Küstenglück und Meeresrauschen - H.C. Hope - E-Book

Küstenglück und Meeresrauschen E-Book

H. C. Hope

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Karriere in Hamburg oder Küstenglück auf Borkum?  Clara hat einen genauen Plan für die Zukunft: Sie will in ihrer Heimatstadt Hamburg als Neurologin Karriere machen. Doch um ihren Traumjob zu ergattern, muss sie erst mehrere Monate auf Borkum als Hausärztin aushelfen. Widerwillig reist Clara auf die kleine Insel. Zum Glück findet sie eine schöne Unterkunft im Ferienhaus Möwennest und in der Vermieterin Merle gleich eine neue Freundin. Doch die anderen Inselbewohner machen Clara das Leben ganz schön schwer. Der alte Arzt Dr. Kniepins ist nicht froh, dass Clara seine Praxis modernisieren will. Und dann ist da noch der gutaussehende Inselpolizist Henning, der sich Clara gegenüber merkwürdig abweisend verhält. Beim Einsatz auf hoher See kommen Clara und Henning sich näher. Doch hat die Liebe eine Chance, wenn Clara Borkum bald wieder verlässt? Oder hat sie ihr Herz längst an die Insel und ihre schrulligen Bewohner verloren? 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 358

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Küstenglück und Meeresrauschen

Die Autorin

H.C. Hope wurde 1988 in Oberschwaben geboren und entdeckte ihre Liebe zu Wort und Schrift schon im Grundschulalter. Als stetiges Hobby zog es sich durch ihre Jugend, bis sich 2019, neben ihrer Arbeit als Logopädin, der Traum vom ersten eigenen Buch erfüllte. Sie liebt es mit Cappuccino oder Tee durch neue Welten zu streifen, fantastische Geschichten zu verfolgen und romantische Schicksale zu erleben. Wenn sie nicht liest oder schreibt, dann verwandelt sie die Küche in ihr zweites kreatives Zuhause oder jagt mit Samtpfote Fips durch die heimische Natur.

Das Buch

Karriere in Hamburg oder Küstenglück auf Borkum? Clara hat einen genauen Plan für die Zukunft: Sie will in ihrer Heimatstadt Hamburg als Neurologin Karriere machen. Doch um ihren Traumjob zu ergattern, muss sie erst mehrere Monate auf Borkum als Hausärztin aushelfen. Widerwillig reist Clara auf die kleine Insel. Zum Glück findet sie eine schöne Unterkunft im Ferienhaus Möwennest und in der Vermieterin Merle gleich eine neue Freundin. Doch die anderen Inselbewohner machen Clara das Leben ganz schön schwer. Der alte Arzt Dr. Kniepins ist nicht froh, dass Clara seine Praxis modernisieren will. Und dann ist da noch der gutaussehende Inselpolizist Henning, der sich Clara gegenüber merkwürdig abweisend verhält. Beim Einsatz auf hoher See kommen Clara und Henning sich näher. Doch hat die Liebe eine Chance, wenn Clara Borkum bald wieder verlässt? Oder hat sie ihr Herz längst an die Insel und ihre schrulligen Bewohner verloren?

H.C. Hope

Küstenglück und Meeresrauschen

Ein Borkum-Roman

Liebesroman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.comISBN 978-3-95818-630-9

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Der kleine Eiswagen am Strand

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Widmung

Widmung

Für die Familien.

Weil es nicht nur die angeborene gibt, sondern auch die, die wir uns selbst aussuchen.

Kapitel 1

Noch nie ist mir das »Ja« so schnell über die Lippen geglitten. Nur ein kleiner Impuls, zwei Buchstaben, Konsonant und Vokal. Ja!

Das ist der Grund, warum ich hier stehe. Auf der Fähre, die durch die Wellen schneidet, die sich auf der See verlieren.

Ich bin wie sie, eine kleine Welle in einem gewaltigen Ozean. Planlos.

Ein abscheuliches Gefühl. Dabei hatte ich bislang immer einen Plan. Immer.

Sogar damals auf dem Abiball, als ich weite Hosen trug, um mich nicht mit meinen langen Beinen in ausladenden Kleidern zu verfangen. Getanzt habe ich trotzdem nicht. Stattdessen plünderte ich das Buffet, um mir nicht wieder anhören zu müssen, dass ich zu dünn sei. Dabei mache ich bis heute kaum mehr als Yoga. Mein Stoffwechsel funktioniert einfach extrem gut.

Auch jetzt gleiten meine Finger zum schokoüberzogenen Müsliriegel, den ich immer dabeihabe, für den schnellen Hunger. Und der lässt in den Krankenhausfluren während einer Achtundvierzig-Stunden-Schicht nicht lange auf sich warten.

Ich schiebe den sehnsüchtigen Gedanken an die Klinik beiseite, in der ich meinen Facharzt für Neurologie anstrebe. Zuerst muss ich durch – feuchter Fahrtwind streift meine Wange – das hier!

Ich klammere mich an die Reling, und kalte Nordseegischt spritzt an meine Finger. Das grünblaue Wasser und der Fahrtwind sind meine einzigen Begleiter. Alles andere lasse ich zurück. Für eine Weile.

Als Hamburger City-Girl liebe ich den Hafen. Er ist einer der vielen Hot Spots, die ich gerne besuche. Vom sicheren Land aus sehe ich zu, wie die Containerfrachter beladen werden und anmutig aufs offene Wasser gleiten. Wie Marinekreuzer vor Anker gehen oder die Musicalboote Touristen ins Lichtspielhaus schippern. Das Dröhnen der Wassergefährte auf der Elbe ist meine Heimatmusik.

Obwohl ich nicht mal gerne Tretboot fahre, ist es eine Fähre, die mich ans Ziel bringen soll. Wenn ich es überhaupt Ziel nennen kann. Ein Reiseziel, ja. Aber ein Lebensziel?

Es gruselt mich, wenn ich mir vorstelle, dass zwischen mir und dem Meeresgrund kilometerweise Wasser brandet.

Wer verbringt denn seine Lebenszeit auf See, und das freiwillig?

Ich pule am Rost. Braune Splitter wehen davon. Schlagen Pirouetten. Ähnlich wie mein Magen.

Die steife Brise lockert blonde Strähnen aus meinem Haarknoten, die an meine Wangen peitschen. Obwohl ich als Ärztin meine Haare selten offen tragen kann, will ich sie nicht abschneiden. Auf den alten Fotos trug sie meine Mutter genauso.

Tränen treiben aus meinem Augenwinkel, und ich fische die Ray-Ban-Sonnenbrille aus der Tasche. Ich will keine Mascaraspuren im Gesicht, wenn ich die Vermieter meiner Ferienwohnung treffe.

Die anderen Fahrgäste wirken gelassen. Vor einigen liegen Reisetrolleys, andere verteidigen ihren Platz an der Reling. Der Rest klebt am Smartphone. Sicher die ersten Feierabendfahrten nach Hause. Alltäglichkeit, das ist es, was hier in der Luft liegt.

Außer bei mir.

Hätte ich früher geahnt, welche Konsequenzen das „Ja“ mit sich bringen würde, hätte ich Bedenkzeit gewollt. Aber mein Wunsch, den Facharzt für Neurologie in den Hamburger Schön-Kliniken zu machen, war drängender. Mein Traum, seit ich klinisches Metall berührt habe. Ich habe das Medizinstudium an der Universität Hamburg als eine der Besten abgeschlossen, um mich auf die Neurologie zu spezialisieren. Wie einst mein Großvater. In seine Fußstapfen zu treten, schafft zumindest eine Art Verbindung zu ihm. Dorthin, wo es keine Endlichkeit gibt. Nur Liebe.

Dabei besitze ich nur ein zerschlissenes Polaroid von ihm und seinen fünfundvierzig Jahre alten Oldtimer, den grasgrünen Käfer, den mein Vater ebenso geliebt haben muss, weshalb er ihn nur als Zweitwagen für Sonntagsausflüge benutzte. Ein Wunder, dass er immer noch anspringt. Nicht dass ich nicht schon ein halbes Vermögen in seinen Erhalt gesteckt hätte, aber irgendwie warte ich jedes Mal darauf, dass er mich an der nächstbesten Kreuzung im Stich lässt. Tut er aber nicht! Ich würde es nicht ertragen, auch diese Verbindung zu meinen Eltern zu verlieren.

Leider habe ich sie nie kennengelernt. Mit sechs Wochen war ich schon gezwungen, mich ohne sie durchzuschlagen. Ein Schnellzug erfasste sie, als sie nachts mit mir spazieren gingen, um meine Schreiattacken zu beruhigen. Ihr Heimweg endete zu früh. Ich war noch so winzig, dass ich von dem schrecklichen Unglück nichts mitbekam. Dabei lag ich im Kinderwagen knapp neben den Gleisen.

Meine Eltern starben noch am Unfallort, und ich kam ins Heim. So erzählte es mir Martha, die Heimleiterin, Jahre später an meinem sechsten Geburtstag. Und der Geburtstagskuchen schmeckte plötzlich fad … noch jahrelang.

Meine Eltern haben mir nicht nur den Käfer hinterlassen, sondern auch ein Notizbuch, voller Liebe und Geschichten aus ihrem Leben. Leider sind viele Seiten leer geblieben. Aus diesem Grund verkaufe ich den Oldtimer nicht. Er und das Notizbuch sind alles, was mir von meinem Stammbaum geblieben ist.

Da ist niemand mehr. Keine Eltern. Keine Großeltern. Nur meine Pflegeeltern, die mich mit zwölf endlich aus dem Heim herausholten und mir einen bunten Geburtstagskuchen buken. Ich liebe Bettina und Thomas, sehr sogar, trotzdem frage ich mich, wie sich die Liebe zu den Menschen angefühlt hätte, deren Fleisch und Blut ich bin. Nicht, dass es mir an Liebe mangelt.

Wobei ich ernsthafte Beziehungen seit meinem Ex-Freund Eric, einem ehemaligen Kommilitonen, meide. Am Ende zerbrechen sie ohnehin alle. Ich konzentriere mich lieber auf das Medizinstudium und bald auf meine Fachausbildung.

Vermutlich verabscheue ich wegen meiner turbulenten Kindheit auch Veränderungen, die sich meiner Kontrolle entziehen. Wie das Verreisen mit dem Schiff. Oder noch schlimmer, per Bahn.

Ich ziehe den Kragen der pinkfarbenen Softshelljacke enger. Der Wind dringt trotzdem durch, und Gänsehaut prickelt auf meinen Armen. Warum habe ich keinen Wollpullover angezogen statt des dämlichen Blousons?

Jetzt bin ich vier Stunden von meinem alten Leben fort und nur eine halbe Stunde und zwei Minuten von meinem neuen entfernt. Auf Borkum, einer Insel, die aus etwa so viel Sand wie bewohnbarem Landstreifen besteht.

Ich schließe die Augen. Warum habe ich nur eingewilligt, dem älteren Bruder des Hamburger Klinikchefs Dr. Jorick Kniepins auf Borkum unter die Arme zu greifen? Mit hausärztlichem Dienst und Seenothilfe?

SEENOTHILFE! Noch mehr Schiff fahren.

Der Gedanke, mürrische Inselbewohner zu verpflastern, ist jetzt schon furchtbar. Als Hausärztin muss ich dort sicher alle möglichen Wunden und Brüche diagnostizieren. Auf dem Schiff muss ich dann sicher Unfallopfer versorgen.

Womöglich muss ich Menschen aus der Nordsee zerren …

Die Tatsache, dass die Seenotkreuzer hochmoderne Wasserfahrzeuge sind, beruhigt mich nicht wirklich. Der Hamburger Klinikchef erklärte mir, dass die Kreuzer einen eingebauten Kenterschutz haben. Sie drehen sich um die Achse, falls sie umkippen. Durchkentern, nannte er das mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen. Dabei war mir nicht zum Lachen.

Die dürfen nicht umkippen! Schon gar nicht, wenn ich darauf stehe.

Aber ich holte nur tief Luft, denn die Unterstützung des Inselarztes und die Schicht bei der Seenotrettung waren Bedingung für meinen Job.

»Da, da vorne ist es.« Eine ältere Dame gesellt sich zu mir an die Reling. Sie verströmt einen harzigen Geruch, und die Enden des hellrosa Tuches, die sich um ihren Dutt winden, flattern.

Ihre Augen schimmern tränenfeucht. Vom Wind? Ich folge ihrem Fingerzeig.

Ein grüner Streifen grenzt sich vom Horizont ab. Borkum. Gänsehaut kriecht über meinen Rücken, während ich die Möwenansammlung über dem Sandstreifen beobachte. Ihr Kreischkonzert tönt mehrstimmig.

»Ja, mein Schatz. Endlich sind wir wieder zu Hause.« Ein Mann stößt zu der Dame und legt den Arm um sie. Sein Schnauzbart zittert. Der erdige Geruch von Tabak streift mich.

»Unser Borkum.«

Mir ist übel. Mir wurde erzählt, wie hinreißend die Nordseeinseln seien. Mit den Strandkörben in den Dünen, dem leckeren Seafood und dem Bonus, dass Borkum die allergikerfreundlichste Luft überhaupt besitzt. Ein Reha- und Kurort. Eine kleine Welt für sich, so bezeichnen das die meisten, mit einem Leuchten in den Augen.

Meine beste Freundin Lena hatte mir Begleitung angeboten, weil sie mich von meiner schlechten Meinung über die Inseln abbringen wollte. Für mich gleicht jede einem verbannten Fleckchen Erde. Die Vorstellung, auf diesem Fleck zu leben, ist, als müsste ich mit einem Floß auf einen Wasserfall zufahren. Und ich steige auf kein Floß.

Auf Borkum wartet kein Festland mit unbegrenzten Möglichkeiten. Da latscht man nur im Kreis oder ins Wasser.

Schweren Herzens sagte ich Lena ab. Ich will das allein schaffen. Immerhin operiere ich bald an Gehirnen, und das ist eine größere Sache, als fünf Monate auf Borkum zu überstehen.

Wir fahren an orangefarbenen Bojen und hellen Sandbänken vorbei. Der perfekte Rastplatz für Robben.

Dahinter ragen Silhouetten in den Himmel. Unscharf, aber die Konturen lassen Häuser und die Spitze eines Leuchtturmes erkennen. Oder zwei?

Windräder thronen vor der Einfahrt zum Borkumer Yachthafen, in dem wenige Boote vor hölzernen Stegen liegen. Ein karger Anblick im Vergleich zum Yachthafen in Hamburg. Aber was vergleiche ich auch einen winzigen Streifen Erde mit einer Großstadt?

Von einer Mauer umgeben, die das Grün von der See trennt, fahren wir Borkum entlang. Gischt schäumt an den Steinen, und dahinter ragen Reetdächer auf. Es ist das erste Mal, dass ich sie sehe, die ostfriesischen Häuschen. Fast schon niedlich.

Die Luft ist so rein …

Plötzlich dröhnt die Schiffshupe, und es bricht Jubel aus. Mein Herz stolpert, und unter mir vibriert es. Oh Gott! Japsend klammere ich die Finger fester um die Reling.

Das Röhren verebbt. Die Enge in meinem Brustkorb aber bleibt. Das alte Ehepaar neben mir applaudiert. Warum klatschen alle? Ich schaue nur auf meine sich weiß abzeichnenden Fingerknöchel.

»Na komm schon, Deern. Wir sind gleich da. Erweisen wir dem Kapitän Respekt.« Der Herr applaudiert weiter. Unter seinem Schnauzer ein schiefes Lächeln.

Verwirrt schaue ich zur gläsernen Kabine an Deck, die die Sonnenstrahlen reflektiert. »Das hört der doch gar nicht.«

Ich klatsche in keiner U-Bahn, nicht im Bus, und im Taxi schon gar nicht. Nach einem Flug allenfalls. Nicht dass ich fliege …

»Aber er sieht es. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.« Die blauen Augen des Herrn leuchten. Erst jetzt bemerke ich die verschlissenen Schulterklappen an seiner Jacke. Zwei goldene Streifen, matt und glanzlos. Nicht aber der Stolz in seinen Augen. Vor mir steht unverkennbar ein Kapitän außer Dienst.

Ich lächle beklommen und applaudiere ebenfalls. Vielleicht klatsche ich auch ein bisschen Nervosität weg.

Das hier ist schon jetzt anders als Hamburg.

Welche kuriosen Rituale erwarten mich noch?

Endlich legt sich der Applaus. Die Fähre gleitet an einer schmalen Seebrücke mit Anlegestelle vorbei. Verloren wirken die algenbewachsenen Holzpfähle, die in der V-förmigen Einfahrt enden.

Da passen sicher keine zwei Fähren rein. Alles ist so klein. Eng.

Hier ist er also, der Anfang auf dem Minifleck.

Lena hat mir das Versprechen abgeknüpft, offen zu sein. Mich auf Borkum einzulassen. Das ist nicht leicht für meinen inneren Kontrollfreak. Hierfür gibt es keine Checkliste.

Eine Möwe kreischt, und ich verdränge die Erinnerung an Hamburg. Sie schnürt mir die allergikerfreundliche Luft ab.

Der Hafen rückt näher. Mein Bauch kribbelt.

Eine Dampflok? Oh Gott! Die rote Lok bläst eine Rußwolke in die Luft. Gelbe und rote Waggons reihen sich hinter ihr aneinander. Sicher eine Touristenattraktion. Kleinbahn steht auf einem der Wartehäuschen geschrieben. Ein Urlaub kann nicht klassischer beginnen als mit einem Stück Vergangenheit. Aber nicht für mich. Ich fahre mit Käfer auf die Insel. Mit meinem geschützten Raum.

Die Fähre gleitet näher zum Pier. Gleichzeitig nehmen die Waggons in allen Grundfarben kein Ende.

»Das ist die Emma.«

Ich fahre herum und schlage mir dabei fast die Sonnenbrille von der Nase. Hastig schiebe ich sie höher. »Wie bitte?«

Der alte Kapitän zeigt auf die Waggons. »Na, du bewunderst doch die Lok, nicht wahr?«

»Äh, ja.« Vermutlich wirke ich wie eine Touristin, geplättet von der Beschaulichkeit des Hafens oder dem Kulturschock. Dass da etwas anderes dahintersteckt, weiß der Herr ja nicht.

»Die Dampflok ist unsere alte Emma. Sie wird uns nach Borkum Mitte bringen.«

Ich überblicke den Hafen. Wo ist die Straße in die Stadt?

»Oh, wie traditionell.«

Ich will so schnell wie möglich in das Ferienhäuschen, um mich zu akklimatisieren, bevor ich den Dienst als Hausärztin antreten muss. Also lächle ich dem alten Kapitän nur verbindlich zu und betrachte die gegenüberliegende Seite des Hafens.

»Das ist die alte Kaserne.« Sein Finger schiebt sich an meiner Nase vorbei und weist auf ein steinernes rotes Gebäude mit Rohrdach.

»Unser alter Marinestützpunkt. Ich war im ersten Landungsgeschwader. 1966 wurde sie aber dichtgemacht. Brauchte keiner mehr. Nun dient sie als Außenstützpunkt der SAR. Der Suche und Rettung in Luft- und Seenotfällen. Es wäre zu schade, so ein altehrwürdiges Gebäude abzureißen, nicht wahr?«

»Hier ist die Seenothilfe stationiert?«, frage ich ungläubig.

Das ist doch nicht zeitgemäß.

»Ich sehe gar keinen Seenotrettungskreuzer.« Der unter anderem mein neuer Arbeitsplatz sein soll. Es schadet nicht, vorab einen Blick darauf zu werfen, welcher Klasse das Schiff angehört. Die Ausstattung wird hoffentlich moderner sein als die roten Backsteine.

»Der liegt drüben im Schutzhafen. An dem sind wir vorhin vorbeigefahren.« Der Kapitän mustert mich gründlich.

»Komm schon, Lars. Sonst sind die besten Plätze vorn bei Emma weg.« Seine Frau lächelt warmherzig und hakt sich bei ihm unter.

Er salutiert, und die beiden gehen von Deck.

Ich habe nicht bemerkt, dass die Fähre zum Liegen gekommen ist, und stehle mich auf das Autodeck. Käfer hat die Fahrt gut überstanden. Ich steige auf den beige-ledernen Sitz. Mit den Fingern fahre ich das angeraute Lenkrad ab. Käfer ist nun mein einziger sicherer Ort. Ich kenne ihn in- und auswendig, jede Kontur, jede Narbe im Leder und jede Nahtkante. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss, und das Klackern des Motors erfüllt mich mit Zuversicht. Ich muss nur noch von der Fähre fahren und mein Navigationsgerät anschalten. Dann werde ich meine Ferienwohnung, das Möwennest, sicher ohne Komplikationen erreichen. Sie liegt mitten im Zentrum und nur sieben Kilometer vom Yachthafen entfernt. Mit Seeblick.

Ein Fährmitarbeiter dirigiert mich von Deck, und mit kribbelnden Beinen trete ich aufs Gas. Ich folge der schmalen Straße auf den kleinen Parkplatz und halte dort, um Google Maps einzuschalten.

6,4 km bekundet das Display, und ich stecke das Handy in die Smartphonehalterung. Dabei klicke ich eine aufblinkende Meldung weg.

Ich überprüfe meine Sturmfrisur im Rückspiegel, schiebe die wirren blonden Strähnen aus der Stirn und rücke die Sonnenbrille zurecht. Okay, Borkum, hier bin ich, denke ich,undmein Bauch antwortet mit Grummeln.

Kapitel 2

Neben mir ziehen Strandkörbe, Schilfgras und dichte Büsche vorbei. Dahinter das unbeherrschbare Blaugrau. Weder vor noch hinter mir ist ein Auto auszumachen. Ganz schön einsam.

Ich stoße weiter Richtung Zentrum vor bis …

Donnerwetter!

Groß, eigentlich unübersehbar steht es am Straßenrand.

Autofahrverbot in der gesamten Innenstadt

Was kommt als Nächstes? Möwenschiss auf meiner Jacke?

Natürlich habe ich vorhin die aufpoppende Navigationsmeldung weggeklickt, weil ich im Kopf wieder eintausend Szenarien durchgegangen bin, die mich am Möwennest erwarten könnten.

Bescheuerte Insel!

Ich sinke in den Sitz. Diese unvorhersehbaren Planänderungen wecken sofort meinen inneren Kontrollfreak. Ich hätte mich vergewissern sollen, dass Borkum überall mit dem Auto befahrbar ist. Dann wäre das nicht passiert, und ich hätte ein Taxi bestellt. Stattdessen habe ich Lena nachgegeben, um die Reise »locker« anzugehen. Das habe ich jetzt davon.

Ich schnaube.

Möglicherweise gibt es ja einen Parkplatz? Für diejenigen, die nichts vom Autoverbot wissen?

Vor mir ist nicht mal ein Haus zu sehen. Ich bin im Nichts.

Das Display zeigt noch drei Kilometer bis zum Möwennest.

Mit prallem Koffer zu laufen, ist vermutlich eine schlechte Idee. Ihn zurückzulassen, noch viel blöder.

Auf keinen Fall!

Ich klaube meine ganze Spontanität zusammen und entdecke eine kleine Parkbucht.

Gott sei Dank!

Rasch manövriere ich Käfer hinein und nehme das Handy von der Halterung. Ich scrolle zum Kontakt von Merle Jost, der Vermieterin des Möwennests. Dann steige ich aus, und der Wind bläst mir sofort ins Gesicht. Ätzend!

Anscheinend bringt der Tag nicht nur Neuanfänge, sondern auch Umstände, die ich nicht, wie gewohnt, mit Planungssicherheit verhindern kann.

»Jost?«, tönt es sanftmütig an meinem Ohr.

»Hallo, hier ist Clara Hartmann. Ich verspäte mich, weil mir das Autofahrverbot bis zur Innenstadt nicht bekannt war.«

Mir wird heiß, und ich klemme die Haare hinters Ohr. Der Wind lockt sie erneut hervor.

»Oje, dann sind Sie jetzt bestimmt auf dem kleinen Parkplatz, oder? Ich schicke jemanden, der Sie abholt. Wenn Sie nämlich am Hafen parken, wird das teuer. Wir überlegen dann, wo wir Ihr Auto erst mal unterbringen.«

Sie klingt herzlich, mit einem Klecks Honig im Ton, und ich atme auf. »Tausend Dank! Das ist total nett von Ihnen.«

Es raschelt. »Natürlich. Wir auf Borkum halten zusammen. Dann sehen wir uns gleich. Ich freue mich.«

Sie sagt das, als wäre es selbstverständlich. Als wäre ich die eine zerstreute Freundin, der immer wieder solche Missgeschicke passieren.

»Vielen Dank! Bis später!« Ich lege auf.

Wenigstens ist die Vermieterin nett. Ich lehne an der angewärmten Motorhaube des Käfers und betrachte die Büsche mit den orangenen Beeren.

Die Ungewissheit lauert in Momenten wie diesem. In denen ich ausgeliefert bin. Paradoxerweise funktioniere ich am besten im OP-Saal oder in der Notaufnahme, wenn der Tod neben mir lauert. Wenn die Momente nicht beherrschbar sind und mir meine ganze Spontanität und Professionalität abverlangen. Aber jetzt, hier … so ohne Anker, ohne Plan, an dem ich mich entlanghangeln kann, bin ich wie das Mädchen im Waisenhaus. Wartend, hoffend und irgendwie verloren.

Zum Glück bin ich erst morgen mit dem Inselarzt Dr. Jorick Kniepins und der Seenotrettung verabredet. Bis dahin bleibt mir Zeit, mich einzugewöhnen. Was auch immer das heißt.

Meine Gedanken wandern zur Seenotrettung. Womöglich teilt man mir nur eine Schicht pro Woche zu, als blutiger Anfängerin, was medizinische Notfälle auf See betrifft. Natürlich versorge ich einen Ertrinkenden oder eine Schnittwunde im Schlaf. Aber was ist mein Job, wenn wir jemanden aus dem Watt ziehen? Oder werde ich helfen müssen, wenn wir ein aufgelaufenes Schiff abschleppen, Feuer an Bord löschen?

Ein Streifenwagen stoppt, und zwei zottelige Ohren erscheinen hinter der herunterfahrenden Scheibe. Ist das etwa ein Wolf?

Die Polizei hat sicher eine Sondergenehmigung für die Innenstadt. Auf der anderen Seite steigt ein breitschultriger Mann mit Bartschatten und wachsamer Miene aus dem Wagen. Er trägt verwaschene Jeans und hat sich die Uniformjacke wohl eilig über sein graues Langarmshirt geschwungen. Der Kragen auf der linken Seite ist eingeschlagen.

»Clara Hartmann? Ich bin Henning Jost.« Beherrscht mustert er mich aus graublauen Augen. Derselbe Ton, wie das Wasser, das Borkum umschließt. Sein breiter Kiefer endet in kantigen Wangenknochen. Sein Kinn ist leicht nach vorn gereckt, wie seine volle Unterlippe. Henning verströmt Wachsamkeit. Beinah einschüchternd, dabei ist er vermutlich nur mein Retter.

Der Hund beobachtet mich. Ob der raushüpfen kann? Bloß nicht daran denken, Clara!

»Hallo, äh … ja, die bin ich«, antworte ich hölzern.

»Merle meint, du sitzt hier fest und brauchst jemand, der dich zum Möwennest fährt. Für uns gilt das Autoverbot nicht.« Seine Stimme klingt warm und knisternd. Wie prasselndes Feuer im Kamin an einem Regentag. Der Schwung seiner Oberlippe wird von einer kleinen Narbe unterbrochen. Wie ein schlichter Druckfehler in einem sonst perfekten Text.

So viel zur Herbstromantik.

»Das stimmt. Tut mir leid.« Ich nehme die Sonnenbrille ab und ziehe den Schlüssel von Käfer ab, bevor mich Henning komplett durchleuchtet.

»Gepäck?« Er zeigt auf den Kofferraum, den ich hastig öffne. Ich bin froh, dass er mich nicht verspottet. Sicher bin ich nicht der erste Fahrgast, den er ungebeten irgendwohin kutschieren muss. Dazu wirkt er zu beherrscht. Beinahe wie ein kantiger Fels in der Brandung.

Er wuchtet meinen Koffer in den Streifenwagen. Bei den breiten Schultern …

Wehmütig verriegele ich Käfer und streiche über das warme Blech. Ich unterdrücke eine Abschiedsfloskel.

»Setz dich nach hinten. Der Hund gibt den Beifahrersitz nicht ohne Kleinkrieg frei.«

Er öffnet die Hintertür, und der Duft von Pfefferminze und Meersalz umfängt mich, als ich mich setze. Das Leder ist auffallend sauber dafür, dass er einen Hund besitzt.

Hund. Eher ein Wolf. Er hechelt, und die Zunge hängt aus dem Maul. Der Polizist streicht ihm über den Kopf, und der Kerl winselt. Dann fahren wir vom Parkplatz, und mein geliebter Käfer wird von den Büschen verschluckt. Bis bald!

Wir fahren die verlassene Straße entlang, und es tauchen die ersten Rohrdachhäuschen auf. Einige klassisch mit weißem Anstrich und blauen Fensterrahmen, andere modern mit grauen Fassaden. Allesamt mit Wildblumen und Kübelpflanzen umstellt. Eine heimelige Idylle im Kontrast zum modernen Hamburg. Als würde die Zeit hier unberührt bleiben, ohne Hast.

Immer wieder stiehlt sich der Blick des Hundes zu mir. Ich wende mich ab, weil ich mal gelesen habe, dass Hunde den direkten Blickkontakt als Bedrohung auffassen. Erfahrung mit Hunden habe ich nicht. In meiner schicken Loftwohnung in Eimsbüttel in Hamburg sind Haustiere nicht erlaubt. Außerdem fehlt mir die Zeit, um ihnen gerecht zu werden. Selbst einem nachtaktiven Hamster.

»Ruhig, Odin.« Der Polizist tätschelt die Schnauze. Ein Göttername, das passt zu seiner ungeheuerlichen Größe.

»Er ist Mitfahrer im Streifenwagen nicht gewohnt«, informiert er mich.

»Oh. Dann scheint Borkum ja ein sicherer Ort zu sein.«

»Bis auf die üblichen Diebstahlsdelikte oder betrunkene Touristen ist die Insel friedlich. Ich glaube, wir hatten die letzten zehn Jahre keinen Mordfall mehr.«

Wie beruhigend!

Er entlässt mich aus seinem ernsten Blick im Rückspiegel. Die Büsche weichen und geben den Blick auf die See frei.

Alles wirkt friedlich, wie aus einer Fotostrecke im Reisekatalog.

»Das klingt beruhigend. Dann sind Sie öfter Taxiersatz?«

Surfer gleiten auf den Wellen, und langsam kehrt Urlaubsruhe in mir ein.

»Ja, das Taxiunternehmen ist in der Urlaubssaison überlastet. Wenn wir keinen Einsatz haben, unterstützen wir die Taxen. Emma schafft es nicht, alle Touristen abzufangen. Nicht jeder will mit Pferdekutschen transportiert werden.«

Der antiken Dampflok wird eine Persönlichkeit eingehaucht. Irgendwie dasselbe wie bei Käfer und mir.

»Die alte Dame hat sich ihre Ruhepausen sicher verdient.« Ich bewundere die Reetdachhäuschen. Alles wirkt geschmackvoll und gepflegt. Jedes Häuschen versprüht einen Hauch von Individualität. Anders als die Hochhäuser in Hamburg.

»Wie lange bleibst du?«

»Einige Monate auf jeden Fall.« Ich möchte die Insel lieber früher als später verlassen. Ich schaue zum Rückspiegel, und seine blaugrauen Augen mustern mich durchdringend. Als wollte er in mir lesen. Er kräuselt die Nase, und es bilden sich Fältchen in seinen Augenringen. Zeugen von Stress oder schlaflosen Nächten.

»Monate? Okay.«

Klingt er skeptisch?

»Ja.«

Er bricht den Blickkontakt nicht ab, und plötzlich kribbelt es in meinem Bauch. Die Atmosphäre verändert sich, wird dichter. Als würde nur ein Funken fehlen, der sie entzündet.

»Ich unterstütze den Inselarzt«, erkläre ich und versuche, dem Kribbeln nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Das ist sicher nur die Angewohnheit, von Berufs wegen den Leuten gewissenhaft auf den Zahn zu fühlen.

Die Brauen schießen nach oben.

Ich nicke. Warum fühle ich mich wie auf der Verhörbank im Gerichtssaal?

»Dann willst du seine Praxis übernehmen?« Seine Stimme klingt angeraut. Als hätte sich ein Wirbelsturm dort niedergeschlagen.

»Um Gottes willen!«, entfährt es mir etwas zu entsetzt. »In ein paar Monaten werde ich nach Hamburg zurückkehren und meine Karriere als Neurologin an den Schön-Kliniken verfolgen. Die Unterstützung für Dr. Kniepins und die Seenotrettung war nur die Bedingung für den Job.«

Schweigen. Ungemütliches Schweigen, das sogar das Polster unbequem werden lässt.

Wir biegen in eine kleine kornblumengesäumte Auffahrt mit dem Schildchen Möwennest ein, und er parkt. Wortlos steigt er aus. Die Autotür knallt.

Mannomann … für einen Aushilfstaxifahrer sollte er wirklich an einem höflichen Gesprächsende feilen.

Schnell öffne ich die Tür und folge ihm zum Kofferraum. Unschlüssig klemme ich mir eine Strähne hinters Ohr und wende mich dem weißen Häuschen zu. LED-Laternen auf den Stufen flimmern, und ein alter Fensterladen mit Blumenmuster lehnt an der Kalkwand. Die blaue Holztür öffnet sich, und eine junge Frau mit braunem Bob stürmt heraus. Ihr Bauch wölbt sich unter dem weißen Shirt.

»Da seid ihr ja!« Sie trippelt die Stufen hinab, und Vanilleduft umfängt mich.

»Willkommen im Möwennest! Ich bin Merle.« Sie lächelt herzlich und offenbart einen schief stehenden Schneidezahn. In ihren Augen schimmert der Funken, den werdende Mütter oft tragen.

»Vielen Dank! Ich bin Clara Hartmann.« Ich strecke ihr die Hand entgegen, doch sie drückt mich.

Mit Wucht legen sich zwei Pranken auf meinen Rücken. Ich schrecke auf, und das Gewicht meines Angreifers drückt mich nach vorne.

»Odin!« Merle löst sich von mir und schiebt den Hund zur Seite. »Er mag dich. So stürmisch ist er normalerweise nicht.«

Meine gehobenen Hände beben. Von so einem Ungetüm angesprungen zu werden, erschreckt mich dann doch.

»Henning?« Merles fragender Blick gleitet über meine Schulter. Ich streiche die Jacke glatt und atme durch. Das Hecheln des Hundes bläst warme Luft an meine Jeans.

Auf ein Schnipsen hin trottet Odin an mir vorbei.

»Sitz!«, kommandiert Henning. Jetzt weiß ich wieder, warum ich keine Tierärztin werden wollte. Hunde, Pferde, Wildschweine, ja sogar Katzen sind mir zu unberechenbar.

»Er wirkt auf den ersten Blick beängstigend, nicht? Aber eigentlich ist er ganz lieb. Ein großer, verschmuster Teddybär.«

Ich nicke und schiebe die Hände in die Jackentasche.

Der dumpfe Aufprall des Koffers neben mir lässt mich aufblicken. Ein grimmiger Zug legt sich um Hennings Lippen, aber er ignoriert mich. »Danke, Henning!« Merle zwirbelt grinsend eine Haarsträhne. »Wenn du ihn noch nach oben tragen könntest, gebe ich dir ein Stück Butterkuchen für die Schicht mit.«

Er zieht eine Grimasse und brummt, während Merle die Stufen zur Tür hinaufsteigt.

Was hat ihm denn die Laune verdorben?

Kapitel 3

Es riecht nach Lavendel und Neuanfang.

Der beige Hausflur führt in eine niedliche Wohnküche. Weiße Fliesen mit blauen, nautischen Motiven zieren die Wand am Herd. Davor ein Holztisch, mit einem Picknickkorb und einem Strauß aprikosenfarbener Rosen darauf. Alles blitzsauber.

»Das Schlafzimmer ist oben neben dem Bad. Hier vorne findest du ein kleines Wohnzimmer mit Terrasse und Seeblick«, erklärt Merle geschäftig. »Ich hoffe, dass du dich wohlfühlst. Wenn irgendetwas fehlt, dann ruf mich an. Ich wohne nur drei Häuser weiter.«

»Danke, das ist toll.« Endlich jemand, der mir ein gutes Gefühl vermittelt. Ein Willkommenshauch. Vielleicht weil sie mich ein wenig an Lena erinnert, mit ihrer herzlichen Art.

Merle nickt und öffnet ein Oberschränkchen. »Tee?«

Schon steht ein blecherner Teekessel auf dem Herd. Also nicke ich. Traditionelle Brühweise. Das muss ich mir gleich abgucken. Schritte hallen von der Treppe, und Henning stößt mit verschlossener Miene zu uns.

»Sonst noch was?«, meint er mürrisch zu Merle, die den Kopf schüttelt.

»Danke! Nimm dir etwas Kuchen mit.« Sie öffnet den Picknickkorb und reicht ihm zwei Stücke Rührkuchen mit Puderzuckerhaube.

»Okay, dann bis bald!« Sein Blick verharrt einen Augenblick unergründlich auf mir, bis er nach draußen tappt und die Tür ins Schloss fällt. Und ein merkwürdiges Gefühl in meinem Bauch zurückbleibt.

Was kümmert’s mich! Vermutlich treffe ich ihn so bald nicht wieder.

»Henning ist eher ein beherrschter Typ. Manchmal etwas rau. Aber er hat ein gutes Herz«, sagt Merle schulterzuckend. »Ich hoffe, deine Fahrt mit ihm war angenehm?«

Sie nimmt den pfeifenden Teekessel vom Herd und gießt Teeblätter auf. Herber Duft breitet sich aus.

»Er und Odin sind ein unschlagbares Team. Sie sind unsere Ordnungshüter auf Borkum. Auch wenn er es nicht zugibt, Henning weiß immer, was auf der Insel abgeht. Ich frage mich, wie er das macht.«

Sie schiebt mir die Tasse mit karamellfarbenem Tee rüber, und ich setze mich auf einen Korbstuhl. Merle holt Servietten aus der Schublade und schneidet den Kuchen an. Er schmeckt himmlisch. Fluffig weich und nach Butter.

»Als Polizist kommt man eben überall herum.« Ich wische Krümel aus dem Mundwinkel.

»Er wird ein toller Onkel werden.« Sie streicht über ihren Bauch.

»Dann seid ihr verwandt oder verschwägert?« Dem Bäuchlein zufolge ist sie sicher im sechsten oder siebten Monat.

»Ja. Ich habe seinen Bruder Mattis im Urlaub hier kennengelernt, und da hat es gefunkt. Als Reisekauffrau kann ich überall arbeiten und habe ein paar Ferienhäuschen übernommen. So vermisse ich die Kunden aus dem Reisebüro nicht zu sehr.«

»Das verstehe ich.« Ich beiße in den weichen Kuchen. »Ich schätze die Arbeit mit den Menschen auch. Man hat das Gefühl, etwas Gutes zu tun, stimmt’s?«

Ich kippe zwei Löffelchen Zucker in den Tee, den Ausdruck friesisch herb habe ich bislang wohl unterschätzt.

»Was arbeitest du denn?«

»Ich bin Ärztin. Das ist der Grund, weshalb ich eine Weile auf Borkum bleiben werde.«

Es fühlt sich gut an, mich Merle anzuvertrauen, sie vermittelt mir ein Gefühl von Ankommen. Vielleicht weiß sie Nützliches zu Dr. Kniepins Senior oder der Seenothilfe. Vielleicht öffne ich mich auch nur, weil mir jetzt schon meine Freunde fehlen.

»Ah, dann bist du die Ärztin, die Dr. Kniepins aushelfen soll? Er hat das bei der letzten Vorsorgeuntersuchung erwähnt. Wie schön, er wird sich freuen, wenn er weibliche Unterstützung bekommt. Der alte Kerl übernimmt sich gerne mal, statt dass er die Patienten in die Klinik überweist.«

Irgendetwas an der Art, wie Merle das Wörtchen schön langzieht, spricht nicht dafür, dass sich der Arzt auf meine Hilfe freut. Im Gegenteil … Immerhin ist es ehrgeizig, die Patienten nicht in die Klinik zu überweisen.

»Wie ist er denn so?«, hake ich nach und rühre im Tee.

»Er wirkt anfangs verschroben, aber er hat ein gutes Herz. Man muss ihm nur etwas Zeit geben, das zu zeigen. Es wird ihm guttun, jemanden bei sich zu haben, der sich mit moderner Medizin auskennt.« Sie lächelt aufmunternd. Das klingt nicht nach einem offenherzigen Menschen. Eher nach einem alten Landarzt, der Pfefferminztee gegen Magenbeschwerden brüht, weil er Pharmazie verabscheut.

»Dann bin ich mal gespannt.« Ich unterdrücke die aufwallende Nervosität. Der Butterkuchen sättigt, und trotzdem freue ich mich auf eine spätere warme Mahlzeit.

»Wo kann ich hier einkaufen?«

Merle schiebt mir noch ein Stück auf den Teller. »Du findest alles zu Fuß erreichbar in der Umgebung. Wenn du Kontakte knüpfen willst, dann kann ich dir das Watt’n Gin empfehlen. Das ist die Stammkneipe der Einheimischen. Ich nehme dich gern auf ein Glas Eistee mit dorthin.«

Ich nicke dankbar, denn allein würde ich mich in keine Kneipe setzen. Obwohl ich als Ärztin arbeite, fällt es mir privat nicht leicht, auf Fremde zuzugehen. In der Klinik erledigt das mein weißer Kittel automatisch.

»Gerne, das wäre toll.«

»Heute Abend? Da gibt es übrigens leckeren Fischeintopf oder Krabbenbrötchen. Dann kann ich dir auch Mattis vorstellen. Nach der Feuerwehrschicht lässt er dort öfter den Feierabend ausklingen.« Sie nippt am Tee.

»Klingt gut.« Doch es gibt noch ein Problem – die Seenot. Ein gewisser Ole hat mir geschrieben, ich solle einfach vorbeischauen. Ungeplant also.

»Und kann ich hier ein Fahrrad leihen?«

»Im Keller sind welche. Fahrräder sind in der Vermietung inbegriffen. Es gibt tolle Fahrradwege an den Dünen im Naturschutzgebiet oder am Seedeich entlang.«

»Auch zum Schutzhafen?«

Merle nickt. »Na sicher. Wir müssen nur noch überlegen, wo wir deinen Wagen abstellen. Ich habe schon eine Idee, aber lass uns heute Abend im Watt’n Gin mal unseren Fischer, den Sören fragen.«

»Ich danke dir, Merle.« Sie scheint wirklich ein Engel zu sein.

Lächelnd räumt sie die Teetassen in die Spülmaschine. »Gerne. Dann hole ich dich gegen acht ab, ja?«

Sie läuft aus der Küche und drückt den Rücken durch. Ich begleite sie zur Holztür.

»Ich freue mich.«

Merle schlüpft hinaus, und ich wandere in das obere Stockwerk, um mein Schlafzimmer für die nächsten Monate zu betrachten. Die hellblauen Wände passen perfekt zu den weißen Möbeln. Eine große Möwenfotografie hängt über dem Boxspringbett. Gegenüber befindet sich ein kalkweißer Kleiderschrank, und davor liegt ein flauschiger Teppich. Weckgläser mit Sand und Muscheln stehen am Fenster, das einen fantastischen Blick auf das Watt freigibt. Eine Karawane Touristen hinterlässt dort Fußspuren im Schlick.

Das könnte mein geschützter Raum auf der fremden Insel werden. Ich verstaue meine Kleidung und den Koffer im Schrank. Danach pudere ich meine Nase und ordne mein wirres Haar im Bad.

Mit Kribbeln im Bauch ziehe ich den Hausschlüssel ab und gehe in den Keller, um das mintfarbene Damenrad nach draußen zu schieben.

Kühle Luft strömt in meine Nase, und ich schließe die Augen. Hier bin ich nun gestrandet.

Möwengekreische und Rauschen. Das ist sie jetzt, meine Hintergrundmusik. Kein donnernder Verkehr in der Morgenzeit.

Ich könnte das genießen!

Der Radweg zum Schutzhafen zieht sich. Ich folge den Schienen und den sattgrünen Büschen, bis sich fischiger Hafenduft verbreitet. Endlich! Meine Waden brennen wie nach einer Achtundvierzig-Stunden-Schicht in der Klinik.

Mit einem tiefen Atemzug steige ich vom Rad. Die Sonne steht tief und wird bald den Wasserspiegel küssen, bevor die Sterne erwachen. Langsam schiebe ich das Fahrrad den Steg entlang, bis ich die schwarze Aufschrift Alfried Krupp auf dem orangeroten Anstrich des Rettungskreuzers entdecke. Zwei Stege weiter liegt er im Wasser. Ich lehne das Rad an einen Pfahl und streiche die Jacke glatt.

Wow! Imposant, der Rettungskreuzer. Mein Blick gleitet über das integrierte Tochterboot am Heck bis zum Funkmast, der in den Himmel ragt.

Kaum zu glauben, dass sich dieses Schiff durch die höchsten Wellen der Nordsee beißt. Irgendwie erinnert es an eine Nussschale … aus Aluminium. Nicht so groß und wuchtig, wie ich dachte. Vielleicht ist es genau das, was es so verlässlich macht, seine einzigartige Form.

Ich schüttle den Kopf und laufe zum Kreuzer.

Search and Rescue.

Ich runzle die Stirn und lausche.

»Du siehst das zu engstirnig, Henning.« Der Mann mit dem Ziegenbart reibt sich den Nasenrücken und tigert die Reling entlang.

Ist Henning Seenothelfer?

»Wir sind genug, Ole. Wir rufen sie, wenn wir einen Notruf reinkriegen, der einen Arzt erfordert. Zu viele Personen auf dem Kreuzer behindern die Abläufe. Außerdem haben wir alle den erweiterten Erste-Hilfe-Schein. Wir brauchen sie nicht fest an Bord.« Henning wirft die Arme in die Luft und stapft dem Kerl hinterher.

Frechheit!

»Es ist nur von Vorteil, wenn sie von Anfang an dabei ist. Alles andere wird sie schon lernen. Der Notarzt weiß auch nicht, was zu tun ist, wenn wir auf dem Kreuzer technische Probleme bekommen. Nicht jeder muss das vierwöchige Grundtraining zwingend absolvieren. Wir können dankbar sein, dass wir durch sie verschreibungspflichtige Medikamente mitführen dürfen und sie uns das Intubieren abnimmt, falls nötig.« Ein schiefes Lächeln zeichnet sich über Oles Ziegenbärtchen ab. Die blauen Augen blicken ernst zu Henning, der den Kopf schüttelt, seine braunen Haare windzerzaust.

Ob ich lieber morgen wiederkommen soll? Ich bin Ärztin und keine Nautikerin und möchte das sicher auch nicht werden.

»Die Scheißmedikamente sind kein Grund, sie für die paar Monate bei uns aufzunehmen. Ihr vertrauen zu müssen, nur damit sie dann wieder abhaut. Wir dürfen uns nicht an die Medikamente und den Luxus gewöhnen, eine Ärztin an Bord zu haben. Das sind wir nicht.« Seine letzten Worte werden vom Wind fortgetragen.

Ole fährt herum. »Ist es das, was dich stört? Dass du vertrauen musst? Sie ist nicht der erste neue Mensch, der auf den Kreuzer kommt. Es kann nicht jedes Mal in einer Diskussion enden.«

Hennings Miene verdunkelt sich.

Nein! Ich lasse mich nicht unterkriegen. Egal, was für ein Problem er mit mir hat, er muss damit klarkommen. Er weiß nichts über mich.

Ich recke das Kinn vor und stapfe die Aluminiumrampe zum Kreuzer hinauf.

Die beiden fahren auseinander.

»Kann ich helfen?« Ole schiebt sich an ihm vorbei.

»Ja, ich bin Clara Hartmann und soll hier einige Monate aushelfen.«

»Ah, super. Du bist das also.« Er reckt mir seine Hand vor. Schwielig umfasst sie meine. »Willkommen auf der Krupp!«

Henning dreht murrend ab.

»Gibt es ein Problem?«, frage ich in seine Richtung. Seine Schultern straffen sich.

»Nein, nein.« Ole hüstelt. »Henning hat nur nicht seinen besten Tag. Er ist übrigens einer unserer freiwilligen Seenotretter.«

Henning dreht sich gezwungenermaßen um und schürzt die Lippen. Der Bartschatten lässt seine Miene noch grimmiger wirken. Er macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung.

»Wir kennen uns bereits«, erkläre ich und verschränke die Arme. So viel soziales Engagement hätte ich dem sperrigen Kerl gar nicht zugetraut. An seiner Offenheit lässt sich aber noch arbeiten, bei so einer Miene würde ich als Schiffbrüchige sicher vor Schreck in Ohnmacht fallen …

Oles Blick wandert zwischen uns hin und her. »Ja? Woher denn?«

»Hab sie heute Mittag an der Greune aufgegabelt und ins Möwennest gebracht«, grummelt Henning.

»Das Autofahrverbot«, schlussfolgert Ole, und ich nicke. Das hätte Henning auch verschweigen können.

»Halbe Sachen sind hier auf dem Kreuzer jedenfalls nicht angebracht«, sagt er in meine Richtung.

»Das kann einem schon mal durchgehen«, sagt Ole.

Zum Glück sieht er meinen Fauxpas locker. Und trotzdem werfe ich Henning einen bösen Blick zu.

»Wenn das mal nicht im Einsatz passiert, wichtige Informationen zu verpassen. Auf der See gibt es keine Warnschilder, die vor gefährlicher Strudelbildung warnen«, schimpft er.

Will er mich vorführen? Auf so eine Kinderei lasse ich mich nicht ein. Idiot!

Ole stoppt.

»Das ist mir ein bisschen unangenehm. In der Regel weiß ich sehr genau, was zu tun und zu lassen ist«, sage ich schnell, um Henning den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ole weist mit der Hand einladend zum Kapitänshäuschen.

Erleichtert reiße ich mich von Hennings aufsässiger Miene los und folge Ole. Unsere Schritte hallen blechern und verschmelzen mit dem Surren und Piepen im Funkhäuschen. Monitor neben Monitor flimmert auf der hölzernen Armatur. Einer davon muss der Tiefseemesser sein, das einzige Instrument der Schifffahrt, das ich kenne. Ole öffnet eine schmale Tür, die unter Deck führt, und lässt mir den Vortritt. Nervös steige ich die Alutreppen hinab. Neonlicht flackert.

»Du wirst dir die Kajüte mit Henning teilen. Wenn dich das stört, stellen wir ein Feldbett im Aufenthaltsraum auf.«

Ich ziehe scharf die Luft ein. Ist es Karma, das mich an diesen unfreundlichen Kerl bindet?

Immerhin gibt es Kaffee. Ein Lichtblick. Er war mein treuer Nachtschichtbegleiter im Studium. So gerne ich Tee mag, Kaffee macht die Welt besser und Henning hoffentlich erträglicher.

»Wir sind eine Vier-Mann-Besatzung und wechseln die Schicht alle zwei Wochen. So lange wohnen wir auf der Krupp«, erklärt Ole, während wir zum Aufenthaltsraum am Ende des Ganges gehen. Eine gemütliche Eckbank mit Holztisch steht gegenüber der kleinen Küchenzeile mit den üblichen Elektrogeräten in Kleinformat. Die Kaffeemaschine gluckst. Alles ist mit schwarzen Gurten versehen. Sogar die Plätze auf der Bank. Sicher wegen des starken Seegangs. Hoffentlich bleibt der während meiner Anwesenheit aus. Ich halte an meiner Bilderbuchvorstellung der Seenotrettung fest. Bei gutem Wetter und besten Bedingungen.

»Ich als Vormann leite die Einsätze, Tilo ist unser Maschinist, der den Motor anwirft, wenn es ernst wird. Aike hält die Stellung im Funkhäuschen. Gordon ist unser Nautiker, er begleitet Henning meistens mit dem integrierten Tochterboot zu den Schiffbrüchigen, wenn wir außerhalb der Fahrrinne Einsätze fahren. Da ist es zu flach, das erkennst du an der Ahming, an Bug und Heck.« Ole zeigt auf angeklebte Besatzungsbilder an einem der Schränkchen. Sie alle lachen darauf. Sogar Henning. Er wirkt jünger im Kreise seiner Kollegen.

Ich nicke brav. Was auch immer dieses oder dieser Ahming ist, dass ich den nautischen Jargon nicht beherrsche, lasse ich mir nicht anmerken. Ich google das später. »Okay, heißt das, ich werde auch jeweils zwei Wochen bei euch sein?«

Nachtschichten oder Vierzig-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit während meines Studiums gewesen. Das dürfte auf dem Kahn hier schwierig werden.

»Nein, du wirst Joricks Bereitschaft übernehmen und vorerst einen Tag in der Woche inklusive Nachtschicht bei uns sein, bis du mit den Abläufen vertraut bist. Der Kniepins wird froh sein. Der kotzt sich bei Seegang immer noch gern mal die Seele aus dem Leib.« Ole öffnet einen Schrank und zieht eine Seenotrettungskluft hervor.

»Okay. Wann soll ich anfangen?«

Ich höre Schritte und spüre Hennings Präsenz im Rücken. Wie das schwarze Loch. Lauernd und bereit, Materie aufzusaugen.

Ich ignoriere ihn.

»Wann trittst du deinen Dienst bei Jorick an?« Ole reicht mir die Kluft. Der Stoff der beschichteten Jacke liegt kalt in meinen Händen.

»Morgen früh.«

»Fein. Dann wirst du Freitag deine erste offizielle Schicht bei uns haben. Henning wird dich unter seine Fittiche nehmen, nicht wahr?«

Ich schlucke hart und drehe mich. Hennings Augen verengen sich zu Schlitzen, und sein Kehlkopf zuckt. Er nickt und lässt eine geballte Faust hinter seinem Rücken verschwinden.

Das kann ja heiter werden …

Kapitel 4

Später am Abend

»Wow!« Das kleine Fachwerkhaus mit Reetdach steht in Schräglage vor mir. Über der Holztür klappert ein Blechschild mit der Aufschrift Watt’n Gin. Die Straßenlaterne schickt Lichtpunkte darüber. Das Häuschen erinnert auf den ersten Blick an ein Hexenhäuschen. Fehlt nur noch die Feuerstelle mit Kessel.

»Urig, oder? Warte ab, bis du drin bist.« Merle hakt sich bei mir unter und greift zur Türklinke.