Kommissar Platow, Band 9: Geschändet am Frankfurter Kreuz - Martin Olden - E-Book

Kommissar Platow, Band 9: Geschändet am Frankfurter Kreuz E-Book

Martin Olden

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Beschreibung

Sie benutzten den Daumen als Ticket und fuhren in den Tod. Die Mordserie an jungen Anhalterinnen gehörte zu den brutalsten Verbrechen, mit denen ich es in meiner Laufbahn zu tun bekam. Der April `77 blieb mir noch aus einem anderen Grund in Erinnerung. Generalbundesanwalt Buback wurde von der RAF ermordet. Hatte meine Ex-Verlobte Petra Helm den Finger am Abzug? Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"

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Die Kommissar Platow-Serie

Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine ExVerlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …

Band 9: Geschändet am Frankfurter Kreuz

Sie benutzten den Daumen als Ticket und fuhren in den Tod. Die Mordserie an jungen Anhalterinnen gehörte zu den brutalsten Verbrechen, mit denen ich es in meiner Laufbahn zu tun bekam. Der April `77 blieb mir noch aus einem anderen Grund in Erinnerung. Generalbundesanwalt Buback wurde von der RAF ermordet. Hatte meine Ex-Verlobte Petra Helm den Finger am Abzug?

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.

Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.

Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“.

(Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)

Copyright © 2017 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-946413-67-7

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Bildrechte Cover: © Olaf Tischer

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oder

www.mainebook.de

Martin Olden

Kommissar Platow

Band 9:Geschändet am Frankfurter Kreuz

Krimi-Serie aus den 70er Jahren

Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahrenBegebenheiten und tatsächlichen Fällen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

München – Freitag, 17. Dezember 1976

Sie räkelte sich auf der Drehscheibe. Splitternackt. Das Rotlicht zeichnete Schatten auf die Hügel und Täler ihres jungen Körpers. In gespielter Lüsternheit griff sich die Stripperin in den Schritt und rieb über das lockige Dreieck zwischen den gespreizten Schenkeln. Eine Aufforderung an die Zuschauer, es ihr gleichzutun. Hubert Haller trat so nahe an das Guckfenster seiner Kabine, dass er mit der Nase das Glas berührte. Das Girl war ganz nach seinem Geschmack. Vollbusig und nicht zu schmal in den Hüften. Die Afro-Perücke ließ sie wie einen Rauschgoldengel wirken, der dem Himmel entsagt und sich der Sünde verschrieben hatte. Haller leckte über seine Lippen, wobei die Zungenspitze gleichzeitig ein paar zu lang geratener Schnurrbarthaare anfeuchtete. Jetzt streckte sie ihm den prallen Hintern entgegen, beugte sich vor und … verdammt! Dem Spanner wurde schwarz vor Augen. Die Sichtblende des Fensters war zugeschnappt. Ein Grunzlaut entfuhr ihm. Wenn er die laszive Lady weiter beobachten wollte, musste er Kleingeld nachwerfen. Eine Mark für eine Minute. In der Tasche des Jacketts, das er an einen Kleiderhaken gehängt hatte, fingerte er nach Münzen. Schweiß perlte von seiner Glatze. Die Ein-Mann-Kabine wurde rasch zur Sauna. Vor dem verschlossenen Schwitzkasten liefen andere Schaulustige auf und ab und fragten sich, wann sie an die Reihe kämen. Hubert Haller kümmerte es nicht, dass sich Dauergaffer wie er unbeliebt machten. Wer es eilig hatte, konnte ja eine der übrigen zwanzig Boxen benutzen, die kreisförmig um das Podest standen, auf dem sich die Nackte drehte wie die Figur einer Spieluhr. Seit Kurzem war Europas erste Peep-Show im Münchener Bahnhofsviertel geöffnet. Rotlicht-Boss Walter Staudinger, der sogenannte „Pate von München“, hatte die Idee aus New York importiert. Die Genehmigung der Stadtverwaltung war ihm erteilt worden, weil er vorgeschwindelt hatte, eine Bühne für Aktmodelle und mittellose Maler aufbauen zu wollen. Das Geschäft ging glänzend. Die Voyeure standen vom Eröffnungstag an Schlange in der Bayerstraße. Heiße Mädchen, die sich wie im Porno-Film präsentierten, zum Greifen nahe – das lockte Männer an wie Honig die Fliegen. Besonders in den Tagen vor Weihnachten, da gezwungenes Beisammensein mit der Familie ins Haus stand, nutzten die Herren noch einmal die Möglichkeit, Druck abzulassen. Die Peep-Show bot sauberen Sex. Für die strippenden Girls, weil sie mit keinem Freier in Berührung kommen mussten, und für die Kunden – denn die Kabinenwände bestanden aus abwaschbarem Kunststoff. Hubert Haller gehörte nicht zu der Sorte, die Flecken hinterließ. Er versagte sich ein Happy End. Die Fleischbeschau diente ihm lediglich als Appetitanreger. Speisen würde er an einem anderen Ort. Er genoss den Anblick des hüllenlosen Leibes noch eine Weile, ehe er ins Freie trat, um zehn Mark ärmer, doch um aufpeitschende Bilder im Kopf bereichert. Von Fantasien eingehüllt schlenderte Haller über das abendlich beleuchtete Trottoir, ohne den eisigen Dezemberwind wahrzunehmen. Ein schmutziger Vers kam ihm in den Sinn. „Fotzen lecken, das muss schmecken!“, flüsterte er und kicherte.

Zwei Polizisten auf Streife kreuzten seinen Weg. Hubert, von Freunden „Hubsi“ genannt, tippte zum Gruß an seinen Bowler-Hut und schlug die Augen nieder. Die Blicke der Beamten erinnerten ihn an seine Mutter. Sie hatte gewisse Neigungen ihres Sohnes mit dem Teppichklopfer austreiben wollen. Ja, ihr Geist war willig gewesen, aber sein Fleisch stärker. Pech für die alte Hexe, dachte Hubsi. Keine hundert Meter entfernt sah er die nächsten Uniformierten über die Bayerstraße laufen. Herrgott, heute wimmelte München geradezu von Bullen! Die Stadt war noch immer in Aufruhr wegen der Oetker-Geschichte. Gestern hatte ein unbekannter Entführer den Unternehmersohn Richard Oetker nach zweitägiger Geiselhaft freigelassen und war am Stachus mit der Lösegeldsumme von 21 Millionen Mark getürmt. Ob Oetker die erlittenen Torturen überleben würde, stand nicht fest. Durch Stromstöße und das enge Liegen in einer Holzkiste hatte er Lungenschäden davongetragen. Die Fahndung nach dem Kidnapper lief auf Hochtouren. Auch gegen Peep-Show-König Staudinger wurde ermittelt. Umso vorsichtiger musste Hubsi sein. Er war für die Behörden kein unbeschriebenes Blatt. Wo konnte er sich ungestraft austoben? Schräg gegenüber, in der Zweigstraße, lockte die Neonreklame eines bekannten Bordells. Im Leierkasten gab es eine bunte Auswahl an Damen. Geld spielte für Hubsi Haller keine Rolle. Seine Mutter hatte ihm ausreichend Kapital hinterlassen. Für Bedürfnisse jenseits des gewöhnlichen Rein-Raus-Spielchens war der Puff jedoch ungeeignet. Darum lenkte Hubsi seine Schritte zurück zum Hauptbahnhof, wo er den 180er Ponton-Benz geparkt hatte. Vielleicht ließe sich auf dem Heimweg nach Frankfurt ein Christkind zwecks extravaganter Bescherung auflesen …

2

Frankfurt – in derselben Nacht

„Darf ich Sie nach Hause bringen, junge Dame?“

Sie sah zu ihm auf und lächelte. „Glauben Sie, ich finde den Weg nicht?“

Hübsch und nicht auf den Mund gefallen. Eine reizvolle Mischung. Er ließ nicht locker. „Ich bin überzeugt, dass Sie wissen, wo`s langgeht. Trotzdem sollten Sie um diese Zeit nicht alleine unterwegs sein. Es treibt sich allerhand Gesindel auf den Straßen herum.“

„Vor dem ausgerechnet Sie mich beschützen wollen?“

Er straffte die Schultern. „Natürlich. Immerhin bin ich Judoka und habe einen braunen Gürtel.“

„Was Sie nicht sagen! Und ich habe schon im Kindergarten vorlaute Jungs verprügelt – ganz ohne Gürtel.“ Sie lachte hell.

„In Ihrem schönen Tanzkleid dürfte Ihnen das aber schwer fallen.“

„Kleider kann man zur Not ausziehen.“

„Darüber sollten wir uns näher unterhalten.“

„Übers Ausziehen?“ Ihre Augen leuchteten wie ein Sommerhimmel. Er spürte ein Kribbeln im Magen – und in tieferen Regionen.

„Nein, über Kleider. Meine Mutter könnte Ihnen ein Modell für den Abschlussball nähen. Sie arbeitet gelegentlich als Schneiderin in Bornheim.“

„In Bornheim? Wo?“

„In unserer Wohnung, Luxemburgerallee 45.“

„Na, so ein Zufall. Meine Eltern und ich wohnen in der Habsburgerallee, keine zehn Minuten entfernt.“

„Donnerwetter, dann sind wir ja Nachbarn! Ein Grund mehr, miteinander zu gehen … wo wir doch denselben Weg haben.“ Er bot ihr seinen Arm an und das Mädchen hakte sich bei ihm ein.

„Wie war nochmal Ihr Name?“, fragte sie.

„Joachim Platow. Meine Freunde nennen mich Joe.“ Eine herbstliche Windböe zerzauste sein schwarzes Haar.

„Joe? Klingt verwegen. Gefällt mir. Ich heiße Petra Helm.“ Plaudernd liefen sie die Bockenheimer Landstraße entlang. Unvermittelt trat ihnen ein hagerer Mann entgegen. Joachim kannte seinen Namen. Er hieß Seewald. „Hab ich euch!“ Seine Hand fuhr unter die senfgelbe Anzugjacke.

„Vorsicht, Petra! Lauf weg!“ Joachims Ruf kam zu spät. Seewald hatte seinen Revolver schon gezogen. Schüsse krachten. Petra schrie auf. Tödlich getroffen sank sie in die Arme des jungen Mannes. „Hilf mir, Joe!“

Ruckartig setzte ich mich auf. Um mich herum war es stockfinster. Für einen Augenblick wusste ich nicht, wo ich war und welches Jahr wir schrieben. 1960? Als ich Petra zum ersten Mal vor der Tanzschule Wernecke angesprochen hatte? Ich strich eine silbergraue Haarsträhne aus der Stirn und schüttelte den Kopf. Nein, die Szene aus meinem Traum lag sechzehn Jahre in der Vergangenheit. Es war kurz vor Weihnachten `76 und meine Ex-Verlobte war mittlerweile eine steckbrieflich gesuchte Terroristin. Ich tastete nach der Nachttischlampe neben meinem Bett. In ihrem blassen Schein erkannte ich den Wecker. Mitternacht. Geisterstunde.

Abba blinzelte mich an. Mach`s Licht aus, Joe! Ich brauche meinen Schönheitsschlaf! Meine Hovawart-Hündin rollte sich neben mir zusammen.

„Ich habe von deinem Frauchen geträumt. Dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Und von Hauptkommissar Seewald.“

Igitt!

„Der Stinkstiefel verfolgt mich bis in den Schlaf. Hat mich im Glauben gelassen, Petra sei in Entebbe erschossen worden. Dabei hat er genau gewusst, dass sie sich in Berlin aufgehalten hat, um die Befreiung ihrer Genossinnen aus dem Frauenknast vorzubereiten. Mit seiner widerlichen Lüge wollte er meine Reaktion testen und herausfinden, ob ich über Petras Machenschaften im Bilde bin. Wäre es so gewesen, hätte ich mich über die angebliche Todesnachricht kaum schockiert gezeigt.“

Abba gähnte. Du unterstellst dem Mann eine Absicht, für die du keinerlei Beweise hast. Er hat sich bei dir entschuldigt und gesagt, er sei vom israelischen Nachrichtendienst falsch informiert worden.

„Von wegen! Seewald ist ein falscher Fuffziger, eine Schande für das BKA! Ich wette, dass ich ihm auch die Schmeißfliege zu verdanken hatte, die mir tagelang im Genick hing. Der weiße Opel Rekord, du erinnerst dich?“ Ich kaute auf meiner Unterlippe. „Was mich nach wie vor beschäftigt, ist die Sache mit Petras Verlobungsring. Ich hatte ihn in der Schublade im Arbeitszimmer aufbewahrt, bis sie vergangenen Mai in unsere Wohnung eingedrungen ist und den Schmuck an sich genommen hat. Darüber wissen nur sie und ich Bescheid – und mein Freund Mike. Doch Seewald hat mir vorgeschwindelt, der Ring sei am Finger der toten Terroristin in Uganda gefunden worden. Um dieses Märchen erzählen zu können, muss der miese Kerl von Petras Einbruch Kenntnis gehabt haben, oder nicht? Ich meine, wie hätte er sonst wissen sollen, dass sie den Ring wieder trägt? Aber wer ist sein Informant gewesen? Etwa Mike? Der ist doch kein Verräter!“

Natürlich nicht. Mach dir keine Gedanken. Inzwischen hat Seewald begriffen, dass du kein Spitzel der RAF bist. Er lässt dich in Ruhe. Die Sache ist Monate her. Leg dich schlafen und träum von weißer Weihnacht, so wie alle anderen Leute.

„Wie alle normalen Leute, wolltest du wohl sagen.“

Nun ja …

„Überleg dir deine Antwort gut. Hunde von normalen Leuten können nämlich nicht reden.“

Keine Angst, du bist ganz normal, Joe! Nur dein Frauengeschmack ist etwas … speziell. Dürfte selten vorkommen, dass ein Kriminalkommissar in eine Anarchistin verliebt ist.

„Ist nun mal so. Was dagegen? Ach, spar dir die Antwort! Du denkst genauso wie Mutter und Vater, wie Mike, Mister Brillant und alle anderen im Kommissariat. Ihr wollt, dass ich mit Fujiko selig werde und Petra vergesse!“

Tante Fujiko ist lieb, warmherzig, klug, anmutig und …

„… immer für mich da. Brauchst ihre Vorzüge nicht aufzuzählen, die sind mir bekannt. Ich habe sie ja auch gern, sehr gern sogar. Bin froh, dass sie das Angebot von British Airways nicht angenommen hat und in Frankfurt geblieben ist. Doch wie kann ich eine Beziehung mit ihr anfangen, die über Freundschaft hinausgeht, wenn ich für sie nicht die gleiche Leidenschaft empfinde wie für Petra?“

Eine Frau, die in Stockholm Geiseln genommen und auf Polizisten geschossen hat.

„Der ohne Sünde ist werfe den ersten Stein! Ich glaube daran, dass ein Mensch seine Taten bereuen und sich ändern kann. Und ich habe es satt, deshalb für verrückt erklärt zu werden!“

Ist Frauchen zur Reue fähig, Joe? Hat sie nicht gesagt, sie möchte nie mehr in unser Schweinesystem zurückkehren? Auch nicht dir zuliebe?

„Ihren Zorn auf die verlogene Moral unserer Welt kann ich verstehen. Aber Wandel lässt sich nicht mit vorgehaltener Waffe erzwingen. Nur durch Engagement innerhalb einer Gesellschaft. Petra wird das einsehen! Vielleicht hat sie es längst … könnte doch sein? Überleg mal, wie lange es keine Aktionen der RAF mehr gegeben hat. Die Bande steht möglicherweise kurz vor ihrer Auflösung.“

Und was ist mit dem Anschlag auf die Rhein-Main-Air-Base am 1. Dezember? Das Offizierskasino hat in Flammen gestanden und acht Menschen sind verletzt worden!

„Ist kein Attentat der RAF gewesen, sondern der Revolutionären Zellen.“

Dein Vater sagt, das wäre alles dasselbe linke Geschmeiß.

„Da gibt es feine Unterschiede, aber das ist jetzt nicht wichtig. Du erinnerst dich an den Namen Siegfried Haag? Ein ehemaliger Rechtsanwalt aus Heidelberg, der Baader und Meins verteidigt hat. Er ist der Anführer jener Gruppe gewesen, mit der Petra letzten Sommer in den Jemen geflogen ist, um an Waffen ausgebildet zu werden. Vor ein paar Wochen ist Haag bei einer Polizeikontrolle verhaftet worden. Nicht weit von hier, in der Nähe von Butzbach. Man hat Papiere bei ihm und seinem Komplizen Roland Mayer gefunden, die auf geplante Verbrechen hinweisen. Generalbundesanwalt Buback ist überzeugt, rechtzeitig eine großangelegte Offensive vereitelt zu haben. Dummerweise sind die Pläne mit Codewörtern versehen, die das BKA erst entschlüsseln muss. Operation Margarine, H.M. auschecken, Big Money, Big Raushole. Letzteres bedeutet natürlich die Befreiung der Gefangenen in Stammheim. Doch wie soll das funktionieren, ohne den Strategen Haag? Die Bande steckt in einer Sackgasse. Führungslos. Grund genug für Petra, den idiotischen Kampf aufzugeben.“

Schreib den frommen Wunsch auf einen blassblauen Brief, kleb Sternchen drauf und schick ihn ans Christkind! Gute Nacht!

Abba kniff die Augen zu. Ich schaltete das Licht aus, legte mich hin und grübelte. Hatte mein Gewissen auf vier Pfoten den richtigen Riecher? War es tatsächlich Wunschdenken, die Tage des Terrors seien vorüber? Mein Herz schlug plötzlich schneller. Ich fühlte etwas, das ich bei meiner Arbeit äußerst selten empfand: Angst. Womöglich erlebten wir gerade die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.

3

Zur gleichen Zeit im Frankfurter Stadtteil Eschersheim

Im Rockclub Batschkapp verklang der Gitarrensound. Die Nachwuchsband The Peckers hatte ihren Auftritt beendet. Applaus und Jubelrufe brandeten durch den Saal, der jede Putzfrau in Schockstarre versetzt hätte. Das Publikum aus der Studentenszene mochte gegen den Muff von tausend Jahren protestiert haben – gegen Staub schienen die Jungrevolutionäre immun zu sein. Detlev, ein 20-jähriger Bursche im John-Lennon-Look, stieß seinem Kumpel in die Rippen. „Der Sound fetzt, gell Rainer? Die Sängerin hat `ne Röhre wie Suzie Quatro.“

„Kann sein.“ Rainer trank Persiko mit Bier und wischte sich Schaum vom Oberlippenbärtchen. „Aber Suzie ist scharf, im Gegensatz zu der Kleinen. Sieht aus wie Schneewittchen, kein Arsch und keine Tittchen.“

Die Jungs grölten. Heidi, eine brünette Lockenfee aus ihrer Clique, verdrehte die Augen. „Müsst ihr Typen immer über so `n schweinisches Zeug quatschen?“

„Was is`n daran schweinisch?“, fragte Rainer. „Wir betreiben angewandten Anatomie-Unterricht.“ Er hob den Finger wie ein Dozent. „Merke, der Mensch ist das einzige Säugetier, das permanent vergrößerte Brüste hat. Sehr praktisch – vor allem für uns Männer.“ Seine Hand griff in Heidis Bluse, unter der sie sichtbar keinen Büstenhalter trug.

„Hör auf! Fummeln kannste daheim!“ Spielerisch gab sie ihrem Freund einen Klaps auf die Finger.

Detlev sprach Dagmar an, Heidis Freundin aus Dörnigheim. Die 21-jährige Soziologiestudentin mit dem schwarzen Pagenkopf hatte die meiste Zeit des Abends schweigend verbracht. Obwohl sie Sonnenschein trank, eine Mixtur aus Fanta und Verpoorten Eierlikör, wirkte sie alles andere als heiter.

„Na, wie gefällt dir der Laden?“, wollte Detlev wissen.

Dagmar sah sich demonstrativ um. Die Holzbänke, an denen sie saßen, waren abgeschabt und im Scheinwerferlicht kräuselte sich Zigarettenqualm. „Ziemlich schmuddelig und verraucht. Viel los ist hier auch nicht gerade.“

„Is` ja letzte Woche erst eröffnet worden. Am 11. Dezember. Muss sich noch rumsprechen.“

„Mann, die Einweihungsfete is` der Hammer gewesen“, verkündete Rainer. „Die erste Band hieß Octopus und der Gitarrist hat gleich `n Stromschlag abbekommen und musste in die Klinik gefahren werden.“

„Bei der scheiß Musikanlage kein Wunder“, meckerte Heidi.

„Komm, so schlecht is` die ned“, sagte Detlev. „Wirst sehen, die Batschkapp wird Kult. Endlich mal `n alternativer Club, wo man Spaß haben kann, ohne sich die Schlagersülze anhören zu müssen.“ Er zündete einen Joint an und inhalierte tief. „Allein der Name is` schon dufte. Batschkapp – Schirmmütze auf Hochdeutsch. Darunter haben alle Platz, die auf die Masse pfeifen. Klasse Idee von den Frankfurter Spontis, so `ne Disse für die Linken aufzuziehen.“

„Das is` keine Disse, sondern ein Kulturzentrum“, korrigierte Rainer augenzwinkernd, nahm Detlev das Hasch-Tütchen ab und zog selbst daran. „Hier treten auch Theater- und Tanzgruppen auf, mein Lieber.“

„Striptease-Tänzerinnen?“

„Ich sag`s ja, nur das eine im Kopf!“, stöhnte Heidi. Auf einen Zug leerte sie ein Glas Cola-Rum.