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„Bin ihnen begegnet, den Göttern und Halbgöttern“ … unter strahlend blauem Himmel, in zerklüfteter, unberührter Landschaft und mit atemberaubendem Blick auf das ägäische Meer. Dieses Bild senkt sich im Kopf, denkt man an die Inselgruppe der Kykladen vor der griechischen Küste. Hier spielten sie eine tragende Rolle. Denn die Kykladen, mit ihren Mythen, sind die heiligen Inseln der olympischen Götter. Sie finden ihren Niederschlag in der Dichtung und Literatur eines Archilochos, Thukydides, Herodot und Ovid. Delos lud als Geburtsinsel des Gottes Apollon mit ausgefeilter Wohnkultur zu nächtlichem Gelage; einem Luxus der auf den Erträgen aus grausamem Sklavenhandel auf den Märkten der Insel gründete. Naxos erzählt die Geschichte einer verratenen Liebe; Ariadne, verlassen vom treuelosen Theseus, gerettet von Dionysos, der auf Naxos in Yria ein bedeutendes Heiligtum besaß. Sein göttlicher Halbbruder Apollon sollte gar einen kolossalen Tempel erhalten, den man zwar nie fertigstellte, dessen Tor aber zum Wahrzeichen der Insel wurde. Melos durch Obsidian-Vorkommen seit Urzeiten reich, ist Schauplatz eines vom Historiker Thukydides im 5. Jahrhundert v. Chr. in Szene gesetzten Dialogs, in dem es um Macht und Recht geht. Wunder gibt es immer wieder! Das zeigt die Gottesverehrung auf Tenos. Einst war es Poseidon, auf den Verzweifelte und Kranke alle Hoffnung setzten und dabei nicht selten durch wundersame Heilungen belohnt wurden. Heute ist es die Gottesmutter Maria, deren wundertätiges Bildnis in einer Wallfahrtskirche verehrt wird. Und dann ist da noch Thera / Santorin, deren unbeschreibliche Schönheit das Ergebnis einer der größten Naturkatastrophen aller Zeiten war – die uns aber gleichzeitig Momentaufnahmen des Lebens vor über 3.000 Jahren geschenkt hat.
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Seitenzahl: 342
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KYKLADEN
Von Delos bis Santorin
Kurt Roeske und Patrick Schollmeyer
Cover
Titel
Vorwort
Zur Einstimmung
Schauplätze – Die Kykladen im Wandel der Zeiten | Zum Auftakt – Museums- statt Meeresluft | Zeitlos schön – Die Kykladenidole und ihre Epoche | Eine farbenfrohe Epoche – Die Herrschaft des Minos | Neue kriegerische Herren – Die goldreichen Mykener auf den Kykladen | Bewegte Zeiten – Aristokraten geben den Ton an | Zwei Zeitzeugen der Extraklasse – Herodot und Thukydides | Ein Konflikt schlägt hohe Wellen – Der Perserkrieg und die Kykladen | Könige und Kaiser regieren die Welt – Die Kykladen, Spielball der Mächtigen | Epilog – Die Zeiten verdüstern sich | Die Reise geht los: Eine besondere Beziehung – Athen und der Nordwind | Mit Sturmgebraus übers Meer – Von Seenot und Schiffbrüchen | Ein Selbstmörder gibt dem Meer seinen Namen | Aigeion, der gestürzte Riese – Symbol der Bedrohung
Melos – Die gottverlassene Insel
Begehrtes Gestein – Früher Fernhandel | Auf den Spuren der Globalisierung – Ein bronzezeitliches Handelszentrum | Eine außergewöhnliche Frau – Die Lady von Phylakopi | Ein noch berühmteres Idol – Die Venus von Milo und ihre spannende Entdeckungsgeschichte | Die Heimatstadt der Venus | Schauplatz einer Tragödie – Der Untergang der Melier | Ende der Geschichte
Santorin / Thera – Ein Geschenk des Meergottes Triton
Akrotiri – Das bronzezeitliche Pompeji | Streit der Gelehrten – Datierungsprobleme | Hirngespinste? – Der ewige Mythos von Atlantis | Neue Besiedlung nach der Katastrophe – Ein erstes Lehrstück griechischer Kolonisation | Hoch am Berg – Die Siedlung der Theräer | Mannwerdung in Alt-Thera | Sport als Bildung | Warum in die Ferne schweifen – Ein zweites Lehrstück griechischer Kolonisation | Abstieg – Vom kahlen Felsen der Erinnerung zur lebensspendenden Quelle | Zeitenwechsel – Ein umgebauter Tempel
Naxos – Die Insel des Dionysos
Konflikte aller Arten | Die bestrafte Liebe der Aloaden | Das Tor des Tyrannen | Die Ankunft des Dionysos | Orte der Verehrung und des kultischen Weingenusses – Frühe Tempelbauten für den Herrn der Gelage und andere Götter | Steinreich | Der Gott und die schlafende Schöne – Ariadne auf Naxos | Ariadnes Klage | Assoziationen | Das brutale Ende des Reichtums – Naxos und der Ionische Aufstand
Paros – Gottgesegnete Heimat eines besonderen Steines sowie eines grossen Dichters
Der Leuchtende | Schweres Schicksal – Viel Steine gab’s und wenig Brot | Was von der Pracht übrigblieb | Athens Griff nach der Insel – Der Tod eines Helden | Eine neue Herrin – Von Demeter zur Allheiligen | Heimat eines Genies – Archilochos, die Stimme des Individuums in der lyrischen Dichtung | Der Wandel der Gesellschaft und die Geburt der monodischen Lyrik | Zwei Herzen schlagen in einer Brust – Krieger und zugleich Dichter | Umwertung | Der verlorene Schild | Bewährung im Leid | Die Liebe | Leid und Freude im Menschenleben | Die Illusion des Nachruhms
Zwischenstation – Mykonos, Tor nach Delos
Frevel und Tod eines großen Helden | Bilder des Leids – Erinnerung und Mahnung
Weithin leuchtender Stern – Heilige Insel Delos
Lobpreisungen der Dichter | Jenseits der Poesie – Nachantike Inselbesucher | Ein Norddeutscher in bayerischen Diensten – Die Archäologie hält Einzug | Geburtsstation nach einem Eifersuchtsdrama | Eine goldene Zukunft – Die Verheißungen der Götter | Der Gott schützt die Seinen – Eine Episode aus den Perserkriegen | Über Stock und Stein – Auf Spurensuche in den Ruinen von Delos | Im Angesicht Apollons – Das delische Hauptheiligtum | Der Herr der Tempel – Ein Wunderkind macht Furore | Die Scharen strömen – Prominente und weniger prominente Besucher des Heiligtums | Der Hörneraltar – Ein Held macht Station auf der Insel und tanzt vor Glück | Immer nur Männer, wo sind die Plätze der Göttinnen? | Eine schwierige Geburt am Heiligen See – Die Palme der Leto | Die großen Tabus | Großreinemachen eines Tyrannen | Die hockenden Löwen von Delos – Steinerne Zeugen glanzvoller Prozessionen | Eine besondere Zeit – Warten auf den Tod | Bedauernswerte Nachbarn – Der Sklavenmarkt von Delos | Das andere Delos – Der Glanz einer internationalen Handelsmetropole | Zeitvertreib für die städtische Jugend – Athletische Vergnügungen | Fremd und doch heimisch – Kultanlagen für nichtgriechische Gottheiten | Versunken im Straßengewirr – Die Häuser der Besserverdienenden | Private Festfreuden – Partys nur für Männer | (K)ein Haus wie das andere – Architektur und Ausstattung der delischen Wohnviertel | Zu Gast bei Neureichs – Ein Augen- und Gaumenschmaus | Unterhaltung pur – Das Theater und sein Publikum | Hohe Schauspielkunst oder bloßes Geschrei? – Die Qualität der Aufführungen | Gefeiert, aber rechtelos – Die infame Welt der Schauspieler | Außer Rand und Band – Das antike Theaterpublikum | Ein langer Tag im Theater – Essen und andere Vergnügungen | Das eigentliche Spektakel – Junge Männer und schöne Frauen | Spielverderber – Christliche Eiferer treten auf den Plan | Abschied von der Stadt – Die ehrgeizige Gattin | Die Lichter gehen endgültig aus – Das letzte Opfer für Apollon
Tenos – Heiliges Pilgerziel, einst und jetzt
Eine Säule, die sich bewegt – Die brausende Trauer des Windgottes | Besuch bei einer Nationalheiligen | Eine zweite allmächtige Jungfrau – Die Kopfgeburt der Athena | Ein Heiligtum am Meer – Die heidnischen Vorgänger der Muttergottes | Poseidon als Heil- und Festgott | Antike Krankenhausgeschichten | Zum Abschied auf den Berg – Die malerischen Ruinen von Exoburgo
Lesehinweise | Personenregister | Bildnachweis | Impessum
Es ist ein Zufall, aber dennoch nicht minder passend, wenn im Lutherjahr 2017 eine neue Reiseführerreihe startet, die sich Schauplätze der Antike nennt. War es doch der wortgewaltige Reformator, der den Begriff des Schauplatzes in die deutsche Sprache eingeführt hat. Er benötigte ihn, um das neutestamentlich-griechische Theatron angemessen übersetzen zu können. Gemäß dem zugrundeliegenden griechischen Verb theasthai (schauen, zuschauen) sollen die Reisenden in die Lage versetzt werden, vor Ort in die Welt der Antike einzutauchen, sich als echte Zuschauer zu fühlen. Es geht dabei weniger um die Vergegenwärtigung kunsthistorischer Zusammenhänge als vielmehr um die antiken Menschen selbst, ihr Handeln und ihre Gedankenwelt. In der Tat sollen die in den Bänden der Reihe behandelten Landschaften und Stätten als Theater, mithin als Bühne und zugleich Kulisse für das vergangene antike Leben begriffen werden. Zu diesem Zweck kommen vor Ort originale Texte bedeutender antiker Dichter, Denker und Historiker in moderner und leicht verständlicher deutscher Übersetzung zu Wort. Sie erfüllen die Ruinen mit Leben und lassen die Toten wieder auferstehen. Vor dem inneren Auge des Reisenden entsteht auf diese Weise ein buntes Panorama längst vergangener Zeiten, das einen unmittelbaren Zugang ebenso zur großen Geisteswelt wie auch zum Alltag der Antike ermöglicht.
Am Anfang der Reihe steht ein Band zur malerischen Inselwelt der Kykladen. Auch wenn diese abseits der üblichen Pfade der bildungshungrigen Touristen liegen, so finden sich dort doch überaus faszinierende Stätten, Schauplätze mythischer Liebespaare, Kulissen blutiger historischer Ereignisse und Bühnen für die großen und auch vielen kleinen Gestalten der Geschichte.
Der Text wurde von beiden Autoren gemäß ihrer jeweiligen fachspezifischen Ausrichtung weitgehend gemeinsam gestaltet, wobei der eine die Grundidee zur Reihen- und Bandstruktur sowie die archäologischen Abschnitte und der andere Auswahl, Übersetzung und Kommentierung der literarischen Zeugnisse beigesteuert hat.
Die beiden Autoren haben vielfältigen Dank abzustatten. Der erste gebührt der Verlegerin Annette Nünnerich-Asmus und ihrem engagierten Team. Sie hat sich nicht nur in bewährter Professionalität dem Vorhaben angenommen, sondern selbst am Grundkonzept mitgewirkt. Zu danken ist weiter Angelika Schurzig für die Herstellung von Abbildungsvorlagen sowie insbesondere dem Althistoriker, Klassischen Philologen und Freund Rolf Walther für kompetente fachliche Beratung. Hoffen wir, dass die Mühe all derer, die bei der Entstehung des vorliegenden Bandes mitgewirkt haben, von Erfolg gekrönt sein wird. Möge der vorliegende Band und die Reihe an sich ihr wohlwollendes Publikum finden!
Mainz, 20. März 2017
Kurt Roeske
Patrick Schollmeyer
Abb.1 Blick in die Caldera von Santorin
Wer heute die Inselwelt der Kykladen bereist, befindet sich meist unbewusst auf der Suche nach der typischen Postkartenidylle, die längst zum Synonym für Griechenland schlechthin geworden ist: Strahlendweiße würfelförmige Häuser mit blauen Dächern, umgeben von der nicht minder tiefblauen Ägäis, eingetaucht in gleißendes Sonnenlicht (Abb.1); ein Szenario, das zum Träumen verführt und vor allem pure Erholung verspricht. Der besondere Ruf von Mykonos und Ios als freizügige Partyinseln lenkt dann in der Regel vollends den Blick auf die angenehmen Seiten des Lebens. Klassische Bildung scheint in diesem Klischee dagegen nicht unbedingt vorzukommen. Nur wenige der jungen Partybegeisterten, die im Hochsommer alljährlich in Scharen auf die ansonsten höchstens von 1500 Personen bevölkerte Insel Ios strömen, dürften wohl dorthin reisen, um Ausschau nach dem Grab Homers zu halten, der dort laut Pausanias (10, 24, 2), einem griechischen Reiseschriftsteller des 2. Jhs. n. Chr., aus Verbitterung darüber starb, dass er ein Rätsel nicht lösen konnte, das ihm die einheimischen Fischer gestellt hatten. Überhaupt gibt es kaum Ereignisse oder bekannte Persönlichkeiten, die im kulturellen Gedächtnis der Menschheit so fest mit den Kykladen verbunden sind, dass die Inseln deshalb prominente Erinnerungsorte wären, die es unbedingt aufzusuchen gilt. So braucht es auch Niemanden zu wundern, dass die Kykladen nicht unbedingt als erste Adresse für Bildungsreisende gelten. Wer die berühmtesten klassischen Schauplätze Griechenlands aufsuchen möchte, zählt in der Regel die Kykladen ganz anders als Athen, Delphi, Epidauros, Mykene und Olympia nicht zu seinen Topfavoriten.
Doch dieses Bild trügt. Die Kykladen haben eine faszinierende Geschichte zu bieten, die bis zu den Anfängen europäischer Hochkulturen schlechthin führt und voll von Geschichten interessanter Menschen ist, die die Inseln gleichsam zu besonderen Schauplätzen des antiken Griechenlands machen. Bedeutend für die alten Griechen waren sie jedenfalls schon allein deshalb, da sie nach damaliger Vorstellung einen Kreis (gr. Kyklos) um einen der heiligsten Orte des Altertums bildeten, nämlich um Delos, die Geburtsinsel der göttlichen Zwillinge Artemis und Apollon.
Bevor wir jedoch die Reise beginnen können, sollten wir uns mit der Geschichte der Inselregion zumindest in den Grundzügen vertraut machen. Hierzu eignet sich insbesondere der Besuch zweier einschlägiger Museen in der griechischen Hauptstadt Athen, ist doch der dortige Flughafen wegen der vielen internationalen Verbindungen ohnehin meist die erste Station einer Kykladenreise, dies gilt in der Regel auch für diejenigen, die mit dem Zug, dem Bus oder dem eigenen Auto anreisen wollen. Denn man erreicht die Kykladen am bequemsten per Fähre von Athens Hafen Piräus aus. Es spricht folglich so einiges dafür, die Inselrundreise hier beginnen zu lassen.
Abb.2 Marmornes Kykladenidol, 3. Jt. v. Chr., Nationalmuseum Athen
Der Museumsbesuch hat zudem den Vorteil, dass dortige Zeitzeugen, wenn auch stumme, dennoch dem, der sie zu befragen weiß, umso beredter von längst untergegangenen Kulturen erzählen, die das Inselleben einst geprägt haben. Wer die Historie der Kykladen kennenlernen möchte, sei auf die entsprechenden Abteilungen des Archäologischen Nationalmuseums und die öffentlich zugängliche Spezialsammlung der reichen griechischen Reederfamilie Goulandris verwiesen. Dort stehen in Hülle und Fülle kostbare Artefakte aller Materialen, Formen und Zeiten bereit, deren Studium das für eine Reise notwendige historische Rüstzeug liefert.
Ins Auge springen sogleich die unzähligen kleinen Marmoridole aus der Bronzezeit (Abb.2), die in geradezu modern-abstrakter Gestaltung menschliche Wesen beider Geschlechter zeigen. Die nach den Inseln benannte Kykladenkultur erreichte im 3. Jt. v. Chr. (2700–2250v.Chr.) ihren Höhepunkt. Damals lebten die Menschen in Familienverbänden in Dörfern, die über die Inseln verstreut waren. Es wurde Ackerbau betrieben, man pflanzte Weinreben sowie Olivenbäume und züchtete Schafe, Ziegen sowie Schweine. Es gab einen regen Handelsverkehr nach West und Ost. Marmor (Naxos und Paros), Obsidian (Melos), Bauxit und Kupfer (Naxos) wurden exportiert, Zinn aus dem Osten importiert. Zum Transport dienten Langschiffe ohne Segel, die mit bis zu 40 Ruderern bemannt waren. Nach Ausweis der Grabbeigaben gab es bereits eine elitäre Oberschicht. Im Lauf der Zeit wuchs die Bevölkerung, und je mehr Menschen sich um Haus und Hof kümmern konnten, umso mehr Männer widmeten sich der Seefahrt, dem Handel und der Piraterie, was wiederum dazu führte, dass man anfing, die Siedlungen durch Befestigungen vor Überfällen zu schützen.
Abb.3 Kykladenpfanne, 3. Jt. v. Chr., Archäologisches Museum Naxos
Die Kykladenkultur wird in erster Linie von den Marmorfiguren repräsentiert, die man in großer Zahl in Gräbern auf den Inseln gefunden hat. Ihnen waren im Neolithikum Darstellungen von dickleibigen Frauen vorausgegangen, die auf die Verehrung einer Fruchtbarkeitsgöttin, wie wir sie aus Asien kennen, schließen lassen. Die meisten Kykladenfiguren sind stehend, weiblich, nackt mit vor dem Körper verschränkten Armen und betonten Geschlechtsmerkmalen dargestellt. Einige scheinen geschlechtslos zu sein, und nur ein kleiner Teil ist männlich. Bemerkenswert sind Musikanten, die Harfe oder Flöte spielen. Alle Skulpturen waren bemalt und ihre Größe differiert von 15cm bis zu 1,50m. Da man sie nicht aufstellen konnte, ist zu vermuten, dass die Menschen die kleineren von ihnen – vielleicht als Amulett – getragen haben. Sie wurden gewiss nicht als Kunstwerke hergestellt und betrachtet. Nur von etwa 20% der ca. 14.000 Figurinen ist ihre Herkunft bekannt, sodass man sich ihrer Echtheit sicher sein kann. Was – oder besser gesagt – wen sie abbilden, bleibt daher weiterhin umstritten. Die häufig in Gräbern gefundenen Werke könnten sowohl Götter als auch Sterbliche darstellen. Auch weiß man bedauerlicherweise nicht, was ihre eigentliche Funktion war, ob sie etwa in magischen Ritualen eine besondere Verwendung fanden.
Am Beginn der europäischen Moderne haben sie jedenfalls eine große Rolle gespielt. Zahlreiche Künstler des 19./20. Jhs. ließen sich von den Idolen inspirieren und waren begeistert von ihrer so einfachen wie klaren Formensprache. Gerade das „Antiklassische“, das Abstrakte, was man für zeitlos hielt, faszinierte sie. Henry Moore (1889–1986) hat ihre „elementare Einfachheit“ bewundert, Pablo Picasso (1881–1973) ihre „bloße Form“. Künstler wie Paul Gauguin (1848–1903), Amadeo Modigliani (1848–1920), Constantin Brancusi (1876–1957), Alberto Giacometti (1901–1966), Hans Arp (1886–1996) und Henri Matisse (1869–1954) sahen in den Kykladenfiguren etwas, das ihren eigenen Intentionen entsprach.
Außer den Figuren verdienen auch die sogenannten, meist in Gräbern gefunden „Griffschalen“ Erwähnung, die man fälschlich als „Kykladenpfannen“ bezeichnet (Abb.3). Sie können nicht als Pfannen gedient haben, da sie keinerlei Brandspuren aufweisen und weil sie auf der Unterseite verziert sind. Die Darstellungen, Wellen des Meeres, Fische, Schiffe, Sonne und Sterne, deuten auf Schifffahrt, Handel, Fruchtbarkeit hin und legen die Vermutung nahe, dass es sich um Trink- und Spendengefäße für religiöse Feste handelte. Neuerdings wurde eine Nutzung als Trommeln vorgeschlagen, mit denen man den Ruderen der Kykladenschiffe den notwendigen Takt geschlagen habe. Aber wie bei den Figurinen muss letztlich auch die Deutung der Kykladenpfannen spekulativ bleiben.
Im 2. Jt. v. Chr. kam die Ägäis unter den Einfluss der kretischen Minoer. Über die Gründe des Niedergangs der Kykladenkultur kann man nur spekulieren: Sickerten neue Bevölkerungsgruppen ein? Verringerten sich die Bodenerträge, sodass die Abhängigkeit von Importen wuchs? Brach der Handel zusammen, weil die von den Kretern entwickelten mit Segeln ausgerüsteten Schiffe denen der Kykladenbewohner überlegen waren? Gab es soziale Unruhen, Aufstände? Haben Erdbeben schwere Schäden angerichtet?
Über die Herrschaft der Minoer schreibt der Historiker Thukydides aus Athen (ca. 456 – ca. 396v.Chr.) in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg (431–404v.Chr.) folgendes:
Von denen, über die wir durch mündliche Überlieferung Kenntnis haben, war Minos der Erste, der eine Flotte baute und die Herrschaft über einen sehr großen Teil des Meeres errang, das jetzt das „hellenische“ heißt, der die Kykladen eroberte und die meisten von ihnen als Erster besiedelte, nachdem er die Karer vertrieben und seine Söhne als Herren eingesetzt hatte. Natürlich bekämpfte er auch nach Kräften die Piraterie, um höhere Einkünfte zu erzielen.(1,4).
„Minos“ war kein Eigenname, sondern wahrscheinlich ein vererbbarer Titel des Königs. Von diesem Wort, das einer vorgriechischen Sprache angehört, ist der Name der Kultur abgeleitet, die alle Inseln der Ägäis geprägt hat. Wenn Thukydides davon spricht, dass die Minoer die Kykladen als Erste besiedelten, so meint er wohl, dass sich unter ihrer Herrschaft erstmals so etwas wie staatliche Strukturen herausbildeten. Heute weiß man, dass die Minoer die Kykladen nicht beherrschten, sondern dass sie vielmehr Handelsniederlassungen gründeten und dadurch eine starke, auch kulturelle Dominanz erlangten.
Abb.4 Schiffsfresko aus Akrotiri, Ende 17. Jh. v. Chr., Nationalmuseum Athen
Im ersten Stock des Athener Nationalmuseums kann man besonders farbenfrohe Erzeugnisse dieser bunten Epoche bewundern. Es handelt sich dabei um Wandmalereien, die auf der Kykladeninsel Santorin zum Schmuck von Häusern einer einst lebhaften, beim heutigen Ort Akrotiri gelegenen bronzezeitlichen Hafensiedlung dienten, die bei einem Vulkanausbruch wohl im 17. Jh. v. Chr. verschüttet wurde. Zu sehen sind reich gewandete junge Frauen (Göttinnen, Kultdienerinnen?), boxende Knaben, ein Fischer mit seinem reichen Fang und Tiere aller Arten, darunter die berühmten fliegenden Schwalben. Ein Fresko wirft besondere Fragen auf: Es schmückte die Wände des Zimmers 5 im oberen Stockwerk des Westhauses und zeigt ein großes Panorama mit einer Schiffsprozession auf dem Meer und menschlichen Siedlungen am Ufer (Abb.4). Über Soldaten auf einem Schiff sind „Eberzahnhelme“ aufgehängt, die man eigentlich erst aus der mykenischen Zeit kennt. Hatten die Theräer ebenfalls derartige Helme? Waren schon in so früher Zeit Mykener auf der Insel – als Herrscher oder als angeworbene Söldner?
Man geht davon aus, dass die kykladische Inselwelt um 1500v.Chr. von neuen, noch kriegerischeren Herren, als die minoischen Kreter es waren, erobert worden ist. Diese kamen diesmal von Westen, vom griechischen Festland her, auf dem sie sich ca. 2000v.Chr. festgesetzt hatten. Das Athener Nationalmuseum beherbergt die grandiosen Funde Heinrich Schliemanns aus Mykene und ermöglicht damit vor Ort einen einzigartigen Einblick in die materielle Kultur der nach diesem Hauptfundort benannten Mykener.
Ihre Fürsten residierten aber nicht nur in Mykene selbst, dessen Herrscher laut griechischer Mythentradition freilich eine besondere Stellung zukam, sondern auch in anderen, in der Regel ebenfalls schwer befestigten Zentren wie Orchomenos, Theben, Athen, Tiryns, Pylos und Sparta. Wie die minoischen Paläste standen auch die trutzigen mykenischen Burgen inmitten von Siedlungen. In ihrer Architektur unterschieden sie sich aber von ihnen: Sie waren auf einen rechteckigen Thronsaal, das Megaron, hin ausgerichtet. Die Mykener schufen eine eigene Schrift, eine Silbenschrift, die man als Linear B bezeichnet und die 1952 entziffert worden ist. Die Menschen, die sie benutzten, sprachen also ein frühes Griechisch. Man hat auf Kreta und auf dem Festland fast 6.000 kleine beschriftete Tontäfelchen gefunden, deren Erhalt der Tatsache verdankt wird, dass sie bei der Zerstörung der Häuser durch das Feuer gehärtet worden sind. Mehr als die Hälfte stammt aus Knossos, das die Mykener ebenfalls eroberten. Die Schrift diente lediglich der Verwaltung, für längere literarische Texte war sie hingegen ungeeignet. Sorgfältig wurde über die Güter Buch geführt, die von den Untertanen als Abgaben an den König geliefert werden mussten und über die Güter, die den Palast verließen. Wir lernen aus den Täfelchen viel über die frühe Form der griechischen Sprache, außerdem geben sie uns Auskunft über die Landwirtschaft, die Herrschafts- und Sozialstruktur, über Berufe, Verträge und die Religion. So konnten Götternamen wie Zeus, Poseidon, Hera, Artemis, Athena, Dionysos und Hermes sicher entziffert werden. Apollon erscheint nur mit seinem Beinamen „Paian“, Aphrodite gar nicht. Zudem findet eine namenlose Herrin (gr. Potnia) häufige Erwähnung.
Die Mykener pflegten die Handelsbeziehungen weiter, die die Minoer geknüpft hatten. Ihre Kunst war von den Minoern beeinflusst, ohne jedoch reine Nachahmung zu sein. Manche Objekte dürften gar direkt aus minoischen Werkstätten stammen. Um 1200v.Chr. ereilte die mykenischen Burgen auf dem Festland das Schicksal der gewaltsamen Zerstörung – sie wurden nie wieder aufgebaut. Zur gleichen Zeit brach das Hethiterreich zusammen und Ägypten wurde bedroht.
Ägyptische Quellen sprechen von „Seevölkern“. Über die Frage, wer sie waren, woher sie kamen und ob sie wirklich die Ursache der globalen Katastrophe gewesen sind, rätselt die Wissenschaft bis heute. Man nimmt an, dass es eine durch klimatische Veränderungen im Mittelmeerraum verursachte Dürreperiode mit entsprechendem Getreidemangel und nachfolgender Hungersnot gegeben haben könnte. Daraufhin dürften Unruhen und Aufstände ausgebrochen sein. Die Infrastruktur brach jedenfalls mit Sicherheit zusammen. Viele Menschen verließen ihre Heimat und suchten neue Siedlungsgebiete.
Von all dem erzählen die Museumsobjekte kaum etwas. Auch ist nicht klar, ob und in welchem Maß die Kykladeninseln davon betroffen waren. Die stummen Zeugen der Vergangenheit mögen so manches Unglück und persönliche Schicksalsschläge beobachtet haben. Allein sie schweigen noch und überlassen uns unserer Phantasie.
Viele der Emigranten fanden auf den ägäischen Inseln und an der kleinasiatischen Westküste eine neue Heimat. Als um 1000v.Chr. die Dorer, von Norden kommend, in Griechenland einwanderten (Dorische Wanderung), machten sich erneut Menschen auf den Weg in den Osten. Die größte Gruppe unter ihnen bildeten die Ionier, die sich auf fast allen Kykladeninseln festsetzten (Ionische Wanderung). Ziele der Dorer waren Kreta, Rhodos, Melos und Thera, die Äoler wählten Lesbos als ihre neue Heimat.
Bei den Ioniern, Dorern und Äolern handelte es sich aber nicht um ethnisch unterschiedliche Stämme im eigentlichen Sinn, sondern um Sprachgruppen. Bei ihnen hatte sich in nachmykenischer Zeit jeweils ein eigener Dialekt der griechischen Sprache herausgebildet. Die jeweilige eigene Sprachform spielte für das Identitätsbewusstsein der Gruppen eine große Rolle.
Die Kenntnis der Schrift war nach dem Ende der mykenischen Zeit verloren gegangen. Um 800v.Chr. übernahmen die Griechen die Buchstabenschrift der Phönizier, des von der Levanteküste stammenden antiken Händlervolks, und passten sie ihrer Sprache dadurch an, dass sie Zeichen, die sie nicht brauchten, zur Bezeichnung von Vokalen verwendeten. Es spricht vieles dafür, dass sich bereits Homer dieser Schrift bedient hat.
Im 8. Jh. v. Chr. geriet die Welt der Griechen erneut in Bewegung. Menschen verließen die kleinasiatischen Städte und gründeten an den Ufern des Schwarzen Meeres Kolonien, Menschen vom Festland und von Euböa zog es in den Westen nach Unteritalien und Sizilien. Man spricht von der „großen griechischen Kolonisation“.
Kolonisation meint, dass auf fremdem Gebiet neue Stadtstaaten (gr. Poleis) gegründet wurden, die Griechen sprachen von „fernen Wohnorten“ (gr. Apoikiai).
Die Gründung vollzog sich nach festgelegten Regeln. Man versicherte sich der Zustimmung des delphischen Apollon, der Gott konnte auch selbst zur Gründung einer Kolonie ermuntern. Die Auswanderer folgten einem ernannten oder gewählten Anführer. War ein guter Standort gefunden, der an der Küste lag, über einen Ankerplatz und ein für die Bewirtschaftung geeignetes Hinterland verfügte, steckte man die Grenzen ab, sicherte die Siedlung, erstellte einen Bebauungsplan, richtete die Kulte ein und erließ Gesetze. Die neu gegründete Kolonie übernahm in der Regel die Organisationsform der Mutterstadt und unterhielt stets freundschaftliche Beziehungen zu ihr. Rechtlich blieb sie allerdings autonom.
Auch einige der ägäischen Inseln beteiligten sich an der Kolonisation: Naxier gründeten ca. 735v.Chr. gemeinsam mit Einwohnern der Stadt Chalkis auf Euböa die Kolonie Naxos in Sizilien (heute Giardini-Naxos), die ihrerseits wenige Jahre später Katane (heute Catania) und Leontinoi (heute Leontini) gründete, Paros sicherte sich 680v.Chr. die an Goldminen reiche, Thrakien vorgelagerte Insel Thasos und das libysche Kyrene, eine Tochter der Insel Thera.
Es gab viele Gründe wie soziale Spannungen, Rivalitäten unter den führenden Familien, ökonomische Interessen der entsendenden Poleis, Hoffnung der Auswanderer auf bessere Lebensbedingungen, die die Menschen dazu bewegten, ihre Heimat zu verlassen und sich in der Fremde neu anzusiedeln, wobei sich die Landnahme keineswegs immer friedlich vollzog: Auch manch ein Abenteurer wird sich gern der Gruppe angeschlossen haben.
Die Archaik ist nicht nur die Zeit des Aufbruchs, sondern auch die Zeit, in der sich die Städte zu Stadtstaaten entwickelten und in der sich das Individuum seiner selbst als einer autonomen Persönlichkeit bewusst wurde. In der Lyrik fanden die Menschen eine neue Form, in der persönliche Erfahrungen, Gedanken und Gefühle zum Ausdruck gebracht werden konnten. An die Stelle des im Hexameter verfassten umfangreichen Epos traten kleine, strophisch gegliederte Einheiten, die sich mannigfacher Metren bedienten. Nun gab es keine Muse mehr, die verkündete, wie es wirklich war. Blieb der Dichter im Epos verborgen, so war jetzt präsent, wer sich in den Versen äußerte. Es ging nicht mehr um Berichte über Vergangenes, sondern das Erlebnis der Gegenwart gewann an Bedeutung.
Wie das Epos wurde auch die Lyrik in der Öffentlichkeit vorgetragen. Der lyrische Dichter suchte seine Zuhörer aber nicht an Fürstenhöfen oder auf den Marktplätzen, sondern im Kreis Gleichgesinnter im Symposion, dem Trinkgelage, zu dem sich Adlige nach dem Essen in begrenzter Zahl zusammenfanden. Der Ahnherr der lyrischen Dichtung und zugleich einer ihrer bedeutendsten Repräsentanten, Archilochos, stammte aus Paros. Überhaupt erlebte die Lyrik ihre Blütezeit vornehmlich auf den ägäischen Inseln.
Dort spielte zudem die Bildhauerkunst in Folge der reichen Marmorvorkommen eine besondere Rolle im Wirtschaftsgefüge der Zeit. Auf Paros befanden sich die wertvollsten Steinbrüche der Antike. Aber auch Naxos verfügte über qualitätvollen Marmor und entsprechend versierte Künstler. Ihre Auftraggeber waren zumeist reiche Großgrundbesitzer, die die politische und militärische Macht in Händen hielten. Sie bildeten eine gemeinsame griechische Adelskultur aus, deren Wertmaßstäbe von Besitz und Ruhm auch auf den Kykladeninseln galten. Diese festgefügte Welt geriet mit der Etablierung der Demokratie in Athen sowie vor allem im Kontext der beiden großen Perserkriege zu Beginn der klassischen Epoche (5./4. Jh. v. Chr.) schließlich heftig ins Wanken.
Die Kenntnisse über die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit verdanken wir in erster Linie zwei bedeutenden antiken Historikern, die, jeder auf seine Weise, die Geschichtsschreibung begründet haben: Herodot aus Halikarnassos und Thukydides aus Athen.
Herodot lebte von ca. 485 bis ca. 425v.Chr., seine väterlichen Vorfahren waren Karer. Er wirkte in seiner Heimatstadt am Kampf gegen den karischen Tyrannen LygdamisII. mit, musste fliehen, kehrte zurück und machte sich erneut auf, diesmal, um die Welt zu erkunden. Es darf als sicher gelten, dass er längere Zeit in Athen und später in der 444v.Chr. am Golf von Tarent gegründeten Kolonie Thurioi gelebt hat. Genaue Zeitangaben sind nicht möglich. Sein Werk beginnt so:
Dies ist die Darlegung der Erkundung (historie)
des Herodot aus Halikarnassos,
damit weder das, was Menschen geleistet haben,
mit der Zeit vergessen wird,
noch große und bewundernswerte Taten,
sei es, dass sie von Griechen,
sei es, dass sie von Barbaren vollbracht wurden,
ihren Ruhm verlieren.
Insbesondere ist es die Darlegung der Ursache (aitia),
die sie zum Krieg gegeneinander veranlasste.
Selbstbewusst stellt sich der Autor vor. Er legt dar, was er selbst erforscht hat, nicht, was er wie Homer dem Gesang einer Muse verdankt. Sein Interesse richtet sich nicht nur auf die Leistungen der Griechen, sondern in gleichem Maße auf das, was die Barbaren vollbracht haben, ja, es richtet sich universal auf die Menschheit. Mit „Barbaren“ meint er wertneutral „Nicht-Griechen“ und „Leistungen“ umfassen auch kulturelle Werte und Schöpfungen. Herodot weiß, wie schnell die Menschen und ihre Taten vergessen werden. Aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit erwächst der Antrieb zur Geschichtsschreibung. Am Schluss seines Vorworts schränkt er sein Thema auf den Krieg der Griechen und Perser ein. Er will die Ursache aufdecken, die zu der Auseinandersetzung geführt hat. In diesem Bestreben, den Dingen auf den Grund zu gehen, erweist er sich als ein Historiker im modernen Sinn, und auch dadurch, dass er die Ursache letztlich im Menschen selbst findet, in dem ihm eigenen Streben nach Macht. Hybris nannten das die Griechen, wenn der Mensch seine Grenzen überschreitet. Maßlosigkeit birgt in sich bereits den Keim des Scheiterns. Götter greifen zwar in das Geschehen ein, sie äußern sich in Erdbeben, durch Orakel und Propheten, aber sie nehmen dem Menschen nicht die Verantwortung für sein Handeln ab. Sie sind Garanten dafür, dass das Geschehen – Aufstieg und Fall der Menschen und Mächte – für den, der einen langen Zeitraum überblickt, erklärbar ist und sich als sinnvoll erweist. Der mythischen Überlieferung stand Herodot kritisch gegenüber und er war derjenige, der als Erster den Ost-West-Konflikt thematisierte.
Der römische Staatsmann, Redner und Philosoph Markus Tullius Cicero (106–43v.Chr.) hat ihn den „Vater der Geschichtsschreibung“ (pater historiae) genannt (de legibus, 1, 5). Zu Recht: Ist er doch der Erste, der in einem umfangreichen Prosawerk historische Ereignisse kausal miteinander verknüpft und erklärt.
Thukydides (ca. 456 – ca. 396v.Chr.) war eine Generation jünger als Herodot. Auch er hat sich politisch betätigt, bevor er sich seinen Studien widmete. 424v.Chr. bekleidete er das Amt eines Strategen (militärischer Befehlshaber), weil man ihn aber für einen Misserfolg verantwortlich machte, wurde er für 20 Jahre verbannt. Er nutzte die Zeit, um das Geschehen des Peloponnesischen Krieges zu beobachten. Was er sah und was ihm glaubwürdig berichtet wurde, notierte er. Erst nach der endgültigen Niederlage Athens kehrte Thukydides in seine Heimatstadt zurück. Sein Werk schließt an das des Herodot an, aber er war der Erste, der Zeitgeschichte schrieb. In einem Überblick wird die Geschichte von 479v.Chr. bis zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges behandelt. Der Text scheint unvol endet geblieben zu sein, da er bereits mit den Ereignissen des Jahres 411v.Chr. abschließt, und nicht, wie sicher geplant, mit der Kapitulation Athens 404v.Chr. Viele Passagen schrieb Thukydides zudem erst unter dem Eindruck des endgültigen Zusammenbruchs seiner Heimatstadt.
Gegenüber Herodot zeichnet Thukydides ein geschärftes Methodenbewusstsein aus. Er hat sich kritisch mit seinen Vorgängern auseinandergesetzt, auch mit Herodot, dessen Namen er allerdings nicht explizit nennt. Die Ursache der Geschehnisse ist für ihn der Mensch in seiner über die Zeiten hinweg konstanten Natur. Die Überzeugung, dass maßloses Machtstreben ein Wesensmerkmal der menschlichen Natur ist, verbindet ihn mit seinem Vorgänger. Sorgfältig unterscheidet er aber zwischen Anlässen und Ursachen.
Wer auf Grund der dargelegten Beweise zu der Auffassung gelangt, dass mein Bericht im Wesentlichen den Tatsachen entspricht, dürfte nicht in die Irre gehen. Er sollte weder den Dichtern vertrauen, die in ihren Gesängen übertreiben, noch den Geschichtsschreibern, deren Darstellungen eher angenehm anzuhören sind als wahr, meist unbewiesen und im Laufe der Zeit ins Mythenhafte abgeglitten. Er sollte ihnen keinen Glauben schenken. Er darf davon überzeugt sein, dass mein Bericht sich auf sehr einleuchtende Beweise stützt, soweit es jedenfalls in Anbetracht der vergangenen Zeit überhaupt möglich ist. (1,21).
Thukydides beschreibt Situationen und lotet Handlungsspielräume aus. Vielleicht hat er gehofft, dass Staatsmänner aus seinem Werk lernen könnten, ihr Handeln am Möglichen auszurichten, statt immer weiter gesteckten Zielen nachzujagen. Er selbst bezeichnete sein Werk als einen „Besitz für immer“ („ktema eis aei“).
Ein Beispiel für die distanzierte und um Objektivität bemühte Art der Darstellung ist der Bericht über das Verhältnis der Athener zu ihren Bundesgenossen im Delisch-Attischen Seebund, den wir auf den folgenden Seiten zitieren. Thukydides beurteilt beider Verhalten kritisch: Die Athener führen ein zu hartes Regiment und erzeugen Unzufriedenheit, die Bundesgenossen entziehen sich kurzsichtig und aus Bequemlichkeit der Heeresfolge, zahlen lieber den Tribut, als Schiffe zu stellen, und vergrößern so die Macht der Athener, während sie ihre eigene Kriegstauglichkeit mindern. Diese scharfe Kritik gilt auch für das Verhalten vieler Kykladeninseln in dieser Epoche.
Der Perserkrieg begann mit einem Aufstand der an der Westküste Kleinasiens gelegenen Griechenstadt Milet gegen das Perserreich (Ionischer Aufstand). Anlass zu diesem folgenreichen Ereignis gab ein fehlgeschlagener Versuch des dortigen Stadttyrannen, Aristagoras, mit Unterstützung des persischen Statthalters Artaphernes die reiche Insel Naxos zu erobern. Um die Niederlage wettzumachen, stürzte er sich in das Abenteuer des Krieges mit den Persern, das länger als 50 Jahre dauern und erst 448v.Chr. mit dem sogenannten Kalliasfrieden seinen Abschluss finden sollte Die Schlachten bei Marathon (490v.Chr.), bei den Thermopylen (490v.Chr.), bei Salamis (480v.Chr.) und schließlich bei Platää (479v.Chr.) markieren den Verlauf des Krieges und benennen zugleich die Orte der persischen Niederlagen.
Die meisten Kykladeninseln konnten sich jedoch nicht des Zugriffs der Perser erwehren. Sie wurden zum Heeresdienst verpflichtet und mussten Geiseln stellen. Lediglich Delos verschonte der persische Großkönig wegen seiner religiösen Bedeutung. Manche Inseln wie Naxos erlitten schwerste Zerstörungen.
Die Athener ließen nach ihrem Sieg die perserfreundlichen Inseln nicht ungeschoren davonkommen. Es heißt, der siegreiche Feldherr Themistokles forderte von ihnen Geld und drohte, er würde sie, falls sie die Zahlung verweigerten, mit der hellenischen Flotte belagern und erobern. Bei Herodot heißt es:
Mit dieser Drohung erpresste er große Summen von den Bewohnern der Stadt Karystos(auf Euböa)und von den Pariern. … Ob auch andere Inseln Geld gezahlt haben, weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass außer den Genannten auch einige andere gezahlt haben. … Die Karystier wurden trotz der Zahlung nicht verschont. Die Parier konnten mit ihrem Geld Themistokles besänftigen und die Kriegsgefahr abwenden. So trieb Themistokles von Andros aus ohne Wissen der anderen Feldherrn Geld von den Inselbewohnern ein.(8,112).
Ob Herodot dem Themistokles gerecht wird, sei dahingestellt. Es ist damit zu rechnen, dass die Opposition in Athen ein Interesse daran hatte, sein Bild zu verdunkeln.
Die Athener hatten zuerst die Siege über die Perser mit der Flotte errungen, die Spartaner mit dem Heer, und dann gingen sie zügig daran, die Situation zu nutzen und ihre Seeherrschaft zu sichern und auszubauen. 478/77v.Chr. gründeten sie den Delisch-Attischen Seebund zum Schutz der kleinasiatischen Küstenstädte und der ägäischen Inseln vor einem erneuten Angriff der Perser. Die Mitglieder verpflichteten sich, entweder Schiffe zu stellen oder Geld zu zahlen, das zunächst im Tempel des Apollon auf Delos, später (454v.Chr.) auf der Akropolis in Athen deponiert wurde. Waren im Grunde genommen alle Mitglieder formell gleichberechtigt, so reklamierte dennoch Athen dank seiner Macht und großen Flotte die uneingeschränkte Führung, ein Zustand, der Missfallen erregte. Immer wieder versuchten daher Bündnispartner, ihre Unabhängigkeit zurückzuerlangen,
hauptsächlich, weil sie mit der Zahlung ihrer Beiträge oder mit der Stellung von Schiffen im Rückstand waren. Manche wollten sich auch gänzlich der Heeresfolge entziehen. Denn die Athener führten ein strenges Regiment und zeigtenHärte jenen gegenüber, die es nicht gewohnt oder nicht willens waren, sich anzustrengen. In diesen Fällen griffen sie zu Zwangsmaßnahmen. Auch sonst übten sie die Herrschaft bald nicht mehr zur Zufriedenheit der Bundesgenossen aus. Sie betrachteten sie bei Kriegszügen nicht als gleichberechtigt und konnten die Abtrünnigen leicht wieder in ihre Gewalt bringen. Daran waren die Bundesgenossen selbst schuld. Wegen ihrer Abneigung gegen den Kriegsdienst waren die meisten, um nicht fern von der Heimat Dienst leisten zu müssen, die Verpflichtung eingegangen, statt Schiffe zu stellen lieber den auferlegten Betrag zu zahlen. So vergrößerten sie mit ihren Abgaben die Flotte der Athener, während sie selbst, wenn sie abfielen, ungeübt und unerfahren in den Krieg eintraten.(Thukydides, 1,39).
Perikles, der als einflussreicher Staatsmann von 461 bis 429v.Chr. die Geschicke Athens leitete, nutzte die Gelder, um die Akropolis mit Prachtbauten zu schmücken. 449v.Chr. begann der Bau des Parthenon, 432v.Chr. der Bau der Propyläen. So haben auch die ägäischen Inseln zum Ruhm Athens beigetragen. Die Zweckentfremdung der Gelder löste in Athen heftige Diskussionen aus.
Als 431v.Chr. der Peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta ausbrach, hing für Athen viel von der Loyalität der Inseln ab. Die Insel Melos, eine Kolonie der Spartaner, die sich 416v.Chr. weigerte, Athen zu unterstützen, wurde kurzerhand erobert und grausam bestraft. 404v.Chr. endete der Peloponnesische Krieg mit der Niederlage Athens. Die Mauern der Stadt wurden geschleift, der größte Teil der Flotte konfisziert und der Seebund aufgelöst. Auf den Inseln hatten nun die Spartaner das Sagen, ihre Herrschaft währte jedoch nicht lange. Man empfand sie als drückend, und als 378v.Chr. die Gründung eines neuen Seebundes erfolgte, waren manche Inselstaaten wieder schnell bereit, diesem beizutreten. Dieser zweite Seebund blieb bestehen, bis die Makedonen ihn 338v.Chr. auflösten. Wenige Jahre vor der Neugründung hatte der persische Großkönig ArtaxerxesII. (404–356v.Chr.) in einem Friedensvertrag, den er mit Athen und Sparta geschlossen hatte, den meisten ägäischen Inseln noch Autonomie gewährt (386v.Chr.).
Die Welt der griechischen Stadtstaaten ging zugrunde, als der König der Makedonen, PhilippII. (359–336v.Chr.), im Jahr 338v.Chr. bei Chaironea in Böotien die Heere der Athener, Thebaner und ihrer Verbündeten vernichtend schlug. Als Führer und Feldherr eines von ihm gegründeten „Korinthischen Bundes“ übte er fortan die Herrschaft über Griechenland aus.
Abb.5 Bronzeporträt aus Delos, 2. Jh. v. Chr., Nationalmuseum Athen
Nach seinem Tod wurde sein Sohn Alexander (336–323v.Chr.) König von Makedonien.
Unter den ihm nachfolgenden Herrschern (gr. Diadochen) aus unterschiedlichen hellenistischen Königsdynastien, deren Gründer allesamt Feldherren Alexanders waren, blieben die Kykladen zunächst unter makedonischem Einfluss. Sie wurden zu einem „Inselbund“ („Nesiotenbund“) zusammengeschlossen. Um 290v.Chr. fielen sie an die makedonisch-ägyptischen Ptolemäer, die Thera zu einem wichtigen Flottenstützpunkt ausbauten. Der Bund bestand bis zur Mitte des 3. Jhs. v. Chr. Zu dieser Zeit gewann die Insel Rhodos an Einfluss, sie verlor ihn wieder, als sie den Makedonenkönig Perseus unterstützte, der 168v.Chr. in der Schlacht bei Pydna den Römern unterlag. Um die Rhodier zu bestrafen, wurde Delos Athen zugesprochen und zum Zollfreihafen erklärt, was zu einem enormen Wohlstand der dortigen Siedlung führte, die unter römischer Herrschaft regelrecht aufblühte. Im Saal der hellenistischen Skulpturen des Athener Nationalmuseums stehen einige Skulpturen und Porträts aus dieser Phase (Abb.5).
Seit der Zeit Alexanders gehörten die Kykladeninseln somit zu wechselnden Großreichen. Folglich waren sie zu Steuerzahlung und Heeresfolge verpflichtet, durften sich aber selbst verwalten. Sie taten das nach dem Vorbild Athens: Die Bürger traten in Volksversammlungen zusammen und wählten jährlich Beamte (gr. Archonten) und einen Rat (gr. Boule). Auch die Römer, die seit dem 3. Jh. v. Chr. mehr und mehr unter den Einfluss der griechischen Kultur geraten waren, gestanden ihren griechischen Untertanen einen hohen Grad an Autonomie zu. Griechisch durfte neben dem Lateinischen Amts- und Verwaltungssprache bleiben. Die neuen Machthaber hatten in erster Linie ökonomische Interessen. Sie forderten hohe Abgaben, eine Politik, die bei den Untertanen zu großer Unzufriedenheit führte. Aus dieser Verdrossenheit versuchte MithridatesVI. Eupator, König von Pontos (ca. 113–63v.Chr.), zu Beginn des 1. Jhs. v. Chr. Kapital zu schlagen. Er bemächtigte sich Kleinasiens (91–87v.Chr.) und erließ 88v.Chr. in Ephesos den Befehl, in den kleinasiatischen Städten an einem festgesetzten Tag alle Römer und Italiker zu töten. Antike Historiker sprechen von 80.000, ja, 150.000 Toten. Das griechische Festland und die Kykladen schlossen sich ebenfalls größtenteils dem neuen Machthaber an. Ungeachtet dessen wurden viele Inseln von Mithridates selbst (88 v. Chr) oder einem seiner Verbündeten (69v.Chr.) überfallen und geplündert. Von den Folgen konnten sie sich lange nicht erholen. Erst 63v.Chr. gelang es den Römern, Mithridates zu besiegen.
Die Römer hatten 146v.Chr. die ägäischen Inseln zusammen mit dem griechischen Festland und Makedonien zur römischen Provinz „Macedonia“ vereinigt. Als die Provinz 27v.Chr. auf Veranlassung des ersten römischen Kaisers Augustus geteilt wurde, bildeten sie mit Griechenland zusammen die Provinz „Achaea“. Die Herrschaft der römischen Kaiser stellte die längste Friedenszeit in der Antike für die Kykladen dar. Allenthalben entwickelte sich neuer Wohlstand.
Seit der Teilung des Imperium Romanum in ein West- und ein Ostreich (395n.Chr.), gehörten Griechenland, Makedonien und die ägäischen Inseln zum Ostreich, aus dem das Byzantinische Reich hervorging. Vom 8. Jh. an häuften sich Überfälle von Seeräubern, islamischen Sarazenen und christlichen Normannen. Die Inseln wurden nach und nach entvölkert.
1054 trennten sich dann die griechische Kirche des Ostens und die lateinische Kirche des Westens voneinander. Als 1204 die „Franken“ auf ihrem 4. Kreuzzug, unter der Führung des venezianischen Dogen Enrico Dandolo, Konstantinopel eroberten und plünderten, gründeten sie auf dem Gebiet des Byzantinischen Reichs ein „Lateinisches Kaiserreich“. Diesen Herrschaftsumschwung ausnutzend errichtete Marco Sanudo, ein Neffe des Dogen, 1207 auf der Insel Naxos ein eigenes Herzogtum, das er „Archipelagos“ (aigaion pelagos, Ägäisches Meer) nannte und dem u.a. Paros, Thera und Mykonos angehörten. Sanudo residierte auf Naxos, während er mit den anderen Inseln seines Herrschaftsbereichs einflussreiche venezianische Familien belehnte.
Die Eroberer bildeten allerdings nur eine kleine Oberschicht, die in den Städten wohnte. Sie verhielten sich tolerant und ließen den griechischen Untertanen ihren orthodoxen Glauben. Wie alle Herren forderten aber auch sie hohe Abgaben, mit denen sie den Bau ihrer Burgen finanzierten. Viele Kykladengriechen verlegten sich deshalb auf das Geschäft der Piraterie, andere wanderten nach Kreta aus.
Schon in der ersten Hälfte des 14. Jhs. wurden die Inseln mehrfach von muslimisch-türkischen Verbänden geplündert und viele Einwohner verschleppt. 1537 eroberte Chairedin, ein zum Islam konvertierter Christ, der wegen seines roten Vollbarts „Barbarossa“ genannt wurde, im Dienst des Sultans die Inseln und machte sie tributpflichtig. Wiederum verließen viele der Bewohner daraufhin ihre Heimat.
Eine der versklavten Frauen, die auf Paros geborene vornehme Venezianerin Cecilia Venier-Baffo, verschlug es in den Harem des Sultans SelimII. (1566–1574). Sie wurde Mutter des Sultans MuratIII. (1574–1595), der den Inseln dank seiner Herkunft großzügig Privilegien gewährte.
Bis 1577 regierte noch ein vom Sultan eingesetzter Herrscher, ein portugiesischer Jude, Jussuf Nassy, anschließend übernahmen die Türken endgültig selbst die Herrschaft und Verwaltung. Sie waren keine Seefahrer, deshalb siedelten sich nur wenige von ihnen auf den Inseln an. Sowohl den griechisch-orthodoxen als auch den römisch-katholischen Christen gegenüber verhielten sich die Türken tolerant. Kirchen durften gebaut werden und geistliche Orden konnten sich betätigen.