Kore Tomps 3 - Peter Rupprecht - E-Book

Kore Tomps 3 E-Book

Peter Rupprecht

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Beschreibung

Kores Wunsch nach einer friedfertigen Zukunft auf Atres wird durch das rätselhafte Verschwinden der Menegerit getrübt. Als sie ihren Spuren folgt, entfesselt sie unbewusst eine unheimliche Kraft, die Kores gesamtes Lebenswerk bedroht. Es wird die Frage aufgeworfen: Gibt es einen freien Willen? Liegt die Antwort im teuflischen Plan der Menegerit verborgen?

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Diese Geschichte ist rein fiktiv. Ich lege größten Wert darauf, keinen Bezug zum aktuellen Tagesgeschehen, Orten, Themen oder Personen herzustellen.

Mein Dank gilt allen Personen und Ereignissen, die diesem Buch zur Geburt verhalfen.

Peter Rupprecht

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Morgendämmerung

Kapitel 2 Huangdi

Kapitel 3 Implosion

Kapitel 4 Juliet

Kapitel 5 Tina und Sara

Kapitel 6 Zyperion

Kapitel 7 Schlussstein

Epilog

Anhänge

Nachwort

Der Erreger ist nichts, das Milieu ist alles!

(Claude Bernard, Mediziner)

Prolog

Manche sagen, dass es keinen Gott gäbe. Das Universum wäre ein Konstrukt des Zufalls und sie selbst wären nichts anderes als seine Kinder. So wie an jedem Tag neue Sterne geboren werden und Alte vergehen, würden auch sie geboren und sterben. Es gäbe weder ein Davor noch ein Danach und erst recht keine unsterbliche Seele.

Andere wiederum behaupten, dass das Universum alles andere als eine Laune der Natur sei. Der Kosmos ist ein Ort des Werdens, ein Ort des Staunens, ein Ort der unvergleichlichen Schönheit und der grenzenlosen Weite. In diesem sich stetig entwickelndem Gebilde wäre alles in Harmonie, selbst wenn es sich zunächst dem menschlichen Geist nicht erschließt. Aufgrund dessen steht alles mit allem in Verbindung und die Frage nach der Existenz eines „Alles in sich Vereinenden“, ließe sich mit einem eindeutigen Ja beantworten.

Aber eigentlich ist es egal, was ein jeder über das Vorhandensein einer Gottheit oder des Einen in sich Vereinenden zu wissen glaubt, denn dies wird an der Tatsache nichts ändern, dass Sie, lieber Leser, diese Zeilen hier mit den Augen verfolgen, die hier geschriebenen Buchstaben in Ihr Gedächtnis aufnehmen, sie darin ordnen, den Inhalt erfassen und zu einer Botschaft deuten. Wer oder was auch immer Ihre Entscheidung beflügelte, zu diesem Werk zu greifen, so sind Sie es doch letztlich selbst, der dieses Buch in die Hand nahm, es aufschlug und bis zu diesem Punkt las. Wenn es so und nicht anders ist, warum passiert dann das Gleiche nicht mit dem Universum gerade jetzt selbst? Irgendjemand schlug es auf, begann es zu lesen und ordnet gerade seinen Inhalt. Seine Botschaft wird ganz allein von Ihnen gedeutet, weil Sie am Ende dieser Kette stehen. Dieser Prozess dauert bis heute an. Ob Zufall oder nicht: Sie nahmen es in die Hand, sie schlugen es auf und lesen gerade darin. Ob Sie es jetzt wieder schließen oder weiterverfolgen, bleibt Ihre ganz persönliche Wahl. So wie Sie sich entscheiden mit offenem Herzen durch das Leben zu gehen, oder es zu verschließen. Sie können sich nicht nicht entscheiden. Eine Entscheidung ist an sich daher weder gut noch schlecht. Sie ist, was sie ist und bekommt erst dadurch einen göttlichen Charakter.

Der dritte Teil dieses Buches handelt von der Frage des Göttlichen. Es ist die Geschichte von einem Gefängnis ohne Mauern, von einem tödlichen Virus und dem eines gesichtslosen Monsters. Sie klinkt sich zu dem Moment in Kores Leben ein, der für sie einen neuen Anfang auf Atres verheißt...

Kapitel 1

Morgendämmerung

Kore blinzelte. Die morgendliche Sonne schillerte mit ihren leuchtenden Strahlen auf dem Oberflächenwasser des verbotenen Sees, der im einstigen Niemandsland von Atres ein unwirtliches Dasein fristete. Sein helles Lichterspiel blendete die junge Frau mit den tiefblauen Augen, sodass sie an Schlaf nicht mehr dachte. Und das, obwohl sie ihn sich mehr als nur verdiente. Müde näherte sie sich vorsichtig dem Ufer des Sees, um sich den Schlaf aus den Augen zu waschen. Sie musterte mit wachsamem Blick die steinige Gegend der Caldera, in dem der Gebirgssee ruhte. Der still vor sich hindümpelnde See wirkte in diesen frühen Morgenstunden klar und tröstlich auf ihr Gemüt. Auf seiner kreisrunden Wasseroberfläche bewegte sich zu dieser Stunde keine einzige Welle. Flach und undurchdringlich wie ein riesiger Spiegel wirkte er. In ihm reflektierten sich die hohen Berge und der klare Himmel, was diesem Ort die lang gesuchte Harmonie verlieh. Sie kniete zum Wasser nieder und schöpfte mit ihrer Hand das kühle Nass, mit dem sie ihre Augen benetzte. Neko lies ihr wenigstens das feuerrote Kleid aus ihrer Feenzeit, sodass sie in diesen Stunden nicht nackt am Ufer weilte. Kore bemerkte, sich selbst in der Spiegelung des Sees betrachtend, dass ihre Ohren die spitze Form der Feen behielt. Bedeutete das etwas? Sie sah nach ihren Händen. Die fluoreszierenden Punkte zeigten sich hingegen nicht mehr auf ihnen. Lysander schlief, als Kore sich nach ihm umdrehte. Auch er trug seine Waldfeenkleidung mit den blassen Erdfarben. Kore lächelte zufrieden bei seinem Anblick. Auf seiner Brust lag sie die Nacht über und fühlte sich glücklich dabei. Sie ging zu Lysander und sah nach seinen Ohren. Diese zeigten sich abgerundet. Das kam ihr doch recht seltsam vor. Immerhin wusste Kore an diesem Morgen nun, dass die vielen Ereignisse der letzten Stunden kein Traum waren. Vor wenigen Tagen erahnte sie nicht einmal, dass es Atres, den erdähnlichen Planeten auf dem sie sich jetzt befand, überhaupt gab. Dem Platz im Universum, von dem sie abstammte. Dem Ort, an dem ihr Schicksal entsprang. Von hier aus wurden Feen in das Universum gesandt, um ihre Bestimmung zu erfüllen. Auf ihre Art und Weise griffen sie in den Lauf des Schicksals ein, ohne dass sie es als ein Eingreifen empfanden. Sie wusste weder von den jahrtausendealten Kämpfen der unsterblichen Wesen auf Atres, oder dass sie dort wie bei der Geburt von Feenkindern üblich, vom Himmel fiel. Diesem Fall aus der Atmosphäre oblag der Umstand der Verseuchung des Planeten durch die vereitelte Mission der Menegerit. Ihr Bruder Neko verdarb den Abkömmlingen der Erde den Plan zur Erlangung der Unsterblichkeit. Ewig ist nur die Zeit selbst und letztendlich der Zyklus, dem alles untergeordnet ist. Dem ewigen Kreislauf der Energie, ähnlich dem des Wassers, dem Kore und auch Lysander ihre Existenz verdankten.

Niemals rechnete Kore mit ihrer edlen Herkunft als Tochter des Feenkönigs, sowie zu ihrer Verbindung mit Lysander. Kore fühlte schon immer, dass ihr Liebster nicht auf der Erde umherging. Obwohl sie während ihrer irdischen Zeit vielen Verehrern begegnete, die ihr schöne Augen machten und sich auch alles Mögliche einfallen ließen, um ihr zu gefallen, empfand sie für niemanden so etwas, das man Hingezogenheit nannte. Vielmehr richtete sich ihr Sehnen nach Sternen. Er wäre irgendwo da draußen im Weltall. Schon immer glaubte sie das. Im Gegensatz zu ihren Freundinnen, die sich abenteuerlustig, ja beinahe wahllos in das Liebesleben stürzten, um Erfahrungen zu sammeln, griff bei ihr eine andere Regel. Wie bei den Feen üblich, bestimmten sich die Liebenden schon immer füreinander. Auch der Zeitpunkt, wo und wann sie sich trafen. Die Beziehung zwischen einem Elf und einer Fee verglich sich nicht mit dem der Menschengeschlechter. Streit über die Sorgen des Alltags wie Gut und Geld, Zeit und Erziehung, Laster und Tugend gab es bei ihnen nicht. Sie empfanden sich als Kinder des Schicksals und fühlten einander wie eine Einheit. Der Eine wusste immer, weshalb der Andere so und nicht anders handelte. In ihnen loderte das unauslöschliche Feenfeuer, dessen Keim bereits seit der Geburt in ihrem Körper steckte. Etwas, das mit der Liebe unter den Menschenkindern nur vage zu vergleichen bleiben wird. Die Liebe zwischen den Menschen ist wie das Werden und Vergehen aller Materie und des Kosmos. Es unterlag dem Verschleiß und verlor irgendwann an Geschmack. Doch das Feenfeuer brannte, einmal entfacht, dauerhaft. Eine Kraft voller Selbstlosigkeit und Harmonie, die der Quell allen Tuns der Spezies umfasste und ihr Leben gänzlich beherrschte. Ihre beiden Schicksale verknüpften sich schon immer eng miteinander. Kores Bruder Neko erklärte es ihr deutlich im See letzte Nacht. Die Zeit verhielt sich zyklisch und wiederkehrend. Sie ging, wie das Schicksal selbst Verflochtene, dem Verstand unauflösliche Wege. Viele Fragen während ihrer Zeit als Fee blieben für Kore unbeantwortet. Neko gab Kore zwar Antworten darauf, aber ihre Inhalte blieben der Feenprinzessin weiterhin rätselhaft. Sie sähe Indreen und ihre Geschwister wieder, sagte Neko ihr voraus, bevor er sich wieder an seinem ihm bestimmten Platz im Universum zurückbegab. Die paar Jahrtausende seiner Anwesenheit auf Atres waren verglichen mit dem Zeitgefüge des Kosmos nur ein kurzer Augenblick. So wie jedes Ereignis in einem Leben ein kurzer Augenblick ist, der immer in die Vergänglichkeit mündet. Neko sagte ihr, dass die Vergangenheit nie wirklich vergeht und nur deswegen für Kore als Vergangenheit erschien, weil sie die Zeit anders als er wahrnahm. Aus Nekos Sicht gab es weder Zukunft noch Vergangenheit. Dies sei nur eine Interpretation des Gehirns. Neko ist immer zu jeder Zeit präsent und fühlte auch jeden Moment gleichzeitig. Jedes dieser Ereignisse kehrte aus Kores Sicht irgendwann wieder und sie nahm die Momente wieder der Reihe nach wahr. Aber für Neko geschahen sie fortwährend. Im Gegensatz zu Kores Leben, das epochal verlief, ging Nekos Dasein über dem Kreis des Werdens und Vergehens hinaus. Neko kam nicht. Neko verging nicht. Er ist und besaß weder einen Anfang noch ein Ende. Daher erfüllte er den zyklischen Ablauf des Kosmos und durchlief ihn wie auf einer Endlosschleife. All dies tröstete Kore über den „Verlust“ ihres Bruders als Menschen hinweg. Sie fand dank ihm ihren bestimmten Liebsten, dessen Körper von Nekos Geschenk der Lebensenergie mit neuer Kraft erfüllt wurde. Kore verstand, dass die Zeit, das ewige Gefüge, ihr kleiner Bruder war, der sie liebte aber auch nicht vergessen werden möchte. Wer ihn liebte und auf ihn einging, der würde von ihm reich beschenkt sein. Ein Geschenk, das sich mit keinem Gegenstand ja sogar mit der Unsterblichkeit aufwog.

Die hochgewachsene Schönheit schüttelte ihre blonde Mähne durch, die unverändert blieb. Sie durchkämmte sie mit ihren feinen Fingern. Obwohl ihre Haartracht starr wirkte, verfing sich doch der kleinste Lufthauch darin. Bei allem, was Kore mit ihrem angewachsenen Kopfschmuck versuchte, ihre Haare nahmen immer wieder die alte Form der langen feinen Strähnen an. Erst von Ipsy, ihrer Ausbilderin, erfuhr sie, dass das vergebliche Unterfangen, ihre Haare bändigen zu wollen, niemals wirklich gelang. Einer Fee war es nämlich nahezu unmöglich ihre Frisur dauerhaft zu verändern. Es gehörte zu den typischen Merkmalen, mit der diese Gattung bedacht wurde.

„Lysander“, murmelte Kore zufrieden und beugte sich über ihn. Sie strich ihm mit ihrer feinen Hand zärtlich über seine Haare. Doch diese verformten sich im Gegensatz zu ihren und blieben auch so liegen. Dies bemerkte Kore zunächst in ihrer glücklichen Stimmung nicht. Bewegt sah sie ihrem schlafenden Geliebten zu. Verträumt folgte sie jeder Einzelheit seiner Atemzüge. Lysander mochte kaum älter als Kore sein. Seine edle Statur und Haltung wirkte kräftig. Kore dachte, wenn sie ihren Geliebten sah, auch an ihren Kampf mit den Menegerit. Die Abkömmlinge der Menschen, so wie der Computer der Huangdi die Herkunft achtbeinigen Wesen erklärte, zogen aus, um ihren Bruder einzufangen. Ihr Ziel ihn wie ein Werkzeug zu gebrauchen, scheiterte. Es gelang zwar ihren Technikern einen Zeitmagneten zu entwickeln, der Neko an einen Punkt im Kosmos konzentrierte und seine Kraft bündelte. Mit ihm wollten sie den uralten Traum der Spezies Mensch wahr werden lassen: die Unsterblichkeit erlangen. Sie wussten allerdings nicht, dass Neko ein Bewusstsein besaß und somit auch das Wissen seines Schicksals. Er wusste, dass dieser Konflikt bevorstand und auch wie er endete. Durch Kore, die letztlich das Schicksal der verbliebenen Menschen an der Hand nach Hause führte. Neko schickte sie. Sie war die schwarze Fee, die alleine durch ihr Sein und ihrer Suche nach der Wahrheit, den teuflischen Plan der Menegerit zerschlug. Neko kollidierte mit dem Planeten Atres und verseuchte den erdähnlichen Himmelskörper mit seinen Kräften. Die überlebenden Siedler der Weltraumexpedition spalteten sich aufgrund seines Einschlages in verschiedene Rassen und Fähigkeiten auf. Zu einer davon gehörte das Volk der Feen, von denen auch Kore abstammte. Die Schicksalsseherin der Feen schickte Kore zu Beginn ihres Lebens auf die Erde. Von Geburt an bestimmte sich Kores Schicksal, diesen Weg zu gehen und den Punkt zu erreichen, an dem sie jetzt stand. Die Seherin erkannte den künftigen Werdegang ihrer Schutzbefohlenen, die man zu ihr brachte und prophezeite bei Kore ein nicht gerade angenehm klingendes Schicksal. Ihr Spruch bei Kore lautete: „Dein Kind wird einen mächtigen Feind besiegen und sterben.“

Ein Spruch voller Rätsel, der alle möglichen Deutungen zu lies. Wer war der mächtige Feind? Was war mit dem Tod gemeint? Starb Kore gerade wegen ihres Sieges? Erst nach und nach wurde Kore die Bedeutung dieser Weissagung bewusst, die sie erst wieder bei dem Erhalt des Feenstaubes zu hören bekam. Ihr kurzes Gespräch mit der Seherin auf Durvin machte Kore klar, dass nicht die Prophezeiung an sich das Problem war, sondern nur, was sie selbst daraus machte. Je nachdem, wie sie ihr begegnete, so zeigte sich auch ihr Schicksal. Neko erneuerte sich aufgrund der Expedition der Menegerit wieder. Dazu schlüpfte sie in den Körper eines Knaben mit dem Namen Neko. Die fanatischen Ors auf der Erde beschworen ihn zum Weltenzerstörer herauf, um ihrer Ideologie dort zur Macht zu verhelfen. Nicht wissend, dass sie damit bereits ihren Untergang besiegelten. Die Ors gaben Neko im Waisenhaus zu Presson ab, um in ihn den Hass des künftigen Monsters zu schüren. Die Bestimmung Kores bestand darin von Anfang an Nekos letzter Halm der Rettung zu sein und ihn vor einer vollständigen Vereinnahmung des Bösen zu bewahren. Unweigerlich führte Kores Weg wieder zurück nach Atres um Neko auch ihre Kraft wieder zurückzugeben, damit Neko wieder in den Kosmos zurückkehrte. Nach Nekos Rückkehr nahm sie ihren Geliebten in die Arme und erfuhr ein Gefühl der Geborgenheit, dass sie schon so lange vermisste. War sie so doch eine Gehetzte des Schicksals. Dennoch blieben ihr Nekos letzte Worte im Gedächtnis haften. Von da an glaubte Kore an den ewigen Zyklus des Seins. Was für das ganze Universum galt, galt auch für den Einzelnen. An ein immer wiederkehrendes Schicksal, dem man sich letztlich nicht entzog. Was ist denn Wirklichkeit? Was ist Traum und Illusion? Wer das Heft des Handelns in der Hand behielt, das lernte Kore in diesem Lebensabschnitt, geriet niemals in Zeitnot. Egal was man tut, versucht und macht. Entkommen konnte man seiner Bestimmung nicht. Einzig allein wählbar blieb, wie man ihm entgegen trat.

Kore erstrahlte vor Glück. So lange sehnte sie sich danach, keine Gehetzte von fremden Mächten mehr zu sein. Endlich fand sie in ihrem Leben den Platz, an dem sie wahrlich hingehörte. An der Seite ihres Partners. Glücklich sah sie ihren Geliebten an, der von ihrer zärtlichen Berührung die Augen aufschlug. Wie verzaubert linste Lysander in ihre Augen.

„Mein Morgentau“, flüsterte er ihre Liebkosung genießend und setzte sich auf.

„Es muss ein Traum sein“, fügte Lysander betört hinzu und streichelte Kore ebenso leidenschaftlich an ihrer Wange, sodass sie ihn sein Strahlen erwidernd anblinzelte. Gleich der Sonne, die über ihnen aufging.

„Nein, das ist es nicht“, sagte sie wispernd und nahm seine Hand. Tief blickten sie sich in ihre klaren Augen und verrieten, dass sie hier und jetzt der Moment ihres großen Glücks überkam. Ihre Lippen trafen sich wie von selbst. Zeitverloren küssten und streichelten sie sich am Ufer des Sees. So vertieft, dass sie nicht das schwärmerische Seufzen hörten, das unweit von ihnen ausging. Sie gehörten zwei Wesen, die Kore bereits allzu gut kannte. Erschienen sie ihr doch permanent in den letzten Tagen, wenn sie das Bewusstsein verlor oder sich zum Schlafen legte.

Die eine hohe Stimme schwärmte anteilnehmend: „Junge Liebe. Einfach wundervoll.“

„Wie bei uns“, fügte die schroffe Männliche dumpf an.

„Wir sollten sie eine Weile in Ruhe lassen“, meine die hohe Stimme wieder.

„Ja. Ein wenig Zeit sollten sie für sich haben …“

Kore schreckte verwirrt auf. Obwohl sie Lysanders Berührungen sichtlich genoss, drängten die zwei bekannten Tonlagen, die in ihr angeborene Neugierde auf. Der typische Wissensdurst der Feen, der sich niemals stillte, blieb ebenfalls in ihr erhalten. Blitzschnell drehte sie sich in die Richtung, aus dem sie die Laute vernahm.

„Was? Ihr hier?“, sagte sie es nicht glauben wollend. Überrascht blickte Kore auf die kleinwüchsige Ipsy und den feurigen Dämonenlehrer Drag, wie sie sich auf einem breiten Felsvorsprung am See postierten. Wie die Zuschauer in einer Theaterloge beobachteten sie die Darbietung ihrer Liebesbezeugung. Kore erstaunte sich darüber, dass Ipsy die gleiche handliche Körpergröße besaß. Beide büßten nichts an ihrer Mutation ein. Etwas, dass Kore doch sehr seltsam vorkam. Glaubte sie doch, dass Neko all seine Macht dem Planeten und den auf ihm lebenden Kreaturen entriss. Auch schienen sie ihre Kräfte behalten zu haben.

„Wo wart ihr zwei eigentlich? Ich dachte, ihr seid für immer weg?“, fragte Kore sie argwöhnisch. Auch Lysander sah sich verwundert nach ihnen um.

„Oh, äh Kore. Nichts für ungut. Wir wollten euch wirklich nicht stören“, bemerkte Drag sich kleinlaut entschuldigend.

„Wie kommt es, dass ihr Zwei noch immer eure Kräfte habt?“, fragte Kore erstaunt und musterte Ipsys glitzernde Hände. Ebenso stierte Lysander verwundert Drags brennenden Zylinder an, dessen stechende Flamme nicht zu erlöschen schien und wie eine Fackel in den Himmel hineinloderte.

„Das wissen wir auch nicht“, sagte Ipsy achselzuckend. „Wir beide wurden aus unserer Ebene geschleudert. Eine Art Wirbelsturm packte mich und Drag und zog uns auf Atres zurück.“

„Ja. Das ist aber schon ein paar Jahre her. Wir glaubten, dich nie wieder zu sehen.“

„Wer sind denn die Zwei überhaupt?“, fragt Lysander überrascht und musterte die kleine Fee mit ihrem dämonischen Begleiter. Ipsy fuhr ihre seidigen Flügel aus und segelte wie ein Schmetterling über den kiesigen Boden, während Drag ihr über die Oberflache wie ein glühender Lavastrom folgte.

„Du kennst mich wirklich nicht?“, fragte Ipsy überrascht, als sie sanft wie eine Gazelle auf einem vorgelagerten Brocken landete. „Na ja, vielleicht hast du etwas von deinem Gedächtnis verloren, als sie dich töteten“, sagte sie in ihrer spitzzüngigen Art. „Ich aber kenne dich, Lysander. Im ganzen Feenreich warst du jedem bestens bekannt.“

Ipsy lehnte ihre feinen Hände dabei an ihren zerbrechlich wirkenden Körper an. Unversehens fuhren ihre Flügel in den Leib zurück.

„Sogar die Dämonen wussten von dir“, fügte Drag grinsend hinzu. Er baute sich wie eine formbare rote Knetmasse zu seiner ihm eigenen Gestalt mit brennendem Zylinder und dem feurigen Frack neben seinem Herzblatt auf.

„Wir glaubten wirklich nicht euch wieder zu sehen“, wiederholte Ipsy erleichtert. „Nach allem was wir Zwei durchgemacht haben“, fügte sie hinzu und kniff ein Auge zu Kore hinüber zu.

„Wo sind die anderen Feen hin?“, fragte Kore neugierig.

„Die ehemaligen Feen, also auch deine Mutter und dein Vater sind nach Schloss Durvan gegangen. König Laikos und die Feenkönigin verwandelten sich wieder in Menschen zurück. Die Wolkenfeste ist in die Splitterbucht gestürzt und sieht aus wie eine vom Meer durchspülte Trümmerstadt. Ziemlich grausig, wie ich finde. Halb versunkene Kristalltürme inmitten flachen Meerwassers. Die ehemaligen Waldelfen und die Dunkelelfen schlossen sich zusammen und gründeten eine neue Siedlung im Urwald. Was die Eisleute machen, weis ich nicht, da ich nicht so gern ins Eis gehe“, berichtete Ipsy im Tempo eines Nachrichtensprechers.

„Die ehemaligen Dämonen sind auf der Vulkaninsel Trestan geblieben. Na ja, sie haben sich Unterkünfte in den Tuffstein getrieben und leben jetzt vom Meer. Außerdem ist Vulkanerde sehr fruchtbar. Sie bauen dort Früchte an und keltern Wein, den sie mit den anderen Völkern gegen andere Güter tauschen. Es entwickelte sich eine erstaunliche Tierwelt im Ozean. Die Meermenschen ließen sich auf den übrigen Inseln des Planeten nieder. Nahezu jede Insel auf Atres ist besiedel. Außer auf der Huangdi natürlich. Diesem stählernen leblosen Klotz in der Splitterbucht.“

„Die Huangdi gibt es noch?“, fragte Kore aufhorchend. „Was ist mit den Menegerit passiert? Was taten die inzwischen?“, fragte Kore skeptisch nach.

„Mc Learys Schergen? Die meinst du sicherlich. Tja, das weis ich leider nicht. Es ist erstaunlich ruhig dort. Wir zwei hielten es sowieso für das Beste, all die Zeit unentdeckt zu bleiben, da wir die Einzigen sind, die ihre alten Kräfte behielten. Die anderen sind jetzt so sterblich, wie deine Freunde auf der Erde. Da sind wir Zwei fehl am Platz“, sagte Ipsy lächelnd und gestand erleichtert ein. „Ist schon komisch, dass wir Zwei so davon kamem. Es bietet uns allerhand Vorteile hier. Wir beide leben unbeschwert und ohne Abrackern in den Tag hinein, während die anderen alles mühsam vom Boden abringen.“

„Das mit der Huangdi gefällt mir gar nicht“, überhörte Kore Ipsys Rede, als sie das von den Menegerit mitbekam. „Das sieht den Zauberern nicht ähnlich. Sie wollten den ganzen Planeten für sich erobern. Selbst wenn sie nicht über Nekos Kräfte verfügen, sind sie den anderen haushoch überlegen. Ihre Technik ist absolut tödlich. Warum ließen sie die Siedler bisher in Ruhe und verzogen sich auf Nimmerwiedersehen? Da stimmt doch was nicht. Man muss dort nachsehen, was mit ihnen passiert ist.“

Kore überkam plötzlich der Gedankenimpuls, dass es ein viel wichtigeres Thema gab, als nach dem Verbleib der Menegerit zu fragen.

„Was ist mit Jule?“

„Äh das ...“, meinte Ipsy etwas betreten und schaute etwas verlegen drein.

„Ist sie tot?“

„Nein, das nicht ...“, antwortete Drag für sie. „... aber sie veränderte sich, Kore. Du erkennst sie nicht wieder.“

„Wie meinst du das?“

„Sie lebt mit Maluk zusammen bei den Wald- und Dunkelhelfen und ist nun mehrfache Mutter.“

„Was?“

„Na ja. Sie schenkte vielen Kindern das Leben. Sie ist sehr fruchtbar ...“, versuchte Ipsy weiter zu sprechen. Doch irgendwie blieb sie mitten im Satz hängen.

„Was Ipsy nicht über die Lippen bringt ...“, fuhr hingegen Drag ungeniert fort.

„Die meisten ihrer Kinder erbten eine bronzefarbene Haut von Maluk und die rostroten Haare ihrer Mutter. Aber ihr erstes Kind ...“

„Nein, Drag“, fiel Ipsy ihm sachte ins Wort. „Ich sage es ihr. Du hast einen Sohn.“

„Ich bin Vater?“, haspelte Kore, weil sie glaubte, nicht recht zu hören.

„Ihr erstes Kind trägt strohblonde Haare, hat tiefblaue Augen und ist so hellhäutig wie du“, bestätigte Drag. „Der Körperwandler, du weist doch, als du bei den Waldelfen warst …“

Kore setzte sich von der Nachricht mitgenommen. Lysander trat an sie heran und hielt sie fest.

„In der Nacht, als ich dir den Körperwandler beibrachte und du dich in Lysander verwandelt hast …“, fuhr Ipsy fort. „Du hast sie befruchtet und in ihrem Leib wuchs ihr erstes Kind heran.“

„Wie lange war ich im See?“

„Vielleicht zehn Jahre? So genau wissen ich und Drag es nicht. Hier auf Atres gibt es einen anderen Jahreszyklus als auf der Erde.“

In Kore wallte es. Eine wichtige Zeit in ihrem Leben schien verloren. Das durfte nicht so bleiben. Daher klang ihr erster Impuls auf diese Mitteilung verständlich.

„Ich muss sofort zu ihr. Bringt mich hin.“

„Das wird schwierig“, erwiderte Drag reserviert.

„Warum? Ihr beide habt doch eure Kräfte. Ihr macht mir einfach einen Gleiter ...“

Ipsy und Drag sahen Kore verwundert an. Kore unterbrach sich, als sie merkte, dass da offenbar mehr im Busch war, als sie zunächst ahnte.

„Auch wenn du einen guten Grund hast, uns um Hilfe zu bitten ...“, entgegnete Drag sie abwürgend. „... ich und Ipsy kamen überein, mit den Siedlern nicht in Kontakt zu treten und erst recht nicht ihre Nähe zu suchen. Alleine, dass wir dir und Lysander davon erzählen, ist schon grenzwertig. Wir nahmen uns vor, uns nicht in die Belange der Siedler einzumischen und den Dingen auf Atres ihren freien Lauf zu lassen.“

„Soll das heißen, ihr helft mir nicht, zu meinem Sohn zu kommen?“

„Ganz genau“, antwortete Ipsy. „Wir beide überlegten uns das in all den Jahren gut.

Ob wir dir davon erzählen sollen und wenn ja, auch wie wir dir davon erzählen, wenn du wieder aus dem See steigst. Wenn wir dir nie davon erzählten, wärst du jetzt ohne Sorgen und planst dein Leben anders. So aber weckten wir in dir das Bedürfnis am Besten schon gestern zu Jule und deinem Sohn zu kommen.“

Kore verstand das. Vor kurzem war sie ja noch selbst eine Fee und wusste, warum, sie so handelten.

„Aber ihr führt mich und Lysander doch wenigstens zu ihnen hin? Oder?“

„Euch führen? Hmm...“, fragte Drag und dachte kurz nach. Er wandte sich an Ipsy.

„Ich glaube, wir sind das unserer ehemaligen Schülerin noch schuldig. Was meinst du?“

„Als letzte Geste, um sie wieder zusammenzuführen?“

„Ganz genau“, entgegnete Drag.

Ipsy grübelte kurz und verschränkte ihre feinen Ärmchen. „Na meinetwegen. Aber wir setzen unsere Kräfte nicht für sie ein. Für uns ja, aber nicht für sie.“

„Ist in Ordnung“, antwortete Drag und drehte sich wieder Kore zu. „Wenn ihr so weit seid aufzubrechen, dann sagt mir Bescheid.“

Lysander stand auf und dehnte sich erstmal durch. Während er sich am Seeufer den Schlaf aus den Augen wusch, vergegenwärtigte Kore sich ihre Situation. Ipsy hatte Recht. Erzählten sie ihr nie von Jule und ihrem Sohn, bekäme sie nie den Drang, so schnell wie möglich aufzubrechen. Erst die Information drängte sie zum raschen Handeln. Es war in der Tat ein Glücksfall überhaupt ihren beiden ehemaligen Lehrern zu begegnen. Sie sollte daher für jede Art ihrer Hilfe dankbar sein und nicht permanent von ihnen weitere Erleichterungen einfordern. Außerdem wusste sie aus ihrer Zeit als Fee nur zu gut, dass jeder einzelne Schritt ihres Handelns gut überlegt war. Eine Fee war kein Werkzeug oder ein Mittel zum Zweck. Sie fühlte sich an Chausette erinnert, die mäkelte, wozu es denn Feen gäbe, wenn diese nichts für die Menschen täten. Kore überkam bei diesem Gedankenspiel ein ganz anderer Affekt. Gerade, als sie sich wieder in das Denken der Feen einklinkte.

„Die Menegerit“, fragte Kore Ipsy wie elektrisiert. Sie griff ihren Ansatz von vorhin wieder auf: „Warum habt ihr zwei nicht versucht, sie auszuspionieren? Sie bauen vielleicht wieder einen Magneten zusammen.“

„Ich bin ehrlich zu dir“, sagte Ipsy aufgeschlossen. Sie atmete tief durch: „Wenn ich und Drag auf die Huangdi gehen und dabei unsere Kräfte verlieren, sind wir verloren. Das Risiko ist uns viel zu hoch.“

„Du glaubst also, dass sie ihre Technologie behielten und sie deshalb sogar für euch zu gefährlich sind. Richtig?“

„Stimmt.“

„Und was ist mit den Siedlern? Mit Jule, Maluk und ihren Kindern? Die Menegerit sind auch für sie zu gefährlich.“

„Kore“, sagte Ipsy Luft holend. „Ich verstehe, dass dir das mit den Menegerit nicht gefällt, aber über die Menegerit und ihre Verschlagenheit weis ich zu wenig. Das ist ein viel zu hohes Risiko für mich und Drag. Wenn wir uns unnötig in Gefahr bringen, ist keinem geholfen. Außerdem ist es ruhig da. Es gibt keinen Anlass da hin zu fliegen.“

„Ich kenne die Menegerit viel zu gut“, erwiderte Kore. Damit lies sie sich nicht abspeisen. „Ich weis, dass auch dir das nicht gefällt, aber man müsste doch herausfinden, was da auf der Huangdi vor sich geht. Eben weil es da zu ruhig ist, stimmt etwas nicht. Sie hätten sich an sonsten in all der Zeit bemerkbar gemacht.“

Ipsy versank in Gedanken. Drag kam ihr Näher. Er fühlte förmlich die aufkommende Verunsicherung im Innersten seiner Geliebten. Auch in Kore haderte es gewaltig. Sie wusste aus ihrer Vergangenheit, um die Gefährlichkeit der Menegerit. Ihre grausigen Erinnerungen an ihren kurzen Besuch auf deren Basis sensibilisierten sie. Eine viel zu weit fortgeschrittene Technologie, von deren Wissen bei den ehemals mutierten Völkern nichts mehr haften blieb. Verloren für immer in der Wüste der Zeit. Sie selbst erahnte immerhin, was die Menegerit zu tun vermochten. Stammte sie doch aus einer Zeitepoche, die die Menegerit zu dem machte, was sie heute waren. Lysander kam vom Seeufer zurück und stieß zu Kore und Ipsy.

„Ich wäre bereit aufzubrechen. Was ist mit euch?“, sagte er erfrischt. Doch er erkannte in Kores Mine, dass sich da etwas anbahnte.

„Lysander“, sagte sie rücksichtnehmend auf sein Bedürfnis nach Frieden und sah im verständnisvoll in die Augen. „Wir beide sind vollkommen wehrlos gegen die Menegerit. Die Zauberer sind Abkömmlinge von der Erde. Sie haben Technologien, die unser kühnstes Vorstellungsvermögen bei Weitem sprengen. Ich lernte auf der Erde die Technologie der Menschen kennen. Die Menegerit entwickelten sie weiter. Wir besaßen nur eine Chance gegen sie, als wir noch Nekos Kräfte hatten. Jetzt sind wir unsere Gabe für immer los und sterblich. Wir müssen unbedingt wissen, was dort auf der Huangdi vor sich geht, ehe wir auf eine Zukunft bauen, die voller Ungewissheit steckt. Ich muss zuerst herausfinden, ob von den Zauberern wirklich keine Gefahr mehr ausgeht.“

Lysander sah ihr treuherzig in die Augen. Es behagte ihm sichtlich nicht, dass sich seine Geliebte um ihre gemeinsame Zukunft sorgte.

„Eigentlich hast du Recht. Den Zauberern kann man wirklich nicht trauen. Aber was sollen wir zwei schon anstellen? Wir beide haben, wie du schon sagtest, keine Kräfte mehr, außer einer von den Zweien dort leiht sie dir freiwillig.“

„Leihen?“, fragte Kore Lysander überrascht. Sie riss die Augenbrauen hoch. Von dieser Möglichkeit hörte sie zum erstenmal.

„Äh, Kore, das ist keine gute Idee“, fuhr Ipsy energisch dazwischen. Sie ahnte bereits, worauf das Gespräch hinauslief.

„Warum hast du mir das nicht erzählt, dass man das tun kann?“, fragte sie unverhohlen mit einem absehbaren Hintergedanken zu ihrer Ausbilderin.

„Eine Fee leiht ihre Kräfte nicht her, Kore“, sagte Ipsy entschieden.

„Aber es ist wichtig“, bettelte Kore Ipsy flehentlich an. „Ich gebe sie dir wieder, wenn ich sie nicht mehr brauche. Ich verspreche es dir. Ich will nur wissen, was die Menegerit da machen. Bitte, tu mir den Gefallen und leih sie mir. Ich bring sie dir wieder zurück. Oder willst du selbst auf der Huangdi für mich nachsehen?“

Ipsy beeindruckte das nicht im Geringsten und dreht sich von ihr ab. Ihre Ausbilderin zeigte ihr die kalte Schulter.

„Und was ist, wenn du mir dabei drauf gehst? Vergiss nicht, dass jetzt auf Atres die gleichen Bedingungen herrschen wie auf der Erde. Du bist trotzdem sterblich, auch wenn eine Fee mehr aushält als ein gewöhnlicher Mensch.“

„Ich kann auf mich aufpassen“, sagte Kore beschwichtigend. „Du hast mich schließlich ausgebildet. Nur ein Blick und ich komme wieder. Ich schwör es dir.“

Ipsy blickte sie schweren Herzens an. „Nun ja“, wisperte sie einsehend, als auch Drag sie auf Zustimmung drängend ansah.

„Komm schon. Ich glaube, wir können das Risiko eingehen. Die Menegerit sind unberechenbar. Man muss wissen, was sie treiben. Nur für ein paar Stunden ausleihen. Sie wird sie dir wiederbringen und außerdem begleite ich sie. Schaue ihr praktisch über die Schulter“, versuchte Drag ihre Bedenken zu zerstreuen. Ipsy ging dabei etwas anderes durch den Kopf. Sie verzichtete aber darauf, es anzusprechen. Schließlich drehte sich wieder zur treuherzig dreinblickenden Kore um und stierte ihr nun streng in die Augen. Kore überraschte das. Das kannte sie von ihr nicht.

„Na gut, aber nur wenn du Drag mitnimmst, damit er ein Auge auf dich wirft und wende die Feenkräfte nur dann an, wenn es nicht anders geht“, sagte sie schließlich überredet, aber mit einem flauen Gefühl im Bauch. „Und auch nur einen Blick.“

„Versprochen“, sagte Kore treuselig.

„Vergiss nicht, dass du jetzt keine Todesfee mehr bist“, setzte Ipsy in ihrer Ausbildermanier nach. „Du bekommst zwar die Energie einer Ausbilderfee und kannst alle Feenfertigkeiten, aber du verbrennst dich jetzt an kaltem Eisen. Das macht es für dich schwieriger, dich auf der Huangdi frei zu bewegen. Schon allein dafür brauchst du Drags Hilfe, weil er feuerresistent ist.“

„Ist gut.“

„Dann ist es abgemacht“, sagte Ipsy, wobei man ihr anmerkte, dass sie das sehr ungern tat. Sie streckte ihrer ehemaligen Schülerin die Hand hin.

„Hand drauf“, sagte Ipsy auffordernd zu ihr.

Kore berührte mit ihrem Zeigefinger Ipsys Hand, wodurch sie einen gehörigen Energieschub abbekam. Sie glaubte, dass silberner Regen auf sie einprasselte. Er schlug Kore förmlich auf den kieseligen Boden des Seeufers nieder. Unversehens bahnte sich ein Feenflügelpaar durch ihr Kleid, welches aber eine andere Aderung und Formgebung aufwies als ihre vorherigen Flügel.

„Schatz? Geht’s dir gut?“, fragte Lysander besorgt und kniete sich zu Kore nieder. Er hielt sie in seinen Armen.

Ipsys Aussehen veränderte sich hingegen deutlich. Ausgelaugt und kraftlos lag sie auf dem feinen Kies. Ohne Flügel, ohne Staub, aber körperlich auf die Größe von Lysander angewachsen. Drag schmolz zu ihr hin und kühlte sich mit dem Temperatus auf Handwärme herab, damit er sie anfassen konnte. Treusorgend hielt er sie fest.

„Ich verspreche, dass ich Kore heil wieder an den See zurückbringe“, sagte Drag beruhigend zu ihr.

„Hoffentlich“, atmete Ipsy tief durch. Ihre Stimme veränderte sich. Sie klang nun nach einer reiferen Frau. „Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich. Nie hab ich meine Kräfte hergegeben. Das ist so ungewohnt, so völlig wehrlos zu sein. Ich war das noch nie.“

Kore hingegen schlug ihre ovalförmigen Augen auf und blickte dämmernd auf Lysanders sorgenvolles Gesicht.

„Du bist es“, sagte sie erleichtert, als sie seine wohl vertrauten Umrisse vor ihr erkannte. „Mir war, als sähe ich mein Leben an mir vorüberziehen.“

„Völlig normal, wenn man den Feenstaub kriegt“, sagte Lysander verständnisvoll und lächelte zufrieden.

„Ja. Es wird Zeit. Ich sehe mich auf der Huangdi ein wenig um und komme so schnell wie möglich zu euch zurück“, versprach sie ihrem Geliebten und richtete sich auf.

„Ich warte hier auf dich“, sagte Lysander und beide küssten sich zum Abschied mit einer leidenschaftlichen Umarmung. Ipsy und Drag sahen ihnen gerührt dabei zu seufzten schwärmerisch daran anteilnehmend.

Kore machte sich als Erstes mit dem Designertrick der Feen für sich und ihrem Geliebten neue Kleider. Sie fand, dass es Zeit war, sich der neuen Zeit auch modisch anzupassen.

„So, ich glaube, das hält dich eine Zeit lang warm, bis ich wieder komme“, meinte sie ihr Werk begutachtend.

„Liebling. Ich pass auf sie auf“, sagte Drag Ipsy zum Abschied.

„Das weis ich …“, sagte Ipsy voller Hoffnung und beide wechselten verträumt die Blicke. Sie vergaßen beinahe die Zeit dabei, wenn Kore ihren Begleiter nicht zum Aufbruch drängte.

„Drag, kommst du?“, fragte Kore ihren Begleiter auffordernd nach einer mehr als einer kurzen Pause. Sie flatterte auf ihn wartend über dem Boden. Das Fliegen verlernte sie nicht. Ihr kam es vor, als ob sie die Feenkräfte erst gestern verlor.

„Es dauert nicht lange“, meinte Drag kurz und küsste Ipsy auf die Stirn. „In Nullkommanichts drahte ich hin. Du kennst mich ja. Kore. Folge einfach meiner Spur. Und nun tschüss.“

Just nach diesem Worte bildete sich eine glühende Spur, die sich quer durch die Berge des Kontinents bis zur Splitterbucht zog, in der die Huangdi lag. Kore verabschiedete sich von Lysander und Ipsy mit einem kurzen Wink. Sie hob sich mit ihren Flügeln senkrecht in den Himmel hinauf, wie beim Aufzugfahren in einem Wolkenkratzer. Dann fixierte sie ihren Blick auf Drags vorgezeichneten Weg und flog in seine Richtung davon.

Lysander und Ipsy blickten Kore nach, wie sie spielend die Berge der Caldera überwand und schließlich über den Bergrücken verschwand.

„Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist“, bangte Ipsy unsicher. Der ehemalige Waldelf nahm Ipsy bei der Hand und half ihr vom kiesigen Untergrund hoch.

„Ich glaube, dass Kore genau weis, was sie tut. Ich spürte das, als wir einander zum ersten Mal unsere Hände auflegten. In ihr schlägt ein großes Herz. Sie ist sehr stark.“

„Und hoffentlich auch zuverlässig. Wenn sie es so tut, wie sie es mir versprach, dann passiert ihr nichts.“

„Wegen des Leihens?“

„Der Leihtrick selbst ist ungefährlich. Dazu muss man dem Empfänger tief in die Augen sehen und seine Bedingungen formulieren. Erst, wenn sich dieser nicht an die Bedingungen hält, die ich verlange, wird er gefährlich.“

„Ich vertraue ihr. Kore sieht nur nach und kommt dann wieder her“, gab sich Lysander überzeugt. „Man sollte ihr nicht zusätzlich Angst machen, wenn man ihr von den Folgen erzählt, wenn sie dem Leihtrick zuwiderläuft.“

„Ich hoffe, du hast recht“, sagte Ipsy bangend.

Lysander ging mit Ipsy ein Stück vom Ufer weg und setzte sich mit ihr auf einen Felsen. Sie sahen sich musternd an.

„Du sagtest, du kennst mich.“

„Ja. Du bist eines der Kinder, bei denen die Seherin seinerzeit den Tod sah.“

„Ich weis, mein tödliches Glück. Kore ist mein tödliches Glück.“

„Jedenfalls glaubst du das.“

„Wie alt bist du?“

„Normalerweise fragt man Frauen nicht nach ihrem Alter“, antwortete Ipsy etwas irritiert. „Aber ich denke, dass du wissen willst, wie lange ich schon auf Atres bin.“

„Ja, du wirkst erstaunlich jung. Siehst richtig gut aus.“

„Danke“, schmunzelte Ipsy leicht errötend. „Hier auf Atres alterten wir praktisch nicht. Ich selbst zählte nie die Jahre, die ich in der Wolkenfeste verbrachte. Aber ein paar Jahrhunderte waren es schon. Eine sehr unruhige Zeit voller Übergriffe der anderen Völker auf uns. Außerdem ging es bei uns an manchen Tagen sehr wild auf der Feste zu, da wir nicht wussten, was einem am nächsten Tag erwartete.“

„Ihr habt Gelage gefeiert?“

„Na ja, so ähnlich. Es lief aber, sagen wir mal sehr kultiviert ab. Es gab Musik, Tanz, sehr viel Tee und Theatervorführungen. Dort haben wir Geschichten mit unserem Staub erzählt und sie plastisch dargestellt. Du meine Güte, da waren Sachen darunter, die die Menschenkinder die Schamesröte ins Gesicht treiben.“

„Ist Drag eigentlich schon immer dein Geliebter?“

„Nein, das nicht. Die Bewohner der Wolkenfeste wussten ihre Beziehungen zu trennen und es kam oft vor, dass wir keine festen Gruppen oder Cliquen bildeten.“

„Habt ihr mit dem Körperwandler auch so herumexperimentiert?“

„Und wie sag ich dir“, antwortete Ipsy kichernd. „Kulinarisch lief nicht viel, aber sexuell …“

„Wie wurdest du auf Drag aufmerksam?“

„Durch einen Zufall. Bei einem Angriff der Dämonen hörte ich sie immer über jemanden mit diesem Namen fluchen. Während des Kampfes bin ich mit ihm aneinandergeraten und wir jagten uns gegenseitig, bis wir zum verbotenen See kamen. Der See leuchtete an diesem Tag smaragdgrün auf, als ich mit ihm hineinfiel. Ich war klitschnass und konnte nicht mehr fliegen. Drags Feuer ging von dem Wasser aus. Aus irgendeinem Grund hatten wir keine Kraft mehr, während wir uns ans Ufer zogen. Es kamen ein paar wüste Beschimpfungen, doch irgendwie … ich weis nicht. Drag war so anders. Er machte mich neugierig. Wir näherten uns mit einer gewissen Vorsicht, doch da gab es noch etwas anderes. Etwas Fremdartiges. Ja, es reizte mich an ihm.“

„Ich verstehe, du suchtest Abwechslung.“

„So ähnlich“, antwortete Ipsy ausweichend und wechselte lieber das Thema, als Lysander mehr über ihr erstes Treffen am See zu verraten. „Ich mach mir um Kore wirklich Sorgen. Wer weis, was ihr alles auf dem Weg zur Huangdi passiert.“

„Cera kann schon auf sich aufpassen. Ich meine Kore natürlich. Ich verstehe nur nicht, warum sie nicht auf ihren Namen hören will. Dabei klingt Cera doch gar nicht so übel“, meinte Lysander nachdenklich.

„Kore verbindet mit diesem Namen nichts“, erklärte Ipsy. „Sie wurde ihr ganzes Leben lang schon mit ihrem irdischen Namen gerufen. Ihre Brüder und Schwester nannten sie so. Sie sagt, dass es der Name ihres Schicksals ist.“

„Namen verbinden kein Schicksal“, sagte Lysander einwendend. „Letztlich ist es doch das Handeln selbst, dass eine Person ihren Charakter verleiht. Dazu tut doch der Name nichts.“