Lächeln des Glücks - Linda Lael Miller - E-Book

Lächeln des Glücks E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

Von der Kraft der Liebe - Willkommen im Wilden Westen von Bestsellerautorin Linda Lael Miller!

Oregon, 1890: Auf einen Mann wie diesen Fremden war Tess Bishop nicht im Geringsten vorbereitet: ein bisschen verrückt, offensichtlich ein Hausierer und dennoch von einer solch ungestümen Anziehungskraft, dass es ihr fast den Atem verschlägt. Doch schon bald entdeckt sie, dass er nicht der ist, für den er sich ausgibt - Keith Corbin ist unter falschem Namen auf der Flucht vor seinem alten Leben. Tess wahrt sein Geheimnis und schließt sich ihm an - wild entschlossen, ihn mit ihrer Liebe von seinen Dämonen zu befreien ...

Dieser historische Liebesroman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Wer dem Zauber der Liebe verfällt" erschienen.

Die Corbin-Saga geht weiter: In Band 4 beschreitet Melissa den "Weg der Hoffnung".

Weitere historische Liebesroman-Reihen von Linda Lael Miller bei beHEARTBEAT:

Die McKettrick-Cowboys-Trilogie. Springwater - Im Westen wartet die Liebe. Die McKenna-Brüder. Die Orphan-Train-Trilogie um die Chalmers-Schwestern.

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EPUB

Seitenzahl: 305

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1

2

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5

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Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Corbin-Saga

Band 1: Paradies der Liebe

Band 2: Zauber der Herzen

Springwater – Im Westen wartet die Liebe

Band 1: Wo das Glück dich erwählt

Band 2: Wo Träume dich verführen

Band 3: Wo Küsse dich bedecken

Band 4: Wo Hoffnung dich wärmt

Die McKettrick-Saga

Band 1: Frei wie der Wind

Band 2: Weit wie der Himmel

Band 3: Wild wie ein Mustang

Über dieses Buch

Von der Kraft der Liebe – Willkommen im Wilden Westen von Bestsellerautorin Linda Lael Miller!

Oregon, 1890: Auf einen Mann wie diesen Fremden war Tess Bishop nicht im Geringsten vorbereitet: ein bisschen verrückt, offensichtlich ein Hausierer und dennoch von einer solch ungestümen Anziehungskraft, dass es ihr fast den Atem verschlägt. Doch schon bald entdeckt sie, dass er nicht der ist, für den er sich ausgibt – Keith Corbin ist unter falschem Namen auf der Flucht vor seinem alten Leben. Tess wahrt sein Geheimnis und schließt sich ihm an – wild entschlossen, ihn mit ihrer Liebe von seinen Dämonen zu befreien …

Über die Autorin

Linda Lael Miller wurde in Spokane, Washington geboren und begann im Alter von zehn Jahren zu schreiben. Seit Erscheinen ihres ersten Romans 1983 hat die New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin über 100 zeitgenössische und historische Liebesromane veröffentlicht und dafür mehrere internationale Auszeichnungen wie den Romantic Times Award erhalten. Linda Lael Miller lebt nach Stationen in Italien, England und Arizona wieder in ihrer Heimat im Westen der USA, dem bevorzugten Schauplatz ihrer Romane. Neben ihrem Engagement für den Wilden Westen und Tierschutz betreibt sie eine Stiftung zur Förderung von Frauenbildung.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Bücher unter http://www.lindalaelmiller.com/.

Linda Lael Miller

Lächeln des Glücks

Aus dem amerikanischen Englisch von Katharina Braun

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1986 by Linda Lael Miller

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Memory’s Embrace“

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1992/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: „Wer dem Zauber der Liebe verfällt“

Lektorat: Katharina Woicke

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Ysbrand Cosijn; © ALETA RAFTON

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-6866-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Simpkinsville, Oregon – 5. April, 1890

Eine verbeulte Schüssel flog wie ein Diskus durch die Luft ...

Tess Bishop blieb überrascht stehen. Sie schob ihr Fahrrad an den Straßenrand, klemmte ihre Kamera unter den Arm und ging durch das Gebüsch auf die angrenzende Lichtung zu.

Der Hausierer – Joel Shiloh, den goldenen Lettern auf seinem schwarzen Wagen nach – fing die herabfallende Schüssel auf und schleuderte dann fluchend eine Kaffeekanne in die Luft.

»Komm herunter und kämpfe!«, brüllte er, als der Kaffee nach allen Seiten spritzte und seine ohnehin nicht elegante Kleidung weitere Flecken bekam. Er war ein großer Mann, etwa Anfang Dreißig, und während Tess ihn fasziniert ansah, hob er drohend eine Faust zum Himmel und schrie von neuem: »Nun komm schon, verdammt! Wehr dich!«

Tess hob erstaunt den Kopf, aber sie sah nichts als Wolken. Graue Regenwolken. Mit wem redete dieser Mann eigentlich? Mit Gott?

Joel Shiloh stützte die Hände in die Seiten und legte den Kopf so weit zurück, dass Tess überzeugt war, sein schmutziger schwarzer Hut müsse ins Gras fallen. »Nun?«, schrie er zornig, während er einen Fuß auf die Steine stellte, die das Lagerfeuer umgaben. »Worauf wartest du noch?«

Tess wollte gerade umkehren und zu ihrem Fahrrad zurückgehen, als der Mann einen Schmerzensschrei ausstieß und auf einem Bein zu dem kleinen Fluss hinüberhüpfte.

»Nein!«, rief sie erschrocken und hob eine Hand, als könnte sie so den Mann zurückhalten.

Aber natürlich war er schon zu weit entfernt und sprang genau an jener Stelle in den Bach, wo Tess es befürchtet hatte. Das Wasser schlug über ihm zusammen, und nur sein Hut war noch zu sehen.

Tess legte die Kamera ins Gras, raffte ihren langen Baumwollrock und rannte über die Lichtung auf das Ufer zu.

Bevor sie ihn erreichte, tauchte der Hausierer neben seinem langsam davontreibenden Hut wieder auf, hob von neuem die Faust und schrie seinem unsichtbaren Feind im Himmel zu: »Das war ein gemeiner, schmutziger Trick, verdammt!«

Tess starrte den Mann verwundert an: »Mit wem reden Sie eigentlich?«, fragte sie.

Joel Shiloh warf ihr einen gereizten Blick zu. Falls ihm sein Benehmen peinlich war, ließ er es sich nicht anmerken. Bevor die Strömung den Hut fortreißen konnte, schnappte er ihn, warf ihn ans Ufer und kam stolpernd und fluchend aus dem Wasser.

Mit einem empörten Grunzen hockte er sich ins Gras und begann an einem seiner nassen Stiefel zu zerren. Nachdem er sich erfolglos abgemüht hatte, hob der Mann den Kopf und schaute Tess entrüstet aus seinen azurblauen Augen an. »Nun helfen Sie mir doch!«

Tess hätte später nicht sagen können, warum sie nicht auf der Stelle kehrtmachte und die Flucht ergriff, wie es jede andere Frau mit ein bisschen Vernunft getan hätte. Dieser Mann schien ganz offensichtlich verrückt zu sein, es konnte jeden Augenblick zu regnen anfangen, und bis nach Hause hatte sie noch fünf Meilen Weg vor sich. Aber er hatte etwas ganz Besonderes an sich, und so seltsam es war, Tess fand, dass er irgendwie aristokratisch wirkte.

»Wobei soll ich Ihnen helfen?«, fragte sie verwirrt.

»Ziehen Sie mir den Stiefel aus!«, fuhr er sie an und warf dann einen weiteren zornigen Blick auf den dunklen Himmel.

»Sie könnten wenigstens bitte sagen«, wandte Tess ein.

»Bitte!«, schrie er.

»Sie sind ein sehr ungezogener Mensch, Mister Shiloh«, bemerkte sie, packte jedoch seinen schmutzigen Stiefel mit der durchlöcherten Sohle, und zog mit aller Kraft daran.

Der Hausierer verfolgte ihre Bemühungen mit spöttischem Lächeln. »Sie haben recht, das bin ich«, stimmte er, schon etwas freundlicher, zu.

Tess zerrte an dem widerspenstigen Stiefel, und als er endlich nachgab, taumelte sie und fiel ins Gras. Beschämt und etwas verärgert rappelte sie sich auf, überzeugt, dass der Mann sie nun auslachen würde.

Aber er war schon damit beschäftigt, seinen Socken auszuziehen, der genauso nass und löchrig wie sein Stiefel war, und würdigte Tess keines Blickes.

An seiner Fußsohle war eine hässliche Brandwunde zu sehen, was sein merkwürdiges Hüpfen und den unvorsichtigen Sprung in den Fluss erklären mochte. Er betrachtete die Wunde mit dem gleichen ärgerlichen Stirnrunzeln, mit dem er dann zum Himmel aufschaute. »Danke«, sagte er zu den Wolken, die sich über ihnen zusammenbrauten. »Tausend Dank!«

Und genau in diesem Augenblick öffnete der Himmel seine Schleusen. Tess’ langes Haar, das ihr frei auf die Hüften fiel, war innerhalb von Sekunden völlig tropfnass, ihr Kleid klebte ihr am Körper.

Aber Kleider waren das letzte, woran sie jetzt dachte. »Meine Kamera!«, rief sie entsetzt und rannte zur Lichtung zurück, um den kostbaren schwarzen Kasten aufzuheben. Sie drückte ihn schützend an ihre Brust und schaute sich verzweifelt nach einem trockenen Platz dafür um.

Ihr Versuch, die Ladeklappe von Mister Shilohs Wagen zu öffnen, misslang, denn der Riegel lag so weit oben, dass sie ihn nicht einmal erreichen konnte, wenn sie hochsprang.

Mister Shiloh, der jetzt ganz ruhig und gelassen wirkte, erschien an ihrer Seite, zog den Riegel auf und öffnete die ächzende Tür. Tess legte ihre Kamera auf den Wagenboden und seufzte vor Erleichterung, obwohl sie selbst bis auf die Haut durchnässt war. Die Kamera war wichtiger, sie hatte sehr, sehr lange sparen müssen, um sie kaufen zu können.

»Danke«, sagte sie.

Statt einer Antwort legte Joel Shiloh die Arme um ihre Taille und hob Tess in den Wagen. Er selbst blieb im strömenden Regen stehen und betrachtete sie so verwundert, als hätte er sie schon einmal irgendwo gesehen und versuchte, sich zu erinnern, wo.

»Kommen Sie aus dem Regen«, schlug sie vernünftigerweise vor.

Ein schiefes Lächeln spielte um die Lippen des Hausierers, als er sich neben ihr auf die Wagenfläche zog. »Wie heißen Sie?«, fragte er neugierig, während er sie weiter prüfend betrachtete.

Tess zögerte und ließ ihren Blick über seine langen, muskulösen Beine gleiten, die über den Wagenrand baumelten. Er trug noch immer einen Stiefel, der verletzte Fuß war bloß.

»Tess Bishop«, antwortete sie schließlich. »Was macht Ihr Fuß?«

Er lachte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er den Regen abstreifen. Was natürlich nicht viel nützte, da auch sein Haar tropfnass war. »Gut, Miss Bishop. Meinem Fuß geht es gut.«

»Ich habe versucht, Sie zu warnen.«

»Wovor? Mir den Fuß zu verbrennen?«

Tess schüttelte den Kopf. »Nein, in den Bach zu springen. Er wirkt hier so flach, weil das Wasser so klar ist, aber er ist recht tief.«

Wieder lächelte er schwach. »Das habe ich gemerkt. Weiß Ihre Familie, dass Sie allein durch die Gegend wandern, Miss Bishop? Und das mitten in einem Wolkenbruch?«

Tess straffte die Schultern. Sie hatte eigentlich keine Familie – nur Derora, ihre Tante. Und obwohl sie sicher war, dass sie sich wahrscheinlich eine Lungenentzündung holte, so war das nicht Joel Shilohs Sache. »Weiß Ihre es?«, versetzte sie.

Der Hausierer grinste. »Meine Familie hat keine Ahnung, wo ich bin.«

Tess war ein bisschen verwirrt. Inmitten des strömenden Regens kam sie sich plötzlich so vor, als sei sie ganz allein mit Mister Shiloh auf der Welt. »Aber Sie haben eine Familie?«

Ein abweisender Blick erschien in seinen blauen Augen, und ein gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ja«, sagte er nach langem Schweigen.

»Sie haben sich mit ihr entzweit«, bemerkte Tess fröstelnd.

Er zuckte mit den Schultern. »So könnte man es nennen.«

»Erzählen Sie mir von ihnen.«

Er maß sie mit einem scharfen, beinahe misstrauischen Blick. »Sie müssen halb erfroren sein. Lassen Sie mich eine Decke holen.« Damit drehte er sich um und ging gebückt ins Wageninnere. Wenige Minuten später kehrte er mit einer schweren Wolldecke zurück, die er ihnen beiden um die Schultern legte.

Wieder empfand Tess ein merkwürdig angenehmes Gefühl der Isolation; fast als wären sie Fabelwesen aus einer Märchenwelt. »Danke«, sagte sie und kuschelte sich dankbar in die Decke. Doch dann begann sie ganz unvermittelt zu kichern.

»Was ist?«, fragte Joel Shiloh und zog eine Augenbraue hoch.

»Meine Tante würde mich umbringen«, gestand Tess, »wenn sie wüsste, dass ich hier auf diesem Wagen sitze, eingehüllt in eine Decke ...«

»Und mit einem Mann«, schloss Joel Shiloh schmunzelnd.

Tess wurde rot. »Erzählen Sie mir von Ihrer Familie!«, forderte sie ihn auf.

»Ich habe zwei ältere Brüder, eine jüngere Schwester und eine Mutter. Mein Vater starb vor einigen Jahren bei einem Unfall.«

Er hatte ihr gesagt, was sie wissen wollte, und doch längst nicht alles, das spürte sie. »Warum haben Sie sich mit ihnen entzweit?«

Ein harter Zug erschien um seinen Mund. »Was machen Sie fünf Meilen vor der Stadt in einem Wolkenbruch?«, entgegnete er schroff.

Sein Ton verletzte Tess. Sie straffte die Schultern und schob das Kinn vor. »Ich bin eine erwachsene Frau«, behauptete sie.

Er grinste sie an. Er besaß die Frechheit, sie anzugrinsen! Tess verschränkte die Hände unter der Decke, um ihn nicht ins Gesicht zu schlagen.

»Das bin ich!«, beharrte sie.

»Sechzehn – und nicht einen Tag älter«, neckte er sie.

»Ich bin achtzehn!«, verteidigte Tess sich wütend.

Der Hausierer legte eine Hand auf seine Brust und stieß einen übertriebenen Seufzer aus. »So alt!«

Tess hatte im Verlauf ihres turbulenten Lebens viel zu ertragen gelernt, aber Spott gehörte nicht dazu. »Und Sie sind alt und weise, was?«, entgegnete sie spitz.

Er sagte nichts, schwieg lange und schaute sie nur belustigt an. Was er dann sagte, schockierte Tess gründlich. »Sie sollten sich ausziehen«, schlug er freundlich vor.

»Wie bitte?«, flüsterte Tess, und fast wäre sie vom Wagen gesprungen und hätte die Flucht ergriffen.

»Sie sollten nicht in Ihren nassen Kleidern herumsitzen«, erklärte er gelassen. »Ich gebe Ihnen etwas anderes zum Anziehen, dann können Sie ...«

»Ich habe nicht die Absicht, mich zu entkleiden!«

Er biss sich auf die Unterlippe – um nicht zu lachen, vermutlich –, und obwohl Tess noch immer verärgert war und bereit, um ihr Leben zu rennen, falls es sein musste, rührte sie sich nicht. Sie war plötzlich wie gelähmt.

»Haben Sie gedacht, ich wollte Ihre Situation ausnutzen?«

»Das wäre möglich. Immerhin sind Sie geistig nicht ganz auf der Höhe.«

Er lachte schallend und sah sie dann wieder mit seinen eisblauen Augen an. Sie schienen Tess zu streicheln und gleichzeitig auszulachen, aber es lag nicht die Spur einer Bedrohung in diesem Blick, auch kein Anzeichen von Wahnsinn. »Sie beziehen sich auf das Streitgespräch, das ich mit Gott führte«, sagte er.

»Mit Gott?«, wiederholte Tess verblüfft.

Er nickte, und im gleichen Augenblick begann der Regen nachzulassen. »Ich werde dort hinten unter den Bäumen ein Feuer anzünden«, fuhr er fort. »In der Truhe unter meinem Bett finden Sie trockene Sachen. Ziehen Sie sie an, während ich Kaffee koche.«

Tess spürte, wie ihr heiße Röte in die Wangen stieg. »Sie haben die Kaffeekanne nach Gott geworfen, nicht wahr?«, erinnerte sie ihn, um ihre Verlegenheit und das merkwürdige Kribbeln, das in ihr erwacht war, zu überspielen.

Joel Shiloh nahm die Decke von seinen Schultern und sprang vom Wagen. »Zum Glück hat er sie zurückgeworfen«, antwortete er lachend, »sonst könnte ich jetzt keinen Kaffee kochen.«

Auch Tess musste lächeln, aber sie machte keine Anstalten, seine Anweisungen zu befolgen und sich umzuziehen. Nein, sie blieb einfach sitzen und schaute zu, wie er das versprochene Feuer entfachte und dann die Kaffeekanne und deren Deckel aufhob.

Als er sich schließlich wieder zu ihr umdrehte, lag ein Ausdruck gutmütiger Strenge auf seinem Gesicht. »Ab in den Wagen!«, rief er ihr zu.

Tess versteifte sich und warf einen Blick über ihre Schulter. »Es ist so dunkel da drin – ich würde ja doch nichts finden«, sagte sie lahm.

Er kam mit großen, geschmeidigen Schritten auf sie zu, und Tess kuschelte sich unwillkürlich tiefer in die warme Decke. Ein Frösteln lief durch ihren Körper, ihre Zähne klapperten vor Kälte. »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, flüsterte sie.

Joel Shiloh lachte und zog sich auf den Wagen. »Sie brauchen bei mir nicht um Ihre Unschuld bangen, Miss Bishop«, versicherte er, während er hinter ihr im Wagen kramte. »Erwachsene Frauen sind mir lieber.«

»Erwach ...« Tess brach ab. Sie hörte, wie ein Streichholz angerissen wurde, dann flammte eine Petroleumlampe auf.

»Erwachsene Frauen«, beendete er den Satz für sie. »Keine kleinen Mädchen wie Sie.« Er zog eine der Schubladen unter dem eingebauten Bett auf und holte ein Hemd und eine Hose heraus. Eine Hose! »Wenn Sie das jetzt nicht anziehen, werde ich das für Sie tun.«

»Ich bin kein kleines Mädchen!«, widersprach Tess empört, als er ihr die Kleidungsstücke zuwarf. Warum kam es ihr plötzlich so ungeheuer wichtig vor, ihm klarzumachen, dass sie alt genug war, für sich selbst zu sorgen? Und dass sie kein Kind mehr war, wie er zu glauben schien?

Er musterte sie prüfend, als wäre die Decke transparent und als könnte er ihre kleinen, aber wohlgeformten Brüste sehen, ihre schlanke Taille und die sanft gerundeten Hüften, auf die sie mächtig stolz war. »Ich hätte schwören können, dass Sie noch nicht erwachsen sind«, erwiderte er, dann war er fort.

Tess schaute auf die Hose und das Hemd und wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als ihm zu gehorchen, so unpassend es auch sein mochte. Ihr war eiskalt, es regnete noch immer, und es war ein weiter Weg nach Simpkinsville und zum Gästehaus ihrer Tante. Sie konnte sich eine schlimme Grippe oder vielleicht sogar eine Lungenentzündung holen, wenn sie keine trockenen Sachen anzog und sich eine Weile am Feuer wärmte.

Der Teufel soll ihn holen, dachte sie, als sie sich schließlich mühsam aufrichtete und ins Innere des Wagens ging. Als sie die Tür zuschlug, hörte sie Joel Shiloh lachen.

Die Hose und das Hemd waren viel zu weit und viel zu groß, und Tess war froh, dass sie wenigstens ihre eigenen Schuhe und Strümpfe anziehen konnte. Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als ihr Blick auf eine abgenutzte Bibel fiel. Sie lag offen auf dem ungemachten Bett, und Tess nahm sie – aus Gründen, die sie sich selber nicht erklären konnte – in die Hand. Einige Passagen waren unterstrichen, die Seiten vom häufigen Anfassen abgegriffen und verschmutzt. Wieso las ein Mann mit einer derart offensichtlichen Abneigung gegen Gott die Bibel?

Tess klappte sie stirnrunzelnd zu und sah erst dann den in goldenen Buchstaben eingravierten Namen auf der Lederhülle. Keith Corbin. Keith Corbin?

Sie legte die Bibel an ihren Platz zurück und schlug sie an der gleichen Stelle auf, wo er zuletzt gelesen zu haben schien. Dann ging sie nachdenklich zur Wagentür. Warum schleppte der Hausierer eine Bibel mit dem Namen eines anderen Mannes mit sich herum?

Der Name Corbin kam ihr bekannt vor. Wo hatte sie ihn bloß gehört?

Tess erschrak, als sie Mister Shiloh direkt vor der Wagentür entdeckte, und machte ein schuldbewusstes Gesicht. Ob er von ihrer Herumschnüffelei etwas ahnte?

Er betrachtete sie mit belustigter Bewunderung, dann streckte er die Arme aus, um sie vom Wagen zu heben. Seine Hände schienen einen Moment länger als nötig auf ihrer Taille zu verweilen – aber vielleicht bildete sie sich das nur ein.

»Das Feuer brennt, und der Kaffee ist auch gleich fertig. Seien Sie vorsichtig. Die Becher sind aus Metall und werden sehr heiß.«

Dann schob er sich an ihr vorbei, kletterte auf den Wagen und schloss die Tür. Tess rührte sich nicht, bis sie eine Schublade sich öffnen und schließen hörte und wusste, dass auch er sich umzog. Erneut schoss ihr die Röte ins Gesicht, und sie lief hastig zum Lagerfeuer.

Dort wärmte sie ihre kalten Hände und schüttelte ihr feuchtes Haar, um es zu trocknen. Zum ersten Mal fiel ihr jetzt auf, dass ganz in der Nähe ein Maulesel graste. Als nähme auch er Tess’ Anwesenheit nun erst zur Kenntnis, warf er ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und wieherte schrill.

»Du armes Tier«, murmelte sie und ging auf den Esel zu, aber Joel Shilohs Erscheinen ließ sie in der Bewegung verharren. Er trug saubere, frische Kleider und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, um es zu glätten.

Tess überlegte geistesabwesend, ob sein Haar braun war wie ihr eigenes, blond oder eine Mischung beider Farben. Es war schwer zu sagen, nass, wie es war, aber eins stand fest: Es war viel zu lang.

Er kam zu ihr ans Feuer, bückte sich nach der Kaffeekanne und füllte die beiden bereitgestellten Becher. Einen davon reichte er Tess, ohne sich aus der Hocke aufzurichten.

Sie nahm den Kaffee, wobei ihr fast die viel zu weite Hose aus der Hand gerutscht wäre. »Warum lassen Sie das arme Tier im Regen stehen?«, erkundigte sie sich vorwurfsvoll und blickte zu dem Esel hin.

Joel Shiloh trank einen Schluck von seinem Kaffee und ließ sich so viel Zeit dabei, dass Tess den Eindruck hatte, er versuchte, ein Lächeln zu verbergen. Schließlich antwortete er: »Das letzte Mal habe ich ihn mit in den Wagen genommen, aber er beklagte sich, das Bett wäre zu schmal für uns beide.«

Tess senkte den Kopf und verkniff sich ein Lächeln.

Mister Shiloh seufzte philosophisch und nippte an seinem Kaffee.

»Warum haben Sie mit einer Schüssel und der Kaffeekanne nach Gott geworfen, Mister ... Mister Shiloh?«

Als er merkte, wie sie zögerte, seinen Namen auszusprechen, warf er ihr einen scharfen Blick zu. Langsam stand er auf. »Ich glaube, das geht Sie nichts an, Miss Bishop«, sagte er kalt.

Tess war so betroffen, als hätte er sie geschlagen, und spürte, wie sie blass wurde. »Es ... tut mir leid. Sie ... Sie haben recht ...«

Er wirkte plötzlich abweisend. Und ziemlich unglücklich. »Trinken Sie Ihren Kaffee aus«, sagte er barsch. »Dann schirre ich den Esel an und bringe Sie nach Hause.«

»Nein!«

Er starrte sie mit hochgezogenen Brauen an. »Nein?«

Tess bedauerte ihre heftige Reaktion. »Ich meine, ich habe mein Fahrrad hier, und es ist gar nicht so weit ... ich schaffe es auch allein nach Hause.«

»Unsinn«, widersprach er und schüttete unerklärlicherweise seinen Kaffee in die Glut, wo er zischend verdampfte. »Simpkinsville liegt fünf Meilen entfernt, und Sie müssen Ihre Kamera tragen. Außerdem könnte es wieder anfangen zu regnen.«

Tess’ Schultern sackten herab. Wenn ihr Fahrrad keinen platten Reifen hätte, wäre sie längst zu Hause. Aber die Aussicht, es schieben zu müssen und vielleicht in einen neuen Wolkenguss zu geraten, war recht entmutigend. »Derora bringt mich um«, murmelte sie vor sich hin.

»Wer ist Derora, wenn ich fragen darf?«

»Meine Tante – obwohl es Sie gar nichts angeht«, antwortete sie steif.

»Touché«, meinte er anerkennend. »Aber sagen Sie mir doch bitte, warum Ihre Tante Sie umbringen wird, wie Sie es nennen?«

»Derora Beauchamp ist eine sehr schwierige Person«, antwortete Tess leise, »und mag mich leider nicht besonders. Was sich keineswegs zum Besseren ändern wird, wenn ich in Begleitung eines heruntergekommenen Hausierers und in diesen Kleidern bei ihr erscheine.«

Joel Shiloh schüttelte lächelnd den Kopf. »So, heruntergekommen bin ich also?«

»Nun ja, Sie bräuchten eine Rasur«, erwiderte Tess. »Und einen Haarschnitt und ein Bad ...«

Er tat, als bewegte er einen Bleistift und machte sich Notizen auf der Hand. »Rasur. Haarschnitt. Bad«, las er dann laut vor.

Tess musste lachen. »Sie sind wirklich komisch. Sie streiten mit Gott. Sie haben einen Namen auf Ihrem Wagen und einen anderen auf Ihrer ...«

Das tiefe Misstrauen, das auf seinem Gesicht erschien, war so erschreckend, dass Tess verlegen abbrach. »Einen anderen Namen auf meiner ... was?«, fragte er streng.

Tess trat einen Schritt zurück und verwünschte ihre Neugier. »Ich meine nur ... nun ja ...«

»Sie meinten was?«

Tess schluckte. Ein Kloß hatte sich in ihrer Kehle gebildet. »Ich ... ich habe die Bibel gesehen«, gab sie zu. »Ich wollte nicht schnüffeln ...«

»Oh«, meinte er nur und fuhr sich wieder durch sein Haar, während er sich abwandte. Jetzt, wo es trocken war, konnte Tess sehen, dass es die Farbe von reifem Weizen hatte. »Die gehörte einem Freund von mir.«

»S-Sie brauchen mir nichts zu erklären.«

»Ich weiß«, antwortete er, und diesmal, als er sich wieder zu ihr umdrehte, stand ein Lächeln in seinen Augen. »Wo haben Sie Ihr Fahrrad? Ich packe es in den Wagen, während Sie Ihren Kaffee austrinken.«

»Ich möchte wirklich nicht ...«

Er winkte nur ab und ging in Richtung Straße. Einen Moment später kam er mit dem Fahrrad zurück.

»Wirklich, Mister Shiloh ...«

Er öffnete die Wagentür und hob das Fahrrad hinein. Tess fragte sich, ob er je auf Einwände anderer Leute hören mochte.

Mit geübten Bewegungen legte Joel dem Maulesel das Geschirr an. Dann kam er zum Feuer zurück, löschte es, sammelte Kaffeekanne und Becher ein und bedeutete Tess mit einer galanten Geste, ihm zu folgen.

Überzeugt, dass jeder weitere Protest sinnlos war, kletterte sie auf den hohen Kutschbock, ohne seine Hilfe abzuwarten.

»Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihrer Tante alles«, bot Joel an, als er neben ihr saß und die Zügel nahm.

»Das würde es nur verschlimmern!«, erwiderte Tess schmollend.

»Das tut mir leid«, sagte er und schien es ehrlich zu meinen. »Der erste Eindruck, den Sie von mir hatten, war nicht besonders gut, nicht wahr?«

Das stimmte. Und Tess hoffte, dass es bei diesem ersten Eindruck blieb und bald vorbei war. »Das macht nichts«, versetzte sie kühl. »Sie werden weiterziehen – wie alle Hausierer.«

»Vielleicht bleibe ich eine Weile«, meinte er.

Tess warf ihm einen entsetzten Blick zu, um dann zu beschließen, dass es ihr völlig gleichgültig war, ob er weiterzog oder blieb. Ihre Aufgaben im Gästehaus ließen ihr wenig Zeit für mögliche Begegnungen mit ihm. »Wie Sie wünschen«, sagte sie.

Sie fuhren schweigend weiter. Als der Columbia River in Sicht kam, mit seinen Dampfbooten und Lastschiffen, vergaß Tess den Fremden neben sich und begann zu träumen. Bald würde sie Simpkinsville verlassen und nach Astoria, Portland oder Seattle gehen. Sie würde sich einen richtigen Job suchen und ...

»Woran denken Sie?«, sagte der Hausierer überraschend sanft in ihre Gedanken hinein.

Tess lächelte ihn an. Und obwohl sie Simpkinsville schon näher waren und damit auch Derora, ihrer Tante, war Tess ganz warm und froh zumute. »An Dampfer«, antwortete sie. »Und an all die Orte, zu denen sie fahren.«

Joel Shilohs Mundwinkel zuckten, aber er nickte leicht. Er verstand, und das machte ihn Tess sympathisch.

2

Simpkinsville war nicht besser und nicht schlechter als irgendeine andere Holzfällerstadt, die der Hausierer im Laufe dieses Jahres ziellosen Herumwanderns gesehen hatte. Es war ein kleines, aber geschäftiges Nest, dicht am Columbia River gelegen und von hohen, bewaldeten Bergen umgeben. Joel dachte an Puget Sound und dann an Wenatchee, eine weitere Stadt an diesem Wasserlauf, und er empfand den schmerzhaften Stich von Heimweh.

Tess zeigte ihm den Weg zu einer Seitenstraße, die unmittelbar am lärmenden Sägewerk vorbeiführte. Sie war ein hübsches Ding, diese Tess, mit ihrer wilden braunen Mähne, ihrer kecken Nase und den großen, haselnussbraunen Augen ...

Und sie wusste, dass er nicht Joel Shiloh war. Keith war überzeugt, dass sie seine hastig erfundene Lüge durchschaut hatte und wusste, dass es sein Name war, der auf der Bibel stand. Verdammt.

Er wollte ihr gerade sagen, wer er wirklich war, als sie ihm die Pension ihrer Tante zeigte. Keith hatte so etwas noch nie gesehen: Die Pension bestand nicht nur aus einem Haus, sondern auch aus mehreren Eisenbahnwaggons, und der ungewöhnliche Anblick ließ ihn alles andere vergessen.

Das Gebäude, das im Zentrum stand, war ein ganz gewöhnliches Holzhaus, rechteckig und verwittert, aber von ihm gingen in alle vier Himmelsrichtungen Eisenbahnwaggons aus, die ganz offensichtlich als zusätzliche Wohnflügel dienten.

Tess schaute ihn fragend an. Das leise Zittern ihrer Unterlippe verriet, dass sie sich ihres seltsamen Zuhauses bewusst war. »Hier wohne ich«, sagte sie unnötigerweise.

Keith betrachtete das Haus noch immer. »Wie ...«

Doch als er merkte, wie Tess sich versteifte, brach er ab. Ihre unbewusste Bewegung neben ihm hatte ein vertrautes Ziehen in seinen Lenden ausgelöst. Es war zu lange her, seit er eine Frau gehabt hatte ...

Aber diese hier wollte er nicht haben. Nein, dazu war sie viel zu jung, zu unschuldig und zu bezaubernd, und obwohl er den geraden Pfad schon lange verlassen hatte, hatte er noch ein Gewissen. Sehr zu seinem Bedauern, wie er oft feststellte.

»Mein Onkel hat die Waggons gekauft, als die Schienen nach Simpkinsville gelegt wurden«, erklärte Tess steif. »Er wollte eine eigene Frachtlinie eröffnen.«

Keith zog die Zügel, und der Maulesel blieb mürrisch stehen. »Ihr Onkel? Vorhin erwähnten Sie keinen ...«

»Er hat meine Tante vor zwei Jahren verlassen. Er ging mit einer anderen Frau fort.« Sie saß ganz still auf ihrem Platz, aber in ihren Augen lag ein herausfordernder Blick. Vermutlich war sie sehr empfindlich, was dieses Thema betraf. »Da meine Tante und ich uns irgendwie durchbringen mussten, ließen wir die Waggons herschaffen und mit dem Haus verbinden, damit wir Platz hatten, um Gäste aufnehmen zu können.«

»Ich verstehe«, sagte Keith leise. Während er Tess betrachtete, bildete sich ein Klumpen in seiner Kehle, und auch sein Magen begann sich ganz merkwürdig zu benehmen. Unwillkürlich fragte er sich, ob er sich irgendeine Krankheit geholt haben mochte ...

Tess kletterte vom Bock, was nicht ganz einfach war, da sie gleichzeitig die Hosen am Bund zusammenhalten musste. »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte sie, als sie auf der Straße stand.

Keith unterdrückte ein Lachen. Sie war wirklich fast noch ein Kind, aber sie war schön, selbst in diesen Hosen, in denen sie ein bisschen albern wirkte. »Wollen Sie Ihre Sachen nicht wiederhaben?«, fragte er, zog die Bremse fest und sprang vom Bock, bevor sie antworten konnte. Die Brandblase an seinem rechten Fuß schmerzte so heftig, dass er zusammenzuckte. Das hast du davon, wenn du mit durchlöcherten Sohlen ins Feuer trittst, dachte er, während er um den Wagen herumging und die Ladeklappe öffnete.

Tess wartete auf dem Bürgersteig und warf nervöse Blicke auf das Haus, während Keith das Fahrrad und die Kamera aus dem Wagen holte.

Sie schob das Fahrrad ein paar Meter weiter und lehnte es an einen reparaturbedürftigen Zaun, bevor sie zurückkam, um ihre Kamera zu holen. Als sie den schwarzen Kasten vorsichtig entgegennahm, erschien eine überraschende Zärtlichkeit in ihrem Blick, und Keith stellte zu seinem Erstaunen fest, dass er sich wünschte, sie möge auch ihn so ansehen.

»Würden Sie einmal eine Aufnahme von mir machen, Tess Bishop?«, hörte er sich selbst fragen.

Sie errötete und wandte den Blick für einen Moment ab, um ihn dann wieder mit einem zaghaften Lächeln anzusehen. »Ja, aber nur, wenn Sie sich rasieren«, antwortete sie.

Und nun sah er das Schild; das über dem Eingang des Gästehauses angebracht war: »Vortrag heute Abend«, stand darauf.

Keith massierte nachdenklich sein stoppeliges Kinn. Dieses Haus gab ihm immer größere Rätsel auf. Außerdem brauchte er wirklich ein Bad und eine Rasur, und die Vorstellung, in einem richtigen Bett zu schlafen, besaß auch ihre Reize ... »Hat Ihre Tante Zimmer frei?«, erkundigte er sich nachdenklich.

Tess versteifte sich, und wieder stieg eine bezaubernde Röte in ihre Wangen. »Nein ... ich ...«

Doch bevor sie aussprechen konnte, öffnete sich die Eingangstür, und eine Frau, fast so groß wie Keith selbst, trat auf den Bürgersteig hinaus. Sie wirkte interessiert und gleichzeitig verärgert.

»Tess Bishop, wo hast du ...« Dunkle Augen musterten Keith prüfend und verweilten auf seinem Gesicht.

Das musste Derora sein, Tess’ Tante. Wieder empfand Keith Verblüffung, denn er hatte eine Art Vogelscheuche oder eine fette kleine Wachtel erwartet. Aber diese Frau, höchstens ein paar Jahre älter als er selbst und makellos schön, war weder das eine noch das andere.

»Derora Beauchamp«, stellte sie sich vor und reichte ihm lächelnd eine gepflegte Hand. Ihr eleganter Morgenrock bestand aus einem weichen rosa Material, und Keith’ Verlangen nach einem heißen Bad und einem Bett verdoppelte sich, als er Deroras Hand berührte.

»Das ist Mister Joel Shiloh«, stellte Tess ihn vor. »Er ist Hausierer«, fügte sie erklärend hinzu.

Derora Beauchamp lächelte und entblößte ihre ebenmäßigen weißen Zähne. »Ein straßenmüder Reisender«, berichtigte sie. »Unser Gästehaus ist das beste in der Stadt, Mister Shiloh. Möchten Sie nicht den Komfort nutzen, den wir Ihnen bieten können?«

»Unser Gästehaus ist das einzige in der Stadt«, warf Tess mürrisch ein.

Die Wärme von Missis Beauchamps Hand löste in ihm ein angenehmes Prickeln aus. Zu lange. Es war zu lange her.

Er nickte stumm und spürte den vernichtenden Blick, den Tess in seine Richtung warf. Die kleine Tess. Er lächelte, strich ihr über das windzerzauste Haar und ließ sich von Derora Beauchamp ins Haus geleiten.

Tess kochte vor Zorn, als sie ihre Tante den verrückten Hausierer hineinführen sah. Jetzt würde sie ihm sicher Tee anbieten, den besten Sessel im Salon und vielleicht sogar eine Zigarre ...

Vor der Ankündigung des abendlichen Vortrags blieb Tess sinnend stehen. Freie Liebe. Wie passend, dieses Thema!

Aber es wird keine freie Liebe sein, Mister Joel Shiloh, dachte sie mit gehässiger Befriedigung. Umsonst gibt es hier nämlich nichts.

Um weder Derora noch deren zukünftiger Eroberung zu begegnen, ging Tess um das Haus herum und betrat es durch die Küche.

Juniper, die schwarze Frau, die mit Tess’ Hilfe für die Gäste kochte, drehte sich zu ihr um und betrachtete sie verblüfft. »Wie siehst du denn aus, Tess? Wo hast du gesteckt? Warum trägst du Männerkleider?«

Tess erwiderte den entrüsteten Blick der hageren Frau mit trotziger Miene. »Das erkläre ich dir später, Juniper.«

»Großer Gott, sieh dir dieses Kind an! Die Haare wirr wie bei einer ... na, du weißt schon ... und dann diese Hosen ... «

»Ach, hör auf!«, meinte Tess, während sie sich neugierig fragte, was nun in Deroras Salon vorgehen mochte. Doch was interessierte es sie schon, ob ihre Tante diesen Wahnsinnigen verführte? Es würde ihm nur recht geschehen.

Aber es war ihr nicht egal. Ganz im Gegenteil. Tess kamen die Tränen, als sie daran dachte, wie Joel Shiloh ihre Tante angesehen hatte. Sie, Tess, schien er völlig vergessen zu haben, als er Derora erblickte, und er hatte ihr nur flüchtig übers Haar gestrichen ... wie einem lästigen Kind.

»Du gehst sofort in dein Zimmer und ziehst dir etwas Anständiges an!«, befahl Juniper, bevor sie an den Herd zurückkehrte. »Ich schwöre dir, ich habe noch nie so ein widerspenstiges Kind ...«