicklich Alarmzeichen; es zwitscherte durch das Haus. Der Sterbende klammerte sich auch noch an. Zwei Schüsse. Alle Türen auf. Haufen von Menschen. Wohin ist der Attentäter? Die Haufen wälzen sich. Dort auf den Stufen. Kopf abwärts liegt er in schwarzer Nässe! Man wendet sein Gesicht herum, indes immer noch wildes Zwitschern durchs Haus schrillt. Nun? Mittelstand, sonst nichts zu bemerken. In der Aktentasche ein Papier. Was sagt es? Gewählt ist Kobes.

Kobes ist gewählt. Gleich, wie, wo und von wem. Wieder einmal gewählt. Und der Mittelstand bringt sich ihm persönlich dar, rennt selbst, es ihm zu melden, und erstirbt auf seiner Schwelle. Dies war ein Ehrgeiziger. Er hat gedacht: ›Ich renne. Ich bin früher da als Telegraf, Telefon, früher als die Luft, die Kobes und seine Größe auf ihren Flügeln trägt. Ihn sehen und sterben! Ich will ja keinen Posten, ich will ja nichts für mich. Es ist für das große Ganze, es ist für Kobes, unseren Größten!‹ Er war ehrgeizig in Selbstverleugnung. Nun ist er tot und sah ihn nicht. Kobes wird nie von ihm wissen. Kobes ist noch erhabener, als jener dachte.

Kein nennenswerter Vorfall, nichts, was hier aus dem Rahmen fiele. Die zusammengeströmten Beamten zogen von selbst ab; Befehl nicht notwendig. Nur die Rayonchefs blieben in der Halle versammelt, seltene Gelegenheit, alle gemeinsam Zigarren zu rauchen. Die Halle lag gleich an der Treppe; sie bewachten alle gemeinsam, bis der Arzt kam, die Leiche des totgerannten Mittelstandes.

II

Klubsessel im Halbkreis, andächtiges Selbstgenügen. Nur der Rayonchef für Völkisches hatte es eilig. Er war es, der mit seinem Kassierer den Anprall des Attentäters erlitten hatte. Ein ohnedies nervöser Mensch wie er, und das Signal, das er in Bewegung gesetzt hatte, kreischte noch immer. Abstellen! Sein Kassierer übrigens war ihm im Gedränge abhanden gekommen. »Immer und ewig sehe ich Sie mit dem Kassierer, Herr Kollege für Völkisches«, sagte der Rayonchef für Ersparnisse. Persönlich atmete er Kraft wie ein Fleischhacker, anders als der abgehetzte Völkische, der gleich hochging. »Herr Kollege, Sie führen in aller Seelenruhe ein gottgefälliges Leben«, rief der Völkische bebend. »Ich aber? Ich habe seit drei Tagen dreimal meine Dispositionen ändern müssen. Einmal bezahle ich den Putsch, damit er kommt, ein anderes Mal, damit er nicht zu weit geht. Es ist aufreibend.«

»Es ist unkaufmännisch«, sagte der Rayonchef für Ersparnisse. Man glaubt nicht, mit wie wenig Weisheit selbst hier noch regiert wird.« Was aber der Rayonchef für Parlamentarisches rund abstritt. »Man lege endlich einmal unsere Steuerfreiheit gesetzlich fest, sofort werden die völkischen Belange abgebaut. Sie meinen doch nicht, daß etwas anderes als ihre Ergiebigkeit darüber entscheidet, ob wir sie finanzieren? Den Arbeitern vom Lohn die Steuern sofort abziehen, sie aber erst zwei Monate später, ausgenützt und entwertet, dem Staat erstatten: so konnten wir diesen Staat nur abtun, weil wir ihn unter völkischem Hochdruck hielten! Stecken wir Deutschland nur erst in die Tasche, reiten wird es schon können.« Der Rayonchef für Parlamentarisches hatte die Augen an der vorderen Front seiner turmartigen Glatze, und sie gaben Leuchtsignale. Nicht weniger phosphorgeladen war das Hirn des Rayonchefs für Propaganda, Generals des ehemaligen Hauptquartiers. »Bluff!« kommandierte er. »Bluff und Gewure, sonst nichts, und ich garantiere jeden Erfolg. Wer hat den Mittelstand für den Aufbau begeistert? Wir. Für vertikalen Aufbau? Wir. Für Wirtschaft statt Staat? Wir. Für seinen eigenen Hintritt auf dem Felde der Inflation? Kunststück, wir. Aus reiner Begeisterung hat er sich totgelaufen« – mit Wink nach der Treppe. Flüchtige Blicke der Sympathie streiften die Leiche. Der Rayonchef für Propaganda fuhr fort:

»Der Mittelstand hat hergegeben, was er wert war. Ehre seinem Andenken. Jetzt aber muß mehr gearbeitet werden. Die Arbeiter sind dran. Sie haben mehr als nur Geld an uns zu verlieren. Täglich zwanzig Stunden Arbeitszeit! Das ist ein Besitz. Das ist das größte Vermögen der Welt. Ihnen beibringen, daß sie es hergeben müssen, leisten müssen, verschenken müssen! Sonst untragbar und Zusammenbruch! Mein strategischer Gedanke. Ich führe ihn durch oder schieße mir glatt eine Kugel vor den Kopf. Deutsch sein heißt: aufs Ganze gehen.«

Das ehemalige Hauptquartier zündete sich noch eine Zigarre an. Statt seiner sprach der Rayonchef für Soziales. »Wir haben erst 60 000 Selbstmorde jährlich erreicht«, sagte er bitter. »Aus öffentlichen Mitteln oder durch Wohltätigkeit des In- und Auslandes leben zwanzig Millionen. Leben immer noch, während ihr Recht ans Leben schon längst auf uns – auf uns, meine Herren, übergegangen ist. Kann irgendeine Propaganda bewirken, daß sie sämtlich Selbstmord verüben? Und doch sind es genau die zwanzig Millionen, denen schon unser bekannter Kriegsgegner sagte, sie könnten gehen. Wir werden es ihnen durch die Tat beweisen, daß sie gehen können. Sozialabbau!« – »Gehälterabbau«, fiel der Rayonchef für Ersparnisse ein. »Beamtenabbau.« – »Kulturabbau!« verlangte der Rayonchef für Kulturelles.