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Wer Erich Kästner kennenlernen will, kann ihn hier in Reinform entdecken. Mehr noch: Wer auf der Suche nach pointierter, praktischer Lebenshilfe ist, für den ist dieses Buch ein Schatz, denn es versammelt Kästners schönste und klügste Lebensweisheiten, von denen viele längst zu geflügelten Worten geworden sind.
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Seitenzahl: 19
Erich Kästner
Kurz und bündig
Epigramme
Obwohl, dem Sprichwort entgegen, das Geld nicht auf der Straße liegt, gibt es Menschen, die’s finden. Sie kommen des Wegs, gucken in die Luft, bücken sich plötzlich und haben ein Geldstück in der Hand. Martial mit seinen zwölfhundert Epigrammen war so ein Mann. Zwölfhundert epigrammträchtige Einfälle fand er auf seiner Lebensstraße. Die schmutzigen Münzen rieb er blank. Den fahlen Goldstaub schmolz er ein. Die unscheinbaren Edelsteine schliff er zu Juwelen. Und noch die Quarz- und Glimmerstücke traktierte er, bis man sie für Diamanten hielt. Er fand, auch wenn er nicht suchte.
Im Einfall liegt das Geheimnis, in der Prägung steckt die Kunst des Epigramms, und viel mehr wäre über den Spruch, diese kürzeste Gedichtgattung, kaum zu sagen. Allenfalls noch, dass sie dem Inschriftenkult auf Denkmälern ihr Entstehen verdankt und dass sie sich später, nicht zuletzt durch Martial, »vom Denkmal fort und zum Denkzettel hin« entwickelte, wie ein neuerer Kunstrichter die Wandlung vom Heroischen zum Satirischen bezeichnet hat. Schließlich ließe sich anmerken, dass jedes echte Epigramm, der Poetik gemäß, zwei Regeln erfüllen muss: Es soll »Erwartung« wecken und pointierend »Aufschluss« geben. So hat es Lessing formuliert, und er hat es noch den größten Meistern schwer angekreidet, wenn und sooft sie das Gesetz übertreten hatten. Das war keine Beckmesserei. Dieses Gesetz ist keine Spitzfindigkeit der Philologen, sondern es wohnt dem Epigramm inne.
Erwartung und Aufschluss? Ein beliebiges Beispiel mag die Doppelregel veranschaulichen, und zwar ein Vierzeiler, dessen Verfasser wohl kaum in den Verdacht geraten wird, Scaligers, Boileaus, Batteux’, Lessings und Herders Theorien über das Epigramm studiert zu haben. Der Vierzeiler steht, in ungelenken Lettern, auf einem Tiroler Marterl und ist dem Andenken an einen tödlich verunglückten Holzknecht gewidmet.
»Es ist nicht weit
zur Ewigkeit«
lautet die gewagte, Erwartung weckende Behauptung. Und die dem verweilenden Wanderer Aufschluss erteilenden, wahrhaftig überraschenden Beweiszeilen:
»Um acht ging Martin fort,
um zehn Uhr war er dort.«
Von Meleager und Martial bis zu Martins Marterl – das Gesetz wird von allen respektiert, auch von denen, die es gar nicht kennen. Ausnahmen bestätigen auch auf diesem Gebiet die Regel.
Die vorliegende Sammlung entstammt nicht nur dem ver