Der Anwalt - Cormac McCarthy - E-Book

Der Anwalt E-Book

Cormac McCarthy

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Beschreibung

Der neue McCarthy: ein All-Star-Film. Ein großes Werk. Eigentlich ist er ein ganz biederer Kerl. Rechtsanwalt. Aber wenn er sich auf diesen einen todsicheren Deal einlässt, kann er danach mit seiner Freundin La dolce vita bis zum Schluss genießen. So weit der Plan. Doch dann wird ein Kurier enthauptet. Der Laster mit den fünfhundert Kilo Kokain verschwindet ohne jede Spur. Und das Kartell sucht nach Schuldigen. Jahre hat der Autor an seinem neuen Werk gearbeitet: ein echter McCarthy, hochspannend und gewürzt mit jenen philosophischen Überlegungen zum Thema Rache und Schicksal, die ihn berühmt machten.

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Seitenzahl: 137

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Cormac McCarthy

Der Anwalt

The Counselor. Ein Drehbuch

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Das Schlafzimmer in der Wohnung des Anwalts.Ein kleines, kahles Besprechungszimmer …Der Fäkalienwagen …
[zur Inhaltsübersicht]

Das Schlafzimmer in der Wohnung des Anwalts. Die Vorhänge sind zugezogen, und es ist fast völlig dunkel. Der Blick fällt von der Rückseite des Betts aus auf zwei Gestalten im Bett. Der Dialog wird zuweilen von den Bettdecken gedämpft und erscheint daher in UNTERTITELN auf der Leinwand.

LAURA

Bist du wach?

ANWALT

Nein.

LAURA

Okay.

ANWALT

Wie spät ist es?

LAURA

Zwei Uhr. Kurz vor zwei.

ANWALT

Zwei Uhr was.

LAURA

Was?

ANWALT

Frühmorgens oder nachmittags?

LAURA

Das meinst du nicht ernst.

ANWALT

Nicht ganz.

LAURA

Es ist Nachmittag.

ANWALT

Ich weiß. Gott, du bist vielleicht eine scharfe Frau. Wann geht dein Flug?

LAURA

Zwanzig vor acht.

ANWALT

Was machst du da?

LAURA

Ich mache gar nichts.

ANWALT

Die werden mich noch auf einer Tragbahre hier rausschaffen.

LAURA

Wir könnten uns ja auch unterhalten.

ANWALT

Meinst du, wir sollen Kaffee trinken?

LAURA

Du meinst, wir sollen Kaffee trinken.

ANWALT

Eher nicht.

LAURA

Ich habe dich zwei Wochen lang nicht gesehen. Und ich muss heute Abend zurück.

ANWALT

Ich weiß. Sag was, was mich scharf macht. Für einen Mann sind Worte alles.

LAURA

Okay.

ANWALT

Na?

LAURA

Ich denke nach.

ANWALT

Okay.

LAURA

Ich will, dass du mir die Hand unters Kleid schiebst.

ANWALT

Du hast gar kein Kleid an.

LAURA

Was hat das denn damit zu tun? Du möchtest gern, dass ich so was sage.

ANWALT

Ich weiß. Aber es muss schon auch der Wirklichkeit entsprechen.

LAURA

Na schön. Ich will, dass du mir die Hand in den Schlüpfer steckst.

ANWALT

Das ist das gleiche Problem. Sag mir einfach, was ich tun soll.

LAURA

Ich will, dass du mich anfasst.

ANWALT

Wo soll ich dich anfassen?

LAURA

Ich will, dass du mich da unten anfasst.

ANWALT

Wirklich?

LAURA

Wirklich.

ANWALT

Sag es so, dass es mich richtig scharf macht.

LAURA

Ich will, dass du sie anfasst.

ANWALT

Bist du feucht?

LAURA

Ja. Ooh. Baby?

ANWALT

Gott. Du triefst ja.

LAURA

Ich weiß.

ANWALT

Wie hast du dich denn so weit gebracht?

LAURA

Ooh. Ich habe an dich gedacht.

ANWALT

Was genau hast du gedacht?

LAURA

Ich habe an dein süßes Gesicht zwischen meinen Beinen gedacht.

ANWALT

Gott, Weib.

LAURA

Baby? Ooh. Ich glaube, ich geh mich mal zurechtmachen.

ANWALT

Das will ich nicht. Ich will, dass du mich richtig rannimmst.

LAURA

Bist du sicher?

ANWALT

Ganz sicher.

LAURA

Na gut.

ANWALT

Wie bist du eigentlich so ein unanständiges Mädchen geworden?

LAURA

Das kommt vom Abhängen mit dir. Soll ich dir was sagen?

ANWALT

Klar.

LAURA

Ich glaube, letzte Nacht hast du dich selbst übertroffen. Ich dachte, ich hör gar nicht mehr auf zu kommen.

ANWALT

Du weißt, wie sich das auf das Ego eines Mannes auswirkt?

LAURA

Ja. Soll ich weitermachen?

ANWALT

Bitte.

LAURA

Gott. Langsam. Langsam. Woher kannst du das so gut?

ANWALT

Vom Abhängen mit richtig versauten Mädchen.

LAURA

Du hast mich verdorben. Das weißt du.

ANWALT

Das hoffe ich doch. Gott. Du hast die saftigste Muschi in der ganzen Christenheit. Hast du das gewusst?

LAURA

Was sagen Frauen, wenn du das machst?

ANWALT

Es gibt keine Frauen. Es gibt nur dich.

LAURA

Aber es hat welche gegeben.

ANWALT

Ist lange her. Ich kann mich nicht erinnern.

LAURA

Doch, kannst du.

ANWALT

Willst du das wirklich wissen?

LAURA

Ja, will ich.

ANWALT

Okay. Meistens sagen sie entweder O mein Gott oder Du lieber Himmel. Jedenfalls fast immer irgendwas Religiöses.

LAURA

Du bist ziemlich witzig.

ANWALT

Frauen lassen sich gern amüsieren. Sag mir, was ich machen soll.

LAURA

Du weißt, was du machen sollst.

ANWALT

Sag’s mir.

LAURA

Und wenn ich dich schockiere?

ANWALT

Dann habe ich eben Pech gehabt.

LAURA

Bist du sicher?

ANWALT

Ja.

LAURA

Okay. Ich will, dass du mich mit dem Finger fickst.

ANWALT

Was?

LAURA

Du hast mich schon verstanden.

ANWALT

Ich glaub’s nicht, dass du das gesagt hast.

LAURA

Glaub es ruhig.

ANWALT

Du hast ein ganz neues Niveau von Verdorbenheit erreicht, stimmt’s? Ich dachte, Frauen stehen nicht unbedingt auf so was.

LAURA

Kommt auf die Frau an.

ANWALT

Du willst das wirklich.

LAURA

Ich will, dass du deinen Finger in mich reinsteckst, meinen Punkt findest und draufdrückst.

ANWALT

Herrgott. Jetzt gleich?

LAURA

Nein. Am Donnerstag.

ANWALT

Gott.

LAURA

Ooh. Gott. Ja. Ja. Ooh. Ich dachte, du weißt nicht, wie man das macht.

ANWALT

Das habe ich nie behauptet. Gott, bist du saftig.

LAURA

Shh…

ANWALT

Okay.

LAURA

Shh… Oh. Gott. O mein Gott.

VORSPANN

Mexikanische Werkstatt. Ein Schweißer im Overall und mit Schutzbrille schneidet mit einem Schweißbrenner eine Gerade in die Längsseite des Tanks eines Ford-F-650-Fäkalienwagens.

 

Mexikanische Werkstatt. Der Tank des Fäkalienwagens ist waagerecht in zwei Hälften zerlegt worden, und mit einem Flaschenzug wird ein 200-Liter-Metallfass in den offenen Tank herabgelassen. Der Schweißer steht im Tank und wartet darauf, die Haken und das Kabel lösen zu können.

 

Hochgelegene Halbwüste, ähnlich der Landschaft um Patagonia, Arizona, oder östlich von Las Vegas, New Mexico. Abend. Ein weißer Cadillac Escalade steht am Rand eines Arroyos unter ein paar hohen Pappeln. Ein 2-Pferde-Anhänger ist hinten an das Fahrzeug angekuppelt, dessen Heckklappe geöffnet ist. Die Fahrertür steht offen, und auf dem Fahrersitz sitzt ein Mann – Reiner –, der mit einem Fernglas zur offenen Tür hinausschaut. Er ist gut gekleidet – Khakihose und Freizeithemd – und trägt hohe, gegen Schlangenbisse schützende Gokey-Stiefel.

 

Hochgelegene Halbwüste, Abend. Ein Gepard jagt in langen Sätzen dahin.

 

Eine Straße in Amsterdam, Läden, Kanal. Der Anwalt geht über eine Brücke. Er trägt einen Sommeranzug ohne Krawatte und hält eine Aktenmappe aus schwarzem Nylon in der Hand.

 

Hochgelegene Halbwüste. Eine sehr attraktive Frau – Malkina – sitzt im Schneidersitz auf dem Dachträger des Escalade. Sie trägt einen schwarzen Westernhut mit flacher Krone und Kinnriemen aus geflochtenem Leder, außerdem ein weißes Hemd mit Lederweste, eine Reithose aus Gabardine und teure Lederstiefel. Ihr langes schwarzes Haar ist im Nacken zusammengesteckt, sie sitzt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, vorgebeugt und schaut durch ein teures Fernglas.

 

Mexikanische Werkstatt. Der Schweißer schweißt die obere Hälfte des Tanks wieder fest.

 

Mexikanische Werkstatt. Mit einem Winkelschleifer schleift der Schweißer unter gewaltigem Funkenschauer die Schweißnaht an der Seite des Tanks glatt.

 

Hochgelegene Halbwüste. Ein Hase flitzt durch das Gras. Der Gepard holt ihn ein und schlägt ihn in einer Staubwolke.

 

Hochgelegene Halbwüste. Die Frau senkt das Fernglas, schließt die Augen und drückt die Ellbogen seitlich an den Körper. Sie windet sich beinahe. Aus dieser kurzen Entfernung sieht man die Tätowierung einer ägyptischen Katze seitlich an ihrem Hals. Ein zweiter Gepard sitzt angekettet neben dem Escalade, steht auf, geht im Kreis, setzt sich wieder hin und starrt äußerst angespannt in die Ferne.

 

Mexikanische Werkstatt. In einer Lackierkabine besprüht ein Mann im Overall und mit Lackiermaske den Tank des Fäkalienwagens mit Lack.

 

Büro eines Diamantenhändlers in Amsterdam. Ein altmodischer, holzgetäfelter Raum. Der Händler ist in Hemdsärmeln mit Ärmelschonern und einer Krawatte. Über den Tisch schiebt er dem Anwalt das Mikroskop zu. Der Anwalt legt das Auge ans Okular. Auf dem Tisch zwischen den beiden ist ein schwarzes Juweliertuch ausgebreitet, auf dem sieben oder acht Diamanten von drei bis fünf Karat Größe liegen. Der Anwalt blickt auf, der Händler greift nach dem Mikroskop, zieht es wieder zu sich heran, macht achselzuckend eine Geste des Bedauerns mit einer Hand, nimmt den Stein aus der Zange, legt ihn auf das Tuch, setzt einen anderen Stein in die Zange ein und schiebt das Mikroskop zurück. Der Anwalt beugt sich vor, um den Stein zu betrachten. Der Händler sieht ihm zu.

 

Eine kleine mexikanische Hafenstadt im Golf von Kalifornien. Mehrere Lkws werden entladen und auf dem Kai zu einem Lagerhaus mit einem Schild über dem Tor gefahren, auf dem Aduana steht. Einer der Lkws ist der Fäkalienwagen; er wird herausgewinkt, der Fahrer reicht dem Zollbeamten einen braunen Umschlag hinunter; der Zollbeamte steckt ihn in die Innentasche seiner Jacke, und der Wagen fährt hinaus auf die Straße.

 

Hochgelegene Halbwüste, Sonnenuntergang. Die Frau reitet auf einem guten Araber in beinahe vollem Galopp über das Grasland. Englischer Sattel. Sie wendet das Pferd, blickt hinter sich, beugt sich dann tief über den Hals des Pferdes und treibt es an. Die beiden Geparde überholen sie und verschwinden im Staub.

 

Südwestliche Wüste. Ferne Berge, die in der Hitze schimmern. Der Blick folgt dem langen, geraden Abschnitt einer Asphaltstraße, die in den Hitzewellen beinahe flüssig wirkt.

 

Südwestliche Wüste. Der Fäkalienwagen steht im Chaparral. Der Fahrer öffnet die Tür, steht auf und hält sich am Dach der Fahrerkabine und am oberen Rand der Tür fest. Der andere Mann schaut mit einem Fernglas durch die Windschutzscheibe. In der Ferne pilgert eine Reihe von Menschen durch den Chaparral, Männer und Frauen mit Koffern in den Händen und Wäschesäcken über den Schultern. Der stehende Mann nimmt eine Zigarette aus der Hemdtasche, zündet sie an und stößt sanft Rauch aus.

 

Büro des Diamantenhändlers.

ANWALT

Ich möchte, dass sie etwas bekommt, womit sie sich nicht unwohl fühlt. Ich möchte ihr keinen Diamanten schenken, der so groß ist, dass sie Angst hätte, ihn zu tragen.

HÄNDLER

(Nickt mit der bloßen Andeutung eines Lächelns) Sie ist wahrscheinlich mutiger, als Sie sich vorstellen.

Er nimmt den Stein aus der Zange, wählt einen anderen aus, klemmt ihn in die Zange und betrachtet ihn durch das Okular. Er hält ihn sich vor den Mund, haucht ihn an und betrachtet ihn erneut. Er beugt sich vor, fixiert ihn unter dem Mikroskop und lehnt sich zurück. Der Anwalt beugt sich vor, um den Stein zu studieren. Der Händler sieht ihm dabei zu.

ANWALT

Ist das ein Kissenschliff?

HÄNDLER

Nein. Das ist ein Asscher. Sehen Sie sich die Ecken an.

ANWALT

Ja.

HÄNDLER

Bestimmen wir den Farbgrad.

Der Anwalt blickt auf, der Händler nimmt den Stein mit einer Pinzette aus der Zange und legt ihn in eine kleine weiße Pappschachtel.

HÄNDLER

Der Kissenschliff hat seitlich einen leichten Bogen. Er ist eine moderne Version des Old-Mine-Schliffs. Bestimmen wir ihn genauer.

Der Anwalt stellt das Mikroskop scharf und dreht den Stein mit der Pinzette.

HÄNDLER

Legen Sie ihn mit der Tafelseite nach unten.

ANWALT

Damit man durch das Unterteil schaut.

HÄNDLER

Ja. Da gibt es mehr zu sehen.

ANWALT

Er scheint gelb zu sein.

HÄNDLER

Ja. Man nennt das die Eigenfarbe. Es ist trotzdem ein weißer Stein. Aber die Eigenfarbe ist entweder Braun oder Gelb. Der Farbgrad fängt bei D an. Ein D-Stein hat keine Farbe.

ANWALT

Der Farbgrad geht bis Z.

HÄNDLER

Ja.

ANWALT

Und womit habe ich es hier zu tun?

HÄNDLER

Mit H.

ANWALT

Ist das noch eine gute Farbe?

HÄNDLER

Eine sehr gute Farbe. Das Gelb kommt von Stickstoff. Im Grunde genommen beschreibt alles, was man über einen Diamanten sagen kann, einen Makel. Der vollkommene Diamant bestünde schlicht und einfach aus Licht. Sehen Sie den Einschluss?

ANWALT

Nein.

HÄNDLER

Sehen Sie genauer hin. Er ist klein. Etwas, was wir als Feder bezeichnen würden. Drehen Sie den Stein leicht.

ANWALT

Ja. Ich glaube, ich sehe es. (Er blickt auf und lehnt sich zurück) Wie ist er also zu bewerten?

HÄNDLER

Als VS-1. Manche würden ihn vielleicht höher bewerten.

ANWALT

Sie könnten ihn höher bewerten.

Der Händler zuckt die Achseln.

ANWALT

Der Stein gefällt Ihnen.

HÄNDLER

Der Stein gefällt mir.

ANWALT

Wie viel Karat hat er?

HÄNDLER

Drei Komma neun.

ANWALT

Er ist teuer.

Der Händler zuckt die Achseln. Er zieht das Mikroskop zu sich heran, klemmt einen Stein in die Zange und schiebt es zurück.

HÄNDLER

Sagen Sie mir, was Sie sehen. Denken Sie daran, Sie suchen nicht nach Vorzügen. Das ist ein zynisches Geschäft. Wir suchen nur nach Unvollkommenheit. Dieser Stein hier hat fünf Karat. Sagen Sie mir, was Sie sehen.

ANWALT

(Beugt sich über das Mikroskop) Unter diesem Blickwinkel.

HÄNDLER

Ja.

ANWALT

Die Kalette kommt mir groß vor.

Der Händler zuckt die Achseln. Der Anwalt studiert den Stein.

ANWALT

Ober- und Unterteil passen nicht zusammen. Die Rondiste ist krumm.

HÄNDLER

(Hebt die Augenbrauen) Ja. Ober- und Unterteil können für sich genommen hervorragend gearbeitet sein und einander trotzdem fremd bleiben. Sobald die erste Facette geschliffen ist, gibt es kein Zurück mehr. Was als Einheit gedacht war, bleibt für immer unstimmig, und wir erkennen eine verstörende Wahrheit darin, dass die Formen unserer Unternehmungen am Anfang vollkommen sind – ob zum Guten oder zum Schlechten.

ANWALT

(Blickt auf) Aber es gibt keinen vollkommenen Diamanten.

HÄNDLER

En este mundo nada es perfecto. Wie mein Vater sagen würde.

ANWALT

Sie sind Sepharde.

HÄNDLER

Ja.

ANWALT

Sie kennen Spanien?

HÄNDLER

Ja. Und Spanien mich. Früher habe ich mal gedacht, das Land würde wiederauferstehen. Aber das wird nicht geschehen. Jedes Land, das die Juden vertrieben hat, hat das gleiche Schicksal erlitten.

ANWALT

Und das wäre?

HÄNDLER

Ach. Das wollen Sie nicht wissen. Wir sollten über die Steine reden. Der wertvollste Stein ist der rote Diamant. Aus der Argyle-Mine. Ganz selten. Ich habe in einem langen Leben nur zwei zu Gesicht bekommen. Ein fast unglaublicher Preis.

ANWALT

Ich will es schon wissen.

HÄNDLER

(Lehnt sich zurück und mustert den Anwalt) Tatsächlich?

ANWALT

Ja.

HÄNDLER

Ach. Tja. Was soll man sagen. Es gibt keine Kultur außer der semitischen. Da haben Sie’s. Die letzte bekannte Kultur davor war die griechische, und danach wird es keine Kultur mehr geben.

ANWALT

Das ist eine kühne Behauptung.

HÄNDLER

Das Herz jeder Kultur findet sich im Wesen des Helden. Wer ist der Mann, den man verehrt? In der klassischen Welt ist das der Krieger. Aber in der westlichen Welt ist es der Mann Gottes. Von Moses zu Christus. Der Prophet. Der Büßer. Eine solche Gestalt ist den Griechen vollkommen unbekannt. Unvorstellbar. Weil es nur einen Mann Gottes geben kann, nicht einen Mann der Götter. Und dieser Gott ist der Gott des jüdischen Volkes. Einen anderen Gott gibt es nicht. Wir sehen, dass er – wie lautet das Wort? Entwendet wurde. Vom Westen entwendet. Wie stiehlt man einen Gott? Der Jude erblickt seinen Peiniger im Gewand seiner eigenen uralten Kultur. Alles hat eine seltsame Vertrautheit. Aber es passt immer schlecht, und von den Händen tropft immer Blut. Dieser Mantel. Hat der nicht Onkel Chaim gehört? Und was ist mit den Schuhen? Genug. Ich sehe Ihren Blick. Schluss mit der Philosophie. Und vielleicht hat Schiller ja recht. Da die Götter menschlicher noch waren, waren Menschen göttlicher. Die Steine haben ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge. Vielleicht sind sie nicht so stumm, wie Sie glauben. Sie wurden aus der Erde herausgepresst, lange bevor es irgendeinen Zeugen gab, doch jetzt sind sie da. Jetzt. Wer wird ihr Zeuge sein? Wir. Wir beide. Hier. (Befestigt einen Stein in der Zange) Dieser Stein ist ein warnendes Beispiel.

ANWALT

Ein Diamant als warnendes Beispiel.

HÄNDLER

Natürlich. Warum nicht? Allerdings ist wohl jeder Diamant ein warnendes Beispiel. Keine Kleinigkeit, sich das zu wünschen, allerdings unerreichbar. Am endlosen Schicksal des Steins teilzuhaben. Ist das nicht der Sinn des Schmucks? Die Schönheit der Geliebten zu steigern heißt, sowohl ihre Zerbrechlichkeit als auch das Edle dieser Zerbrechlichkeit anzuerkennen. In unseren edelsten Momenten verkünden wir der Dunkelheit, dass wir uns von der Kürze unseres Lebens nicht herabwürdigen lassen. Dass wir uns dadurch nicht kleiner machen lassen. Ich will es Ihnen zeigen. Sie werden schon sehen.

Abend. Malkina sitzt auf einem Campingstuhl an einem Klapptisch, der mit einem leinenen Tischtuch, Porzellan und Silber gedeckt ist. Auf dem Tisch steht eine brennende Petroleumlampe, und Malkina liest ein Buch. Reiner stellt ein Cocktailglas mit einer Kirsche vor sie hin, beugt sich vor und gießt ihr aus einem Shaker einen Manhattan ein. Sie blickt auf und lächelt. Er geht zum Grill und wendet zwei Filetsteaks. Ein Stück weit dahinter grasen die beiden Pferde. Die angeketteten Geparde rühren sich, einer steht auf, dreht sich um und legt sich wieder hin. Die Frau nippt an ihrem Cocktail.

 

Abend. Hochgelegene Halbwüste. Reiner und Malkina stehen auf einer Erhebung und betrachten den Sonnenuntergang. Die Sonne ist etwa zur Hälfte untergegangen. Ein riesiger roter Himmel.

REINER

Es gefällt dir, weil es dich an Argentinien erinnert.

MALKINA

Es ist wie Argentinien. Die Pampas. Aber es gefällt mir nicht deshalb. Es gefällt mir um seiner selbst willen.

REINER

Es muss nicht wie etwas anderes sein.

MALKINA

Genau.

REINER

Erinnere ich dich an jemand anderen?

MALKINA

Ja.

REINER

Jemand, den du vermisst?

MALKINA