Krieg den Schatten - Manuela Sonntag - E-Book

Krieg den Schatten E-Book

Manuela Sonntag

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Beschreibung

Alles was sie wollte, war Priesterin zu sein. Alles was er wollte, war Macht. Jetzt erhebt er seine Armee aus den Schatten, und um ihre Welt vor der Vernichtung zu bewahren, muss sie ihn aufhalten - oder sterben bei dem Versuch. Elysion ist ein Kontinent im Gleichgewicht von Licht und Schatten. Im Lichtreich wachen die Steinweisen über den Frieden und die Priesterschaft verehrt die Geister der Elemente. Im Schattenreich herrschen die Jormundr über die mächtigen Familien der dunklen Völker. Seit Jahrtausenden hielten sich diese Kräfte gegenseitig in Balance, aber jetzt muss sich diese althergerbachte Weltordnung verändern. Eine ungewöhnliche Apparatur, ein wilder Drache, die Drohung eines undenkbaren Krieges und eine unvorhergesehene Liebesgeschichte werden sie dazu zwingen. Alle Contentwarnungen zu diesem Titel finden Sie hier: https://www.manuela-sonntag.de/p/blog-page_12.html

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Fantasy is hardly an escape from reality. It's a way of understanding it.

Lloyd Alexander

gewidmet den Freunden und tapferen Testlesern, die mir gezeigt haben, dass Elfen und Drachen gar nicht so anders sind als du und ich

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Der Hohe Rat

Prolog: Der rote Drache

Kapitel 1: Die Prüfung

Kapitel 2: Die Drei Geister

Kapitel 3: Nach Süden

Kapitel 4: In Dunkelheit

Kapitel 5: Zwischen den Fronten

Kapitel 6: Das Fest der Inoa

Kapitel 7: Licht und Schatten

Kapitel 8: Die Geister der Verstorbenen

Kapitel 9: Im Morgengrauen

Kapitel 10: Im Tempel

Kapitel 11: Der Hohe Rat

Teil 2: Krieg den Schatten

Kapitel 12: Die Geschichte vom Anfang

Kapitel 13: Das Ende einer Reise

Kapitel 14: Im Schatten des Feuers

Kapitel 15: Licht und Schwert

Kapitel 16: Durch die Berge

Kapitel 17: Im Stein

Kapitel 18: Das Hohe Medium

Kapitel 19: In Gefangenschaft

Kapitel 20: Krieg den Schatten

Epilog: Bei Sonnenaufgang

Teil 1 Der Hohe Rat

Prolog Der rote Drache

Es wurde Nacht im Norgawald. Der bleiche Mond verschwand für die kurze Dauer seiner Reise im Lichtreich hinter den Burchabergen und nahm den letzten Schimmer von den dornigen Ranken, die die trostlosen Landstriche des Grenzgebietes fest in ihrer Umklammerung hielten. Doch schon regte sich Leben in den blattlosen Büschen und über den dunklen Himmel huschten pechschwarze Schatten.

Auf einer spärlich bewachsenen Lichtung zwischen hohen, kahlen Eichen und dem allgegenwärtigen Gestrüpp mühten sich ein paar Gestalten ächzend und fluchend, ihren großen Wagen auf einem Trampelpfad durch das Unterholz zu bewegen.

Es wurde Nacht im Norgawald. Und das bedeutete: Für alle auch nur annähernd intelligenten Wesen des Schattenreiches war es höchste Zeit, sich in ihre Verstecke zurückzuziehen und die Zwerge wussten es. Doch die schwere Ladung aus Erzklumpen und Werkzeugen hatte sich leicht nach links verschoben und drückte auf die tief im Matsch eingesunkenen Räder.

Zwei Arbeiter bemühten sich die Taue und Halterungen nachzuziehen, zwei andere stützten die linke Seite des Wagens ab und der fünfte zog und zerrte an den Geschirren der unruhigen Ochsen.

"Wir hätten nicht auf dich hören sollen", grummelte einer von ihnen. An seinen kurzen Armen spannten sich apfelgroße Muskeln, als er sich gegen die Wagenseite stemmte. "Wegen deiner sogenannten Abkürzung werden wir noch alle als Futter für die Harpyien enden."

"Ruhe! Arbeitet weiter", fuhr der Vorarbeiter dazwischen.

Murrend machten sich die Zwerge daran, Äste und Zweige herbeizuschaffen und unter die matschverkrusteten Räder zu schieben.

Schweiß tropfte unter ihren Lederhauben hervor und mischte sich mit dem Schlamm, der in jede Falte ihrer Kleidung drang. Doch dann, langsam aber stetig, begannen die Räder des Wagens wieder festen Boden zu fassen.

"Los, strengt euch gefälligst an, ihr faules Pack", flüsterte der Vorarbeiter barsch und lief hektisch um den Wagen herum. "Passt auf, er wird kip-"

Die Worte wurden ihm von den Lippen gerissen, als der Himmel explodierte. Eine glühende Woge gleißenden Lichts rollte durch den Wald und ließ alles um sie herum in Flammen aufgehen. Ein gigantischer Schatten fuhr über die Lichtung hinweg, packte einen der Zwerge und schleuderte ihn gegen einen verwitterten Baumstamm. Seine Klansleute flohen panisch in den Wald, als riesige Schwingen einen Sturm entfesselten, der sogar die Stämme der ältesten Bäume abknicken ließ wie Strohhalme.

Und dann … Stille. Das Wesen verharrte in der Luft. Im Licht der lodernden Flammen wandte es seinen Kopf nach Westen, erwartungsvoll, angespannt, die Dunkelheit jenseits der Berge durchdringend. Dann stieß es einen schrillen Schrei aus und hob sich mit nur einem mächtigen Flügelschlag hoch in die Luft.

Wenige Augenblicke später war es verschwunden und nur noch einige rasch verlöschende Flammenzungen und der zerschmetterte Körper eines Zwergs erinnerten daran, dass hier etwas geschehen war, das sich nicht einmal die Steinweisen erklären konnten.

"Das da tot?"

"Wirf Stein! Wir sehen."

Warzige Gesichter schoben sich durch das Unterholz und blickten auf die Lichtung hinaus. Der Körper des Zwergs lag immer noch unter dem Baum; seine Gefährten hatten es nicht gewagt zurückzukommen. Nun war er ein gefundenes Fressen für die Trolle.

Langsam und vorsichtig kletterten sie hintereinander aus ihrem Versteck.

Kleine, behaarte Körper drängten sich aneinander; winzige, glühende Augen starrten verschreckt in die Dunkelheit. Schließlich nahm einer von ihnen seinen Mut zusammen und wagte sich so nahe an den Zwerg heran, dass er einen Kieselstein nach ihm werfen konnte. Als sich nichts regte, wagten sie sich gemeinsam weiter vor und stupsten schließlich, zuerst mit einem langen Stock, dann mit ihren Knüppeln und Füßen an dem armen Opfer des Schattenwesens herum. Die Trolle jagten ihre Beute nicht, sie aßen nur was andere übrigließen. Wehe dem, der in den Norgawäldern verletzt, alt und wehrlos war, denn die Trolle liebten den Geschmack von zuckendem Fleisch.

"Tot! Wir essen", grunzte der mutigste Troll zufrieden und ließ sich mit seinem Faustkeil in der Hand neben seiner Beute zu Boden fallen. Seine Artgenossen taten es ihm nach und bald darauf hallte das Geräusch splitternder Knochen und reißender Muskeln durch die Nacht.

"Hey ihr da! Was tut ihr da, ihr Scheusale?"

Die Trolle hoben erschrocken die blutverschmierten Gesichter und starrten in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

"Lasst das arme Ding in Ruhe und verschwindet dahin, woher ihr gekommen seid, ihr widerlichen Aasfresser!"

Trotz malte sich auf den Gesichtern der Trolle. Fäuste ballten sich um Steinkeile und Knüppel, bereit ihre Mahlzeit zu verteidigen. Ein Blitz durchzuckte die bleierne Dunkelheit und schlug neben dem Fuß des größten Trolls ein. Dann ein zweiter, der fast den Kopf eines anderen Trolls traf und weitere, die kein bestimmtes Ziel erwählten und die gesamte Lichtung durchzuckten. Eingepfercht und bedroht, plötzlich umringt von einem unsichtbaren Feind, wussten die Trolle nur einen Ausweg. Sie flüchteten so schnell es ihre Füße zuließen.

Ein glockenhelles Lachen wehte durch die Luft, als sich die haarigen Körper auf ihrer kopflosen Flucht beinahe überschlugen. Kaum war der letzte Troll in der Dunkelheit verschwunden, flammten rund um die Lichtung winzige, grüne Lichter auf und schwirrten wie aufgeregte Mücken umher.

"Hab ihr diese dummen Gesichter gesehen?" schnaufte die Anführerin der Grenzpatrouille grimmig und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. "Aber sie waren mutiger als ich dachte. Oder vielleicht auch nur hungriger. Wenn ich heute noch einen Blitz schleudern muss, dann breche ich zusammen."

Zustimmendes Gemurmel antwortete ihr, während die Feen mit der Suche nach irgendetwas begannen, dass sie den Steinweisen berichten konnten.

Sie flogen um den Wagen herum und bedeckten die Überreste des unglücklichen Zwergs mit Steinen, um weitere Aasfresser abzuhalten. Sein Klan würde früher oder später seinen Scheiterhaufen errichten wollen. Die Feen besahen prüfend die verbrannten Äste der Bäume ringsum, doch nichts ließ erkennen, was für ein Tier hier sein Unwesen getrieben hatte.

Plötzlich verdunkelte ein fliegender Schatten die Lichtung. Die Anführerin der Grenzpatrouille hob den Kopf und sah zum Himmel hinauf. Dann seufzte sie schwer.

"Sogar dich haben die Weisen hergeschickt? Es tut mir leid, wir haben nichts gefunden … sei vorsichtig, wenn du weitersuchst."

Es schien, dass der Schatten ihr kurz zunickte, bevor er verschwand.

Arden, Hohepriester des Windes, stand allein am Fenster seiner Gemächer und sah nachdenklich ins Tal hinunter. Ein silbriger Schimmer lag zwischen den Bergen und tauchte die schneebedeckten Gipfel in eisige Schatten. Seit seiner Ernennung vor mehr als dreißig Jahren sah er die Sonne von diesem Fenster zwischen den Bergen aufgehen, unveränderlich und ewig wie das Tagwerk des Tempels. Aber in dieser Nacht war irgendetwas geschehen, das die Geister des Windes in Aufruhr versetzt hatte wie niemals zuvor. Er spürte ihr mulmiges Wispern um sich herum.

Und auch wenn ihm weder sein Spiegel noch die Wasserschale zeigen konnten, was sie so beunruhigte, fühlte er doch die Bedrohung für sich und für ganz Elysion. Im verhaltenen Zwielicht des Morgens hatte er den einsamen Reiter auf dem Weg zum Tempel heranpreschen sehen. In wenigen Sekunden würde sein Diener hereinstürmen und … "Herr, es ist etwas geschehen! Ein Bote der Weisen ist in der Empfangshalle."

Arden seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das graue Haar.

"Hat das Hohe Medium auch Solika rufen lassen?"

Der junge Mensch schluckte.

"Nein Herr, sie … sie befindet sich noch im Palast. Und sie aus Kanarkad hierherzurufen, würde Tage dauern."

"Ich werde sie selbst rufen. Sorge dafür, dass man dem Boten etwas zu essen bringt und unser Reisegepäck zusammenpackt. Wenn ich mich nicht irre, werden wir noch heute Nacht zum Tempel der Weisen aufbrechen müssen."

Der Diener verneigte sich ehrfurchtsvoll und verschwand. Arden seufzte noch einmal und fühlte die volle Last seines Alters, als er das schwere Tuch von dem mannshohen Spiegel zog. Einen langen Atemzug betrachtete er die feinen Verzierungen, die silbernen Tiere und verschlungenen Pflanzen im flackernden Licht der Kerzen. Dann jedoch legte er seine Hand auf die spiegelnde Fläche und schloss die Augen.

Der Spiegel, der eben noch einen hochgewachsenen, aber müde gebeugten Menschen gezeigt hatte, wurde trüb und aus den milchigen Nebeln tauchte langsam das Bild einer Kammer auf. Auf einem breiten Bett schlief Solika, Hohepriesterin des Windes und Mitglied des Drachenrates, in einem breiten Streifen Mondlicht. Im Arm ihre kleine Tochter, einen friedvollen Ausdruck auf dem Gesicht. Es würde ihr schwerfallen Kaika schon wieder im Palast zurückzulassen und Arden bedauerte ihre Ruhe stören zu müssen, doch es ließ sich nicht ändern.

"Komm zurück! Wir brauchen dich."

Er wusste, er würde nicht mehr sagen müssen. Zufrieden beobachtete er, dass Solika die Augen öffnete, aufsah und ihm zunickte. Dann erhob sie sich, deckte ihre Tochter mit einem Kuss auf die Stirn wieder zu und streckte gähnend die Flügel aus. Arden zog sich zurück, glättete mit einer schnellen Bewegung sein weißes Gewand und eilte dann in die Halle, um den erschöpften Boten zu empfangen.

Der Tempel der Steinweisen lag am südlichen Rand Elysions, nur durch einen schmalen Streifen Ozean getrennt vom Reich der Menschen. Diesen Ort hatten die Steinweisen ausgewählt, um aus den allgegenwärtigen Felswänden ihre Stimmen erklingen zu lassen. Tief in den Wald hinein geschmiegt lag das große Gebäude, in dem das Medium und seine Priesterschaft lebten und arbeiteten. Es kostete die Geister des Steins sehr viel Anstrengung direkt aus den Felsen zu sprechen, daher hatten sie vor Urzeiten diesen Tempel gegründet, in dem stets mehrere Novizen zu Medien ausgebildet wurden, um den Weisen ihre Stimmen zu weihen. Zu allen Zeiten herrschte im Heiligtum ein reges Treiben, denn kein Elementpriester in ganz Elysion konnte seine letzten Weihen empfangen, ohne vorher das Zwiegespräch mit den Steinweisen überstanden und von ihnen in den Fertigkeiten der Gedankenkraft und der Geistreise unterwiesen worden zu sein.

Doch heute lag der Tempelkomplex ruhig und leer im Licht der untergehenden Sonne; alle Diener, Novizen und Priester hatte man aus der Umgebung der Ratskammer vertrieben und nur aus dem großen Übungsraum der Medien glomm ein schwacher Lichtschein. Arden und Solika eilten über den Vorplatz auf die Türwachen zu, die mit einem grimmigen Nicken das schwere Portal zur Ratskammer aufschwangen. Sie waren die letzten, die eintrafen, hatten den längsten Weg in drückender Erwartung zurückgelegt. Arden stützte sich schwer auf seinen mannshohen Stab. Die holprige Reise steckte in jedem seiner Knochen.

Auch im Inneren der hohen Ratskammer herrschte bedrücktes Schweigen, obwohl der Raum beinahe überquoll. Arden und Solika mussten sich aufteilen, um noch freie Plätze an der großen Steintafel zu finden. Die Hohepriester und Priesterinnen der Elementtempel, die Könige und Königinnen Elysions, die Abgesandten der Räte, sie alle warteten darauf, dass ihnen das Hohe Medium erklärte was geschehen war. Arden ließ sich schwer auf einen Schemel am Ende des Tisches fallen und musterte die schweigenden, ernsten Gesichter im flackernden Kerzenlicht.

Schließlich teilte sich der große Vorhang, der den Meditationsraum des Hohen Mediums verbarg und Helisana betrat den Raum. Lächelnd ließ sie sich in ihrem Sessel nieder, der wie der große Ratstisch direkt aus dem Felsen gehauen war und nickte grüßend in die Runde. Der schwere Mantel des Hohen Mediums bildete einen grauen Fächer zu ihren Füßen, als sie die Huldigung des Hohen Rates entgegennahm.

Arden führte seinen Kniefall aus, aber betrachtete Helisana nachdenklich.

Er hatte sie seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Wie furchtbar alt sie geworden war. Natürlich, als Menschen alterten sie beide sehr viel schneller als Floh'ora oder Drachinnen, doch er fragte sich, ob noch ein wenig von dem fröhlichen, blutjungen Mädchen übrig war, das so unbekümmert den Stab des Hohen Mediums in Empfang genommen hatte, als es die Weisen vor fast einem halben Jahrhundert forderten. Doch seine Überlegungen wurden unterbrochen, denn Helisana senkte bereits den Kopf und ihr weißes Haar bedeckte ihr Gesicht. Und dann dröhnte von ihren Lippen die Stimme, die nicht ihre eigene war.

"Willkommen, Ihr Weisen Elysions, wir danken Euch, dass Ihr unserem Ruf so schnell gefolgt seid. Wie Ihr wisst, ist ein Wesen in unsere Welt eingedrungen, das wir nicht kennen. Wir können seine Präsenz fühlen, seinen Drang zu jagen und zu vernichten, aber wir wissen nicht, wie es in unsere Welt kommen konnte. Wir haben Aric ausgeschickt, um nach ihm zu suchen." Ein gewichtiges Murmeln durchzog den Raum. Wenn die Weisen den Greif geweckt hatten, dann musste es ernst sein. "Doch bisher konnte er uns nur wenig Ergebnisse bringen. Wir glauben, dass dieses Wesen ein Drache von der Insel jenseits des südlichen Meeres ist. Seit dem Großen Krieg hat es keinen solchen Vorfall gegeben. Wir wissen noch nicht, was oder wer ihm geholfen haben könnte die Mächte zu überwinden, die die Göttin selbst zu unserem Schutz befohlen hat."

Mit einem Mal kippte die Stimmung im Raum. Die Abgesandten des Drachenrates sprangen auf und wehrten sich entschieden gegen die Anschuldigungen, die plötzlich von allen Seiten auf sie einprasselten, die Feuerpriester taten es ihnen gleich, während andere schon zur Jagd auf das Monster aufriefen. Arden bedeckte das Gesicht mit den Händen und suchte Solikas Stimme in der Verwirrung. Er fand sie nicht. Entweder hatte sie den Raum wieder verlassen, oder sie war ebenso verblüfft wie er, unfähig den aufbrausenden Stimmen ihres Drachenrates etwas entgegenzusetzen.

"Genug!"

Ein Donnerschlag ließ die Anwesenden zusammenzucken und zwang sie in ihre Stühle zurück. Helisanas Kopf hob sich und sie sah mit ausdruckslosen Augen in die Runde.

"Wir sind weder an haltlosen Anschuldigungen, noch an nutzlosen Rechtfertigungen interessiert. Keine uns bekannte Macht kann den Schutzwall der Insel durchdringen. Und wenn irgendjemand in Elysion es versuchte, würde es uns nicht verborgen bleiben, so wie uns nichts verborgen bleibt."

Arden bemerkte mit einer gewissen Befriedigung, wie die hitzigsten Ankläger ein Stück weiter in ihren steinernen Stühlen zusammensanken.

"Geehrte Weise", erklang plötzlich eine feine Stimme von jenseits des Raumes und die Anwesenden wandten sich überrascht um. Vom anderen Ende des Tisches schwebte die Königin der Feen heran und tauchte den Raum in einen grünen Schimmer.

"Geehrte Weise," setzte sie noch einmal an und die Krone auf ihrem Kopf blitzte Ehrfurcht gebietend, auch wenn sie nur so groß war wie ein Ring für Helisanas kleinen Finger. "Was mir zunächst einmal nicht einleuchtet, wie kann es sein, dass ein Drache von der Insel hierherkommen kann?

Abgesehen davon, dass die Göttin selbst es verboten hat, soweit die Legenden berichten, konnten diese Kreaturen weder schwimmen, noch fliegen …"

Zustimmendes Gemurmel. Arden seufzte erleichtert auf. Wenn irgendjemand in diesem Raum die Stimme der Vernunft sein konnte, dann war es Nidana. Helisana nickte.

"Das ist uns bekannt."

"Und selbst wenn wir akzeptieren, dass ein solches Wesen existiert und irgendwie den Schutzwall der Insel überwinden konnte, muss das nicht heißen, dass es aus Kalkül geschehen ist. Ohne meine lieben Freundinnen",

hier warf sie den Abgesandten des Drachenrates ein entschuldigendes Lächeln zu, "beleidigen zu wollen, doch der Legende nach handelten die Kriegsdrachen des Inselvolkes nur auf Befehl. Sie waren nur dumme Tiere, die aufeinandergehetzt wurden wie Hunde."

Wieder nickte Helisana.

"Auch das ist wahr."

"Dann erklärt uns doch, wer dieses Monster hergebracht hat und warum es unsere Dörfer zerstört", warf die Hohepriesterin des Feuers ein.

Helisanas Kopf senkte sich noch ein wenig mehr.

"Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie es hierherkam, noch wissen wir, ob ihm jemand den Befehl dazu gab. Wir wissen lediglich, dass es nun in den Burchabergen sein Unwesen treibt."

"Und warum sind wir dann hier?" erkundigte sich Nidana.

"Wir brauchen die Zustimmung der Königshäuser, der Räte und der Hohepriester für den Bann des Vergessens."

Ein Windstoß schien durch das Gebäude zu streifen. Die Anwesenden hielten den Atem an.

"Gibt es keine andere Möglichkeit das Wesen zu vernichten?"

Selbst in Nidanas Stimme lag ein Hauch von Zweifel. Helisana hob wortlos den Kopf und breitete die Arme aus. In der Mitte des Raums entstand eine Luftblase, die sich rasch zur Größe eines ausgewachsenen Mannes aufblies und milchig trübes Licht verbreitete. Arden lächelte im Stillen. Helisana mochte vor der Zeit gealtert sein, aber sie war immer noch das mächtigste Hohe Medium, auf das die Weisen je ihren Geist gelegt hatten.

Der schimmernde Nebel innerhalb der Kugel, die nun ruhig in der Mitte des Raums verharrte, lichtete sich und wieder lief ein erschrecktes Murmeln durch den Raum. Das Bild der Kugel zeigte den Goldenen Greif im luftigen Kampf mit einem gigantischen, roten Drachen. Ein langer, schuppiger Schwanz war mit messerscharfen Stacheln bewehrt, die schwarzen Augen zeugten von dem festen Willen zu töten, als er seine langen Reißzähne tief in die Flanke des Greifs schlug.

Ein weiterer Schlag mit einer Klaue und Aric, der Unsterbliche, taumelte in der Luft und verlor sich in den Weiten der Burchaberge. Der Drache sah ihm einen Augenblick nach, dann wandte er sich um und verschwand in Richtung der untergehenden Sonne.

Helisanas Hände fielen herab und sie atmete schwer. Arden runzelte besorgt die Stirn.

"Ihr seht also", erklang wieder die Stimme der Weisen, "nicht einmal unserem Geschöpf gelingt es, dieses Wesen zu besiegen. Wenn wir nichts unternehmen, wird es bis zum nächsten Sonnenuntergang vielleicht schon die gesamten Gipfelregionen der Burchaberge verwüstet haben. Kanarkad eingeschlossen."

Arden hörte Solikas entsetztes Keuchen aus dem Gemurmel der Versammlung heraus, als atmete sie direkt in sein Ohr. Er wandte sich um und fand ihr Gesicht zwischen den Gesandten der Drachenkriegerinnen.

Ihre Blicke hielten einander fest. Mit dem Bild des schlafenden Kükens vor Augen, das Solikas Rückkehr in Kanarkad erwartete, erhob er sich und wählte seine Worte mit Bedacht.

"Unter diesen besonderen Umständen denke ich, dass der Bann des Vergessens ausgesprochen werden sollte. Ich …", er schluckte einmal schwer, "… ich stelle mich als Wächter zur Verfügung."

Er sah Trauer in Helisanas Augen aufblitzen, doch die Weisen ließen sie nicht zu Wort kommen.

"Bist du dir sicher, Hohepriester des Windes? Wir kennen dich schon seit langer Zeit, aber wir müssen prüfen, ob du die volle Tragweite deines Vorhabens erfasst hast. Deine Seele wird auf ewig dem Vergessen anheimfallen und du kannst von deiner Aufgabe niemals mehr entbunden werden."

"Ich werde mit dem Wesen in die Zwischenwelt gehen und für alle Ewigkeit darüber wachen, dass es nicht entkommt", erklärte Arden tonlos.

Helisana nickte.

"Gut, wenn du dir dessen bewusst bist, dann soll es so geschehen. Hat von den anderen Anwesenden noch jemand Einwände gegen unser Vorgehen?

Dann mögen sie es jetzt sagen."

Über dem ganzen Saal lag bedrücktes Schweigen, denn sie alle erkannten die Größe von Ardens Opfer. Arden verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln. Im Stillen wussten sie genau, dass kaum jemand von ihnen ein ähnliches Opfer zu bringen bereit gewesen wäre. Und die meisten würden wohl froh sein, dass diese Gewissheit zusammen mit der Erinnerung an ihn verschwinden würde.

"Hohepriester des Windes, wir nehmen deine Entscheidung an."

Die Stimme der Weisen ließ keinerlei Anteilnahme erkennen. Arden betete stumm um Kraft, seine Knie drohten nachzugeben.

"Gibt es irgendwelche Nachrichten oder Anweisungen, die du zurücklassen willst? Wir werden sie in den Berichten festhalten, damit sie nicht mit dir vergessen werden."

Arden schwindelte und seine Hand suchte nach der Lehne seines Stuhls. Er schloss die Augen und hektische Bilder zuckten hinter seinen Lidern vorbei.

Die Schüler, die er unterrichtet hatte. Die ewigen, nie endenden Aufgaben des Hohepriesters. Seine liebevoll zusammengetragene Bibliothek. Die Stille des Tempels, der sein Leben war seit über siebzig Jahren. Was konnte er sagen, dass Solika nach fünf Dekaden als Hohepriesterin nicht besser wissen würde? Er hatte sie so oft freundschaftlich dafür gescholten, dass sie als Hohepriesterin und Mitglied des Rates in Kanarkad zwei Herrinnen diente.

Dass sie das Angebot des Drachenrates hätte ablehnen sollen, es hätte akzeptieren müssen, dass ihr als Hohepriesterin das Privileg der Mutterschaft verwehrt blieb. Aber im Stillen wusste er, dass sie ihre Pflichten ebenso gut, wenn nicht besser ausfüllte, als er sein einziges Amt.

Er schüttelte den Kopf.

"Man wird einen neuen Hohepriester bestimmen müssen. Ansonsten gibt es nichts."

"Und deine Familie? Soll sie benachrichtigt werden?"

Arden schüttelte wieder den Kopf. Sein ganzer Körper fühlte sich taub an, als wäre sein Geist bereits auf dem Rückzug. Solika saß wie vernichtet auf ihrem Stuhl und Tränen rannen über ihre schwarzen Wangen. Arden umarmte sie noch einmal in Gedanken. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie er sich von der Hand seines Vaters losgerissen hatte und auf die hohen Portale des Tempels zugelaufen war, ohne sich noch einmal umzusehen. An diesem Abend hatte er sich in Solikas Röcken ausgeweint. Jetzt war er alt, sein Leben wäre ohnehin bald vorüber gewesen. Und nun, da seine Entscheidung einmal gefallen war, konnte er sich einreden, dass er sie nicht bereute. Keine Abschiede. Es war besser, den Verband schnell herunterzureißen.

"Wir werden einen Boten zu deinem Tempel senden, Hohepriester, damit man beginnen kann deinen Nachfolger zu bestimmen", entschieden die Weisen.

Arden nickte nur und vermied es Helisanas leere Augen ein letztes Mal anzusehen.

"Lasst uns beginnen!"

Die Stimmen der Weisen begannen einen betörenden Singsang, der von den Wänden des Raumes zurückgeworfen wurde und sich in Ardens Ohren mit dem Geräusch seines eigenen Herzens mischte. Eine kleine Stimme in seinem Inneren rief ihm zu: 'Rette dich! Rette dich und lebe.' Doch dann sah er den großen Drachen, der sich langsam der Stadt in den Bergen nährte und schüttelte unmerklich den Kopf.

"Ich werde euch immer beschützen", versprach er Solika noch, dann löste sich sein Bewusstsein auf und wurde in eine andere Welt gesogen, in der er nichts mehr war, nichts mehr wusste, nichts mehr fühlte außer seiner Aufgabe.

Über Kanarkad lag ein bedrohlich großer Schatten, der Zerstörung und Angst versprach. Es gab niemanden, der es beobachten konnte, doch es schien, dass der Drache für einen Moment überrascht blinzelte, bevor er einfach verschwand.

Kapitel 1 Die Prüfung

Ächzend und fluchend schob sich eine geflügelte Gestalt immer weiter durch das unwegsame Gestrüpp der Norgawälder. ‚Norga‘, das hieß in der alten Sprache der dunklen Völker so viel wie finster, feindlich. Mockra zweifelte nicht daran, dass dieser Name zutreffend war.

"Jaja, verschwinde nur!" herrschte sie eine Hirschkuh an, die in wilden Sprüngen die Flucht durch das dornige Unterholz ergriff.

Unter anderen Bedingungen hätte es Mockra gefreut einem Wesen des Lichtreiches zu begegnen, denn es bedeutete, dass sich zumindest vorerst keine Harpyien oder Daevas in ihrer Nähe befanden. Andererseits knurrte ihr Magen und sie durfte während der fünf Tage im Schattenreich nicht jagen. Die Hirschkuh hielt ihr nur vor Augen, was sie sich entgehen ließ und ihre Laune besserte sich dadurch nicht. Missmutig richtete sie ihren Blick wieder auf die Dornenranken, als erwartete sie einen Angriff.

Anscheinend waren dieses dornenbewehrte Unkraut und die verwitterten Eichen das einzige, das in dieser Einöde am Rande des Schattenreiches gedeihen konnte.

"Sogar die Pflanzen in dieser Gegend sind böse und hinterlistig", dachte Mockra verdrießlich und zog sich einen langen Stachel aus der schuppigen Haut, "aber nicht mit mir."

Auf einer kleinen Lichtung inmitten des finsteren Dickichts blieb sie stehen und sah sich unschlüssig um. Sie musste fünf Tage in dieser Wildnis verbringen, ohne zu jagen und ohne die Grenze zum Lichtreich in Sichtweite. Das war ihre einzige Aufgabe. Allein, dass sie lebend zurückfand, würde als Beweis ihrer Reife ausreichen. Doch wohin sollte sie sich wenden? Zwar wollte sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, aber sie hatte keine Lust aus reiner Langeweile den Dämonenbanden in die Arme zu laufen, die das Grenzgebiet unsicher machten. Diese Kreaturen waren sogar im Schattenreich Ausgestoßene und selbst Schattenvolk konnte von ihnen keine Gnade erwarten.

Es gab einige Heißsporne in ihrem Stamm, die nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, die Grenzgebiete ein wenig zu ‚säubern’, doch sie alle waren von ihrer Prüfung nicht zurückgekehrt. Und Mockra wusste, dass ihre Familie, die in sicherer Entfernung von der Grenze auf sie wartete, nicht nur auf ein Freudenfest zu ihrer Rückkehr vorbereitet war, sondern auch auf eine Trauerfeier sollte sie nicht überleben. Drei Tage würden sie über ihre fünftägige Prüfung hinaus warten. Danach würden die Alten den Sterberitus vollziehen und ihre Familie würde sich mehr enttäuscht als trauernd abwenden. Mockra schnaubte eine dunkle Rauchwolke aus.

Borkas Gesicht mit der unzufriedenen, kleinen Falte über dem Nasenrücken stand ihr lebhaft vor Augen.

"Ich hatte ihr gesagt, dass sie noch nicht soweit ist."

Die jüngeren Kriegerinnen des Klans würden wissend nicken und sich insgeheim daran erfreuen, dass sie versagt hatte. Borkas würde eine neue Erbin bestimmen müssen und auf der Grabstele ihrer Mutter würde eine leere Stelle zurückbleiben. Mockras Zähne knirschten. Sie war fest entschlossen keine Schande über ihre Familie zu bringen.

Schließlich wandte sie sich nach Westen, die Richtung, in die die Hirschkuh geflüchtet war. Jeder Ort im Schattenreich barg Gefahren, warum sollte sie also diesen kleinen Fingerzeig außer Acht lassen? Sie würde Borkas beweisen, dass sie allein zurechtkommen konnte, ohne sich zu verstecken, aber auch ohne sich leichtfertig in den Kampf mit den Daevas zu stürzen. Der Gestank, den dieser Abschaum verbreitete, würde sie schon rechtzeitig warnen. Doch zuerst einmal musste sie Nahrung finden.

Nachdenklich betrachtete sie die faustgroßen Beeren, die beinahe unerreichbar zwischen den langen Dornen reiften. Dann entschied sie sich dagegen. Sie war sich nicht sicher, dass sie die Pflanze richtig erkannte und man konnte schließlich nicht wissen, welche Gefahren diese einladenden Früchte verbargen. Statt in weiches, süßes Fruchtfleisch zu beißen, grub sie also nach einigen Wurzeln und brach einige Brocken weichen Sandsteins aus einem nahe gelegenen Felsen.

"Wurzeln und Steine", grummelte sie leise vor sich hin, als sie sich nach einem geeigneten Lagerplatz umsah und sich schließlich auf einen Findling fallen ließ. "Das ist doch kein Essen für eine Kriegerin."

Nachdem sie ihr armseliges Mahl beendet hatte, bahnte sie sich mit ihrem Speer weiter einen Weg durch den finsteren, feindlichen Wald. Ob es inzwischen wohl schon Abend war? Oder noch nicht einmal Nachmittag?

Sie verlor zusehends das Zeitgefühl. Beunruhigt sah sie sich nach dem bleichen Mond des Schattenreiches um. Schließlich entdeckte sie ihn weit im Osten, nur knapp über den morschen Ästen der kargen Baumleichen, die ihr Blickfeld begrenzten. Borkas hatte sie gelehrt, dass der Mond in dieser Gegend etwa zur Mittagszeit sank und erst spät in der Nacht wieder aufging. Also war es im Lichtreich schon Nacht? Ärgerlich blähte sie die Nasenflügel und ließ zischend die Luft entweichen. Die Zeit zu vergessen, war beinahe so leichtsinnig wie unnötige Kämpfe. Wenn sie die Orientierung verlor und nicht rechtzeitig zurückfand, konnte sie genauso gut sterben.

Mockra blieb einen Moment stehen und vollzog gründlich die Eindrücke ihres bisherigen Weges nach, die Beschaffenheit der Felsen, der süßliche Verwesungsgeruch der Beerenranken, die verschiedenen Fährten kleinerer Tiere, um sich eine innere Landkarte anzulegen. Sie hatte sich noch nie verirrt und auch keine Lust jetzt damit anzufangen. Während sie sich noch den Lauf des Mondes einprägte, bemerkte sie ganz in der Nähe einen hohen Baum, der nicht ganz so verrottet aussah wie alles andere um sie herum. Vielleicht bot die Krone genug Platz für ein Nachtlager?

Entschlossen stapfte Mockra weiter durch das elende Dickicht, bis sie genau unter dem ausladenden Geäst stand. Mit ihrem Speer stieß sie mehrere Male so fest sie konnte gegen den Stamm und die tiefer liegenden Äste und stellte zufrieden fest, dass beide diesen Attacken standhielten. Sie wagte nicht ihre Flughäute zu entfalten, da sie fürchtete sie an den Dornenranken zu verletzen, die auch diesen Baum fest in ihrem Würgegriff hielten. Also befestigte Mockra ihre Waffe wieder im Halfter auf ihrem Rücken und grub ihre Krallen tief in das steinharte Holz. Der Aufstieg an sich war leicht zu bewerkstelligen, sich einen Schlafplatz zwischen all diesem Gestrüpp einzurichten dagegen schon Schwerstarbeit. Doch schließlich hatte Mockra sich eine Astgabel freigelegt und ließ sich mit einem erschöpften Knurren darauf nieder.

Den Speer griffbereit und alle anderen Sinne geschärft, schloss sie die Augen und war bald darauf eingeschlafen, ohne auch nur die kleinste Faser ihres Körpers zu entspannen.

Die weiteren Tage ihrer Prüfung gingen so ereignislos dahin, dass sich Mockra ernstlich zu fragen begann, was sie den Ältesten berichten wollte, wenn sie die dunkle Seite wieder verließ. Natürlich gab es Feiglinge unter den Kriegerinnen ihres Stammes, die sich fünf Tage in der Krone eines Baumes versteckten und später wilde Geschichten über ihre Abenteuer erzählten. Doch früher oder später verrieten sie sich doch immer und mussten zu Recht die Verachtung und den Spott des Klans ertragen.

Mockra schnaubte abfällig und schlug einen tiefhängenden Ast aus dem Weg. Solche Lügenmärchen waren unter ihrer Würde, doch andererseits wäre es auch beschämend, gestehen zu müssen, dass sie nicht einen einzigen Kampf bestritten hatte, sah man einmal von einer winzigen Auseinandersetzung mit zwei Trollen ab. Einige langweilige Tage im Schattenreich verbracht zu haben, ohne zu verhungern und ohne sich zu verirren, klang nicht nach der triumphalen Heimkehr, die sie sich bei ihrem Aufbruch erträumt hatte.

Es half nichts. Sie musste zurück und es wäre unvernünftig noch länger zu bleiben, nur um auf einen vielleicht gefährlichen Kampf zu hoffen. Am Ende würde sie nur verletzt und schaffte es nicht mehr rechtzeitig. Also stützte sie sich auf ihren unbenutzten Speer und machte sich trübsinnig auf den Weg in Richtung Süden, zurück zu Sonne, Wärme und einem ordentlichen Festmahl. Doch sie war noch keine hundert Schritte weit gekommen, als sie ein leises Geräusch aufhorchen ließ. Der Wind hatte sich gedreht und trug ihr aus der Ferne das tiefe Gemurmel mehrerer Stimmen zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und ihre Nasenflügel bebten, als sie versuchte eine Witterung der Wesen aufzunehmen, die sich etwa fünfhundert Meter von ihr entfernt unterhielten.

"Dämonen", flüsterte sie kampfeslustig.

Es war nicht vernünftig ihre Rückkehr zu verschieben. Sie wusste nicht einmal mit wie vielen Daevas sie es zu tun bekommen würde und der fünfte Tag war beinahe verstrichen … doch das Blut, das durch ihre Muskeln pulsierte und in ihren Ohren rauschte, raunte ihr etwas anderes zu.

Vielleicht hätte ihre Vernunft dennoch den Sieg davongetragen, hätte sie den Schrei nicht gehört. Es war der unterdrückte Schrei einer Menschin und er hing zittrig in der dumpfen Luft.

Mockra warf einen berechnenden Blick nach oben, schätzte die Entfernung zwischen den kahlen Baumkronen ab und katapultierte sich mit einem kräftigen Sprung in die Höhe. Es war schwer, das Gewicht ihrer Rüstung und Waffen zog sie mit Gewalt nach unten, doch Mockra biss grimmig die Zähne zusammen und zwang ihren Körper aufwärts. Ein paar Flügelschläge rollten die endlosen Wipfel der Norgawälder vor ihr aus und der Nordwind trug ihr den schwachen Geruch von Rauch zu. Für den kurzen Moment, den sie der Schwerkraft abtrotzen konnte, genoss sie die wirbelnden Luftströme, die über und unter den ledrigen Häuten hinflossen. Wie ein riesiger Vogel schwebte sie endlich über der Lichtung, auf der sich eine Handvoll Daevas um ein winziges Lagerfeuer versammelt hatten.

"Es sind nur fünf."

Erleichtert und hocherfreut ließ sie ihrer aufgestauten Energie alle Zügel schießen. Die Menschin lag zusammengekrümmt am Rande der Lichtung und wimmerte schwach. Ihr langes Kleid war zerfetzt und ihre blasse Haut mit Kratzern übersät. Warum hatten die Daevas sie noch nicht getötet?

Mockra schoss auf die Lichtung herunter und fing erst im allerletzten Moment ihren Sturzflug ab. In einer riesigen Staubwolke landete sie vor den überraschten und – sie sah es mit Genugtuung – erschreckten Gesichtern der dunklen Wesenheiten. Sie gönnte sich diesen dramatischen Moment, ließ die Überraschung in Furcht umschlagen, wartete, kostete die Vorfreude aus.

Es musste sich ein See in der Nähe befinden, denn sie bemerkte zwei Wassergeister unter den Schreckgestalten, die sich nur langsam aufrappeln konnten. Ihre schuppige Haut glich der ihren, war aber bläulich statt braun und, ihrer Einschätzung nach, weit weniger widerstandsfähig. Aus ihren strähnigen Haaren tropfte noch traniges Wasser. Ihre drei Gefährten waren seltsame Mischwesen, eine beträchtliche Ansammlung abstoßender Fratzen, Gliedmaßen und Flügeln.

"Sieh an, eine Drachenkriegerin", ließ sich der größere Wassergeist vernehmen, offenbar der Anführer der Gruppe, der als erster sein Schwert und seine Stimme fand. "Was führt ein hässliches Reptil wie dich hierher?"

Mockra fühlte das Feuer in ihrer Lunge aufsteigen, doch sie hielt ihren brennenden Atem zurück und entblößte stattdessen ihre rasiermesserscharfen Reißzähne.

"Warum sollte ich einem armseligen Fisch antworten, der es nicht einmal fertigbringt ein Lagerfeuer zu verstecken, oder seine Gefangene ruhigzustellen?"

Sie legte bedächtig ihre Flügel auf dem Rücken zusammen und ließ einen grimmigen Blick über die Daevas schweifen. Die kurzen Knochenstacheln auf ihrem anmutig gebogenen Schwanz stellten sich bedrohlich auf.

"Sieh dich vor, wir sind Abgesandte des großen Königs Bahmat. Wenn du dich uns in den Weg stellst, wird er dich zermalmen!"

Wie zur Demonstration trat er das Feuer aus und tauchte die Lichtung in Zwielicht, doch ihr spöttisches Lächeln konnte er dadurch nicht vertreiben.

Sie brauchte ihn nicht zu sehen, um ihn genau ausmachen zu können, das würde er noch früh genug bemerken.

"Du, ein Bote des Königs? Ich dachte bisher, euer König hätte zumindest für einen Dämon einen Funken Verstand. Aber wenn er so unvorsichtige Versager wie euch mit einem Beutezug betraut, dann kann er kaum klüger sein als eine Fliege."

"Das wirst du bereuen, du …"

Der triefende Wassergeist brachte den Satz nicht zu Ende, sondern stürzte sich mit gebleckten Zähnen auf sie. Doch er war kein Gegner für ihre ungeduldige Kraft. Mit nur einem Schwung ihres Schwanzes zerschmetterte sie seinen Brustkorb und schleuderte ihn quer über die Lichtung, bis ein morscher Baum seinen Flug bremste und über ihm zusammenbrach. Mockra lachte befreit auf, während die anderen Mitglieder der Gesandtschaft sich nun gleichzeitig auf sie stürzten.

Einen schlug sie nieder, dem anderen bohrte sie ihre Krallen in den Bauch, bis sie ein zufriedenstellendes Knirschen vernahm und dickflüssiges Blut über ihre Hand rann. Den anderen Wassergeist und ein kleines insektenähnliches Wesen trieb sie vor sich her, bis sie es leid war. Dann schickte sie ihnen eine glühende Feuerwoge nach, die sehr viel schneller war als die Daevas. Befriedigt und belustigt blickte sie sich um. Sie hatte nicht einmal ihre Waffe ziehen müssen.

"Ah, da bist du ja."

Der Dämon, den sie lediglich niedergeschlagen hatte, bemühte sich nach Leibeskräften zu fliehen, doch aus seinem Ohr floss Blut und es war abzusehen, dass er seinen Freunden bald ins Jenseits folgen würde.

"Wenn du mir sagst, wohin ihr die Menschin bringen solltet, dann werde ich dich schnell töten. Wenn nicht, dann breche ich dir die Arme und Beine und lasse dich für die Trolle liegen."

In den Augen des Dämons spiegelten sich Resignation und Hass.

"Unsere Aufgabe hast du übernommen und du wirst die Konsequenzen tragen. Die Menschin ist hier auf Befehl unseres Königs und du wirst noch bereuen, sie gerettet zu haben!"

'Er redet irre, diese miese Kreatur', dachte Mockra bei sich. Laut sagte sie:

"Eher wird es euer König bereuen, wenn er sich nochmal darauf verlegt Lichtvolk verschleppen zu lassen. Und warum sollte ich bereuen sie gerettet zu haben? Das Schattenreich endet nur wenige hundert Schritt von hier. Man sollte keine hirnlosen Geschöpfe um Auskunft bitten."

Angeekelt richtete sie sich auf, hielt jedoch ihr Wort, zog ihren Speer und versenkte ihn tief in der Brust des Daeva, der sich ächzend aufbäumte und dann zusammensank. Mockra wischte mit einer beiläufigen Bewegung sein öliges Blut von ihrer Waffe und wandte sich ab. Sie hatte nie vorgehabt ihn für die Aasfresser zurückzulassen, es deckte sich nicht mit ihrer Ehre. Sie stieg über die verstreuten Leichen hinweg und entzündete im Vorbeigehen die spärlichen Reste des Feuers, um sich den Zustand der Gefangenen einmal genauer anzusehen.

"Ein Schlag auf den Kopf", murmelte sie, als sie den bewusstlosen Körper herumdrehte.

Die Menschin war dürr und schwach, kein Wunder also, dass sie in die Hände der Dämonen gefallen war. Doch dann fiel Mockras Blick auf den goldenen Sichelanhänger an ihrem Gürtel und ihre bernsteinfarbenen Augen weiteten sich vor Erstaunen.

"Eine Priesterin", flüsterte sie mit neuem Respekt.

Alle Völker Elysions achteten die Priester und Priesterinnen der Elemente, auch wenn ansonsten jedes Volk seine eigenen Götter verehrte. Doch wann immer sich in einem Kind die Kraft zeigte die Elemente zu kontrollieren, machte es seiner Familie große Ehre, wenn es in einen der Tempel eintrat und die höheren Weihen empfing.

"Ein blaues Kleid … eine Wasserpriesterin", kombinierte Mockra und freute sich noch mehr, dass sie sie gefunden hatte.

Sie hatte eine Priesterin der Elemente gerettet und konnte zudem den Beweis für ihre Geschichte gleich mitbringen. Neugierig warf sie einen Blick auf die Unterseite des Anhängers. Aleia stand da in schön geschwungenen Buchstaben. Dann betrachtete sie die Züge der bewusstlosen Priesterin und dachte an die Entfernung, die ihr noch zu überbrücken blieb, bis sie sich wieder im Licht der Sonne und der Bewunderung ihrer Familie sonnen konnte. Seufzend schulterte sie ihre menschliche Last und machte sich auf den Weg.

"Zumindest hast du dafür gesorgt, dass meine Prüfung wirklich erfolgreich war", sagte sie zu Aleia, war aber froh, dass sie ihr nicht antworten konnte, als sie sich ihren Rückweg durch den Dornenwald erkämpfte.

Aleias Bewusstsein tastete sich erst vorsichtig heran, doch als sie das rötliche Leuchten hinter ihren Augenlidern langsam einordnete, katapultierte sie reine Erleichterung in ihren Körper zurück.

"Lasst mich los, loslassen! Loslassen!"

Ohne einen weiteren Gedanken an ihre Eskorte, ihre Erschöpfung, ihren schmerzenden Kopf oder Körper zu verschwenden, machte sie sich von ihren Bewachern los und kämpfte sich verbissen dem erlösenden Sonnenlicht entgegen, das vor ihr durch eine Lücke im dichten Laubwald drang und goldene Punkte auf den Waldboden malte.

Ein paar Schritte taumelte sie diesem Wunder entgegen, dann gaben ihre Knie nach und sie sank auf alle viere. Ihre Finger gruben sich in warme Erde, ihre Blicke flogen von gelben Butterblumen im grünen Gras zu den Baumkronen, die in allen Farben des Spätsommers leuchteten. Wie eine Fata Morgana meinte sie ihr geliebtes Seeufer durch die Bäume schimmern zu sehen. Unwillkürlich stiegen kleine Tautropfen aus dem moosigen Grün auf und tanzten wie Glühwürmchen um ihren Kopf. Die Geister des Wassers sprudelten in ihrem Inneren und sie wollte schreien vor Überwältigung und Glück, aber es kam nur ein kleines Krächzen zustande.

"Ich bin zu Hause."

Sie flüsterte es in den lauen Wind und ihre ungläubige Freude fühlte sich wie Verrat an.

Leia, Leia, schau mal die Echsenfrau!

Gaaanz viel Feuer hat sie gemacht und die dummen Soldaten einfach verpufft!

Ob es hier Eichhörnchen gibt?

Aleia fuhr herum und fokussierte ihren Blick auf die riesige, gerüstete und bewaffnete Drachin, die erstaunt auf sie heruntersah.

"Geht es dir gut?"

Sie hielt Aleia eine Hand entgegen, die sie nur zögerlich ergriff, ihre Sinne überflutet von Licht und Verwirrung.

"Was … wer bist du? Wo sind die … Und wo sind wir?" brachte sie schließlich heraus und kam zittrig auf die Füße.

Die Drachenkriegerin musterte sie prüfend und hielt ihren Arm fest.

"Kannst du stehen?"

Aleia versuchte zu nicken, aber ihr ganzer Körper schwankte mit ihrem Kopf und ihre Beine fühlten sich an wie gekochte Spargelstangen.

"Ich … ich würde gern ein bisschen ausruhen."

Sie ließ sich wieder auf den Boden fallen und unterdrückte den Impuls, mit ihren Fingern staunend durch die raschelnden Blätter zu fahren. Nach endlosen Tagen einsilbiger Kommandos und totenstiller Wälder drangen die Vogelgesänge wie eine Druckwelle auf ihre Trommelfelle ein und ihre Augen schmerzten von der ungewohnten Helligkeit. Die Drachin setzte sich vor ihr auf die Fersen und legte nachdenklich den Kopf schief.

"Ich hatte nicht gedacht, dass die Beule an deinem Kopf so schlimm sein würde. Ich denke, wir machen hier ein Feuer und ich sehe mal, ob ich uns etwas zu essen jagen kann." Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. "Ich heiße übrigens Mockra. Keine Angst, um den Dämonenabschaum, der dir das angetan hat, habe ich mich gekümmert.

Die werden niemandem mehr Ärger machen."

Aleia krallte ihre Fingernägel tiefer in den weichen Waldboden.

Dämonenabschaum. Die Erinnerung an Korin tat immer noch beinahe körperlich weh.

"Du hast sie alle umgebracht?"

Mockra stieß amüsiert die Luft aus und richtete sich wieder auf.

"Es waren doch nur fünf. Für eine Kriegerin ist das ein Kinderspiel. Hier, pass auf!" Sie warf ihr eine kleine Zunderkiste vor die Füße. "Du suchst schon mal Feuerholz, ich bin in ein paar Minuten mit dem Abendessen zurück. Mein Klan lebt zwar nur noch eine halbe Tagesreise entfernt, aber wenn hier zu übernachten bedeutet, dass ich dich nicht den ganzen Weg tragen muss, ist mir das recht."

Damit wandte Mockra sich ab und löste im Laufen ihren langen Speer aus seinem Halfter. Eine Sekunde später verschmolz ihre braune Schuppenhaut mit dem Zwielicht des Waldes.

Nicht weinen, Leia!

Die blöden Doofies waren doch gemein zu dir!

Wiiiir haben ihnen Steine in die Schuhe getan und sie im Schlaf an den Haaren gezogen.

Wir hätten sie selber verpufft, wenn du uns gelassen hättest! Wir hätten ihre fiesen Gesichter zermatscht!

Aleia schniefte und wischte sich mit ihrem zerrissenen Ärmel die Tränen vom Gesicht.

"Die Soldaten wollten nichts mit mir zu tun haben und ich kann es ihnen nicht verdenken." Sie presste die Lippen zusammen und rappelte sich vom Boden auf. "Trotzdem hatten sie es nicht verdient, erschlagen zu werden wie Ungeziefer."

Aleia fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn und versuchte vergeblich das Gefühlschaos in ihrer Brust zum Schweigen zu bringen. In der erzwungenen Einsamkeit auf dem Weg zur Grenze hatte sie das Rad aus Trauer, Sehnsucht, schmerzlichem Bedauern und verhaltener Hoffnung nicht zum Stillstand gebracht, doch nun war sie wieder im Lichtreich und es gab Dinge, die sie niemandem, außer vielleicht dem Hohen Medium, erzählen konnte. Das Schicksal ihrer Eskorte machte das überdeutlich.

"Ihr müsst vorsichtig sein", flüsterte sie den Geistern zu und suchte nach ihren Lichtpunkten. "Hier darf euch niemand sehen. Am besten ihr geht wieder nach Hause, denn ich …" Ihre Stimme versagte, doch sie zwang sich den Tatsachen ins Auge zu sehen, in der Hoffnung, dass der Schmerz irgendwann nachließ, wenn sie nur fest genug auf dem wunden Punkt herumdrückte. "Ich kann nie wieder zurückkommen, versteht ihr das?

Ich … ich bin hier zu Hause."

Ein nervöses Ziehen in ihrem Bauch schwemmte eine neue Welle Unsicherheit und Hoffnung auf. Und wenn sie doch …? Aleia schüttelte wild den Kopf und schwankte bedrohlich. Sie war erschöpft, hungrig und niedergeschlagen, ihr Körper und ihr Geist waren einfach aus dem Gleichgewicht geraten, das war alles.

"Ich bin wieder zu Hause. Alles wird wieder so, wie es war", wiederholte sie nachdrücklich, um sich selbst zu überzeugen.

Betroffenes Schweigen antwortete ihr aus den Baumkronen. Aleia nickte, wandte sich um und bückte sich vorsichtig nach einem trockenen Ast.

Uns sieht niemand, wenn wir nicht wollen.

Es war ein trotziges Auflehnen, gefolgt von schmollender Stille. Aleia seufzte ergeben, aber es war nur eine Fassade für den kleinen Funken Trost, den sie nicht unterdrücken konnte.

Sie hatte gerade genug Zeit, ein paar Zweige und kleinere Äste zu stapeln, bevor Mockra auch schon mit zwei Kaninchen aus dem Unterholz zurückkehrte. Aleia ließ sich ein Messer reichen und während die Drachin noch weiteres Holz heranschaffte, nahm sie die Tiere aus und häutete sie.

Eine beruhigende Routine ging von diesen einfachen Handgriffen aus, es war beinahe, als wäre sie wieder in der Tempelküche.

Mockra begutachtete schließlich die Bratspieße zustimmend und ließ sich auf der anderen Seite des Feuers nieder.

"Warst du unterwegs nach Kanarkad, als die Dämonen dich eingefangen haben? Wie bist du überhaupt so weit hinter die Grenze geraten?"

Aleia fühlte die bohrende Spitze hinter den beiläufigen Fragen. Ein Teil von ihr hatte nicht daran geglaubt, dass sie einfach so ins Lichtreich zurückkehren konnte und ein Teil von ihr hatte sich dagegen gewehrt, doch sie hatte genug Zeit gehabt, sich eine Erklärung zurechtzulegen.

"Ich war auf dem Weg zum Windtempel, um meine Prüfung abzulegen. Ich weiß nicht genau, wie ich ins Schattenreich gekommen bin, aber ich … In den Bergen hatte ich einen Unfall. Beinahe wäre ich gestorben und jetzt bin ich nicht sicher, ob ich meine Pilgerschaft weiterführen kann. Und was mit mir passiert, wenn nicht …"

Aleia schluckte schwer. Es war nur gerade genug Wahrheit, um keine Lüge zu sein und sie fühlte das große Fragezeichen ihrer Zukunft wie eine Axt über ihrem Nacken schweben. Mockra brummte und zum ersten Mal sah Aleia so etwas wie Verständnis in den Augen der Drachin aufflackern.

"Schon ein komischer Zufall. Wäre ich nicht wegen meiner Prüfung im Schattenreich gewesen, hätte sich diese Frage wohl von selbst beantwortet.

Und was willst du jetzt tun? Der Windtempel liegt fünfzehn oder mehr Tagesreisen östlich von hier, wenn man sich den Wegzoll für die Zwergenstraßen nicht leisten kann. Aber wenn du nur mit irgendeinem Priester sprechen willst, es gibt einen Tempel in …"

Aleia schüttelte erneut so heftig den Kopf, dass ihr schwindlig wurde.

"Nein, ich denke, nur das Hohe Medium kann in einem Fall wie meinem entscheiden", unterbrach sie Mockra bestimmt.

'Du kannst dich niemandem sonst anvertrauen. Und vielleicht kannst du dich sogar von ihm verabschieden', wisperte ihr eine andere Stimme zu, halb besorgt, halb hoffnungsvoll.

"Du willst zur Insel der Steinweisen?" Mockra hob überrascht die Augenbrauen. "Bist du sicher? Das ist am anderen Ende von Elysion, die Reise dahin dauert Wochen."

Aleia legte eine Hand an ihren schmerzenden Kopf, aber nickte nachdrücklich.

"Nur das Hohe Medium hat die Autorität, einen Fall wie meinen zu entscheiden."

Das Ausweichen in eine direkte Täuschung deckte sich eigentlich nicht mit ihrer Würde als Priesterin, aber andererseits war sie vielleicht schon keine Priesterin mehr, was machte es also für einen Unterschied?

Mockra jedenfalls schien es nicht einzufallen, die Hierarchie der Priesterschaft in Frage zu stellen. Sie nickte nur beiläufig.

"Also schön, wenn du zum Tempel musst, musst du eben zum Tempel.

Borkas wird bestimmt jemanden finden, der dich dort hinbringen kann."

Dann gab sie ein zufriedenes Knurren von sich und grub ihre Zähne in ein saftiges Stück Fleisch.

"Was? Du schickst mich? Vor meiner Prüfung hieß es, ich könnte nicht mit den anderen kämpfen, weil meine Ausbildung Vorrang hat. Jetzt endlich kann ich unseren Stamm verteidigen und du machst mich zu einem Kindermädchen für die Priesterin?"

Mockras aufgebrachte Stimme hallte wie ein unheimliches Echo aus dem Vorraum herüber und ließ Aleia aufseufzen. Sie starrte zur Decke des spärlich beleuchteten Höhlenraums.

Willst du ihnen nicht sagen, was los ist?

Ja, lügen ist böse, weißt du?

Böööööse!

Aleia schüttelte den Kopf und richtete sich auf einem Ellbogen auf.

"Ich lüge ja nicht wirklich", flüsterte sie in die flackernden Schatten, "aber wo soll ich denn mit den Erklärungen anfangen? Niemand im Lichtreich würde mir auch nur ein Wort glauben. Ich muss irgendwie in mein altes Leben zurückfinden und der beste Weg dazu ist bestimmt nicht, überall wo ich hinkomme, wirre Geschichten über das Schattenreich zu erzählen."

Im Wohnbereich der kleinen Höhle sprach Borkas immer noch beruhigend auf Mockra ein.

"Nimm doch Vernunft an, mein Kind. Die Priesterin sagt uns beinahe nichts darüber, was mit ihr passiert ist. Nur, dass sie zum Tempel will. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf. Wer weiß, was die Daevas mit ihr gemacht haben." Aleia lächelte traurig. "Das Hohe Medium wird wissen was zu tun ist, aber ich kann gerade jetzt keine Kriegerinnen entbehren."

"Ich bin eine Kriegerin! Ich habe meine Prüfung bestanden, ich habe sie gerettet, ganz allein gegen fünf Dämonen und sie haben mich nicht mal berührt. Ich kann unseren Klan verteidigen. Schick doch einfach eine Schülerin als Aufpasserin mit ihr in den Süden."

"Du weißt genau, dass ich kein Küken schicken kann. Die Wälder zwischen uns und dem Menschenreich sind voller Ausgestoßener und anderem gefährlichen Gesindel. Übernimmst du die Verantwortung, wenn die Menschin und eine unserer Schülerinnen getötet werden, nur weil du deinen Kopf durchsetzen wolltest? Ich führe diesen Klan und ich muss tun, was für alle das Beste ist. Und du wirst mit der Priesterin zum Tempel gehen.

Ihr reist nach Süden; wenn ihr Glück habt, erreicht ihr die Insel der Steinweisen lange vor den ersten Herbststürmen. Ich lasse euch Vorräte zusammenpacken, ihr brecht im Morgengrauen auf. Keine Widerworte mehr!"

Aleia hörte wie sich schwere Schritte entfernten. Sie war Borkas am Abend zuvor vorgestellt worden und die Anführerin hatte Eindruck auf sie gemacht. Sie hatte noch nie eine Drachin gesehen, die so groß und schwer gepanzert war. In den Wäldern um den Wassertempel gab es nur wenige versprengte Siedlungen der Drachinnen und die Kriegerinnen dort blieben um einiges kleiner. Ihnen fehlten die großen Bergmassive, es gab kaum Möglichkeiten, Wohnhöhlen in Stein zu schlagen und essbare Erze zu finden. Mockra war auch nicht gerade klein gewachsen und sah, genau wie Borkas, mit ihrer dunklen Schuppenhaut noch einmal furchteinflößender aus. Als hätte sie diesen Gedanken gehört, schlug Mockra in diesem Moment den schweren Ledervorhang, der den Durchbruch zum Schlafplatz verbarg, so heftig zurück, dass eine kleine Staubwolke aufstieg.

Aleia begegnete ihrem mürrischen Blick entschuldigend und richtete sich in eine sitzende Position auf. Mockra hielt einen Holzteller in Händen, auf dem ein paar Stücke Fleisch und Käse lagen.

"Borkas Späher haben einen Händler im Wald angehalten, aber er hatte kein Brot oder Grünzeug dabei. Du lässt dir den Käse trotzdem besser schmecken; unsere Wegzehrung wird nur aus Wurzeln und Trockenfleisch bestehen. Leider hatte die Karawane auch keine Rüstung oder so etwas, das dir passen würde. Aber eine der Alten wird dir dein Kleid ein bisschen herrichten."

Aleia nickte dankbar und nahm den Teller entgegen. Mockra ließ sich auf das zweite Lager fallen, das man gestern in aller Eile aus Zweigen und Fellen zusammengetragen hatte. Ihr Blick ruhte auf Aleia.

Was ist ein Käääse? Das weiße Zeug da? Sieht aus wie Schimmel … Schimmel ist lecker!

Ist er nicht, Schimmel schmeckt wie Kröte!

Kröte macht aber lustige Geräusche.

Bevor sie es verhindern konnte, schlich sich ein kleines Schmunzeln über Aleias Gesicht. Mockra runzelte die Stirn.

"So langsam glaube ich, Borkas hat Recht. Priesterin oder nicht, du bist wirklich sehr seltsam. Redest du schon immer mit dir selbst?"

Aleia zuckte ertappt zusammen und biss sich auf die Lippe. Das Murmeln der Geister in ihrem Hinterkopf erstarb schlagartig.

"Hast geglaubt, das fiele mir nicht auf, hm? Ihr Priester hört vielleicht die Stimmen im Wind, aber eine Kriegerin hört die Grillen husten, sogar wenn sie schläft. Und du hast nicht im Schlaf gesprochen, soviel ist mal sicher."

Aleia senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Mockra zuckte missmutig die Schultern.

"Bitte, dann sag mir halt nicht was mit dir los ist. Warum auch? Ich habe dich ja schließlich nur aus diesem götterverlassenen Wald gezogen und einen halben Tag in Sicherheit geschleppt. Und jetzt bin ich deine Aufpasserin und darf dich bis zum Steinweisentempel zerren. Warum also mit mir reden?"

Ungeduldig wand sie sich aus ihrem schweren Brustpanzer und warf ihn in eine Ecke. Dann verzog sie das Gesicht und hob ihn wieder auf, um zu sehen, ob es eine Delle gegeben hatte.

"Entschuldige bitte."

Aleias zaghafte Stimme ließ die große Drachin überrascht herumfahren.

Aleia sah sie über ihr spärliches Abendessen hinweg an.

"Es tut mir leid, dass du wegen mir mit Borkas gestritten hast. Ich bin euch wirklich dankbar für eure Hilfe. Aber ich habe euch alles erzählt, was wichtig ist. Jetzt muss das Hohe Medium entscheiden, wie es weitergehen soll." Sie hielt ein Stück Fleisch hoch wie ein Friedenspfand. "Möchtest du nicht auch etwas essen?"

Mockra legte den Brustpanzer diesmal sorgfältig zur Seite und ließ sich wieder auf die Bettstatt fallen.

"Iss nur, ich hatte genug", winkte sie ab. "Also willst du mir nicht sagen, was du im Schattenreich zu suchen hattest? Oder sonst irgendetwas?"

Aleia verzog hilflos das Gesicht. Ihre beste und einzige Hoffnung lag im Schweigen. Man hielte sie ja doch nur für verrückt, oder schlimmer noch, für eine Bedrohung, eine Abtrünnige, die mit ‚Dämonenabschaum’ zu tun hatte … Doch die unangenehme Stille zog sich lang und länger, sodass Mockra schließlich nur seufzend die Schultern zuckte und auf ihrem Bett zurückwarf.

"Also gut, dann werde ich mich jetzt entschließen dir zu glauben, dass du mir alles gesagt hast, was für unsere Reise von Bedeutung sein könnte.

Heiliges Priesterinnen Ehrenwort?"

Aleia nickte mit allem Nachdruck, den sie aufbringen konnte. Für einen langen Moment erfüllte nur das Knacken des protestierenden Reisiglagers die Stille.

"Und du musst dich übrigens nicht schlecht fühlen wegen mir und Borkas",

hob Mockra dann wieder an, offensichtlich um das Thema zu wechseln.

Aleia legte fragend den Kopf schief. "Wir streiten eigentlich immer",

erklärte Mockra leichthin. "Sie ist meine Tante und seit meine Mutter gefallen ist, ist sie auch meine Ausbilderin. Wir sind oft anderer Meinung, das hat nichts mit dir zu tun."

"Das tut mir leid", sagte Aleia.

"Ach, na ja, so übel ist es nicht. Sie ist eine gute Lehrerin, aber so übervorsichtig …"

"Ich meinte, dass deine Mutter schon tot ist."

Mockra zuckte nachlässig die Schultern.

"Warum? Sie ist im Kampf gestorben und in die Hallen der Vorfahrinnen eingegangen. Ich bin sehr froh für sie. Mitleid muss man nur mit denen haben, die irgendwann zu alt zum Kämpfen sind und in ihrem Bett sterben."

Aleia hob überrascht die Augenbrauen.

"Bei uns … bei uns beneiden wir diejenigen, die alt und in Frieden sterben."

"Ihr seid eben keine Kriegerinnen." Mockra machte eine übertrieben wegwerfende Handbewegung. "Dafür könnt ihr ja nichts. Borkas hat keine eigene Tochter und es ärgert sie, dass ich mich weiter Mockra nas Kirra nenne, obwohl sie mich offiziell adoptiert hat. Aber eigentlich gefällt es ihr, wenn man ihr manchmal widerspricht." Sie seufzte und schloss müde die Augen. "Aber vielleicht ist es doch ganz gut, dass Borkas dich nicht mit einem unerfahrenen Küken losziehen lässt. Die Reise nach Süden wird sicherlich nicht leicht. Ich bringe dich sicher zum Tempel und beweise ihr, dass man sich auf mich verlassen kann. Und wenn ich zurückkomme, kann ich immer noch Mockra nas Borkas sein."

Aleia blinzelte nachdenklich. Mockra schlug die Augen auf und starrte zur Decke, als stände dort etwas geschrieben, dass sie dringend entziffern musste. Dann lehnte sie sich auf einen Ellbogen und zwinkerte Aleia verschwörerisch zu.

"So, jetzt weißt du so ziemlich alles, was man über mich wissen muss und ich weiß immer noch beinahe gar nichts über dich. Aber wir haben ja noch wochenlang Zeit uns zu unterhalten. Und keine Sorge, ich passe schon auf dich auf. So verweichlicht wie ihr Menschen seid, würdest du vermutlich gleich der nächsten Räuberbande in die Arme laufen."

Aleia machte ein entrüstetes Gesicht.

"Ich bin eine Priesterin! Ich habe zu kämpfen gelernt."

Mockra lachte.

"Hey, jetzt wo du redest, kannst du ja sogar lustig sein."

Sie stand auf und nahm Aleia den leeren Teller aus den Händen.

"Wir werden uns schon durchschlagen. Aber jetzt ruh dich noch etwas aus, du hast ja gehört: Wir brechen im Morgengrauen auf."

Kapitel 2 Die Drei Geister

Der dumpfe Klang des Tempelgongs trieb die Nebelschwaden über den Dächern auseinander. Aleia hatte schon lange den Kampf mit dem Schlaf aufgegeben und der erste Schlag fuhr durch ihren ganzen Körper. Ihr Magen zog sich zu einem vibrierenden Knoten zusammen, doch sie atmete tief und schwang dann wie von Fesseln befreit die Füße aus dem Bett. Ihre Finger zitterten nur leicht bei der Suche nach den Schwefelhölzern und bald flackerte honigfarbenes Kerzenlicht über die Wände ihrer kleinen Kammer. Endlich nicht mehr im Halbdunkeln warten und grübeln. Endlich konnte sie sich ablenken, Dinge tun, mit anderen sprechen, nicht mehr allein sein mit dem jubelnd erschreckenden Gedanken, der ihren ganzen Geist ausfüllte.

'Dein letzter Tag als Novizin! Es sei denn …' Sie unterbrach die innere Stimme mit einer energischen Handbewegung und griff nach ihrem Kleid. Sie hatte diese Spirale schon etliche Male in ihrem Kopf rotieren sehen, während sie auf den erlösenden Sonnenaufgang gewartet hatte. Sie war es leid.

"Mein letzter Tag als Novizin", flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu, während sie versuchte ihre im Kerzenschein beinahe schwarzen Locken zu bändigen.

Und sie sah das nervöse Lächeln der Frau im Spiegel, aber auch den Stolz, der in ihren dunklen Augen blitzte, bevor sie die Kerze ausblies und aus dem Zimmer eilte.

Aleia bewohnte eine der Novizenzellen, die beide Seiten des langen Tempelhofes flankierten, eine Ehrengarde für die Prüfungshalle, das Allerheiligste und die Quartiere der Hohepriester am Ende des großen Innenhofes. Es waren winzige Räume, nur gerade groß genug für ein schmales Bett mit einer Truhe am Fußende, einen Schemel mit einer Waschschüssel und einem Bronzespiegel hinter der Tür, aber genau diese Tür, diese Grenze zu einer eigenen Wabe im großen Bienenstock des Tempels, war das Privileg der Novizen und Aleia wusste es zu schätzen.

Nach Jahren im großen Schlafsaal der Schülerinnen, der hinter ihr aufragte, war ihr eigenes Zimmer für sie wie ein Palast, auch wenn sie es in nur einem Schritt durchqueren konnte. Just als sie aus dem dunklen Gang ins Freie trat, wurden die Tore der Andachtshalle aufgestoßen und ein zweiter Gongschlag schob die trägen Nebelwolken vor sich her. Die Sonne stieg gerade erst als silbriger Streifen Helligkeit über den Baumkronen auf, doch um sie herum erwachte der Tempel zum Leben. Die ersten Schüler stolperten aus dem scheunenartigen Gebäude gegenüber, während hinter ihr die Stimmen von zankenden und kichernden Mädchen lauter wurden.

Aus den niedriger gebauten Novizenquartieren traten nach und nach Gestalten, ihre blauen Gewänder – wie Aleias eigenes – noch ausgewaschen im fahlen Licht. Aleia eilte mit schnellen Schritten über den Platz und auf die offenen Tore zu, doch noch schnellere Schritte folgten ihr und ein warmes Gewicht traf sie plötzlich an der Hüfte.

"Hallo Leia! Gehst du heute mit uns in den Wald? Bitte, ja?"

Aleia fühlte eine kleine Hand in ihrer und lächelte.

"Guten Morgen, Lysanna." Sie drehte sich um und nahm das kleine Elfenmädchen prüfend in Augenschein. Dann seufzte sie theatralisch.

"Dein Kleid ist zerrissen und deine Haare haben sicher seit gestern Morgen keinen Kamm mehr gesehen. Erscheinen wir so zur Morgenandacht?"

Lysanna ließ ihre Hand los und befühlte skeptisch ihre rotblonden Zöpfe, die ihr fast bis zu den Waden fielen. Dann stocherte sie prüfend mit einem Finger in dem münzgroßen Loch in ihrem Oberteil herum. Als sie wieder aufblickte, war ihr Blick störrisch.

"Rosamaria hat meinen Kamm genommen und nicht wieder zurückgegeben!"

"Dann werde ich mit ihr reden und ihr sagen, dass man Dinge von anderen nicht einfach behalten darf. Aber du läufst jetzt schnell zurück und ziehst dir ein Kleid ohne Löcher über. Ein Sauberes, hörst du? Und nach der Andacht kämmen wir deine Haare aus. Wenn du sie verfilzen lässt, müssen wir sie irgendwann abschneiden."

Lysannas Augen weiteten sich vor Schreck und erste Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln. Aleia strich ihr beruhigend über den Kopf. Ihr tat die Drohung bereits leid.

"Nun lauf schon, sonst kommst du zu spät", flüsterte sie und gab dem Kind einen leichten Schubs in die richtige Richtung.

Lysanna schluckte und rannte zurück in Richtung der Schlafsäle. Doch noch bevor Aleia ihren Platz in der Halle eingenommen und sich in die morgendliche Meditation versenkt hatte, war der kleine Wirbelwind zurück und ihre warme Hand stahl sich wieder in Aleias. Sie lächelte und ließ den Gesang der Priester ihre Gedanken fortwischen.