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Erstes Buch zu Kombinationstechnologien auf Basis des Spritzgießens
Das Buch stellt neben den bereits bekannten und eingeführten Kombinationstechnologien auch sich in der Entwicklung befindende Innovationen vor.
Problemlöser Kombinationstechnologie
Die steigende Anzahl komplexer Anwendungen im Bereich Spritzgießen lassen sich nicht mehr allein mit den bekannten Sonderverfahren lösen. Mit den Kombinationstechnologien wird das Spritzgießen mit anderen etablierten und bisher eigenständigen Techniken zu einem geschlossenen Inline-Verfahren zusammengeführt. Dadurch lassen sich komplexe Anforderungen aus Kombination gezielter Funktionalitäten unter dem Wegfall von Logistik- und Montageschritten für anspruchsvolle Formteile lösen.
Das Buch ist komplett in Farbe und mit über 290 Bildern leicht verständlich und anschaulich gestaltet. Dazu tragen auch die Videos zu den vorgestellten neuen Prozessverfahren bei.
Gibt Einblick in die Trends und sich daraus ableitender Technologieanforderungen
Die erfahrenen Herausgeber und Autoren ermöglichen den Blick über den Tellerrand hinaus. Der Leser erhält die Möglichkeit, seine eigenen zwei- oder mehrstufigen Produktionsverfahren mit Inline-Verfahren der Kombinationstechnologien wirtschaftlich zu vergleichen und wird somit zur eigenen Kreativität angeregt.
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Seitenzahl: 277
Veröffentlichungsjahr: 2016
Erwin Bürkle Hans Wobbe
Kombinationstechnologien auf Basis des Spritzgießverfahrens
1. Auflage
Die Herausgeber:
Dr.-Ing. Erwin Bürkle, Dr.-Ing. Hans Wobbe Wobbe – Bürkle – Partner, Sarensecker Weg 21, D-29456 Hitzacker (Elbe)
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© 2016 Carl Hanser Verlag Münchenwww.hanser-fachbuch.de
Seitenlayout und Herstellung: Der Buchmacher, Arthur Lenner, München Coverconcept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München Coverbildgestaltung: Florian Petzinka Coverrealisierung: Stephan Rönigk Videobearbeitung und Realisierung: Singer-Media, www.singer-media.com
ISBN 978-3-446-44300-6 E-Book (ePub) ISBN 978-3-446-44921-3 E-Book (PDF) ISBN 978-3-446-44608-3
Verwendete Schriften: SourceSansPro und SourceCodePro (Lizenz) CSS-Version: 1.0.1
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
Geleitwort
Einleitung
1 Impulse und Motivation für die Kombinationstechnologien
2 Definition und Merkmale der Kombinationstechnologie
2.1 Risiken der Verkettung
2.2 Know-how als Möglichkeit oder Last
2.3 Qualität und Qualitätskontrolle
2.4 Raum-/Platzbedarf
2.5 Logistikkosten
2.6 Energiebilanzen
2.7 Anlagenbedienung
2.8 Gesamtkostenbetrachtung
3 Maschinenbauliche Grundlagen für Prozesskombinationen
3.1 Maschinentechnik
3.1.1 Materialaufbereitung von Thermoplasten
3.1.2 Materialaufbereitung von Metallen
3.1.3 Variantenkonstruktion von Aggregatskombinationen der Spritzgießmaschine
3.1.4 Das Kolbenspritzaggregat
3.1.5 Modifikation der Schließeinheit für Kombinationstechnologien
3.2 Werkzeugtechnik und Peripherie
3.2.1 Werkzeugtechnik
3.2.2 Peripherie
3.3 Steuerungsgrundlagen
4 Spritzgießen und Compoundieren
4.1 Grundlagen zum Prozess
4.1.1 Dosieraggregate
4.1.2 Zweischneckenextruder
4.2 Maschinen- und Funktionsbeschreibung eines Spritzgießcompounders
4.3 Vorteile des Verfahrens
4.4 Anwendungsbeispiele
4.4.1 Waschmaschinengewicht
4.4.2 Automobil-Frontend-Montageträger
4.4.3 Kunststoffpaletten
4.5 Abgrenzung der Wettbewerbsverfahren zum Prinzip des Spritzgießcompounders
4.5.1 Direct Compounding Injection Molding (DCIM)
4.5.2 Direktspritzgießen
4.5.3 Abgrenzung der Verfahren zueinander
4.6 Zukunft des Spritzgießcompoundierens
5 Kombinationstechnologie: Spritzgießen und PU-Überfluten
5.1 Grundlagen zum Prozess
5.1.1 Produktionstechnik
5.1.2 Materialauswahl
5.1.3 Designnutzen
5.1.4 Wirtschaftlichkeit
5.2 Maschinenlayout
5.2.1 Mischkopftechnologie
5.2.2 Dosiertechnik
5.2.3 Werkzeugtechnik
5.2.4 Automation und Nachbearbeitung
5.3 Anwendungsbeispiele
5.3.1 Haptische Schicht
5.3.2 Optische Schicht
5.4 Sonderbeispiel "Varysoft" ‒ Softtouch nach Maß
5.4.1 Varysoft 1.0
5.4.2 Varysoft 2.0
6 Kombinationstechnologie: Spritz-Streckblasen
6.1 Das GITBlow-Verfahren
6.1.1 Verfahrensablauf
6.1.2 Verfahrenstechnische Aussagen
6.1.3 Potenzielle Anwendungen
6.2 Das inject2blow-Verfahren
6.2.1 Verfahrensablauf
6.2.2 Maschinentechnik für inject2blow
6.2.3 Verfahrenstechnik
6.2.4 Anwendungen in der Praxis
6.3 Injection(Stretch-) Blow Molding I(S)BM
6.3.1 Verfahrensabläufe im I(S)BM
6.3.2 Maschinentechnik
6.3.3 Verfahrenstechnik
6.3.4 Anwendungen in der Praxis
7 Kombinationstechnologie: PUR-Dichtungsauftrag
7.1 Integriert in die Spritzgießmaschine
7.1.1 Einleitung
7.1.2 Übersicht über die PUR-Verarbeitungsverfahren für Dichtraupen
7.2 Integriert in die Spritzgießzelle
7.2.1 2K-Niederdruckverfahren integriert in die Spritzgießzelle
7.2.2 1K-Verfahren integriert in die Spritzgießzelle
8 Kombinationstechnologie: Spritzgießen und Metalldruckguss
8.1 Materialien
8.1.1 Materialkombinationen und Verbundfestigkeit
8.2 Leiterbahndimensionierung und Möglichkeit der Kontaktierung
8.2.1 Einfluss der Temperierung auf die erzielbare Leiterbahnlänge
8.2.2 Kontaktierbarkeit von metallischen Einlegeteilen
8.2.3 Stromtragfähigkeit: Simulation der Wärmeentwicklung
8.3 Anlagen- und Prozesstechnik für das IMKS
8.3.1 Druckgießaggregat zur Verarbeitung der niedrig schmelzenden Metalllegierung
8.3.2 Beschichtung der Bauelemente
8.3.3 Schutz der flüssigen Metalllegierung
8.3.4 Beschickung des Schmelztiegels
8.3.5 Werkzeugtechnik und Anwendungen
9 Kombinationstechnologie: Spritzgießen (Urformen) und Umformen
9.1 Grundlagen zum Prozess
9.2 Maschinen-Layout
9.3 Anwendungsbeispiele
10 Kombinationstechnologie: Spritzgießen und Innenhochdruckumformen (IHU)
10.1 Grundlagen zum Prozess
10.2 Maschinen-Layout
10.3 Ausblick
11 Kombinationstechnologie: Spritzgießen und Partikelschaum
11.1 Einleitung
11.2 Prozessgrundlagen
11.2.1 Verbund Thermoplastschicht zum Partikelschaum
11.2.2 Das Verfahren des Partikelschäumens
11.2.3 Alternative Energien im Vergleich zum Heißdampf beim konventionellen Partikelschäumen
11.2.4 Kontrolle und Simulation der Füllphase der Schäumkavität
11.3 Potenziale des Kombinationsverfahrens Spritzgießen/Partikelschaum
12 Kombinationstechnologie: Spritzgießen und Resin-Transfer-Molding (Shell-Fiber-Verfahren)
12.1 Einleitung
12.2 Die Idee des Shell-Fiber-Verfahren
12.3 Bauteilfertigung mit faserverstärkten reaktiven Formmassen
12.4 Grundlagen für die Kombinationstechnologie Spritzgießen/RTM
12.5 Darstellung des Verfahrens Spritzgießen/RTM
13 Ausblick
Autorenverzeichnis
Vorwort
Nahezu vier Jahrzehnte begleiten wir als Maschinenbauer die Entwicklung der Kunststoffverarbeitung. Unser Schwerpunkt lag und liegt auf der Entwicklung von Maschinen und Prozessen für die Spritzgießtechnik.
Geprägt wurde diese Zeit neben der reinen Maschinentechnik vordergründig von der Entwicklung zahlreicher Sonderverfahren des Spritzgießens. Die Ansätze dazu entstanden an Hochschul- und Forschungsinstituten, bei den Maschinenbauunternehmen und zum Teil bei den Rohstoffherstellern, immer getrieben durch die steigenden Anforderungen an neue Produkte aus den verschiedensten Branchen - voran der Automobilindustrie.
Im Laufe der Zeit erschöpften sich die Ideen für weitere Verfahrensabwandlungen, und so wurde der Blick geschärft, über Verfahrensgrenzen hinaus nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei entstanden bis heute Kombinationen auf der Basis der Spritzgießtechnik mit Compoundiermaschinen, Polyurethananlagen, Umformverfahren, Metalldruckgießtechnik, Blasformen und Partikelschaumtechnologie.
Im vorliegenden Buch werden (moderne) und innovative Kombinationstechnologien, deren Prozessgrundlagen und Besonderheiten, ihre spezielle Maschinen- und Werkzeugtechnik sowie die Peripherie und Anlagentechnik ausführlich beschrieben. Zudem wird ihr jeweiliges Einsatzgebiet anhand aktueller Anwendungsbeispiele aus der Praxis veranschaulicht. Die Beispiele sollen dem Leser zum einen eine gewisse Sicherheit zur Machbarkeit solcher "komplexer" Prozesse geben, zum anderen aber zu Ideen anregen für zukünftige Anwendungsmöglichkeiten und Potenziale eröffnen für die Herstellbarkeit neuer Produkte.
Am vorliegenden Buch haben renommierte Fachleute aus Wissenschaft und Industrie mitgewirkt. Unser besonderer Dank gilt den Autoren der einzelnen Kapitel und Abschnitte, für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit und die Ausdauer bis zur Entstehung des Werkes sowie Herrn Florian Petzinka für die gekonnte künstlerische Gestaltung des Coverbildes. Wir bedanken uns auch bei den Firmen und Instituten, die uns vielfältiges Bild- und Filmmaterial zur Verfügung gestellt haben. Weiterhin sind die Herausgeber den Mitarbeitern des Carl Hanser Verlages, insbesondere unserer Lektorin Frau Ulrike Wittmann, zu großem Dank verpflichtet, für ihre Hilfsbereitschaft und großzügige Unterstützung bei der Koordination der Arbeiten im Verlag. Ein ganz besonderer Dank geht an Frau Angelika Wobbe, die nicht nur die Fäden zusammenhalten musste, sondern auch für ihr Engagement bei der sorgfältigen Durchsicht und Korrektur der einzelnen Buchkapitel.
Benediktbeuern/Hitzacker im Herbst 2015Erwin BürkleHans Wobbe
Geleitwort
Kein Werkstoff ist so vielfältig wie Kunststoff, kein Verarbeitungsverfahren so wandlungsfähig wie das Spritzgießverfahren. Es ermöglicht die Herstellung geometrisch äußerst komplex geformter, dabei hervorragend maßhaltiger und nachbearbeitungsfreier Kunststoffbauteile mit höchster Produktivität und Reproduzierbarkeit. Der Erfolg der Kunststoffe ist untrennbar mit dem Spritzgießen verbunden. Das Geheimnis des Erfolgs allerdings liegt in der Wandlungsfähigkeit des Verfahrens, die mit dem Wort Prozessintegration beschrieben wird und die Kombination mehrerer, teils artfremder Verarbeitungsschritte zu einem Gesamtprozess beschreibt. Sie ermöglicht die vollautomatisierte Herstellung hochgradig funktionsintegrierter Produkte durch die Integration sehr unterschiedlicher Verfahrensschritte, Werkstoffe und Funktionen. Hierdurch werden Eigenschaften erzeugt, die auf anderem Wege nur mit großem Aufwand oder auch gar nicht erreichbar sind. Kombinationstechnologien sind daher Schlüsseltechnologien zur Erschließung wirtschaftlicher Potenziale, die kein anderes Fertigungsverfahren in der Form bietet. Beispielweise ist der funktionsintegrierte Multi-Materialleichtbau ohne Kombinationstechnologien auf Basis des Spritzgießverfahrens nicht wirtschaftlich darstellbar. Er stellt aber die wesentliche Basis für die dringend erforderliche Gewichtsreduktion im Transportsektor zur Erreichung der Klimaziele dar. Kombinationstechnologien leisten also einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung.
Es ist erfreulich, dass sich mit den Autoren zwei ausgewiesene Experten mit langjähriger Erfahrung auf diesem wichtigen Gebiet die Mühe gemacht haben, diese Vielfalt zusammenzutragen, zu sortieren, zu strukturieren und in einem Buch so aufzubereiten, dass sie dem Leser nachvollziehbar und ihr Anwendungszweck und spezifischer Vorteil, aber auch die jeweiligen technischen und wirtschaftlichen Restriktionen verständlich werden. Damit ist dieses Buch den Studierenden ebenso ein wichtiges Lehrbuch wie dem Entwickler von Prozessen und Produkten ein Nachschlagewerk, der die Chancen der Kombinationstechnologien erfassen und in seinem Unternehmen nutzen möchte. Dass zahlreiche der am Institut für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen erforschte und entwickelte Prozesse im Buch erörtert werden, freut mich in besonderer Weise. Damit leistet das Werk zusätzlich einen substantiellen Beitrag zum Technologietransfer aus der Wissenschaft in die betriebliche Praxis.
Sicher ist es auch im Sinne der Autoren, dieses Buch als Quelle der Inspiration zu nutzen. Wenn es den Leser anregt, neue Varianten und Kombinationen zu entdecken und zu entwickeln, hat das Werk seinen wertvollsten Zweck erfüllt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Entdeckungsreise durch die Welt der Kombinationstechnologien auf Basis der Spritzgießverfahrens.
Aachen im August 2015Christian Hopmann
Einleitung
Erwin Bürkle und Hans Wobbe
Je anspruchsvoller sich Produktdesign und -funktionalität entwickeln, desto komplexer gestalten sich die Prozesse und die Baugruppen der Anlagen, die zur Herstellung dieser Produkte nötig sind. In der Kunststofftechnik wird es dann richtig spannend, wenn Anwender und Verarbeiter auf die Idee kommen, Bauteile mit mehreren Funktionen auszustatten, zugleich aber auf zusätzliche Montageschritte verzichten wollen. Daraus entstehen zunächst "Sonderverfahren", die sich nach einiger Zeit als weitgehend "normale" Verarbeitungsverfahren etablieren. Vielfach kommt die Initiative dazu aus den Märkten ‒ man denke dabei an die Forderung nach Mehrfarbentechnik für die Kfz-Rückleuchtenabdeckung ‒ oder ist durch Trends, wie z. B. dem Leichtbau, geprägt.
Im Laufe der Jahrzehnte sind viele Sonderverfahren entstanden, wie z. B. Hinterspritz-, Fluidinjektions- und Prägetechnik, Schäumen etc., um nur einige zu nennen. Die Sonderverfahren öffnen eine Fülle neuer Möglichkeiten für die Verwendung attraktiver Kunststofflösungen.
Das Spritzgießverfahren ist dabei in besonderer Weise durch Verfahrensvielfalt gekennzeichnet und gehört nach wie vor zu den innovativsten Technologien. Wer dachte, mit den seit den 1980er-Jahren bis heute entwickelten unterschiedlichen Sonderverfahren sei das Potenzial der Verfahrensinnovationen im Bereich Spritzgießen ausgeschöpft, sieht sich getäuscht. Heute geht der Blick über die Verfahrensgrenzen hinaus hin zu Verfahrenskombinationen (Bild 0.1).
Bild 0.1 Lebenszyklus von Verfahren der Spritzgießtechnik, Qualitative Ordnung über der Zeitachse
Einer der führenden Treiber von Innovationen und somit zwangsläufig auch von Veränderungen in den Fertigungstechnologien ist heute die Automobilindustrie. So spielt z. B. bei den Interieur-Designern die Gestaltung der Oberflächen der jeweiligen Baugruppen eine ganz besondere Rolle. Es kommen die unterschiedlichsten Materialien und Werkstoffverbunde sowie Fertigungstechnologien zur Anwendung. Die Oberflächenschichten werden dabei über Kaschiertechniken, Polyurethan-Technologien oder durch Spritzgießverfahren auf die Trägersysteme aufgebracht. Aufgrund der steigenden Anforderungen ist man gezwungen, die bekannten Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen.
Ein solches weiterführendes Verfahren ‒ abgeleitet aus der Zweikomponententechnik des Spritzgießens ‒ wurde in einem Firmenkonsortium entwickelt und erstmals auf der K' 2007 im Betrieb vorgestellt. Bei diesem Verfahren sind das Spritzgießen und das physikalische Schäumen in einer Fertigungszelle zusammengefasst ‒ bekannt geworden unter dem Namen "Dolphin-Verfahren". In einem Wendeplattenwerkzeug wird in der Station 1 ein Träger spritzgegossen und im geschlossenen Werkzeug in der Station 2 wird dieser Träger mit einem gasbeladenen thermoplastischen Elastomer (TPE) überspritzt. Nach einer kurzen Abkühlphase, in der sich an der kalten Werkzeugkavitätenwand eine geschlossene und genarbte Randschicht bildet, wird das Werkzeug in dieser Station kontrolliert um ca. 3 mm geöffnet, sodass das gasbeladene TPE expandieren und eine Schaumschicht bilden kann (Bild 0.2). Dadurch entsteht die gewünschte Soft-Touch-Oberfläche. Dieses Verfahren kann man zwar als Kombination von zwei Sonderverfahren des Spritzgießens bezeichnen, es fällt jedoch noch nicht unter die Definition der Kombinationstechnologien wie in Kapitel 2 festgelegt. Als echtes Kombinationsverfahren kann man dann erst das unter Abschnitt 5.4 ebenfalls ausführlich beschriebenes ähnliches Varysoft-Verfahren bezeichnen.
Bild 0.2 Schichtaufbau beim Dolphin-Verfahren [Bildquelle: BASF]
Sowohl die Komplexität neuer Bauteilkonzepte (z. B. durch erhöhte Funktionsintegration) als auch der Zwang zur Senkung der Herstellkosten (Zykluszeit, Ausschuss), aber auch die Notwendigkeit einer gesicherten reproduzierbaren Bauteilqualität erfordern es, neue Wege zu gehen und über den angestammten Verfahrenshorizont hinaus zu schauen und zu denken.
In der Wertschöpfungskette benachbarte Verfahrenstechnologien werden oft in vorgeschalteten Prozessstufen angewandt, wie z. B. das Spritzgießen eines Bauteilträgers mit dem anschließenden "Veredeln" mittels Polyurethan-Technologie, wobei dann meist aufwendige Zwischenschritte (wie Vorbehandlungen, Fügeverfahren etc.) erforderlich sind. Die Vereinigung zweier unterschiedlicher Verfahren hat auch den Vorteil, dass die anfallende Prozesswärme direkt für den nachfolgenden Verfahrensvorgang genutzt werden kann, was wiederum energetische Vorteile mit sich bringt. Daneben sei auch auf die Reduktion der teils kostenintensiven Logistik hingewiesen.
Aus heutiger Sicht kann man sagen: Die Zukunft der innovativen Spritzgießverfahren gehört eindeutig den Verfahrenskombinationen, aus denen sich möglicherweise das ein oder andere Verfahren als neuer industrieller Fertigungsstandard entwickelt. Wird dann dabei noch die Möglichkeit der Integration eines Sonderverfahrens in die Kombinationstechnologie genutzt, ist das das Salz in der Suppe! Erste Ansätze dazu bieten die Fluidinjektionstechnik, die Prägetechnik oder auch das physikalische Schäumen.
Nicht vergessen darf man allerdings, dass sich die Kombinationstechnologien noch in einem frühen Stadium der Entwicklung befinden und es derzeit keines dieser innovativen Verfahren ‒ bis auf die einzige Ausnahme des Spritzgießcompounders ‒ geschafft hat, sich hin zu einem neuen, industriell verbreiteten Standardfertigungsverfahren zu entwickeln. In der Ethnologie gibt es den Begriff der "Liminalität", der den Schwellenzustand zwischen zwei Entwicklungsstadien, der Phase zwischen "nicht mehr" und "noch nicht" bezeichnet. In Anlehnung an diese Definition könnte man sagen, dass sich die Kombinationstechnologien ziemlich genau dort auf dem Weg zu neuen Fertigungsstandards befinden.
Erwin Bürkle
Sehr oft zwingt der Entwicklungsfortschritt an technologischen oder wirtschaftlichen Brennpunkten zu einem Umdenken in den eingefahrenen Vorgehensweisen. Häufig müssen ganz neue Wege beschritten werden, die ‒ im Gegensatz zum Einsatz neuer Materialien ‒ bisher nie im Fokus standen, beispielsweise Fertigungsmethoden. Auslöser sind in der Regel gesteigerte Bedürfnisse auf dem Markt. So wurden schon Mitte der 90er-Jahre Forderungen in der Gartenmöbelindustrie laut, beim Spritzgießen von Gartenstühlen direkt im Prozess erhöhte Mengen an Calciumcarbonat (CaCO3) beizumischen. Der Grund hierfür lag einerseits in der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften des Bauteils, andererseits in der Reduktion der Herstellkosten. Eine klassische Spritzgießmaschine mit Einschnecken-Plastifiziersystem war mit dieser Aufgabe überfordert. Der hohe Anteil von CaCO3-Pulver konnte nicht homogen in der PP-Schmelze verteilt werden. Es stellte sich die Frage, welche Lösungswege sich hierfür anbieten.
Ein erster Lösungsansatz war der Einsatz eines gleichsinnig drehenden Doppelschneckenextruders, wie er aus der Compoundierindustrie bekannt ist. Dieser hätte einer Spritzgießmaschine vorgeschaltet werden müssen. Aus wirtschaftlicher Sicht wurde dieser Weg aber verworfen. Die ideale Lösung wäre, die Spritzgießmaschine konstruktiv mit einem Doppelschnecken-Plastifizieraggregat auszustatten, also quasi den Doppelschneckencompounder mit der Spritzgießmaschine zu "verheiraten". Die Herausforderung dabei ist, den kontinuierlichen Prozess des Compoundierens mit dem diskontinuierlichen Spritzgießverfahren zu kombinieren. Letztlich wurde dieser Weg verfolgt und in einer Partnerschaft zwischen Maschinenbauern und einem Endanwender eine entsprechende Maschine entwickelt ‒ es entstand der Spritzgießcompounder, auch Injection-Molding-Compounder (IMC) genannt (Bild 1.1).
Bild 1.1 Spritzgießcompounder [Bildquelle: KraussMaffei Technologies GmbH]
Dieses neue Maschinenkonzept wird seitdem am Markt als Produktionsmaschine für unterschiedliche Compoundier-/Spritzgießaufgaben eingesetzt.
Heute setzt der Leichtbaugedanke neue Maßstäbe an die Produktionstechnologien. Dabei kommt insbesondere dem Leichtbau mit Faserverbundwerkstoffen (FVW) ein hoher Stellenwert zu. Besonders die hohe Festigkeit und Steifigkeit bei geringer Masse, die einstellbaren Dämpfungs- und Crasheigenschaften machen die noch junge Werkstoffgruppe der thermoplastischen Faserverbundwerkstoffe für künftige industrielle Anwendungen höchst interessant. Zudem setzt sich aktuell ein starker Bewusstseinswandel durch exogene Effekte durch (CO2-Strafzahlungen, Elektromobilität, Innenstadtverbote mit konventionellem Antrieb etc.), mit welchen ein weiterer Zwang zum Leichtbau ‒ insbesondere im Automobilbereich ‒ verbunden ist.
In diesem Zusammenhang ist eine exponierte Baugruppe aus dem Automobil zu nennen, bei der der konzeptionelle Entwicklungsfortschritt zu einem neuen Technologieansatz für die Herstellung des Bauteils führte. Es handelt sich dabei um die in einer Fahrzeugtür benachbarten Komponenten "Türinnenverkleidung" und "Türmodul". Die Innenverkleidung muss dem Design und der Anmutung Rechnung tragen, während das Türmodul alle Funktionskomponenten einer Tür, wie Fensterheber, Schließeinheit oder beliebige Servomotoren, zu tragen hat. Zum Erreichen der erforderlichen Steifigkeit des Türmoduls musste beim Spritzgießprozess auf die Langfasertechnik (LFT) zurückgegriffen werden (Bild 1.2).
Bild 1.2 Qualitative Darstellung des Einflusses von Faserlänge und Faserarchitektur auf mechanische Bauteileigenschaften [Bildquelle: LANXESS Deutschland GmbH, Bond Laminates]
Bei dem sogenannten integrierten Türmodul des MINI der zweiten Generation [1] wurde nicht nur Blech durch langglasfaserverstärktes PP im Spritzgießverfahren ersetzt, sondern gleichzeitig das Türmodul auch noch partiell mit einem TPO-Dekor hinterspritzt (Bild 1.3).
Bild 1.3 Integriertes Türmodul [Bildquelle: GK Formenbau AG]
Das Ergebnis betraf eine sehr weitgehende Funktionsintegration. Bleibt die Frage, inwiefern solche Entwicklungen dazu beitragen, Gewicht einzusparen. Auf den ersten flüchtigen Blick mag der Eindruck entstehen, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Doch genauer betrachtet erschließen sich zahlreiche Details, die zusammen ein ganzes Bündel an technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen bieten.
Aus fertigungstechnischer Sicht ist die einstufige Herstellung solch komplexer Bauteile ohne Frage ein gewaltiges Plus. Hier stehen sicherlich zwei Effekte an erster Stelle:
die verringerte Zahl der Fertigungsschritte und
die Vorteile der Funktionsintegration.
Mit der Zeit wurden zudem die Wanddicken generell ‒ aber auch die Verstärkungsrippen und die Befestigungsdome ‒ systematisch optimiert, was ebenfalls deutliche Material- und damit Gewichtseinsparungen brachte [2].
Und die Entwicklung geht weiter ‒ es soll noch mehr Gewicht eingespart werden. Aber das Potenzial einer weiteren Wanddickenreduzierung durch Kompaktspritzguss ist ausgeschöpft. Auch die Materialseite einschließlich Kurz- oder Langfaserverstärkung ist ausgereizt. Wie aus den Bildern 1.2 und 1.4 hervorgeht, können höhere mechanische Bauteileigenschaften ‒ hier im Speziellen die Schlagzähigkeit ‒ nur durch Endlosfasersysteme (Gewebe oder Gelege) erreicht werden.
Bild 1.4 Einfluss der Faserlängen auf die mechanischen Eigenschaften, nach J. L. Thomason [3]
Das bedeutet aber, dass das Spritzgießverfahren hier ausscheidet, obwohl es die idealen Voraussetzungen hinsichtlich der möglichen Bauteilkomplexität erfüllt und den wirtschaftlichsten, großserientauglichsten Prozess darstellt.
Die Entwicklung von mit thermoplastischer Matrix konsolidierten Endlosfasergewebestrukturen, auch bekannt als Organoblech, bietet einen neuen Lösungsansatz. Die lasttragenden Bereiche in einem Bauteil werden durch ein dünnwandiges, im Pressverfahren umgeformtes, Organoblechhalbzeug ersetzt. Der so hergestellte Preform wird anschließend in ein Spritzgießwerkzeug eingelegt und die notwendigen Funktionen und Berandungen zum Fertigteil angespritzt. Das heißt, die beiden Prozesse "Umformen" und "Urformen" werden in einem Zweistufenprozess verknüpft (Bild 1.5).
Bild 1.5 Umformen und Umspritzen von Organoblechen
Später wurde die Idee, die beiden Prozesse Umformen und Urformen in einem Einstufenprozess zu kombinieren, in einem BMBF-Projekt (2007 bis 2009) wissenschaftlich erforscht und industriell verifiziert. Seit dieser Zeit wird das neue Kombinationsverfahren in verschiedensten Leichtbau-Anwendungsprojekten eingesetzt.
Doch nun zurück zum Türmodul: Zur weiteren Gewichtsreduzierung des Bauteils wurde aufgrund der neuen Fertigungstechnik das Konstruktionskonzept neu überdacht. Das bisher im LFT-Spritzgießprozess hergestellte Modul wurde dazu verfahrensgerecht neu gestaltet ‒ Organoblech kombiniert mit Spritzguss ‒ und entsprechend hergestellt (Bild 1.6).
Bild 1.6 Neues Türmodulkonzept Organoblech/Spritzguss [Bildquelle: Brose Fahrzeugteile GmbH & Co.]
Gegenüber der ursprünglichen LFT-Spritzgussvariante konnte damit eine weitere Gewichtseinsparung von 350 g pro Modul erreicht werden.
Das erste Beispiel des Spritzgießcompounders war von Material- bzw. Bauteilanforderungen initiiert, für die es kein wirtschaftliches Fertigungsverfahren gab. Mit der daraus entwickelten Maschine war es dann möglich, im Urformverfahren marktgerechte Artikel zu produzieren.
Die Vorteile dieser ersten Kombinationstechnologie, die materialschonende Aufbereitung verstärkter und/oder hochgefüllter Thermoplaste in einer Wärme, war dann der grundlegende technologische Bruch zu Fertigungsverfahren für entsprechende Bauteile des zweiten Beispiels. Die weitere Dimension der Kombinationstechnologien erschließt sich jedoch erst durch das Verständnis der Prozess- und Verfahrensentwickler, den Gedanken des Urformens als logischen Weg zur wirtschaftlichen Produktion zu begreifen.
Damit ist dann auch die Motivation zu der Kombination z. B. des Metalldruckgießens mit dem Spritzgießen nicht mehr fern, ebenso wie die Verknüpfung von Verarbeitungsverfahren thermoplastischer Matrixsysteme im Zusammenhang mit den harzbasierten oder vernetzenden Systemen.
Leitgedanke bei der Entwicklung zukünftiger Fertigungsverfahren sollte daher sein, verfahrensübergreifend zu denken, die Vorteile der bekannten infrage kommenden Verfahren zu betrachten bzw. zu vergleichen und die technische Machbarkeit einer eventuellen neuen Kombinationstechnik zu prüfen, ohne dabei den Blick auf deren Wirtschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren.
Literatur:
[1] Rottig, H.-J.:Der Schritt von der Innenverkleidung zum Türmodul. Kunststoffe. 2006, 10, S. 113 bis 116.
[2] Bürkle, E. und Kaufmann, G.: Türöffner für Leichtbau und Verfahrensintegration. Kunststoffe. 2013, 8, S. 64 bis 68.
[3] Thomason, J. L.: The influence of fibre length and concentration on the properties of glass fibre reinforced polypropylene: 5. Injection molded long and short fibre PP, in:Composites, Part A: Applied science and ManufacturingA 33 (2002), S. 1641‒1652.
Hans Wobbe
Der Begriff Kombinationstechnologie in sich gibt eigentlich schon seine Definition wieder, in gewisser Weise ist dies jedoch zu präzisieren: Ausgehend vom klassischen Spritzgießverfahren, dem Kompaktspritzgießen von Kunststoffbauteilen, leitet sich der Begriff "Standardspritzgießen" ab. Aufbauend darauf entwickelten sich die vielen "Spritzgießsonderverfahren", wie das Schaumspritzgießen, die Hinterspritztechnik, die Gasinjektionstechnik oder auch die Mehrkomponententechnologie. Davon abgrenzend definieren sich die Kombinationstechnologien auf Basis des Spritzgießverfahrens als:
Die Kombination mindestens zweier in sich eigenständiger etablierter Technologien zu einem In-Line-Verfahren.
Es geht also bei den Kombinationstechnologien immer darum, mindestens eine Halbzeugstufe in die gesamte Wertschöpfungskette der Produktherstellung zu integrieren, woraus sich ein erheblicher Vorteil ergibt. Dabei ist die Fokussierung auf Herstellkosten jedoch nur ein Teil der Betrachtung, ein oft noch wichtigeres Ergebnis liegt in der Tatsache, mit der Kombinationstechnologie ein Verfahren zu haben, welches die Fertigung des Bauteils in der geforderten Qualität überhaupt erst ermöglicht, wie die folgenden Beiträge ab Kapitel 4 mit der jeweiligen Technologiebeschreibung eindrucksvoll zeigen.
2.1 Risiken der VerkettungEs ist zwar trivial, dennoch muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit einer verketteten Anlage ‒ und um eine solche handelt es sich bei der Kombinationstechnologie ‒ im Vergleich zur Einzeltechnologie ansteigt. Liegt die Ausfallwahrscheinlichkeit bei der separat betriebenen Technologie z. B. bei je 5 %, so beträgt die Ausfallwahrscheinlichkeit der sich aus diesen zwei Anlagen zusammengesetzten Kombinationstechnologie bereits 9,75 %. Die daraus hervorgehende theoretische Maschinenlaufzeit muss zumindest in den Maschinenstundensätzen für die Artikelkostenkalkulation berücksichtigt werden.
Die Maschinenausfallwahrscheinlichkeit, oder besser die Zuverlässigkeit einer Anlage, ist in ihren Begriffen in einer Norm (DIN 40 041) festgelegt. Dabei geht es bei der Maschinenzuverlässigkeit als Teil der Qualität einer Maschine jedoch immer um Störungen aufgrund fehlender, unvollständiger oder mangelhafter Erfüllung der geforderten Funktion. Dies bezieht sich allein auf die Maschine oder Anlage, nicht jedoch auf den gesamten Produktionsprozess. Insbesondere ist diese Aussage bedeutend, vergleicht man ein Bauteil, welches mittels einer Kombinationstechnologie produziert wurde, mit einem Bauteil, das mit zwei entsprechend nicht verketteten Einzeltechnologien hergestellt worden ist.
Die Zuverlässigkeit der Kombinationstechnologie ist, wie eingangs erwähnt, geringer als die jeweilige Zuverlässigkeit der Einzeltechnologien. Die Betrachtung relativiert sich aber, nimmt man fairerweise die zwischen den beiden Einzeltechnologien nötige Produktionslogistik mit in die Gesamtbetrachtung auf. Die durch Transport, Verpacken, Lagern und Kommissionieren möglichen Fehlerquellen können hoch sein und vor allem kommt hierbei die Fehlerquelle Mensch vermehrt ins Spiel.
2.2 Know-how als Möglichkeit oder LastDie Komplexität einer Kombinationstechnologie, verglichen mit den basierenden Einzeltechnologien, nimmt in jeder technischen Hinsicht zu. Einerseits geht es hier um die Entwicklung der neuen Anlage sowie der damit im Zusammenhang stehenden verknüpften Einzelprozesse, die dann in eine bedienerfreundliche Steuerung für die Gesamtanlage umzusetzen sind. Andererseits erfordert der anschließende Betrieb der Anlage intensives Wissen der Bediener. Und auch die Produktentwickler vonseiten der Anwender sind angehalten sich mit den neuen Möglichkeiten und Chancen der Kombinationstechnologie eingehend zu beschäftigen, um so den Nutzen der neuen Produktionstechnologie für die Entwicklung innovativer Kunststoffartikel einzusetzen.
Bei der Frage, ob man sich für eine Kombinationstechnologie entscheiden soll, wirken allein die daraus ersichtlichen neuen Prozesse, die es aufseiten der Anwender zu etablieren gilt, auf den ersten Blick häufig abschreckend. Daneben steht dann auch noch der Zeit- und Kostenaufwand für zusätzliche Schulungen der involvierten Mitarbeiter.
Die schwierigste Entscheidung aus Sicht eines Spritzgießbetriebes, der sich bis dato auf der Materialseite allein mit der kunststofftypischen Beschaffung von polymeren Compounds, Masterbatches, Additiven oder Recyclat beschäftigt hat, beruht immer auf der unbekannten neuen Materialkomponente. Sei es nun die Qualitätssicherung der eigenen Rezeptur des auf einem Spritzgießcompounder produzierten Kunststoffartikels, oder auch der Umgang mit dem vorher unbekannten PU-Systemen oder gar der Einsatz von niedrigschmelzenden Metalllegierungen im IMKS-Verfahren (Integriertes Metall-Kunststoff-Spritzgießen) ‒ alles ist neu und wird oft mit großer Skepsis betrachtet. Dies führt dann häufig zur schnellen Ablehnung, unter dem immer präsenten Stichwort des zu hohen "Technikrisikos". Das ist dann das "Aus" für die Einführung der innovativen Kombinationstechnologie, aber auch die große Chance ist vertan!
Denn Chancen sind in den Kombinationstechnologien vielfach vorhanden: Einerseits wird die Möglichkeit überhaupt erst geboten, Bauteile aus Materialien herzustellen oder zu kombinieren, die ohne die neue Technik nicht zu produzieren gewesen wären. Als Beispiel möge die Herstellung von Frontendträgern im Automobil dienen, die auf einem Spritzgießcompounder produziert werden, mit langlasfasergefülltem PP, oder PU-überflutete Dekorbauteile für den Fahrzeuginnenraum, die dadurch eine brillante Tiefenwirkung aufzeigen, die anders gar nicht herstellbar gewesen wäre.
Andererseits ergeben sich auf der Materialseite unendliche Chancen zum Aufbau von eigenem Wissen oder gar eigenen Rezepturen, welches einen schwierig aufzuholenden Vorteil zum Wettbewerb ausmacht oder diesen gar ausschließt! Ein gutes Beispiel ist der Spritzgießcompounder, der basierend auf einem eigenen Rezepturaufbau den Einkauf von Compounds beim Compoundeur überflüssig macht, da nur noch die Rohstoffkomponenten zu beschaffen sind. Damit bleibt das Rezepturwissen im eigenen Unternehmen, und kein Mitbewerber kann sich das gleiche Material beim Compoundeur beschaffen. Eine Kopie der Materialzusammensetzung wird damit fast unmöglich.
2.3 Qualität und QualitätskontrolleEntscheidet sich nun ein Unternehmen für ein Verfahren mit Kombinationstechnologie, so muss es sich unweigerlich eingehend mit dem Themenkomplex der Qualitätssicherung beschäftigen. Dabei ist es nicht allein damit getan, Wissensträger der neuen Teiltechnologie ins Unternehmen zu holen oder geeignete Mitarbeiter aus dem Unternehmen auszubilden. Es gilt auch die geeigneten neuen oder modifizierten Prozesse auszuarbeiten und neben den bereits etablierten Wegen zu implementieren. Dabei kommt dem Bereich der Qualitätssicherung innerhalb der Wareneingangskontrolle bereits die erste entscheidende Rolle zu. Da es hier ja nun um den Spritzgießer geht, der in der Regel auf den Bereich der Thermoplaste fixiert ist, ist die Materialeingangskontrolle zwecks Qualitätssicherung der neuen Rohstoffpalette zu erweitern. Die dazu nötige Ausstattung kann einen erheblichen Umfang annehmen, nicht allein zur Eingangsprüfung der Materialdaten, sondern auch zur nachhaltigen und umfassenden Dokumentation für spätere Nachweise. Auch Vorgaben von Kunden können hier eine wichtige Rolle spielen.
Die den Produktionsprozess begleitende Qualitätssicherung kann in der Regel mittels der Maschinensteuerung voll automatisiert dokumentiert werden. Wie auch im reinen Spritzgießbetrieb können Anfahr- und Ausschussweichen montiert werden, sodass hier ein mannloser Betrieb möglich ist. Dabei kommt dann auch ein entscheidender Vorteil der Kombinationstechnologien zum Tragen: Durch den Wegfall von Halbzeugstufen sowie der damit in Verbindung stehenden Reduktion von Logistikschritten verbessert sich die Qualität des Endproduktes erheblich. Ein schönes Beispiel ist hierbei der Vergleich der Lackierung von spritzgegossenen Kunststoffteilen in konventionellen Lackieranlagen mit Bauteilen, die in einer Kombinationsanlage aus Spritzgießmaschine mit integrierter PU-Technik hergestellt wurden. Die Ausschussraten der konventionellen Produktion liegen oft bei bis zu 30 %, hingegen bei der genannten Kombinationstechnologie ‒ bei den durch Überfluten im geschlossenen Werkzeug hergestellten PU lackierten Bauteilen ‒ erlebt man eher Ausschussraten von 1 bis 2 %.
2.4 Raum-/PlatzbedarfEines der großen Vorteile der Kombinationstechnologien ist die Kompaktheit der Gesamtanlage. Dies wird natürlich erst durch eine durchdachte Integration der unterschiedlichen Technologien miteinander und teilweise durch Doppelnutzung von Baukomponenten erreicht. Nehmen wir das Beispiel der Integration des Innenhochdruckumformens (IHU) in den Spritzgießprozess, so lassen sich die Funktionen der Presse in die Schließeinheit der Spritzgießmaschine verlagern. Die Maschinenhydraulik kann teilweise doppelt genutzt werden, die Steuerung lässt sich auf diesen Spezialfall erweitern, und auch das Werkzeug muss nur einmal gebaut werden, allerdings unter Zunahme der Komplexität.
Wie bereits aus dieser Aufzählung hervorgeht, spielt auch der Wegfall von Schritten der Produktionslogistik eine zusätzlich große Rolle. Bleiben wir beim Beispiel IHU, fällt natürlich der gesamte innerbetriebliche Transport der umgeformten Halbzeuge zur Spritzgießmaschine fort, ebenso wie ein immer vorhandenes Zwischenlager. Auch ‒ oder gerade hierdurch ‒ vermindert sich der nötige Platzbedarf erheblich. Zurück zum Vergleich der Kombinationstechnologie. Bei "Spritzgießen und PU-Überfluten" mit dem konventionellen Weg der Schleusung der Spritzgießbauteile durch eine separate Lackieranlage reduziert sich bei diesem Beispiel der Platzbedarf um bis zu 95 %!
2.5 LogistikkostenWie das Beispiel des vorherigen Kapitels drastisch zeigt, sind die Logistikkosten eines der dominanten Themen im Bereich der Analyse zur Einführung von Kombinationstechnologien. Gerade dieser Teil der Arbeiten, die zu den "nicht wertschöpfenden Tätigkeiten" zu zählen sind, wie Verpacken, Lagern, Transportieren, Kommissionieren, Einlagern und Auslagern, gilt es zu reduzieren bzw. gar zu eliminieren. Denkt man da an Hochregallager, die aufgrund der Lagersteuerung sowie der Schnelligkeit der Teilebereitstellung oft kleine Hightech-Fabriken sind, können hier erhebliche Kostenreduzierungen erreicht werden. Aber auch die Flotten von Flurförderfahrzeugen, durch die manche Fahrwege in den Fabriken zu Gefahrenzonen werden, sind ein nicht unerheblicher Kosten- und Risikofaktor.
Nicht verschwiegen werden soll auch der Einfluss von Qualitätsfehlern innerhalb der Logistikkette. Da wir es hier immer mit dem Menschen zu tun haben, führen Falschlieferungen zu Problemen im Endprodukt, ebenso kommt es zur Beschädigung von Teilen oder Komponenten auf dem Transportweg oder zu Falschverpackungen. Dieser sensible Bereich wird jedoch oft nicht betrachtet, da dazugehörige Statistiken fast ausschließlich rein personenbezogen auswertbar sind, was gar nicht erlaubt wird.
2.6 EnergiebilanzenDie Energiebilanz ist beim Vergleich der Kombinationstechnologie mit dem konventionellen Weg über die Einzeltechnologien natürlich immer positiv und spricht für die Kombinationstechnologie. Ein herausragendes Beispiel ist hier wieder der Spritzgießcompounder (vgl. hierzu auch ausführlich Kapitel 4). Allein durch die Tatsache, dass das Material immer in nur einer Wärme aufbereitet wird, und nicht zweimal aufzuschmelzen ist, führt grob zur Halbierung der Energiekosten. Für den Spritzgießer als Endanwender zahlt sich das natürlich "nur" in reduzierten Materialkosten aus, da ja der Zukauf vom Compoundeur wegfällt. Aber der volkswirtschaftliche Nutzen liegt auf der Hand.
Prinzipiell erschöpft sich die Einsparung von Energie nicht nur auf die Reduktion von elektrischem Strom zum Aufschmelzen der Kunststoffe. Vielfach werden Bewegungsabläufe, z. B. der Schließeinheit, mehrfach genutzt, oder die Restwärme einer Zwischenstufe wird innerhalb des Gesamtprozesses als Wärmeeintrag für die nachfolgende Prozessstufe genutzt.
Auch die Zwischenkühlungen entfallen und tragen somit ihren Teil zur positiven Energiebilanz bei, ebenso wie die im vorherigen Kapitel diskutierten reduzierten Logistikschritte als auch der geringere Platzbedarf (Heizung, Klimatisierung).
2.7 AnlagenbedienungDie Anlagenbedienung erfordert ‒ wie schon unter Abschnitt 2.2. angesprochen ‒ ein zusätzliches Wissen im Vergleich zum üblichen Maschinenbediener einer Kunststoffspritzerei. Dies ist in der Regel nicht aufgrund der Bedienung der Anlage erforderlich, sondern es ist ein zusätzliches Prozess- und Materialwissen notwendig. Es ist Aufgabe des Maschinenbauers, den Betrieb der Anlage über die Maschinensteuerung bedienerfreundlich zu gestalten. Auch hat dieser für eine wartungsfreundliche Konstruktion zu sorgen und den Rüstvorgang maschinenbaulich optimal zu unterstützen.
Die Kombinationstechnologie erfordert einen Bediener, der die Gesamtzusammenhänge aller Prozess- und Bearbeitungsschritte der involvierten Technologien verstanden und verinnerlicht hat. Nur so wird es möglich, permanent in kleinen Optimierungsschritten weitere Produktivität zu erzielen. Auch die Qualität der Endprodukte lässt sich nur über diesen Weg optimieren.
Als Fazit lässt sich feststellen, dass der Betrieb einer komplexen Technologie, wie es die Kombinationstechnologien auf Basis des Spritzgießverfahrens sind, gut ausgebildetes und geschultes Personal erfordert!
2.8 GesamtkostenbetrachtungQuasi als Zusammenfassung des Kapitel 2 kann die Gesamtkostenbetrachtung gesehen werden. Viele Ingenieure hören es ja meist nicht gern, aber auch jede noch so interessante Technik lässt sich auf Geld ‒ also auf ihre Kosten ‒ reduzieren. Nur bei einer positiven Amortisationsberechnung macht die Markteinführung einer neuen Technologie einen Sinn. Die unter den Abschnitten 2.1. bis 2.7. argumentierten Randbedingungen müssen daher Grundlage einer jeden Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Kaufleute des Unternehmens sein, bevor z. B. eine Kombinationstechnologie im Werk eingesetzt wird.
Dies ist jedoch eine nicht einfach lösbare Aufgabe, da die klassischen direkten Produktionskosten, wie Material und Fertigungslöhne, einen immer kleineren Anteil einnehmen und die indirekten Kosten, die meist kurzfristig einen fixen Kostenblock darstellen, keinen direkten Bezug zur jeweiligen Produktionsmenge darstellen. Das heißt, um eine aussagekräftige Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu erstellen, bedarf es der Untersuchung der Produkt- und der Prozesskosten, was in vielen Unternehmen Schwierigkeiten in der Datenerfassung sowie der anschließenden Darstellung bereitet. Wer hierbei im Bereich der Prozesskosten jedoch nicht umfassend und analytisch sorgfältig vorgeht, vergibt schnell die möglichen Vorteile der Kombinationstechnologie, deren größte Potenziale gerade in diesem Bereich liegen.
Bei den wenigsten Unternehmen ist die Kostenrechnung nach Prozesskosten strukturiert. Die Daten können dann lediglich aus Zielen für die indirekten Kostenstellen abgeschätzt werden, was aber in der Regel zu guten und aussagekräftigen Werten führt. Auf dieser Grundlage ist dann ein Wirtschaftlichkeitsvergleich der tradierten Technik ‒ bestehend aus den Einzeltechniken und ihrer logistischen Verbindung ‒ mit der Kombinationstechnologie möglich und ergibt eine aussagekräftige Entscheidungsgrundlage.
Hans Wobbe
Durch die Kombination zweier Verfahren, die auf unterschiedlicher Maschinentechnik beruhen, kommt es zwangsläufig zu konstruktiven Änderungen in meist mehreren Hauptbaugruppen der Standardspritzgießmaschine, die dann modifiziert als Kombinationstechnologie im Inline-Verfahren produziert. Da es sich bei der Kombinationstechnologie jeweils um eine Anlage handelt, bei der zum großen Teil Verfahrensschritte im Werkzeugbereich ablaufen, wird neben den bekannten verfahrenstechnisch relevanten Hauptbaugruppen der Spritzgießmaschine ebenfalls das Werkzeug als Hauptbaugruppe gezählt. Als zusätzliche Hauptbaugruppe sehen wir daneben die Peripherie mit der Untergruppe des Handling.
Je nach betrachteter Kombinationstechnologie sind die entsprechenden Hauptbaugruppen in ihrer konstruktiven Ausgestaltung zu verändern. Dabei ist natürlich eine der Hauptbaugruppen immer betroffen. Es ist die Anlagensteuerung, die daher auch als gesonderter Abschnitt 3.3 ausführlich in den grundlegenden Anforderungen beschrieben wird.
Mit Blick auf das Bild 3.1 sind noch einmal in anschaulicher Weise die Hauptbaugruppen hergeleitet, wobei der Bereich "Maschine" für unsere weiteren Betrachtungen in Schließeinheit, Plastifizierung und Steuerung aufzuteilen ist. In den folgenden Unterkapiteln werden die maschinenbaulichen Grundlagen detailliert beschrieben, mit Ausnahme des Bereiches "Umgebung". Die Produktionsumgebung ist zu unterscheiden in eine normale Spritzgießfertigung sowie in technische Reinräume oder auch pharmazeutische Reinräume mit ihrer Forderung nach keimarmer Umgebung. Wer sich hierfür speziell interessiert, sollte sich in der entsprechenden Fachliteratur [1] [2] informieren.
Bild 3.1 Das Produkt bestimmt Fertigungstechnik und Umgebung
Eine generelle Übersicht über diejenigen Bereiche der Spritzgießmaschine, an denen sich aufgrund der Integration des weiteren Verfahrens zur Kombinationstechnologieanlage Konstruktionsänderungen ergeben, zeigt die Bildübersicht 3.2.
Bild 3.2 Betroffene Hauptbaugruppen