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Dieses eBook: "Kurt von Koppigen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Nach der Regierungszeit Kaiser Friedrichs II. und auch während des Interregnums galt im Reich das Faustrecht. Kurts Vater, ein stolzer Edelmann, der Ritter von Koppigen, war jung erschlagen worden, als er einem Hirten die Kuhherde wegnehmen wollte. Kurt, ein gewaltiger Mensch, wild, roh und übermütig, möchte Ritter werden und reitet in die Welt hinaus, um in Fehden sein Glück zu machen. Bereits im benachbarten "Schlößlein des Edelknecht von Önz" wird Kurt vom alten Schlossherren gastfreundlich aufgenommen. Die drei schönen Töchter des Edelknechts kichern angesichts des ungewaschenen, struppigen Gastes. Der alte Herr lacht über die ungelenken Bewegungen des jungen Ankömmlings. Kurt reitet weiter nach Zürich, gerät aber zuvor ins Gefolge des Freiherrn von Regensperg. Das ist Zürichs gefährlichster Feind. Der Freiherr erkennt Kurts Waffenfähigkeit und unerschütterlichen Mut wohl. Der junge Kämpfer aber will sich nicht unterordnen, macht sich klammheimlich davon und zieht "mit dem alten Hans ab Gütsch aufs neue dem Glücke nach". Zwischen Zürich und Luzern geht Kurt fortan zusammen mit Hans seinen Weg als adeliger Strauchdieb. Jeder, der schwächer erscheint als die beiden Wegelagerer, wird überfallen und beraubt. Jeremias Gotthelf (1797-1854) war das Pseudonym des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius.
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Seitenzahl: 220
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Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schoße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schoß der Erde. Lieblich ists im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel töten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine Zeit, mit dem Schlimmen jener Zeiten soll er Frieden und Genügen bringen ins alte Herz, welches von Natur weder Frieden noch Genügen hat, welches alle Tage geführt werden muß an den Born der Zufriedenheit, aus welchem die Freude an Gottes Ordnung quillt und der Dank für jede gute Gabe, die kommt aus der gesegneten Hand, welche sich öffnet zur geeigneten Zeit und speiset und tränket alles, was da lebt, auf geeignete Weise.
Vor sechshundert Jahren war es anders als jetzt im Schweizerlande. Da war es wild nicht bloß in den Bergen, sondern auch im ebenen Lande; gering war der Anbau, gering dessen Ertrag, desto größer war der Wald, desto zahlreicher die Gewässer, von denen man oft nicht wußte, sollte man See oder Sumpf, Bach oder Fluß sie heißen. Viel Wild war in den Wäldern, mächtige Fische in den Gewässern; wer Herr sei im Lande, der Mensch oder das Tier, schien nicht entschieden, denn ebensooft, als der Mensch des Tieres Lager zerstörte, zerstörte das Wild des Menschen Anbau. Düstere Türme waren zerstreut durchs Land, sie ragten aus den schwarzen Tannen heraus und über sie empor wie greise Helden aus niederm Volke. Breit, wie eine Henne über ihren Küchlein, lag hie und da ein Kloster im Tale ruhig und gutmütig, höher schienen die Bäume, grüner das Gras in seiner Nähe. Heitere Gehöfte, wie sie jetzt blitzen mit ihren hellen Fenstern stundenweit über das Land herein, sah man wenige oder keine in niedrigerm Lande. Mehr in Wald und Sumpf als im Hause lebte damals der Mensch; darum wandte man auch wenig Sorgfalt auf des Hauses Ausstattung oder gar Verzierung. Bäuerinnen wohnten schlechter als heute Bettlerinnen; wenn Edelfrauen es gehabt hätten in ihren kahlen, kalten Schlößchen wie heutzutage Bäuerinnen auf ihren reichen Gehöften, sie wären von Königinnen beneidet worden. Damals ging es einfach zu: Gold und Silber war wenig im Schweizerlande; die Dienstmägde von jetzt haben vielleicht mehr Seide am Leibe, als damals zu finden gewesen wäre im ganzen Lande.
Im schönen, weiten Aartale, nicht weit davon, wo es von der wilden Emme fast rechtwinklig durchschnitten wird, da, wo jetzt das reiche Dorf Koppigen steht im Bernbiet, stand damals, wo jetzt noch auf dem Hügel, der Bühl genannt, Spuren zu sehen sind, ein kleines Schlößchen. Von Koppigen hießen die Edeln, welchen es gehörte. Die Gegend war nicht im Glanze wie jetzt; gar mancher Kraft war noch keine Schranke gezogen, zerstörend konnte sie walten nach Belieben. Keine Dämme faßten die Emme ein und hinderten sie, ihr Bett zu verlassen, rechts und links lustwandelnd durch die Fluren. Ihr beliebtester Spaziergang war rechts bei Kirchberg vorbei, über die weiten Felder gegen Koppigen hin, den großen Sümpfen und kleinen Seen zu, welche noch jetzt zwischen Koppigen und der Aare liegen. Spärlich bewohnt war diese Gegend, und sehr arm waren die Bewohner, arm wie die Edeln im Schlößchen.
Dieses arme Schlößchen war nebst der Emme auch eine Ursache von der Armut der Gegend. Es glich einem alten, offenen Schaden, welcher die gesunden Säfte eines Körpers verzehrt, dem Wirbel im Strome, der alles an sich reißt, was in seinen Bereich kommt. Wir sind gar weit von der Ungerechtigkeit entfernt, dieses Schlößchen einem Krebsschaden zu vergleichen, eben weil es ein Schlößchen war. Wir wissen zu wohl, daß in jenen Zeiten viele Schlösser der süßen Quelle glichen, welche die Umgegend befruchtet, den müden Wanderer erquickt, der Magnet ist, welcher die Anwohner zieht, nicht um sie zu verzehren, sondern um sie zu laben. Klöster und Schlösser waren sehr oft in jener Zeit, was jetzt noch die Oasen sind in den afrikanischen Wüsten.
Aber in Koppigen war es anders: die Herren von Koppigen waren ein angesehenes Geschlecht, aber seit Jahren waren sie um so ärmer geworden, je vornehmer sie sich dünkten. Schöne, stattliche Männer waren die Herren von Koppigen. Schon damals fiel es den Menschen bei, sich durch Heiraten zu heben und ihre persönlichen Vorzüge so gleichsam als Einsatz in dem verwegenen Spiel geltend zu machen. So heirateten die stattlichen Männer in vornehme Familien, erhielten zur Mitgift hohen Stolz, vornehme Angewöhnungen und Verwandte, welche sie gebrauchten, wenn es ihnen kommod war, hintenher dann taten, als hätten sie sie nicht gebraucht. Es gibt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man nichts unter den Füßen hat. Hochmut zieht die Hoffart nach, hintenher kommt die Armut; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmut schämen sich begreiflich der Armut, greifen zu allen Mitteln, um, wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armut zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmütiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Not geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.
Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Herde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheiratet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen reichen Mann kriegen könne, so nehme sie einen armen, denn einer sei jedenfalls besser als gar keiner. Als sie diesen Grundsatz ins Werk setzte, war sie zu sehr vernünftigen Jahren gekommen. Der wilde Koppiger auf seinem magern Rosse, der sich an ihr Haus zu klammern suchte wie ein in den Strom Gefallener an einen Weidenzweig, fand erst Gnade in ihren Augen, als alle Hoffnung auf was Besseres durchaus verschwunden war. Von je böser als schön, hatte sie jetzt borstige, geradeherausstehende Haare um den Mund wie sie bei den Katzen üblich sind. Sie war lang und hager, hatte schwarze, stechende Augen, eine krumme Nase, hatte eine Stimme, welche tönte wie Peitschenhiebe, und wenn sie ging, machte sie Schritte, als wolle sie über den Schloßgraben springen. Sie besaß von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr als den Hochmut, desto greller trug sie ihn zur Schau; ihren Zorn, daß sie nichts anderes hatte, ließ sie an allem aus, was in den Bereich ihrer langen Arme kam, sie war fürchterlich unbarmherzig. Zu ihrem Schlößlein gehörte ein kleines Gebiet, auf welchem eigene Leute wohnten, aber spärlich, wie auf magerm Ackerlein dünn die Halme stehen. Es hatte eine eigentümliche Bewandtnis mit Land und Leuten: beide wollen weich gepflegt, freigebig genährt sein, dann gedeihen sie üppig, dann ist ihr Ertrag ein reicher; unter einer harten Hand verkümmern sie, je mehr man von ihnen begehrt, desto weniger geben sie: der ausgezogene Acker gibt keine Ernte, ausgezogene Leute zahlen keine Steuern, und wenn der Acker keine Ernte gibt, geht der Zehnten von selbsten ein. Der Ertrag steht also im umgekehrten Verhältnis mit dem Bedarf; je nötiger einer wird, desto weniger wird ihm, der ärmste Bauer, welcher das Geld am nötigsten hätte, hat zumeist den magersten Hof, der nichts abträgt. Es liegt hierin eine große staatswirtschaftliche Lehre, welche beachtet werden sollte, aber es ist noch immer so, daß den Unmündigen offenbar wird, was den Weisen der Welt verborgen bleibt. Je nötiger die Herren von Koppigen wurden, desto mehr sogen sie ihre Leute aus; wenn sie selbst nichts mehr hatten, nahmen sie das erste beste, was sie fanden. So geschah es, daß Pferde und Kühe Raritäten wurden im Koppiger Gebiete. Wenn nun aber der Bauer kein Vieh mehr hat, was helfen ihm da Acker, und wenn der Bauer seine Acker nicht mehr baut, was helfen dann dem Junker Zehnten und Bodenzinse?
So hatten die Herren von Koppigen gewirtschaftet, unter Frau Grimhilde ward es nicht besser. Wie gesagt, hatte Frau Grimhilde nichts mitgebracht als großen Hochmut und etwas weniges an Schmuck und Kleidern. Sie rechnete viel auf ihre Familie, trieb einstweilen Hoffart, soviel und solange sie konnte, schonte nichts, hätte gerne den großen Grafen von Buchegg, Burgdorf und andern es gleichgetan. Als ihr Mann vom wilden Küher erschlagen worden, erfuhr sie, wieviel Rechnungen einer vornehmen Tochter, welche arm geheiratet, welche sie auf ihre Familie macht, wert sind. Man ist glücklich, sie vergessen zu können, braucht alle Mittel, ihr die Erinnerung an ihre Familie zu vertreiben. So ward Koppigen durch Frau Grimhilde ärmer, als es je gewesen war, ihre Kostbarkeiten waren dahin, Zufluß von außen kam ihr nicht. Hunger litt sie freilich nicht: Wald und Wasser waren bevölkerter als jetzt. Schon damals belebte die Forelle die klaren Bäche, und größer und mächtiger als jetzt. Der Lachs stieg zur Laichzeit die Bäche herauf, hellen Kies suchend für seine Nachkommenschaft; der schwerfällige Karpfe, der glatte Aal und manche andere gemeinere Fischart lebten in dem Gewässer. Das Wildschwein fand sich häufiger als jetzt der Hase; in Rudeln strich das Reh durch den Wald, weidete auf den Fluren; stolze Hirsche brachen durch die Büsche, schwammen durch die Flüsse, verschwanden, wenn Hunde an sie setzten, in des Juras dunklen Klüften. An Wild und Fischen hatte also Frau Grimhilde nicht Mangel, auch das Holz, sie zu kochen, brauchte sie nicht zu sparen. Auch war sie nicht gezwungen, selbst zu fischen und zu jagen, das tat Jürg, der Knecht, der einzige dienstbare Geist, welcher ihr übriggeblieben war. Früher war er Geselle des Ritters gewesen, seither alles in allem geworden: Burgvogt, Jägermeister, Fischverwalter, Erzieher, Waffenmeister, und wenn sie eine Kuh hatten, so war er es, der sie fütterte und molk.
In Kurt, dem Junker, wuchs ihm ein immer tüchtigerer Gehülfe zu. Kurt war ein Kind der freien Luft, gutmütig von Natur, aber nichts als Jäger und Fischer fast von der Mutter Brust weg; was er mit List und Gewalt erbeuten konnte, war sein, Beute zu machen, soviel möglich, ward ihm zur Religion, eine andere hatte er nicht. Von Schreiben und Rechnen wußte er nichts, es waren damals noch keine Schulmeister in Koppigen. Kurt war Jürgens Freude, dagegen der Gegenstand von der Mutter Schelten; zerfallen mit der ganzen Welt, goß sie die Galle darüber über die nächste Umgebung aus, wie üblich. Wie einem armen Weibe Erdäpfelsuppe lästig wird, wenn es dreimal am Tage Erdäpfelsuppe essen soll, so hatte es Frau Grimhilde mit Fischen und Wildbret. Der arme Junker Kurt mochte seiner Mutter bringen, was er wollte, den fettesten Rehbock, den schönsten Salm, die Mutter schalt ihn aus. Der leibeigene Junge konnte seiner Mutter das gleiche bringen, trotz allen adeligen Rechten, denn wo keine Gewalt mehr ist, da hören auch alle Rechte auf. Kurt hätte Lust gehabt, gegen seine Mutter sich zu empören, aber das war eine gewaltige Frau; erst beugte er sich ihrem Arm, später ihrem Geiste, sie regierte ihn wie ein Bärenführer seinen Bären: sie knurren wohl und tanzen doch. Dagegen ward Jürg sein Freund. Derselbe liebte ihn als den Sohn seines Herrn, behandelte ihn mit dem Respekt eines Knechtes und unterrichtete Kurt in allem, was er liebte, und stärkte ihn täglich im Glauben, daß erlaubt sei alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt faßte ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Tiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er deswegen von seiner Mutter nicht.
Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung; ein Hausierer stand unterm Tore und bot seine Ware feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen mußte, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödliche Blitze. Als der Hausierer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, daß er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange gings, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausierers wieder zum Tore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoß er mit der Armbrust den Hausierer. Er hatte recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits verbliebenen Träume von Glanz und Reichtum. Für sie waren die Tage des geselligen Verkehrs, wo man sich gerne schmückt, gerne prangt mit seiner Leibesgestalt, vorüber, und die Tage waren Frau Grimhilde gekommen, wo der Mensch gerne das Sammeln beginnt, in immer ängstlicherer Hast, als ob er Leib und Seele vom Tode freikaufen könnte. Sie verschloß daher die neuen Schätze in alte Truhen, welche seit undenklichen Zeiten leer gestanden, ermunterte zum entschiedenen Fortschritt auf der begonnenen Laufbahn. Jürg war damit vollkommen einverstanden; auch ihm war durch Kurts unerwartete Heldentat ein Licht aufgegangen; ein neues Leben mit seinen alten Knochen zu beginnen, hoffte auch er. Die allergrößte Freude hatte jedoch Kurt selbst, hatte er es doch einmal der Mutter recht gemacht, hatte er doch jetzt den Anfang gemacht, mächtig und reich zu werden! Von Gewissensbissen war begreiflich keine Rede, List und Gewalt üben war ja sein Gottesdienst!
Die Ausführung hatte jedoch ihre Schwierigkeit: die Gegend um Koppigen war arm und öde, doch liefen zwei Straßen nicht ferne dabei vorbei. Die eine, etwa eine Stunde entfernt, führte von Burgdorf ins Aargau, die andere, viel näher noch bei Koppigen, von Burgdorf auf Solothurn. Diese Straßen waren nicht unbesucht, manch reicher Fang ließ sich darauf tun, aber das Ding war gefährlich. Den Grafen im Lande war an der Sicherheit der Straßen viel gelegen, sie hatten den Nutzen davon, und wenn auf denselben geraubt werden mußte, wollten sie es selbst tun; nun ists kitzelig, Mächtigen ins Handwerk zu greifen. Wäre es bekannt geworden, der junge Koppigen mache die Straßen unsicher, sein Leben wäre verfallen gewesen, sein Schlößlein geschleift worden, und seine Mutter hätte zusehen können, wo sie einen ruhigen Platz zum Sterben finde. Kurt hatte auch kein schnelles Roß, um zu erscheinen und zu verschwinden wie ein Blitz; er mußte wie ein gemeiner Räuber zu Fuß sich versuchen. Das tat denn auch der wilde Junge mit Lust und Geschick; anfangs begleitete ihn wohl der alte Jürg, half ihm aus oder führte die Verfolger auf falsche Fährte, aber allmählich ward ihm dieses Leben zu Fuße beschwerlich, Frau Grimhilde entbehrte ihn nicht gerne, dem raschen Kurt war der Alte oft zu langsam, daß er je länger je lieber allein ging. Er wäre ein schöner Jägerjunge gewesen, an welchem selbst Diana, die heidnische Göttin der Jagd, Freude gehabt, wenn sie noch gelebt hätte, wenn er manierlich geschoren und gewaschen gewesen wäre, aber absichtlich geschwärzt und von Natur behaart, glich er eher einem Waldteufel als einem Menschen. So strich er mehr als halbwild Tage, Wochen herum, bis er Beute fand zum Heimbringen. Er trieb sich zwischen Solothurn und Büren, zwischen Solothurn und dem Aargau, zwischen dem Aargau und Burgdorf herum, kannte alle Wildwege durch Wald und Sumpf, aber spärlich war doch seine Beute; das Beste durfte er nie fassen, weil nach dem Werte der Ware dieselbe bewacht und beschirmt war. Er wagte sich wohl an zwei, sprang, wenn der erste vom Bolzen der Armbrust fiel, auf den zweiten mit der Keule ein; aber zu solchem fand die Gelegenheit sich selten, und oft bei der größten Gefahr war die Beute am kleinsten.
Damals war gar viel herrenloses Gesindel im Lande, das unstet lebte und so gut als möglich vom Raube. Mit solchem mußte Kurt bekannt werden; er wurde es zuerst mit dem Speer in der Hand, als ein halbes Dutzend wilder Gesellen aus einem Busche sprangen, um mit ihm eine von ihm erlegte Beute zu teilen. Aber wie Gleiches und Gleiches sich gerne gesellt, wurde bald der Friede vermittelt und gute Bekanntschaft gemacht.
Das Leben in der neuen Genossenschaft machte Kurt glücklich, gefiel ihm unendlich; nun hatte er Zeugen seiner Heldentaten, die hoch zu rühmen wußten, was er vollbrachte, und gar sehr vervielfältigten sich die Gelegenheiten zu denselben, da mit mehreren mehr zu unternehmen war, und weit in der Runde ihnen alles verkundschaftet wurde. Dann ward in Klüften und Wäldern reich getafelt, mit wilden Dirnen ein wildes Spiel getrieben, und, war man dessen satt, mit den Männern um die Beute gewürfelt. Das war ein ander Leben im weiten Wald bei lustigen Dirnen als im engen Schlößlein zu Koppigen bei der keifenden Mutter; darum sah man ihn auch immer seltener im engen Schlößlein.
Diesem hätte Frau Grimhilde eben soviel nicht nachgefragt, aber Kurt kam auch mit immer leereren Händen; das war, was ihr Kurts Leben mißfallen ließ. Er wurde in der Teilung betrogen und verlor am Ende noch in dem doppelten Spiele das wenige, was ihm zugefallen war; darum hatte sie ihn nicht zum gemeinen Räuber geraten lassen, wo sie nichts hatte davon und Kurt auch nichts als die einförmige Aussicht auf einen simplen Galgen. Auch Jürg, dem Knecht, war dieses Leben nicht recht, so hatte er es doch nicht gemeint, als er anfänglich dazu die Hand bot; er war einer der Knechte, welche am Hause hängen fast ebensosehr als am Herrn, welche alles dransetzen, des Hauses Glanz zu mehren, seinen Verfall zu wenden. Im Räuberleben sah er nichts Unrechtes, aber da hatte es der Vater doch anders getrieben als der Sohn, nicht als ein Buschschleicher, sondern auf ritterliche Weise zu Roß mit Schwert und Lanze, und er, Jürge, hintendrein, nicht viel geringer anzusehen als der Ritter selbst. Daß das Schloß zu Koppigen nichts Besseres werden solle als eine gemeine Räuberhöhle, in die und aus welcher man leise zu Fuße schlich wie die Maus aus ihrem Loche, so hatte er es sich nicht gedacht, das wollte nicht in seinen alten Kopf. Frau Grimhilde schalt, Jürg bat, aber nun hatte Kurt seinen Kopf und keinen Glauben zu Mutter und Knecht. Das neue Leben in der wilden Gesellschaft gefiel ihm allzu wohl, ein lustigeres hatte er nicht erlebt, was fragte er der Zukunft nach, da er so lustig lebte, was fragte er Koppigen nach, da es so lustig war im weiten, grünen Walde! Je mehr man ihn mit solchem Gerede plagte, desto weniger kam er heim, es ging ehedem akkurat wie heute.
Es kam der Herbst und mit ihm ein Markt zu Solothurn. Dort wohnte von je ein lustiges Volk, welches sein wahres Leben mehr außerhalb des Hauses als im Hause selbst hatte, lieber Gast war als Gäste hatte; darum, wer lustig leben wollte, im lustigen Solothurn zahlreich an den Märkten sich fand, wo man die weiten Herbergen voll Lustbarkeit und Solothurner fand. Begreiflich waren für Kurt und seine Freunde solche Tage, was Schweinemetzgen für Krähen ist im Winter. Von weitem her kommen die schwarzen Vögel geflogen, sobald ein Schwein zu seufzen und zu schreien beginnt; von weitem sperren sie die Schnäbel auf nach Schweinefleisch und Blut. Mit den Männern kommen die Dirnen gezogen, die jungen als Lockvögel, die alten als Spürhunde, durch den Markt streifen sie, wie die Schwalben fliegen durch die Luft nach Beute. Da findet sich viel Gesindel zusammen, wie von allen Winden zusammengetragen, und kennt sich von weitem. Da gibt es viele Konkurrenz, findet sich alte Liebe, entsteht neuer Haß; was man des Tags gemeinsam erbeutet, zerstört man des Nachts in wildem Streite. Kurt war auch dort, verließ aber bald die Stadt. Bestmöglichst hatte er sich unkenntlich gemacht, doch sah er bekannte Augen, welchen er ebenfalls bekannt vorzukommen schien. Zudem ärgerte ihn das fremde Gesindel aus dem Buchsgau herauf und von den Ufern der Ergolz her. Dasselbe war vertraut mit seinen Bekannten, behandelte ihn aber gröblich und schnöde. Kurt hatte noch nicht die Weise der Erfahrenen, welche sich alsbald und unmittelbar Respekt zu verschaffen wissen. Ihm schien, seine alten Freunde täten nicht das Gehörige, ihm zum Respekt zu verhelfen. Zudem schienen ihm ihre Dirnen dem Bangah, so hießen die von der Ergolz her ihr jeweiliges Haupt, überflüssige Aufmerksamkeit zu erweisen. Es war ein Bursche von schlüpfrigem Ansehen mit weitem Maul und schlechten Gliedern. Kurt hätte ihn gerne zwischen seine Finger genommen, denn ihn plagte Eifersucht von allen Sorten, aber Solothurn war zu nahe bei Koppigen, sein Inkognito durfte er nicht gefährden.
Mißmutig marschierte er nach Subigen, wo sie zwischen Wald und Sumpf eine sichere Stätte hatten, wohin nach der Abrede zunächst die Beute des Marktes geschleppt werden sollte. Groll in wildem Gemüte kommt gar gewaltig in Gärung in der Einsamkeit, rumpelt und poltert dumpf wie eine Gewitterwolke am fernen Horizont, bis er endlich loskracht und Feuer speit. Nach und nach fanden sich einzelne Glieder ihrer Bande ein; da Kurt mürrisch tat, taten sie ebenfalls nicht höflich mit ihm. Dies hielt Kurt für absichtliche Verhöhnung, für eine allgemeine Verschwörung gegen sich. Als es dunkel ward, schlüpften Dirnen herbei, hinter ihnen her der Bangah und hinter dem Bangah eine ansehnliche Portion Wein, um welche er des Pfaffen Köchin zu Kriegsstetten erleichtert hatte. Nun kam Feuer ins Pulverfaß. Wegen Kurts Unliebenswürdigkeit und anfechtigem Wesen, und weil am Ende Gleiches und Gleiches zusammenhält, die Niederen nicht ungern die Gelegenheit ergreifen, sich zusammenzutun gegen einen Höheren, wenn auch nur für Augenblicke, waren alle gegen ihn, erst mit Worten, dann handgreiflich, bis Kurt das Bewußtsein schwand. Als er wieder zu sich selbst kam, war es Tag, einsam um ihn, er wußte lange nicht, war er auf Erden oder des Teufels. Ganz natürlich schienen ihm Busch und Bäume, aber Kopf und Glieder brannten ihn mit dem Feuer, mit welchem nach dem Glauben, welchen Kurt oft verlacht, der Teufel die ihm Zugefallenen brennen soll. Kurios dünkte ihm, daß er einsam sei. Wärs die Hölle, dachte er, müßten viele dasein, der Bangah namentlich, ein viel greulicherer Sünder als er. Da kam es ihm endlich, daß er noch im Subiger Walde sei, aber zum Tode matt, und daß Wunden ihn brannten, als wäre höllisches Feuer darin. Nach und nach kam ihm das Gedächtnis wieder; neu loderte in ihm der Zorn auf, ein Glück wars, daß er an niemand ihn auslassen konnte, aber für immer schwur er der alten Gesellschaft ab, schwur ihr Rache nach seinen Kräften. Der Durst trieb ihn auf, mühsam schleppte er sich zu einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er mußte heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und daß man seinen Anteil an der Beute ihm nicht hatte liegenlassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respekt vor ihr. Wenn die Mutter ein räß, resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, daß man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet.
Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich auftut jeglicher Kreatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rotbelaubten Buche, die ein Aussehen hat wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch tat sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Ästen, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten, großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein tat mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurts Speer warf ein Tier nieder, über dem Geräusch erschrak der Haufe, rannte weiter, die Alte mit. Daß ein Junges fehlte, merkte sie nicht.
Kurt war von je nicht gewohnt, nach Grenzsteinen sich umzusehen, in seiner gegenwärtigen Stimmung tat er es vollends nicht; daß er in des Herrn von Halten Gebiet war und zunächst seinem Schlößlein, achtete er nicht. Der Herr von Halten war ein ehrbarer Mann, aber so eine Art von Nachthaube, wie man heutzutage sagen würde, er dachte nicht viel, tat nicht viel, aß und trank desto mehr und so gut, wie er es haben konnte, doch war er leider auch bloß so gleichsam vornehm, aber nicht reich. Seine zahlreichste Habe waren neun Töchterlein, die um so vornehmer taten, je ärmer sie wurden, und um so spröder sich gebärdeten, je lieber sie einen Mann gehabt. Sie waren nicht so arm wie die von Koppigen, sie hatten noch Pferde und Kühe, sie spotteten daher grimmig über die von Koppigen, und doch wäre unter allen neunen vielleicht nicht eine zu finden gewesen, welche es verschmäht hätte, Frau von Koppigen zu werden; daß es keine ward, lag bloß daran, daß Kurt nicht von ferne daran dachte, eine Frau zu nehmen. Sie waren auch im Walde, lasen ebenfalls Buchnüsse zusammen, um Öl zu pressen zu ihren Lämplein, welche sie brennen mußten zur Winterszeit in ihrem dunkeln Schlößlein, das noch heutzutage zu sehen ist.