Küss alle meine Zweifel fort - Amy Andrews - E-Book

Küss alle meine Zweifel fort E-Book

Amy Andrews

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Beschreibung

Es sollte nur eine Affäre sein - und auf einmal ist es Liebe! Doch gerade als die Ärztin Madeline ihrem Traummann gestehen will, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen kann, behauptet seine Exfrau, von Marcus schwanger zu sein …

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Seitenzahl: 182

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IMPRESSUM

Küss alle meine Zweifel fort erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2007 by Amy Andrews Originaltitel: „An Unexpected Proposal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand XXX - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Nicole Selmer

Umschlagsmotive: GettyImages_Vasyl Dolmatov

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733717230

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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1. KAPITEL

Madeline Harrington war froh, dass ihr Auto eine funktionierende Klimaanlage hatte, als sie an der Baustelle anhalten musste. Schwere Maschinen dröhnten neben der Straße, und vom noch feuchten Asphalt stieg eine heiße Dampfwolke auf. Der Arbeiter, der ihr das Warnschild entgegenhielt, hatte ein sonnenverbranntes Gesicht. Hohes Hautkrebsrisiko, dachte Madeline abwesend.

Bei dem Anblick von Brisbane in der heißen Nachmittagssonne war es schwer vorstellbar, dass sie noch vor vierundzwanzig Stunden im tiefsten englischen Winter gesteckt hatte, samt Mantel, Handschuhen und Wollmütze. Nach dem Londoner Kühlschrank kam Brisbane ihr jetzt vor wie ein Glutofen.

Madeline gähnte und schloss für eine Sekunde die Augen. Der Jetlag hatte sie bereits fest im Griff. Ihre Augen brannten, sie wollte nur noch unter die Dusche und dann ins Bett. Aber im Augenblick stand sie vor einer Baustelle und kam nicht von der Stelle.

Sie schaute hinüber zu dem kleinen Skaterpark auf der anderen Straßenseite. Als ausgebildete Medizinerin dachte sie bei dem Anblick der Hindernisse und Bahnen sofort an verschiedene komplizierte Frakturen, als eher wenig sportliche Frau bewunderte sie die Geschicklichkeit und den Mut der Skater.

Insbesondere ein Mann manövrierte sein Board mit großer Sicherheit, es sah fast so aus, als wären seine Füße daran festgewachsen. Er war sicher zwanzig Jahre älter als die Jugendlichen, die sonst im Park unterwegs waren, trotzdem wirkte er zwischen ihnen nicht lächerlich.

Er trug eine abgeschnittene kurze Jeans – und sonst nichts. Sein nackter Oberkörper war muskulös und durchtrainiert, und während er mit dem Skateboard in der Luft eine elegante Drehung ausführte, wanderte Madelines Blick langsam weiter zu seinen langen, kräftigen Beinen und dann wieder hinauf bis zu den dunkelbraunen Haaren, die an den Seiten etwas länger waren.

Warum trägt er keinen Helm? Dämlicher Macho! Er war der typische sonnengebräunte Outdoor-Australier, der sich nicht wohlfühlte, wenn er nicht gegen einen Ball treten oder auf dem Surfbrett stehen konnte. Auch wenn es in diesem Fall ein Skateboard war … Wahrscheinlich brauchte er einfach diesen Adrenalinkick und kümmerte sich nicht um die Risiken.

Die Vorstellung, so zu leben, war für Madeline abstoßend und faszinierend zugleich. Wie war es wohl, den ganzen Tag in Skaterparks oder am Strand zu verbringen? Ohne Verpflichtungen, ohne Termine. Ohne Patienten, die auf einen warteten.

Der Anblick dieses Mannes versetzte sie in eine seltsame Unruhe. Die Lebensfreude, die er offensichtlich empfand, war etwas, das in ihrem Leben schon sehr lange keine Rolle mehr gespielt hatte.

Er schien in Begleitung eines kleinen Jungen zu sein, der vielleicht sechs oder sieben Jahre alt war. Ob es sein Sohn war? Es gab eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden. Der Junge schaute mit unverhohlener Bewunderung zu ihm auf, und der Mann in den Jeanshosen strubbelte ihm liebevoll das Haar und klatschte, nachdem der Kleine erfolgreich einen Trick auf seinem eigenen Board vollführt hatte. Immerhin trug der Junge einen Helm.

Dann hob der Mann ihn auf seine Schulter und drehte sich im Kreis, was ein begeistertes Lachen bei dem Kind auslöste.

Madeline spürte ein eigenartiges Ziehen im Magen. Der Mann lachte ebenfalls, er hatte Grübchen in der Wange. Er war unglaublich attraktiv und strahlte eine überwältigende Männlichkeit aus! Und die Tatsache, dass der kleine Junge ihn offensichtlich vergötterte, machte ihn nur noch attraktiver.

Oh, nein! Es musste am Jetlag liegen. Seit wann fand sie muskelbepackte Machos anziehend? Zumal welche, die Kinder hatten und daher offenbar vergeben waren. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, aber an der Baustelle leuchtete noch immer die rote Ampel, und so schaute sie wieder hinüber zu dem Skater-Macho. Wie es wohl wäre, mit einem solchen Mann zusammen zu sein?

Er wirkte nicht wie jemand, der nur ziellos in den Tag hineinlebte, sondern wie ein Mann, der wusste, was er wollte. Und wie er es bekam. Er sah aus wie jemand, der das Leben liebte und die Liebe. Jemand, der gut küsste und einer Frau Vergnügen bereiten konnte …

Hilfe! Hastig beugte Madeline sich nach vorn und schaltete das Radio an. Gut küssen? Vergnügen bereiten? Woher kamen diese Gedanken? Gut, es war einige Zeit her, dass sie Sex gehabt hatte. Vor sieben Wochen hatte ihr Verlobter sich von ihr getrennt, und davor hatten sie schon länger nicht mehr miteinander geschlafen. Aber Sex war ohnehin nie der Mittelpunkt ihrer Beziehung gewesen, und die vergangenen zwei Jahre war sie mit der Arbeit in der Praxis völlig ausgelastet gewesen. Sie hatte gar keine Zeit für erotische Fantasien.

Die hatten sie beide nicht gehabt. Simon arbeitete im Krankenhaus oft Doppelschichten, und so hatten sie sich nicht allzu oft gesehen. Dass er ihre Verlobung gelöst hatte, weil er mehr Zeit für sich brauchte, hatte Madeline erstaunt. Schließlich waren sie ohnehin nicht sehr oft zusammen, wie viel Zeit brauchte er denn noch? Trotzdem war sie überzeugt, dass die Trennung nur vorübergehend war. Eine zehnjährige Beziehung warf man nicht so einfach über Bord.

Der Skater-Macho lachte wieder laut und lenkte ihre Gedanken von ihrem Exverlobten ab. Wann hatte Simons Anblick das letzte Mal erotische Fantasien bei ihr ausgelöst?

Madeline schüttelte den Kopf. Der Jetlag, bestimmt lag es daran. Sex hatte in ihrem Leben bisher nie eine große Rolle gespielt, dafür war es zu sehr von tragischen Verlusten überschattet gewesen. Was also sollte das jetzt? Sie war dreißig Jahre alt und hatte in ihrer beruflichen Praxis schon mehr als genug nackte Männer gesehen, warum sollte der Anblick eines halb nackten Skaters sie so aus der Fassung bringen?

Ein lautes Hupen ertönte hinter ihr. Schnell schaute Madeline nach vorn, die Ampel war umgesprungen, sie konnte weiterfahren und den Skater hinter sich lassen. Als sie im Rückspiegel einen letzten Blick auf ihn warf, verstärkte sich das Gefühl der Unruhe, das er ausgelöst hatte. Verdammt. Sie war doch zufrieden mit ihrem Leben!

Oder etwa nicht?

Einige Stunden später parkte Madeline vor ihrer Praxis. Sie hatte ausgepackt und geduscht und fühlte sich etwas erfrischt. Die Müdigkeit steckte ihr jedoch noch immer in den Knochen, und sie wusste, dass sie das Haus verlassen musste, um ihr nicht nachzugeben und einzuschlafen.

Wenn sie jetzt ins Bett ging, würde sie nachts um drei aufwachen und nicht wieder einschlafen können. Daher hatte sie beschlossen, den Freitagnachmittag damit zu verbringen, in der Praxis nach dem Rechten zu sehen.

Die Büroräume im Erdgeschoss, die bei ihrer Abreise noch leer gestanden hatten, wurden gerade renoviert. Ein Handwerker hatte ein Schild an der Tür angebracht und trat ein paar Schritte zurück, um sein Werk zu begutachten.

Dr. Marcus Hunt. Naturheilkunde.

Einige Sekunden lang starrte Madeline das Schild an wie betäubt, dann spürte sie heiße Wut in sich aufsteigen. „Nur über meine Leiche“, murmelte sie.

Es ging doch nichts über einen kleinen Wutausbruch, um richtig wach zu werden. Die Erschöpfung war verschwunden, sie konnte wieder klar denken und hatte nur noch ein Ziel.

Wie viele Patienten hatte sie nach dem Besuch bei einem dieser Scharlatane wieder auf die Beine bringen müssen? Menschen, bei denen sich ernsthafte Symptome und Krankheiten verschlimmert hatten, weil sie sich in die Hände irgendwelcher Quacksalber begeben hatten, die ihnen falsche Hoffnungen machten. Und dann war da noch Abby.

Das würde sie auf keinen Fall zulassen! Energisch drängte Madeline sich an dem Handwerker vorbei und öffnete die Tür. Sie schob sich die Sonnenbrille ins Haar und blinzelte, weil ihre Augen sich nach dem hellen Sonnenlicht erst umstellen mussten. Es roch nach frischer Farbe, und die Räume waren mit Malerutensilien und Kartons vollgestellt.

„Tut mir leid, wir öffnen erst nächste Woche.“ Die tiefe männliche Stimme ertönte irgendwo aus den hinteren Räumen, und bei ihrem Klang spürte Madeline ein leichtes Kribbeln auf ihrer Haut.

Dann betrat der zur Stimme gehörende Mann das Zimmer und lehnte sich gegen den Türpfosten neben ihr. Für einen Augenblick glaubte Madeline, dass sie halluzinierte. Es war der Skater aus dem Park, seine blauen Augen blitzten, und die Grübchen in seinen Wangen waren jetzt deutlich zu erkennen.

Er hatte sich inzwischen angezogen, oder zumindest trug er etwas mehr Kleidung als vorhin. Das weiße Hemd war vollständig aufgeknöpft und enthüllte seinen muskulösen Oberkörper. Madeline kämpfte das fast unwiderstehliche Verlangen nieder, ihn zu berühren und ihre Finger über seine leicht behaarte Brust gleiten zu lassen. Das war doch lächerlich!

Sein markantes Gesicht war unrasiert, und die Grübchen hätten bei einem erwachsenen Mann eigentlich unpassend wirken müssen, aber irgendwie verstärkten sie nur die Faszination, die von ihm ausging.

In der rechten Hand hielt er einen Pinsel, von dem Farbe tropfte. Vage dachte Madeline, dass sie sich getäuscht hatte. Er hatte eine Arbeit, er war offenbar Maler oder Handwerker.

Unwillkürlich verglich sie ihn mit Simon. Rein äußerlich waren die beiden Männer sich nicht unähnlich, auch wenn ihr Exverlobter ein bisschen kleiner, weniger kräftig gebaut und nicht so braun gebrannt war. Aber vor allem hatte dieser Unbekannte eine absolut magische Ausstrahlung, die Simon nicht besaß und wohl auch nie besitzen würde.

Simon war ein attraktiver Mann, kein Zweifel, aber sein Lächeln war freundlich und beruhigend, während das Lächeln dieses Mannes sexy und ein wenig gefährlich war. In den ganzen zehn Jahren mit Simon hatte Madeline nie ein solches Gefühl von unruhiger Erregung verspürt.

Sie blinzelte, um diese Gedanken zu verscheuchen. Ob Maler, Skateboarder oder Macho – dieser Mann war definitiv nicht das Richtige für sie. Zumal er ein Kind hatte. Was war nur in sie gefahren?

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sein leicht spöttisches Lächeln ließ erahnen, dass ihm Madelines intensive Musterung nicht entgangen war. Das Kribbeln auf ihrer Haut verstärkte sich, und sie versuchte sich zu erinnern, warum sie eigentlich hier war.

„Ähm, nein … ich wollte mit Dr. Hunt sprechen, aber er ist wohl nicht hier, also … lasse ich Sie am besten weiterarbeiten.“

Marcus wäre beinahe in lautes Lachen ausgebrochen. Da hatte sie es ihm aber gezeigt! Diese Frau hatte ihn eindringlich von oben bis unten gemustert und dann ihr Urteil gefällt. Was für ein Snob, dachte er. Aber ein sehr attraktiver Snob.

Sie war groß und hatte die schönste rote Haarpracht, die er je gesehen hatte. Obwohl sie versuchte, die Mähne in einem festen Knoten zu bändigen, fielen wilde Locken auf ihre Schultern. Ihre smaragdgrünen Augen blitzten, und die vollen Lippen sahen aus, als wären sie perfekt zum Küssen geeignet.

Das seriöse und offensichtlich teure Kostüm konnte ihre perfekte Figur nicht verbergen, und Marcus spürte, wie sein Körper auf den Anblick ihrer langen, schlanken Beine und ihrer weiblichen Kurven reagierte. Zu gerne würde er herausfinden, ob unter dieser sorgfältig polierten Oberfläche ein wildes Feuer loderte.

Im Augenblick allerdings sah diese Frau völlig angespannt aus. Sein Blick fiel auf den großen Diamantring an ihrer Hand. Wenn sie wirklich verlobt war, tat ihr Zukünftiger offenbar wenig, um ihre Verkrampfung zu lösen.

„Ich bin Dr. Marcus Hunt“, sagte er schließlich. Madelines Blick war von seiner entblößten Brust weiter nach unten gewandert, dorthin, wo die Linie der dunklen Haare im Bund seiner abgeschnittenen Jeans verschwand und dann noch etwas tiefer …Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und blickte verlegen auf. Das Funkeln seiner blauen Augen verwandelte die Verlegenheit jedoch in Wut.

„Sie sind Dr. Hunt?“, fragte sie in möglichst ungläubigem Tonfall, um ihre Fassung wiederzugewinnen.

„So ist es.“ Marcus wischte die rechte Hand an seiner Jeans ab und streckte sie ihr entgegen.

Madeline ignorierte sie, aber das schien ihn nur noch mehr zu amüsieren.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Madeline Harrington. Dr. Madeline Harrington.“

„Ah … die Kollegin von nebenan.“ Er lächelte. „Dann sind wir bald Nachbarn.“ Trotz des Ringes an ihrer Hand war die Vorstellung verlockend.

„Nein, das glaube ich nicht“, entgegnete Madeline mit kühler Stimme.

„Oh, gibt es ein Problem?“ Marcus schien nicht sonderlich beunruhigt.

„Sogar zwei. Zum einen …“ Madeline hob einen Finger zur Demonstration. „Ich protestiere ganz entschieden dagegen, dass Sie einen Doktortitel verwenden. Naturheilkundler oder andere unfähige Alternativmediziner haben kein Recht dazu.“

„Aber sicher. Sofern sie einen Doktortitel besitzen“, erwiderte Marcus. „Ich bin übrigens Homöopath.“

„Sind Sie etwa ein echter Arzt?“, fragte Madeline entgeistert.

Bei dem Anblick ihrer ungläubigen Miene brach Marcus in lautes Lachen aus. „Ist das so schwer zu glauben?“ Er schüttelte belustigt den Kopf.

„Allerdings.“ Madeline musste sich eingestehen, dass er einfach nicht ihrer Vorstellung von einem Mediziner entsprach. Ihr Vater war Arzt gewesen, seine beiden Partner, die jetzt gemeinsam mit ihr die Praxis führten, waren Ärzte. Und Simon war Arzt. So hatten Mediziner auszusehen!

„Und zum anderen?“, fragte Marcus mit sanfter Stimme.

„Ähm.“ Sie versuchte, sich zusammenreißen. „Zweitens werde ich Ihnen nicht gestatten, diese … diese mittelalterliche Quacksalberei direkt neben unserer Praxis zu betreiben. Meine Partner und ich werden verhindern, dass Sie mit diesem Hokuspokus durchkommen.“

Marcus musterte Madeline Harrington interessiert, während sie sich in Rage redete. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Stimme klang aufgewühlt. Aus irgendeinem Grund fand er ihre Wut erregend.

„Und wie wollen Sie das anstellen, Maddy?“

Madeline hatte schon den Mund geöffnet, um ihm noch einmal ganz deutlich ihre Meinung zu sagen, als die unerwartete, vertraute Anrede sie innehalten ließ.

Außer Abby hatte sie nie jemand so genannt, und die Erinnerung an ihre jüngere Schwester überflutete sie mit plötzlicher Intensität.

„Ich heiße Madeline“, sagte sie in scharfem Tonfall.

„Mag sein, aber ich glaube, ich nenne Sie lieber Maddy“, verkündete Marcus.

„Dazu werden Sie kaum Gelegenheit haben, Dr. Hunt“, sagte sie mit sarkastischer Betonung. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie Montag wieder ausziehen.“

„Ich habe einen Mietvertrag, Maddy.“

Die Art, wie er mit seiner tiefen männlichen Stimme ihren Namen sagte, hatte eine eigenartige Wirkung auf sie. Es klang fast wie eine Liebkosung. „Meinen Partnern und mir gehört dieses Gebäude, Dr. Hunt. Und wenn sie erfahren, wer hier eingezogen ist, werden Sie ganz schnell wieder auf der Straße sitzen, da helfen Ihnen auch Ihre Heilkräuter nicht.“

Sie warf ihm ein triumphierendes Lächeln zu, das Marcus mit einem freundlichen Grinsen beantwortete. Er wirkte nicht im Mindesten beeindruckt von ihrer Drohung.

„Halten Sie sich nicht zurück, Maddy. Vielleicht können Sie auch noch einen Scheiterhaufen organisieren und mich auf dem Marktplatz verbrennen. Wie wär’s?“

„Führen Sie mich nicht in Versuchung.“

Sie war es, die ihn in Versuchung führte! „Wovor haben Sie eigentlich solche Angst? Wissen Sie nicht, dass Hippokrates selbst Homöopathie praktiziert hat? Die Welt ist doch groß genug für Schulmedizin und alternative Heilkunst.“

„Aber nicht dieses Haus!“ Mit diesen Worten drehte Madeline sich auf dem Absatz um und ging zur Tür.

„Bis bald, Maddy.“

Der Gedanke an ein Wiedersehen ließ sie trotz der Hitze des Nachmittags erschauern.

„Hoffentlich nicht“, erwiderte sie und schloss energisch die Tür hinter sich.

Als sie in den ersten Stock zu den Räumen ihrer eigenen Praxis hinaufging, atmete Madeline tief durch. Das Gespräch mit diesem Marcus Hunt hatte sie verstört und ein seltsames Gefühl von Sehnsucht bei ihr hinterlassen.

Sie ging durch den Korridor zu ihrer Praxis und verspürte beim Anblick der vertrauten Umgebung ein Gefühl der Erleichterung. Ihr Vater hatte das mehrstöckige Haus gekauft, bevor sie zur Welt gekommen war, und die Praxis gemeinsam mit seinen zwei Partnern gegründet. Die Räume im zweiten Stock waren an eine Anwaltskanzlei vermietet, und wenn es nach ihr ging, würde im Erdgeschoss demnächst wieder ein „Zu vermieten“-Schild hängen.

Schnell verdrängte sie den Gedanken an Marcus Hunt und musterte das Türschild, auf dem in Goldbuchstaben ihr eigener Name stand. Heute allerdings löste dieser Anblick nicht die gleiche Befriedigung aus wie sonst.

Sie hatte niemals einen anderen Beruf ergreifen wollen, auch nicht, als all ihre Kommilitonen im Medizinstudium sich auf andere lukrativere Bereiche spezialisierten. Madeline jedoch hatte bei ihrem Vater gelernt, wie wichtig und sinnvoll die Arbeit eines guten Allgemeinarztes sein konnte, und sein Tod hatte sie in ihrem Entschluss nur noch bestärkt.

Sie schloss die Tür auf und wurde sofort von ihrer Sprechstundenhilfe begrüßt. „Madeline! Oh, du bist wieder da.“ Aufgeregt sprang Veronica hinter ihrer Empfangstheke auf und kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. „Wie geht es dir? Wie war es in England?“

Veronica war eine der Änderungen, die Madeline durchgesetzt hatte, nachdem sie in die Praxis eingetreten war. Sie war jung, freundlich und kompetent, und die Patienten liebten sie. Madeline war überzeugt, dass die Verjüngung des Sprechstundenpersonals dazu beigetragen hatte, die Zahl der Patienten wieder in die Höhe zu treiben.

„Gut, sehr gut“, antwortete sie leicht abwesend. Die Begegnung mit Marcus Hunt hing ihr immer noch nach. „Ist sonst niemand mehr da?“ Sie schaute ins leere Wartezimmer.

„George hat noch Dienst, er macht Hausbesuche“, sagte Veronica.

George Blakeley war bereits der Partner von Madelines Vater gewesen. Gemeinsam mit seiner Frau Louise hatte er sich um sie und Abby gekümmert, als ihre Eltern kurz nacheinander gestorben waren, während die Mädchen noch auf der Highschool waren.

Auch Andrew Baxter hatte schon mit ihrem Vater zusammengearbeitet, während Thomas Wisehart, der vierte Partner, ein Studienkollege von Madeline war. Der junge Familienvater war die perfekte Ergänzung für ihr Team gewesen, nicht zuletzt weil Andrew und George in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen würden.

„Es war heute wohl ein ruhiger Tag?“

„Eigentlich nicht, aber wen kümmert das schon“, rief Veronica unbekümmert. „Ich will alles wissen, was passiert ist!“

„Was soll schon passiert sein? Ich war auf einer internationalen Medizinerkonferenz, nicht auf einer Vergnügungsreise.“

Veronica verdrehte die Augen. „Ich dachte, wir hatten uns darauf geeinigt, dass eine Reise nach London die perfekte Gelegenheit für Sex nach der Trennung ist?“

Madeline musste lachen. „Du warst dieser Meinung, nicht ich. So etwas passt einfach nicht zu mir.“

„Oh ja, eben!“ Veronica nickte eifrig. „Deswegen war es ja so perfekt. Simon verlässt dich direkt vor einer sechswöchigen Reise nach England. Genau das Richtige für Trennungssex.“

Manchmal beneidete Madeline ihre jüngere Angestellte für ihre Einstellung. Veronica verstand es, den Augenblick zu genießen und das Leben auszukosten. Sie selbst dagegen war eher vorsichtig. Unverbindlicher Sex, One-Night-Stands … das war so gar nicht ihre Art. Nicht umsonst war sie zehn Jahre lang mit demselben Mann zusammen gewesen. Und bestimmt war ihre Trennung von Simon nur vorübergehend.

„Es war einfach niemand da, der mich interessiert hätte“, sagte sie schließlich. Nicht so, wie Marcus Hunt sie interessierte …„Ach, Madeline“, seufzte Veronica. „Ich wette, das hier hat die interessanten Männer vertrieben.“ Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf Madelines Diamantring.

Madeline sah hinunter auf ihre Hand. Sie trug den Zwei-Karat-Diamanten nun seit vier Jahren und hatte ihn auch nach der Trennung nicht abgenommen. Veronica hatte recht, der Ring vertrieb die Männer, und das war vielleicht gut so. Wenn sie Simon mitzählte, hatte Madeline vier geliebte Menschen verloren, und sie war nicht sicher, ob sie sich noch einmal für die Liebe öffnen konnte. Ihr Herz schien zu einem großen Eisblock erstarrt zu sein.

Hastig warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon fünf. „Warum machst du nicht Schluss für heute? Ich werde mich auf den neuesten Stand bringen und schließe dann später ab“, sagte sie zu Veronica.

Ihre Mitarbeiterin nickte. „Schon gut, ich habe verstanden. Ich soll mich um meinen eigenen Kram kümmern.“ Veronica grinste gutmütig, räumte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich herzlich von Madeline.

Als sie allein war, schlenderte Madeline langsam durch die geschmackvoll eingerichteten Räume, um sich wieder einzugewöhnen. Dann blätterte sie den Praxiskalender durch und pfiff leise durch die Zähne. Sie würde erst Montag wieder anfangen zu arbeiten, aber dann stand ihr ein hektischer Tag bevor.

Schon bald machte sich die nervöse Unruhe wieder bemerkbar, die sie schon den ganzen Tag geplagt hatte. Madeline unterdrückte ein Gähnen. Sie war müde, aber es war noch zu früh, um dem Jetlag nachzugeben. Sie ließ sich in ihrem Sprechzimmer in den Schreibtischstuhl sinken und blätterte in einigen Unterlagen.

Dann lehnte sie sich in ihrem bequemen, ergonomisch geformten Stuhl zurück und schloss kurz die Augen. Sofort wanderten ihre Gedanken zurück zu Marcus Hunt. Sie hörte sein lautes Lachen, sah die Grübchen in seinen Wangen und die Farbspritzer in seinem dunklen Haar. Diese Fantasien hatten eine unglaublich erregende Wirkung auf sie, fast so, als würde er wieder vor ihr stehen.

Marcus Hunt war gefährlich für sie.

Sie schlug die Augen auf und schaute auf Simons Foto, das noch immer auf ihrem Schreibtisch stand. Trotz Veronicas missbilligender Blicke hatte sie es noch nicht übers Herz gebracht, es wegzuräumen. Sie hatte leicht reden! Anders als andere Frauen hatte Madeline ihre Jugend nicht damit verbracht, sich zu amüsieren und das Leben – und die Männer – zu genießen. Stattdessen hatte sie eine persönliche Tragödie nach der nächsten verkraften, ihr Studium beenden und sich auch noch um Abby kümmern müssen. Und Simon hatte ihr in dieser Zeit beigestanden.

Sie fuhr mit dem Finger leicht über das Glas des Bilderrahmens. Sicher, Simon war kein aufregender Skater, aber er hatte ein nettes Lächeln, und sie hing noch immer an ihm. Sie kannten sich schon ewig, und so etwas warf man nicht einfach weg. Madeline war überzeugt, dass Simon zu ihr zurückkehren würde, und bis dahin würde sie sich nicht von einem dahergelaufenen Marcus Hunt aus der Fassung bringen lassen.