Kuhfladenwalzer - Sonja Kaiblinger - E-Book

Kuhfladenwalzer E-Book

Sonja Kaiblinger

4,7

Beschreibung

Mit sehr viel Herz erzählt Sonja Kaiblinger über gescheiterte Flirtversuche, Alpenidyll mit Kuhfladen, ausschlagende Kühe und eine Protagonistin, die von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert. Ein charmant-witziges Lesevergnügen! Als Caros Mutter verkündet, sie werde heiraten, ist Caro nicht gerade begeistert - und dann soll sie die Hochzeit auch noch organisieren! Als Überraschung auf einer Wellnessalm in den Alpen! Ein Gutes hat es aber, denn ihr Schwarm Adam bietet ihr seine Hilfe an. Und nichts ist besser für eine Romanze geeignet als eine idyllische Alm und eine Hochzeit. Aber das Leben ist keine Soap! Die Wellnessalm entpuppt sich als kleine Berghütte mit viel zu vielen Kühen, Adam knutscht mit der Austauschsennerin herum und der Sohn der Almbäuerin Leo ist das größte Ekel auf Gottes Erden. Das kann ja nur schiefgehen! Oder?

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Biologie für Anfänger

Ich hasste Überraschungen. Bei mir endeten sie immer in einer Riesenkatastrophe. Ganz gleich, ob ich die Überraschende war oder überrascht wurde. Täter oder Opfer. Ich war der belämmerte Schlumpf, der das rot-gelbe Päckchen immer wieder freudig aufmachte, ohne zu ahnen, dass ihm gleich eine Ruß-Visage blühte.

»Oh, wie schlumpfig, eine Überraschung!«

KABOOM.

Dieser Tag war der Beweis dafür, dass meine Theorie stimmte. Heute war der Tag meines Bioreferats, den ich extra ausgesucht hatte, um Adam Löb vor den Augen der 11a mit einer optischen Totalveränderung zu überraschen.

Zwischen Adam und mir bewegte sich nichts vorwärts und meine beste Freundin Esther sagte, verzweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnahmen. Also sollte ich ab nun aussehen wie Adams Traumfrau Alina, die umschwärmte Rockröhre und Gewinnerin der Castingshow Stardust.

So richtig hatte ich mir das Ganze zwar nicht vorstellen können, aber Esther zufolge war mit Make-up und Wasserstoffperoxid einfach alles möglich. Und ehe ich michs versah, war ich blond – für ein Mädchen mit rotbraunen Naturlocken eine doch recht einschneidende Veränderung.

Eine Heidenarbeit, ehrlich.

Schließlich war da noch die Sache mit den Klamotten. Statt den T-Shirts trug ich ein zerfetztes Nietentop, das trotz Push-up an mir schlabberte. Doch dieses Manko glichen die abgewetzten Designerjeans aus, die mein halbes Erspartes verschlungen hatten. Die machten meine Verwandlung perfekt. Vom gewöhnlichen Teenager zum Rockstar.

Und als Rockstar fiel man eben auf. Die ganze 11a starrte mich an, als wäre ich eben einem Raumschiff vom Mars entstiegen. Das hieß alle, außer Adam Löb. Der saß noch nicht mal im Publikum.

»Für unsere Referatsreihe Wo kommt das Essen her, bevor es im Supermarkt landet haben Esther und ich uns mit der Milch beschäftigt«, tönte meine dünne Stimme durchs Klassenzimmer. »Deshalb sehen wir uns die Kühe und den klassischen Melkvorgang und etwas … genauer an.«

Die Klasse kicherte. Es ging doch nichts über ein schlecht vorbereitetes Referat von Caroline Semmelmann, die vor Publikum super nervös wurde.

»Kuh-ler Look, Caro«, rief Dennis und fuhr sich durch sein blondes Haar, was total albern wirkte, denn Dennis trug die Haare kurz geschoren und sah aus wie ein Armee-Kadett. Die Klasse kicherte noch lauter. So viel zur Totalveränderung.

Auch Frau Schneck schien nicht beeindruckt. »Frau Semmelmann, ich habe von jeder Gruppe verlangt, Plakate zu basteln und Lebensmittel mitzubringen. Haben Sie gar kein Anschauungsmaterial dabei?«

Unsere Biolehrerin lehnte am Pult und hatte die Beine im Minirock überkreuzt. Für eine Lehrerin war sie ein erstaunlich heißer Feger.

Gerade als ich reuevoll verneinen wollte – so eine Totalveränderung kann ganz schön zeitintensiv sein –, flog die Tür auf und Adam Löb betrat das Klassenzimmer.

Ich schluckte. Eigentlich hockte ich nur wegen Adam in diesem Biokurs. Ich war in Naturwissenschaften eine totale Niete und Bio stand ganz oben auf meiner Ich-hab-keine-Ahnung-wovon-ihr-redet-Liste.

Inzwischen hatte mein Hirn auch das letzte bisschen Wissen verlassen, denn nun funkte es ein dämliches »Adam trägt ein neues Hemd und sieht darin unglaublich gut aus«.

»Also kein Anschauungsmaterial, Frau Semmelmann?« Frau Schneck klang genervt. Ihre Pumps klopften aufs Parkett.

»Tja, äh«, stotterte ich. Mein Blick hing an Adam, der mich seelenruhig vom Türrahmen aus beobachtete. Seine Gesichtszüge waren lässig und entspannt, während sich seine Mundwinkel zu dem typischen Halblächeln formten, das er in meiner Gegenwart ständig aufsetzte.

Adam fällt nicht mal auf, dass ich heute anders aussehe, sauste es mir durch den Kopf. Ich seufzte und wandte meinen Blick ab. Die Pumps der Schneck klopften schneller. Langsam wurde es Zeit für eine Antwort.

»Für ein Plakat fehlte mir leider die Zeit«, machte ich ihr klar. »Aber ich könnte stattdessen eine Kuh beschreiben. Oder noch besser, ein Euter! Es sieht aus wie ein … wie ein aufgeblasener Chirurgen-Einweghandschuh.«

Niemand fand es witzig. Peinliche Stille und irritierte Gesichter umgaben mich, bis jemand aus der Klasse ein Kichern riskierte.

»Gut, das ist genug!« Frau Schnecks Stimme durchbrach die angespannte Atmosphäre wie eine Axt. »Frau Semmelmann, Sie bekommen eine Vier. Sie müssen in Sachen Landwirtschaft noch viel dazulernen. Und ich rate Ihnen, das zu tun, immerhin waren Bauern seit jeher die Grundpfeiler unserer Gesellschaft.« Einen Moment lang sah sie mich anklagend an, dann seufzte sie. »Na ja, wenigstens wissen Sie, dass Kühe nicht lila sind.«

Ich schnaubte. Auch das noch! Eine glatte Vier.

Frau Schneck klatschte in die Hände. »So viel zum Thema Milch.« Sie nickte mir zu, woraufhin ich mich durch die Reihen zu meinem Platz schlich. »Was kommt jetzt dran?«, fragte sie in die Runde.

Dennis ließ ein Gummiband schnalzen und rollte sein Plakat mit den aufgeklebten Truthahnbildern aus. »Als Nächstes beschäftigen wir uns mit Vögeln, Frau Schneck.«

Die Klasse kicherte, aber diesmal wenigstens nicht über mich.

»Geflügel«, korrigierte die Schneck augenrollend und räumte den Platz. Dennis begrüßte Adam mit einem lässigen Handschlag, bevor Adam zu seinem Stuhl schlenderte. Er packte seinen Block aus und der Unterricht ging weiter.

Am liebsten hätte ich geheult. Adam hatte nicht nur meine Totalveränderung nicht bemerkt, er musste mich außerdem für total bescheuert halten! Das war der schlimmste Tag meines Lebens!

Frustriert vergrub ich mein Gesicht in den Händen. So konnte das nicht weitergehen. Meine Liebe zu Adam brachte mich um den Verstand, dagegen war kein Kraut gewachsen. Ich fühlte mich reif fürs Wochenende, dabei war erst Montag. Und ich wäre nicht Caroline Semmelmann, hätte mich bis zum Wochenende nicht noch ein Bündel an Katastrophen erwartet.

Was folgte, war eine sterbenslangweilige Abhandlung über Gänse und Hühner, von der ich, wie immer wenn Adam in der Nähe war, kein Wort mitbekam.

So ging das schon seit zwei Jahren, vier Monaten und drei Tagen. So viel Zeit war vergangen, seit Adam nach München gezogen und an mein Gymnasium gekommen war. Ich weiß noch, wie ihn unser Lehrer gebeten hatte, sich vorzustellen. »Adam Löb«, hatte er gesagt und gegrinst. »Männlich, Beziehungsstatus: Single. Ihm gefällt Fußball, gutes Essenund Bowling. Adam hat seinen derzeitigen Wohnort in München, Bayern geändert.«

Ein Kichern war durch die Klasse gegangen. Die Jungs hatten ihm wohlwollend zugenickt, während die Mädchen vielsagende Blicke getauscht hatten. Schon am nächsten Tag war Adam Löb mit Caroline Semmelmann, Dennis Ackerbauer und achtundzwanzig weiteren Personen befreundet gewesen.

Auf Adams kleine Rede war ein kometenhafter Aufstieg gefolgt. Er spielte in der Schulmannschaft Fußball, ließ sich als Klassensprecher aufstellen und verabredete sich mit Mädchen, die besonders viel Sport trieben, Einsen schrieben, in Bands spielten oder Adam sonst wie beeindruckt hatten.

Ich spielte kein Instrument, hielt mich im Sport gerade so im Mittelmaß und glänzte in keinem Fach. Wie man es drehte und wendete, es gab nicht viel, womit ich bei ihm hätte Eindruck schinden können. Adam war einfach eine Klasse über mir.

Als ich vor vier Jahren von Berlin nach München gezogen war, war mein Aufstieg nicht der eines Kometen gewesen. Eher der eines fehlzündenden Feuerwerkskörpers.

Damals war ich zwölf, trug einen furchtbaren Pony und die Sweater meines älteren Bruders Tim. Keine tolle Kombi, um gut anzukommen. Ich seufzte. Seit damals hatte sich nichts verändert. Ich war noch immer die gleiche, stinknormale Caro. Nur in Blond. Dabei war sich Esther so sicher, dass dieser neue Look bei Adam endlich das Eis brechen würde. Als seine Cousine musste sie’s ja wissen.

Die Pausenglocke läutete und holte mich aus meiner Trance. »War doch gar nicht so schlimm«, sagte Esther, als die Schneck außer Hörweite war. Sie zog einen roten Erdbeerlippenbalsam aus ihrer Handtasche und trug ihn auf. »Für dein Styling hättest du jedenfalls die Bestnote verdient. Hast toll ausgesehen da draußen, wie ein echter Star. Beneidenswert.«

Mit ihren roten Lackpumps und dem gleichfarbigen Haarband sah Esther aus wie aus dem Ei gepellt. Naturblond, schlank und modeinteressiert, kam sie bei Jungs ziemlich gut an. Sie standen auf Esthers Tick, Haarschmuck und Schuhe täglich aufeinander abzustimmen. Manchmal galt das sogar für den Lippenbalsam. So wie heute.

»Beneidenswert?« Ich bückte mich und schob den Block in meinen Rucksack. »Worum solltest du mich beneiden?«, bremste ich sie und zog meinen Kopf hervor. »Dafür, dass mir jeden Monat auf der Nase ein Pickel wächst, wenn ich meine Tage ha… ha– Hallihallo, Adam!«

Vor mir stand Adam. Hochgewachsen, schlank und umwerfend blauäugig lehnte er an der Längsseite unseres Pults. Sein dunkles Haar glänzte in der Sonne und seine Fingerkuppen trommelten auf meiner Tischplatte.

Mein Herz machte einen riesigen entsetzten Satz. Hatte ich eben Hallihallo gesagt? Kein Mensch sagte Hallihallo! Warum entwickelte ich die verbalen Fähigkeiten einer Nachttischlampe, sobald Adam in der Nähe war?

»Morgen«, begrüßte er uns und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Hör mal, Esther, ich plane im Sommer einen Segeltörn rund um Italien. Ohne meinen Vater. Nur ich.« Er lächelte. »Na ja, ich und der Privatskipper, alleine lässt mich Papa nicht fahren, ich habe noch keinen Segelschein.«

Esthers Augen weiteten sich. »Privatskipper« fiel bei Esther unter die Kategorie Reizwörter. Esther liebte jede Art von Luxus. Ihre blauen Augen wurden dabei jedes Mal so groß wie Untertassen. »Das klingt toll. Ich bin ja schon so neugierig auf die Alina. Bis jetzt habe ich nur Fotos von der Schiffstaufe gesehen«, schwärmte sie.

Vor einigen Monaten hatten sich Adams Eltern einen Katamaran gekauft, den Adam Alina getauft hatte. Eigentlich war die Alina gar nicht für Urlaube, sondern als stilvolles Ambiente für Kundengespräche gedacht. Adams Vater führte nämlich einen exklusiven Cateringservice, bei dem Adam nach dem Abi nächsten Sommer einsteigen sollte.

Um Adam darauf vorzubereiten, war Herrn Löb jedes Mittel recht: Er schickte ihn übers Wochenende auf ein Weingut, schenkte ihm zum Geburtstag teure Bratpfannen oder steckte ihn in Gourmet-Kochkurse. Inzwischen schnitt Adam eine Zwiebel in unter fünf Sekunden. Es war die Art von Schrulle, mit der er bei Mädchen nicht als Sonderling, sondern als Traumkerl ankam.

»Und meine Cousine will ich natürlich auf unserem Boot dabeihaben«, sagte Adam gerade und kritzelte ein Datum im Juli auf Esthers Notizblock. Dann sah er auf und tippte mit der Stiftspitze auf seine Notiz. »Sag mir bis morgen, ob du mitfährst.«

»Machen wir.« Esther stupste mich in die Rippen. »Da sind wir dabei, oder Caro?«

Hitze schoss mir ins Gesicht. »Esther, das ist bestimmt ein Familiending«, stammelte ich. »Was Adam meint, ist –«

»Ach Quatsch, das ist doch kein Familiending«, widersprach Adam prompt. Als sich unsere Blicke trafen, ging mir das Herz auf. »Komm doch mit! Wir hätten ein Sofa in Evas Kabine frei.«

»Eva?«, stießen Esther und ich unisono hervor.

Adam zuckte mit den Schultern. »Eva ist doch nett. Ich dachte, ich könnte sie einladen, wenn sie nächsten Monat mit ihrer Klasse aus Südspanien zurück ist. Ihr drei Mädchen könntet gemeinsam mit dem Zug nach Genua fahren. Ab dann sorgt Alina für euer Fortkommen.«

Ich schluckte. In meinem Hals saß ein dicker Kloß. Bitte nicht Eva. Esther und ich hassten Eva aus der 11b. Sie hatte brünettes Haar, riesige Mandelaugen und hielt ihren Namen für den perfekten Grund, Adam anzubaggern.

»Dann ist ja alles klar.« Adam schien schon kehrtmachen zu wollen, als er sich plötzlich am Kopf kratzte und mich eine Weile betrachtete. »Übrigens, tolles Referat, Caro.«

»Sehr witzig.«

»Nein, wirklich. Wie ein aufblasbarer Chirurgen-Einweghandschuh.« Er grinste. »Coole Antwort. Du bist schlagfertig, Caroline Semmelmann. Diese Seite kenne ich gar nicht an dir.«

Kosmisches Desaster

Es war fünf vor Mitternacht, als ich meine Mum endlich alleine erwischte, um sie um den Taschengeldvorschuss für den Zug nach Genua zu bitten.

Den ganzen Nachmittag hatte ich wie besessen versucht, sie unter vier Augen zu sprechen, doch daheim hatte mich der schlimmste Trubel erwartet. Es war Mums Geburtstag und ihr neuer Freund Ötzi hatte eine Überraschungsparty organisiert.

Ötzi kam aus Tirol, war von Beruf Metzger und hieß eigentlich Freddy. Den Spitznamen hatte ihm Tim verliehen, weil Ötzi viele Ähnlichkeiten mit dem Steinzeitmenschen aus dem Eis aufwies: Beide hatten im selben Tal gelebt, beide aßen für ihr Leben gerne Fleisch und beide hatten, das war zumindest stark anzunehmen, keine Ahnung, dass man während den Mahlzeiten nicht mit dem Finger im Mund rumstocherte.

Aber meine Mum blickte über jede von Ötzis, wie sie sagte, »liebenswert schrulligen« Eigenheiten hinweg. So wie über die Grillparty, mit der er sie heute überrascht hatte.

Mum war überzeugte Vegetarierin. Sie hatte schon Ewigkeiten kein Fleisch mehr gegessen und seit sechs Jahren hielt ich es genauso.

Seit diesem Tag standen Mum und ich regelmäßig am Herd, putzten Pilze, blanchierten Gemüse und zauberten daraus Vollwertkost. Wir verbrachten ganze Abende in der Küche, quatschten über dies und das und trällerten die Songs im Radio mit.

Ich konnte mir einfach nicht erklären, dass Mums Wahl ausgerechnet auf einen Metzger gefallen war. Die anderen Männer, mit denen sie ausgegangen war, hatten viel besser zu ihr gepasst. Zum Beispiel Reinhard, der Feuerwehrmann, der mit einem Feuerlöscher während eines Großbrandes Ich liebe dich auf die Hausmauer gesprayt hatte, so groß, dass es in den Abendnachrichten kam. Und der davor, Clemens, war Pilot und hatte Mum ein Ständchen über den Lautsprecher gesungen, als er Gewitterzellen durchquert hatte. Ein Adliger, mit dem sie gegangen war, Edgar, hatte sogar einen englischen Landstrich nach ihr benannt. Demnach lag Mums natürliches, nächstes Date irgendwo zwischen Mac Gyver und der britischen Krone. Doch in wen verliebte sie sich? In Freddy, einen Österreicher, der für sie grillte! Mum hatte sich so darüber gefreut, dass sie um Mitternacht immer noch putzmunter in der Küche saß und vor Glück strahlte.

Sie hatte das Fenster geöffnet und ihre Tarotkarten vor sich ausgebreitet. Vom Lampenschirm baumelte ein Pendel im Wind des Unwetters, das draußen vorüberzog. Als sie mich bemerkte, kräuselten sich ihre Lippen zu einem milden Psychiater-Lächeln.

»Schön, dich zu sehen«, begrüßte sie mich und wies auf den Stuhl neben sich. »Nimm Platz.«

»Hey, Mum.« Ich nahm die Vanillesojamilch aus dem Kühlschrank, trank einen Schluck aus der Packung und setzte mich neben sie. »Kann ich kurz mit dir reden?«

Ihr Lächeln wurde breiter. »Gedankenübertragung. Ich muss dir auch etwas mitteilen.«

Mir etwas mitteilen. Das klang offiziell, wie damals, als sie beschlossen hatte, ihre esoterische Seelenklempner-Praxis aufzumachen. Seitdem versetzte sie ihre Patienten in Trance und fragte den Kosmos um Erlaubnis, bevor sie ein Rezept ausstellte. Ich fand die Idee reichlich dumm, aber Mum stieß dabei auf eine Marktlücke und einen Modetrend.

»Kommunizierst du mit dem Universum?«, fragte ich.

Mum nickte. »Das Universum ist bei Unwettern sehr redselig.«

»Was wolltest du diesmal wissen? Verraten die Sterne, wo Tim seine Kippen versteckt?«, fragte ich und lehnte mich verschwörerisch zu ihr. »Der Geruch neulich war kein Kabelbrand.«

Meine Mutter lachte nicht. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Etwas war hier faul.

Schließlich richtete sich meine Mutter auf und sah mir fest in die Augen. »Ich und Freddy … wir werden bald heiraten.«

Ich verschluckte mich an der Vanillemilch und musste kräftig husten. Ein paar weiße Spritzer gingen auf mein neues Nietentop. »Das meinst du doch nicht ernst«, hauchte ich fassungslos. »Freddy heiraten? Den Freddy, der sich heute beim Grillen an deinem tibetanischen Kissenbezug die Finger abgewischt hat?«

Mum zuckte mit den Schultern. »Ach was. Einen neuen tibetanischen Kissenbezug bekomme ich sicher auf eBay.«

»Bestimmt. Wenn die Shaolin-Mönche zur nächsten Jahrtausendwende erneut mit Mondschafgarn weben«, murmelte ich lahm und schob mir ein Stück Schokolade zwischen die Lippen. Naschen fand Mum um diese Uhrzeit zwar ungesund, aber ich brauchte unbedingt Nervennahrung. »Warum willst du Freddy plötzlich heiraten?«

Mum seufzte und holte das aufgeschlagene Telefonbuch an den Tisch. Sie schob es unter meine Nase und deutete auf eine Anzeige. »Sieh dir das an. Das ist ein Zeichen.«

Ich blickte auf die Stelle, wo ihr Finger lag. »Days of Joy. Hochzeitsplanung. Legen Sie Ihr ewiges Glück in unsere Hände. Fünfzig Prozent Rabatt für Stammkunden. Für Trauerfeiern wenden Sie sich an Days of Sorrow, unser Partner–«

»Der Sturm ist vorhin durch die Seiten des Buchs gefahren«, fuhr Mum fort. Ihre Stimme war nur mehr ein ehrfürchtiges Hauchen. »Und jetzt rate mal: Von allen Seiten hat der Wind genau diese ausgewählt. Das ist ein Zeichen, denkst du nicht auch?«

Du meine Güte. Das reichte jetzt. Ich hatte nicht gemeckert, als Mum ihre spirituelle Ader entdeckt hatte. Ich hatte nicht gemeckert, als das Universum entschieden hatte, Mum sollte weiterhin Fahrrad anstelle eines Hybridwagens fahren. Ich hatte nicht gemeckert, obwohl ich seitdem samstags nach dem Einkaufen mit Klopapier auf den Rücken geschnallt durch München radeln musste. Aber jetzt. Jetzt würde ich meckern.

»Du kannst Freddy nicht wegen eines lächerlichen Windstoßes heiraten«, versuchte ich, ihr klarzumachen.

»Richtig«, gab sie zu. »Das wäre spirituell naiv. Deshalb habe ich das Pendel befragt, als Absicherung. Es schwang im Zickzack. Weißt du, was das bedeutet?«

»Seismische Aktivitäten im Münchner Umland?«

»Quatsch. Das Universum gibt der Hochzeit seinen Segen.«

Frustriert strich ich mir eine Strähne hinters Ohr.

»Das hier ist ein Stück Faden!« Wütend zog ich an der Konstruktion, die von der Küchenlampe baumelte. »Du richtest dein Leben nach einem Pendel aus! Das ist Humbug.«

»Das ist Schicksal«, verbesserte sie. »Das Schicksal will, dass ich Freddy heirate. Ich habe es immer gespürt und jetzt habe ich den Beweis.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah nicht mehr aus wie eine vierzigjährige Frau, sondern wie ein trotziges Kind. »Versuch nicht, mich davon abzubringen, hörst du?«

Stöhnend vergrub ich mein Gesicht in den Händen. Gegen ein Pendel und ein magisches Gewerbeverzeichnis war ich offensichtlich machtlos. »Hast du zumindest einen hübschen Ring bekommen?«, erkundigte ich mich matt.

Mum errötete und steckte die Hände in die Taschen ihres Leinenpyjamas. »Es soll eine Überraschung werden.«

Ich hob die Schultern. »Spezialanfertigungen dauern wahrscheinlich etwas. Freddy plant bestimmt Ringe mit Gravur oder ähnlichen romantischen Käse.« Brr … Ich schüttelte mich.

»Nicht der Ring ist die Überraschung«, korrigierte Mum und verdrehte die Augen. »Ich werde Freddy mit der Trauung überraschen, so wie er mich heute überrascht hat.«

Ich starrte sie fassungslos an. Überraschen? Mit der eigenen Hochzeit? Sie war komplett übergeschnappt.

»Man überrascht Menschen mit Blumen, Mum. Mit einem Dinner. Meinetwegen auch mit einem Grillfest«, machte ich ihr klar. »Aber doch nicht mit einer Hochzeit. Wie stellst du dir das vor? Du führst Freddy in eine leere Kirche, bis plötzlich der Pfarrer hinter dem Altar hervorspringt und ihn mit Konfetti bewirft, begleitet von einem Ständchen auf der Kirchenorgel?«

»Genau da kommt Days of Joy ins Spiel«, hakte Mum ein und klopfte mit dem Finger auf die Anzeige. »Die kümmern sich um die Details. Ich muss bloß dafür sorgen, dass Freddy in vier Wochen nach Österreich, auf die Sattler-Alm kommt.«

Ich erstarrte. Hatte sie vier Wochen gesagt? Vier Wochen, wie achtundzwanzig Tage? Hatten ihr die Sterne ein Zeitlimit gegeben? Einen verdammten Mondzyklus?

Nicht zu fassen, dass sie so übereilt heiraten wollte. Dabei hatte sie sich als junges Mädchen immer eine große romantische Hochzeit gewünscht. Dann hatte sich mein älterer Bruder Tim angekündigt und meine Eltern mussten die Trauung im Schnelldurchlauf hinter sich bringen.

Warum also die zweite Chance auf eine große Hochzeit von hirnrissigen Terminplänen kaputtmachen lassen? Ich rotierte durchs Zimmer, fieberhaft am Überlegen, wie ich meine Mutter zur Vernunft bringen könnte.

Leider war der verklärte Gesichtsausdruck inzwischen aus ihrer Miene gewichen. Sie hatte das Thema Hochzeit abgehakt und richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Jetzt du«, sagte sie unvermittelt. »Was wolltest du mir sagen?«

Jetzt fiel es mir siedend heiß wieder ein. Adam. Der Segeltörn.

Ich setzte mich wieder neben sie. »Könnte ich mein Taschengeld diesmal etwas früher bekommen?«, bat ich. »Für eine Reise nach Italien, gemeinsam mit Esther?«

Mum zwirbelte ihre kastanienbraune Haarsträhne mit den eingeflochtenen Perlen. Das war kein gutes Zeichen. Es bedeutete Unentschlossenheit. »Ich glaube, das klappt nicht, Schätzchen«, erklärte sie schließlich. »Kannst du den Urlaub nicht auf nächsten Sommer verschieben?«

»Wir fahren nicht alleine, deshalb können wir das nicht einfach so bestimmen.« Kaum waren die Worte raus, wurde mir klar, dass ich einen Riesenfehler begangen hatte.

»Da ist doch ein Junge mit im Spiel.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ihr Mutterinstinkt war geweckt. »Ist er auch der Grund, warum du neuerdings schwarze Kleidung trägst und aussiehst, als wärst du einer Rockband beigetreten? Und du dir deine schönen roten Haare zu diesem grässlichen Blond gefärbt hast, obwohl ich –«

»Mum«, stoppte ich sie. Einen Moment lang überlegte ich, ihr aus Verzweiflung von meiner Liebe zu Adam und dieser einmaligen Chance zu erzählen, aber dann beschränkte ich mich auf ein: »Bitte, lass mich mit Esther nach Italien fahren.«

Mum seufzte. »Ich würde ja gerne. Aber ich brauche jeden Cent für den Hochzeitsplaner.«

Die Hochzeit! Sie war mein neuer Fluch.

»Ein Hochzeitsplaner zockt dich doch nur ab«, erklärte ich. Nun war es um den letzten Funken meiner Ruhe geschehen. »Jeder Idiot kann eine Alm mieten, um Oma und Tante Bergtrud Brathähnchen zu servieren. Selbst ich könnte es. Bestimmt sogar viel besser als … als Days of Joy.«

Als das letzte Wort raus war, fuhr ein kräftiger Windstoß durch den Raum. Die Vorhänge flatterten, die Seiten des Buches wirbelten im Wind und das Pendel tanzte vor unseren Gesichtern. Mum untersuchte die Bewegungen des Anhängers.

»Das Pendel gibt dir recht«, hauchte sie verwundert.

»Siehst du!«

»Das Pendel sagt, du sollst die Hochzeit organisieren. Damit lösen wir auch dein Geldproblem. Das Geld für den Hochzeitsplaner überlasse ich dann dir«, erklärte sie mir freudig. Da war es wieder, dieses milde Psychiater-Lächeln. Sie sah aus, als hätte sie gerade einen durchschlagenden Therapieerfolg erzielt.

Ich schob mir das letzte Stück Schokolade in den Mund und überlegte. Das Geld für Italien, einfach so verdient.

»Aber vergiss nicht, es ist ein Geheimprojekt«, erinnerte Mum mich. »Eine Aufgabe, die viel Arbeit mit sich bringt. Sie bedeutet enge Zusammenarbeit mit den Menschen auf der Alm und dem Catering. Gutes Essen ist für Freddys Familie das Um und Auf.«

Ich winkte ab. »Ach, das bekomm ich schon hin. Das kann doch nicht so schwer –«

Abrupt brach ich ab, denn plötzlich war sie da, die geniale Idee. Sie beinhaltete ein Menü von Adams Cateringfirma für die Hochzeitsgäste und einen Wochenendtrip mit Adam in die Berge. Aus mir könnte eine echte Hochzeitsplanerin werden, wie Jennifer Lopez in diesem Film. Ich würde Rosen arrangieren, Blüten streuen, teuren Champagner und kolossale Hochzeitstorten bestellen und die Gäste mit Walkie-Talkie an die richtigen Plätze dirigieren.

Adam würde die Spucke wegbleiben vor Staunen. Und wenn ich es schaffte, dass er sich in den nächsten vier Wochen in mich verliebte, würde er Eva gar nicht erst auf den Segeltörn einladen.

Über meine Lippen wanderte ein zuversichtliches Lächeln. Danke, liebes Universum.

»Ich mache es«, erklärte ich. »Ich kümmere mich um jedes Detail. Um das Catering ganz besonders. Versprochen.«

Auf in die Alpen!

Schon seit einer Weile war ich in ein Hochglanzblatt namens Die exklusive Hochzeit vertieft. Auf dem Cover tanzte eine Braut zwischen lodernden Fackeln über einen blumigen Steilhang. Die Beilage namens »Heiraten auf der Alm in St.Moritz« enthielt hilfreiche Artikel, wie »Champagner– Trendfarbe für Ihre Hochzeit« oder »Luxusalmen– von Jagertee bis Jacuzzi«. Außerdem entdeckte ich eine Auflistung aller Almen, die sowohl hochalpine Feinschmeckerhütten als auch Wellnesstempel waren und einfach alles boten– von der Bierzapfanlage bis zum Pizzaservice. Die Sattler-Alm war leider nicht darunter.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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