Kommunikation mit Sterbenden - Janet Dunphy - E-Book

Kommunikation mit Sterbenden E-Book

Janet Dunphy

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Beschreibung

Janet Dunphy leitet in ihrem Praxisleitfaden auf sachliche und empathische Art dazu an, mit Menschen in palliativen Lebenssituationen zu kommunizieren. Sie erörtert ausführlich die ethischen Aspekte wichtiger Probleme in der Palliativpflege und geht besonders auf die hohe Kunst der Palliative-Care-Kommunikation ein. Die zahlreichen authentischen Fallbeispiele helfen theoretisches Wissen in die Praxis zu übertragen und anzuwenden.Das Besondere an diesem Buch ist die Fähigkeit von Janet Dunphy, Wissen in Geschichten zu verpacken und mit Menschlichkeit zu kombinieren, sodass ihr Wissen und ihre Weisheit einfühlsam und menschenwürdig in die Praxis einfliessen können.Die dritte Auflage wurde ergänzt um aktuelle Literatur und neue Beiträge über Aufmerksamkeit als Haltung, die Pflegeintervention Trösten und Geborgenheit geben, physiologische und soziale Funktionen des Weinens und eine Anleitung, wie Angehörige einem Verlust durch "Andenken" begegnen können. Aus dem Inhalt Einleitung Beziehungen Professionelles Verhalten Fähigkeiten, die für das Assessment wichtig sind Die Diagnose Die Behandlung Die Auswirkungen einer schweren Krankheit Die Bestätigung einer schlechten Prognose Wichtige ethische Aspekte der Kommunikation Die Vorteile eines umfassenden Versorgungsplans Schlechte Nachrichten überbringen Der Sterbeprozess Fragen, die häufig gestellt werden Geben Sie auf sich Acht Anhang

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Kommunikation mit Sterbenden

Kommunikation mit Sterbenden

Janet Dunphy

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

André Fringer, Winterthur; Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Angelika Zegelin, Dortmund

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Palliative Care:

Christoph Gerhard, Dinslaken; Markus Feuz, Zürich

Janet Dunphy

Kommunikation mit Sterbenden

Praxishandbuch zur Pallivative-Care-Kommunikation

3., ergänzte Auflage

Aus dem Englischen von Heide Börger

Deutschsprachige Ausgabe bearbeitet und herausgegeben von Swantje Kubillus

Mit Beiträgen von Diana Staudacher und Elke Steudter

Janet Dunphy. Pflegefachfrau (RGN), MA Ethics, Pflegeexpertin für Palliative Care (CNS) am Kirwood Hospice.

Swantje Kubillus (dt. Hrsg.). Pflegefachfach, B. Sc., M.Sc. Public Health (FH), B.A. Germanistik/Politikwissenschaft.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z.Hd.: Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Jürgen Georg, Sandro Bomio

Bearbeitung: Swantje Kubillus

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Getty Images/JodiJacobsen

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Riehen

Grafik-Stempel (Innenteil): Peter Kuliew, Basel

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Der Originaltitel lautet „Communication in Palliative Care“ von Janet Dunphy. © 2011, Radcliffe Publishing UK-Oxford, Taylor & Francis

© 2011, Radcliffe Publishing UK-Oxford, Taylor & Francis

3. erg. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96302-0)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76302-6)

ISBN 978-3-456-86302-3

https://doi.org/10.1024/86302-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Danksagung

Vorwort

Geleitwort zur deutschsprachigen Ausgabe

1. Einleitung: Anmerkungen der Autorin

1.1 Geschichten und ihr erzieherischer Wert

1.2 Alles ist im Wandel

1.3 Fallstudien und Gespräche

1.4 Dreiundzwanzig Jahre Erfahrung

1.5 Wir dürfen die Fähigkeit zu lachen nicht verlieren

1.6 Verschiedene Settings

1.7 Ein langes Leben

1.8 Die Patientinnen und Patienten von heute

1.9 Literatur

2. Beziehungen

3. Professionelles Verhalten

3.1 Selbstsicherheit

3.2 Höflichkeit

3.3 Literatur

4. Fähigkeiten, die für das Assessment wichtig sind

4.1 Vor dem Assessment

4.2 Der Assessment-Prozess

4.2.1 Was für ein Mensch ist die Patientin oder der Patient?

4.2.2 Die Geschichte der aktuellen Probleme

4.2.3 Relevante Informationen aus der Krankengeschichte

4.2.4 Familiäre Belange

4.2.5 Soziale Belange

4.2.6 Die finanzielle Situation

4.2.7 Psychische Aspekte

4.2.8 Die Zusammenfassung

4.3 Literatur

5. Die Diagnose

5.1 Klinische Terminologie

5.2 Staging

5.3 Informationsnetzwerke

5.4 Reaktionen auf die Diagnose

5.5 Mehrere Diagnosen

5.6 Das rechte Maß an Unterstützung

5.7 Hoffnung

5.8 Eine unzumutbare Belastung

5.9 Unterstützungssysteme

5.10 Literatur

6. Die Behandlung

6.1 Verschiedene Behandlungsmöglichkeiten

6.2 Behandlungsziele

6.3 Krebs und seine Behandlungsmöglichkeiten

6.3.1 Chirurgischer Eingriff

6.3.2 Chemotherapie

6.3.2.1 Die einzelnen Chemotherapien

6.3.3 Versuche im Zusammenhang mit Krebstherapien

6.3.3.1 Klinische Versuche

6.3.3.2 Klinische Versuche: Phase I

6.3.3.3 Klinische Versuche: Phase II

6.3.3.4 Klinische Versuche: Phase III

6.3.3.5 Klinische Versuche: Phase IV

6.3.3.6 Die Durchführung der klinischen Versuche

6.3.4 Strahlentherapie

6.3.5 Biologische Therapien

6.3.6 Hormontherapien

6.3.6.1 Der Wirkmechanismus von Hormontherapien

6.3.7 Andere Behandlungsmethoden

6.3.8 Unterstützende Therapien

6.3.9 Die Heilbehandlung

6.4 Ausweglose Situationen

6.5 Verantwortung und Unterstützung in der klinischen Praxis

7. Die Auswirkungen einer schweren Krankheit

7.1 Literatur

8. Die Bestätigung einer schlechten Prognose

8.1 Advance Care Planning: Umfassender Versorgungsplan

8.1.1 Patientenverfügung

8.1.2 Vorsorgevollmacht

8.2 Literatur

9. Wichtige ethische Aspekte der Kommunikation

9.1 Autonomie

9.2 Kollusion

9.3 Nutzlose Behandlungen

9.4 Sterbehilfe

9.5 Die Wahrheit sagen

9.6 Literatur

10. Die Vorteile eines umfassenden Versorgungsplans

11. Schlechte Nachrichten überbringen

11.1 Wer erfährt die schlechte Nachricht zuerst, die Patienten oder die Familie?

11.2 Wer überbringt die schlechte Nachricht?

11.3 Wo wird die schlechte Nachricht überbracht?

11.4 Persönliches Gespräch oder Telefonat?

11.5 Signale

11.6 Wie schlechte Nachrichten kommuniziert werden

11.6.1 Die Vorbereitung auf das Überbringen schlechter Nachrichten

11.6.2 Potenzielle Schwierigkeiten

12. Der Sterbeprozess

12.1 Der Sterbeprozess im 21. Jahrhundert

12.2 Integrated Care Pathways

12.3 Wissenswertes über Spritzenpumpen

12.4 Kommunikation und Unterstützung – Gespräche mit der Familie

12.5 Literatur

13. Fragen, die häufig gestellt werden

14. Geben Sie auf sich Acht

14.1 Realistische Ziele

14.2 Schmerzlinderung statt Behandlung

14.3 Die Wissenschaft und die Kunst

14.4 Stark und gefühlsbetont

14.5 Anpassung an die Arbeit

14.6 Gesundheitsfachleute sind auch nur Menschen

14.7 Humor

15. Schlussbetrachtung

15.1 Literatur

Anhang

Interview mit Janet Dunphy

Giftschrank der Trauerbotschaften

Was brauchen Menschen, die trauern?

„Wachsam bleiben für das Unerwartete“…

Die letzte Geborgenheit

„Sie ist immer noch bei uns …“

„Es ist ein Geschenk, getröstet zu werden“

„In Tränen aufgelöst …“

Nachwort zur deutschsprachigen Ausgabe

Über die Autorin

Über die Herausgeberin

Deutschsprachiges Adressen- und Linkverzeichnis

Palliative Care im Hogrefe Verlag

Sachwortverzeichnis

Widmung

Für meine Mutter und meinen Vater, meine besten Lehrmeister und stetige Quelle der Inspiration. Ich widme euch dieses Buch, weil ihr mich stets darin bestärkt habt, an mich zu glauben, mich gelehrt habt, menschlich zu sein und mir euer Leben lang ein Vorbild für gute Kommunikation wart. Wir sind einander sehr zugetan und wir sind uns dessen bewusst. Es gibt nichts, was wertvoller ist.

Danksagung

Ich danke den nachstehend aufgeführten Personen:

Marian, deren Intelligenz, Besonnenheit und Loyalität mich über viele Jahre gestärkt haben. Dieses Buch wäre ohne deine Zeit und Integrität nie geschrieben worden. Du bist und bleibst ein ganz besonderer Mensch in meinem ­Leben und mein größter Schatz. Ich bin froh, dass du dies weißt.

Dr. Mary Kiely, Fachärztin für Palliativmedizin in Huddersfield – meine geschätzte Kollegin, Freundin und kritische Diskussionspartnerin. Danke für deine Inspiration und Unterweisung, das Lernen und für deine Überzeugung, dass ich dieses Buch schreiben sollte. Mary, deine Zeit ist sehr kostbar und du hast sie mir geschenkt, wie wir beide wissen, das wertvollste Geschenk überhaupt.

Joan und Christine – ihr habt fest an mich geglaubt und an meine Fähigkeit, dieses Buch zu schreiben. Meine Zweifel konnten euren Glauben nicht erschüttern. Eure Kenntnisse, was das Schreiben und Veröffentlichen von ­Texten betrifft, haben mein Selbstvertrauen in meine Arbeit gestärkt. Euch verdanke ich, dass ich an dieses Buch geglaubt habe. Herzlichen Dank.

Meiner Managerin Christine Springthorpe. Ihr verdanke ich, dass ich dort, wo ich jetzt bin, arbeite. Die Arbeit erfüllt mich und stärkt meinen Geist. Deine Wertvorstellungen verdienen den größten Respekt und ich danke dir an dieser Stelle für die Veränderung in meinem Berufsleben.

Allen Patienten und ihren Angehörigen, die in mein Leben getreten sind und meine Denkweise verändert haben. Ihnen verdanke ich alles, was ich weiß. Ich fühle mich durch eure Präsenz in meiner Welt geehrt und gestärkt. Symbolisch verneige ich mich hier vor euch voller Wertschätzung und Respekt und danke euch für all das, was ihr wart und seid.

Vorwort

Es heißt, dass Mozart und Bill Gates ihre Genialität nicht ihren Genen verdanken, sondern den unzähligen Stunden, die sie in die Perfektionierung ihrer Fähigkeiten investiert haben. Es stimmt, dass man durch Übung perfekt oder doch zumindest sehr gut wird. Es heißt auch, gute kommunikative Fähigkeiten seien nicht erlernbar – entweder man hat sie oder man hat sie nicht.

Janet Dunphy hat unzählige Stunden in ihr Metier investiert: sie hat Patienten und ihren Familien sensible und lebensverändernde Information vermittelt, und sie ist außerordentlich gut darin.

Janet Dunphy ist nicht nur eine sehr erfahrene spezialisierte Pflegefachperson in Palliativer Pflege und außergewöhnlich begabte Kommunikatorin, sondern sie hat auch die Fähigkeit, die Elemente, die für eine gute Interaktion zwischen Patient und Gesundheitsexperte relevant sind, zu nutzen und in eine verständliche Sprache zu übertragen, die den Dialogen mit Patienten in der Endphase ihres Lebens Substanz verleiht.

Spezialisierte Pflegefachpersonen in Palliativpflege verwenden einen Großteil ihrer Wochenarbeitszeit darauf, anderen Wissen zu vermitteln, entweder inoffiziell durch klinische Interaktion oder offiziell durch regulären Unterricht. Ich habe fast 12 Jahre mit Janet in Palliativpflegeteams im Krankenhaus oder in der Gemeinde zusammengearbeitet. Ob im Rahmen von klinischen Interaktionen oder gemeinsam durchgeführten Unterrichtssitzungen, ich konnte mich persönlich von ihren herausragenden Fähigkeiten überzeugen, wenn es darum ging, die Teilnehmer zu verstehen und das im Unterricht vermittelte theoretische Wissen auf die Realität des Praxisalltags, die Begleitung von Patienten in der Lebensendphase, zu übertragen.

Für Janet gehören zu den wichtigsten Attributen, die einen guten Lehrer ausmachen, Kompetenz auf seinem Spezialgebiet und die Fähigkeit, anderen die eigene Leidenschaft und das eigene Interesse dafür zu vermitteln. «Experten», die nicht mehr in der klinischen Praxis arbeiten, entweder weil sie im universitären Bereich oder im Management tätig sind, geht diese Leidenschaft oft verloren oder sie haben sich so weit vom harten Praxisalltag entfernt, dass es ihren Darlegungen an Glaubwürdigkeit mangelt. Als spezialisierte Pflegefachperson mit Praxiserfahrung kann Janet sich auf ihre Fachkompetenz berufen.

Gewisse Dinge lernt man nur, wenn man andere beobachtet und es dann so lange versucht, bis man diese Dinge selbst beherrscht. Leider ist es speziell in den Gesundheitsberufen so, dass dieses «Lernen durch Nachahmung» im Vergleich zu regulären Vorlesungen, Literatur, reflektiver Analyse und anderen formalen Aktivitäten mehr und mehr an Bedeutung verliert. Aber in arbeits­intensiven klinischen Settings bietet sich selten, vielleicht sogar nie die Chance, wichtige Gespräche zwischen erfahrenen spezialisierten Gesundheitsfachleuten und ihren Patienten in einem Umfang mitzuerleben, dass man die eigenen Fähigkeiten verbessern und «von Experten» lernen kann, besonders wenn die Patienten sehr krank und die Gespräche ähnlich heikel sind wie die in der Lebensendphase.

Es gibt eine Fülle von Büchern über kommunikative Fähigkeiten, von denen die meisten jedoch nur simple Handlungsanweisungen enthalten. Doch trotzt genauer Handlungsanweisungen kennt man nach der Lektüre längst noch nicht die Gründe für die empfohlene Vorgehensweise. Das Besondere an diesem Buch ist die Fähigkeit von Janet Dunphy, aus der Verknüpfung von theoretischem Wissen mit Geschichten und Naturwissenschaft mit Menschlichkeit einen Text zu produzieren, der einen tiefen Eindruck hinterlässt. Es ist ihr Talent, die von erfahrenen spezialisierten Gesundheitsexperten zu lernenden Fähigkeiten in Worte zu fassen, das dieses Buch so lesenswert macht.

Es heißt oft, dass schwierige oder auch unmöglich erscheinende Dinge bei Experten ganz mühelos aussehen. In Wirklichkeit steckt jedoch viel harte Arbeit dahinter, die niemand sieht – die unermüdliche Beinarbeit eines ruhig und majestätisch dahingleitenden Schwans. Diese unermüdliche Arbeit erklärt Janet den Lesenden und vermittelt ihnen damit die Erkenntnis, dass intellektuelles Wissen ohne einfühlsame und menschenfreundliche Anwendung in der Praxis wertlos ist.

Mary Kiely, Juli 2011

Geleitwort zur deutschsprachigen Ausgabe

Sterben sei leicht, friedlich – so heißt es. Leben sei schwerer. Wir wünschen uns, dass wir sanft und friedlich einschlafen und eines Tage einfach nicht mehr aufwachen. Ohne Schmerzen, ohne Reue, ohne Verlust. In der Realität sieht es aber so aus, dass die meisten Menschen alleine, verlassen und entwürdigt sterben, unter Bedingungen, die ihren Wünschen widersprechen. Heute sterben 40 Prozent der Menschen in Deutschland in Krankenhäusern. Weitere 40 Prozent in Pflegeeinrichtungen. Oft nach langer schwerer Krankheit. Nur 10 Prozent können zuhause sterben, obwohl 90 Prozent sich das wünschen. Angehörige sind oft nicht in der Lage den Sterbeprozess der Betroffenen zu begleiten. Sei es aus beruflichen Gründen und räumlicher Distanz oder aber deshalb, weil der Tod für sie kaum handhabbar ist. Der Tod ist unfassbar und wir haben verlernt ihn als Teil des Lebens zu akzeptieren. Sterben bedeutet, noch zu leben und Menschen, die im Sterben liegen, haben besondere Bedürfnisse.

An diesem Punkt setzt Palliative Care an. Spezialistinnen und Spezialisten der palliativen Versorgung begleiten Sterbende in der letzen Lebensphase und ermöglichen es ihnen, angemessen individuell und würdevoll aus der Welt zu gehen. Sie erkennen die Anzeichen des Todes und wissen, welche Maßnahmen im richtigen Moment zu ergreifen sind. Fachpersonen, die in der Palliativpflege tätig sind, respektieren das Leben und den Tod gleichermaßen.

Janet Dunphy bespricht mit ihrem Buch eben diese Diskrepanz in den letzten Lebenstagen – zwischen würdevollem Sterben und einer professionellen Sterbebegleitung, die von achtsamer Fürsorge geprägt ist.

In einer Serie von Fallgeschichten schildert die Autorin ihre umfangreichen Beobachtungen, die sie im Umgang mit Sterbenden während langjähriger Berufspraxis als Lehrerin und spezialisierte Pflegefachperson in Palliativpflege (Clinical Nurse Specialist in Palliative Care) machen konnte. Sie kann aus ­Erfahrungen im ambulanten sowie stationären Sektor schöpfen. Ein Buch ­darüber zu schreiben ist eine wunderbare Möglichkeit, vielleicht die einzige, all diese Eindrücke zu sammeln und andere daran teilhaben zu lassen. Damit unterstützt sie alle, die in der Palliativpflege und darüber hinaus tätig sind. Mutig und einfühlsam beschreibt Dunphy ihre Herangehensweise an den Tod und das Sterben und schafft damit einen wertvollen Beitrag für die Pflegenden von heute und morgen.

Denn die Dringlichkeit einer professionellen und qualitätsvollen Versorgung von Sterbenden wird in Zukunft zunehmen. Eine der vielen Folgen der alternden Gesellschaft. Die Fortschritte der Hochleistungsmedizin führen zur verlängerten Lebenszeit und zu einem enormen Anstieg der Zahl hochaltriger Menschen. Diese Menschen werden sterben und Unterstützung dabei benötigen, denn unserer hochkultivierten Gesellschaft sind Rituale des Sterbens verloren gegangen. Wir sollten sie wiederfinden, anpassen und pflegen.

Ein hohes Lebensalter geht meist mit Multimorbidität einher: Demenz, neurologische Erkrankungen und Erkrankungen der inneren Organe. Eine Patientin mit Multipler Sklerose, kann auch an Brustkrebs erkranken. Das Ausmaß ist weitreichend und eine würdevolle Versorgung sollte von professionell ausgebildeten Spezialistinnen und Spezialisten der verschiedenen Disziplinen begleitet werden sowie geschulte Laien einbeziehen, um alle Betroffenengruppen zu erreichen.

Janet Dunphy zeigt Möglichkeiten und Unterschiede auf, die sowohl Laien als auch Professionelle in die Versorgung Sterbender einbringen können.

Die Autorin plädiert für einen ehrlichen und offenen Umgang mit dem Tod. «Der Tod wurde aus dem Verborgenen geholt und als Thema auf den Tisch gebracht», sagt sie. Lange Zeit war das Thema Tabu. Patientinnen und Patienten sind heute im Internetzeitalter besser informiert denn je, und wollen über das dort Gefundene reden. Es ist immer noch die beste Möglichkeit, Probleme über Kommunikation zu lösen. Durch Kommunikation wollen wir die Schrecken von Krankheit und Tod überwinden. So viel darüber sprechen, bis alles gesagt ist. Jedoch wissen wir nicht genau wie und das Reden mit Sterbenden ist schwer und von Befangenheit geprägt.

Dunphy bietet Assessment-Instrumente an, die Pflegenden eine strukturierte Vorgehensweise der Kommunikation ermöglichen. Dazu gehört es, dass relevante Informationen von irrelevanten zu unterscheiden sind, um die Pflege­planung sinnvoll zu gestalten. Das kann schwierig sein, da die Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Angehörigen weitreichend sind. Durch das Internet als Informationsplattform, wissen Patientinnen und Patienten bereits viel, bevor sie mit Pflegenden in Kontakt treten, doch nicht immer können sie die Informationen richtig einordnen. Da werden so viele Fragen gestellt, dass es wichtig ist, dass Pflegende angemessen Grenzen setzen können. Fragen zu psychischen ­Aspekten zählen ebenso zum Interesse der Betroffenen, wie zu finanziellen und recht­lichen. Einer dieser Punkte ist es zum Beispiel die nötigen Handlungsschritte zu kennen, die nach dem Eintreffen des Todes erforderlich sind. Im Mittelpunkt der palliativen, der ummantelnden, Versorgung, stehen Patientinnen und Patienten. Jedoch sind die Bedürfnisse der Pflegenden nicht zu vergessen. Sich selbst in die Pflegesituation einzubringen gehört nach Dunphy zu den wichtigsten Ressourcen von Pflegenden. Dabei sollten sie auch auf sich selbst achten und sich nicht in Trauer und Verlustgefühlen verlieren.

Weniger die wissenschaftlichen Fakten von Palliative Care, sondern vielmehr die menschlichen Aspekte, wie die Fähigkeit mitfühlend und humorvoll zu sein, präsentiert uns die Autorin. Sie zählen zu den wichtigsten Bestandteilen palliativer Pflege.

Professionalität kann heißen Fakten und Menschliches zu vereinen. Janet Dunphy versteht spezialisierte Pflegefachpersonen in Palliativpflege als Begleiterinnen und Begleiter Sterbender auf ihrer letzten Reise.

Von Sterbenden lernen, heißt zuhören und Emotionen erfassen. Für Janet Dunphy ist es das, was gelungene Kommunikation ausmacht. Gerade, wenn verbale Äußerungen nicht mehr möglich sind, wie es beispielsweise bei Menschen mit Demenz der Fall sein kann.

Eine multidisziplinäre Versorgung gehört zu einer guten Palliativver­sorgung. Sie erschwert jedoch mitunter die Kommunikation. Die Beteiligten wollen sich gegenseitig nicht behindern und wertvolle Informationen können verloren gehen, weil im Team zu wenig Kommunikation erfolgt. Frühzeitige Aussprachen können dagegenwirken.

Menschen sind darauf bedacht Lösungen zu finden. In der Palliativver­sorgung hört die Suche nach Lösungen irgendwann auf. Viele Menschen «wissen», wenn es Zeit ist, zu gehen. Sie fühlen es und der Körper äußert Signale, wenn beispielsweise das Bedürfnis nach Essen und Trinken nachlässt.

Janet Dunphy zeigt mit ihrem Buch, welche Gespräche hilfreich sind, wenn das Undenkbare zur Realität wird. Wie viel Zeit bleibt noch? Es ist eine der vielen Fragen, die erfahrene spezialisierte Pflegefachpersonen häufig hören. Die Antwort lautet: Keiner weiß es. In vielen Momenten, ist es das Richtige, dem Sterbenden keine ­falschen Hoffnungen zu machen und es ihm zu ermöglichen dem Tod würdevoll zu begegnen. Für Janet Dunphy ist die Arbeit mit Sterbenden Bereicherung und Belastung zugleich. Sie tritt dem schweren Teil ihrer Arbeit mit einer realistischen Einstellung und kontinuierlicher Reflexion entgegen. Die Möglichkeit Pflegender, Einfluss auf den Sterbeprozess ihrer Patientinnen und Patienten zu haben, betrachtet sie als Privileg. Den leichten und schönen Teil in der Palliativversorgung betont die Autorin stets. Humor und Lebensfreude sorgen für Lebensqualität und sind Bestandteile der täglichen Arbeit von Palliativpflegenden. Sie sind durch die Angst vor dem Tod nicht überschattet oder verloren. Cicely Saunders formulierte es so: «Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.»

Stuttgart im Oktober 2013

Swantje Kubilluss

1. Einleitung: Anmerkungen der Autorin

Als ältere Pflegefachperson (ich bin 51) verbringe ich viel Zeit damit, Gespräche zu führen, zu unterrichten und meine Erfahrungen zu vermitteln, und ich habe, wie viele Pflegefachpersonen, gute Geschichten zu erzählen.

1.1 Geschichten und ihr erzieherischer Wert

Der erste Satz verrät viel über mich: mein Alter, meinen Beruf und eine meiner Lieblingstätigkeiten: unterrichten. Und genau dies ist die Absicht der Einleitung: Sie, die Leserinnen und Leser, sollen mich ein wenig kennenlernen und erfahren, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Dies ist meine Chance, ­Ihnen meine Erfahrungen und meine Denkweise nahezubringen und Ihnen zu erklären, weshalb ich Geschichten für wichtiger denn je halte. Es mag sein, dass uns bei all der akademischen Arbeit und dem Schreiben von Artikeln die ­Fähigkeit abhanden gekommen ist, sie zu erzählen. Wir alle kennen solche Geschichten und sie zu erzählen ist von großem erzieherischem Wert.

1.2 Alles ist im Wandel

Wir alle bekommen zu spüren, dass der Stress im Gesundheitswesen größer geworden ist. Veränderungen sind etwas Normales. Alles verändert sich und das Gesundheitswesen hat sich definitiv stark verändert. Er hat sich verändert, um den Anforderungen biologischer und soziologischer Entwicklungen gerecht zu werden. Ich behaupte jedoch, dass unsere Prioritäten und Ziele, was die Kommunikation anbelangt, sich nicht verändert haben. Je komplexer die Gesundheitsversorgung wird, desto wichtiger ist die Befolgung einfacher Regeln. Jeder Mensch ist das Produkt seiner Erfahrungen und 30 Jahre Mutterrolle und Arbeit in der Pflege haben meine Denkweise mit Sicherheit geprägt.

Glücklicherweise wusste ich schon als Kind, dass ich Pflegefachperson werden wollte und als Pflegestudentin, dass ich mit sterbenden Patientinnen und Patienten arbeiten wollte. Diese Idee hatte ich damals schon. Das Spezialgebiet Palliativpflege gab es da noch nicht, aber ich wusste genau, wo mein Platz war, hängte es aber nicht an die große Glocke.

1.3 Fallstudien und Gespräche

Mit meinem Buch ist es ähnlich; ich möchte dringliche aktuelle Themen darstellen und vor dem Hintergrund thematisch passender Fallstudien aus dem Praxisalltag wichtige Fähigkeiten erörtern. Um der Ehrlichkeit willen und aus Respekt vor der Leserin und dem Leser möchte ich darauf hinweisen, dass der Kontext des Buches auf meine Erfahrungen als Pflegeperson im Vereinigten Königreich beschränkt ist und nicht alle Themen umfassend behandelt werden. Ich weiß, wie hart Gesundheitsfachleute arbeiten und wie viele täglich gute Arbeit in der Palliativpflege leisten. Ich möchte Ihnen allen das Gefühl vermitteln, dass meine Arbeit hier etwas mit Ihnen zu tun hat und Ihnen nützen kann, unabhängig davon, was Sie tun und wo Sie arbeiten. Es gibt besser bezahlte und weniger belastende Arbeitsplätze, aber die Situation von Palliativpflegepatienten zu erleichtern dürfte einer der lohnendsten sein. Es wäre kaum erträglich, wenn es nicht so wäre: die emotionale Belastung wäre zu groß. Effiziente Kommunikation ist nur ein Aspekt dieser lohnenden Arbeit.

1.4 Dreiundzwanzig Jahre Erfahrung

In den 1980er Jahren begann ich meine berufliche Laufbahn in einem Hospiz im Vereinigten Königreich und machte die Lernerfahrungen, die alle Pflegenden machen und die keinem erspart bleiben. Ich merkte, was ich alles nicht wusste und lernte noch eifriger. Danach wurde ich Macmillan Nurse in der Palliativpflege und arbeitete auf der Onkologiestation eines Krankenhauses und in der Gemeinde. Schon damals stellte ich fest, dass mir das Unterrichten Spaß macht und dass Pflegende niemals auslernen. Die Kolleginnen und Kollegen sagten immer, ich sei ein Naturtalent, aber ich habe nie das Wesentliche vergessen, den Grund, warum wir diese Arbeit tun und warum wir lernen und unsere Erfahrungen weitergeben: die Patientinnen und Patienten und ihre Betreuungspersonen. Natürlich kenne ich die Fachbegriffe und Phrasen, aber ich weiß auch, dass die Fallstudien und authentischen klinischen Anekdoten für die Leserinnen und Leser genauso wertvoll sind.

Im weiteren Verlauf meiner Karriere wechselte ich den Ort und meinen ­klinischen Arbeitsbereich, aber nicht meine Rolle. Ich blieb bei den Patienten. Ich bin seit 22 Jahren spezialisierte Pflegefachperson (clinical nurse specialist) in der Palliativpflege und habe innerhalb und außerhalb von Hospizen, Seite an Seite mit praktischen Ärzten und Gemeindepflegenden, in Krankenhäusern und in Pflegeheimen mit Ärzten, Pflegenden und anderen Mitarbeitern zusammengearbeitet. Ich kenne dieses Spezialgebiet und weiß, worüber ich schreibe.

Spezialisierte Pflegefachpersonen (clinical nurse specialists) sind Fachpersonen, die auf ein bestimmtes Gebiet in der Pflege spezialisiert sind. Sie haben studiert und stellen ein Bindeglied zwischen Theorie und Praxis dar. Sie gewähren einen hohen, forschungsbasierten Standard in der pflegerischen Versorgung.

Die Weiterbildung zur Macmillan Nurse ist eine Besonderheit im Vereinigten Königreich. Sie spezialisiert Pflegende für die Bereiche Onkologie und Palliative Care. Macmillan Nurses bieten Betroffenen und Angehörigen ab dem Zeitpunkt der Diagnose Beratung und Unterstützung an. Sie führen Schmerz- und Symptomüberwachung durch, bieten emotionale Unterstützung, geben Informationen über die Krebsbehandlung und Nebenwirkungen und beraten über Finanzierungsmöglichkeiten. Meistens arbeitet die Macmillan Nurse in einem Hospiz, auf einer onkologischen Station sowie zusätzlich im ambulanten Bereich. Damit bildet sie eine Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor und vermittelt im interdisziplinären Team.

1.5 Wir dürfen die Fähigkeit zu lachen nicht verlieren

Ich glaube auch, dass Mitgefühl und Humor gut zusammenpassen und sich ergänzen. Manchmal habe ich die Befürchtung, dass unser Berufsstand sich festgefahren und seine Fähigkeit verloren hat, zu lachen und Geschichten zu erzählen. Uns werden immer nur die wissenschaftlichen Fakten unserer ­Arbeit, die Modelle und Theorien, vermittelt, was auch sehr wichtig ist. Was wir hingegen selten lernen und nicht einmal vor uns selbst eingestehen, ist die «Kunst» unserer Arbeit. Es gibt bestimmte Dinge, die man nicht erlernen kann, etwa bestimmte Fähigkeiten, die Teil unserer Persönlichkeit sind. Diese Fähigkeiten können jedoch identifiziert und entwickelt werden, und oft sind es gerade diese Fähigkeiten, die aus dem Schüler einen kompetenten Praktiker machen. Ich hoffe, dass Sie sich beim Lesen dieses Textes mit der Kunst, von der hier die Rede ist, identifizieren können und aufhören, sich als normaler Mensch mit bestimmten Fähigkeiten, der sich entschieden hat, leidende Menschen zu ­begleiten, auf die Schulter zu klopfen.

Das Buch beschreibt den Weg der Patientinnen und Patienten und ihrer Betreuungspersonen, und da beide oft die gleichen Erfahrungen machen, habe ich ihre Gefühle nicht gesondert behandelt. Der Inhalt bezieht sich auf alle Gesundheitsfachleute im Gesundheitsbereich und deshalb bezeichne ich die Angehörigen aller Disziplinen als «Gesundheitsfachleute». Die Bezeichnungen «Klient» und «Dienstleistungsnutzer» sind für mich absurde «politisch korrekte» Begriffe und ich werde sie (oder ähnlich trendige Wörter) nicht verwenden.

1.6 Verschiedene Settings

Wir Gesundheitsfachleute begleiten unsere Patienten auf ihrer Reise durch die Stadien ihrer Krankheit und durch verschiedene klinische Settings, wo sie viele medizinische Fachbegriffe kennenlernen. Der Begriff «klinisches Setting» bezeichnet die Umgebung, in der die Versorgung des Patienten stattfindet. Dies ist zunächst die häusliche Umgebung, wo er von einem Allgemeinmediziner und der Gemeindepflegenden betreut wird, später das Krankenhaus, wo die ambulante oder stationäre Versorgung durch klinische Teams, bestehend aus Ärzten und Pflegepersonen, stattfindet. Auch Pflegeheime und Hospize können wichtige Stationen auf der Reise des Patienten sein. Ich erwähne all diese Settings, weil es mir darum geht, die Gesundheitsfachleute, die dort arbeiten, zu würdigen und zu unterstützen. Unsere Hospize sind ohne jeden Zweifel Exzellenzzentren, aber ein Hospiz ist kein Gebäude, sondern eine Philosophie, die mit Erfolg auf andere Settings, etwa die häusliche Umgebung des Patienten und Krankenhausstationen, übertragen wurde, wo oft eine ausgezeichnete Versorgung mit hohem Standard angeboten wird. Als spezialisierte Pflegefachperson habe ich schon früh gelernt, dass wir nichts Besonderes sind, sondern uns lediglich auf etwas Besonderes spezialisieren. Ich hatte das Glück, mit vielen vorbildlichen Gesundheitsfachleuten zusammenarbeiten zu können.

Ich habe zwar überwiegend mit Krebspatienten gearbeitet, aber die Patientinnen und Patienten mit nicht bösartigen Krankheiten sind mit den gleichen Problemen konfrontiert und haben oft weniger Ressourcen zur Verfügung. Meine Empfehlungen beziehen sich deshalb nicht nur auf Krebspatienten, denn gute Kommunikation ist immer wichtig, egal wie die Diagnose lautet. Auch wenn wir Krankheiten immer effizienter behandeln und managen können, sollten wir darauf achten, dass gute Kommunikation nicht in therapeutisch unwirksamen Dosen verabreicht wird, denn in der Palliativpflege könnte sie die einzig mögliche Medizin sein.

Da die Menschen immer länger leben, werden auch die Anforderungen, die die alternde Bevölkerung an die Dienste stellt, immer höher. Außerdem wächst mit steigender Lebenserwartung die Anzahl der Menschen mit Demenz. Was Altern und Sterben anbelangt, sehe ich die Dinge mittlerweile so: Biologisch gesehen sind wir Maschinen, die mit zunehmendem Alter chronische Krankheiten entwickeln und sterben. Wir «verscheiden» nicht, wir «verschwinden» nicht und wir «entschlafen» auch nicht, wir sterben, und Sterben ist ein wichtiger Prozess. Er findet nur einmal statt. Ich bin weder abgestumpft noch hart, ich bin immer noch so empfindsam wie früher, worauf ich auch stolz bin. ­Allerdings bin ich stärker geworden und weiß, dass ich nicht alles in Ordnung bringen kann und dass auch meine Patientinnen und Patienten und ihre Familien dies wissen, und ich weiß dass ich in den schwersten Stunden die Situation so verändern kann, dass sie einen nachhaltig positiven Eindruck hinterlässt. Vor diesem Hintergrund lassen Sie uns wie Erwachsene mutig die Wörter «Tod» und «Sterben» verwenden.

Auch wenn die Öffentlichkeit mehr von uns erwartet, wir wissen, dass wir die meisten Krankheiten nur behandeln und managen können. Geheilt ­werden können nur bestimmte Infektionskrankheiten und Krebsarten. Alles ­andere wird gemanagt, wie beispielsweise Diabetes, Herzkrankheiten, Arthritis etc. Was das Management unseres Umgangs mit Menschen und ihren Krankheiten betrifft, ist die Kunst und die Wissenschaft gefordert.

1.7 Ein langes Leben

Wenn ich an meine Studienzeit denke, fällt mir der Ausdruck «three score ­years and ten» ein. Die Patientinnen und Patienten und ihre Familien meinten damit, dass es «ein langes und glückliches Leben» war, wie man damals zu ­sagen pflegte. Heute hört man dagegen Sätze, die so beginnen: «Heutzutage sollte man doch annehmen …» oder «Bei den heutigen technologischen Möglichkeiten …», auch wenn es sich um Patientinnen und Patienten handelt, die älter sind als siebzig Jahre. Menschen mittleren Alters sagen heute oft «Warum mein Vater?» und nicht «Er ist immerhin siebzig Jahre geworden.» Die Leute leben länger und erwarten mehr. Ein Baby, das heute geboren wird, hat fast überall in der entwickelten Welt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81,5 Jahren. 1960 lag die Lebenserwartung für Männer bei 66,8 Jahren und für Frauen bei 73,2 Jahren.

1.8 Die Patientinnen und Patienten von heute

Informationen sind heute leichter zugänglich als je zuvor. Die meisten unserer Patienten nutzen das Internet, lesen oder versuchen auf andere Art, sich Informationen zu beschaffen. Die Leute wollen unbedingt Antworten finden und sind selbstbewusster geworden, wenn es darum geht, den Gesundheitsfach­leuten, die sie behandeln, Fragen zu stellen.

Statistiker gehen davon aus, dass jedes Jahr 1 Prozent der Bevölkerung eines Landes verstirbt. In Deutschland sind das circa 800 000 Menschen, im Ver­einigten Königreich etwa 600 000. Im Vereinigten Königreich versorgen All­gemeinmediziner durchschnittlich etwa 25 Menschen, die sterben werden. Doch es gibt Unterstützung vonseiten der Politik. Die vom UK Department of Health entwickelte End of Life Care Strategy 2008 (Department of Health, 2008) ermuntert zum bewussten Umgang mit dem Tod, setzt sich für vorzei­tige Pflegeplanung ein, frühzeitige und taktvolle Gespräche und verbesserte Dienstleistungsangebote. Das bedeutet, wir müssen ehrliche und offene Gespräche führen. Die vielen Fragen und der Wissensdurst erfordern dies, und wenn es uns nicht gelingt, die entsprechenden Worte für diese offenen Gespräche zu finden, wie sollen wir uns dann von einer Gesellschaft, die den Tod verdrängt, in eine Gesellschaft verwandeln, deren Mitglieder miteinander ­reden und sich umeinander kümmern, wenn sie sterben? Patientinnen und Pa­tienten des 21. Jahrhunderts sind nicht mehr so fügsam wie früher. Euphemismen und Gemeinplätze gehören der Vergangenheit an. Moderne Patientinnen und Patienten entscheiden selbst, wie viel sie wissen möchten und verlangen den Gesundheitsfachleuten, die sie behandeln, mehr ab.

Der Tod wurde aus dem Verborgenen geholt und als Thema auf den Tisch gebracht. Die Menschen wollen darüber sprechen. Sie wollen über alles diskutieren: Symptome, Diagnose, Behandlung, Prognose, Gefühle und Bewältigungsstrategien. Alle Probleme werden durch Kommunikation reduziert oder gelöst, angefangen von kleineren Meinungsverschiedenheiten bis hin zum ­globalen Konflikt.

Angesichts der Erwartungen unserer Gesellschaft sind Kompetenz und Selbstsicherheit gefragt. Sie zu entwickeln, ist für mich das Mindeste, was wir tun können.

Die End of Life Care Strategy 2008 innerhalb des Gesundheitssystems im Vereinigten Königreich (National Health System, NHS) dient zur Verbesserung der Pflegequalität für ältere Menschen und Menschen, die im Sterben liegen. In der Schweiz entspricht das der «Nationalen Strategie Palliative Care», die im Jahr 2009 veröffentlicht wurde. Seit 2007 besteht in Deutschland das Gesetz zur ­«Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV)» nach § 37, SGB V.

1.9 Literatur

Department of Health. (2008). End of Life Care Strategy: promoting high quality care for all adults atthe end of life. Cm 9840. London: Department of Health.

2. Beziehungen

Wer ist der wichtigste Mensch in Ihrem Leben?

Jeder wird diese Frage anders beantworten. Wenn Gesundheitsfachleute einem neuen Patienten begegnen, kennen sie dessen Wertvorstellungen oder die der Betreuungsperson in der Regel nicht, denn jeder ist das Produkt seiner Erfahrungen. Es wäre sehr nützlich für die Gesellschaft, wenn das Thema Beziehungen auf dem Lehrplan der Schulen stehen würde. Jeder Mensch hat Beziehungen und es kommt häufig vor, dass jüngere Beziehungen oft mit weniger Informationen und Fähigkeiten auskommen müssen. Beziehungen formen uns – sie sind wichtig und sie prägen und definieren uns. Kurzum, sie machen Gesundheitsfachleute und natürlich auch Patientinnen und Patienten zu dem, was sie sind.

Der Einfluss, den frühere und aktuelle Beziehungen auf Menschen ausüben, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Die Bandbreite normaler Reak­tionen ist groß. Menschen reagieren völlig unterschiedlich. Dynamische Prozesse in der Familie spielen in unseren Beziehungen häufig eine wichtige Rolle und steuern viele unserer Reaktionen. Eine glückliche Familie, deren Mitglieder sich nahe stehen, reagiert sehr emotional und empfindet einen Verlust als einschneidend. Ein Familienmitglied, das keine enge Beziehung zur Familie oder eine gestörte Beziehung zu einem anderen Familienmitglied hat, reagiert ebenfalls sehr stark. Sicher ist nur, dass es in diesem Punkt keine Sicherheit gibt. In Kenntnis all dessen müssen Gesundheitsfachleute ihre Patientinnen und Patienten einschätzen und eine therapeutische Beziehung zu ihnen aufbauen, und dies in einer für Patienten und Betreuungspersonen meistens sehr schwierigen Zeit. Sie müssen mit allen anderen an der Behandlung beteiligten Gesundheitsfachleuten effizient kommunizieren und ihre «persönlichen Trigger» kennen – Situationen, die sie persönlich berühren und deshalb eine emotionale Reaktion bei ihnen auslösen können.

Zurück zur Frage vom Kapitelanfang. Gesundheitsfachleute werden häufig mit emotionalen Situationen und dynamischen Prozessen in Familien konfrontiert, die sie an eigene Erfahrungen erinnern; dies sind ihre «persönlichen Trigger». Manchmal sind die Trigger leicht zu erkennen und die Gesundheitsfachleute können sich darauf vorbereiten, manchmal werden sie unerwartet mit ihnen konfrontiert; die Trigger unterwandern ihr Radar und erschweren und verkomplizieren die Beziehung zwischen Patient und Gesundheitsexperte zusätzlich. Im Bereich der Gesundheitsversorgung erledigen die Gesundheitsfachleute ihre Aufgaben Zug um Zug, Aufgaben, bei denen die Lebenswege von Menschen einander berühren.

Fallbeispiel: Corinnes Geschichte

Ich bin 48 Jahre alt und arbeite als erfahrene spezialisierte Pflegefachperson in einem stark frequentierten Krankenhaus. Ich liebe meinen Beruf und habe auch nach 20 Jahren meine Entscheidung noch nicht bereut. Deshalb war die Einweisung eines älteren Mannes im Endstadium seiner Krankheit keine besondere Herausforderung für mich. Ich kannte die Station, auf der ältere Menschen betreut wurden, und das Personal dort sehr gut. Es schien kein klinisch komplizierter Fall zu sein und eigentlich sah alles danach aus, als würde Uwe an seinem metastasierenden Prostatakrebs friedlich sterben. Man hatte mich gebeten, kurz bei ihm vorbeizuschauen und zu prüfen, ob alles in Ordnung war.

Ich kam auf die Station, plauderte wie üblich freundschaftlich mit den Kolleginnen und ging dann in das Nebenzimmer, wo Uwe lag. Uwe war nicht bei Bewusstsein, er lag friedlich da und alles schien in Ordnung zu sein, aber mein Blick wurde von etwas anderem angezogen. Es war die kleine, elegante, sanft wirkende Dame, die im hinteren Teil des Zimmers saß, so als wolle sie niemandem im Weg sein (ihre Körpersprache und Position im Raum deuteten darauf hin). Sie war perfekt zurechtgemacht – Ohrringe, Kleidung, Schuhe, Schal und Handtasche waren aufeinander abgestimmt. Sie wirkte freundlich und bescheiden, so als hätte sie den Schmerz des bevorstehenden Verlustes akzeptiert.

Ich setzte mich zu ihr, um ihre Geschichte zu hören: Sie liebte Uwe, und das schon seit sie 20 waren. Sie hatten immer alles zusammen gemacht, hatten dieselben Interessen, führten eine altmodische Ehe, die 58 Jahre gut funktioniert hatte. Sie hatten sich gemeinsam um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert. Uwe war Ingenieur und hatte sich im Haus um alles gekümmert, was mit Technik zu tun hatte; die Fernbedienung für den Fernseher war ein Buch mit sieben Siegeln für seine Frau Dora, die gekocht, geputzt und sich um den Haushalt und die Finanzen gekümmert hatte.

Sie hatten eine echte Partnerschaft und Freundschaft. Er war die Liebe ­ihres Lebens und nun sah sie zu, wie er starb, ohne Groll oder Verbitterung. Sie flüsterte philosophisch: «Wissen Sie, meine Liebe, das steht uns allen bevor», so als müsste sie mich, die jüngere Frau, die noch nicht so lange auf dieser Erde lebte und noch viel über Liebe und Loslassen zu lernen hatte, vorbereiten. Sie hatte keinerlei Bedenken oder Fragen; sie nahm die Situation in Würde und Demut an. Sie war voll des Lobes für das Personal und dankte mir für meinen Besuch: «Sie haben so ein nettes freundliches Gesicht», sagte sie und tätschelte meine Hand, so als wolle sie sagen, es ist jetzt gut, meine Liebe, hier ist alles in Ordnung.

Ich verließ das Zimmer, ging aber nicht wie üblich zu den Kolleginnen und Kollegen, um mit ihnen zu sprechen, weil ich weinen musste. Große Tränen liefen mir langsam über das Gesicht, während ich über die belebte Station ging. Ich sah meine Mutter und meinen Vater in den beiden. Ich konnte mir vorstellen, dass es bei ihnen genauso wäre. Meine Mutter ist dieser Frau sehr ähnlich und ich weiß, auch sie würde so ruhig dasitzen, elegant, schicksalsergeben und sanft, während ihr Lebenspartner von ihr geht. Diese Situation, die ich nicht vorausgesehen habe, hat mich eine Weile emotional sehr berührt.

Es war eine gute Erfahrung und ich habe aus ihr gelernt. Ich rief auf der Station an, um die Kolleginnen und Kollegen zu informieren. Sie verstanden und respektierten meine Reaktion, denn so etwas kann jedem von uns passieren. Die Verarbeitung der Situation trägt zu unserer Weiterentwicklung bei. Ich bin froh, dass ich Uwe und Dora kennengelernt habe und hoffe, dass Dora auch in dem traurigsten Moment ihres Lebens gespürt hat, dass jemand bei ihr ist, der mit ihr fühlt. Das war alles, was sie an diesem Tag brauchte.

Aus Corinnes Geschichte lässt sich vieles lernen und ableiten. Sie macht deutlich, was «persönliche Trigger» sind. Was diese Geschichte uns lehrt, ist übertragbar auf andere Situationen, die Gesundheitsfachleute häufig erleben. Jeder hat eine Familie, Menschen, um die er sich kümmert, eine Vergangenheit, eine persönliche Geschichte, die einzigartig ist, aber oft auch Übereinstimmungen mit anderen aufweist. Manchmal können die Gesundheitsfachleute die Trigger anhand der schriftlichen oder mündlichen Überweisung erkennen. Dann haben sie Zeit, sich vor der Begegnung mit dem Patienten auf ihre Emotionen einzustellen. Manchmal müssen sie dies jedoch in der Situation selbst tun, während sie sich äußerlich als freundliche Experten geben, und das ist schwer. Dies anzuerkennen, ist wichtig. Gesundheitsfachleute, die zuerst Menschen und dann Gesundheitsfachleute sein wollen, machen nichts falsch. Sich wie ein Mensch zu verhalten und sich in die Situation der Patientinnen und Patienten und ihrer Betreuungspersonen zu versetzen, ist von ausschlaggebender Bedeutung für das Gelingen von Interaktionen. Dies gibt Menschen in Ausnahme­situationen das Gefühl, verstanden zu werden und sicher und gut aufgehoben zu sein.

Der Begriff «fürsorgliches Verhalten» (caring) darf nicht mit Selbstaufopferung oder Tugendhaftigkeit verwechselt werden. Pflege ist ein komplexes ­Konzept, das Urteilsvermögen, komplexe Denkprozessen, Instinkt, Erfahrung, Kompetenz und Wissen voraussetzt. Es ist weit mehr als das altruistische Verhalten einer «netten Person». Gesundheitsfachleuten fällt es schwer zu sagen, was fürsorgliches Verhalten ist; dazu sollten sie stehen, um ihr Selbstwertgefühl zu verbessern, von ihren Vorgesetzten und der Öffentlichkeit besser verstanden zu werden und über ihre Rolle aufzuklären.

Für die Interaktion mit Dora war es erforderlich, Doras (und wohl auch Uwes) Wertesystem zu kennen. Corinne hat zugehört und war im Hier und Jetzt präsent. Deshalb konnte sie mit Dora in Kontakt treten, die ihr sofort wichtige persönliche Dinge mitteilte, die Corinne einen Eindruck von Doras Beziehung zu dem Patienten verschafften und ihr die Möglichkeit gaben, Dora auf angemessene Art zu unterstützen, während Corinne die Symptome und den Pflegeplan des Patienten überprüfte. Es gelang ihr, in einer emotional aufgeladenen Situation eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Dora hat ­Corinnes Betroffenheit nicht wahrgenommen, aber ihre Freundlichkeit, und sie war dankbar dafür – in diesem kurzen Besuch auf der Station offenbart sich das Können, die Kunst und die Wissenschaft der Pflege.

Dora hatte so viel Vertrauen zu Corinne, dass sie ihr kostbare Erinnerungen, Erkenntnisse und grundlegende Erfahrungen anvertraute, Informationen, auf die Corinne ihre Reaktionen abstimmen konnte. Corinne verhielt sich fürsorglich, aber ihr Verhalten war nicht von ihren Emotionen, sondern von ihrem Verstand bestimmt. Käme es in der Beziehung zwischen Gesundheitsfachleuten und Patienten/Betreuungspersonen nur auf fürsorgliches Verhalten an, wäre jeder für die Arbeit geeignet, aber das ist nicht so; sie erfordert weit mehr als fürsorgliches Verhalten. Darauf möchte ich im folgenden Kapitel ausführlicher eingehen.

Corinnes Geschichte zeigt auch, wie rücksichtsvoll sie sich gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen verhält und wie verständnisvoll diese reagieren. Solche Beziehungen entstehen nicht über Nacht. Es braucht sehr viel Geschick und Zeit, bis sich gut funktionierende klinische Beziehungen entwickeln. In allen Umgebungen des Gesundheitsbereichs gibt es komplexe Hierarchien, die oft die Ursache für Probleme sind. Das medizinische Modell hat immer noch die Oberhand. Für Entscheidungen und Behandlungspläne ist, oft auch zu Recht, allein der Arzt zuständig. Doch für das Assessment und die Interventionen zur Unterstützung der Patientinnen und Patienten und ihrer Betreuungspersonen sind alle Gesundheitsfachleute verantwortlich. Die Beziehungen und dynamischen Prozesse sind meist komplex und schwierig und man braucht eine Weile, um sie zu durchschauen. Erfolgreiche Interaktionen stellen eine Herausforderung dar. Alle Gesundheitsfachleute haben ihre eigene Sprache und halten ihre für die wichtigste. Aber der Austausch mit anderen ist notwendig, um eine effiziente klinische Versorgung zu gewährleisten. Respekt muss man sich verdienen, man bekommt ihn nicht geschenkt, professionelles Verhalten ist der Schlüssel dazu.

Tipp:

Die wichtigste Ressource, die Gesundheitsfachleute in die Situation einbringen, sind sie selbst.

3. Professionelles Verhalten

Was ist der Unterschied zwischen Laien und Professionellen?

Professionell arbeitende Pflegende haben einen Plan. Sie sind schon länger da. Sie wissen, wie die Krankheit des Patienten verläuft. Sie können zwar nicht genau bestimmen, in welchem Stadium die Patientin oder der Patient sich gerade befindet, aber sie nehmen die prognostischen Indikatoren war, die ein Laie nicht sieht. Sie registrieren subtile Signale, analysieren die Gesamtsitua­tion und entwickeln klinische Pläne auf der Grundlage ihres Wissens.

Genau diese Pläne vermitteln den Patientinnen und Patienten ein sicheres Gefühl. Ein Patient begegnet auf seiner Reise durch die Krankheit Gesundheitsfachleuten aus allen Disziplinen. Es gibt Zeiten, in denen sie Angst, sogar große Angst haben, nach Informationen und vor allem nach Lösungen zu fragen. In der Palliativpflege wird einem Patienten nicht gesagt, dass nichts mehr für ihn getan werden kann, sondern man informiert ihn, was man für ihn tun kann. Für verletzliche Patientinnen und Patienten und ihre Betreuungspersonen ist es oft das Schwerste, niederschmetternde Informationen zu hören und eine neue Beziehung zu einer fremden Person aufzubauen. Wie sollten sich Gesundheitsfachleute in solchen Situationen verhalten? Einige Verhaltensweisen mögen simpel und vielleicht sogar unbedeutend erscheinen, aber sie sind derartig wichtig, dass sie es wert sind, erörtert und berücksichtigt zu werden. Es sind oft die kleinen Dinge, die für verletzliche Menschen von größter Bedeutung sind.

3.1 Selbstsicherheit

Patientinnen und Patienten brauchen selbstsichere Gesundheitsfachleute. Sie vermitteln ihnen Sicherheit in einer Situation, in der sie den Halt zu verlieren drohen. Die Patienten und ihre Betreuungspersonen befinden sich in einer Ausnahmesituation und dies macht sie verletzlich. Wenn sie dann Gesundheitsfachleuten begegnen, die selbstsicher auftreten und sich so verhalten, als wüssten sie genau, was sie tun, beginnen sie, obwohl sie sehr aufgewühlt sind, sich zu entspannen, zuzuhören, wichtige Informationen aufzunehmen und sich Fragen zu überlegen. Keiner würde einem Menschen Fragen stellen ­wollen, von dem er glaubt, dass er nicht weiß, was er tut. Egal ob es um die Anschaffung eines Computers, die Reparatur des Autos oder eine Hypothek von der Bank geht, jeder wird sich an die Person wenden, die auf ihn den kompetentesten Eindruck macht. Das ist äußerst wichtig in einer Situation, in der die Patienten ohnehin in einer schwachen Position sind. Sie möchten der Behandlung und den Dienstleistungsanbietern vertrauen können, und in der Tat gibt es bestimmte professionelle Verhaltensweisen, die vertrauensbildend wirken.

3.2 Höflichkeit

Respektvolles und freundliches Verhalten ist ein Ausdruck von Höflichkeit. Es ist ein einfaches Prinzip, das Vertrauen in der Betreuung schafft. Höflichkeit ist der erste Schritt auf dem Weg zum Aufbau einer klinischen Beziehung, auf die sich der Patient auf seiner Reise verlassen kann. Höflichkeit hat nicht unbedingt etwas mit Förmlichkeit zu tun; ein informeller Stil und gutes Benehmen sowie respektvolle Gespräche schließen einander nicht aus. Es geht hier vielmehr um frühzeitiges und präzises Assessment und um Abklärung – Konzepte, von denen in diesem Buch immer wieder die Rede sein wird. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass alle Arbeitnehmer im öffentlichen Bereich die Kompetenz und die Fähigkeit haben, dieses Assessment schnell und quasi automatisch durchzuführen. Dieses Verhalten ist sozusagen Teil ihrer Persönlichkeit und stets aktiviert. Im Familienkreis und im Umgang mit anderen wird es ständig angewendet. Wissen lässt sich nicht ausblenden. Professionelles Verhalten wird nicht daran gemessen, was man tut, sondern daran, wer man ist.

Fallbeispiel:Paulas Geschichte

Die Mutter meines Partners Jan war als Patientin auf der Intensivstation, weil sie während eines kleinen Routineeingriffs einen Herzstillstand erlitten hatte. Jan stammt aus einer Großfamilie, aber in den letzten Jahren hatten die Familienmitglieder wenig Kontakt untereinander. Der Zwischenfall brachte sie ­natürlich zusammen. Ich kannte die meisten von ihnen nicht und musste nun versuchen, sie in dieser für sie schlimmsten Situation zu verstehen und zu unterstützen. Es ist nicht leicht, ein entferntes Familienmitglied und gleichzeitig Pflegeperson zu sein. Ich beschloss, mich ruhig und respektvoll zu verhalten und sie nur zu unterstützen, wenn ich darum gebeten würde. Das war schwer für mich, denn sie sahen nicht, was ich sah und hörten nicht, was ich hörte. Ich merkte, dass sie nicht erkannten, was für mich völlig klar war. Jans Mutter würde nicht wieder gesund werden; die Funktion ihrer Organe wurde nur durch die Maschinen und Infusionen aufrechterhalten, doch die Familie hatte noch Hoffnung und war nicht bereit aufzugeben. Sie konnten nicht verstehen, wie sich der Zustand einer gesunden Frau plötzlich so verschlechtern konnte, dass sie auf die Intensivstation verlegt werden musste.

An jenem Samstag (Jans Mutter lag seit zwei Tagen auf der Intensivstation) war die ganze Familie da. Sie gingen jeweils zu zweit hinein, um Jans Mutter zu besuchen. Ich saß dabei und wartete darauf, mit Jan hineingehen zu können. Ich hörte, was die einzelnen Familienmitglieder bei ihrer Rückkehr ins Wartezimmer berichteten: heute sähe sie gut aus, ihre Farbe sei besser und sie könne besser atmen. Ich war überrascht und erfreut zugleich über das, was sie erzählten. Jan natürlich noch mehr. Doch als wir hineingingen, stellte sich die Situation für mich völlig anders dar. Ich sah eine Frau, die im Sterben lag, die eigentlich schon tot war. Ich fragte mich: Was sah ich, was die anderen nicht sahen? Ihre Farbe war erschreckend, ihre Haut hatte keinerlei Elastizität, ihre Atmung beschränkte sich auf den Oberbauch, war flach und ineffizient, ihre Extremitäten waren kalt und die Nase spitz. Sie würde bald sterben.

Ich gesellte mich wieder zu den Familienmitgliedern und es fiel mir schwer, ihren optimistischen Gesprächen zuzuhören. Es war nicht meine Aufgabe, ­ihnen schlechte Nachrichten zu überbringen, und überhaupt, was, wenn ich mich irrte? Sie hatten das Team der Intensivstation nicht um Aufklärung gebeten. Ich hatte das Gefühl, von einer Wahrheit belastet zu sein, die nicht ich, sondern sie kennen sollten und ich glaubte, nicht das Recht zu haben, diejenige zu sein, die sie ihnen überbringt. Es war schrecklich, niemand stellte mir Fragen, warum auch? Sie waren guter Dinge, plauderten fröhlich und planten sogar, die Genesung zu feiern. Ich änderte meine Haltung und suchte nach einer Möglichkeit, das Richtige tun zu können, das, was ich als Pflegeperson für richtig hielt. Ich dachte, ein kleiner Warnschuss würde helfen, eine Bemerkung, die sie vorbereiten und zum Nachdenken bringen würde. Was ich vorhatte, erforderte Mut; es war nicht meine Mutter, die da im Bett lag und niemand fragte mich nach meiner Meinung, aber allein durch den Anblick von Jans Mutter wusste ich etwas, was sie nicht wussten. Ich konnte kaum glauben, dass sie die Situation so völlig anders wahrnahmen als ich. Ich sagte ­ihnen, dass Jan und ich am Abend nicht auf einen Drink mitgehen würden, weil das Krankenhaus anrufen könnte. Ich war nicht in der Position, noch deutlicher zu werden. Später bereitete ich Jan natürlich auf das Schlimmste vor und wir warteten auf den Anruf, von dem ich wusste, dass er kommen würde. Jans Mutter starb um 1:00 Uhr. Die Familie war schockiert und die ­Situation sehr schmerzlich.

Der gute Jan schmückte am nächsten Tag das ganze Haus mit Blumen für mich. Er fand, ich hätte mich großartig gegenüber seiner Familie verhalten und immer die richtigen Worte gefunden. Ich habe das ganz anders wahrgenommen. Ich erinnere mich nur, etwas völlig anderes gesehen zu haben als alle anderen, und dieses Wissen war eine Belastung.

Das von Paula als Belastung wahrgenommene Wissen hat sich aufgrund jahrelanger Erfahrung entwickelt und wenn es da ist, lässt es sich nicht mehr ausblenden. Gesundheitsfachleute bleiben immer die, die sie sind. Dank ihres ­klinischen Wissens und ihrer Fähigkeit, Situationen prompt einzuschätzen, gelingt es ihnen schneller als Laien, eine Beziehung aufzubauen. Es ist diese Ansammlung von Wissen, die sie befähigt, zu deuten, was sie sehen und jene Selbstsicherheit auszustrahlen, die so schwer zu beschreiben und unmöglich zu vermitteln ist. Patricia Benner erläutert dieses Phänomen sehr gut im Zusammenhang mit der Entwicklung vom Neuling zum Experten (Stufen zur Pflegekompetenz). Sie schreibt: «Experten handeln auf der Grundlage ihrer Wahrnehmung der Gesamtsituation» (Benner 1984). Genau diese Selbstsicherheit und dieses Wissen helfen, Vertrauen aufzubauen. Die Beziehung zwischen Patienten und Gesundheitsfachleuten muss von Vertrauen geprägt sein und es stellt eine echte Herausforderung dar, dieses von Anfang an aufzubauen. In diesem Zusammenhang spielen bestimmte Konzepte eine entscheidende Rolle, wie beispielsweise die Wahrheit sagen – ein zentraler Aspekt und eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme, die im weiteren Verlauf des Buches ausführlicher erörtert wird.