Land der Freien - Cormac McCarthy - E-Book

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Cormac McCarthy

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Beschreibung

Ein wort- und bildmächtiger Western. Karg und poetisch zugleich. John Grady Cole arbeitet auf einer Ranch in der Nähe von El Paso. In den Nachtbars und Bordellen hinter der mexikanischen Grenze findet er die Frau seines Lebens: Magdalena, eine schöne Hure, zart und zerbrechlich. Doch sie gehört Eduardo, dem philosophierenden Zuhälter und Messerhelden. Und Magdalena ist um keinen Preis verkäuflich, es sei denn, um den des Todes. Der abschließende Band der Border-Trilogie.

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Cormac McCarthy

Land der Freien

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

 

Über dieses Buch

Ein wort- und bildmächtiger Western. Karg und poetisch zugleich.

John Grady Cole arbeitet auf einer Ranch in der Nähe von El Paso. In den Nachtbars und Bordellen hinter der mexikanischen Grenze findet er die Frau seines Lebens: Magdalena, eine schöne Hure, zart und zerbrechlich. Doch sie gehört Eduardo, dem philosophierenden Zuhälter und Messerhelden. Und Magdalena ist um keinen Preis verkäuflich, es sei denn, um den des Todes.

 

«Die Border-Trilogie ist ein bewundernswertes, eigentümliches Werk: eine große erzählerische Reflexion über Vergänglichkeit, Gewalt, Schmerz und die Unmöglichkeit der Erlösung.» Die Zeit

Der abschließende Band der Border-Trilogie.

Vita

Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte seinen Roman «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco. Cormac McCarthy starb im Juni 2023 in Santa Fe, New Mexico.

 

Nikolaus Stingl, geb. 1952 in B.-Baden, übersetzte unter anderem William Gaddis, William Gass, Graham Greene, Cormac McCarthy und Thomas Pynchon. Er wurde mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Paul-Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel «Cities of the Plain» bei Alfred A. Knopf, Inc., New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2022

Copyright © 2001 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Cities of the Plain» Copyright © 1998 by Cormac McCarthy

Redaktion Hans Wolf

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Cathrin Günther

Coverabbildung plainpicture/wildcard

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00729-1

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

I

Sie standen an der Tür, stampften sich die Wassertropfen von den Stiefeln, schwangen ihre Hüte und wischten sich die Nässe vom Gesicht. Draußen auf der Straße peitschte der Regen durchs stehende Wasser, ließ das knallige Rot und Grün der Neonreklamen zerlaufen und verwabern und tanzte auf den Blechdächern der am Bordstein geparkten Wagen.

Verdammt, ich bin halb ersoffen, sagte Billy. Er schwang seinen triefenden Hut. Wo’s’n unser großer Cowboy?

Schon reingegangen.

Dann mal los. Wahrscheinlich hat er sich schon alle Dicken untern Nagel gerissen.

Die Huren, die in ihren schäbigen Negligés auf den schäbigen Sofas saßen, schauten hoch. Der Raum war fast leer. Wieder stampften die Männer mit den Stiefeln auf, gingen zur Bar hinüber, schoben sich mit dem Daumen die Hüte zurück und stützten die Füße auf die Stange über der gekachelten Abflussrinne, während der Barkeeper ihnen Whiskey einschenkte. Im blutroten Barlicht und in den Rauchschwaden hoben sie, wie zum Gedenken an einen vierten, inzwischen verlorenen Gefährten, kurz die Gläser, nickten, kippten den Alkohol hinunter, stellten die leeren Gläser wieder auf den Tresen und wischten sich mit dem Handrücken den Mund. Troy ruckte mit dem Kinn Richtung Barkeeper und beschrieb mit dem Finger einen Kreis über den leeren Gläsern. Der Barkeeper nickte.

John Grady, du siehst aus wie ’ne Hafenratte, verdammt.

Genauso komm ich mir auch vor.

Der Barkeeper goss ihnen Whiskey ein.

So hab ich’s noch nie regnen sehen. Willst du ’n Bier? Drei Bier.

Hast du dir schon eine von den Süßen ausgesucht?

Der Junge schüttelte den Kopf.

Welche gefällt dir denn, Troy?

Ich bin wie du … Ich bin wegen ’ner Dicken hergekommen, und genau so eine nehm ich auch. Kannst mir sagen, was du willst, Alter, aber wenn du Lust auf ’ne Dicke kriegst, bist du mit nichts anderem zufrieden.

Das Gefühl kenn ich. Dann such dir mal eine aus, John Grady.

Der Junge drehte sich um und betrachtete die Huren auf der anderen Seite des Raums.

Wie wär’s mit der stämmigen Alten im grünen Pyjama?

Mach ihn bloß nicht auf meine scharf, sagte Roy. Sonst gibt’s hier gleich ’ne Keilerei, und du bist schuld dran.

Na los. Sie guckt schon her.

Die gucken alle her.

Na los. Ich seh doch, dass du ihr gefällst.

Die würd John Grady glatt bis an die Decke schleudern.

Ach was, doch nicht unsern großen Cowboy. Der Cowboy würd an ihr kleben bleiben wie ’ne Spitzklette. Wie wär’s mit der, die sich in den blauen Vorhang gewickelt hat?

Beacht ihn einfach nicht, John Grady. Die sieht aus, als hätt ihr Gesicht Feuer gefangen und dann hätt’s einer mit ’nem Rechen ausgeschlagen. Die Blonde da hinten ist mehr dein Typ, würd ich sagen.

Billy schüttelte den Kopf und griff nach seinem Whiskey. Mit dem Mann kann man einfach nicht vernünftig reden. Er hat eben keinen Geschmack, was Frauen angeht, soviel steht mal fest.

Halt dich an deinen alten Dad, sagte Troy. Der besorgt dir was, wo ’n bisschen was dran ist. Dabei hat Parham da mal behauptet, man soll sich mit nichts einlassen, was man nicht hochheben kann. Für den Fall, dass das Haus zu brennen anfängt.

Oder der Stall.

Oder der Stall.

Weißt du noch, damals, wie wir mit Clyde Stapp hier waren?

Ja klar; der hatte wenigstens Ahnung. Hat sich eine ausgesucht, die richtig was auf die Waage gebracht hat.

JC und die anderen haben der Alten ’n paar Dollar zugesteckt, damit sie sie nach hinten gehen und mal gucken lässt. Sie wollten ihn fotografieren, aber dann haben sie lachen müssen und die Sache vermasselt.

Wir haben Clyde gesagt, er sieht aus wie ’n Affe, der ’n Fußball fickt. Ich hab schon gedacht, wir müssten ihm mit der Peitsche Dampf machen. Wie wär’s mit der da drüben in Rot?

Hör nicht auf ihn, John Grady.

Kostet pro Pfund ’n Dollar. So was wie die kommt für ihn überhaupt nicht in Frage.

Macht ihr mal, sagte John Grady.

Such dir endlich eine aus.

Schon gut.

Siehst du, Troy? Du bringst den Knaben bloß durcheinander.

JC hat jedem erzählt, Clyde hätt sich in die Alte verliebt und wollte sie mitnehmen, aber sie hätten nur den Laster dabeigehabt und erst den Tieflader holen müssen. Bis dahin war Clyde wieder nüchtern und nicht mehr verliebt, und JC hat gesagt, er nimmt ihn nie mehr in den Puff mit. Er hätt sich nicht wie ’n verantwortungsbewusster Mann benommen.

Macht ihr mal, sagte John Grady.

Hinten im Gebäude konnte er den Regen auf ein Blechdach pladdern hören. Er bestellte sich noch einen Whiskey, drehte langsam das Glas auf dem polierten Holz und betrachtete im gelbstichigen Glas des alten Brunswick-Barspiegels den Raum hinter ihm. Eine der Huren kam herüber, nahm ihn beim Arm und bat ihn, ihr einen Drink zu spendieren; er sagte, er warte noch auf seine Freunde. Nach einer Weile kam Troy zurück, setzte sich auf einen Barhocker und bestellte einen weiteren Whiskey. Er hatte die Hände vor sich auf dem Tresen gefaltet wie ein Kirchgänger. Dann zog er eine Zigarette aus seiner Hemdtasche.

Ich weiß nicht, John Grady.

Was weißt du nicht?

Ich weiß nicht.

Der Barkeeper goss ihm seinen Whiskey ein.

Gib ihm auch noch einen.

Der Barkeeper schenkte nach.

Eine andere Hure war herübergekommen und hatte John Grady am Arm gefasst. Ihr Gesichtspuder hatte Sprünge wie alter Leim.

Sag ihr, du hast ’n Tripper, sagte Troy.

John Grady sagte etwas auf Spanisch zu ihr. Sie zerrte an seinem Arm.

Das hat Billy hier auch mal zu einer gesagt. Macht nichts, hat sie gesagt, sie hätt ihn auch.

Er zündete sich mit einem Zippo der Third Infantry die Zigarette an, legte das Feuerzeug auf das Päckchen, blies Rauch über das polierte Holz und warf John Grady einen Blick zu. Die Hure hatte sich wieder zum Sofa zurückgezogen; John Grady musterte irgendetwas im Barspiegel. Troy drehte sich um und folgte seinem Blick. Ein Mädchen von höchstens siebzehn, vielleicht weniger, saß mit locker im Schoß liegenden Händen und niedergeschlagenem Blick auf der Sofalehne. Sie nestelte wie ein Schulmädchen am Saum ihres bunten Kleides. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr über die Schulter, und sie strich es sich langsam mit dem Handrücken zur Seite.

Sieht gut aus, was?, sagte Troy.

John Grady nickte.

Na los, hol sie dir.

Schon gut.

Nun mach schon, verflucht.

Da kommt er.

Billy kam zum Tresen und rückte sich den Hut zurecht.

Soll ich sie für dich holen?, sagte Troy.

Kann ich schon selber, wenn ich will.

Otra vez, sagte Billy. Er drehte sich um und sah zur anderen Seite des Raums.

Mach schon, sagte Troy. Na los, wir warten auf dich.

Die Kleine, zu der du gerade hinschaust? Ich wette, die ist noch keine fünfzehn.

Die Wette gewinnst du, sagte Troy.

Nimm die, die ich gehabt hab. Die hat alle fünf Gangarten drauf, oder ich versteh nichts vom Reiten.

Der Barkeeper goss ihnen Whiskey ein.

Wird gleich wieder da sein.

Schon gut.

Billy sah Troy an. Er drehte sich um, griff nach seinem Glas, betrachtete das rötliche Gequirl des Alkohols, hob das Glas, trank es aus, nahm sein Geld aus der Hemdtasche und ruckte mit dem Kinn in Richtung Barkeeper, der zu ihnen hersah.

Seid ihr so weit?, fragte er.

Ja.

Besorgen wir uns irgendwo was zu essen. Ich denk, es hört demnächst zu regnen auf. Jedenfalls hör ich nichts mehr.

Sie gingen die Ignacio Mejía entlang zur Juárez Avenue. Durch die Rinnsteine strömte gräuliches Wasser, und auf der feuchtschwarzen Straße zerliefen langsam die Lichter der Bars, Cafés und Andenkengeschäfte. Ladenbesitzer riefen sie an, und von beiden Seiten drängten ihnen Straßenverkäufer Schmuck und bunte Umhänge auf. Sie überquerten die Juárez Avenue, gingen die Mejía entlang zum Napoleón und setzten sich an einen Tisch am vorderen Fenster. Ein livrierter Kellner kam und wischte mit einem Handfeger das fleckige weiße Tischtuch ab.

Caballeros, sagte er.

Sie aßen Steaks, tranken Kaffee, hörten sich Troys Kriegsgeschichten an, rauchten und sahen zu, wie die uralten gelben Taxis das Wasser auf der Straße durchfurchten. Dann gingen sie die Juárez Avenue entlang zur Brücke.

Die Straßenbahnen fuhren nicht mehr, und auf den Straßen herrschte kaum noch Verkehr und Geschäftigkeit. Die im feuchten Lampenschein schimmernden Gleise liefen auf den Zollschuppen zu und weiter zur Brücke, in die sie eingebettet waren wie große chirurgische Klammern, die jene ungleichen, zerbrechlichen Welten miteinander verbanden; die Bewölkung hatte sich von den Franklins herab nach Süden verzogen, auf die Berge von Mexiko zu, die sich als dunkle Silhouette vom sternklaren Himmel abhoben. Sie gingen über die Brücke, schoben sich mit leicht schräg sitzenden Hüten, leicht betrunken, nacheinander durch das Drehkreuz und marschierten die El Paso Street hinauf.

 

Es war noch dunkel, als John Grady ihn weckte. Er war angezogen und schon in der Küche gewesen, hatte mit den Pferden gesprochen und stand, einen Becher Kaffee in der Hand, in der Tür von Billys Schlafkammer, deren Leinwandvorhang bis zum Türpfosten zurückgezogen war. He, Cowboy, sagte er.

Billy stöhnte.

Auf geht’s. Schlafen kannst du im Winter.

Verflucht.

Auf geht’s. Du liegst schon fast vier Stunden hier rum.

Billy setzte sich auf, stellte die Füße auf den Boden und vergrub den Kopf in den Händen.

Ich kapier nicht, wie man so rumliegen kann.

Scheiße, was bist du denn morgens schon so verdammt munter?

Bring mir lieber ’n anständigen Kaffee.

Ich bin nicht dein Kaffeebringer. Los, hoch mit dem Arsch. Fressen steht auf ’m Tisch.

Von einem Wandhaken über dem Bett nahm Billy seinen Hut, setzte ihn auf und rückte ihn zurecht. Okay, sagte er. Ich bin so weit.

John Grady ging hinaus und durch die Banse Richtung Haus. Die Pferde wieherten ihm zu, als er an ihren Boxen vorbeikam. Ich weiß, wie spät es ist, sagte er zu ihnen. Am Ende der Scheune hing ein Seil vom Heuboden herab; er trank den letzten Schluck Kaffee, schleuderte den Satz aus dem Becher, sprang hoch, brachte mit einem Schlag seiner Hand das Seil zum Schwingen und ging hinaus.

Sie saßen schon alle am Tisch und aßen, als Billy die Tür aufstieß und hereinkam. Socorro nahm die Platte mit den Brötchen, trug sie zum Herd, kippte sie auf ein Blech, schob das Blech ins Warmhaltefach, holte bereits warme Brötchen heraus, legte sie auf die Platte und brachte die Platte zum Tisch. Dort standen eine Schüssel mit Rührei und eine mit Maisgrütze, dazu ein Teller Würstchen, eine Schüssel mit Soße und Schalen mit Eingemachtem, pico de gallo, Butter und Honig. Billy wusch sich am Ausguss das Gesicht. Socorro reichte ihm das Handtuch; er trocknete sich ab, legte das Handtuch auf die Küchentheke, kam zum Tisch, schwang das Bein über die Lehne des freien Stuhls, setzte sich und langte nach der Schüssel Rührei. Oren warf ihm über den Rand seiner Zeitung hinweg einen Blick zu und las dann weiter.

Billy löffelte sich Rührei auf den Teller, stellte die Schüssel ab und griff nach den Würstchen. Morgen, Oren, sagte er. Morgen, JC.

JC blickte von seinem Teller auf. Hast wohl auch die ganze Nacht ’n Bären geknutscht, was?

Und ob, sagte Billy. Er nahm sich ein Brötchen, legte das Tuch wieder über die Platte und griff nach der Butter.

Zeig mir doch nochmal deine Augen, sagte JC.

Denen fehlt nichts. Gib mal die Salsa rüber.

Er löffelte sich die scharfe Soße über sein Rührei. Gegen Feuer hilft Feuer. Stimmt’s, John Grady?

Ein alter Mann mit herunterhängenden Hosenträgern war in die Küche gekommen. Er trug ein altmodisches, am Hals offen stehendes Hemd, dem der anknöpfbare Kragen fehlte. Er hatte sich gerade rasiert; an seinem Hals und an einem der Ohrläppchen klebte Rasierschaum. John Grady schob seinen Stuhl zurück.

Hier, Mr. Johnson, sagte er. Setzen Sie sich. Ich bin fertig.

Er stand auf, um seinen Teller zum Ausguss zu tragen, aber der Alte bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sitzen zu bleiben, und ging zum Ofen. Bleib sitzen, sagte er. Bleib sitzen. Ich wollt mir nur Kaffee holen.

Socorro nahm einen der weißen Porzellanbecher von der Hakenleiste an der Unterseite des Hängeschranks, goss ein und reichte ihn mit dem Henkel nach vorn dem Alten, der ihn nickend entgegennahm und zum Tisch zurückging. Er schaufelte sich zwei Riesenlöffel Zucker aus der Schale in die Tasse und nahm beim Hinausgehen den Zuckerlöffel mit. John Grady stellte seine Tasse und seinen Teller auf die Anrichte, schnappte sich einen Henkelmann von der Küchentheke und ging nach draußen.

Was ist denn mit dem los?, fragte JC.

Gar nichts, sagte Billy.

Ich mein John Grady.

Ich weiß, wen du meinst.

Oren faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. Fangt bloß nicht schon wieder an, sagte er. Troy, bist du so weit?

Ja, bin so weit.

Sie schoben sich vom Tisch zurück, standen auf und gingen hinaus. Billy stocherte sich in den Zähnen. Er sah JC an. Was machst’n heut Morgen?

Ich fahr mit dem Alten in die Stadt.

Billy nickte. Draußen auf dem Hof sprang der Laster an. Tja, sagte er. Inzwischen ist es wohl so hell, dass man was sieht.

Er stand auf, marschierte zur Küchentheke, nahm seinen Henkelmann und ging hinaus; JC griff über den Tisch nach der Zeitung.

John Grady saß hinter dem Steuer des leer laufenden Lasters. Billy stieg ein, stellte seinen Henkelmann auf den Boden, zog die Tür zu und sah John Grady an.

Alsdann, sagte er. Bist du bereit, für ’n Tagelohn ’n Tag lang zu klotzen?

John Grady legte den Gang ein, und sie fuhren los, die Einfahrt hinunter.

Für ’n gottgegebenen Dollar von früh bis spät schuften, sagte Billy. Mir gefällt dieses Leben. Dir doch auch, oder? Mir gefällt’s. Dir gefällt dieses Leben doch auch, oder? Also mir schon.

Er griff in seine Hemdtasche, klopfte eine Zigarette aus dem Päckchen, zündete sie mit seinem Feuerzeug an und rauchte, während sie die Einfahrt hinunter durch die langen Morgenschatten aus Zaunstange, Pfosten und Eiche fuhren. Die Sonne lag blendend weiß auf dem staubigen Glas der Windschutzscheibe. Entlang dem Zaun standen Rinder, die dem Laster nachbrüllten; Billy musterte sie. Kühe, sagte er.

Auf einer grasigen Erhebung in den roten Lehmhügeln zehn Meilen südlich des Ranchhauses machten sie Mittag. Billy lag, seine zusammengerollte Jacke unterm Kopf und dem Hut über den Augen, auf dem Boden. Er blinzelte nach den grauen, achtzig Meilen weiter westlich gelegenen Hängen der Guadalupes. Ich hasse die Ecke hier, sagte er. In dem Scheißboden hält nicht mal ’n Zaunpfahl.

John Grady saß im Schneidersitz und kaute auf einem Halm. Zwanzig Meilen weiter südlich erstreckte sich entlang dem Tal des Rio Grande ein lebender Gürtel von Grün. Im Vordergrund eingezäunte graue Felder. Grauer Staub, der einem Traktor mit Grubber durch die grauen Furchen eines herbstlichen Baumwollfeldes folgte.

Mr. Johnson sagt, die Army hätt Leute hier rausgeschickt, die hätten Befehl gehabt, sich in sieben Staaten im Südwesten nach dem schlechtesten Boden umzusehen, den sie finden können. Und Macs Ranch läg genau mittendrin.

Billy warf John Grady einen Blick zu; dann sah er wieder auf die Berge.

Meinst du, das stimmt?, fragte John Grady.

Keine Ahnung.

JC meint, der Alte wird immer verrückter.

Der hat bei aller Verrücktheit immer noch mehr Verstand als JC, wenn er klar ist, und das sagt ja wohl alles über JC.

Ich weiß nicht.

Dem Alten fehlt nichts. Der ist bloß alt, das ist alles.

JC sagt, er hätt sich nie mehr richtig berappelt, seit seine Tochter gestorben ist.

Ist ja wohl auch kein Wunder. Sie hat ihm alles bedeutet.

Ja.

Vielleicht sollten wir mal Delbert fragen. Was er dazu meint.

Delbert ist nicht so blöd, wie er aussieht.

Das will ich auch hoffen. Der Alte hat jedenfalls schon immer seine Marotten gehabt, und die hat er auch heute noch. Hier ist nichts mehr wie früher. Und das wird’s auch nie mehr werden. Vielleicht sind wir alle ein bisschen verrückt geworden. Wenn alle miteinander verrückt würden, würd’s wahrscheinlich kein Mensch merken, oder was meinst du?

John Grady beugte sich vor, spuckte durch zusammengebissene Zähne aus und steckte sich den Halm wieder in den Mund. Du hast sie gemocht, stimmt’s?

Und wie. Kein Mensch war je so nett zu mir.

Eine Viertelmeile weiter östlich kam ein Kojote aus dem Unterholz und trottete über einen Hügelkamm. Nun guck dir das Mistvieh an.

Warte, ich hol das Gewehr.

Bis du aufgestanden bist, ist er längst weg.

Der Kojote trottete den Hügelkamm entlang, blieb stehen, blickte zurück und verschwand dann vom Kamm wieder ins Unterholz.

Was meinst du, was der mitten am Tag da draußen macht?

Wahrscheinlich fragt er sich das Gleiche von dir.

Meinst du, er hat uns gesehen?

Jedenfalls hab ich ihn nicht kopfüber in die Feigenkakteen da drüben laufen sehen; also nehm ich mal an, er ist nicht völlig blind.

John Grady hielt nach dem Kojoten Ausschau; das Tier tauchte nicht wieder auf.

Das Komische ist, sagte Billy, dass ich grad vorhatte zu gehen, wie sie krank geworden ist. Ich wollte weiter. Als sie tot war, hatt ich noch viel weniger Grund zu bleiben, aber ich bin trotzdem geblieben.

Wirst dir wahrscheinlich gedacht haben, dass Mac dich braucht.

So ’n Scheiß.

Wie alt war sie eigentlich?

Ich weiß nicht, Ende dreißig. Vierzig vielleicht. Hat man ihr allerdings nicht angesehen.

Meinst du, er kommt drüber weg?

Mac?

Ja.

Nein. Über so ’ne Frau kommt man nicht weg. Der kommt über gar nichts weg. Nie im Leben.

Er rappelte sich hoch, setzte seinen Hut auf und rückte ihn zurecht. Bist du soweit, Alter?

Ja.

Billy stand steif auf, bückte sich nach seinem Henkelmann, wischte sich mit einer Hand den Hosenboden ab und griff sich seine Jacke. Er sah John Grady an.

’n alter Viehtreiber hat mir mal erzählt, er hätt noch nie erlebt, dass ’ne Frau, die mit Innenklo großgeworden ist, irgendwas taugt. Sie hat’s nicht leicht gehabt. Der alte Johnson war nie was anderes als ’n Cowboy, und was das einbringt, weißt du ja. Mac hat sie bei ’nem Gemeindeessen in Las Cruces kennen gelernt, als sie siebzehn war, und das war’s dann auch. Der kommt nicht drüber weg. Jetzt nicht, später nicht, im Leben nicht.

Als sie zurückkehrten, war es schon dunkel. Billy kurbelte das Fenster des Lasters hoch und schaute zum Haus hinüber. Ich bin fix und fertig, sagte er.

Willst du den Kram einfach im Laster lassen?

Bringen wir wenigstens den Drahtspanner rein. Kann sein, dass es regnet. Möglich wär’s. Und die Schachtel Nägel. Die rosten sonst.

Ich hol die Sachen.

Er nahm den Kram von der Ladefläche. In der Banse gingen die Lichter an. Billy stand dort und schlenkerte die Hand.

Jedes Mal wenn ich das Scheißding anfasse, krieg ich eine gewischt.

Kommt von den Nägeln in den Stiefeln.

Warum kriegen dann meine Füße keine gewischt?

Keine Ahnung.

Er hängte den Drahtspanner an einen Haken und stellte die Schachtel Nägel auf eine Strebe des Balkenwerks gleich hinter der Tür. Die Pferde wieherten in ihren Boxen.

Er ging durch die Banse und schlug mit der flachen Hand an die letzte Boxentür. Sofort krachte von der anderen Seite etwas gegen die Bretter. Im Licht schwebte Staub. Er blickte sich zu Billy um und grinste. Mach ihn nur wild, sagte Billy. Dann tritt er das Scheißding noch ein.

 

Beide Hände auf dem Brett, auf das er sich stützte, trat Joaquín zurück und senkte den Kopf, als hätte er im Corral etwas gesehen, dessen Anblick nicht zu ertragen war. Aber er wollte nur ausspucken, und das tat er auf seine gemächliche, bedächtige Art, trat dann wieder vor und blickte zwischen den Brettern hindurch. Caballo, sagte er. Der Schatten des trabenden Pferdes strich über die Bretter und über sein Gesicht und weiter. Er schüttelte den Kopf.

Sie gingen weiter zu der Stelle, wo ein paar dicke Bretter mit Streben auf den oberen Rand des Corrals genagelt waren, kletterten hinauf, hakten die Stiefelabsätze an dem Brett darunter ein und sahen rauchend zu, wie John Grady mit dem Hengstfohlen arbeitete.

Was will er eigentlich mit diesem eulenköpfigen Mistvieh?

Billy schüttelte den Kopf. Vielleicht ist es so, wie Mac sagt. Jeder kriegt am Ende das Pferd, das zu ihm passt.

Was hat er ihm denn da angelegt?

Das nennt man Kappzaum.

Wieso nimmt er keine einfache Trense?

Das musst du den Cowboy selber fragen.

Troy beugte sich vor und spuckte aus. Er sah Joaquín an. Qué piensas?, fragte er.

Joaquín zuckte die Achseln. Er sah zu, wie das Pferd am Ende der Longe im Kreis durch den Corral ging.

Das Pferd ist mit ’nem Gebiss zugeritten, sagte Troy.

Ja.

Wahrscheinlich hat er vor, das rückgängig zu machen und noch mal von vorn anzufangen.

Tja, sagte Billy, egal, was er vorhat, ich bin ziemlich sicher, er schafft’s.

Sie sahen zu, wie das Pferd im Kreis ging.

Er dressiert’s doch nicht für den Zirkus, oder?

Nee. Zirkus war gestern, wie er aufgesessen ist.

Wie oft ist er abgeworfen worden?

Vier Mal.

Und wie oft ist er wieder aufgesessen?

Weißt du doch.

Ist er vielleicht so ’ne Art Spezialist für versaute Pferde?

Gehn wir, sagte Billy. Der ist imstande und lässt das Mistvieh den ganzen Nachmittag an der Longe.

Sie marschierten in Richtung Haus.

Frag Joaquín, sagte Billy.

Was soll ich ihn fragen?

Ob der Cowboy Ahnung von Pferden hat.

Der Cowboy sagt, er hat keine.

Ich weiß.

Er behauptet, er macht’s einfach gern und gibt sich Mühe.

Was meinst du?, fragte Billy.

Joaquín schüttelte den Kopf.

Joaquín findet, er hat unorthodoxe Methoden.

Mac auch.

Joaquín gab erst Antwort, als sie am Tor ankamen. Er blieb stehen und blickte zum Corral zurück. Schließlich sagte er, es sei ziemlich egal, ob man Pferde möge, wenn sie einen selber nicht mochten. Die besten Zureiter, die er je gekannt habe, zu denen habe es die Pferde regelrecht hingezogen. Billy Sánchez seien die Pferde bis vors Klo nachgegangen und hätten dort auf ihn gewartet.

 

Als er aus der Stadt zurückkam, war John Grady nicht im Stall, und er traf ihn auch im Haus nicht an, als er zum Abendessen hineinging. Troy saß am Tisch und stocherte in den Zähnen. Billy setzte sich mit seinem Teller und griff nach Salz und Pfeffer. Wo stecken denn die anderen?, fragte er.

Oren ist grade weg. JC ist mit seiner Freundin ausgegangen. Und John Grady liegt wahrscheinlich schon im Bett.

Nein.

Na ja, vielleicht hat er sich irgendwohin verzogen und denkt nach.

Was war denn los?

Das Pferd ist rückwärts auf ihn gefallen. Hätt sich leicht den Fuß brechen können.

Ist ihm was passiert?

Ich glaub nicht. Wie sie ihn zum Doktor reingetragen haben, hat er geschimpft wie ’n Rohrspatz. Der Doktor hat ihm ’n Verband gemacht, zwei Krücken gegeben und gesagt, er soll die Finger davon lassen.

Er geht an Krücken?

Ja. Müsst er jedenfalls.

Und das ist alles heut Nachmittag passiert?

Ja, ’ne Zeit war hier richtig was los. Joaquín ist gekommen und hat Oren geholt, und der ist hin und hat ihm gesagt, er soll’s bleiben lassen, aber er hat sich geweigert. Oren hat gesagt, er hätt schon gedacht, er müsste ihm ’n paar überziehen. Humpelt hinter dem Pferd her und will wieder aufsteigen. Irgendwann hat er ihn dazu gekriegt, dass er den Stiefel auszieht. Noch zwei Minuten, hat Oren gesagt, und sie hätten ihm das Ding vom Fuß schneiden müssen.

Billy nickte und biss nachdenklich in ein Brötchen.

Und er hat sich mit Oren prügeln wollen?

Ja.

Billy kaute. Er schüttelte den Kopf.

Und wie geht’s seinem Fuß?

Er hat sich den Knöchel verstaucht.

Was hat Mac gesagt?

Nichts. Hat ihm zum Doktor gebracht.

Was Mac angeht, kann der wohl gar nichts verkehrt machen.

Da hast du Recht.

Erneut schüttelte Billy den Kopf. Er griff nach der Salsa. Wenn hier schon mal was los ist, verpass ich’s garantiert. Seinen Ruf als erstklassiger Zureiter dürfte das Ganze allerdings schon ’n bisschen ankratzen, oder?

Keine Ahnung. Joaquín sagt, er wär bloß in einem Steigbügel gestanden und hätt auf dem Mistvieh drauf gesessen wie auf’m Baum.

Wozu denn das?

Keine Ahnung. Wahrscheinlich gibt er einfach nicht gern ein Pferd auf.

 

Er hatte vielleicht eine Stunde geschlafen, als der Lärm in der Banse ihn weckte. Er horchte eine Weile, stand dann auf, griff nach der Schnur, machte das Deckenlicht an, setzte den Hut auf, trat zur Tür, schob den Vorhang zur Seite und blickte nach draußen. Das Pferd wuchtete dreißig Zentimeter vor seinem Gesicht vorbei, donnerte die Banse entlang, drehte sich um, blieb keuchend und stampfend in der Dunkelheit stehen.

Verdammt, sagte er. Alter?

John Grady kam vorbeigehinkt.

Was machst du denn da, zum Geier?

John Grady humpelte weiter, aus dem Lichtfall heraus. Billy trat in die Banse.

Du hast sie doch wohl nicht mehr alle, wie? Was ist denn los mit dir, Menschenskind?

Das Pferd begann wieder zu laufen. Er hörte es kommen und wusste, dass es kam, aber er war kaum zwischen die Türpfosten zurückgewichen, da brach das Tier auch schon mit offenem Maul und weit aufgerissenen Augen in den Lichtstreif der einzigen Birne in Billys Kabuff.

Verflucht, sagte er. Er nahm seine Hose vom eisernen Fußteil seines Betts, zog sie an, rückte seinen Hut gerade und trat wieder hinaus.

Das Pferd hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Er drückte sich flach gegen die Boxentür neben seiner Schlafkammer. Das Tier kam vorbei, als stände der Stall in Flammen, krachte an die Tür am Ende der Banse, drehte sich um und wieherte schrill.

Verflucht nochmal, lässt du das verrückte Mistvieh jetzt wohl zufrieden? Was ist denn in dich gefahren?

Erneut kam John Grady, eine Seilschlinge hinter sich herschleifend, ins staubige Licht gehinkt und verschwand gleich wieder daraus.

Du siehst doch überhaupt nicht genug, um das Mistvieh einzufangen, rief Billy.

Das Pferd kam auf der anderen Seite der Banse entlanggedonnert. Es war gesattelt; die Steigbügel schnellten auf und ab. Einer blieb offenbar an einem Brett am anderen Ende hängen, wo das Tier sich in den schmalen Lichtstrichen der Hoflampe umdrehte, denn aus dem Dunkel drang das Krachen berstenden Holzes und ein Klappern; dann stand das Pferd auf den Vorderbeinen und knallte die Hinterhufe gegen die Bretter am Ende des Stalls. Kurz darauf gingen im Haus die Lichter an. Der Staub wehte wie Rauchschwaden durch die Luft.

Da hast du’s, rief Billy. Das ganze Haus ist wach, Menschenskind.

Im Gittermuster des Lichts regte sich der dunkle Schemen des Pferdes. Es reckte den langen Hals und wieherte gellend. Am Ende des Stalls ging die Tür auf.

Wieder hinkte John Grady mit dem Seil vorbei.

Irgendwer betätigte den Lichtschalter. Oren stand da und schlenkerte die Hand. Verflucht nochmal, sagte er. Warum wird das Ding nicht endlich mal repariert?

Das völlig verschreckte Pferd blinzelte ihn aus drei Metern Entfernung an. Er betrachtete das Pferd, und er betrachtete John Grady, der mit dem Lasso mitten im Stall stand.

Was zum Geier geht hier eigentlich vor?, fragte er.

Na los, sagte Billy. Sag ihm irgendwas. Ich weiß ganz bestimmt keine Antwort für ihn.

Das Pferd drehte sich um, trottete ein Stück weit durch die Banse und blieb stehen.

Schaff den verdammten Gaul in die Box, sagte Oren.

Gib mir das Seil, sagte Billy.

John Grady sah ihn an. Du glaubst also nicht, dass ich ihn fangen kann.

Nur zu. Fang ihn. Ich hoff bloß, das Mistvieh rennt dich über den Haufen.

Einer von euch fängt ihn, sagte Oren, und hört endlich mit dem verdammten Blödsinn auf.

Hinter Oren öffnete sich die Tür; Mr. Johnson stand in Hut, Stiefeln und Nachthemd da. Machen Sie die Tür zu, Mr. Johnson, sagte Oren. Kommen Sie rein, wenn Sie wollen.

John Grady warf dem Pferd die Schlinge über den Kopf, ging, das Lasso immer kürzer fassend, darauf zu, griff durch die Schlinge nach oben, packte die hängenden Zügel und streifte das Lasso ab.

Bleib vom Pferd runter, sagte Oren.

Das ist mein Pferd.

Das kannst du dann Mac erzählen. Der wird gleich hier sein.

Nun mach schon, sagte Billy. Stell das verdammte Pferd ein, so wie’s der Mann gesagt hat.

John Gradys Blick ging von ihm zu Oren, dann drehte er sich um, führte das Pferd durch die Banse zurück und stellte es in die Box.

So was von ahnungslos gibt’s ja wohl nicht, sagte Oren. Kommen Sie, Mr. Johnson. Verflucht nochmal.

Der Alte drehte sich um und ging hinaus. Oren folgte ihm und zog die Tür hinter sich zu. Als John Grady aus der Box gehumpelt kam, hielt er den Sattel am Horn; die Steigbügel schleiften im Schmutz. Er ging durch die Banse zur Sattelkammer. An den Türpfosten gelehnt, sah Billy ihm nach. Als er aus der Sattelkammer kam, ging er an Billy vorbei, ohne ihn anzusehen.

Du bist schon so ’ne Nummer, sagte Billy. Weißt du das?

An der Tür seiner Schlafkammer drehte John Grady sich um, sah Billy an, ließ den Blick durch die Weite des erleuchteten Stalls gehen und spuckte stumm in den Staub; dann kehrte sein Blick zu Billy zurück. Das Ganze geht dich überhaupt nichts an, sagte er. Oder?

Billy schüttelte den Kopf. Ich werd nicht mehr, sagte er.

 

In den Bergen sahen sie im Scheinwerferlicht Rothirsche, und die Rothirsche waren im Scheinwerferlicht fahl wie Gespenster und ebenso stumm. Sie wandten dieser unerwarteten Sonne die roten Augen zu, drückten sich zur Seite, scharten sich zusammen und übersprangen einzeln und zu zweien den Straßengraben. Eine kleine Hirschkuh verlor auf dem Asphalt den Halt, knickte wild strampelnd in den Hinterläufen ein, rappelte sich auf und verschwand mit den anderen im Chaparral jenseits der Straße. Troy hielt den Whiskey an die Armaturenbeleuchtung, um den Füllungsgrad der Flasche zu prüfen, schraubte den Deckel ab, trank, schraubte den Deckel wieder auf und reichte Billy die Flasche. An Jagdwild hat’s hier unten scheint’s keinen Mangel.

Billy schraubte den Deckel von der Flasche, trank und betrachtete die weiße Linie entlang der dunklen Straße. Dass das gutes Land ist, glaub ich dir aufs Wort.

Du willst doch gar nicht von Mac weg.

Ich weiß nicht. Jedenfalls nicht ohne Grund.

Stehst eben zu der Ranch.

Nicht bloß das. Irgendwann musst du wissen, wo du hingehörst. Ich bin achtundzwanzig, verdammt nochmal.

Siehst aber nicht so aus.

Ach ja?

Du siehst aus wie achtundvierzig. Gib mal den Whiskey.

Billy starrte hinaus auf die tiefe Wüste. Die durchhängenden Stromkabel liefen mit der Nacht um die Wette.

Und unsere Trinkerei macht denen nichts aus?

Sie mag’s nicht besonders. Aber viel kann sie nicht dagegen machen. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir stockbesoffen dort aufkreuzen.

Und dein Bruder, kippt der ab und zu einen?

Troy nickte feierlich. Schneller, als ’n Karpfen durch ’ne Schöpfkelle schwimmt.

Billy trank und reichte seinem Gegenüber die Flasche.

Was hat ’n der Kleine vor?, fragte Troy.

Keine Ahnung.

Habt ihr euch verkracht?

Nein. Der ist in Ordnung. Er hat bloß gesagt, er hätt noch was zu tun.

Reiten kann er jedenfalls. Das muss man ihm lassen.

Ja, das kann er.

Dieses Pferd, von dem er so viel hält, ist einfach nur störrisch, wenn du mich fragst.

Billy nickte. Ja.

Was findet er dann eigentlich dran?

Genau das, nehm ich an.

Du meinst also immer noch, dass es ihm irgendwann nachläuft wie ’n Hündchen? Ja. Mein ich.

Das glaub ich erst, wenn ich’s sehe.

Wollen wir wetten?

Troy klopfte eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Armaturenbrett, steckte sie sich in den Mund und drückte den Zigarettenanzünder hinein. Ich will dich nicht berauben.

Nur keine Hemmungen.

Lieber nicht. Die Krücken werden ihm gar nicht gefallen.

Kein bisschen.

Wie lang muss er denn damit rumlaufen?

Keine Ahnung. Paar Wochen. Der Doktor hat ihm gesagt, ’ne Verstauchung kann schlimmer sein wie ’n Bruch.

Ich wette, er hält’s keine Woche aus.

Glaub ich auch.

Auf der Straße erstarrte ein Eselhase. Sein rotes Auge leuchtete.

Weg da, blödes Vieh, sagte Billy.

Der Hase schlug mit dumpfem Geräusch von unten gegen den Laster. Troy zog den Zigarettenanzünder aus dem Armaturenbrett, zündete sich seine Zigarette an und steckte den Anzünder wieder zurück.

Nach meiner Entlassung aus der Army bin ich mit Gene Edmonds zum Rodeo mit Viehauktion nach Amarillo gefahren. Mädchen und so hat er uns auch organisiert. Die sollten wir um zehn Uhr morgens daheim abholen, dabei war’s schon nach Mitternacht, als wir von El Paso weggekommen sind. Gene hatte ’n nagelneuen Olds Eighty-eight; er hat mir die Schlüssel zugeworfen und gesagt, ich soll fahren. Wir waren kaum auf’m Highway achtzig, da hat er zu mir rübergeguckt und gesagt, ich soll der Kiste mal die Peitsche geben. Darauf würd sie richtig gut ansprechen. Ich hab sie auf rund achtzig, fünfundachtzig raufgedrückt und hatte immer noch ungefähr ’n Meter Pedal übrig. Er guckt wieder rüber. Ich sag: Wie schnell willst ’n fahren? Darauf er: Das überlass ich dir. Heiliger Bimbam. Ich hab nichts anderes gemacht, als die Kiste auf hundertzehn hochzuziehen, und ab ging’s. Topfeben und immer gradaus. Davon hatten wir ungefähr sechshundert Meilen vor uns.

Tja, und überall auf der Straße waren die Eselhasen. Saßen im Scheinwerferlicht und haben sich nicht gerührt. Zack. Zack. Ich hab zu Gene rübergeguckt und gesagt: Was willst ’n mit den Hasen machen? Er guckt zurück und sagt: Hasen? Also, wenn du mal einen suchst, dem wirklich alles scheißegal ist, dann brauchst du bloß zu Gene zu gehen. Den juckt überhaupt nichts.

So gegen Morgen sind wir dann in Dimmitt, Texas, bei ’ner Tankstelle reingefahren. Haben an der Zapfsäule gehalten, den Motor abgestellt und einfach nur dagesessen; auf der anderen Seite der Zapfsäule stand ’n Wagen, und der Alte, der da gearbeitet hat, war gerade beim Auftanken und Scheibenputzen. In dem Wagen saß ’ne Frau. Der Alte, der fuhr, war pinkeln gegangen oder sonstwas. Egal, wir stehen mit dem Kühler zu dem anderen Wagen, ich hab bequem den Kopf zurückgelehnt und wart auf den Alten, und ich hab nicht mal an die Frau gedacht, aber sehen hab ich sie können. Sitzt einfach nur da und guckt sich um. Tja, und auf einmal fährt sie hoch und fängt an zu schreien, wie wenn sie einer absticht. Schreit einfach drauflos. Ich komm hoch und weiß überhaupt nicht, um was es geht. Sie guckt zu uns rüber, und ich denk schon, Gene hat irgendwas gemacht. Sich die Hose aufgeknöpft oder so. Bei dem wusst man nie. Ich hab zu Gene rübergeguckt, aber der wusst genauso wenig wie ich, was eigentlich los war. In dem Moment ist der Alte vom Klo gekommen, und das war auch ’n ziemlicher Schrank. Ich also ausgestiegen und um den Wagen rumgegangen. Ich hab gedacht, ich werd verrückt. Der Olds hatte so ’n großen, ovalen Kühlergrill, wie ’ne große Schaufel, und wie ich davor stehe, war das Ding vollgepackt mit Hasenköpfen. Da waren so zirka hundert Stück reingequetscht, und der ganze Kühler, die Stoßstange, alles war mit Blut und Haseninnereien verschmiert, und die Hasen, die hatten bei Aufprall wohl alle den Kopf weggedreht, sie haben nämlich alle nach außen geguckt, mit völlig irren Augen. Die Zähne zur Seite gedrückt. Grinsend. Ich kann dir nicht sagen, wie das ausgesehen hat. Ich hätt fast selber geschrien. Ich hatte zwar gemerkt, dass der Motor heißläuft, aber ich hab gedacht, das liegt an unserer Geschwindigkeit. Dieser Alte wollt sich deswegen mit uns prügeln. Ich sag: Was soll’s, Sam. Hasen. Nun hör aber auf. Meine Fresse. Gene ist ausgestiegen und hat angefangen, ihn anzumaulen, und ich hab gesagt, er soll schleunigst wieder einsteigen und die Klappe halten. Der Alte ist rüber zu seinem Wagen und hat zu der Frau gesagt, sie soll still sein und mit dem Gesabbel aufhören und so, aber ich hab schon gedacht, er beruhigt sich überhaupt nicht mehr. Ich war drauf und dran, dem Kerl eine zu langen.

Billy beobachtete die Nacht, wie sie vorbeirollte. Der Chaparral am Straßenrand, das niedrige schwarze Gewirk der Berge, das in den sternenübersäten Himmel eingeschnitten war. Troy rauchte. Er griff nach dem Whiskey, schraubte den Deckel ab und hielt sich an der Flasche fest.

Entlassen worden bin ich in San Diego. Hab den ersten Bus aus der Stadt genommen. Ich und noch ’n Ehemaliger, wir haben uns im Bus besoffen und wären beinah rausgeflogen. In Tucson bin ich ausgestiegen, in einen Laden gegangen und hab mir neue Judson-Stiefel und ’n Anzug gekauft. Warum ich den Anzug gekauft hab, weiß ich nicht mehr. Hab halt gedacht, man bräuchte einen. Dann hab ich einen anderen Bus genommen, bin nach El Paso gefahren, noch am selben Abend nach Alamogordo rauf und hab meine Pferde geholt. Ich bin durchs ganze Land gezogen. Hab in Colorado gearbeitet. Hab oben im Panhandle gearbeitet. Bin in diesem miesen kleinen Scheißkaff, wo ich dir nicht mal den Namen von sage, im Knast gelandet. Gehörte allerdings zu Texas. Immerhin. Dabei hatt ich gar nichts gemacht. War bloß zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich dachte, ich komm da nie mehr raus. Hatte Krach mit ’nem Mexikaner gekriegt und hätt ihn beinah umgebracht. Auf den Tag genau neun Monate war ich dort im Knast. Ohne Grund hätt ich auch nicht nach Hause geschrieben. Bis ich wieder rausgekommen bin und nach meinen Pferden geguckt hab, haben sie sie verkauft, um meine Verpflegung zu bezahlen. Bei dem einen war’s mir egal, aber bei dem anderen nicht, weil ich das schon lang gehabt hatte. Anscheinend hat kein Mensch was davon gewusst. Mir war klar, wenn ich mir den alten Knaben hol, land ich gleich wieder im Knast. Hab überall rumgefragt. Schließlich hat mir irgendwer erzählt, mein Pferd wär in ’nen anderen Staat verkauft worden. Hat gemeint, der Käufer wär aus Alabama oder sonstwoher. Das Pferd hatt ich gehabt, seit ich dreizehn war.

Ich hab mal in Mexiko ’n Pferd verloren, an dem mir furchtbar viel lag, sagte Billy. Das hatt ich gehabt, seit ich neun war.

So was hat sich schnell.

Was – dass man ’n Pferd verliert?

Troy hatte die Flasche an den Mund gesetzt, trank, senkte sie, schraubte den Deckel wieder auf, wischte sich mit dem Handrücken den Mund und legte die Flasche auf den Sitz. Nein, sagte er. Dass einem was dran liegt.

Eine halbe Stunde später bogen sie vom Highway ab, holperten über die Stangen eines Weidenrosts und fuhren die anderthalb Kilometer lange, unbefestigte Straße zum Ranchhaus hinauf. Das Verandalicht brannte; drei Hütehunde kamen heraus und rannten bellend neben dem Laster her. Elton trat vor die Tür und blieb, die Hände in den Gesäßtaschen, mit aufgesetztem Hut auf der Veranda stehen.

Sie aßen an einem langen Tisch in der Küche, reichten einander Schüsseln mit Maisbrei und Okra, eine große Platte mit gebratenen Steaks und Brötchen.

Schmeckt unheimlich gut, Ma’am, sagte Billy.

Eltons Frau sah ihn an. Würd’s Ihnen was ausmachen, nicht Ma’am zu mir zu sagen?

Ja, Ma’am.

Da komm ich mir wie eine alte Frau vor.

Ja, Ma’am.

Er kann nicht anders, sagte Troy.

Ist schon gut, sagte die Frau.

Mir lässt du so was nie so leicht durchgehen.

Dir hat man oft genug was durchgehen lassen, sagte die Frau.

Ich versuch’s nicht zu sagen, sagte Billy.

Am Tisch saß ein siebenjähriges Mädchen, das ihnen mit großen Augen zusah. Sie aßen. Nach einer Weile fragte die Kleine: Warum darf man das nicht?

Warum darf man was nicht?

Ma’am sagen.

Elton blickte auf. Man darf schon, Schatz. Deine Mama ist halt nur eine von diesen modernen Frauen.

Was ist eine moderne Frau?

Iss dein Abendbrot, sagte die Frau. Wenn’s nach deinem Daddy ging, gäb’s noch nicht mal das Rad.

Auf der Veranda saßen sie auf alten Rohrstühlen; Elton stellte die drei Gläser zwischen seinen Füßen auf den Dielenboden, schraubte den Deckel von der Flasche, goss dreimal ein, schraubte den Deckel wieder auf, stellte die Flasche auf den Boden, reichte die Gläser herum und lehnte sich im Schaukelstuhl zurück. Salud, sagte er.

Er hatte die Verandalampe ausgemacht; sie saßen im weichen Lichtviereck des Fensters. Er hob sein Glas ans Licht und blickte wie ein Chemiker hindurch. Du errätst nie, wer wieder bei Bell’s ist, sagte er.

Sag ja nicht ihren Namen.

Hast du’s also doch erraten.

Wer sollt’s denn sonst sein?

Elton lehnte sich im Stuhl zurück und schaukelte. Die Hunde standen im Hof, am Fuß der Treppe, und blickten zu ihm auf.

Was denn, sagte Troy. Hat ihr Alter sie endlich davongejagt?

Ich weiß nicht. Angeblich ist sie auf Besuch. Nur dass der Besuch sich schon ziemlich lang hinzieht.

Ja.

Wenn das ein Trost ist.

Das ist kein Trost.

Elton nickte. Du hast Recht, sagte er. Isses nicht.

Billy nippte an seinem Whiskey und blickte hinaus auf die Umrisse der Berge. Überall waren Sternschnuppen.

Rachel ist ihr in Alpine übern Weg gelaufen. Die Kleine hat nur zuckersüß gelächelt und Tag gesagt, als könnt sie kein Wässerchen trüben.

Troy saß vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Knien, das Glas in beiden Händen vor sich. Elton schaukelte.

Weißt du noch, wie wir immer zu Bloy’s sind, um dort Mädchen aufzugabeln? Dort hat er sie kennen gelernt. ’ne Erweckungsversammlung im Freien. Kommt man schwer ins Grübeln, was die Wege des Herrn angeht. Er hat sie gefragt, ob sie mit ihm ausgeht, und sie hat gesagt, sie würd nie mit ’nem Mann ausgehen, der trinkt. Da hat er ihr tief in die Augen geschaut und gesagt, er trinkt nicht. Das hätt sie fast umgehauen. War wohl ’n ziemlicher Schock für sie, jemand kennen zu lernen, der noch mehr lügt als sie. Dabei hat er die reine Wahrheit gesagt. Natürlich wollt sie ihn zwingen, Farbe zu bekennen. Hat gesagt, sie wüsste genau, dass er trinkt. In Jeff Davis County wüsste jeder, dass er trinkt, und zwar reichlich, und dass er ’n wilder Kerl ist. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt. Hat gesagt, früher hätt er getrunken, aber er hätt’s aufgegeben. Sie hat ihn gefragt, wann, und er hat gesagt, grad eben. Und sie ist mit ihm ausgegangen. Und soviel ich weiß, hat er nie mehr was getrunken. Bis sie sich von ihm getrennt hat, natürlich. Bis dahin hat er ’ne Menge nachzuholen gehabt. Von wegen Übel des Alkohols. Alkohol macht gar nichts. Aber von dem Tag an war er anders.

Sieht sie immer noch so gut aus?

Keine Ahnung. Ich hab sie schon länger nicht mehr gesehen. Rachel sagt, ja. Satan zeigt sich oft in verführerischer Gestalt. Diese großen blauen Augen. Die wusst besser, wie man ’nem Mann den Kopf verdreht, als dem Teufel seine Großmutter. Ich weiß nicht, wo die das immer lernen. Menschenskind, die war damals erst siebzehn.

Die wissen das von Geburt an, sagte Troy. Die müssen das nicht erst lernen.

Ist mir schon klar.

Aber dass man nicht einfach aus Jux und Tollerei irgend ’n armes Schwein fertig macht, das lernen sie scheint’s nicht.

Billy nippte an seinem Whiskey.

Gib mir mal dein Glas.

Er stellte es zwischen seinen Füßen auf den Boden, schenkte Whiskey ein, schraubte die Flasche wieder zu und reichte das Glas zurück.

Danke, sagte Billy.

Warst du im Krieg?, fragte Elton.

Nein. Ich war untauglich.

Elton nickte.

Ich hab mich dreimal gemeldet, aber sie haben mich nicht genommen.

Ich weiß. Ich hab versucht, nach Übersee zu kommen, aber ich war den ganzen Krieg über in Camp Pendleton. Johnny hat überall auf dem pazifischen Kriegsschauplatz gekämpft. Um ihn rum sind ganze Kompanien gefallen. Selber hat er nie ’n Kratzer abgekriegt. Ich glaub, das hat ihm zu schaffen gemacht.

Troy reichte sein Glas herüber; Elton stellte es auf den Boden, goss ein und reichte es zurück. Dann schenkte er sich selbst nach. Er lehnte sich zurück. Was glotzt ’n so?, fragte er den Hund. Der Hund wandte den Blick ab.

Was mir zu schaffen macht, und dann halt ich auch gleich die Klappe, ist, dass wir an dem Vormittag einen Riesenkrach hatten und ich nie die Chance gehabt hab, mich wieder mit ihm zu versöhnen. Ich hab ihm ins Gesicht gesagt, dass er ’n elender Idiot ist – und das war er auch – und dass er dem Alten nichts Schlimmeres antun kann, als dass er sie ihm gibt. Und so war’s auch. Mittlerweile wusst ich über sie Bescheid. Wir hätten uns deswegen beinah geprügelt. Das hab ich dir nie gesagt. So schlimm war das. Lebendig hab ich ihn danach nie wieder gesehen. Ich hätt mich einfach raushalten sollen. Mit jemand in dem Zustand kann man eh nicht reden. Braucht man erst gar nicht probieren.

Troy sah ihn an. Du hast’s mir gesagt, sagte er.

Ja. Hab ich wohl. Ich träum nicht mehr von ihm. Früher hab ich das andauernd. Da hab ich mich richtig mit ihm unterhalten.

Ich hab gedacht, du willst das Thema wechseln.

Ja, gut. Trotzdem, mir kommt’s immer so vor, als wär das so ziemlich das einzige Thema, das es gibt. Oder?

Flasche und Glas in der Hand, erhob er sich schwerfällig vom Stuhl. Gehn wir zum Stall. Ich zeig euch das Fohlen, das Jones’ Stute geworfen hat. Du hast ja nie viel von ihr gehalten. Bringt eure Gläser mit. Ich hab die Flasche.

 

Den ganzen Morgen ritten sie durch offenes, wacholderbestandenes Land und hielten sich dabei auf steinigen Höhenzügen. Über der Sierra Viejas im Westen und über der breiten Ebene, die sich von den Guadalupes südwärts bis zur Bergkette der Cuesta del Burro und weiter bis Presidio und zur Grenze hinzieht, braute sich ein Unwetter zusammen. Gegen Mittag überquerten sie den Oberlauf des Baches, setzten sich ins gelbe Laub und sahen dem Gekreisel der auf dem Wasser treibenden Blätter zu, während sie das Mittagessen verzehrten, das Rachel ihnen eingepackt hatte.

Nun sieh dir das an, sagte Troy.

Was denn?

Ein Tischtuch.

Meine Fresse.

Er goss Kaffee aus einer Thermosflasche in ihre Becher. Die Truthahn-Sandwiches, die sie aßen, waren in Stoffservietten eingewickelt.

Was ist in der anderen Thermosflasche?

Suppe.

Suppe?

Suppe.

Meine Fresse.

Sie aßen.

Wie lang ist er denn schon Verwalter hier?

Seit ungefähr zwei Jahren.

Billy nickte. Und vorher hat er dir nicht angeboten, dich einzustellen?

Doch. Ich hab ihm gesagt, ich hätt nichts dagegen, mit ihm zu arbeiten, aber für ihn, da wär ich mir nicht so sicher.

Und wieso hast du dir’s anders überlegt?

Ich hab’s mir nicht anders überlegt. Ich denk bloß drüber nach.

Sie aßen. Troy nickte Richtung Süden. Auf dem Stück hier ist angeblich jede Meile ’n Weißer in ’nen Hinterhalt geraten.

Billy musterte das Land. Sieht so aus, als hätten sie gelernt, wegzubleiben.

Als sie mit dem Essen fertig waren, goss Troy den Rest Kaffee in die Becher, schraubte den Deckel wieder auf die Thermosflasche und legte sie mit der Suppe, den Servietten und dem noch zusammengefalteten Tischtuch beiseite, um sie dann in die Satteltaschen zu packen. Die Pferde, die bachabwärts nebeneinander standen und tranken, hoben die Köpfe. An ihren Nüstern klebten feuchte Blätter.

Elton hat so seine eigenen Vorstellungen davon, was passiert ist, sagte Troy. Wenn Johnny nicht dieses Mädchen gefunden hätt, dann hätt er was anderes gefunden. Der hat sich nichts sagen lassen. Elton meint, er hat sich verändert. Kein bisschen hat er sich verändert. Er war vier Jahre älter als ich. Nicht grade viel. Aber er hat sich Sachen getraut, die würd ich mich nie trauen. Gottseidank nicht. Die Leute haben immer gesagt, er wär stur, aber es war nicht nur das. Einmal, er war noch keine fünfzehn, da hat er sich mit Daddy angelegt. Sich mit ihm geprügelt. Den Alten gezwungen, sich mit ihm zu prügeln. Ihm ins Gesicht gesagt, dass er ihn respektiert und so, aber dass er sich das, was er zu ihm gesagt hat, nicht gefallen lässt. Irgendwas, wegen dem der Alte ihn zusammengeschissen hatte. Ich hab geheult wie ’n Baby. Er nicht. Ist immer wieder hochgekommen. Trotz gebrochener Nase und allem. Der Alte hat ihm immer wieder gesagt, er soll unten bleiben. Meine Fresse, der Alte hat ja selber geheult. Ich hoffe, dass ich so was nie wieder sehe. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich dran denk. Und kein Mensch auf der Welt hätt irgendwas machen können, um’s zu verhindern.

Und wie ging’s weiter?

Der Alte hat sich schließlich verzogen. Er war der Geschlagene, und das hat er auch gewusst. Johnny hat dagestanden. Hat sich kaum noch aufrecht halten können. Ihm nachgerufen, er soll zurückkommen. Der Alte hat sich nicht mal umgedreht. Ist einfach zum Haus weitergegangen.

Troy schaute in seine Tasse. Er schleuderte den Kaffeesatz über das Laub.

Es war nicht bloß wegen ihr. Es gibt ’ne Sorte Mann, wenn der nicht kriegen kann, was er will, dann nimmt er das Nächstbeste, aber auf jeden Fall immer das Schlimmste. Elton glaubt, dass Johnny die Sorte war, und vielleicht war er’s ja auch. Aber ich glaub, er hat das Mädchen geliebt. Ich glaub, er hat gewusst, was sie für eine war, und es war im egal. Ich glaub, er war nur sich selbst gegenüber blind. Ich glaub, er war einfach verloren. Diese Welt war nicht für ihn gemacht. Er war schon drüber raus, bevor er hat laufen können. Heiraten. Meine Fresse. Er hat’s ja nicht mal ertragen können, Schuhe mit Schnürsenkeln anzuziehen.

Aber gemocht hast du ihn.

Troys Blick irrte zwischen die Bäume ab. Tja, sagte er. Ich glaub, das trifft’s nicht so ganz. Ich kann nicht drüber reden. Ich wollte wie er sein. Aber ich war’s nicht. Versucht hab ich’s jedenfalls.

Dann war er wohl der Liebling von deinem Dad.

Allerdings. Und kein Mensch hatte damit Probleme. Jeder hat’s gewusst. Und für völlig selbstverständlich gehalten. Ich kam da überhaupt nicht gegen an. Bist du so weit?

Ja.

Er stand auf, drückte sich die flache Hand ins Kreuz und streckte sich. Er sah Billy an. Ich hab ihn geliebt, sagte er. Genau wie Elton. Man konnt gar nicht anders. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.

Er klemmte sich die zusammengelegten Servietten und die Thermosflaschen unter den Arm. Sie hatten nicht einmal nachgesehen, was für Suppe es war. Er drehte sich um und sah Billy an. Wie gefällt dir denn nun das Land hier?

Gut.

Mir auch. Schon immer.

Dann ziehst du also hierher?

Nein.

Es dämmerte schon, als sie nach Fort Davis einritten. Nachtfalken kreisten über dem alten Exerzierplatz, als sie daran vorbeikamen, und der Himmel über den Bergen hinter ihnen war blutrot. Elton wartete mit dem Laster und dem Pferdetransporter vor dem Limpia Hotel. Auf dem gekiesten Parkplatz nahmen sie den Pferden die Sättel herunter, legten sie auf die Ladefläche des Lasters, rieben die Pferde ab, luden sie in den Transporter und gingen durch die Eingangshalle des Hotels in die Cafeteria.

Wie hat dir das Pferdchen gefallen?, fragte Elton.

Prima, sagte Billy. Wir sind gut miteinander ausgekommen.

Sie setzten sich und studierten die Speisekarte. Was nehmt ihr?, fragte Elton.