Kyras Dilemma - Sabine Drewes - E-Book

Kyras Dilemma E-Book

Sabine Drewes

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Beschreibung

Die Jahre 1989/90 waren in der DDR eine spannende Zeit. Danach war nichts mehr wie es war. Der Roman handelt in diesem Rahmen. Die Autoren waren in Mecklenburg-Vorpommern als Akteure und Zeitzeugen an den Umwälzungen in zentralen Funktionen beteiligt. Besonders wervoll sind die Insiderkenntnisse über die Entmachtung der SED und deren Umwandlung in die PDS. Das Buch ist aber keine historische Darstellung und auch keine Autobiographie. Es ist ein Roman, dessen Hauptanliegen darin bestehen sollte, die Rolle der Frauen bei der Bewältigung höchster gesellschaftlicher Zielstellungen unter extremen Belastungen zu schildern. Insofern ist es mehr Frauenroman als Parteigeschichte de PDS.Er gewährt uns Einsichten in die Gefühlswelt einer Frau, deren Weg als Flüchtlingskind begann und sie zur Akademikerin und Leistungsträgerin führte. Vor allem aber war sie Mutter.

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In Gedenken an Ida Fallak *1909 in Grüneberg/Masuren + 1995 in Rostock

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Chance

Wurzeln

Elite

Jugendliebe?

Der Filz

Der Kampf beginnt

Im selben Boot

Die Erde bebt

Frieden und Fortschritt

Runder Tisch

Wahlkampf mit Georg

Das Dilemma

Das Debakel

Vorwort

Dieses Buch ist ein Roman. Es erhebt keinen Faktizitätsanspruch.

Die dargestellten Ereignisse und Personen sind Erfindungen der Autoren. Das gilt auch dann, wenn dahinter Urbilder erkennbar sein sollten. Die Autoren haben darauf verzichtet, Personen und Ereignisse authentisch zu schildern, selbst wenn sie selber Zeitzeugen und Akteure des Geschehens waren. Sie wollten jenen Figuren keine Angriffsflächen bieten, die schon genug Schaden angerichtet haben. Für die Verfasser war es wichtiger, darzustellen, dass es hätte so sein können als dass es wirklich so war. Das macht den Unterschied zwischen Literatur und Selbstdarstellung der Autoren aus. Sie rückten die Gefühle, Motive, Hoffnungen und Enttäuschungen der Beteiligten in den Mittelpunkt und nicht die Chronik der geschichtlichen Abläufe oderdie Würdigung der eigenen Leistungen.

Sabine und Uwe Drewes

Horst /Holstein 2023

Die Chance

Die alte Bahnhofsuhr hatte schon viel gesehen. Ihre großen Zeiger erlebten unzählige Abschiede und Wiedersehen. Aber die eiligen Menschen beachteten die Schönheit dieser alten Dame des Jugendstils nicht. Sie wurde nur selten gereinigt und gestrichen. Unbeeindruckt von derlei Missachtung, verrichtete sie seit vielen Jahren zuverlässig ihren Dienst.

Kyra Sommer stand schon seit einer halben Stunde auf dem Bahnsteig acht des Rostocker Hauptbahnhofes, als die Zeiger die sechste Stunde anzeigten. Sie war aufgeregt, denn sie durfte heute den Zug auf keinen Fall verpassen. Der alte Lautsprecher informierte rasselnd und knisternd, dass der Städteexpress Stolteraa nach Berlin bereitgestellt wurde. Die neuen Waggons mit ihrer orange - beigen Farbgebung und den hellgrauen Dächern, brachten eine erfreuliche Abwechslung in das triste Bild ostdeutscher Bahnhöfe. Diese Expresszüge sollten die Eisenbahnverbindungen der Bezirksstädte nach Berlin verbessern und waren vor allem für Dienstreisende gedacht. Sie fuhren morgens nach Berlin und am frühen Abend zurück in die Bezirksstädte.

Die Türen öffneten sich automatisch. Kyra hatte eine Platzkarte. Sie brauchte sich nicht nach einem Sitzplatz zu drängeln, sondern konnte entspannt diese schicksalhafte Fahrt antreten. Ihr Abteil war bis auf einen Platz schon besetzt. Die Mitreisenden, alles Männer im Anzug mit Parteiabzeichen der SED am Revers, erwiderten freundlich Kyras Gruß. Ein älterer Herr stand auf und sagte entschuldigend, dass er den Fensterplatz okkupiert hätte, der eigentlich der Dame gehöre. Ob sie ihm das auf dieser ersten Fahrt des Stolteraa -Expresses nachsehen könnte. Denn als großer Eisenbahnfreund würde er zu gerne diese Fahrt mit dem Fotoapparat festhalten, wozu ein Fensterplatz von nicht zu unterschätzendem Vorteil wäre.

Kyra Sommer konnte schlecht ablehnen, obwohl sie den Fensterplatz viel lieber besessen hätte. Erst jetzt bemerkte sie unter den Mitreisenden einen Bekannten. Sie mochte Peter Ballin, Schulinspektor beim Rat des Bezirkes, nich besonders. Mehr als ein halb freundliches Hallo hatte sie für ihn nicht übrig. Peter Ballin ließ sich davon aber nicht abschrecken. Er konnte sich nicht verkneifen, Kyra Sommer mit einer frechen Frage zu provozieren: „Hallo, Genossin Sommer. So früh schon auf den hübschen Beinen. Was wollen sie in der Hauptstadt?“

Kyra Sommer spürte, wie sich ihre Galle bemerkbar machte. Nur zu gern hätte sie diesem Kerl seine hübschen Beine um die Ohren gehauen. Aber sie war Lehrerin und damit von diesem Typen nicht unabhängig. Sie antwortete deshalb knapp: „Zur Pädagogischen Akademie, ich habe einen Termin bei meinem Doktorvater, Professor Bansing.“

Das hatte gesessen. Ballin wurde ganz grün im Gesicht: „Donnerwetter, wie sie das nur machen. Erst ein Jahr im Schuldienst und schon stellvertretende Direktorin einer Schule, und jetzt noch die Promotion.“ Kyra Sommer äußerlich ganz ruhig: „Das kann ich ihnen sagen, ich habe mich hochgeschlafen.“

Die mitreisenden Männer waren irritiert. Es dauerte aber nur eine kurze Zeit, bis sie die Schlagfertigkeit der Frau begriffen und ihr mit schallendem Gelächter ihren Respekt zollten. Kyra Sommer hatte nun bis Berlin Ruhe. Da sich die Männer rücksichtslos um einen Spitzenplatz beim Verlassen des Zuges drängelten, konnte sie das Abteil erst als Vorletzte verlassen. Der ältere Eisenbahnfreund hatte ihr galant den Vortritt gewährt. Er verabschiedete sich höflich, nicht ohne ihr seinen Respekt für ihre Courage auszudrücken. Auf dem vollen S - Bahnsteig stand sie erneut neben ihm. Sie fuhren mit derselben S – Bahn. Ihr Begleiter bewies erneut sein gutes Benehmen und stellte sich vor. Es war Professor Damerow, Direktor der Sektion Pädagogik der Rostocker Universität.

Kyra Sommer war nicht nur mit einer außergewöhnlichen Schlagfertigkeit ausgestattet, sondern auch mit der Gabe, möglichst in jedes Fettnäpfchen zu treten. So nahm sie sich nicht die Zeit, die überraschende Vorstellung des infantilen Eisenbahnfreundes zu verdauen, sondern patzte mit der Bemerkung: „Aber das kann nicht sein. Professor Damerow ist höchstens Fünfzig. Sie sehen mir mehr nach Fünfundsechzig aus!“

Horst Damerow war abgeklärter als seine neue Bekanntschaft. Er überhörte geflissentlich ihren Fauxpas. Er lud sie stattdessen zu einer Tasse Kaffee ein, da seine Termine erst in einer Stunde begännen. Da Neugierde ein drittes Merkmal im Charakter Kyra Sommers war, konnte sie die Einladung dieses renommierten Wissenschaftlers nicht ausschlagen. Am Alexanderplatz stiegen sie aus und hatten auch bald ein nettes Café gefunden. Professor Damerow bat um Entschuldigung, weil er die Rechnung übernehmen wollte. Er habe Kyra schließlich eingeladen. Und das nicht ohne Hintergedanken und Eigennutz. Kyra Sommer war klug genug, darauf nicht einzugehen. Sie war eine sehr attraktive Frau, gebildet und eloquent. Sie wusste von ihrer Wirkung auf Männer und nahm es ihnen nicht übel, wenn sie ihr den Hof machten. Zumindest dann nicht, wenn sie ledig waren und ihre Annäherungsversuche stilvoll erfolgten.

Der Professor bestellte zwei Mokka und für sich einen Windbeutel. Kyra Sommer zog ein Ragout fin vor. Er hatte es nicht eilig, die Unterhaltung mit seiner hübschen Begleiterin fortzusetzen, sondern machte sich konzentriert und genussvoll über seinen Windbeutel her. Dann entnahm er seiner Hosentasche ein großes, rotes Taschentuch und entfaltete es. „Kennen sie das Gedicht von Morgenstern über das rote Taschentuch?“, fragte er. Ohne Kyras Antwort abzuwarten rezitierte er in einer Lautstärke, dass die anderen Gäste auch was davon hatten:

Palmström steht an einem Teiche

und entfaltet groß ein rotes

Taschentuch.

Auf dem Tuch ist eine Eiche

dargestellt, sowie ein Mensch mit einem

Buch.

Palmström wagt nicht, sich

hineinzuschneuzen

er gehört zu jenen Käuzen,

die oft unvermittelt- nackt

Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

Zärtlich faltet er zusammen,

was er eben erst entbreitet.

Und kein Fühlender wird ihn

verdammen.

Weil er ungeschneuzt entschreitet.

Das hatte er gut gemacht. Die anderen Gäste applaudierten ihm. Kyra konnte sich nicht dagegen wehren. Der Mann gefiel ihr.

„Wissen sie was ich gedacht habe, als sie ihren Bezirksschulinspektor in den Arsch getreten haben?“ Der Professor nahm eineDuett aus seiner halbvollen Schachtel und bot Kyra eine an: „Symbolisch natürlich. Ich habe gedacht, die Frau ist ein lebender Beweis dafür, dass wir bei der Emanzipation der Frauen in unserer Republik schon weit gekommen sind. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Wenn es jemals dazu kommen sollte, werden wir beide das nicht mehr erleben.“

Kyra Sommer wusste nicht, wo die Reise hingehen sollte. Wollte er sie anbaggern oder Gedichte vortragen? Aber so ganz ohne was zu sagen, konnte sie auch nicht mit diesem attraktiven Mann am Tisch sitzen. Sie ließ sich die Zigarette anzünden und sagte einen Satz, der eine Schlüsselrolle in ihrem weiteren Leben spielen sollte: „Ich war vor einer Woche zu einer Konferenz im Bezirkskabinett. Es ging um die gleichen Chancen für alle Lehrer. Für Männer und Frauen. Um 17.00 Uhr bin ich aufgestanden und wollte die Veranstaltung verlassen. Der Bezirksschulinspektor schnauzte mich an, wie ich dazu käme, einfach zu gehen. Ich habe darauf geantwortet. Um 17.00 Uhr endet für mich die Gleichberechtigung. Da bin ich Mutter und hole mein Kind aus dem Kindergarten. Gleichberechtigung wird uns nicht geschenkt. Wir Frauen müssen immer aufs Neue darum kämpfen. Wir wollen auch nicht die totale Gleichberechtigung. Wir wollen schon sehr gerne Frauen und Mütter bleiben. Das ist unser Dilemma.“

Die anderen Gäste applaudierten wieder, noch lauter als bei Morgensterns Palmström.

Kyra Sommer wollte ihrer Sympathie für den netten Eisenbahnfreund eine selbstgesteckte Grenze ziehen. Sie bedankte sich lächelnd bei denFreundlichen Gästen und sagte: „Ich bin nicht nur Mutter und Lehrerin, sondern auch die Ehefrau eines tollen Mannes. Ich nehme mir deshalb gern Ringelnatz Ameisen-Gedicht zum Vorbild:

In Hamburg lebten zwei Ameisen

Die wollten nach Australien reisen.

Bei Altona auf der Chaussee

Taten ihnen die Beine weh.

Und da verzichteten sie weise,

dann auf den letzten Teil der Reise.

So will man oft und kann doch nicht

Und leistet dann ganz gern Verzicht.

„Bravo“, der Professor klatschte in die Hände. „Wie ich sehe, teilen wir die Vorlieben für Morgenstern und Ringelnatz. Aber wie ich mit Bedauern sehen muss, ruft sie die Pflicht in die Akademie. Ich würde ihnen zu gerne ein Angebot machen, als Doktorandin an meine Sektion in Rostock zu kommen. Rufen sie mich an, wenn sie das interessiert.“

Kyra Sommer rief nach dem Ober: „Hallo Bedienung, ein Telefon bitte. Ich muss sofort und dringend Professor Damerow anrufen und ihm mitteilen, dass ich an seinem Angebot mehr als interessiert bin."

Professor Damerow war nicht überrascht. Der alte Haudegen wusste seine Trümpfe wirkungsvoll zu inszenieren. Er schlug seinen Terminplaner auf, nahm eine Visitenkarte und schrieb Mittwoch: 13.11. um 15.00 Uhr. Er fragte nicht, ob seiner neuen Doktorandin dieser Termin recht war. Jetzt war er ihr Chef. Er reichte Kyra Sommer die Hand: „Auf gute Zusammenarbeit. Und jetzt fahren sie bitte in die Akademie und klären mit ihrem Betreuer korrekt das Nötige.“

Kyra Sommer konnte das Angebot von Professor Damerow so spontan annehmen, weil sie auf diese Chance schon gewartet hatte. Sie war sich mit ihrem Mann einig, dass für sie eine Karriere in Rostock besser wäre. Die Entscheidung für Berlin hatten sie nur deshalb getroffen, weil sich ihnen in Rostock keine neuen Horizonte öffneten. Doch nun ging für sie in ihrer Heimatstadt die Sonne auf. Sie glaubte, auf Wolken zu schweben. Sie hatte das Bedürfnis, ihren beiden Lieblingsmenschen eine außerordentliche Freude zu bereiten. Ihren Mann wollte sie mit einer sündhaft teuren Spiegelreflexkamera von Pentacon überraschen. Einer seiner Träume. Die Tochter kam nicht so kostspielig. Eine Pulleruppe zum Baden würde ihre blauen Augen zum Strahlen bringen. Allerdings wurde Kyra schnell wieder in die Wirklichkeit des realen Sozialismus zurückgeholt. 2.000 Mark für einen Fotoapparat. Und zu kaufen gab es ihn nicht. Die Wartezeit betrug voraussichtlich zwei Jahre. Damit hatte sie nicht gerechnet. Und wenn sie nun das falsche Produkt erwarb. Sie verstand nicht viel von Kameras. Aber nein, sie wollte ihrem Martin diese Freude nicht versagen. Also entschied sie sich für einen Gutschein bis zu 2.000 Mark für eine Spiegelreflexkamera.

Zu Hause wurde sie schon von Mann und Tochter erwartet. Martin war ihre Jugendliebe. Sie waren schon seit der 12. Klasse ein Paar und hatten mit 20 Jahren geheiratet. Mit dieser frühen Bindung waren sie nicht nur der Stimme ihrer Herzen gefolgt, sondern dafür gab es auch ganz pragmatische Gründe. Kyra studierte in Greifswald Lehramt für Geschichte und Geografie. Lehrerstudenten konnten sich in der DDR nicht ihren späteren Arbeitsplatz selber aussuchen, sondern wurden von einer Kommission eingewiesen. Da konnte es schon vorkommen, dass die jungen Absolventen nicht in den Bezirk ihrer Wahl, sondern irgendwohin ans Ende der DDR vermittelt wurden. Dem konnte man begegnen, wenn man einen Ehemann hatte, der im Wunschbezirk wohnte und arbeitete. Ein weiterer wichtiger Grund für das frühe Heiraten war der Wunsch auf eine eigene Wohnung. In der DDR herrschte Wohnungsnotstand. Wartelisten waren geduldig. Es konnte zehn Jahre und länger dauern, bis man als Single oder unverheiratetes Paar eine eigene Wohnung zugewiesen bekam. Ein freier Wohnungsmarkt existierte nicht. Eine staatliche Behörde vergab die Wohnungen und stellte die begehrten Bezugsberechtigungsscheine aus.

Kyra gehörte zu den Glücklichen, die eine Zuweisung für den Bezirk ihrer Wahl erhielten. Martin studierte in Rostock sozialistische Betriebswirtschaft. Er war von seinem Betrieb, einer großen Werft, zum Studium delegiert worden und sollte nach dem Abschluss dort eine Leitungsfunktion übernehmen. Damit war er ein wichtiger Nachwuchskader. Kyra konnte deshalb in Rostock eine Lehrerstelle erhalten und die junge Familie die erste eigene Wohnung.

Kyra und Martin hatten früh gelernt, dass ihr Schicksal keine leichten Wege für sie bereit hielt, sondern dass sie für ihr persönliches Glück kämpfen mussten. In Rostock war die Wohnungsnot wie überall in der DDR groß. Da durfte man sich nicht geduldig hintenanstellen, sondern musste seinen Wohnungsbezugsschein erstreiten.

Martin ging jede Woche in die Sprechstunde des Vorsitzenden der Wohnungskommission der Rostocker Volksbildung. Jedes Mal trug er dort sein Anliegen vor und begründete ausführlich die Notwendigkeit, bald eine eigene Wohnung zu bekommen.

Martin und Kyra hatten nach ihrer Hochzeit in der Wohnung von Martins Eltern gewohnt. Ein Schicksal, das sie mit vielen jungen Paaren teilten. Drei Zimmer, Küche und Bad für sechs Personen. Und bei Kyra hatte sich Nachwuchs anmeldet. Steter Tropfen höhlt den Stein. Dem Vorsitzenden der Wohnungskommission wurde es leid, ständig die Protokolle über Martins Nachfragen zu verfassen. Vielleicht tat ihm das junge Paar auch leid. Jedenfalls, kurz vor der Geburt ihrer Tochter, brachte die Post einen Brief mit einer Wohnungszuweisung. Die Freude währte aber nur so lange, bis sie diese Wohnung besichtigt hatten. Es war nach den Maßstäben der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Wohnung, sondern ein kleines, kaltes, enges Loch ohne jeden Komfort. Es gab keine Heizung, kein Bad und keine Toilette innerhalb der Wohnung, Es war alles andere als romantisch, wenn die hochschwanger Kyra nachts zur Toilette auf den Hof musste.

Aber in der DDR glücklich zu sein, bedeutete, sich zu bescheiden und mit dem zufrieden zu sein, was man zugeteilt bekam. Die primitiven Lebensbedingungen stellten ihre Liebe auf eine harte Probe. Sie konnten diese Belastungsprobe bestehen. Später mussten sie oft an diese Zeit der Entbehrungen denken, wenn sie mal wieder unzufrieden mit den Lebensverhältnissen in der DDR waren. Sie wussten, schlimmer ging immer.