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AMY ANDREWS - KÜSS ALLE MEINE ZWEIFEL FORT Es sollte nur eine Affäre sein - und auf einmal ist es Liebe! Doch gerade als die Ärztin Madeline ihrem Traummann gestehen will, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen kann, behauptet seine Exfrau, von Marcus schwanger zu sein … SUE MACKAY - DU KÜSST MEINE TRÄNEN FORT Ihren Noch-Ehemann wiederzusehen raubt der schönen Chirurgin Fiona fast den Atem. Noch genauso charismatisch wie damals ist Tom, sein Lächeln noch genauso charmant - doch in seinen Augen steht eine Traurigkeit, die ihr fast das Herz bricht. Denn sie ist schuld daran … FIONA LOWE - SO FEURIG KÜSST NUR DR. RODRIGUEZ Hat er sie wirklich geküsst? Marco Rodriguez ist entsetzt! Zwar ist Lily sein Typ: zierlich, heißblütig und selbstbewusst. Aber der Arzt sucht keine Affäre - schließlich hat er einen kleinen Sohn. Und Lily scheint keine Frau zu sein, die gerne eine Mutter wäre … LAURA WRIGHT - KÜSS MICH - HEISS WIE DAMALS Vom ersten Moment an, als die hübsche Krankenschwester Tara Roberts ihrer Jugendliebe Clint Andover begegnet, knistert es zwischen ihnen. Denn der erfolgreiche Rancher ist noch genauso attraktiv wie damals, als sie sich das erste Mal in der kleinen Laube im Park küssten. Und obwohl sie weiß, dass Clint noch unter dem Verlust seiner Frau leidet, kann sie seinem leidenschaftlichen Begehren immer weniger widerstehen. Sie sehnt sich danach, von ihm geliebt zu werden. Auch wenn es nur dieses eine Mal sein sollte, sie will endlich in seinen Armen die Leidenschaft kennen lernen. Doch irgend jemand scheint das verhindern zu wollen - und bringt Tara in Lebensgefahr ... BJ JAMES - MEHR VON DEINEN KÜSSEN Klopfenden Herzens fährt Tierärztin Haley mitten in der Nacht zu Jackson. Schon lange schwärmt sie für den reichen Rancher, doch der weist sie immer wieder rau zurück. In dieser Nacht soll alles anders werden - sie will endlich mehr von ihm und seinen Küssen …
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Seitenzahl: 953
Amy Andrews, Sue Mackay, Fiona Lowe, Laura Wright, Bj James
Küsse sind die beste Medizin (5 in 1)
IMPRESSUM
Küss alle meine Zweifel fort erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2007 by Amy Andrews Originaltitel: „An Unexpected Proposal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand XXX - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Nicole Selmer
Umschlagsmotive: GettyImages_Vasyl Dolmatov
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733717230
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Madeline Harrington war froh, dass ihr Auto eine funktionierende Klimaanlage hatte, als sie an der Baustelle anhalten musste. Schwere Maschinen dröhnten neben der Straße, und vom noch feuchten Asphalt stieg eine heiße Dampfwolke auf. Der Arbeiter, der ihr das Warnschild entgegenhielt, hatte ein sonnenverbranntes Gesicht. Hohes Hautkrebsrisiko, dachte Madeline abwesend.
Bei dem Anblick von Brisbane in der heißen Nachmittagssonne war es schwer vorstellbar, dass sie noch vor vierundzwanzig Stunden im tiefsten englischen Winter gesteckt hatte, samt Mantel, Handschuhen und Wollmütze. Nach dem Londoner Kühlschrank kam Brisbane ihr jetzt vor wie ein Glutofen.
Madeline gähnte und schloss für eine Sekunde die Augen. Der Jetlag hatte sie bereits fest im Griff. Ihre Augen brannten, sie wollte nur noch unter die Dusche und dann ins Bett. Aber im Augenblick stand sie vor einer Baustelle und kam nicht von der Stelle.
Sie schaute hinüber zu dem kleinen Skaterpark auf der anderen Straßenseite. Als ausgebildete Medizinerin dachte sie bei dem Anblick der Hindernisse und Bahnen sofort an verschiedene komplizierte Frakturen, als eher wenig sportliche Frau bewunderte sie die Geschicklichkeit und den Mut der Skater.
Insbesondere ein Mann manövrierte sein Board mit großer Sicherheit, es sah fast so aus, als wären seine Füße daran festgewachsen. Er war sicher zwanzig Jahre älter als die Jugendlichen, die sonst im Park unterwegs waren, trotzdem wirkte er zwischen ihnen nicht lächerlich.
Er trug eine abgeschnittene kurze Jeans – und sonst nichts. Sein nackter Oberkörper war muskulös und durchtrainiert, und während er mit dem Skateboard in der Luft eine elegante Drehung ausführte, wanderte Madelines Blick langsam weiter zu seinen langen, kräftigen Beinen und dann wieder hinauf bis zu den dunkelbraunen Haaren, die an den Seiten etwas länger waren.
Warum trägt er keinen Helm? Dämlicher Macho! Er war der typische sonnengebräunte Outdoor-Australier, der sich nicht wohlfühlte, wenn er nicht gegen einen Ball treten oder auf dem Surfbrett stehen konnte. Auch wenn es in diesem Fall ein Skateboard war … Wahrscheinlich brauchte er einfach diesen Adrenalinkick und kümmerte sich nicht um die Risiken.
Die Vorstellung, so zu leben, war für Madeline abstoßend und faszinierend zugleich. Wie war es wohl, den ganzen Tag in Skaterparks oder am Strand zu verbringen? Ohne Verpflichtungen, ohne Termine. Ohne Patienten, die auf einen warteten.
Der Anblick dieses Mannes versetzte sie in eine seltsame Unruhe. Die Lebensfreude, die er offensichtlich empfand, war etwas, das in ihrem Leben schon sehr lange keine Rolle mehr gespielt hatte.
Er schien in Begleitung eines kleinen Jungen zu sein, der vielleicht sechs oder sieben Jahre alt war. Ob es sein Sohn war? Es gab eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden. Der Junge schaute mit unverhohlener Bewunderung zu ihm auf, und der Mann in den Jeanshosen strubbelte ihm liebevoll das Haar und klatschte, nachdem der Kleine erfolgreich einen Trick auf seinem eigenen Board vollführt hatte. Immerhin trug der Junge einen Helm.
Dann hob der Mann ihn auf seine Schulter und drehte sich im Kreis, was ein begeistertes Lachen bei dem Kind auslöste.
Madeline spürte ein eigenartiges Ziehen im Magen. Der Mann lachte ebenfalls, er hatte Grübchen in der Wange. Er war unglaublich attraktiv und strahlte eine überwältigende Männlichkeit aus! Und die Tatsache, dass der kleine Junge ihn offensichtlich vergötterte, machte ihn nur noch attraktiver.
Oh, nein! Es musste am Jetlag liegen. Seit wann fand sie muskelbepackte Machos anziehend? Zumal welche, die Kinder hatten und daher offenbar vergeben waren. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, aber an der Baustelle leuchtete noch immer die rote Ampel, und so schaute sie wieder hinüber zu dem Skater-Macho. Wie es wohl wäre, mit einem solchen Mann zusammen zu sein?
Er wirkte nicht wie jemand, der nur ziellos in den Tag hineinlebte, sondern wie ein Mann, der wusste, was er wollte. Und wie er es bekam. Er sah aus wie jemand, der das Leben liebte und die Liebe. Jemand, der gut küsste und einer Frau Vergnügen bereiten konnte …
Hilfe! Hastig beugte Madeline sich nach vorn und schaltete das Radio an. Gut küssen? Vergnügen bereiten? Woher kamen diese Gedanken? Gut, es war einige Zeit her, dass sie Sex gehabt hatte. Vor sieben Wochen hatte ihr Verlobter sich von ihr getrennt, und davor hatten sie schon länger nicht mehr miteinander geschlafen. Aber Sex war ohnehin nie der Mittelpunkt ihrer Beziehung gewesen, und die vergangenen zwei Jahre war sie mit der Arbeit in der Praxis völlig ausgelastet gewesen. Sie hatte gar keine Zeit für erotische Fantasien.
Die hatten sie beide nicht gehabt. Simon arbeitete im Krankenhaus oft Doppelschichten, und so hatten sie sich nicht allzu oft gesehen. Dass er ihre Verlobung gelöst hatte, weil er mehr Zeit für sich brauchte, hatte Madeline erstaunt. Schließlich waren sie ohnehin nicht sehr oft zusammen, wie viel Zeit brauchte er denn noch? Trotzdem war sie überzeugt, dass die Trennung nur vorübergehend war. Eine zehnjährige Beziehung warf man nicht so einfach über Bord.
Der Skater-Macho lachte wieder laut und lenkte ihre Gedanken von ihrem Exverlobten ab. Wann hatte Simons Anblick das letzte Mal erotische Fantasien bei ihr ausgelöst?
Madeline schüttelte den Kopf. Der Jetlag, bestimmt lag es daran. Sex hatte in ihrem Leben bisher nie eine große Rolle gespielt, dafür war es zu sehr von tragischen Verlusten überschattet gewesen. Was also sollte das jetzt? Sie war dreißig Jahre alt und hatte in ihrer beruflichen Praxis schon mehr als genug nackte Männer gesehen, warum sollte der Anblick eines halb nackten Skaters sie so aus der Fassung bringen?
Ein lautes Hupen ertönte hinter ihr. Schnell schaute Madeline nach vorn, die Ampel war umgesprungen, sie konnte weiterfahren und den Skater hinter sich lassen. Als sie im Rückspiegel einen letzten Blick auf ihn warf, verstärkte sich das Gefühl der Unruhe, das er ausgelöst hatte. Verdammt. Sie war doch zufrieden mit ihrem Leben!
Oder etwa nicht?
Einige Stunden später parkte Madeline vor ihrer Praxis. Sie hatte ausgepackt und geduscht und fühlte sich etwas erfrischt. Die Müdigkeit steckte ihr jedoch noch immer in den Knochen, und sie wusste, dass sie das Haus verlassen musste, um ihr nicht nachzugeben und einzuschlafen.
Wenn sie jetzt ins Bett ging, würde sie nachts um drei aufwachen und nicht wieder einschlafen können. Daher hatte sie beschlossen, den Freitagnachmittag damit zu verbringen, in der Praxis nach dem Rechten zu sehen.
Die Büroräume im Erdgeschoss, die bei ihrer Abreise noch leer gestanden hatten, wurden gerade renoviert. Ein Handwerker hatte ein Schild an der Tür angebracht und trat ein paar Schritte zurück, um sein Werk zu begutachten.
Dr. Marcus Hunt. Naturheilkunde.
Einige Sekunden lang starrte Madeline das Schild an wie betäubt, dann spürte sie heiße Wut in sich aufsteigen. „Nur über meine Leiche“, murmelte sie.
Es ging doch nichts über einen kleinen Wutausbruch, um richtig wach zu werden. Die Erschöpfung war verschwunden, sie konnte wieder klar denken und hatte nur noch ein Ziel.
Wie viele Patienten hatte sie nach dem Besuch bei einem dieser Scharlatane wieder auf die Beine bringen müssen? Menschen, bei denen sich ernsthafte Symptome und Krankheiten verschlimmert hatten, weil sie sich in die Hände irgendwelcher Quacksalber begeben hatten, die ihnen falsche Hoffnungen machten. Und dann war da noch Abby.
Das würde sie auf keinen Fall zulassen! Energisch drängte Madeline sich an dem Handwerker vorbei und öffnete die Tür. Sie schob sich die Sonnenbrille ins Haar und blinzelte, weil ihre Augen sich nach dem hellen Sonnenlicht erst umstellen mussten. Es roch nach frischer Farbe, und die Räume waren mit Malerutensilien und Kartons vollgestellt.
„Tut mir leid, wir öffnen erst nächste Woche.“ Die tiefe männliche Stimme ertönte irgendwo aus den hinteren Räumen, und bei ihrem Klang spürte Madeline ein leichtes Kribbeln auf ihrer Haut.
Dann betrat der zur Stimme gehörende Mann das Zimmer und lehnte sich gegen den Türpfosten neben ihr. Für einen Augenblick glaubte Madeline, dass sie halluzinierte. Es war der Skater aus dem Park, seine blauen Augen blitzten, und die Grübchen in seinen Wangen waren jetzt deutlich zu erkennen.
Er hatte sich inzwischen angezogen, oder zumindest trug er etwas mehr Kleidung als vorhin. Das weiße Hemd war vollständig aufgeknöpft und enthüllte seinen muskulösen Oberkörper. Madeline kämpfte das fast unwiderstehliche Verlangen nieder, ihn zu berühren und ihre Finger über seine leicht behaarte Brust gleiten zu lassen. Das war doch lächerlich!
Sein markantes Gesicht war unrasiert, und die Grübchen hätten bei einem erwachsenen Mann eigentlich unpassend wirken müssen, aber irgendwie verstärkten sie nur die Faszination, die von ihm ausging.
In der rechten Hand hielt er einen Pinsel, von dem Farbe tropfte. Vage dachte Madeline, dass sie sich getäuscht hatte. Er hatte eine Arbeit, er war offenbar Maler oder Handwerker.
Unwillkürlich verglich sie ihn mit Simon. Rein äußerlich waren die beiden Männer sich nicht unähnlich, auch wenn ihr Exverlobter ein bisschen kleiner, weniger kräftig gebaut und nicht so braun gebrannt war. Aber vor allem hatte dieser Unbekannte eine absolut magische Ausstrahlung, die Simon nicht besaß und wohl auch nie besitzen würde.
Simon war ein attraktiver Mann, kein Zweifel, aber sein Lächeln war freundlich und beruhigend, während das Lächeln dieses Mannes sexy und ein wenig gefährlich war. In den ganzen zehn Jahren mit Simon hatte Madeline nie ein solches Gefühl von unruhiger Erregung verspürt.
Sie blinzelte, um diese Gedanken zu verscheuchen. Ob Maler, Skateboarder oder Macho – dieser Mann war definitiv nicht das Richtige für sie. Zumal er ein Kind hatte. Was war nur in sie gefahren?
„Kann ich Ihnen helfen?“
Sein leicht spöttisches Lächeln ließ erahnen, dass ihm Madelines intensive Musterung nicht entgangen war. Das Kribbeln auf ihrer Haut verstärkte sich, und sie versuchte sich zu erinnern, warum sie eigentlich hier war.
„Ähm, nein … ich wollte mit Dr. Hunt sprechen, aber er ist wohl nicht hier, also … lasse ich Sie am besten weiterarbeiten.“
Marcus wäre beinahe in lautes Lachen ausgebrochen. Da hatte sie es ihm aber gezeigt! Diese Frau hatte ihn eindringlich von oben bis unten gemustert und dann ihr Urteil gefällt. Was für ein Snob, dachte er. Aber ein sehr attraktiver Snob.
Sie war groß und hatte die schönste rote Haarpracht, die er je gesehen hatte. Obwohl sie versuchte, die Mähne in einem festen Knoten zu bändigen, fielen wilde Locken auf ihre Schultern. Ihre smaragdgrünen Augen blitzten, und die vollen Lippen sahen aus, als wären sie perfekt zum Küssen geeignet.
Das seriöse und offensichtlich teure Kostüm konnte ihre perfekte Figur nicht verbergen, und Marcus spürte, wie sein Körper auf den Anblick ihrer langen, schlanken Beine und ihrer weiblichen Kurven reagierte. Zu gerne würde er herausfinden, ob unter dieser sorgfältig polierten Oberfläche ein wildes Feuer loderte.
Im Augenblick allerdings sah diese Frau völlig angespannt aus. Sein Blick fiel auf den großen Diamantring an ihrer Hand. Wenn sie wirklich verlobt war, tat ihr Zukünftiger offenbar wenig, um ihre Verkrampfung zu lösen.
„Ich bin Dr. Marcus Hunt“, sagte er schließlich. Madelines Blick war von seiner entblößten Brust weiter nach unten gewandert, dorthin, wo die Linie der dunklen Haare im Bund seiner abgeschnittenen Jeans verschwand und dann noch etwas tiefer …Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und blickte verlegen auf. Das Funkeln seiner blauen Augen verwandelte die Verlegenheit jedoch in Wut.
„Sie sind Dr. Hunt?“, fragte sie in möglichst ungläubigem Tonfall, um ihre Fassung wiederzugewinnen.
„So ist es.“ Marcus wischte die rechte Hand an seiner Jeans ab und streckte sie ihr entgegen.
Madeline ignorierte sie, aber das schien ihn nur noch mehr zu amüsieren.
„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“
„Madeline Harrington. Dr. Madeline Harrington.“
„Ah … die Kollegin von nebenan.“ Er lächelte. „Dann sind wir bald Nachbarn.“ Trotz des Ringes an ihrer Hand war die Vorstellung verlockend.
„Nein, das glaube ich nicht“, entgegnete Madeline mit kühler Stimme.
„Oh, gibt es ein Problem?“ Marcus schien nicht sonderlich beunruhigt.
„Sogar zwei. Zum einen …“ Madeline hob einen Finger zur Demonstration. „Ich protestiere ganz entschieden dagegen, dass Sie einen Doktortitel verwenden. Naturheilkundler oder andere unfähige Alternativmediziner haben kein Recht dazu.“
„Aber sicher. Sofern sie einen Doktortitel besitzen“, erwiderte Marcus. „Ich bin übrigens Homöopath.“
„Sind Sie etwa ein echter Arzt?“, fragte Madeline entgeistert.
Bei dem Anblick ihrer ungläubigen Miene brach Marcus in lautes Lachen aus. „Ist das so schwer zu glauben?“ Er schüttelte belustigt den Kopf.
„Allerdings.“ Madeline musste sich eingestehen, dass er einfach nicht ihrer Vorstellung von einem Mediziner entsprach. Ihr Vater war Arzt gewesen, seine beiden Partner, die jetzt gemeinsam mit ihr die Praxis führten, waren Ärzte. Und Simon war Arzt. So hatten Mediziner auszusehen!
„Und zum anderen?“, fragte Marcus mit sanfter Stimme.
„Ähm.“ Sie versuchte, sich zusammenreißen. „Zweitens werde ich Ihnen nicht gestatten, diese … diese mittelalterliche Quacksalberei direkt neben unserer Praxis zu betreiben. Meine Partner und ich werden verhindern, dass Sie mit diesem Hokuspokus durchkommen.“
Marcus musterte Madeline Harrington interessiert, während sie sich in Rage redete. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Stimme klang aufgewühlt. Aus irgendeinem Grund fand er ihre Wut erregend.
„Und wie wollen Sie das anstellen, Maddy?“
Madeline hatte schon den Mund geöffnet, um ihm noch einmal ganz deutlich ihre Meinung zu sagen, als die unerwartete, vertraute Anrede sie innehalten ließ.
Außer Abby hatte sie nie jemand so genannt, und die Erinnerung an ihre jüngere Schwester überflutete sie mit plötzlicher Intensität.
„Ich heiße Madeline“, sagte sie in scharfem Tonfall.
„Mag sein, aber ich glaube, ich nenne Sie lieber Maddy“, verkündete Marcus.
„Dazu werden Sie kaum Gelegenheit haben, Dr. Hunt“, sagte sie mit sarkastischer Betonung. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie Montag wieder ausziehen.“
„Ich habe einen Mietvertrag, Maddy.“
Die Art, wie er mit seiner tiefen männlichen Stimme ihren Namen sagte, hatte eine eigenartige Wirkung auf sie. Es klang fast wie eine Liebkosung. „Meinen Partnern und mir gehört dieses Gebäude, Dr. Hunt. Und wenn sie erfahren, wer hier eingezogen ist, werden Sie ganz schnell wieder auf der Straße sitzen, da helfen Ihnen auch Ihre Heilkräuter nicht.“
Sie warf ihm ein triumphierendes Lächeln zu, das Marcus mit einem freundlichen Grinsen beantwortete. Er wirkte nicht im Mindesten beeindruckt von ihrer Drohung.
„Halten Sie sich nicht zurück, Maddy. Vielleicht können Sie auch noch einen Scheiterhaufen organisieren und mich auf dem Marktplatz verbrennen. Wie wär’s?“
„Führen Sie mich nicht in Versuchung.“
Sie war es, die ihn in Versuchung führte! „Wovor haben Sie eigentlich solche Angst? Wissen Sie nicht, dass Hippokrates selbst Homöopathie praktiziert hat? Die Welt ist doch groß genug für Schulmedizin und alternative Heilkunst.“
„Aber nicht dieses Haus!“ Mit diesen Worten drehte Madeline sich auf dem Absatz um und ging zur Tür.
„Bis bald, Maddy.“
Der Gedanke an ein Wiedersehen ließ sie trotz der Hitze des Nachmittags erschauern.
„Hoffentlich nicht“, erwiderte sie und schloss energisch die Tür hinter sich.
Als sie in den ersten Stock zu den Räumen ihrer eigenen Praxis hinaufging, atmete Madeline tief durch. Das Gespräch mit diesem Marcus Hunt hatte sie verstört und ein seltsames Gefühl von Sehnsucht bei ihr hinterlassen.
Sie ging durch den Korridor zu ihrer Praxis und verspürte beim Anblick der vertrauten Umgebung ein Gefühl der Erleichterung. Ihr Vater hatte das mehrstöckige Haus gekauft, bevor sie zur Welt gekommen war, und die Praxis gemeinsam mit seinen zwei Partnern gegründet. Die Räume im zweiten Stock waren an eine Anwaltskanzlei vermietet, und wenn es nach ihr ging, würde im Erdgeschoss demnächst wieder ein „Zu vermieten“-Schild hängen.
Schnell verdrängte sie den Gedanken an Marcus Hunt und musterte das Türschild, auf dem in Goldbuchstaben ihr eigener Name stand. Heute allerdings löste dieser Anblick nicht die gleiche Befriedigung aus wie sonst.
Sie hatte niemals einen anderen Beruf ergreifen wollen, auch nicht, als all ihre Kommilitonen im Medizinstudium sich auf andere lukrativere Bereiche spezialisierten. Madeline jedoch hatte bei ihrem Vater gelernt, wie wichtig und sinnvoll die Arbeit eines guten Allgemeinarztes sein konnte, und sein Tod hatte sie in ihrem Entschluss nur noch bestärkt.
Sie schloss die Tür auf und wurde sofort von ihrer Sprechstundenhilfe begrüßt. „Madeline! Oh, du bist wieder da.“ Aufgeregt sprang Veronica hinter ihrer Empfangstheke auf und kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. „Wie geht es dir? Wie war es in England?“
Veronica war eine der Änderungen, die Madeline durchgesetzt hatte, nachdem sie in die Praxis eingetreten war. Sie war jung, freundlich und kompetent, und die Patienten liebten sie. Madeline war überzeugt, dass die Verjüngung des Sprechstundenpersonals dazu beigetragen hatte, die Zahl der Patienten wieder in die Höhe zu treiben.
„Gut, sehr gut“, antwortete sie leicht abwesend. Die Begegnung mit Marcus Hunt hing ihr immer noch nach. „Ist sonst niemand mehr da?“ Sie schaute ins leere Wartezimmer.
„George hat noch Dienst, er macht Hausbesuche“, sagte Veronica.
George Blakeley war bereits der Partner von Madelines Vater gewesen. Gemeinsam mit seiner Frau Louise hatte er sich um sie und Abby gekümmert, als ihre Eltern kurz nacheinander gestorben waren, während die Mädchen noch auf der Highschool waren.
Auch Andrew Baxter hatte schon mit ihrem Vater zusammengearbeitet, während Thomas Wisehart, der vierte Partner, ein Studienkollege von Madeline war. Der junge Familienvater war die perfekte Ergänzung für ihr Team gewesen, nicht zuletzt weil Andrew und George in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen würden.
„Es war heute wohl ein ruhiger Tag?“
„Eigentlich nicht, aber wen kümmert das schon“, rief Veronica unbekümmert. „Ich will alles wissen, was passiert ist!“
„Was soll schon passiert sein? Ich war auf einer internationalen Medizinerkonferenz, nicht auf einer Vergnügungsreise.“
Veronica verdrehte die Augen. „Ich dachte, wir hatten uns darauf geeinigt, dass eine Reise nach London die perfekte Gelegenheit für Sex nach der Trennung ist?“
Madeline musste lachen. „Du warst dieser Meinung, nicht ich. So etwas passt einfach nicht zu mir.“
„Oh ja, eben!“ Veronica nickte eifrig. „Deswegen war es ja so perfekt. Simon verlässt dich direkt vor einer sechswöchigen Reise nach England. Genau das Richtige für Trennungssex.“
Manchmal beneidete Madeline ihre jüngere Angestellte für ihre Einstellung. Veronica verstand es, den Augenblick zu genießen und das Leben auszukosten. Sie selbst dagegen war eher vorsichtig. Unverbindlicher Sex, One-Night-Stands … das war so gar nicht ihre Art. Nicht umsonst war sie zehn Jahre lang mit demselben Mann zusammen gewesen. Und bestimmt war ihre Trennung von Simon nur vorübergehend.
„Es war einfach niemand da, der mich interessiert hätte“, sagte sie schließlich. Nicht so, wie Marcus Hunt sie interessierte …„Ach, Madeline“, seufzte Veronica. „Ich wette, das hier hat die interessanten Männer vertrieben.“ Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf Madelines Diamantring.
Madeline sah hinunter auf ihre Hand. Sie trug den Zwei-Karat-Diamanten nun seit vier Jahren und hatte ihn auch nach der Trennung nicht abgenommen. Veronica hatte recht, der Ring vertrieb die Männer, und das war vielleicht gut so. Wenn sie Simon mitzählte, hatte Madeline vier geliebte Menschen verloren, und sie war nicht sicher, ob sie sich noch einmal für die Liebe öffnen konnte. Ihr Herz schien zu einem großen Eisblock erstarrt zu sein.
Hastig warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon fünf. „Warum machst du nicht Schluss für heute? Ich werde mich auf den neuesten Stand bringen und schließe dann später ab“, sagte sie zu Veronica.
Ihre Mitarbeiterin nickte. „Schon gut, ich habe verstanden. Ich soll mich um meinen eigenen Kram kümmern.“ Veronica grinste gutmütig, räumte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich herzlich von Madeline.
Als sie allein war, schlenderte Madeline langsam durch die geschmackvoll eingerichteten Räume, um sich wieder einzugewöhnen. Dann blätterte sie den Praxiskalender durch und pfiff leise durch die Zähne. Sie würde erst Montag wieder anfangen zu arbeiten, aber dann stand ihr ein hektischer Tag bevor.
Schon bald machte sich die nervöse Unruhe wieder bemerkbar, die sie schon den ganzen Tag geplagt hatte. Madeline unterdrückte ein Gähnen. Sie war müde, aber es war noch zu früh, um dem Jetlag nachzugeben. Sie ließ sich in ihrem Sprechzimmer in den Schreibtischstuhl sinken und blätterte in einigen Unterlagen.
Dann lehnte sie sich in ihrem bequemen, ergonomisch geformten Stuhl zurück und schloss kurz die Augen. Sofort wanderten ihre Gedanken zurück zu Marcus Hunt. Sie hörte sein lautes Lachen, sah die Grübchen in seinen Wangen und die Farbspritzer in seinem dunklen Haar. Diese Fantasien hatten eine unglaublich erregende Wirkung auf sie, fast so, als würde er wieder vor ihr stehen.
Marcus Hunt war gefährlich für sie.
Sie schlug die Augen auf und schaute auf Simons Foto, das noch immer auf ihrem Schreibtisch stand. Trotz Veronicas missbilligender Blicke hatte sie es noch nicht übers Herz gebracht, es wegzuräumen. Sie hatte leicht reden! Anders als andere Frauen hatte Madeline ihre Jugend nicht damit verbracht, sich zu amüsieren und das Leben – und die Männer – zu genießen. Stattdessen hatte sie eine persönliche Tragödie nach der nächsten verkraften, ihr Studium beenden und sich auch noch um Abby kümmern müssen. Und Simon hatte ihr in dieser Zeit beigestanden.
Sie fuhr mit dem Finger leicht über das Glas des Bilderrahmens. Sicher, Simon war kein aufregender Skater, aber er hatte ein nettes Lächeln, und sie hing noch immer an ihm. Sie kannten sich schon ewig, und so etwas warf man nicht einfach weg. Madeline war überzeugt, dass Simon zu ihr zurückkehren würde, und bis dahin würde sie sich nicht von einem dahergelaufenen Marcus Hunt aus der Fassung bringen lassen.
Plötzlich klingelte es an der Tür zur Praxis. Dankbar über die Unterbrechung, öffnete sie und sah den jungen Brad Sanders, der bleich vor Schreck war und seine Mutter stützte.
„Mrs. Sanders, was ist mit Ihnen?“ Madeline musterte die Frau, die eine graue Gesichtsfarbe hatte und außer Atem war.
„Es sind diese Magenbeschwerden“, sagte Brad. „Ich wollte sie ins Krankenhaus bringen, aber sie wollte lieber zu Ihnen. Es geht ihr immer schlechter …“ Der Teenager sah sie ängstlich an, seine Stimme begann zu zittern.
„Okay, ganz ruhig“, sagte Madeline mit sanfter Stimme und führte Mrs. Sanders zu einem Stuhl. Dann öffnete sie den Notfallkoffer, setzte der Patientin eine Sauerstoffmaske auf und begann sie zu beatmen. Mrs. Sanders litt offensichtlich unter Schmerzen, sie hatte keine Magenbeschwerden, sondern vermutlich einen Herzinfarkt.
„Brad, bitte geh zum Schreibtisch und ruf einen Rettungswagen.“ Sie nannte ihm sicherheitshalber die Notfallnummer, in einer Paniksituation vergaß man manchmal die einfachsten Dinge, und der junge Brad Sanders war in Panik.
„Sag ihnen, dass deine Mum wahrscheinlich einen Herzinfarkt hat. Hast du das verstanden, Brad?“ Sie sah ihn eindringlich an und sprach beruhigend auf den Jungen ein. „Du hast alles sehr gut gemacht. Ich werde mich um deine Mutter kümmern, aber du musst jetzt bitte diesen Anruf machen.“
Brad nickte, ging zur Empfangstheke und telefonierte. Madeline griff gerade nach dem Blutdruckmessgerät, als Mrs. Sanders laut stöhnte, sich an die Brust griff und das Bewusstsein verlor. Jetzt gab es wirklich Grund zur Panik.
Mit Brads Hilfe legte sie die korpulente Frau ausgestreckt auf den Boden, um ihre Atemwege freizumachen.
„Lauf ins Erdgeschoss, dort ist ein anderer Arzt. Er heißt Dr. Hunt, bring ihn her. Mach schon, Brad.“ Sie brauchte Marcus’ Hilfe, eine Herz-Lungen-Wiederbelebung würde zu zweit wesentlich einfacher sein.
Madeline griff nach dem halb automatischen Defibrillator, den die Praxis erst kürzlich gekauft hatte, riss Mrs. Sanders Bluse ohne Rücksicht auf die Knöpfe auf und platzierte die Pads auf ihrer Brust.
Das Gerät analysierte den Herzrhythmus der Patientin, Madeline warf einen Blick auf die Anzeige. Sie würde eine Herzdruckmassage und Beatmung durchführen müssen, bevor sie den Defibrillator einsetzen konnte.
Sie griff nach dem Beatmungsbeutel und schloss ihn an den Sauerstoffbehälter an. Dann begann sie mit der Herzmassage.
„Was ist los?“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihr.
„Vierzehn, fünfzehn“, zählte Madeline laut, während sie Druck auf das Brustbein ausübte. Sie wies mit dem Kopf auf den Beatmungsbeutel, und Marcus übernahm ohne weitere Fragen.
„Myokardinfarkt, vermute ich. Der Rettungswagen ist unterwegs“, sagte sie kurz darauf.
Sie arbeiteten perfekt zusammen und stimmten Druckmassage und Beatmung aufeinander ab, bis der Herzrhythmus einen Einsatz des Defibrillators erlaubte. Madeline atmete erleichtert durch. Jetzt hatten sie eine Chance, Mrs. Sanders zu retten.
„Brad“, sagte sie, während Marcus den Defibrillator vorbereitete, „warum gehst du nicht hinaus und wartest auf den Rettungswagen? Er ist sicher gleich da.“ Der arme Junge musste wirklich nicht mit ansehen, wie der Körper seiner Mutter unter den Elektroschocks zusammenzuckte.
Der Junge zögerte und sah unsicher zur Tür.
„Wir haben hier alles im Griff“, sagte Marcus mit ruhiger Stimme. „Du kannst uns helfen, indem du den Sanitätern den Weg zeigst.“
Brad nickte nur und verließ den Raum.
„Okay, zurückbleiben“, sagte Madeline und löste den Elektroschock des Defibrillators aus.
Sie beobachtete den Monitor, aber bisher zeigte sich keine Veränderung. „Wir sollten einen Zugang legen, wenn die Sanitäter da sind“, sagte sie.
„Und intubieren.“ Marcus nickte ihr zu, und sie begannen erneut mit der Wiederbelebung.
Madeline war froh über professionelle Hilfe, aber der Anblick seines offenen Hemdes irritierte sie mehr, als sie sich selbst eingestehen wollte. Wie konnte sie in dieser Situation nur an Marcus’ Körper denken? „Wie? Kein Zauberstab, den Sie schwingen können, oder eine Kräutertinktur, um das Herz wieder in Gang zu bringen?“, platzte sie heraus und hätte sich im nächsten Augenblick selbst ohrfeigen können. Diese Bemerkung war absolut peinlich und unnötig.
„Dafür ist es leider zu spät, Maddy“, entgegnete Marcus mit angespannter Stimme. Er war weniger über ihre Worte verärgert als vielmehr darüber, dass ihr Anblick ihn so ablenkte. Ihr Rock war hochgerutscht und enthüllte einen schlanken Oberschenkel, und die dünne Bluse spannte sich verführerisch über ihren festen Brüsten, während Madeline die Herzkompressionen fortsetzte. Dies war wirklich nicht der richtige Moment für erotische Fantasien!
Endlich ertönten die Sirenen des Rettungswagens, und gleich darauf betraten zwei Sanitäter die Praxisräume. Gemeinsam hatten sie bald einen Zugang gelegt und erste Medikamente verabreicht.
Madeline beobachtete, wie Marcus die Patientin mit geübten Händen intubierte, um für eine effektivere Beatmung zu sorgen, bevor sie ein weiteres Mal den Defibrillator einsetzten.
„Alle zurück“, kommandierte Madeline und löste den Elektroschock aus. Dieses Mal war die Prozedur erfolgreich.
„Sehr gut“, sagte einer der Sanitäter. „Dann bringen wir sie jetzt in die Klinik.“
In wenigen Minuten hatten sie Mrs. Sanders für den Transport vorbereitet. Madeline legte beruhigend einen Arm um Brad, der das Geschehen besorgt beobachtete. Sie wusste, dass seine Mutter noch längst nicht außer Gefahr war.
„Na komm, Junge“, sagte Marcus. „Du setzt dich am besten nach vorne.“ Brad nickte abwesend und folgte den Sanitätern mit der Trage.
Als Madeline hinten in den Rettungswagen einsteigen wollte, um für den Notfall helfen zu können, sagte Marcus halblaut zu ihr: „Ich fahre mit meinem Wagen hinterher.“
Sie zuckte leicht zusammen und drehte sich zu ihm um. „Das ist nicht nötig.“ Sie wollte nicht undankbar klingen, schließlich war er eine große Hilfe gewesen. Aber jetzt, da die akute Notfallsituation vorüber war, fühlte sie sich völlig erschöpft, und Marcus’ Nähe verstörte sie nur zusätzlich.
Sanft legte er die Hände auf ihre Schultern, die unter seiner Berührung erzitterten. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er besorgt.
Madeline schaute ihn an und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Am liebsten wäre sie sofort in Tränen ausgebrochen. Wieso war er so nett zu ihr? Und wieso fühlte sie sich so zu ihm hingezogen?
„Natürlich“, sagte sie und drehte sich leicht zur Seite, sodass seine Hände von ihren Schultern glitten.
Marcus schaute sie weiter an, hob eine Hand und schob eine lockige Haarsträhne, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, hinter ihr Ohr. Madeline trat einen Schritt zurück, um den Drang zu bekämpfen, sich an ihn zu schmiegen.
„Dr. Harrington“, rief einer der Sanitäter.
„Ich komme“, sagte sie und stieg mit zittrigen Beinen in den Rettungswagen.
Madeline saß gemeinsam mit Brad im Warteraum für Angehörige, als Marcus im Krankenhaus ankam. Bei ihrer Ankunft hatte das Personal der Notfallambulanz sich sofort um die Patientin gekümmert, und Madeline hatte es übernommen, Mr. Sanders zu informieren. Das Gespräch mit den Angehörigen war in diesen Situationen manchmal schwieriger als die medizinische Behandlung.
Völlig erschöpft starrte sie ins Leere, als Marcus ihr einen dampfenden Becher Kaffee vors Gesicht hielt. Blinzelnd schaute sie zu ihm hoch und spürte, wie ihr Puls trotz ihrer Müdigkeit wieder zu rasen begann.
„Ich sagte doch, dass Sie nicht herzukommen brauchen“, sagte sie ungnädig und ignorierte den angebotenen Kaffee. Hatte Marcus nicht einen Sohn, um den er sich kümmern musste?
„Trinken Sie, Maddy“, sagte er mit einer sanften Stimme, die dennoch keinen Widerspruch duldete. Der Duft des Kaffees stieg ihr in die Nase, und ihr wurde klar, dass sie seit dem Frühstück im Flugzeug nichts mehr zu sich genommen hatte. Sie griff nach dem Becher.
Marcus reichte Brad eine Cola und ließ sich dann neben Madeline nieder. Sie saßen schweigend da, während sie die Spannung, die zwischen ihnen bestand, zu ignorieren versuchte.
Von Zeit zu Zeit berührten sich ihre Arme, und Madelines Müdigkeit war wie weggeblasen.
Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich selbst. Er ist in festen Händen. Und du eigentlich auch. Außerdem willst du ihn am Montag vor die Tür setzen, also ist es wohl kaum eine gute Idee, jetzt irgendwelche Gefühle für diesen Mann zu entwickeln.
Stattdessen stellte sie sich lieber vor, wie sie ihm mitteilte, dass er die Praxis wieder räumen musste. Allerdings überkamen sie dabei sofort Gewissensbisse. Sie waren vielleicht unterschiedlicher Auffassung über alternative Medizin, aber Marcus Hunt war offensichtlich wirklich ein ausgebildeter Arzt und hatte ihr heute beigestanden.
„Lassen Sie mich raten – Sie denken über meinen Rauswurf nach, richtig?“
Seine raue Stimme dicht an ihrem Ohr ließ Madeline zusammenfahren. Entsetzt darüber, dass er offenbar auch noch ihre Gedanken lesen konnte, schaute sie ihn an. „War das so offensichtlich?“, fragte sie.
„Sie sollten niemals Poker spielen, Maddy“, erwiderte er nur lächelnd.
Madeline musste feststellen, dass sie den Anblick seiner blauen Augen und seiner vollen Lippen unwiderstehlich fand. So unwiderstehlich, dass sie den Blick einfach nicht abwenden konnte.
Aus den Augenwinkeln registrierte sie, dass sich ihr jemand näherte.
„Äh, Dr. Harrington?“
Die junge Krankenschwester schaute zwischen ihr und Marcus hin und her. Madeline räusperte sich etwas verlegen. „J…ja, was ist denn?“
„Mrs. Sanders ist jetzt auf die Intensivstation verlegt worden.“
„Oh, gut.“ Madeline stand abrupt auf. „Dann sehe ich am besten mal nach ihr.“
Die Krankenschwester hatte sich jetzt ganz Marcus zugewandt und lächelte ihn an. Er zwinkerte ihr zu, und Madeline verdrehte die Augen. Wie gut, dass sie ihre Libido im Griff hatte und nicht Opfer ihrer Hormone war!
Sie überließ ihn seiner Verehrerin und brachte Brad zur Intensivstation. Wenig später erschien auch Brads Vater, und Madeline verabschiedete sich von der Familie, nachdem sie sich überzeugt hatte, dass es Mrs. Sanders den Umständen entsprechend gut ging.
Zu ihrer Überraschung wartete Marcus beim Schwesternzimmer auf sie. Weniger überraschend war, dass er gerade mit zwei der Krankenschwestern lachte und flirtete.
„Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause“, sagte er und ging auf Madeline zu, als er sie sah.
„Danke, ich nehme lieber ein Taxi.“ Ohne stehen zu bleiben, ging Madeline an ihm vorbei.
„Seien Sie nicht albern, Maddy.“ Verärgert bemerkte sie, dass er mit ihr sprach, als wäre sie ein störrisches Kind. „Sie sind doch völlig erledigt, und Freitagabend ist keine gute Zeit, um ein Taxi zu finden.“
Sie seufzte auf und blieb stehen. Er hatte ja recht, und sie war wirklich todmüde. Was war schon dabei? Sie nickte ihm kurz zu und stand wenige Minuten später vor einem feuerroten Sportwagen mit heruntergeklapptem Verdeck.
„Das ist Ihr Auto?“, sagte sie mit ungläubiger Miene.
„Oh, ja.“ Marcus lächelte voller Stolz.
„Offenbar fallen noch mehr Leute auf Ihren Hokuspokus herein, als ich dachte.“
„Was für ein Auto haben Sie denn erwartet?“
Madeline musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er trug noch immer die abgeschnittenen Jeans, das Hemd war inzwischen allerdings zugeknöpft. Sie dachte daran, wie sie ihn im Park beobachtet hatte. „Ich weiß nicht, irgendeine alte, zerbeulte Kiste, keinen teuren Sportwagen.“
Marcus lachte laut auf. „Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund, Maddy“, sagte er. „Steigen Sie ein.“
Ohne ein weiteres Wort sank sie in die weichen Ledersitze, viel länger hätten ihre Beine sie auch nicht mehr getragen.
„Nicht das passende Auto für einen Kindersitz, Dr. Hunt.“
Er lächelte. „Ich heiße Marcus.“
„Mag sein, aber ich nenne Sie lieber Dr. Hunt“, wiederholte Madeline seine eigenen Worte.
Marcus lachte wieder. „Gut gekontert.“
Nachdem Madeline ihm den Weg zu ihrem Haus beschrieben hatte, legten sie den Rest des Weges schweigend zurück. Das gleichmäßige Brummen des Motors und die warme Nachtluft auf ihren Wangen machten Madeline noch schläfriger, und sie schloss die Augen.
Von der Seite musterte Marcus sie eingehend und registrierte verwundert das zärtliche Gefühl, das sich in seinem Herzen ausbreitete. Sie war unglaublich schön, und ihre Art faszinierte ihn. Aber da war auch der große Diamantring an ihrem Finger … Marcus seufzte auf. Es war ein Jammer, aber er hatte seine Prinzipien. Von vergebenen Frauen ließ er grundsätzlich die Finger.
Vor ihrem Apartmenthaus hielt er den Wagen an und stellte den Motor ab. Er wollte sie nicht wecken, aber zugleich verspürte er das unbändige Verlangen, sie zu berühren.
„Maddy“, sagte er leise und strich ihr mit einem Finger über die Wange. Sie rekelte sich im Sitz und murmelte etwas Unverständliches. „Maddy“, wiederholte Marcus etwas lauter. Sie öffnete die Augen und setzte sich abrupt auf. Marcus zog die Hand fort.
„Oh, tut mir leid“, sagte sie. „Ich wollte nicht einschlafen.“ Er war dicht neben ihr, und seine Nähe hatte eine Wirkung auf sie, die Simon nie gehabt hatte. Marcus verströmte eine sexuelle Anziehungskraft, die sie zutiefst beunruhigte.
Himmel! Sie war völlig durcheinander. Es musste an ihrer Müdigkeit liegen, dass ihr die Situation so entglitt. Der Mann fuhr Skateboard! Und, was noch wichtiger war, er hatte ein Kind. Okay, das bedeutete nicht, dass er verheiratet war, aber er hatte Verpflichtungen.
Sie räusperte sich. „Danke noch mal für vorhin. Es war sehr nett, dass Sie gekommen sind, obwohl …“
„Obwohl Sie so unhöflich zu mir waren?“ Marcus grinste und wurde dann ernst. „Ein Notfall ist wichtiger als solche kleinen Streitigkeiten.“
„Ich möchte mich trotzdem bei Ihnen entschuldigen.“
„Entschuldigung angenommen.“ Er beugte sich noch etwas näher zu ihr. „Heißt das, dass Sie mich nicht mehr am Montag vor die Tür setzen wollen?“
„Angesichts der Tatsache, dass Sie wirklich Arzt sind, mir und Mrs. Sanders geholfen und mich nach Hause gefahren haben, bin ich bereit, mich mit Ihrer Anwesenheit abzufinden, Dr. Hunt. Aber das heißt noch nicht, dass ich von Ihren Methoden überzeugt bin, egal wie gut Sie intubieren können.“
„Ah, eine Herausforderung. Gut, ich liebe Herausforderungen.“
Seine Worte klangen in Madelines Ohren wie ein Versprechen, ein Versprechen mit deutlichen erotischen Untertönen. Aber das war verrückt – in jeder Hinsicht. Zeit, dass sie die Sache unter Kontrolle brachte.
„Ich muss jetzt gehen, und Sie möchten sicherlich zu Ihrer Frau und Ihren Kindern“, verkündete sie energisch.
„Das könnte schwierig werden, da ich weder das eine noch das andere habe.“
Plötzlich schlug ihr Herz schneller. „Oh. Ich habe Sie vorhin mit einem kleinen Jungen gesehen, im Park, und da dachte ich …“
So, so. Sie hatte ihn also schon früher gesehen? Interessant … „Nein, das war mein Neffe. Meine Schwester lebt hier in Brisbane, und Connor ist ein absoluter Skateboard-Fan, deswegen sind wir öfter zusammen dort. Ich habe keine Kinder, keine Frau und auch keine Verlobte.“
Bei den letzten Worten lächelte er sie an. Madeline war verlegen. „Sie wirkten so vertraut miteinander, deswegen habe ich wohl angenommen …“ Wieder sprach sie nicht zu Ende.
„Ja, wir stehen uns sehr nahe. Wegen den beiden bin ich auch nach Brisbane gezogen. Connor ist sechs Jahre alt, und sein Vater ist abgehauen, als er noch ein Baby war. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, ohne Vater aufzuwachsen.“
„Was ist mit Ihrem Dad passiert?“ Sie stellte die Frage, bevor sie darüber nachdenken konnte.
„Meine Eltern haben sich getrennt, als ich fünf war. Er hat wieder geheiratet und uns mehr oder minder vergessen.“
„Und jetzt sind Sie eine Art Vaterersatz für Ihren Neffen?“
Er grinste. „Nein, nicht wirklich. Ich bin lieber einfach nur sein Onkel, mit dem er Spaß haben kann und der für ihn da ist. Connor ist ein toller Junge, aber ganz schön anstrengend auf Dauer. Im Augenblick könnte ich mir nicht vorstellen, mich auf eine so große Verpflichtung wie eine Familie einzulassen.“
„Oh, ein Mann, der Angst vor Verpflichtungen hat, wie ungewöhnlich“, sagte Madeline leicht sarkastisch.
„Sagen wir einfach, ich bin ein gebranntes Kind“, gab Marcus ruhig zurück.
Sie betrachtete ihn interessiert. Also gab es da einen wunden Punkt in seiner Vergangenheit. Dann jedoch brach die Müdigkeit wieder über sie herein, und sie gähnte. „Ich gehe jetzt hinein. Danke für die Begleitung.“
Marcus suchte ihren Blick. Am liebsten würde er sie bis ins Bett begleiten, aber das stand wohl nicht zur Debatte. „Jederzeit“, sagte er daher nur.
Abrupt drehte Madeline sich zur Seite und stieg aus dem Sportwagen. Waren seine Gedanken so offensichtlich gewesen? „Gute Nacht, Dr. Hunt“, sagte sie und warf die Autotür mit einem Knall hinter sich zu. Als sie langsam zur Tür ihres Hauses ging, klang sein Lachen noch in ihren Ohren.
Am nächsten Tag kam Madeline kurz vor Mittag am Krankenhaus an. Vor dem Eingang saßen die unbelehrbaren Raucher und genossen den Sonnenschein. Sie betrat das Gebäude und atmete den typischen Geruch ein – manchmal vermisste sie die Klinikarbeit.
Auf der Intensivstation erfuhr sie, dass es ihrer Patientin so gut ging, dass sie auf die normale Station verlegt worden war. Der behandelnde Arzt sagte ihr, dass Mrs. Sanders zwar einen schweren Myokardinfarkt erlitten, das schnelle Eingreifen jedoch langfristige Schäden verhindert habe.
Erleichtert machte Madeline sich auf den Weg zur Station. Mrs. Sanders hatte fünf Kinder, die ihre Mutter brauchten. Sie würde sich jetzt hoffentlich an die Diätpläne halten und auf mehr Bewegung achten, ein Herzinfarktrisiko hatte Madeline nämlich bereits vor längerer Zeit diagnostiziert.
Im Zimmer dankte Mrs. Sanders ihr überschwänglich, dass sie ihr das Leben gerettet habe.
„Unsinn“, wehrte Madeline ab. „Ich habe nur getan, was jeder Arzt getan hätte. Dafür sind wir schließlich da. Außerdem hatte ich ja auch Hilfe.“
„Oh ja, Brad sagte, dass dieser nette Doktor auch geholfen hat.“
Madeline verzog das Gesicht. Der nette Doktor. Das waren nicht unbedingt die Worte, mit denen sie Marcus Hunt beschreiben würde. Sexy, arrogant, aber nett?
„Ich glaube, Sie sprechen gerade von mir.“ Wieder ließ der tiefe Klang seiner Stimme sie zusammenzucken.
„Maddy“, nickte er ihr lächelnd zu und ging an ihr vorbei um das Bett herum. Er stellte sich Mrs. Sanders vor und hatte sie in wenigen Minuten mit seinem Charme völlig eingewickelt. Madeline beobachtete ihn schweigend, sie konnte nur mühsam den Blick von seinem muskulösen Oberkörper in dem eng anliegenden T-Shirt abwenden.
Als er laut auflachte, wanderte ihr Blick weiter zu seinem Mund. In genau diesem Moment sah Marcus zu ihr hinüber, und sofort stieg ihr verlegene Röte ins Gesicht.
Das geht so nicht, sagte Madeline zu sich selbst. Ich kann in seiner Gegenwart keinen klaren Gedanken fassen.
„So, ich muss jetzt wieder los“, unterbrach sie hastig das Gespräch und griff nach ihrer Handtasche.
„Ja, ich sollte auch gehen.“ Marcus erhob sich ebenfalls.
Mrs. Sanders protestierte, aber Madeline konnte sehen, dass sie erschöpft war. Daher ließ sie Marcus gewähren, obwohl der Gedanke sie beunruhigte, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, und sei es auch nur auf dem Weg zum Fahrstuhl.
„Wenn ich einmal etwas für Sie tun kann, Mrs. Sanders, dann melden Sie sich einfach.“ Mit diesen Worten legte Marcus eine Visitenkarte auf den Nachttisch und schüttelte der Patientin herzlich die Hand.
Beinahe wäre Madeline der Mund offen stehen geblieben, und schäumend vor Wut verließ sie das Zimmer. Was für eine Frechheit! Kaum hatte sie sich bereit erklärt, seine Anwesenheit in ihrem Gebäude zu tolerieren, versuchte er auch schon, ihre Patienten abzuwerben!
Sobald sie das Klinikgebäude verlassen hatten, drehte sie sich zu Marcus um und stellte ihn zur Rede. „Was zum Teufel war das denn?“
„Aber, Maddy … Sie werden mir doch nicht in aller Öffentlichkeit eine Szene machen“, sagte er spöttisch. Der Anblick seines entspannten Lächelns machte sie nur noch wütender, denn sie selbst fühlte sich noch immer müde und zerschlagen.
„Wie können Sie es nur wagen, meine Patientin abzuwerben. Das ist absolut unethisch. Wenn so Ihre Auffassung von professioneller Arbeit aussieht, dann …“ Sie schnappte empört nach Luft, drehte sich um und ging davon.
Marcus folgte ihr und bewunderte dabei kurz den Anblick von Madelines Po in ihren engen Cargohosen. „Die Schulmedizin hat Mrs. Sanders aber bisher nicht allzu viel geholfen“, sagte er, als er sie eingeholt hatte.
Mit funkelnden Augen sah sie ihn an und blieb stehen. „Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, mir Predigten über Ihre Auffassung von Medizin zu halten, Doktor. Sie haben keine Ahnung, worum es hier geht. Ärzte sind auch auf die Mithilfe ihrer Patienten angewiesen, und Mrs. Sanders war alles andere als kooperativ.“
Als wäre das alles nicht schon genug, musste Madeline feststellen, dass irgendein Idiot ihr Auto zugeparkt hatte, und ein zweiter Blick überzeugte sie davon, dass es sich bei diesem Idioten um niemanden anderen handelte als Marcus Hunt. Dieser Mann hatte sie jetzt schon Jahre ihres Lebens gekostet, dabei kannte sie ihn erst seit gestern!
Um sich wenigstens ein bisschen abzureagieren, trat sie gegen einen der Reifen seines Sportwagens.
„Kann es sein, dass Sie heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden sind, Maddy?“, rief Marcus ihr zu.
„Fahren Sie einfach Ihr Auto weg, ich habe keine Lust, noch länger mit Ihnen zu reden.“
„Es tut mir leid, ich dachte, wir hätten gestern einen Waffenstillstand geschlossen“, sagte er jetzt in ernsterem Tonfall. „Ich bin eigentlich ein netter Kerl, Sie müssten mich nur besser kennen.“
Ganz sicher nicht! Madeline fand ihn schon jetzt beunruhigend genug. Aus irgendeinem Grund löste er in ihr den Wunsch aus, ihre gewohnte Zurückhaltung zu vergessen und einfach in seinem lächerlichen roten Sportwagen mit ihm in den Sonnenuntergang zu brausen.
„Ihr Auto“, wiederholte sie mit kühler Stimme.
Marcus seufzte auf. Es war wirklich nicht leicht, an diese Frau heranzukommen. Aber das machte sie nur noch interessanter und faszinierender. Und die Tatsache, dass sie schon vergeben war, umso bedauerlicher.
„Wieso gehen wir nicht einen Kaffee trinken und versuchen, noch einmal von vorn anzufangen?“, fragte er.
„Sie sind ja immer noch da“, gab sie nur zurück.
Marcus hob resigniert die Hände. „Gut, dann sehen wir uns eben später.“
„Besser nicht.“ Madeline sah zu, wie er den Wagen startete und ihr noch einmal kurz zuwinkte.
„Es könnte früher sein, als Sie denken, Maddy“, hörte sie noch, bevor er davonfuhr.
Ihre Nackenmuskulatur war völlig verkrampft, und Madeline kannte die Ursache dafür auch ohne eine Chiropraktikerausbildung: Stress. Oder genauer gesagt: Marcus Hunt. Wegen ihm war sie verkrampft und unentspannt. Selbst jetzt auf dem Weg zu einem Mittagessen auf dem Land bei George und Louise.
Louise führte sie auf die Veranda, wo bequeme Liegestühle standen, und reichte ihr ein Glas mit gekühltem Chardonnay. Gleich darauf kam George dazu, und Madeline berichtete von der Tagung in London und ihrer Rückkehr.
„Marcus hast du ja schon getroffen“, sagte George.
Sie verdrehte die Augen. „Allerdings. Habt ihr gewusst, dass er Naturheilkunde praktiziert, als ihr den Mietvertrag abgeschlossen habt?“
„Natürlich.“
„Aber was hast du dir dabei gedacht, George?“
„Dass du vermutlich ein Problem damit haben wirst“, gab er gelassen zurück.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn rausschmeißen werde.“
„Oh, nein.“ Louise hielt sich die Hand vor den Mund. „Dann hätte ich ihn vielleicht nicht zum Lunch einladen sollen.“
„Was?“ Fassungslos starrte Madeline ihre ältere Freundin an.
„Er müsste jede Minute hier sein.“
Madeline sackte in ihrem Stuhl zusammen. Sollte sie sich jetzt sofort verabschieden, um ihm aus dem Weg zu gehen? Aber George und Louise waren fast so etwas wie ihre Ersatzeltern, und sie würde sich nicht vertreiben lassen.
„Wie konntest du nur?“, fragte sie George. „Was ist mit all den Patienten, die Opfer irgendwelcher Scharlatane geworden sind. Was ist mit Abby?“
George betrachtete Madeline über seine Brillengläser hinweg. Sie war ihrem Vater so ähnlich. Paul Harrington war sein bester Freund gewesen, und seine Tochter hatte in den vergangenen Jahren sehr viel mitgemacht. Aber diese Tragödien hatten sie härter werden lassen, als Paul je gewesen war. Seit der Highschool hatte sie sich emotional abgeschottet, und die Trennung von Simon war der letzte Schlag gewesen.
Er seufzte auf. „Du weißt, wie sehr wir Abby geliebt haben, aber sie war erwachsen und hat ihre eigenen Entscheidungen getroffen, Madeline, auch was ihre Gesundheit anging. Was ihr zugestoßen ist, war schrecklich, aber das bedeutet nicht, dass die gesamte Naturheilkunde die Schuld daran trägt.“
Obwohl Madeline wusste, dass George recht hatte, fiel es ihr schwer, dies einzugestehen. „Das ist mir schon klar, aber ich verstehe nicht, warum du diese … diese Dinge auch noch unterstützen musst.“
„Madeline“, sagte George und beugte sich ein Stück näher. „Marcus war in Melbourne einer der angesehensten Alternativmediziner, er hat mit Topathleten zusammengearbeitet, die viele Medikamente nicht einnehmen können, weil sie auf der Dopingliste stehen. Wir haben seine Referenzen sorgfältig überprüft. Er ist ausgebildeter Mediziner und kein Quacksalber, sondern einfach ein guter Arzt, der sich auf Homöopathie spezialisiert hat.“
Während George über Marcus’ Qualifikation sprach, sah Madeline in Gedanken nur seine Grübchen und sein Lächeln vor sich.
„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, fuhr George fort. „Du hast den Anstoß dafür gegeben, dass sich die Dinge bei uns verändern. Aber du bist nicht die Einzige, die ein Interesse daran hat, die Praxis weiterzuentwickeln. Wir waren der Meinung, dass ein ganzheitlicher Ansatz interessante Perspektiven bietet.“
„Du willst also wirklich Patienten an ihn überweisen?“, fragte Madeline.
„Wenn es sinnvoll ist und die Patienten es wollen, warum nicht?“ Er zuckte die Achseln.
Madeline schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nun gut, aber ich glaube nicht, dass ich das tun werde.“ Sie wollte so wenig wie möglich mit dem Mann zu tun haben, der sie so verwirrte. Das war das Letzte, was sie im Augenblick in ihrem Leben gebrauchen konnte.
„Aber du wirst doch versuchen, höflich zu ihm zu sein, Liebes?“, fragte Louise besorgt.
„Natürlich, ich bin doch immer höflich“, sagte Madeline, ohne zu gereizt zu klingen. Sie wusste, dass Louise großen Wert auf Etikette legte, aber bisher hatte Madeline ihr wohl kaum Anlass gegeben, an ihren Umgangsformen zu zweifeln. Sie würde auch zu Marcus höflich sein, selbst wenn es ihr schwerfiel.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihr Gespräch. George ging hinein, um abzunehmen, während Louise nach dem Essen schauen wollte. Madeline lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und versuchte, ihre angespannten Muskeln zu lockern.
Ob es nun am Wein, dem Jetlag oder dem bequemen Stuhl lag – schon bald fielen ihr die Augen zu.
Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie es an der Tür klingelte, und Louises Stimme, die näher kam. „Dann lasse ich euch noch einen Moment allein. George ist sicher bald fertig mit seinem Telefonat.“
Marcus schlenderte hinaus auf die Veranda und bereitete sich auf eine weitere kleine Konfrontation mit Maddy vor. Umso verblüffter war er von dem Anblick, der sich ihm bot: Völlig entspannt lag sie ausgestreckt auf einem Liegestuhl, ihr Haar hing ihr über die Schultern, sie hatte die Augen geschlossen, ihr Mund war leicht geöffnet. Fast kam er sich vor wie der Prinz im Märchen von Dornröschen. Abgesehen davon, dass diese Prinzessin ihn wohl ohrfeigen würde, wenn er versuchte, sie zu küssen.
Sein Blick wanderte tiefer. Sie trug ein eng anliegendes grünes T-Shirt, das ihre weiblichen Formen betonte, und Marcus spürte, wie ihm trotz der leichten Sommerbrise plötzlich sehr heiß wurde.
Sie war so unglaublich schön. Ohne sie aus den Augen zu lassen, setzte er sich und beobachtete sie. Er hatte keine Ahnung, wer der Mann war, der ihr den Ring geschenkt hatte, aber der Kerl war ein verdammter Glückspilz.
Madeline seufzte leise und schlug langsam die Augen auf. Als Marcus in ihrem Blickfeld erschien, glaubte sie zuerst, sie würde noch schlafen. Hatte sie nicht eben erst von ihm geträumt? Von seinen Grübchen, seiner nackten Brust und den breiten Schultern? Wieso war er jetzt angezogen? War sie wirklich wach?
Mit einem Ruck setzte sie sich auf und rieb sich die Augen. Okay, sie war wach, und Marcus war wirklich da und schaute sie neugierig an.
„Maddy.“ Er lächelte und prostete ihr mit dem Bier zu, das vor ihm stand. „Lange nicht gesehen.“
„Madeline“, zischte sie, wütend darüber, dass er sie ohne ihr Wissen beobachtet hatte. „Ich heiße Madeline.“
„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Marcus amüsiert, während er zusah, wie sie sich aus dem Stuhl hochkämpfte.
Sie ignorierte ihn und ging mit dem Weinglas in der Hand auf die andere Seite der Veranda. Was hatte er vorhin noch gesagt? Dass sie sich früher wiedersehen würden, als sie dachte?
„Sie haben es gewusst!“, rief sie empört. „Sie haben vorhin schon gewusst, dass Sie herkommen würden.“
„Aber sicher. Louise hat mich heute Morgen eingeladen. Ich glaube, sie möchte auch, dass wir uns besser kennenlernen. Und im Übrigen habe ich noch nie eine Einladung zu einem selbst gekochten Essen ausgeschlagen.“
Bevor Madeline eine passende Erwiderung einfiel, kam Louise wieder hinaus. „Alles in Ordnung bei euch?“, fragte sie und schaute etwas besorgt zwischen den beiden hin und her.
„Aber sicher.“ Madeline nickte etwas angespannt. „Wo ist denn George geblieben?“, fragte sie dann hilflos.
„Hier bin ich schon wieder.“ George legte einen Arm um Louises Schultern. „Wollen wir essen?“
Louise war eine hervorragende Köchin und das Essen zweifellos köstlich, aber Madeline musste sich zwingen, überhaupt einen Bissen hinunterzubringen, so aufgewühlt, wie sie war. Währenddessen plauderte und flirtete Marcus fröhlich mit Louise, was sie nur noch mehr aufbrachte.
„Erzählen Sie uns doch ein wenig mehr über sich, Marcus“, forderte Louise ihn nun gerade auf. „Warum hat ein netter junger Mann wie Sie eigentlich noch keine Familie?“
Er lachte. „Fünfunddreißig kann man wohl nicht mehr als jung bezeichnen.“
„Oh, doch“, erwiderte George, „wenn man selbst sechzig ist.“
Interessiert registrierte Madeline, dass Marcus es geschafft hatte, der Frage auszuweichen. Dann jedoch sprach er weiter: „Tatsächlich war ich schon einmal verheiratet, aber das ist lange her.“
Mit der Gabel in der Luft hielt Madeline inne. War es das, worauf er gestern Abend im Auto angespielt hatte?
„Waren Sie noch zu jung?“, erkundigte sich Louise.
„So ähnlich.“ Marcus zuckte die Achseln.
„Haben Sie noch Kontakt?“
„Von Zeit zu Zeit.“ Louises Frage war ihm unangenehm, denn sie erinnerte ihn daran, wie dumm er und Tabitha sich bei ihrem letzten Treffen verhalten hatten.
Nach einem kurzen Schweigen räusperte sich George. „Haben Sie es denn schon geschafft, sich ein wenig in Brisbane umzusehen?“
„Nicht wirklich“, sagte Marcus. „Ich war so damit beschäftigt, die Praxis einzurichten, dass ich bisher eigentlich kaum etwas von der Stadt gesehen habe. Ich bin fast jeden Nachmittag in South Bank zum Schwimmen. Oh, und den Skaterpark kenne ich.“
Oh ja, allerdings, dachte Madeline grimmig, während sie ihr Essen auf dem Teller hin und her schob. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte – war das wirklich erst gestern gewesen? Sein nackter, muskulöser Oberkörper erschien plötzlich mit allen Details vor ihrem inneren Auge. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass sie weniger als vierundzwanzig Stunden später mit dem Skater-Macho zu mittagessen würde, wäre sie sofort wieder nach England zurückgeflogen.
Mit einem kleinen Kopfschütteln kehrte Madeline in die Gegenwart zurück und stellte fest, dass die anderen sie erwartungsvoll ansahen. „Ähm, Entschuldigung … was sagtest du gerade?“
„Ich habe Marcus gerade erzählt, dass du die perfekte Fremdenführerin für ihn wärst. Warum zeigst du ihm morgen nicht etwas von den Sehenswürdigkeiten der Stadt?“, fragte Louise lächelnd.
Madeline hätte fast laut aufgeschrien. Weil ich dann vollständig durchdrehen würde!
„Oh … nun, um ehrlich zu sein, hatte ich eigentlich vorgehabt, mir morgen einen faulen Tag im Bett zu gönnen. Dieser Jetlag bringt mich sonst um.“
Bei der Vorstellung, wie Madeline den Sonntag im Bett verbrachte, verschluckte Marcus sich fast an seinem Essen.
„Ach, du schaffst es sowieso nicht, dir einen ganzen Tag freizunehmen“, sagte George grinsend.
Es machte fast den Eindruck, als wären George und Louise wild entschlossen, sie mit Marcus zu verkuppeln. Dann würden sie eine große Enttäuschung erleben, denn sie würde sich eher vor einen Bus werfen, als sich mit ihm einzulassen.
„Nein, schon in Ordnung. Madeline ist es offenbar unangenehm, mich herumzuführen. Ich werde die Stadt schon irgendwann erkunden.“
Empört richtete Madeline sich auf und funkelte Marcus wütend an. Jetzt stellte er sie als undankbares, schlecht erzogenes Biest dar, und das vor ihren Freunden! Das würde sie auf gar keinen Fall zulassen.
„Wir können es sicher einrichten“, gab sie schließlich nach.
„Wie schön.“ Louise strahlte sie dankbar an.
„Ich könnte Sie einfach abholen“, sagte Marcus. „Wann würde es Ihnen passen?“
Sie zuckte die Achseln. „Um eins?“
„Wunderbar, ich freue mich schon sehr.“ Er sah sie eindringlich an, und der sanfte Blick seiner blauen Augen brachte Madeline endgültig aus der Fassung. Hektisch stand sie auf und begann damit, das Geschirr zusammenzuräumen.
„Das ist nicht nötig, Liebes“, sagte Louise. „Du siehst noch ziemlich erschöpft aus. Warum fährst du nicht nach Hause und gönnst dir einen langen Mittagsschlaf?“
Dankbar ergriff Madeline die Gelegenheit und verabschiedete sich von ihren Gastgebern.
„Bist du sicher, dass du alleine nach Hause fahren kannst?“, fragte George besorgt.
„Aber sicher.“
„Ich bringe Sie gerne.“ Marcus stand ebenfalls auf.
„Nein!“ Madelines Reaktion kam so spontan, dass George und Louise sie etwas verwundert ansahen.
„Nein, danke“, wiederholte sie etwas ruhiger. „Ich komme gut zurecht, so müde bin ich dann doch nicht.“
Marcus unterdrückte ein Lächeln. Sie klang so, als wäre es eine tödliche Strafe, sich gemeinsam mit ihm in einem Auto aufzuhalten.
Madeline verabschiedete sich mit einem kurzen Lächeln von ihm, weil es sehr unhöflich gewesen wäre, ihm vors Schienbein zu treten und die Zunge rauszustrecken, wonach ihr eigentlich zumute war. Er hatte sie hereingelegt, und das mit voller Absicht.
„Bis morgen“, sagte er, und ihre Blicke verfingen sich wieder ineinander. Madeline spürte, wie ein erwartungsvoller Schauer sie überlief. Diese erotische Spannung zwischen ihnen versetzte sie in Panik. Wie sollte das enden, wenn sie allein waren?
„Bis morgen.“
Es fühlte sich an, als wären Presslufthämmer in ihrem Kopf am Werk, deren Dröhnen immer lauter wurde. Madeline stöhnte und presste die Hände an die Schläfen, was das Dröhnen aber nur verstärkte.
Vorsichtig öffnete sie die Augen. Die Tabletten, die sie gestern Abend genommen hatte, um die herannahende Migräne zu bekämpfen, machten sie immer völlig benommen.
Ein lautes Klopfen ertönte, dieses Mal jedoch nicht in ihrem Kopf, sondern von der Haustür.
Immer noch desorientiert, quälte sie sich aus dem Bett und stöhnte vor sich hin, während sie nach dem Wecker suchte. Fünf nach eins. Nachts oder tagsüber? Ihr Zimmer war völlig abgedunkelt, aber die Tatsache, dass es an der Tür klopfte, deutete auf tagsüber.
Madeline taumelte durch den Flur zum Eingang und fummelte hektisch am Schloss herum. Das Dröhnen an der Tür und in ihrem Kopf war einfach zu viel.
„Schon gut, ich bin ja da“, sagte sie und riss im gleichen Moment die Tür auf. Das grelle Tageslicht blendete sie, und sofort flammte die Migräne wieder stärker auf.
Marcus Hunt stand auf der Schwelle und musterte verwundert die halb angezogene und halb wache Madeline.
„Sie sehen ja furchtbar aus!“, rief er besorgt.
Obwohl es ihr anscheinend nicht besonders gut ging, sah sie tatsächlich verdammt sexy aus. Ihre roten Haare waren leicht strubbelig, und das einfache graue T-Shirt und die kurzen Pyjamahosen zeigten mehr von ihrem Körper, als er bisher gesehen hatte.
Verdammt, er musste sich zusammenreißen. Sie war offensichtlich krank, ansonsten würde sie ihm wohl kaum in diesem Zustand die Tür öffnen – gerade ihm nicht.
Blinzelnd starrte Madeline ihn an und fragte sich, was Marcus Hunt vor ihrer Tür zu suchen hatte. Aber das Sonnenlicht tat ihren Augen weh, und das Denken fiel ihr schwer.
„Vielen Dank für die offenen Worte“, zischte sie. „Und auf Wiedersehen.“ Sie wollte die Tür wieder schließen, aber da hatte Marcus schon seinen Fuß dazwischengeklemmt. Madeline seufzte auf und drehte sich um. Für eine Auseinandersetzung fehlte ihr die Kraft. Sie würde einfach wieder ins Bett gehen und ihn sich selbst überlassen.
In ihrem Schlafzimmer krabbelte sie sofort unter die Bettdecke und zog sich das Kissen über den Kopf.
„Maddy?“, kam es zögernd von der Tür.
Stöhnend schob sie das Kissen ein Stück zur Seite. „Sie sind ja immer noch da.“
„Haben Sie unsere Verabredung vergessen? Sie wollten mir die Stadt zeigen.“
„Verabredung?“ Abrupt richtete Madeline sich wieder auf, zuckte unter der nächsten Schmerzattacke zusammen und ließ sich wieder aufs Bett sinken. „Oh … tut mir wirklich leid. Das ist wohl meinen Kopfschmerzen zum Opfer gefallen.“
„Kein Problem. Wir können das Date jederzeit nachholen.“
„Es war kein Date“, sagte sie ungehalten. „Ich wollte einfach nur höflich sein. Selbst wenn Sie der letzte Mann auf der Welt wären, würde ich nicht mit Ihnen ausgehen.“ Wieder schoss der Schmerz durch ihren Kopf, und eine Woge der Übelkeit überflutete sie.
Besorgt schaute Marcus sie an. „Leiden Sie unter Migräne, Maddy?“, fragte er und setzte sich neben ihr aufs Bett.
„Madeline“, murmelte sie mit geschlossenen Augen.
„Wann hat es angefangen?“ Er griff nach ihrem Arm und fühlte den Puls.
Seine Berührung schien ihr einen kleinen elektrischen Schlag zu versetzen, aber im Augenblick musste Madeline sich zu sehr darauf konzentrieren, ihre Übelkeit zu bewältigen.
„Gestern Abend“, sagte sie.
„Haben Sie häufig solche Anfälle?“
Sie schüttelte vorsichtig den Kopf, als die Übelkeit langsam nachließ. „Alle paar Monate, es ist einfach Stress.“
„Und was stresst Sie im Moment gerade?“, fragte Marcus.
Ha! Er war der Grund für ihre aktuellen Kopfschmerzen. Wenn sie sich nicht so viele Gedanken über ihn gemacht hätte, dann … „Als wenn Sie das nicht wüssten!“ Wütend blinzelte sie ihn an.
Marcus musste grinsen. Für gewöhnlich war er dafür bekannt, Kopfschmerzen zu heilen, nicht dafür, sie zu verursachen.
„Haben Sie die Migräne schon immer gehabt?“, fragte er weiter.
„Nein, erst seit etwa fünf Jahren.“ Etwa? Als ob sie sich nicht mehr an den genauen Tag erinnern könnte. Es war der Nachmittag von Abbys Beerdigung gewesen, und sie hatte nur stöhnend auf dem Bett gelegen.
„Litten Sie damals unter besonders viel Stress?“
„Kann man so sagen.“ Sie schloss die Augen und rollte sich zur Seite.
Marcus rieb sich nachdenklich das Gesicht und musterte ihre schlanke zusammengerollte Gestalt vor sich. In der ganzheitlichen Medizin war es wichtig, die Stressauslöser zu kennen, um die Symptome wirksam heilen zu können. Aber Maddy schien nicht im Mindesten bereit zu sein, mit ihm über persönliche Erlebnisse zu sprechen. Vielleicht würde es helfen, wenn er ihre Schmerzen linderte? Ob er so ihr Vertrauen gewinnen konnte? Warum es ihm so wichtig war, dass Madeline ihn mochte, wusste er selbst nicht genau, aber im Augenblick war das auch egal. Er wollte ihr helfen.
Eine Massage würde die Muskeln lockern und sie entspannen. Er brauchte dafür aber einige der ätherischen Öle, die er in seiner Praxis verwendete.
„Maddy? Ich lasse Sie jetzt allein.“
„Hurra!“
„Ich muss Sie enttäuschen … ich habe vor, so schnell wie möglich wiederzukommen. Ich werde nur etwas holen, um Ihre Migräne zu lindern.“
„Oh, tut mir leid, einen Zauberkessel finden Sie in meiner Küche leider nicht.“
Marcus lachte auf. Selbst in diesem Zustand hatte sie noch eine sehr spitze Zunge. „Kein Hokuspokus, Maddy. Ich gebe Ihnen mein Wort.“
Resigniert schloss sie die Augen. Sie hatte starke Schmerzmittel eingenommen, die der Migräne die Spitze nahmen, aber im Grunde war das Einzige, was sie tun konnte, abzuwarten, bis es vorbei war.
Als Marcus nach einer guten halben Stunde zurückkam, lag Madeline noch immer auf ihrem Bett. „Hi, Maddy“, sagte er sanft.