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Der Lebensweg von Josef Krippler ist klar vorgezeichnet: Der Sohn aus einem ebenso schlichten wie zerrütteten Elternhaus findet Gefallen an den starren Strukturen der Kirche, in denen er Halt, Ordnung und Sicherheit zu finden glaubt. Die scheinbare Macht eines Priesters soll ihn für die Verlockungen des weltlichen Lebens entschädigen, auf das er verzichten will. Doch im letzten Moment stört eine Frau diesen entschlossenen Lebensplan: Johanna Hofinger zeigt Krippler, wie ein anderes Leben aussehen könnte, ein Leben, das sich alle Normalität, alle Lust, alle Freiheit zugesteht. Als Krippler sich im Zwiespalt, für welche Liebe er sich entscheiden soll, auf die scheinbar sichere Seite der Kirche schlägt und eine Stelle als Landpfarrer annimmt, ahnt er noch nicht, wie weit ihn diese gescheiterte Beziehung noch verfolgen, wie lange ihn Zweifel und Enttäuschung noch begleiten sollten. Nachdenklich und einfühlsam erzählt Günther Loewit in seinem zweiten Roman die Lebensgeschichte eines Mannes, der in stetigem Kampf mit seiner inneren Zerrissenheit steht, und zugleich die Geschichte einer unmöglichen und dennoch unvermeidbaren Liebe.
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Seitenzahl: 199
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Roman | Skarabæus
Günther Loewit
Roman
Himmel und Hölle sind keine Gegensätze.
Seit dem frühen Morgen hatte sich die Angst in Kripplers Bauch festgefressen und ihn von da an nicht mehr verlassen: Die Angst, etwas Unvorhergesehenes, eine unbekannte Art des Ertrinkens könnte ihn heute treffen und zu Fall bringen.
Unsicher schritt er durch das Kirchenschiff, dem Ausgang entgegen. Kämpfte gegen das Würgen in seinem Hals. Licht fiel durch den geöffneten Flügel des Hauptportals auf den Mittelgang. Die Sonne stand tief. Anfang Februar.
Innerhalb der dicken Mauern war er noch sicher.
Licht und Schatten verschränkten sich am schwarz-weiß karierten Steinboden, folgten in gezackter Linie den von Jahrhunderten gebrochenen Kanten der Marmorplatten. Das hatte sich als standhaft gegen die Zeit erwiesen: dass man die Ruhe des Gotteshauses nicht in Frage stellte.
Am Schattenmuster, das die späte Wintersonne auf den Boden warf, hätte Krippler das Datum auf vierzehn Tage genau schätzen können. Wenn nur einer der Flügel offen stand, war es noch leichter. Die Kante der verschlossenen Türhälfte zog eine scharfe Linie wie der Zeiger einer Sonnenuhr.
Seit Jahrzehnten verfolgte Krippler täglich den Stand der Sonne. Am Weg nach draußen nach der Hauptmesse am Vormittag. Nach den Beerdigungen und Hochzeiten am Nachmittag. Im Hochsommer auch noch nach den Abendgottesdiensten.
Josef Krippler verließ das Gotteshaus so gut wie nie durch die Sakristei, wählte stattdessen den längeren Weg durch das Hauptschiff.
Des Lichtes wegen.
Ein einziges Mal war die Ruhe entweiht worden. Unvorhersehbar, während einer Totenmesse.
Von der Auferstehung hatte Krippler geredet.
Vom Leben nach dem Tod.
Von einem Wiedersehen mit dem Toten. Wenn sie alle einmal zu Staub geworden wären, nach dem Fegefeuer.
Als die schwarz verhüllte Witwe unvermittelt aufsprang und schrie:
„Nie, nie möchte ich ihn wiedersehen. Nie, nie!“
Dann Stille.
Betretenes Schweigen, gesenkte Köpfe. Niemand wagte einen Blick.
Nur die Witwe stand fest auf ihrem Platz und richtete ihren verstörten Blick auf Krippler.
Die Gemeinde wartete. Erstarrt. Auf eine Reaktion des Pfarrers.
Bis sich die Frau in Bewegung setzte, die Kirchenbank verließ und auf den Ausgang zueilte. Bei der Hälfte des Weges hielt sie nochmals inne, drehte sich um, bekreuzigte sich während einer hastigen Kniebeuge und schrie noch einmal:
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