Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Kognitive Psychologie befasst sich mit Aussagen zu grundlegenden mentalen Erlebnis- und Verhaltensprozessen. Generelle Fragen sind dabei: Wie denkt der Mensch? Wie kann er etwas im Gedächtnis behalten? Wie funktioniert die Wahrnehmung des Menschen? In diesem Lehrbuch werden Theorien und empirische Befunde aus experimentellen Studien dargestellt, die Antworten auf diese und andere generelle Fragen der Kognitiven Psychologie geben können. Der Fokus liegt dabei auf den Domänen Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen und komplexe Prozesse wie Entscheiden und Problemlösen. Zusätzlich werden diese Domänen aus der Perspektive des kognitiven Alterns und der Perspektive des kognitiven Trainings betrachtet. Die Darstellung der Kognitiven Psychologie fokussiert sowohl auf etablierte Theorien wie auch neuere Befunde, um die Entwicklung in diesem Bereich aufzuzeigen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 421
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der Autor
Prof. Dr. Tilo Strobach ist seit 2015 Professor für Allgemeine Psychologie an der Medical School Hamburg. Zuvor lehrte er unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin, Ludwig-Maximilians-Universität München, FernUniversität Hagen und Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Die Forschungsschwerpunkte von Tilo Strobach liegen in den Bereichen exekutive Funktionen, kognitives Training und kognitive Plastizität.
Prof. Dr. Julia Karbach ist seit 2017 Professorin für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Koblenz-Landau. Sie hat in diesem Buch das Kapitel 9 »Kognitives Altern« verfasst.
Prof. Dr. Robert Gaschler ist seit 2015 Professor für Allgemeine Psychologie an der FernUniversität Hagen. Er hat in diesem Buch das Kapitel 8 »Komplexe Kognition« verfasst.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-032661-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-032662-0
epub: ISBN 978-3-17-032663-7
mobi: ISBN 978-3-17-032664-4
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
1 Einleitung
1.1 Beziehung zu anderen Forschungsdisziplinen
1.2 Methoden und Theorienbildung in der Kognitiven Psychologie
1.3 Potential der Kognitiven Psychologie im Alltag
1.4 Geschichte der Kognitiven Psychologie
1.5 Aufbau des Buches
2 Wahrnehmung
2.1 Neurophysiologische Perspektive auf visuelle Wahrnehmung
2.2 Beschreibende Perspektive auf visuelle Wahrnehmung
2.3 Erklärende Perspektive auf visuelle Wahrnehmung
3 Aufmerksamkeit: Einführung und selektive Aufmerksamkeit
3.1 Selektive Aufmerksamkeit
3.2 Selektive visuelle Aufmerksamkeit
4 Aufmerksamkeit: Geteilte Aufmerksamkeit und Automatisierung
4.1 Geteilte Aufmerksamkeit
4.2 Automatisierung
5 Gedächtnis: Einführung und kurzfristige Gedächtnisspeicherung
5.1 Gedächtnistests
5.2 Sensorischer Speicher
5.3 Kurzzeitgedächtnis
5.4 Arbeitsgedächtnis
6 Gedächtnis: Langfristige Gedächtnisspeicherung
6.1 Dissoziation zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis
6.2 Strukturorientierte Perspektive auf das Langzeitgedächtnis
6.3 Prozessorientierte Perspektive auf das deklarative Langzeitgedächtnis
7 Exekutive Funktionen
7.1 Modelle exekutiver Funktionen mit einheitlicher Struktur
7.2 Modelle exekutiver Funktionen mit modularen Strukturen
7.3 Modelle exekutiver Funktionen mit Integration von einheitlichen und modularen Strukturen
8 Komplexe Kognition
Robert Gaschler, FernUniversität Hagen
8.1 Bausteine der Kognition: Assoziationen, Repräsentationen und Kontrolle
8.2 Denken
8.3 Problemlösen
8.4 Urteilen und Entscheiden unter Risiko und Unsicherheit
8.5 Verkettung von Kognition und Emotion
9 Kognitives Altern
Julia Karbach, Universität Koblenz-Landau
9.1 Einführung
9.2 Determinanten kognitiven Alterns
9.3 Kognitives Altern in ausgewählten Funktionsbereichen
9.4 Kognitive Reserve
9.5 Modelle erfolgreichen (kognitiven) Alterns
10 Kognitives Training
10.1 Training der visuellen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
10.2 Training des Arbeitsgedächtnisses
10.3 Training der exekutiven Funktionen
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Wie denkt der Mensch? Wie kann er etwas im Gedächtnis behalten? Wie funktioniert dieses Behalten kurzfristig und langfristig? Oder: Wie funktioniert die Wahrnehmung des Menschen? Wie werden in dieser Wahrnehmung Objekte in der Umwelt erkannt? Wie wird die Aufmerksamkeit auf diese Objekte in der Umwelt gerichtet, damit sie auch wahrgenommen werden? Welche Eigenschaften hat diese Aufmerksamkeit? Wie verändern sich diese Eigenschaften durch Alterungsprozesse oder Training? Diese und unzählige weitere spannende Fragen sind Gegenstand der Forschung in der Kognitiven Psychologie. Und dieses Buch wird versuchen, auf die wichtigsten kognitionspsychologischen Fragen eine Antwort zu geben.
Zwar geben uns die oben stehenden Fragen einen Hinweis darauf, was diese Strömung der Psychologie beinhaltet. Klarer definiert wird Kognitive Psychologie allerdings wie folgt: Die Kognitive Psychologie befasst sich mit Aussagen zu grundlegenden mentalen Erlebnis- und Verhaltensprozessen. Diese Prozesse sind also zuständig für die Aufnahme von Informationen, für deren Veränderung und Abspeicherung sowie für potentielles Verhalten und potentielle Reaktionen entsprechend der aufgenommenen Informationen. Bevor wir uns diesen Prozessen und ihren Eigenschaften zuwenden, wollen wir einige generelle Aspekte der Kognitiven Psychologie klären. In welcher Beziehung steht sie zu anderen Forschungsdisziplinen? Welche Methoden werden in der Kognitiven Psychologie verwendet? Welche Theorien werden im Kontext der Kognitiven Psychologie formuliert? Welches Verhältnis haben diese Theorien zu eher anwendungsorientierten Perspektiven? Und welche historischen Vorgänger und Entwicklungen führten zur Kognitiven Psychologie?
Die grundlegende mentale Funktionsweise, die die Kognitive Psychologie zu ergründen versucht, ist immanent wichtig für das Verständnis von Erlebnis- und Verhaltensweisen, mit denen sich andere, eher anwendungsbezogene psychologische Teildisziplinen beschäftigen. Verständnis über die grundlegende Funktionsweise mentaler Prozesse sollte bestehen, um anwendungsbezogene Probleme und Situationen zu erforschen. Zum Beispiel: Warum treten bestimmte Aufmerksamkeitsstörungen nach bestimmten Hirnverletzungen auf (Neuropsychologie)? Wie werden Denkstörungen charakterisiert (Klinische Psychologie)? Wie verhalten sich Menschen einzeln und in Gruppen (Sozialpsychologie)? Wie unterliegen mentale Prozesse altersbedingten Veränderungen (Entwicklungspsychologie)? Im deutschsprachigen universitären Fächerkanon und seiner Modulstruktur gehört die Beschäftigung mit der grundlegenden kognitiven Funktionsweise mentaler Prozesse zur Lehre und Forschung der Allgemeinen Psychologie (Prinz, Müsseler & Rieger, 2017). Deshalb überrascht es nicht, dass die Allgemeine Psychologie ein relativ großes Lehrgebiet und bereits zu Beginn Gegenstand des Studiums ist.
Die Kognitive Psychologie besitzt allerdings nicht nur innerhalb der psychologischen Teildisziplinen eine herausragende Stellung, sondern sie ist auch für viele Sozialwissenschaften grundlegend und bietet Erkenntnisse, auf denen diese Wissenschaften aufbauen können (Anderson, 2013). In der Pädagogik können in Verbindung mit grundlegenden Erkenntnissen der Kognitiven Psychologie neue Lehrmethoden entwickelt werden, die es ermöglichen, Lehrstoff effizienter zu vermitteln. Die Arbeitsökonomie kann von der Kognitiven Psychologie profitieren, indem komplexe Arbeitsumgebungen mit einem hohen Aufwand an mentaler Informationsverarbeitung effizienter gestaltet werden. Diese Effizienz kann helfen, Fehler im Umgang mit der Umgebung zu vermeiden. Und nicht zuletzt kann die Kognitive Psychologie bezogen auf die Wirtschaftswissenschaften menschliches Entscheidungsverhalten beschreiben und helfen, Abweichungen zwischen menschlichen und rein betriebswirtschaftlichen Entscheidungen zu erklären.
Die Kognitive Psychologie bietet diese Erklärungsansätze in den Sozialwissenschaften allerdings nicht exklusiv und isoliert an, kognitive Prinzipien werden auch von Disziplinen außerhalb der Psychologie vertreten. Ein Zusammenschluss dieser Disziplinen und der damit verbundenen Interdisziplinarität sind die Kognitionswissenschaften: Dazu gehören neben der Psychologie die Computerwissenschaften, die Philosophie, die Neurowissenschaften, die Linguistik und die Anthropologie. Wissenschaftler dieser Disziplinen beziehen sich in ihren Ansätzen auf die kognitive Grundfrage, d. h. auf das Erkennen von mentalen Erlebnis- und Verhaltensprozessen, und wenden diese Grundfrage in ihrem jeweiligen Themengebiet an. Diese interdisziplinäre Basis kann vergleichbare Entwicklungen in unterschiedlichen Disziplinen zur Folge haben. Erstes Beispiel: Es gibt Ansätze, menschliche Kognition im Kontext der Kognitiven Psychologie zu beschreiben und in den Computerwissenschaften mithilfe von Computermodellen zu simulieren und nachzustellen. Dabei werden Modelle programmiert und getestet, die menschliche Prozesse abbilden. Ziel dieser Unternehmungen ist es, den Aufbau und die Struktur menschlicher Kognition zu erklären.
Zweites Beispiel: Auch der Vergleich des Aufbaus von Computersystemen mit der menschlichen Kognition zeigt eine parallele Entwicklung in Teildisziplinen. Dieser Aufbau ist in gewissem Grad der Abstraktion äquivalent und wird deshalb als Computer-Mind-Analogie bezeichnet bezeichnet ( Abb. 1.1). Beide Systeme besitzen Eingabe- und Ausgabeschnittstellen. In Computersystemen kann das beispielsweise die Tastatur beziehungsweise der Monitor sein. Im menschlichen kognitiven System kann es zum Vergleich die visuelleWahrnehmung über die Augen beziehungsweise die manuellen Reaktionen sein. Beide Systeme haben mit der Festplatte und dem Langzeitgedächtnis Komponenten zur langfristigen Abspeicherung von Informationen. Wir werden in Kapitel 3 (selektive Aufmerksamkeit, ( Kap. 3) und Kapitel 5 (kurzfristige Gedächtniskomponenten, Kap. 5) sehen, dass menschliche Kognition keine unbegrenzte Menge von Informationen aufnehmen und verarbeiten kann, sondern dass einige kognitive Komponenten in ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt sind. Ähnliche Begrenzungen finden sich auch im Arbeitsspeicher (d. h. RAM) von Computersystemen. Die Entwicklung möglichst großer Arbeitsspeicher ist deshalb oft ein Verkaufsargument für diese Systeme. Im Gegensatz dazu sind potentielle Entwicklungen im Kontext kognitiver Komponenten natürlich kein Kriterium. Wir werden zwar sehen, dass kognitives Training die Begrenzung in der Verarbeitungskapazität teilweise reduzieren kann, die Begrenzung an sich aber grundsätzlich bestehen bleibt und robust ist. Somit kann es neben Parallelen in den Vorstellungen kognitiver Ansätze in verschiedenen Disziplinen (wie den Computerwissenschaften und der Psychologie) auch entscheidende Unterschiede in den Eigenschaften dieser Vorstellungen geben.
Abb. 1.1: Computer-Mind-Analogie: Vereinfachter Aufbau (A) eines Computersystems und (B) eines menschlichen kognitiven Systems
Das ambitionierte Ziel kognitionspsychologischer Forschung ist es, Erleben und Verhalten nicht nur zu beschreiben, sondern Theorien über zugrundeliegende mentale Prozesse zu entwickeln und damit Erleben und Verhalten zu erklären. Kognitive Theorienbildung und Methoden werden wegen ihrer engen Verbindung im Folgenden gemeinsam behandelt.
Wie kann man detaillierte Aussagen zu kognitionspsychologischen Theorien treffen? Diese Frage ist besonders wichtig, da kognitive Prozesse nicht einfach von außerhalb des Menschen beobachtbar und zugänglich sind. In der Konsequenz stehen nur die Methoden Beobachtung und Experiment für die kognitive Forschung zur Verfügung. Die Beobachtung ist vor allem dann sinnvoll, wenn man das psychologische Geschehen in seiner Komplexität und seiner naturwüchsigen Dynamik untersuchen möchte. Das Experiment ist dagegen zu bevorzugen, wenn man die Kausalität von kognitiven Mechanismen im Einzelnen erforschen will. Dazu werden Bedingungen geschaffen, unter denen die Wirksamkeit einzelner Faktoren selektiv betrachtet werden kann; diese gezielte Selektion von Faktoren ist mit der Beobachtung nicht möglich. Das Experiment ist deshalb die Forschungsmethode für die Kognitive Psychologie. Im Rahmen dieser Methode werden oft künstlich vereinfachte Aufgaben unter verschiedenen Bedingungen hergestellt, die im Labor untersuchbar und für eine Fragestellung relevant sind. Diese Aufgaben haben das Ziel, den Einfluss bestimmter Faktoren auf kognitive Prozesse sinnvoll zu erforschen. Die verschiedenen Bedingungen stellen die unabhängigen Variablen dar. Abhängig von diesen Variablen sind neben subjektiven Daten (z. B. die Empfindung der Helligkeit eines Lichts oder der emotionale Zustand einer Person unter verschiedenen Bedingungen) auch Verhaltens- und neurophysiologische Daten (z. B. die Geschwindigkeit und Fehleranfälligkeit bei Entscheidungen zwischen Alternativen oder die Aktivität in bestimmten Gehirnarealen), das sind die abhängigen Variablen.
Schauen wir uns ein typisches Experiment der Kognitiven Psychologie im Detail an: In diesem Experiment mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe ( Kap. 6.2.3) sitzen Versuchspersonen vor einem Computerbildschirm. Ihnen werden, über viele Durchgänge hinweg, präzise und softwaregesteuert gängige deutsche Wörter (z. B. Juli) oder sinnlose Buchstabenketten (z. B. Jusa) präsentiert. Die Aufgabe der Versuchspersonen ist es, so schnell und fehlerfrei wie möglich per Tastendruck für die Zielreize zu entscheiden, ob es sich um ein gängiges Wort oder um eine sinnlose Buchstabenkette (d. h. ein Nicht-Wort) handelt. Vor jedem Zielreiz wird für einen sehr kurzen Moment (z. B. 100 ms) ein anderes Wort an derselben Position auf dem Computerbildschirm präsentiert, dieses Wort wird als Prime bezeichnet. Die entscheidende Manipulation in diesem Experiment ist es nun, dass diese Primes entweder in einer deutlichen inhaltlichen (semantischen) Beziehung oder in keiner inhaltlichen Beziehung zu den gängigen deutschen Wörtern stehen. Die Variable »inhaltliche Beziehung« mit ihren Ausprägungen mit und ohne inhaltliche Beziehung ist die unabhängige Variable. Ein Beispiel: Den Zielreizen Juli oder Jusa könnte der Prime Juni oder Wald vorangehen. Führt man das Experiment durch und analysiert die Reaktionszeiten (abhängige Variable), so stellt man fest, dass die Versuchspersonen auf die gängigen Wörter etwas schneller reagieren, wenn diesen Wörtern ein Prime mit einer inhaltlichen Beziehung vorangeht, im Vergleich zu den Reaktionen in Durchgängen mit Primes ohne inhaltliche Beziehung zum gängigen Wort (Meyer & Schvaneveldt, 1971).
Dieser Befund wird in der Regel als Nachweis dafür interpretiert, dass das semantische Gedächtnis im Langzeitgedächtnis Begriffe nicht isoliert repräsentiert, sondern dass diese Repräsentationen sprachähnlich und hinsichtlich ihrer Semantik miteinander vernetzt sind. Wird in einem Experiment mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe der Prime Juni präsentiert, wird die Repräsentation dieses Begriffs aktiviert. Diese Aktivierung breitet sich nachfolgend über die Repräsentation des Prime-Begriffs hinaus auf Repräsentationen umliegender Begriffe mit einer inhaltlichen Beziehung aus, wie z. B. auf Juli. Durch diese Aktivierung ist der Begriff Juli leichter zugänglich und kann effizienter als ein Wort erkannt werden. Wenn ein Prime ohne inhaltliche Beziehung präsentiert wird (z. B. Wald), dann wird der nachfolgende Begriff Juli im Vergleich dazu schwerer zugänglich und kann weniger effizient als ein Wort kategorisiert werden (mehr zum semantischen Gedächtnis Kap. 6.2.3).
Werfen wir noch einen Blick auf die relevante abhängige Variable des obigen Experiments. In diesem Experiment werden vornehmlich die Reaktionszeiten analysiert. Genauer gesagt, es erfolgt eine Analyse von Reaktionszeiteffekten als Differenzen zwischen Reaktionszeiten unterschiedlicher Bedingungen (Reaktion auf gängige Wörter mit [1] Primes mit inhaltlicher Beziehung und [2] Primes ohne inhaltliche Beziehung). In diesem Experiment werden außerdem computergesteuert relativ einfach Fehlerraten im Kategorisieren von Zielreizen in Wort oder Nicht-Wort mit aufgenommen, diese Fehlerdaten bzw. Fehlereffekte können dann ebenfalls analysiert werden. Eine andere Version des Experiments könnte folgendermaßen aussehen: Den Versuchspersonen wird ein Prime-Wort (z. B. Juni) vorgegeben. Sie werden instruiert, das erste Wort zu nennen, das ihnen als Assoziation aus dem Gedächtnis einfällt. Plausibel ist, dass unter diesen Umständen relativ häufig das Wort Juli genannt wird. In dieser Version mit semantischem Priming werden dann weniger Reaktionszeiten und Fehlerdaten analysiert, sondern das Augenmerk wird auf die Nennung von Wörtern aus dem Gedächtnis gelegt (ähnlich wie eine Gedächtnisleistung). Reaktionszeiten, Fehlerdaten oder Gedächtnisleistung zählen zu den eher verhaltensbezogenen Variablen, da sie anhand von äußerem Verhalten leicht zu beobachten und aufzunehmen sind.
Ein Nachteil vieler verhaltensbezogener Daten ist, dass es in jedem Versuchsdurchgang nur einen Datenpunkt gibt (z. B. eine Reaktionszeit). Der Datenpunkt lässt keine direkten Schlüsse darüber zu, wie er sich generiert. Das bedeutet, dass entlang einer Zeitachse keine Aussagen darüber getroffen werden können, wodurch beispielsweise Reaktionszeiteffekte entstehen. Es bleibt offen, ob diese Effekte eher auf einer sehr frühen Verarbeitungsstufe (z. B. bei Wahrnehmungsprozessen zur Aufnahme von Informationen) oder einer relativ späten Verarbeitungsstufe entstehen (z. B. bei Prozessen zum Abruf aus dem Gedächtnis). Eine mögliche Methode zur Differenzierung zwischen frühen und späten Effekten ist die Methode zur Messung von Elektroenzophalogrammen (EEG). Über viele Experimentaldurchgänge hinweg wird dabei die hirnelektrische Aktivität durch auf der Kopfhaut platzierten Elektroden gemessen. Durch Mittelung dieser Aktivitäten über alle Durchgänge entstehen typische Verläufe der hirnelektrischen Aktivität. Am Beispiel der Aufgabe mit semantischem Priming zeigt sich etwa 400 ms nach Präsentation des Zielwortes eine höhere negative Aktivierung, wenn zuvor ein Prime mit inhaltlicher Beziehung präsentiert wurde im Vergleich zu Durchgängen mit Primes ohne diese Beziehung (Grossi, 2006). Dieser zeitliche Verlauf kann Auskunft darüber geben, auf welcher Stufe der Verarbeitung ein Prime mit inhaltlicher Beziehung wirkt und wie sein Effekt erklärt werden kann. Auch zeigen die Positionen der Elektroden über der Kopfhaut an, in welchen Gehirnstrukturen dieser Effekt lokalisiert sein könnte. Eine noch genauere Lokalisation dieser Effekte lässt die Methode der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zu.
EEG und fMRT sind typische Methoden der Kognitiven Neuropsychologie. Vereinfacht gesagt hat die Kognitive Neuropsychologie das Ziel, kognitive Funktionen im Gehirn zu lokalisieren und damit zur kognitiven Theorienbildung beizutragen. Allerdings ist dieses Buch, mit einigen wenigen Ausnahmen (z. B. in der Wahrnehmungspsychologie in Kapitel 2.1), eher auf die Kognitive Psychologie und auf verhaltensbezogene Daten ausgerichtet. Deshalb wird hier nicht näher auf die Kognitive Neuropsychologie und auf neurokognitive Methoden eingegangen. Vielmehr wird auf das einführende Lehrbuch von Solso, MacLin und MacLin (2008) verwiesen.
Welchen Beitrag können empirische Befunde aus Experimenten (z. B. mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe) für Theorien liefern? Dazu werden die Theorien in verschiedene Kategorien unterteilt (Wentura & Frings, 2013): Theorien kleiner Reichweite, Theorien mittlerer Reichweite und Theorien großer Reichweite.
Theorien kleiner Reichweite sind paradigmenorientierte Theorien, welche die Effekte und Ergebnisse einzelner Experimente erklären können. Im Fall der lexikalischen Entscheidungsaufgabe können sie Ergebnisse semantischen Primings im Kontext dieser Aufgabe erklären; Wörter nach Primes mit einer inhaltlichen Beziehung sind durch eine höhere Aktivität leichter zugänglich und werden deshalb schneller als Wörter erkannt. Man könnte den Effekt des schnelleren Erkennens von Wörtern nach Primes mit einer inhaltlichen Beziehung auch anders erklären. Forschung zu diesen Alternativerklärungen führt mitunter zu Theorien (Wie ist der Primingeffekt zu erklären?), die sehr viel stärker auf die Erklärung des beobachteten Effekts fokussieren als auf die übergeordnete Frage (Wie ist das semantische Gedächtnis aufgebaut und welche Eigenschaften besitzt es?). In einer Alternativerklärung der Ergebnisse der lexikalischen Entscheidungsaufgabe wird Juli schneller nach Juni als nach Wald erkannt, da Juni und Juli sich nicht nur inhaltlich ähnlich sind, sondern auch optisch (d. h. in ihrer oberflächlichen Beschaffenheit und den verwendeten Buchstaben). Das legt eher eine wahrnehmungspsychologische Erklärung nahe und erklärt keine Eigenschaften des semantischen Gedächtnisses. Bei der Forschung zu paradigmenorientierten Theorien müssen nun Situationen geschaffen werden, in denen Primes mit und ohne inhaltliche Beziehung zum Zielwort in gleichem Ausmaß eine oberflächliche Ähnlichkeit zum Zielwort haben. Im Fall von Juli könnten nun die Primes Monat und Morast dazu dienen, die Alternativerklärung zu untersuchen. Es ist zu erwarten, dass Juli auch schneller erkannt wird, wenn das oberflächlich unähnliche Wort Monat als Prime präsentiert wird im Vergleich zum Morast. Dadurch können wahrnehmungspsychologische Effekte als alleinige Ursache für semantische Primingeffekte ausgeschlossen werden.
Ein bedeutsamer Teil der in Fachzeitschriften veröffentlichten Theorien haben die Überprüfung paradigmenorientierter Theorien zum Ziel. Vielleicht entsteht bei Außenstehenden der Eindruck, dass diese Art der Psychologieforschung durch marginale Änderungen im Versuchsaufbau lediglich Experimentaleffekte untersucht, die es ohne kognitionspsychologische Forschung nicht geben würde. Diese Kritik wäre dann berechtigt, wenn die gesamte kognitionspsychologische Forschungsarbeit diesem Ziel folgen würde. Das ist zum Glück nicht der Fall. Neben Theorien zu übergreifenden Fragen richtet sich nur ein Teil der Forschung auf paradigmenorientierte Theorien. Diese Forschung hat definitiv ihre Berechtigung, da sie akribisch überprüft, ob sich bestimmte Annahmen, die häufig implizit bei der Etablierung eines Paradigmas getroffen wurden, halten lassen. Erst dadurch kann festgestellt werden, ob übergreifende Theorien eine Existenzberechtigung haben.
Theorien mittlerer Reichweite haben uns bereits im Kontext der lexikalischen Entscheidungsaufgabe und der Eigenschaften von Begriffsrepräsentationen im semantischen Gedächtnis beschäftigt: Begriffsrepräsentationen im semantischen Gedächtnis sind nicht isoliert, sondern miteinander vernetzt. Diese funktionsorientierten Theorien treffen also generelle Aussagen zu relativ gut umschlossenen und abgegrenzten kognitiven Komponenten oder Phänomenen (z. B. das semantische Gedächtnis). Im Kontext von Theorien mittlerer Reichweite wird deshalb auch vieles ausgespart. Ausgespart werden beispielsweise die zugrundeliegenden Wahrnehmungsprozesse, mit denen Wörter aufgenommen werden, oder die Entstehung dieser Vernetzung der Repräsentationen. Gute Theorien mittlerer Reichweite führen zu testbaren Hypothesen. Eine Annahme der vernetzten Repräsentation von Begriffen im semantischen Gedächtnis ist zum Beispiel, dass Begriffe mit einer unmittelbaren Beziehung zu einer höheren Verfügbarkeit von Zielwörtern führt (z. B. Juni → Juli), als Begriffe, die lediglich indirekt miteinander verbunden sind (z. B. Sommeranfang (→ Juni) → Juli). Häufig beinhalten Theorien mittlerer Reichweite eine Strukturierung eines bestimmten Bereichs in einzelne Teilbereiche. Ein typisches Beispiel ist das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (1992, im Detail Kap. 5.4.1) oder das Gesichtserkennungsmodell von Bruce und Young (1986, Abb. 1.2; A). Zur Illustration dieser Strukturierungen werden oft Fließdiagramme verwendet, wobei die Kästchen meist Teilbereiche sind und die Pfeile Verarbeitungsschritte repräsentieren. Diese Illustrationen sind oft ein didaktisches Mittel, um Aussagen besser zu erläutern, und sie führen mitnichten zur Vereinfachung solcher Theorien.
Theorien großer Reichweite gleichen kognitiven Architekturen, die das Gesamtbild des kognitiven Systems abbilden und Aussagen zu jedem Phänomenbereich machen. Nur wenige Forscher haben sich dieser Art von Theorien angenommen. Deshalb ist ihre Zahl viel geringer als die Zahl der Theorien kleiner und mittlerer Reichweite. Bekannte Theorien großer Reichweite sind die adaptive control of thought (ACT)-Theorie von John R. Anderson (Anderson et al., 2004) oder die Modelle mit parallel distributed processing (PDP) von Rumelhart und McClelland (McClelland, Rumelhart & Hinton, 1986). Sie treffen Aussagen zu allen wesentlichen kognitionspsychologischen Bereichen (Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Entscheidung etc.). In diesen kognitiven Architekturen wird eine Grundstruktur von Modulen beziehungswiese neuronalen Netzwerken ( Abb. 1.2; B) mit entsprechenden Eigenschaften angenommen, die ausreichen soll, möglichst alle Arten von kognitiven Prozessen zu modellieren.
Abb. 1.2: (A) Darstellung einer Theorie mittlerer Reichweite zur Gesichtserkennung (nach Bruce & Young, 1986). (B) Darstellung einer Theorie großer Reichweite: PDP-Modell mit neuronalem Netzwerk zur Gesichtserkennung (nach Burton & Bruce, 1992)
Die Untersuchung von grundlegenden kognitiven Funktionen hat das Potential der praktischen Umsetzbarkeit vieler Erkenntnisse in einem realweltlichen Kontext. Betrachten wir das Beispiel, wie im schulischen oder universitären Kontext die Lern- beziehungsweise Studienergebnisse verbessert werden können. Mittlerweile existiert eine große Anzahl experimentalpsychologischer Untersuchungen zur Überprüfung der Wirksamkeit verschiedener Lernmethoden. Diese Untersuchungen berücksichtigen kognitionspsychologische Lern- und Gedächtnistheorien (Überblick in Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan & Willingham, 2013), aus denen sich klare Empfehlungen für die Praxis ableiten lassen. Sie stehen mitunter in Diskrepanz zu üblicherweise verwendeten Techniken, wie dem Markieren von Schlüsselbegriffen, auf die beim erneuten Lesen fokussiert wird. Ein Beispiel: Die Lernmethode SQ3R (Becker-Carus & Wendt, 2017; Johns & McNamara, 1980; Tadlock, 1978) basiert auf solchen grundlegenden kognitiven Erkenntnissen. Beim Durcharbeiten von Texten steht SQ3R für Survey (erstes Erfassen des Inhalts), Questions (welche Fragen soll der Text beantworten), Read (Lesen des Textes), Recall (Erinnern an die wichtigsten Aspekte des Textes) und Review (Bewertung des Inhalts im Kontext anderer Texte und dem zuvor gelernten Material). Unbestritten ist diese Methode zeitaufwändig, allerdings ermöglicht sie ein besseres Verständnis sowie Erinnern der Textinhalte. Später werden wir sehen, dass die Methode auf Erkenntnissen der kognitiven Gedächtnispsychologie basiert. Auch die Erkenntnisse über die Organisation von Konzepten im semantischen Gedächtnis aus den Ergebnissen des semantischen Primings in der lexikalischen Entscheidungsaufgabe ( Kap. 1.2.1) geben Empfehlungen für den Lernkontext. Das Visualisieren von Themengebieten anhand von Mindmaps ist äquivalent zur Visualisierung von Begriffen und ihren semantischen Beziehungen innerhalb eines Netzwerkes.
Grundlegende Aussagen zu psychologischen Prozessen können nur durch das Herstellen solcher Bedingungen getroffen werden, unter denen der infrage stehende Prozess in möglichst reiner Form isoliert wird und damit frei von Störfaktoren untersucht werden kann. Mit dieser Forderung verlagert sich der Ort der Untersuchung vom realweltlichen Leben in das Labor. Damit wird den zu untersuchten Prozessen der natürliche Kontext genommen, d. h. sie werden dekontextualisiert (Prinz et al., 2017). Auch wenn diese Dekontextualisierung fortwährender Kritik ausgesetzt ist, ist sie für die Ergründung grundlegender kognitiver Prozesse alternativlos. Die praktische Umsetzung von Erkenntnissen über grundlegende Prozesse ist nicht die Kernkompetenz der Kognitiven Psychologie und bleibt anderen psychologischen Teildisziplinen überlassen (z. B. der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Klinischen Psychologie oder der Pädagogischen Psychologie).
Die Psychologie im Allgemeinen, aber auch die Kognitive Psychologie im Speziellen, so wie wir sie heute kennen, ist als Naturwissenschaft noch relativ jung; Disziplinen wie Biologie, Physik oder Chemie können im Vergleich dazu auf eine lange naturwissenschaftliche Geschichte zurückblicken. Das ist erstaunlich, da sich das Interesse für Fragen der menschlichen Psyche bis zu den griechischen Philosophen wie Platon zurückverfolgen lässt. Bereits diese antiken Philosophen nahmen die wissenschaftliche Induktion vorweg, die noch heute ein wesentlicher Bestandteil der kognitionspsychologischen Theorienbildung ist. Die Idee ist, dass die Beobachtung von Alltagsgegenständen und -ereignissen zu Idealisierungen und Generalisierungen als Basis der kognitiven Theorien dienen; diese Theorien können dann zur Erklärung der Beobachtung und zur Modellierung des Alltags herangezogen werden (Cottingham, 1987). Eine Erklärung für die relativ lange philosophische Auseinandersetzung und späte naturwissenschaftliche Entstehung der Kognitiven Psychologie und der Psychologie generell könnte auch sein, dass es bis in das 19. Jahrhundert undenkbar war, psychische Prozesse des Menschen einer naturwissenschaftlichen Analyse zu unterziehen. Ein Grund für diese Einstellung könnte die egozentrische, mystische und teilweise verworrene Einstellung gegenüber dem Menschen und seinem Verstand gewesen sein, die sich erst damals langsam auflöste (Anderson, 2013). Die britischen Empiristen um Francis Bacon (1561 – 1626) und John Locke (1632 – 1704) haben mit ihren Ideen zu dieser Auflösung beigetragen.
Die naturwissenschaftlich orientierte Kognitive Psychologie begann sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu etablieren. Die ersten Schritte in dieser Entstehung ging Herrmann Ebbinghaus (1885) mit seinen Untersuchungen zum Gedächtnis; inspiriert wurde er von Gustav Theodor Fechner (1860) und Hermann von Helmholtz (1885/1962). Ebbinghaus legte in seinen Untersuchungen Listen mit zu lernenden Silben vor. Nach Ende der Lernphase untersuchte er in der Ersparnismethode die eingesparte Zeit zum Wiedererlernen der Silben nach unterschiedlich langen Pausen, das sind die sogenannten Behaltensphasen (Details dazu Kap. 5.1). Zwar war Ebbinghaus meist selbst die einzige Versuchsperson, deshalb kann die Gültigkeit seiner Aussagen infrage gestellt werden. Allerdings ist er der erste, der kognitive Phänomene (z. B. das Gedächtnis) systematischen Testungen unterzog.
Ein zweiter Schritt in der Entstehung der Kognitiven Psychologie ist ihre Institutionalisierung. 1879 eröffnete Wilhelm Wundt das erste psychologische Experimentallabor an der Universität Leipzig. Wundt und seine Schüler wählten zur Untersuchung des Erlebens und Verhaltens die Methode der Introspektion. Bei dieser Methode berichten geschulte Beobachter unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen über ihre eigenen »Bewusstseinsinhalte«. Die Berichte erfolgten unter der Annahme, dass mentale Prozesse der Selbstbeobachtung zugänglich sind. Diese Annahme geht auf die britischen Empiristen zurück. Wundt und seine Kollegen waren sich sicher, dass es durch intensive Selbstbeobachtung gelingt, die elementare Erfahrung zu bestimmen, aus der sich Erleben und Verhalten zusammensetzt. Die Theorie des menschlichen Erlebens und Verhaltens müsste deshalb lediglich die Inhalte introspektiver Erfahrungsberichte erklären. Auch ohne besondere Schulung kann simuliert werden, wie ein Introspektionsexperiment ablief. Den Versuchspersonen wurde ein Wort präsentiert (z. B. Buch) und ihre Aufgabe war es, in einer bestimmten Zeit frei zu assoziieren, d. h. alles zu sagen, was ihnen zum Wort einfiel (Mayer & Orth, 1901). Im Anschluss berichteten die Versuchspersonen über ihre Bewusstseinserfahrungen vom Moment der Wortpräsentation bis zum Wiedergeben ihrer Assoziationen. Es zeigt sich allerdings in diesem und in anderen Experimenten mit der Methode der Introspektion, dass viele Berichte von eher unbeschreibbaren Erfahrungen handelten. Was Wissenschaftler als Prozesse des Erlebens und Verhaltens annahmen, unterschied sich also stark von dem, was die Versuchspersonen berichteten. Erklärungen und Hinweise bezüglich der Theorien, die den Versuchspersonen im Vorfeld der Untersuchung gegeben wurden, haben in ihren Berichten dazu geführt, dass sie beschrieben, was von ihnen entsprechend erwartet wurde. Und diese Erwartungen unterschieden sich zwischen verschiedenen Forschern und verschiedenen Laboren.
Ein weiteres Problem der Introspektion war, dass die Prozesse als Reaktion auf eine Reizpräsentation sehr einfach sein können. Sie können deshalb extrem schnell ablaufen und kurzlebig sein und somit nicht auf einem Niveau ablaufen, das für den bewussten Zugriff durch Introspektion zugänglich ist. Nehmen wir als illustratives Beispiel ein Experiment, in dem ein Licht präsentiert wird und die Versuchspersonen möglichst schnell eine Taste betätigen müssen, wenn sie dieses Licht detektieren. In jungen Erwachsenen werden in Computerexperimenten dieser Art Reaktionszeiten von etwa 200 ms gemessen. Die ersten etwa 100 ms werden für die sensorische Übertragung des durch den visuellen Lichtreiz ausgelösten Signals von der Retina in die verschiedenen Gehirnareale benötigt. Die verbleibende Zeit wird für die Aktivierung eines motorischen Programms benötigt, d. h. für die Übertragung dieses Programms zu den Effektoren (z. B. den Fingern) und für die Ausführung des Programms. Die meisten sensorischen und motorischen Übertragungsprozesse in diesem Experiment ermöglichen keinen bewussten Zugriff, der eine Introspektion erlaubt. Diese Argumente lösten eine Debatte um die Gültigkeit der Befunde mit der Methode der Introspektion aus und führten zu einer Ablösung dieser Methode.
Dann, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, entwickelte sich die Psychologie vornehmlich in den USA (sowie durch den russischen Forscher Ivan P. Pawlow) ziemlich »kognitionslos«. Die Strömung des Behaviorismus reagierte auf die Nachteile der Introspektionsmethode und die Schwierigkeiten im Zugriff auf mentale Prozesse, indem sie diese Prozesse als Gegenstand der psychologischen Forschung ausklammerte (Watson, 1913). Nach Ansicht des Behaviorismus sollte sich Psychologie ausschließlich mit von außen beobachtbaren objektiven Daten befassen, ohne dabei schlecht zu erfassende und zu definierende Konzepte, wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit, zu verwenden. Diese Phase wird deshalb als cognitive winter bezeichnet. Tiere ersetzten in den Laboren den Menschen als Gegenstand der Untersuchungen und die Forschung wurde in dieser Zeit vornehmlich auf die Bereiche Lernen und Motivation ausgerichtet. Diese Bereiche sind eher behavioristisch als kognitiv geprägt. In diesem Buch wird auf diese Bereiche deshalb nur begrenzt eingegangen. Neben der auf wenige Bereiche sehr eingegrenzten Forschungstätigkeit und dem Ignorieren des für die Psychologie Wesentlichen, nämlich die mentalen Prozesse des Erlebens und Verhaltens, ist theoretisch nur wenig vom Behaviorismus bezüglich der Kognitiven Psychologie übriggeblieben; auch das strikte »anti-kognitive« Vorgehen als Reaktion auf die Introspektion ist nicht mehr vollständig nachvollziehbar (Anderson, 2013). Was bis heute vom Behaviorismus erhalten ist, ist vielleicht seine methodische Vorgehensweise mit systematischen und strikten Verfahren und Prinzipien bei experimentellen Untersuchungen, die prinzipiell in kognitionspsychologischer Forschung angewendet wird.
Allerdings herrschte der cognitive winter in Europa nicht flächendeckend, sondern mancherorts war Kognitive Psychologie ein reges Forschungsthema: Der Russe Alexander Luria untersuchte Störungen im Verständnis und der Produktion von Sprache (Aphasien), in der Schweiz formulierte Jean Piaget seine generelle Theorie der kognitiven Entwicklung (z. B. die Entwicklung des Mengen- oder Zahlbegriffs im Kindesalter), in Deutschland beschäftigte sich die Gestaltpsychologie mit Wahrnehmung ( Kap. 2.2.2) sowie Problemlösung und speziell die Würzburger Schule untersuchte kognitive Prozesse, die dem Denken zugrunde liegen. Leider sind viele der letztgenannten Forschungsaktivitäten durch den Nationalsozialismus verloren gegangen, was beweist, dass Entwicklungen in der Kognitiven Psychologie nicht allein durch wissenschaftliche Kriterien bestimmt werden.
Die Kognitive Psychologie in ihrer heutigen Form begann sich zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Drei Faktoren sind für diese neuere Entwicklung verantwortlich:
1. Vor allem während des Zweiten Weltkrieges war es notwendig, Erleben und Verhalten im Umgang mit technisch komplexen Systemen zu erklären und vorherzusagen. Man war bestrebt, Piloten und Flugzeuge effizienter einsetzen zu können und Flugzeugabstürze durch menschliche Fehler zu vermeiden. In diesem Fokus entstanden beispielsweise Informationsverarbeitungstheorien der Aufmerksamkeit durch Donald Broadbent ( Kap. 3.1.2). Solche Informationsverarbeitungstheorien haben das Ziel, kognitive Prozesse in eine Reihe von Einzelschritten zu zerlegen und sie damit zu analysieren; der Behaviorismus bot für derartige praxisbezogene Fragen keine Hilfe an. Dieser Ansatz der Informationsverarbeitungstheorien wurde nach dem Krieg von kognitionspsychologischen Laboren übernommen und ist bis heute vorherrschend in der Kognitiven Psychologie.
2. Die Auseinandersetzung mit »kognitiven« Themen bestimmte die Entwicklung der Kognitiven Psychologie. Das bedeutet unter anderem, dass die Anwendung von Fortschritten in den Computerwissenschaften um Allen Newell und Herbert Simon (Newell & Simon, 1972) auf KünstlicheIntelligenz dazu geführt hat, die Entwicklung dieser Intelligenz voranzubringen. Fortschritte in der Computertechnik ermöglichen es, menschliche Kognition zu simulieren ( Kap. 1.1). Die heutige Laborforschung und das Erstellen systematischer Untersuchungsbedingungen mit den daraus resultierenden Ergebnissen sind nicht ohne diese Technik denkbar ( Kap. 10). Des Weiteren führte die Linguistik und die kognitive Sprachwissenschaft um Noam Chomsky (Chomsky, 1959) die Erforschung der Sprache als Thema in die Kognitive Psychologie ein. Chomsky erkannte, dass komplexe Phänomene, wie Sprachverständnis und -produktion, nicht durch behavioristische Ansätze zu erklären waren.
3. Die neuere Entwicklung der Kognitiven Psychologie ist institutionell. Dieser Faktor lässt sich konkret an das Jahr 1956 und speziell an zwei Konferenzen sowie verschiedenen Publikationen festmachen (Gobet, Chassy & Bilalic, 2011). Die zwei Konferenzen »Symposium of Information Theory« am Massachusetts Institute of Technology und »Dartmouth Conference« beschäftigten sich mit klassischen kognitiven Themen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Im Verlauf dieser Konferenzen wurde klar, dass der Behaviorismus für diese wie auch andere kognitive Themen keine ausreichenden Erklärungsansätze bot. Außerdem wurden im Jahr 1956 zwei der wohl einflussreichsten frühen kognitiven Publikationen veröffentlicht. Bruner, Goodnow und Austin (1956) haben systematisch die Entstehung von Konzepten im Gedächtnis untersucht. Schon die Verwendung von Begriffen wie Konzepte und Gedächtnis war im Behaviorismus nicht zulässig. George Miller (1956) unternahm außerdem den Versuch, die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses und eine Einheit für die Messung dieser Kapazität zu bestimmen ( Kap. 5.3).
Heute hat sich die Kognitive Psychologie zu einer sehr dynamischen, aktiven und internationalen Disziplin entwickelt. Ihre unterschiedlichen Fokusse haben sich durch verschiedene Konferenzen und Fachjournale (z. B. Memory & Cognition; Attention, Perception, & Psychophysics) institutionalisiert. Die Kognitive Psychologie ist heute vor allem durch den spezifischen kognitiven Bereich gekennzeichnet, der untersucht wird (z. B. Wahrnehmungspsychologie, Aufmerksamkeitspsychologie).
Kognitive Psychologie befasst sich mit möglichst allgemeingültigen Aussagen zu mentalen Erlebnis- und Verhaltensprozessen. Diese Prozesse sind zuständig für die Aufnahme von Informationen, für deren Veränderung und Abspeicherung sowie für potentielles Verhalten und potentielle Reaktionen entsprechend den aufgenommenen Informationen. Kognitive Psychologie umfasst also Themen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Verhaltenssteuerung, die in einem Verhaltensbogen strukturiert werden können, der von der Aufnahme bis zur Ausgabe von Informationen reicht. Und dieser prototypischen Struktur eines Verhaltensbogens folgt auch die Reihenfolge kognitionspsychologischer Themen in diesem Buch: Wahrnehmung ( Kap. 2), selektive Aufmerksamkeit ( Kap. 3), geteilte Aufmerksamkeit ( Kap. 4), kurzfristige Gedächtniskomponenten ( Kap. 5), langfristige Gedächtniskomponenten ( Kap. 6), Handlungssteuerung durch exekutive Funktionen ( Kap. 7) und komplexe kognitive Phänomene wie Problemlösen und Entscheiden ( Kap. 8). Für die Autorenschaft von Kapitel 8 möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Robert Gaschler bedanken. Diese Einteilung zeigt, dass ein wesentlicher Fokus des Buches auf weniger komplexe Prozesse gelegt wird, also eine Entwicklung hin zur ursprünglichen Auseinandersetzung mit der Kognitiven Psychologie, so wie sie bei Ulrich Neissers (1967) »Cognitive Psychology« zu finden ist.
Neben der Einteilung der Kapitel hinsichtlich inhaltlicher Themen (Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis …) entlang dem Verhaltensbogen werden in diesem Buch auch das kognitive Altern ( Kap. 9) und das kognitive Training ( Kap. 10) behandelt. In beiden Kapiteln werden verschiedene inhaltliche Themen aus einer spezifischen Perspektive betrachtet. Die Perspektive des kognitiven Alterns betrachtet kognitive Veränderungen als Ergebnis von Alterungsprozessen. Für die Autorenschaft von Kapitel 9 möchte ich mich hier ausdrücklich bei Julia Karbach bedanken. Die Perspektive des kognitiven Trainings zeigt, wie sich Kognition als Ergebnis von Übung und Training plastisch verändern kann. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass einige Themen in diesem Buch nicht behandelt werden, z. B. Sprache (z. B. Langenmayr, 1997) sowie Emotion und Motivation (z. B. Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2013). Für diese Themen muss auf entsprechende Lehrbücher verwiesen werden.
Durch alle Kapitel dieses Buchs wird uns die fiktive Figur von Herrn F. begleiten. Genauer gesagt werden wir die fiktive Situation von Herrn F. beim Besuch eines Fußballspiels in einem Stadion zu Beginn jedes Kapitels beschreiben. Auch wenn diese Situation im Fußballstadion anfänglich trivial erscheinen mag, können wir durch sie verschiedene Phänomene der Kognitiven Psychologie einführen und relevante Fragen in den jeweiligen Themengebieten formulieren.
Herr F. betritt wie bei jedem Heimspiel seiner Lieblingsfußballmannschaft das Stadion. Die hellen Flutlichter und Werbedisplays im Stadion blenden ihn. Unschwer ist an den Fahnen, Schals, Trikots und Gesängen zu erkennen, dass Herr F. das Stadion und den Block mit den Fans seiner Lieblingsmannschaft erreicht. In einem Block auf der gegenüberliegenden Stadiontribüne sind die Fans der Gästemannschaft zu erkennen. Schon am Eingang des Stadions hat Herr F. einige Bekannte getroffen und im Fanblock seiner Mannschaft kommen weitere bekannte Gesichter dazu.
An dieser kurzen Beschreibung vom Betreten des Stadions unseres Protagonisten können einige interessante Fragen abgeleitet werden, die wir in diesem Kapitel beantworten werden:
• Welche physiologischen Prozesse kennzeichnen unsere visuelle Wahrnehmung, die dazu führen, dass Herr F. beim Betreten des Stadions geblendet wird?
• Wie werden Farben durch das physiologische System verarbeitet und repräsentiert? Immerhin kann Herr F. die verschiedenen Farben der Fans, sowohl der eigenen als auch der gegnerischen Mannschaft, unterscheiden.
• Allerdings sind es nicht nur die Farben der Mannschaften, sondern auch die Ordnung, mit der sich die Fans im Stadion und in den Blöcken gruppieren und welche die Fangruppen voneinander unterscheidbar macht. Dazu kann Herr F. verschiedene Objekte, wie Schals, Fahnen oder Trikots wahrnehmen, erkennen und benennen. Wie aber werden solche Objekte wahrgenommen und erkannt?
• Daran angeschlossen ist die Frage: Wie ist es möglich, bekannte Gesichter zu erkennen und zu identifizieren? In der Forschung wurden große Anstrengungen unternommen, gerade die Besonderheiten der Gesichtserkennung darzustellen.
Der Hauptteil des Kapitels wird sich mit der visuellen Wahrnehmung auseinandersetzen; an der kurzen Beschreibung haben wir deren Bedeutung beim Stadionbesuch gesehen. Aber wir beschäftigen uns in gesonderten Textboxen auch mit der auditiven Sinnesmodalität. Für detaillierte Ausführungen zu anderen Sinnesmodalitäten, wie dem Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn, muss auf andere Stellen verwiesen werden (Goldstein, 2015).
Die hier dargestellten Sinnesmodalitäten und ihre Wahrnehmungseigenschaften werden aus drei Perspektiven behandelt: die neurophysiologische Perspektive, die beschreibende Perspektive und die erklärende Perspektive. Die neurophysiologische Perspektive beschreibt die essentielle Frage nach der Beziehung zwischen physikalischer Energie eines Reizes und seiner Reizdimensionen (z. B. Helligkeit und Farbigkeit von Licht, Lautstärke von Tönen) sowie den Erregungsprozessen der Sinnesorgane und des Nervensystems. Die beschreibende Perspektive definiert sich vornehmlich über die Gestaltpsychologie und die stark methodisch orientierte Psychophysik mit der Fragestellung: Welche Beziehung besteht zwischen einfachen physikalischen Dimensionen von Wahrnehmungsreizen und dem Wahrnehmungseindruck? Die Antwort lautet: Durch diese Beziehung wird vor allem eine Relation zwischen den objektiven physikalischen Eigenschaften und den subjektiven Empfindungen hergestellt. Allerdings sehen die neurophysiologische und die beschreibende Perspektive die kausale Rolle der Wahrnehmung insbesondere in den Reizeigenschaften.
In der erklärenden Perspektive werden außerdem kognitive Prozesse formuliert, die die Wahrnehmung zusätzlich zu den Reizeigenschaften kausal beeinflussen. Dadurch wird beispielsweise der Fakt berücksichtigt, dass nicht nur Reize in das Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass deren Wahrnehmung durch die im Gedächtnis repräsentierte Informationen beeinflusst werden. Im Fall unseres Stadionbesuchs nimmt Herr F. nicht nur Gesichter wahr, sondern er erkennt die Gesichter auch als bekannt und ruft eventuell dazugehörige Informationen, wie den Namen der Person, ab. Dieser Fall zeigt, dass Reizinformationen nicht nur einfach in unser Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass diese Informationen zusätzlich durch das Wahrnehmungssystem bearbeitet werden. Diese Bearbeitung bestimmt ebenfalls unseren subjektiven Erlebniseindruck.
Aus diesem Ansatz können wir die folgenden grundlegenden Fragen ableiten: Wieweit können wir unserem subjektiven Erlebniseindruck überhaupt glauben? Wieweit stellt dieser Eindruck ein Abbild der objektiven und physikalischen Umwelt dar? Drastisch aufgenommen wurde diese Frage in der Matrix-Filmreihe (»The Matrix« [1999], »Matrix Reloaded« [2003] und »Matrix Revolution« [2003]) mit Keanu Reeves und Laurence Fishburne in den Hauptrollen. Es ist die zentrale Idee dieser Filmreihe, dass die Computer die Kontrolle über den menschlichen Geist und den Verstand übernehmen. Die Fähigkeit dieser Übernahme erlaubt es den Computern, Menschen eine beliebige virtuelle Realität wahrzunehmen zu lassen und die geistige Freiheit zu simulieren. Menschen sind also lediglich Gefangene in einer computergenerierten Umwelt. Auf einer gewissen Abstraktionsebene greifen die Matrix-Filme damit eine Reihe von Fragen auf, die (vielleicht nicht ganz so drastisch, aber annähernd) so auch in der erklärenden kognitiven Wahrnehmungspsychologie gestellt werden: Wieweit sind unsere subjektiven Wahrnehmungseindrücke eine eins-zu-eins-Abbildung unserer äußeren Umwelt? Was von unseren Eindrücken existiert überhaupt in unserer objektiven Umwelt? Wie können wir wissen, was in dieser Umwelt vorhanden oder nicht vorhanden ist? Übertragen auf die Wahrnehmungspsychologie werden wir uns also damit beschäftigen, wie Reizinformationen systematisch durch kognitive Prozesse und deren Mechanismen moduliert werden und somit unsere subjektive Wahrnehmung beeinflussen.
In diesem Kapitel werden wir eine neurophysiologische Perspektive auf die visuelle Wahrnehmung einnehmen. Das bedeutet, wir werden den Weg der visuellen Informationsverarbeitung durch das neurophysiologische System von den Photorezeptoren auf der Retina (Netzhaut der Augen) über die neuronale Weiterleitung bis zur Repräsentation im Kortex (Gehirn) verfolgen. Entsprechend diesem Weg ist die Struktur dieses Kapitels angelegt.
Der Vorgang der visuellen Wahrnehmung beginnt mit der Verarbeitung von Licht in Form von elektromagnetischen Wellen in einem Spektrum von etwa 400 bis 700 Nanometern (nm). Elektromagnetische Wellen im Bereich kürzerer Wellen (z. B. Gamma-Strahlen, Röntgenstrahlen) oder längerer Wellen (z. B. Infrarot-Strahlen, Mikrowellen) können durch das visuelle System nicht verarbeitet werden und sind deshalb nicht sichtbar. Die elektromagnetischen Wellen im sichtbaren Spektrum gelangen durch den Einfall von Licht zunächst über Hornhaut (Cornea), Pupille und Linse in das Auge. Die rückwärtige Schicht des Auges wird von den Photorezeptoren gebildet, die das einfallende Licht in elektrische Potentiale umwandeln (Fototransduktion). Diese Potentiale werden über die vor den Photorezeptoren angelegten Bipolarzellen und über die Axone (Nervenzellenfortsätze zur Weiterleitung von Nervenimpulsen) der Ganglienzellen und über den Sehnerv zum visuellen Kortex geleitet. Jedoch entsprechen die Signale an dieser Stelle der Weiterleitung nicht mehr den ursprünglichen Informationen des im Auge einfallenden Lichts. Zum einen wird Licht durch Brechung in der Linse seitenverkehrt und kopfüber in das Auge und die Retina projiziert, zum anderen fällt Licht nicht ungehindert auf die Photorezeptoren. Das Licht muss zunächst durch die Schicht von Bipolar- und Ganglienzellen hindurch, bevor es von diesen Rezeptoren aufgenommen werden kann (mit Ausnahme der Fovea, s. u.).
Die Rezeptoren auf der Retina unterteilen sich in zwei Typen, die Zapfen und die Stäbchen. Die Zapfen und Stäbchen unterscheiden sich in ihrer Anzahl und Verteilung auf der Retina sowie ihrer Funktion ( Abb. 2.1). Auf der Netzhaut jeden Auges befinden sich ca. fünf bis sieben Millionen Zapfen und ca. 120 Millionen Stäbchen. Zapfen befinden sich in hoher Konzentration an dem Ort der Netzhaut, auf den durch den Blick fixierte Reize in unserer Umwelt projiziert werden. Dieser Ort ist im Auge gegenüber Hornhaut, Pupille und Linse lokalisiert und wird als Fovea bezeichnet. Durch die hohe Dichte von Zapfen ist die Fovea der Ort mit der höchsten Auflösung und dem schärfsten Sehen. Außerhalb der Fovea kommen Zapfen nur noch in sehr geringer Konzentration vor, stattdessen befinden sich dort Stäbchen. Dieser Rezeptortyp ist relativ gleichmäßig über die Peripherie der Retina verteilt (mit nur leichtem Konzentrationsabfall bei zunehmender Entfernung zur Fovea). Neben der Fovea stellt der Blinde Fleck ebenfalls einen Ort mit einer Besonderheit dar. An diesem Ort werden die Axone der Ganglienzellen aus dem Auge zur Weiterverarbeitung über die Sehnerven zum Kortex geleitet und lassen für Rezeptoren keinen Platz. Deshalb befinden sich im Blinden Fleck weder Zapfen noch Stäbchen, in diesem Bereich der Retina werden daher keine visuellen Informationen aufgenommen.
Eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme von Licht und bei der Fototransduktion spielen die Sehpigmente, das sind eingelagerte Sehfarbstoffe in den Stäbchen und Zapfen. Alle Stäbchen enthalten denselben Sehfarbstoff Rhodopsin. Zapfen lassen sich dagegen in drei Typen unterteilen, deren Sehfarbstoffe unterschiedliche Absorptionsmaxima aufweisen. Das bedeutet, dass sie unterschiedliche maximale Sensitivitäten (Empfindlichkeiten) besitzen und somit unterschiedlich empfindlich auf Licht verschiedener Wellenlängen reagieren: Es gibt Zapfentypen mit maximaler Sensitivität für relativ kurzwelliges Licht (~ 420 nm, vergleichbar mit dem Eindruck von blauem Licht), mittelwelliges Licht (~ 530 nm, vergleichbar mit dem Eindruck von grünem Licht) und langwelliges Licht (~ 560 nm, vergleichbar mit dem Eindruck von rotem Licht). Diese drei Zapfentypen und ihr Zusammenwirken ermöglichen normale Farbsichtigkeit und, bezogen auf den Stadionbesuch in unserem Eingangsbeispiel, eine
Abb. 2.1: Verteilung von Zapfen und Stäbchen auf nasalen, fovealen (0-Punkt auf der x-Achse) und temporalen Anteilen der Retina. Im Blinden Fleck sind keine Zapfen und Stäbchen zu finden (aus Kiesel & Spada, 2017, S. 43, Abb. 2-4).
Informationsquelle, um die Fans der beiden Fußballmannschaften zu unterscheiden.
Zapfen sind im Vergleich zu Stäbchen weniger helligkeitsempfindlich und deshalb besonders für die visuelle Wahrnehmung bei Tageslicht verantwortlich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nachtaktive Tiere nur zu einem sehr geringen Anteil Zapfen besitzen. Im Gegensatz zum Sehen bei Tageslicht vermitteln Stäbchen unsere visuelle Wahrnehmung in der Dämmerung und Dunkelheit, da sie bereits auf geringe Lichtintensitäten reagieren. Da Stäbchen aber keine unterschiedlichen Sehfarbstoffe besitzen, ist Sehen in der Dunkelheit vornehmlich farblos. Die unterschiedlichen Helligkeitssensitivitäten von Zapfen und Stäbchen zeigen auch unterschiedliche Konsequenzen bei Übergängen von hellen zu dunklen Umgebungen sowie Übergängen von dunklen zu hellen Umgebungen. Die erstgenannten Übergänge werden als Dunkeladaptation bezeichnet. Zu Beginn dieser Adaptation gibt es Schwierigkeiten, überhaupt irgendetwas zu erkennen. Nach einigen Minuten verbessert sich das Sehen allerdings deutlich. Untersuchungen zeigen, dass sich Zapfen und Stäbchen dabei in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Sensitivität anpassen. Die Zapfen adaptieren relativ schnell, aber diese Adaptation geschieht nur in einem geringen Ausmaß. Stäbchen dagegen passen ihre Sensitivität zwar relativ langsam, aber in einem höheren Ausmaß an. Diese unterschiedlichen Adaptationseigenschaften von Zapfen und Stäbchen ermöglichen ein Sehen in der Dunkelheit, das zunächst durch Zapfen dominiert wird und ab dem Zeitpunkt des nach dem Physiologen Arnt Kohlrausch (1884–1969) benannten Kohlrausch-Knicks farbloses Stäbchensehen ist. Die Übergänge von dunklen zu hellen Umgebungen entsprechen Herrn F.’s Austreten aus den Stadiongängen in das Stadion mit seinen grellen Flutlichtern und Werbedisplays. Dieser Übergang geschieht grundsätzlich schneller als die Dunkeladaptation und ist an seinem Ende vom Zapfensehen und somit vom Farbsehen dominiert.
Den Übergang zwischen der Retina im Auge und der weiterführenden Verarbeitung zu den Sehnerven bilden Axone der insgesamt etwa 1 Million Ganglienzellen. Der Vergleich der großen Anzahl der fünf bis sieben Millionen Zapfen und 120 Millionen Stäbchen mit der relativ geringeren Anzahl der Ganglienzellen macht deutlich, dass nicht jeder Photorezeptor exklusiv auf eine Ganglienzelle verschaltet wird. Es kommt oft zur Verschaltung einer großen Menge von Rezeptorzellen auf eine Ganglienzelle. Das Verhältnis der verschalteten Menge von Photorezeptoren auf Ganglienzellen wird als Konvergenz bezeichnet. So kennzeichnet sich niedrige Konvergenz durch die Verschaltung einer geringen Anzahl von Photorezeptoren auf eine Ganglienzelle. Diese niedrige Konvergenz ist typisch für die Verschaltung mit Zapfen, sie ermöglicht durch ihr erhöhtes Vorkommen in der Fovea eine hohe räumliche Auflösung und ein scharfes Sehen an diesem Ort der Retina. Hohe Konvergenz hingegen kennzeichnet eine Verschaltung einer großen Menge von Photorezeptoren (z. T. einige Hundert Rezeptoren) auf eine Ganglienzelle und ist besonders bei Stäbchen zu finden. Diese Art der Konvergenz ist verantwortlich dafür, dass das Stäbchensehen und damit das Sehen in der Peripherie der Retina weniger hochauflösend ist.
Neben den unterschiedlichen Konvergenzen ist die Forschung daran interessiert, die rezeptiven Felder der Ganglienzellen zu identifizieren. Rezeptive Felder einer Zelle beschreiben den Bereich der Retina, dessen Stimulation zu einer Veränderung der Entladungsfrequenz der Zelle führt (Biederman, 1987; Wendt, 2014). Typischerweise haben rezeptive Felder der Ganglienzellen ein kreisförmiges Zentrum mit einer ebenfalls kreisförmigen Peripherie. Zentrum und Peripherie wirken dabei antagonistisch: Ganglienzellen reagieren in gegensätzlicher Weise auf Lichtstimulation des Zentrums und der Peripherie. Diese Antagonismen zeigen sich auf zwei unterschiedliche Arten: Wie in Abbildung 2.2 dargestellt, erhöhen On-Zentrum-Zellen ihre Entladungsfrequenz, wenn das Zentrum des rezeptiven Felds stimuliert wird; eine Stimulation der Peripherie führt dagegen zu einer Reduktion der Entladungsfrequenz. Im Gegensatz zu den On-Zentrum-Zellen reduzieren Off-Zentrum-Zellen die Entladungsfrequenz, wenn ihr Zentrum stimuliert wird, und sie erhöhen diese Frequenz, wenn die Peripherie stimuliert wird ( Abb. 2.2). Die Entladungsfrequenz einer Ganglienzelle gibt vornehmlich darüber Aufschluss, ob ein Hell-Dunkel-Kontrast zwischen Zentrum und Peripherie besteht. Die Aktivität gegenüber dem Ruhezustand ändert sich dann am deutlichsten, wenn rezeptive Felder auf Grenzbereiche zwischen Flächen (z. B. zwischen Figuren) fallen, da hier eine ungleichmäßige Stimulation von Zentrum und Peripherie vorhanden ist. Im Gegensatz dazu sind Ganglienzellen, die einheitliche Flächen (z. B. einen Hintergrund) repräsentieren, nur wenig aktiv, da ihr gesamtes rezeptives Feld gleichmäßig stark (oder schwach) stimuliert wird.
Nach dem Austritt der Ganglienzellen über die Sehbahnen aus dem Auge gibt es eine Aufteilung dieser Zellen in zwei Richtungen. In Abbildung 2.3 ist zu erkennen, dass Reize in demselben Gesichtsfeld auf unterschiedliche Bereiche im linken und rechten Auge projizieren ( Abb. 2.3). Reize im linken Gesichtsfeld (d. h. links von einem Fixationspunkt) projizieren im linken Auge auf die nasenwärts (nasal) gelegenen Retinabereiche, im rechten Auge auf die äußeren (temporalen) Retinabereiche. Im Gegensatz dazu projizieren Reize im rechten Gesichtsfeld im linken Auge auf die temporalen und im rechten Auge auf die nasalen Retinabereiche. Anteile der Sehnerven der temporalen Retinabereiche verbleiben bei der Weiterverarbeitung in derselben Gehirnhälfte und Anteile der Sehnerven der nasalen Retinabereiche kreuzen auf Höhe der Sehnervkreuzung (Chiasma opticum) in die gegenüberliegende Hirnhälfte. Der Verlauf der Sehbahnen bewirkt vor allem die Weiterleitung der Reizinformationen aus dem rechten Gesichtsfeld in die linke Gehirnhälfte und aus dem linken Gesichtsfeld in die rechte Gehirnhälfte.
Abb. 2.2: (A) On-Zentrum-Zellen und (B) Off-Zentrum-Zellen und ihre Entladungsfrequenzen bei (1) zentraler Stimulation bzw. (2) peripherer Stimulation
Abb. 2.3: Verlauf der Sehbahnen und Projektionen visueller Reize in gegenüberliegende Hirnhälften und in Hirnhälften, die auf derselben Seite wie das aufnehmende Auge liegen (in Anlehnung an Maffei & Fiorentini, 1997, S. 21).
Im weiteren Verlauf enden die Sehnerven im Corpus geniculatum laterale (CGL), einem Teil des Thalamus. Das CGL ist in sechs Schichten mit Verbindungen zu beiden Augen gegliedert, wobei jede einzelne Schicht nur Informationen aus einem Auge erhält. Innerhalb der Schichten gibt es eine retinotope Anordnung: Zellen, die auf Reizung benachbarter Retinabereiche reagieren, liegen auch im CGL nah beieinander und geben so die räumlichen Verhältnisse auf der Retina wider. Außerdem gibt es bei der Repräsentation der Retinabereiche im CGL einen Größenfaktor: Besonders sensitive Bereiche werden in ausgedehnteren Arealen im CGL repräsentiert als Bereiche mit geringerer Sensitivität. So führen foveale Reize zu ausgedehnteren Aktivierungen als Reize, die in der Peripherie der Retina aufgenommen werden. Die besondere Funktion des CGL scheint die Filterung und Selektion eingehender Informationen zu sein. Für diese Annahme spricht, dass die Intensität der Nervenimpulse auf ihrem Weg vom Auge zum visuellen Kortex auf Höhe des CGL deutlich reduziert wird. Außerdem gibt es zahlreiche rückwärtsgerichtete Verbindungen von visuellen Kortexregionen zum CGL, die die Aktivität des CGL stark beeinflussen und potentiell irrelevante Informationen und deren Aktivierungen durch Selektion vor der Weiterverarbeitung filtern.
Die Weiterverarbeitung der visuellen Informationen erfolgt per Weiterleitung der Axone der Zellen des CGL in den primären visuellen Kortex, der im Hinterhauptlappen lokalisiert ist. Der primäre visuelle Kortex besteht aus ca. 200 Millionen Zellen (im Vergleich zu ca. 1 Millionen Ganglienzellen aus dem Auge und ca. 1.5 Millionen Zellen des CGL). Diese Zellen sind unterschiedlich: Es gibt einfache Zellen, komplexe Zellen und hyperkomplexe Zellen.
Einfache Zellen weisen eher längliche rezeptive Felder auf und reagieren (durch ihren Zentrum-Peripherie-Antagonismus) mit besonders hoher Entladungsfrequenz auf die Hell-Dunkel-Kontraste, die eine ganz bestimmte Orientierung haben. Die Entladung nimmt ab, je stärker die Orientierung des Kontrasts von der Zelle präferierten Orientierung abweicht.
Auch komplexe Zellen reagieren präferiert auf Kontraste mit bestimmten Orientierungen. Präferiert werden bewegte Reize in eine bestimmte Richtung. Anders als einfache Zellen ist die Entladungsfrequenz komplexer Zellen unabhängig von bestimmten Bereichen, auf die innerhalb des rezeptiven Feldes projiziert wird. Die rezeptiven Felder komplexer Zellen sind größer als die Felder einfacher Zellen.
Das Verhältnis zu den hyperkomplexen Zellen ist noch größer. Auch sie reagieren bevorzugt auf sich bewegende Kontraste in einer bestimmten Richtung und Orientierung. Aber die Entladungsfrequenz wird reduziert, wenn die Kontraste eine bestimmte Ausdehnung überschreiten.
Für alle einfachen, komplexen und hyperkomplexen Zellen gilt, dass sie bevorzugt auf Stimulationen von nur einem Auge reagieren.
Zwei Eigenschaften des CGL lassen sich auch im primären visuellen Kortex finden: der kortikale Vergrößerungsfaktor und die retinotope Anordnung ( Abb. 2.4). Reizinformationen aus dem Bereich der Fovea nehmen im primären visuellen Kortex einen weitaus größeren Raum ein als Reizinformationen, die aus peripheren Retinabereichen mit vergleichbarer Größe stammen. Die unterschiedlichen Größenverhältnisse zwischen fovealen und peripheren Repräsentationen sind folglich assoziiert mit den unterschiedlichen Auflösungsfähigkeiten der entsprechenden Netzhautverhältnisse. Des Weiteren werden benachbarte Bereiche auf der Retina und ähnliche Orientierungen in benachbarten Arealen und Zellen im primären visuellen Kortex verarbeitet, das ist ein Ausdruck der retinotopen Anordnung im primären visuellen Kortex.
Ab dem primären visuellen Kortex gibt es verschiedene Verarbeitungsströme in andere Kortexareale zur weiteren Verarbeitung visueller Informationen. Vom primären visuellen Kortex ausgehend ist der Informationsfluss nicht nur vorwärtsgerichtet, sondern auch komplex wechselseitig und rückwärtsgerichtet. Ein Beispiel für rückwärtsgerichtete Verarbeitung haben wir schon bei der Verbindung zwischen CGL und dem primären visuellen Kortex gesehen. Ein zusätzliches Merkmal der Weiterverarbeitung von visuellen Informationen, die vom Auge zum primären visuellen Kortex und den anschließenden Kortexarealen erfolgt, ist die Spezialisierung. Für die Weiterverarbeitung ab dem primären visuellen Kortex bedeutet das, dass einzelne Reizdimensionen spezialisiert in bestimmten Kortexarealen verarbeitet werden. So konnte gezeigt werden, dass Ausfälle bestimmter Kortexareale (sogenannte Läsionen) zum Ausfall der Verarbeitung bestimmter Reizmerkmale führt. Beispielsweise können Läsionen in bestimmten Orten des Hinterhauptlappens zum Verlust der Farbwahrnehmung führen. Bildgebende neuropsychologische Verfahren bestätigen diese Beobachtung.
Abb. 2.4: Kortikaler Vergrößerungsfaktor und retinotope Repräsentation im primären visuellen Kortex. Retinale Areale mit größerer Auflösung und fovealer Lage werden in relativ größeren kortikalen Arealen verarbeitet. Außerdem findet die Verarbeitung benachbarter Areale auf der Retina in benachbarten Kortexarealen statt (aus Spada, 2017, S. 38, Abb. 2.10).