Die Border-Trilogie - Cormac McCarthy - E-Book
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Cormac McCarthy

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Beschreibung

«Am Rande der Nacht liegen die Ländereien dieses Erzählers, an der Grenze zur allumfassenden Dunkelheit.» (Süddeutsche Zeitung) Cormac McCarthy hat mit diesen drei Romanen einen Meilenstein in der Neuerfindung des Western-Genres gesetzt. Es sind Abenteuergeschichten, die in einer sterbenden, archaischen Welt spielen: ein Leben im Sattel, die Weite der Prärie. McCarthys Sprachmacht und Erzählkunst machen diese Geschichten von Liebe, Gewalt und Rache zu großer Literatur.

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Cormac McCarthy

Die Border-Trilogie

All die schönen Pferde. Grenzgänger. Land der Freien. Drei Romane

Aus dem Englischen von Hans Wolf und Nikolaus Stingl

Informationen zum Buch

«Am Rande der Nacht liegen die Ländereien dieses Erzählers, an der Grenze zur allumfassenden Dunkelheit.». (Süddeutsche Zeitung)

Cormac McCarthy hat mit diesen drei Romanen einen Meilenstein in der Neuerfindung des Western-Genres gesetzt. Es sind Abenteuergeschichten, die in einer sterbenden, archaischen Welt spielen: ein Leben im Sattel, die Weite der Prärie. McCarthys Sprachmacht und Erzählkunst machen diese Geschichten von Liebe, Gewalt und Rache zu großer Literatur.

Informationen zum Autor

Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee, auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzer-Preis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte». (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco.

Weitere Veröffentlichungen

Die Abendröte im Westen

All die schönen Pferde

Grenzgänger

Die Straße

Draußen im Dunkel

Kein Land für alte Männer

Verlorene

Der Anwalt

Ein Kind Gottes

Land der Freien

All die schönen Pferde

Deutsch von Hans Wolf

I Die Kerzenflamme und ihr im Wandspiegel gefangenes Ebenbild flackerten kurz auf, als er den Flur betrat; und noch einmal, als er die Tür schloss. Er nahm den Hut ab und trat langsam näher. Die Dielen knarrten unter den Stiefeln. Im schwarzen Anzug stand er im dunklen Glas, wo die Lilien sich tiefblass aus ihrer taillierten geschliffenen Vase neigten. Hinter ihm, über der schmalen Wandtäfelung im kalten Flur, hingen die glasgerahmten, matt erleuchteten Porträts von Ahnen, die ihm nur vage bekannt waren. Er blickte hinunter zum tropfenden Kerzenstummel. Presste seinen Daumenabdruck in die wargme Wachspfütze auf dem Eichenfurnier. Schließlich betrachtete er das verhärmte eingefallene Gesicht zwischen den Leichentuchfalten, den vergilbten Schnurrbart, die papierdünnen Lider. Das Gesicht schlief nicht. Schlief nicht.

Es war dunkel draußen, kalt und windstill. In der Ferne blökte ein Kalb. Er stand da, den Hut in der Hand. Du warst doch sonst immer ganz anders gekämmt, sagte er.

Im Haus war alles ruhig, bis auf das Ticken der Kaminuhr im Vorderzimmer. Er ging wieder nach draußen und schloss die Tür.

Dunkel, kalt und windstill; am Ostrand der Welt tauchte ein schmales graues Riff auf. Er marschierte hinaus in die Prärie und blieb stehen; den Hut in der Hand, stand er eine ganze Weile wie ein Bettler vor der umfassenden Düsternis.

Er wollte gerade zurück, da hörte er den Zug. Er blieb wieder stehen und sah ihm entgegen. Spürte ihn unter den Füßen. Der Zug drang aus dem Osten wie ein klotziger Satellit der aufgehenden Sonne, fernes Heulen und Röhren, der lange Scheinwerferstrahl glitt durchs Mezquitogestrüpp, schuf aus der Nacht die endlose Schanze des kahlen geraden Bahndamms, sog sie mit Leitung und Mast wieder ein, meilenweit in die Dunkelheit, hinten, am zarten neuen Horizont, löste sich träge der Kesseldampf auf, hinterherschallender Lärm, er stand immer noch da, den Hut in den Händen, und blickte dem Erderschütterer nach, bis er verschwunden war. Dann machte er kehrt und marschierte zurück zum Haus.

Als er eintrat, hob sie den Blick vom Herd und musterte ihn in seinem Anzug von oben bis unten. Buenos días, guapo, sagte sie.

Er hängte den Hut an einen Haken neben der Tür, zwischen Wettermäntel, Umhänge und überzählige Nägel; dann ging er zum Herd, nahm seinen Kaffee und stellte ihn auf den Tisch. Sie öffnete den Backofen, zog ein Blech mit süßen Brötchen heraus, legte eines davon auf einen Teller und servierte es ihm mit einem Buttermesser; dann strich sie ihm mit der Hand über den Hinterkopf und kehrte wieder zurück an den Herd.

Nett von dir, dass du die Kerze angezündet hast, sagte er.

Cómo?

La candela. La vela.

No fui yo, sagte sie.

La señora?

Claro.

Ya se levantó?

Antes que yo.

Er trank seinen Kaffee. Draußen wurde es grieselig hell; Arturo marschierte aufs Haus zu.

Er sah seinen Vater bei der Beerdigung. Er stand allein auf der anderen Seite des Kieswegs, nahe am Zaun. Einmal ging er hinaus auf die Straße zu seinem Wagen. Kurz darauf kehrte er wieder zurück. Vormittags war Nordwind aufgekommen, Schneegeriesel und Staubwirbel durchzogen die Luft; die Frauen saßen da und hielten ihre Hüte fest. Das über der Grabstelle errichtete Zeltdach bot gegen die seitlich blasenden Böen keinen Schutz. Die Plane raschelte und flatterte; die Worte des Priesters verflogen im Wind. Dann war alles vorbei; als die Trauernden aufstanden und sich zum Gehen wandten, wehten ihre Klappstühle davon und purzelten zwischen die Grabsteine.

Abends sattelte er sein Pferd und verließ das Haus in westlicher Richtung. Der Wind hatte sich fast gelegt, und es war sehr kalt; vor ihm, unter den blutroten Wolkenriffen, kauerte blutrot und elliptisch die Sonne. Er ritt die übliche Strecke, wo die alte, von Norden aus dem Kiowagebiet nach Westen führende Comanchenroute abzweigte und dabei den äußersten Westrand der Ranch streifte; ihre schwache, südwärts ziehende Spur ließ sich durch die karge Prärie zwischen der nördlichen und mittleren Gabelung des Concho River verfolgen. Er ritt zur üblichen Stunde, wo die Schatten lang waren und die alte Route sich im rosenfarbenen schrägen Licht abzeichnete wie ein Traum aus der Vergangenheit, als die bemalten Mustangs und Reiter jenes verlorenen Stammes von Norden kamen, die Gesichter geweißt, die langen Haare gezwirbelt, jeder gewaffnet zum Krieg, der ihr Leben war, die Frauen und Kinder, Frauen mit Kindern an ihren Brüsten, alle dem Blut verpfändet und alle in Blut nur erlösbar. Wenn der Nordwind wehte, hörte man sie, die Pferde, ihr Schnauben und die in Rohleder gehüllten Hufe, das Klirren der Lanzen, das stete Schleifen der Schleppgerüste im Sand, wie eine vorüberkriechende Riesenschlange, die Knaben nackt auf ihren Wildpferden, lässig wie Zirkusreiter, Mustangs antreibend, die trottenden Hunde mit schlaff heraushängenden Zungen, die Sklaven folgten halbnackt und schwer beladen zu Fuß, und über allem der leise Singsang des Reiterlieds, Stamm und Geisterstamm zogen in sanftem Choral durch die mineralische Einöde dem Dunkel entgegen, verloren für Geschichte und für Erinnerung, gleich einem Gral, Summe ihres weltlichen, vergänglichen und kriegerischen Lebens.

Er ritt weiter, die Sonne verkupferte sein Gesicht, der rote Wind blies von Westen. Er wandte sich südwärts, den alten Kriegspfad entlang, und ritt eine flache Anhöhe hinauf; dort saß er ab, ließ die Zügel los, ging ein paar Schritte und blieb stehen, als sei er am Ziel.

Im Gestrüpp lag ein alter Pferdeschädel; er ging in die Hocke, hob das Ding auf und drehte es hin und her. Zerbrechlich und spröde. Papierweiß verblichen. Er hockte im länglichen Licht und hielt den Schädel fest, die grotesken Zähne locker in ihren Höhlen. Die Nähte zwischen den Knochenplatten wie gezackte Schweißspuren. Das lautlose Rieseln von Sand in der Hirnschale, als er den Schädel umdrehte.

An Pferden gefiel ihm, was ihm auch an Menschen gefiel: Rasse und das feurige Blut, das sie trieb. Seine Verehrung, seine Liebe, seine ganze Neigung galt den Heißherzigen, und so würde es immer bleiben und sich niemals ändern.

Er ritt zurück in die Düsternis. Das Pferd beschleunigte den Schritt. Hinter ihm fächerte das letzte Tageslicht langsam über die Ebene und zog sich im kühlenden Blau von Schatten, Dämmer und Frost wieder hinter die Ränder der Welt zurück; ein paar letzte einsame Vogelzwitscher ertönten im dunklen Borstengesträuch. Er überquerte erneut die alte Route und musste den Mustang heimwärts in Richtung Ebene lenken, aber die Krieger, zu Schemen geworden, ritten weiter dahin, klirrten vorüber mit ihrem steinalten Kriegsgerät, wesenlos, unter leisen blutvollen Gesängen strebten sie über die Ebenen sehnsüchtig südwärts nach Mexiko.

Das Haus war achtzehnhundertzweiundsiebzig erbaut worden. Siebenundsiebzig Jahre später war sein Großvater noch immer der Einzige, der darin gestorben war. Wer sonst in jenem Flur aufgebahrt lag, den hatte man auf einem Gatter oder in einer Wagenplane gebracht, oder ihn in einer Lattenkiste aus grobgezimmertem Kiefernholz abgeliefert; am Eingang stand dann ein Fuhrmann mit einem Frachtbrief. Wenn überhaupt jemand gebracht wurde. Meistens erfuhr man vom Tod gerüchtweise. Durch einen vergilbten Zeitungsfetzen. Einen Brief. Ein Telegramm. Die Ranch maß, dem ältesten Grundbucheintrag zufolge, ursprünglich zweitausenddreihundert Morgen, das Haus war zuvor, achtzehnhundertsechsundsechzig, eine Hütte aus Latten und Flechtwerk mit nur einem einzigen Raum. Im selben Jahr ging der erste Viehtreck durch das Gebiet, damals noch Bexar County, und zog über den Nordrand der Ranch weiter nach Fort Sumner und Denver. Fünf Jahre später trieb sein Urgroßvater sechshundert Rinder durch; mit dem Erlös baute er das Haus, da umfasste die Ranch bereits achtzehntausend Morgen. Achtzehnhundertdreiundachtzig wurde der erste Stacheldrahtzaun gezogen. Sechsundachtzig gab es keine Büffel mehr. Im damaligen Winter ein schlimmes Massensterben. Neunundachtzig wurde Fort Concho geräumt.

Sein Großvater war von acht Jungen der älteste und zugleich der einzige, der älter wurde als fünfundzwanzig. Die anderen ertranken, wurden erschossen, von Pferden zu Tode getreten. Kamen im Feuer um. Fürchteten offenbar nur, im Bett zu sterben. Die letzten beiden fielen achtzehnhundertachtundneunzig in Puerto Rico. Im selben Jahr heiratete sein Großvater und führte seine Braut heim auf die Ranch; damals spazierte er wohl oft hinaus, betrachtete seinen Besitz und sann lange über Gottes Wege und das Erstgeburtsrecht nach. Zwölf Jahre später, das Paar war noch kinderlos, raffte eine Grippeepidemie seine Frau dahin. Im Jahr darauf heiratete er die ältere Schwester der Verstorbenen, und wieder ein Jahr darauf kam die Mutter des Jungen zur Welt; sie blieb das einzige Kind. Der Name Grady wurde an dem Tag, als der Nordwind die Klappstühle übers welke Friedhofsgras wehte, mit dem Alten zu Grabe getragen. Der Junge hieß Cole. John Grady Cole.

Er traf seinen Vater in der Lobby des St. Angelus; die beiden marschierten die Chadbourne Street hinauf zum Eagle Cafe und hockten sich dort in die hintere Sitzecke. Als sie eintraten, verstummten an einigen Tischen die Gespräche. Ein paar Männer nickten seinem Vater zu, einer grüßte ihn mit Namen.

Die Bedienung nannte jeden Schnuckelchen. Sie nahm die Bestellung auf und schäkerte mit ihm. Sein Vater holte seine Zigaretten hervor, zündete sich eine an und legte die Packung mit dem Armeefeuerzeug obenauf auf den Tisch; dann lehnte er sich rauchend zurück und musterte seinen Sohn. Er erzählte, Onkel Ed Alison sei nach der Grabrede zum Priester gegangen und habe ihm die Hand gedrückt; die zwei hätten dagestanden, die Hüte festgehalten und sich dabei schräg gegen den Wind gestemmt wie Varietékomiker, drum herum das wütend flatternde Zeltdach, die Trauergemeinde übers ganze Gelände verstreut, in wilder Jagd nach den Klappstühlen, und der Onkel habe sich zum Priester vorgebeugt und ihm zugebrüllt, gut, dass die Beerdigung auf den Vormittag angesetzt worden sei, denn so, wie die Sache aussehe, könne daraus bis zum Abend noch ein richtiger Sturm werden.

Sein Vater lachte in sich hinein. Dann begann er plötzlich zu husten. Er trank einen Schluck Wasser und hockte rauchend und kopfschüttelnd da.

Wie Buddy von der Panhandle oben zurückgekomm’ iss, da hat er mir erzählt, wie’s dort mal windstill war, da wären plötzlich sämtliche Hühner umgekippt.

Die Bedienung brachte den Kaffee. Bittschön, Schnuckelchen, sagte sie. ’s andere kommt gleich.

Sie iss nach San Antonio, sagte der Junge.

Nennse nich sie.

Mama.

Ich weiß.

Sie tranken ihren Kaffee.

Was hast du jetzt vor?

Wie meinste?

Ganz allgemein.

Sie kann hin, wose will.

Der Junge begutachtete ihn. Davon, dass du die Dinger da rauchst, wird’s auch nicht besser, sagte er.

Sein Vater schürzte die Lippen, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und sah auf. Wenn ich dich wirklich mal frag, was ich machen soll, dann weißte, dassde groß genug bist, um’s mir zu sagen, sagte er.

Woll Sir.

Brauchste Geld?

Nein.

Sein Vater musterte ihn. Du kommst schon zurecht, sagte er.

Die Bedienung servierte das Essen; dicke Porzellanteller mit Soßensteak, Kartoffeln und Bohnen.

’ch bring euch noch Brötchen.

Sein Vater steckte sich die Serviette ins Hemd.

Um mich mach ich mir ja auch keine Sorgen, sagte der Junge. Kann ich doch sagen, oder?

Sein Vater hob das Messer und schnitt ins Steak. Klar, sagte er. Kannste.

Die Bedienung brachte den Brötchenkorb, stellte ihn auf den Tisch und entfernte sich wieder. Sie begannen zu essen. Sein Vater aß nicht sehr viel. Nach einer Weile schob er mit dem Daumen den Teller weg, langte nach einer Zigarette, klopfte sie gegen das Feuerzeug, steckte sie in den Mund und zündete sie an.

Mir kannste ruhig sagen, was dir im Kopf rumgeht, egal, wases iss. Menschenskind. Von mir aus kannste mich sogar wege’m Rauchen anmotzen.

Der Junge gab keine Antwort.

Aber darum geht’s ja wohl nich, oder?

Jau. Weiß ich.

Kümmerste dich auch gut um Rosco?

Der iss schon’ne Weile nicht mehr bewegt worden.

Wir könn’ ja am Samstag mal los.

Klar.

Musst aber nich, wennde was andres vorhast.

Neenee, hab ich nicht.

Sein Vater rauchte; der Junge musterte ihn.

Aber bloß, wenn’s dir auch wirklich passt, sagte sein Vater.

Iss schon okay.

Kannste mit Arturo dann laden und mich in der Stadt abholen?

Klar.

Um welche Zeit?

Wann stehst du denn auf?

Früh genug.

Dann sind wir um acht da.

Ich bin auf jeden Fall auf.

Der Junge nickte und aß weiter. Sein Vater sah in die Runde. Ich frag mich, wo man hier noch’n Kaffee kriegen kann.

Er hatte mit Rawlins die Pferde abgesattelt und sie im Dunkeln grasen lassen; kurz darauf lagen die beiden auf ihren Satteldecken, die Sättel dienten als Kopfkissen. Die Nacht war kalt und klar; glutrote Funken stoben vom Feuer hinauf zu den Sternen. Sie hörten die Lastwagen draußen auf dem Highway und sahen fünfzehn Meilen weiter nördlich die Lichtreflexe der Stadt über der Wüste.

Was haste jetzt vor?, sagte Rawlins.

Keine Ahnung. Nix.

Was erwartste denn eigentlich? Er’ss immerhin zwei Jahre älter wie du. Hat schon’ne eigene Karre und so.

Bei dem iss doch nix dahinter. Noch nie gewesen.

Und was sagt sie dazu?

Nix. Wozu auch? Gibt eh nix zu sagen.

Na ja, trotzdem, was erwartste denn eigentlich?

Nix.

Gehste am Samstag hin?

Nein.

Rawlins fischte eine Zigarette aus der Hemdtasche, richtete sich auf, nahm ein Stück Holz aus dem Feuer und zündete sie an. Er hockte da und rauchte vor sich hin. Also ich würd mich von der nich verarschen lassen, sagte er.

Er streifte die Kippenasche am Stiefelabsatz ab.

Iss die doch gar nich wert. Keine von denen iss das.

Der Junge blieb eine Weile stumm. Dann sagte er: Doch.

Wieder daheim, rieb er das Pferd ab, stallte es ein, schritt zum Haus und in die Küche. Luisa lag schon im Bett, alles war still. Er legte prüfend die Hand an die Kaffeekanne, holte sich eine Tasse und goss ein; dann marschierte er wieder hinaus und durch den Flur.

Er ging ins Büro seines Großvaters, trat an den Schreibtisch, knipste die Lampe an und setzte sich auf den alten eichenen Drehstuhl. Auf dem Tisch befand sich ein kleiner Messingkalender, der sich in seinem Gestell um eine Achse drehen ließ und dabei das Datum wechselte. Er zeigte noch immer den dreizehnten September an. Ein Aschenbecher. Ein gläserner Briefbeschwerer. Eine Kladde mit dem Eintrag: Palmer, Landhandel. In einem schmalen Silberrahmen ein Foto von seiner Mutter nach erfolgreichem Highschool-Abschluss.

Das Büro roch nach altem Zigarrenrauch. Er beugte sich vor, knipste die kleine Messinglampe aus und saß im Dunkeln. Durchs vordere Fenster sah er die sternenerleuchtete Prärie nach Norden hin abfallen. Die schwarzen Kreuze der alten Telegraphenmasten spannten sich über die westwärts treibenden Konstellationen. Sein Großvater sagte einmal, die Comanchen hätten immer die Drähte gekappt und sie dann mit Rosshaaren wieder zusammengefügt. Er lehnte sich zurück und legte die bestiefelten Füße über Kreuz auf den Schreibtisch. Dürrer Lichtschein im Norden, vierzig Meilen entfernt. Die Uhr im Vorderzimmer auf der anderen Flurseite schlug elf.

Sie kam die Treppe herunter, stellte sich in die Bürotür und drehte am Wandschalter das Licht an. Sie trug ihren Morgenrock und stand mit verschränkten Armen da, die Ellbogen in die Hände gebettet. Er sah sie an; dann schaute er wieder zum Fenster hinaus.

Was machst du denn?, sagte sie.

Rumhocken.

Sie blieb eine ganze Weile in ihrem Morgenrock da stehen. Dann drehte sie sich um, tappte wieder durch den Flur und die Treppe hinauf. Als er ihre Tür zugehen hörte, erhob er sich und machte das Licht aus.

Es gab noch ein paar letzte warme Tage; manchmal saß er nachmittags mit seinem Vater im Hotelzimmer auf weißen Korbmöbeln, bei geöffnetem Fenster, die dünnen Häkelgardinen wehten herein, die beiden tranken Kaffee, sein Vater goss dann immer ein bisschen Whiskey in seine Tasse, nippte daran und lugte zur Straße hinunter. Dort parkten Wagen von Ölscouts, die aussahen, als kämen sie direkt von der Front.

Wenn du’s Geld hättest, würdste’s dann kaufen?, sagte der Junge.

Ich hatte’s ja mal und hab’s trotzdem nich gemacht.

Du meinst, deine Nachzahlung von der Armee?

Nee. Danach.

Was’n das Höchste, was du mal so gewonnen hast?

Brauchste gar nich zu wissen. Kommst bloß auf dumme Gedanken.

Soll ich mal nachmittags ’s Schachbrett mitbringen?

Zum Schach hab ich keine Geduld.

Aber zum Pokern.

Das iss was andres.

Wieso?

Da geht’s um Zaster.

Sie saßen da.

Da draußen steckt noch’ne Menge Geld im Boden, sagte sein Vater. I C Clark Nummer eins, wose letztes Jahr fündig geworden sind, wirft ganz schön was ab.

Er nippte am Kaffee. Dann fischte er seine Zigaretten vom Tisch, zündete sich eine an, musterte den Jungen und sah wieder hinunter zur Straße. Nach einer Weile sagte er:

Ich hab mal in zweiundzwanzig Stunden sechsundzwanzigtausend Dollar gewonnen. In der letzten Runde lagen viertausend Dollar auf ’m Tisch; drei waren noch dabei. Außer mir zwei Jungs aus Houston. Mit drei stinknormalen Damen bin ich zu Potte gekomm’.

Er drehte sich dem Jungen zu. Der saß mit halberhobener Tasse da. Sein Vater wandte sich wieder ab und sah zum Fenster hinaus. Von der Pinke iss heut kein müder Dime mehr übrig, sagte er.

Und was soll ich jetzt machen?

Glaub nich, dass da noch viel zu machen iss.

Willst du nicht wenigstens mal mit ihr reden?

Geht nich.

Wieso nicht?

’s letzte Mal ha’m wir neunzehnzweiundvierzig geredet, in San Diego, Kalifornien. Iss ja nich ihre Schuld. Bin halt nich mehr der, wo ich mal war. Leider. Iss einfach so.

Innerlich schon. Innerlich bist du’s schon noch.

Sein Vater hustete. Er nahm einen Schluck aus der Tasse. Ja, sagte er. Innerlich schon.

Sie saßen eine ganze Zeitlang da.

Sie iss dort bei irgen’nem Theater oder so.

Jau. Ich weiß.

Der Junge griff sich seinen Hut vom Boden und legte ihn übers Knie. Ich muss wieder zurück, sagte er.

Auf den Alten hab ich nix kommen lassen, das weißte doch, oder?

Der Junge sah aus dem Fenster. Jau, sagte er.

Fang jetz ja nich zu heulen an.

Neenee.

Bloß nich.

Der hat nie aufgegeben, sagte der Junge. Hat mir immer gesagt, dass das nix bringt. ’ne Beerdigung, hat er gesagt, gibt’s erst, wenn’s auch was zu begraben gibt, und wenn’s bloß seine Hundemarke iss. Die andern wollten nämlich schon deine Klamotten wegschenken.

Sein Vater grinste. Hättense ruhig machen können, sagte er. Mir ha’m eh bloß noch meine Stiefel gepasst.

Er hat immer dran geglaubt, dass alle wieder zusammenkommen.

Jau; ich weiß.

Der Junge erhob sich und setzte den Hut auf. Ich muss los, sagte er.

Hat sich manchmal sogar für sie geprügelt. Noch wie’r älter war. Mit jedem, wo was über sie gesagt hat. Wenn ihm davon was zu Ohren gekomm’ iss. Hat dabei nich grad’ne gute Figur gemacht.

Ich muss jetzt.

Okay.

Sein Vater nahm die Füße vom Fensterbrett. Ich komm mit runter. Brauch noch die Zeitung.

Sie standen in der gekachelten Lobby; sein Vater überflog die Schlagzeilen.

Wieso will Shirley Temple sich scheiden lassen?, sagte er.

Er hob den Blick. Früher Winterdämmer in den Straßen. Vielleicht sollt ich mal zum Friseur, sagte er.

Er musterte den Jungen.

Ich weiß, wie du dich fühlst. Mir isses genauso gegangen.

Der Junge nickte. Sein Vater warf wieder einen Blick in die Zeitung; dann faltete er sie zusammen.

In der Bibel steht, die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen, und das kann vielleicht sogar stimmen. Ich bin ja kein Freidenker, aber ich sag dir mal was: Ich bin noch lang nich überzeugt, dass das auch gut so iss.

Er sah den Jungen an. Dann zog er seinen Schlüssel aus der Jackentasche und reichte ihn ihm.

Geh doch nochmal hoch. Im Wandschrank iss was, das gehört dir.

Der Junge nahm den Schlüssel. Was denn?, sagte er.

Irgendwas halt; hab ich für dich besorgt. Wollt’s dir eigentlich erst zu Weihnachten schenken, aber ich hab keine Lust mehr, dauernd drüberzustolpern.

Woll Sir.

Außerdem siehste aus, als könnt dir’ne kleine Freude nich schaden. Wennde wieder gehst, gibste den Schlüssel einfach am Empfang ab.

Woll Sir.

Bis dann.

Okay.

Der Junge fuhr mit dem Lift wieder nach oben, ging durch den Flur, steckte den Schlüssel in die Tür, marschierte zum Wandschrank und machte ihn auf. Auf dem Boden, neben zwei Paar Stiefeln und einem Stapel schmutziger Hemden, lag ein nagelneuer Hamley-Formfitter-Sattel. Der Junge nahm ihn am Knopf, machte die Schranktür zu, trug ihn zum Bett, hob ihn mit Schwung hinauf und begutachtete ihn.

Heilige Scheiße, sagte er.

Er gab den Schlüssel am Empfang ab und marschierte, den Sattel über der Schulter, durch die Türen hinaus auf die Straße.

Er spazierte zur South Concho Street, setzte den Sattel ab und stellte sich davor. Es dunkelte, die Straßenlaternen waren bereits an. Der erste Wagen war ein Laster, ein Ford Model A; er schlitterte heran, seine mechanischen Bremsen brachten ihn ruckweise zum Stehen. Der Fahrer lehnte sich herüber, kurbelte das Fenster ein Stück herunter und grölte mit Whiskeystimme: Schmeiß das Teil hintendrauf, Cowboy, und steig ein.

Woll Sir, sagte der Junge.

Die ganze nächste Woche fiel Regen; dann klarte es auf. Wenig später begann es von neuem. Gnadenlos klatschte der Regen auf die harte flache Prärie. Die Highwaybrücke bei Christoval war überflutet; die Straße wurde gesperrt. Hochwasser in San Antonio. Im Wettermantel seines Großvaters ritt er über die Alicia-Weide; der Südzaun stand bis zum oberen Draht unter Wasser. Die Rinder, auf Inseln, glotzten den Reiter freudlos an. Redbo glotzte freudlos zurück. Der Junge drückte dem Pferd die Absätze in die Flanken. Na los, sagte er. Mir stinkt das genauso wie dir.

Solange sie fort war, aß er mit Luisa und Arturo in der Küche. Nachts, nach dem Abendbrot, marschierte er manchmal hinaus zur Chaussee, fuhr per Anhalter zur Stadt, schlenderte durch die Straßen oder blieb vor dem Hotel in der Beauregard Street stehen und lugte hinauf zu dem Zimmer im dritten Stock, wo sein Vater schemenhaft oder als Schatten hinter den hauchdünnen Gardinen vorbeitappte, verschwand und dann wieder auftauchte, wie ein Blechbär in einer Schießbude, nur langsamer, schmaler, gequälter.

Nach ihrer Rückkehr aßen sie wieder zu zweit im Speisezimmer; sie saßen sich an den Enden des langen Walnusstischs gegenüber, Luisa bediente. Sie trug das letzte Gedeck hinaus, an der Tür drehte sie sich noch einmal um.

Algo más, señora?

No, Luisa. Gracias.

Buenas noches, señora.

Buenas noches.

Die Tür ging zu. Die Uhr tickte. Er hob den Blick.

Wieso willst du mir die Ranch nicht verpachten?

Dir die Ranch verpachten.

Genau.

Ich dachte, ich hätte dir schon gesagt, dass ich darüber nicht diskutieren will.

Das iss mir neu.

Nein, überhaupt nicht.

Kriegst auch das ganze Geld. Könntst machen, zu was du Lust hast.

Von wegen das ganze Geld. Du weißt ja nicht, was du sagst. Es gibt kein Geld. Die Erträge haben in den letzten zwanzig Jahren kaum die Unkosten gedeckt. Der letzte Weiße hat vor dem Krieg hier gearbeitet. Außerdem bist du erst sechzehn, da kannst du noch keine Ranch führen.

Kann ich doch.

Unsinn. Du musst ja sogar noch zur Schule.

Sie legte die Serviette auf den Tisch, schob ihren Stuhl zurück, stand auf und verließ den Raum. Er rückte seine Kaffeetasse beiseite und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. An der gegenüberliegenden Wand, über der Anrichte, hing ein Pferdegemälde in Öl. Ein halbes Dutzend Tiere mit langen wehenden Mähnen und wild blickenden Augen brach aus einem Korral. Das Bild war die Kopie einer Buchillustration. Die Pferde hatten die Nase von Andalusiern, die Gesichtsknochen von Berbern. Bei den vordersten sah man die Hinterhand, eine gutgebaute Hinterhand, kräftig genug für ein Quarterhorse. Als hätten die Tiere Steeldust im Blut. Aber sonst passte nichts zusammen; solche Pferde waren ihm noch nie untergekommen, und einmal hatte er seinen Großvater nach ihrer Rasse gefragt, worauf der Alte, als sehe er das Gemälde zum ersten Mal, den Blick von seinem Teller hob, erklärte, das seien Pferde aus einem Bilderbuch, und dann weiteraß.

Er stieg die Treppe zum Zwischengeschoss hoch, las auf dem gekörnten Türglas den bogenförmigen Namenszug Franklin, nahm den Hut ab, drehte am Knauf und trat ein. Das Mädchen blickte vom Schreibtisch auf.

Ich möchte zu Mr.Franklin, sagte er.

Sind Sie angemeldet?

Nein, Mam. Aber er kennt mich.

Wie ist Ihr Name?

John Grady Cole.

Moment.

Sie ging nach nebenan. Dann kam sie wieder zurück und nickte.

Er stand auf und durchquerte den Raum.

Hereinspaziert, Söhnchen, sagte Franklin.

Er trat ein.

Nimm Platz.

Er setzte sich.

Als der Junge sein Anliegen vorgetragen hatte, lehnte sich Franklin zurück und sah aus dem Fenster. Er schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich wieder vor und verschränkte die Hände über dem Schreibtisch. Also erstens, sagte er, darf ich dich eigentlich gar nicht beraten. Interessenkonflikt nennt man das. Aber andererseits kann ich dir so viel wohl sagen: Es ist ihr Eigentum, und sie kann damit tun, was sie will.

Und ich hab dabei überhaupt kein Mitspracherecht.

Du bist noch minderjährig.

Was iss mit meinem Vater?

Franklin lehnte sich wieder zurück. Das ist ’ne knifflige Sache, sagte er.

Sie sind doch noch gar nich geschieden.

Doch.

Der Junge sah auf.

Da es bereits öffentlich bekannt ist, begeh ich damit wohl keinen Vertrauensbruch. Es stand sogar in der Zeitung.

Wann?

Das Scheidungsurteil wurde vor drei Wochen rechtskräftig.

Der Junge senkte den Blick. Franklin musterte ihn.

Also noch vor dem Tod des alten Herrn.

Der Junge nickte. Ich versteh schon, was Sie meinen, sagte er.

Tja, keine sehr angenehme Sache, Söhnchen. Aber daran lässt sich wohl nichts mehr ändern.

Hätten Sie nicht mit ihr reden können?

Hab ich getan.

Und was hat sie gesagt?

Das spielt ja nun keine Rolle mehr. Sie wird jedenfalls von ihrem Standpunkt nicht abrücken.

Der Junge nickte. Er saß da und schaute in seinen Hut.

Tja, Söhnchen, ’s glaubt halt nicht jeder, dass das Leben auf einer westtexanischen Viehranch zur ewigen Seligkeit führt. Sie hat schlicht und einfach kein Bedürfnis danach. Wenn sich’s lohnen würde, wär’s wohl was anderes. Aber das tut’s ja nicht.

Vielleicht doch.

Na, also darüber will ich jetzt nicht diskutieren. Wie auch immer, sie ist noch jung, und ich glaub, sie käm einfach gern mehr unter die Leute, mehr als bisher jedenfalls.

Sie iss doch schon sechsunddreißig.

Der Anwalt lehnte sich zurück. Er klopfte sich mit dem Zeigefinger auf die Unterlippe und ruckte auf dem Drehstuhl leicht hin und her. Herrgott, er ist doch selber schuld. Jeden Wisch hat er unterschrieben. Ist ohne Muckser auf alles eingegangen. Von mir hat er sich ja nichts sagen lassen, verdammt nochmal. Wie oft hab ich ihm geraten, sich einen Anwalt zu nehmen. Geraten? Bekniet hab ich ihn.

Jau, ich weiß.

Wayne sagt, zum Arzt geht er inzwischen auch nicht mehr.

Der Junge nickte. Tjau. Jedenfalls dankschön für Ihre Mühe.

Mehr hab ich leider nicht anzubieten. Kannst dich aber gern noch an jemand anders wenden.

Iss schon okay.

Wieso bist du denn heute nicht in der Schule?

Hab noch was vorgehabt.

Der Anwalt nickte. Aha, sagte er. Das ist natürlich auch’ne Entschuldigung.

Der Junge erhob sich und setzte den Hut auf. Dankschön nochmal, sagte er.

Der Anwalt stand auf.

Manches auf dieser Welt lässt sich halt einfach nicht ändern, sagte er. Und das hier gehört wohl dazu.

Jau, sagte der Junge.

Nach Weihnachten kam sie nicht mehr zurück. Er saß mit Luisa und Arturo in der Küche. Luisa konnte nur unter Tränen darüber sprechen, daher war das Thema tabu. Nicht einmal ihre Mutter, die schon vor der Jahrhundertwende auf der Ranch war und seitdem dort lebte, hatte etwas davon erfahren. Arturo erbarmte sich schließlich und sagte es ihr. Sie hörte zu, nickte und wandte sich einfach ab.

Am nächsten Morgen stand er bei Tagesanbruch am Straßenrand, mit einer Ledermappe, in der ein frisches Hemd, ein Paar Socken, seine Zahnbürste, Rasiermesser und Rasierpinsel steckten. Die Mappe stammte noch von seinem Großvater, und der pelzverbrämte Entenjagdmantel, den er anhatte, gehörte einmal seinem Vater. Gleich der erste Wagen hielt an. Er stieg ein, stellte die Mappe im Fußraum ab und massierte sich die Hände zwischen den Knien. Der Fahrer lehnte sich herüber und prüfte nach, ob die Tür zu war; dann legte er den ersten Gang ein und fuhr los.

Die Tür da schließt nich mehr richtig. Wo soll’s’n hin?

Nach San Antonio.

Ich aber fahr bloß bis Brady, Texas.

Iss mir recht.

Bist’n Vieheinkäufer?

Sir?

Der Mann nickte in Richtung der Mappe mit den Riemen und Messingverschlüssen. Ich hab gesagt, bist’n Vieheinkäufer?

Nein, Sir. Das iss bloß meine Tasche.

Also ich hätt jetz gedacht, du bist’n Vieheinkäufer. Wie lang haste denn schon da draußen gestanden?

’n paar Minuten.

Der Mann deutete auf einen dunkelorange schimmernden Plastikknopf am Armaturenbrett. Der Karren hier hat’ne Heizung, aber die bringt nich viel. Oder merkst du vielleicht was davon?

Woll Sir. Für mich reicht’s dicke.

Der Mann sah nickend in den grauen feindseligen Dämmer. Dann zeigte er mit der flachen Hand träge nach vorne. Siehste das?, sagte er.

Woll Sir.

Der Mann schüttelte den Kopf. Also mir kann der Winter gestohlen bleiben. Hab nie kapiert, zu was der überhaupt gut sein soll.

Er sah John Grady an.

Bist wohl nich sehr gesprächig, was?

Nicht besonders.

Iss ja auch kein Fehler.

Die Fahrt nach Brady dauerte ungefähr zwei Stunden.

Sie durchquerten die Stadt; am anderen Ende ließ ihn der Mann aussteigen.

In Fredericksburg stellste dich auf die Siebenundachtzig. Bloß nich auf die Zweihunnertneunzig, sonst landste nämlich in Austin. Alles klar?

Woll Sir. Dankschön nochmal.

Der Junge schloss die Tür, und der Mann hob nickend die Hand; dann wendete der Wagen auf der Straße und fuhr wieder zurück. Kurz darauf hielt schon der Nächste; der Junge stieg ein.

Wie weit willste?, sagte der Fahrer.

Schnee fiel in den San Saba, als sie den Fluss überquerten, Schnee fiel auf das Edwards-Plateau, der Kalkstein in den Balcones war schneeweiß; der Junge saß da und spähte hinaus, während die grauen Flocken im Schwung der Scheibenwischer über die Frontscheibe flirrten. Am Asphaltrand hatte sich durchsichtiger Matsch gebildet, und auf der Brücke über den Pedernales River lag Eis. Das grüne Wasser glitt träge an den dunklen Uferbäumen vorüber. Die Mezquitos entlang der Straße waren so dicht mit Misteln bewachsen, dass sie aussahen wie Immergrüneichen. Der Fahrer kauerte hinter dem Lenkrad und pfiff leise vor sich hin. Um drei Uhr nachmittags, in heftigem Schneesturm, erreichten sie San Antonio; der Junge stieg aus, bedankte sich, ging die Straße entlang ins erstbeste Café, setzte sich an den Tresen und legte die Mappe auf den Nachbarhocker. Er nahm die kleine Speisekarte aus dem Halter, schlug sie auf und blickte hinein; dann sah er zur Uhr an der Hinterwand. Die Bedienung servierte ihm ein Glas Wasser.

Iss hier die gleiche Uhrzeit wie in San Angelo?, sagte er.

Ich hab gewusst, dass Sie mich so was fragen, sagte sie. Hab’s Ihnen direkt angesehn.

Wissen Sie’s oder nicht?

Ich war noch nie in San Angelo, Texas.

Okay. Ich hätt gern’n Cheeseburger und’ne Schokomilch.

Sind Sie wege’m Rodeo hier?

Nein.

Iss die gleiche Uhrzeit, sagte ein Mann weiter hinten am Tresen.

Der Junge bedankte sich.

Hundertprozentig, sagte der Mann. Die gleiche Uhrzeit.

Die Bedienung notierte die Bestellung auf ihren Block; dann sah sie auf. Auf das, was der sagt, würd ich nix geben.

Er spazierte im Schnee durch die Stadt. Es wurde früh dunkel. Er stand auf der Commerce-Street-Brücke und beobachtete die im Fluss zerschmelzenden Flocken. Schnee lag auf den geparkten Wagen; es herrschte so gut wie kein Straßenverkehr mehr, ein paar Taxis oder Lastwagen noch, Scheinwerfer durchzogen träge den rieselnden Schnee und glitten in sanftem Reifensurren vorüber. Er quartierte sich bei der YMCA in der Martin Street ein, bezahlte zwei Dollar und ging die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Dort zog er die Stiefel aus, stellte sie auf den Heizkörper, streifte die Socken ab, legte sie neben die Stiefel, hängte den Mantel auf und streckte sich, den Hut über dem Gesicht, aufs Bett.

Um zehn vor acht stand er im frischen Hemd und mit seinem Geld in der Hand vor der Theaterkasse. Er nahm einen Platz in der dritten Balkonreihe und bezahlte eineinviertel Dollar dafür.

Ich bin zum ersten Mal hier, sagte er.

Iss’n guter Platz, sagte das Mädchen.

Er bedankte sich, ging hinein und gab die Eintrittskarte einem Platzanweiser, der ihn zu der rotausgelegten Treppe hinüberführte und ihm die Karte zurückreichte. Er stieg nach oben, fand seinen Platz und saß dann, den Hut im Schoß, erwartungsvoll da. Das Theater war halb leer. Als die Lichter erloschen, standen um ihn herum einige der Besucher auf und drängten nach vorne. Dann ging der Vorhang hoch; seine Mutter trat aus einer Kulissentür und begann ein Gespräch mit einer Frau auf einem Stuhl.

In der Pause erhob er sich, setzte den Hut auf, marschierte hinunter zum Foyer, stellte sich in eine vergoldete Nische und drehte sich eine Zigarette; rauchend stand er da und stützte sich mit dem bestiefelten Fuß an der Hinterwand ab. Dann merkte er, dass die vorbeiziehenden Theaterbesucher ihm Blicke zuwarfen. Er krempelte ein Bein seiner Jeans um, bückte sich von Zeit zu Zeit und schnippte die weiche weiße Asche in den schmalen Hosenaufschlag. Er sah ein paar Männer mit Hüten und Stiefeln und nickte ihnen ernst zu; sie nickten zurück. Nach einer Weile gingen die Lichter im Foyer wieder aus.

Die Ellbogen auf der Rücklehne des leeren Vordersitzes, das Kinn auf den Unterarmen, hockte er da und verfolgte das Stück mit großer Aufmerksamkeit. Es kam ihm so vor, als sage es etwas aus über die Welt, wie sie war oder wohin sie trieb, aber das stimmte nicht. Es sagte überhaupt nichts aus. Als die Lichter angingen, gab es Beifall; seine Mutter musste mehrmals hinaus, das ganze Ensemble kam auf die Bühne, hielt sich an den Händen und verbeugte sich; dann schloss sich der Vorhang endgültig, das Publikum stand auf und zog durch die Gänge zwischen den Sitzreihen nach oben. Er blieb noch lange im leeren Theater hocken; schließlich erhob er sich, setzte den Hut auf und tappte hinaus in die Kälte.

Als er am nächsten Morgen zum Frühstück aufbrach, war es noch dunkel; es hatte fast achtzehn Grad unter null. Im Travis Park lagen fünfzehn Zentimeter Schnee. Das einzige offene Café war ein mexikanisches; er nahm Platz, bestellte Huevos Rancheros und Kaffee und sah die Zeitung durch. Er dachte, vielleicht etwas über seine Mutter zu finden, aber es stand nichts drin. Er war der einzige Gast im Café. Die Bedienung, ein junges Mädchen, beobachtete ihn. Als sie die Platte servierte, nahm er die Zeitung beiseite und schob die Tasse vor.

Más café?, sagte sie.

Sí por favor.

Sie brachte frischen Kaffee. Hace mucho frío, sagte sie.

Bastante.

Die Hände in den Manteltaschen, den Kragen zum Schutz gegen den Wind hochgeschlagen, schlenderte er den Broadway entlang. Er marschierte in die Lobby des Menger Hotel, hockte sich in einen der Clubsessel, legte die Füße über Kreuz und schlug die Zeitung auf.

Gegen neun Uhr durchquerte sie am Arm eines Mannes in Anzug und Mantel die Lobby; das Pärchen marschierte zur Tür hinaus und bestieg ein Taxi.

Er blieb noch eine ganze Weile sitzen. Dann stand er auf und ging zur Rezeption. Der Empfangschef blickte ihn an.

Wohnt bei Ihnen eine Mrs.Cole?, sagte der Junge.

Cole?

Ja.

Moment.

Der Empfangschef wandte sich ab und überprüfte die Anmeldeformulare. Dann schüttelte er den Kopf. Nein, sagte er. Kein Cole hier.

Danke, sagte der Junge.

Anfang März machten sie zum letzten Mal einen gemeinsamen Ausflug; es war bereits warm, am Straßenrand blühte gelber mexikanischer Eisenhut. Bei McCullough’s luden sie die Pferde ab und ritten dann über die mittlere Weide am Grape Creek entlang ins Hügelgelände. Der Bach war klar, grünes Moos rankte sich über die Kiesbänke. Gemächlich durchstreiften sie das offene Land, vorbei an Mezquitosträuchern und Nopalgewächsen. Von Tom Green County ritten sie weiter nach Coke County. Sie überquerten die alte Schoonover Road und zogen zwischen zerklüfteten, mit Zedern betupften Hügeln dahin, der Boden war mit Trappfels gepflastert; hundert Meilen nordwärts, auf den zartblauen Bergketten, sahen sie Schnee. Den ganzen Tag über wechselten sie kaum ein Wort. Sein Vater saß ein wenig vornübergebeugt; die Zügel hielt er mit einer Hand, ungefähr fünf Zentimeter über dem Sattelknopf. So mager und zerbrechlich, verloren in seinen Kleidern. Beschaute mit tief liegenden Augen die Landschaft, als komme ihm die Welt da draußen nach allem, was er von ihr schon gesehen hatte, verändert oder verdächtig vor. Als könne er sie nie wieder richtig sehen. Oder, schlimmer noch, sie endlich richtig sehen. Sie sehen, wie sie allzeit war und immerdar sein wird. Der Junge, der ein Stückchen vor ihm ritt, saß im Sattel, als liege ihm das Reiten nicht nur im Blut, was ja auch zutraf, sondern als würde er, verschlüge ihn Tücke oder Ungunst des Schicksals in ein seltsames Land, wo es keine Pferde gab, trotzdem welche ausfindig machen. Als wüsste er dann einfach, dass der Welt und ihm etwas fehlte, würde aufbrechen und so lange umherirren, bis er eines entdeckte – und wäre sich erst dann darüber im Klaren, dass er tatsächlich am Ziel seiner Suche war.

Nachmittags passierten sie eine alte verfallene Ranch; an den Felsen der steinigen Mesa lehnten verkrüppelte Zaunpfähle mit den Überresten einer Drahtsorte, wie sie hierzulande seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Ein uraltes Wachthaus. Zwischen den Steinbrocken die Trümmer einer alten hölzernen Windmühle. Sie zogen weiter und scheuchten dabei Enten aus Kolken auf. Abends ritten sie die flachen Hügel hinunter, danach durch das mit rotem Lehm bedeckte Schwemmland in die Stadt Robert Lee.

Sie warteten, bis die Straße frei war; dann ließen sie die Pferde im Schritt über die Pfahlbrücke gehen. Der Fluss war rot von Schlamm. Sie ritten durch die Commerce Street, passierten die Seventh und zogen am Ufer entlang durch die Austin Street; vor dem Café saßen sie ab, banden die Pferde fest und gingen hinein.

Der Wirt kam herbei, um die Bestellung aufzunehmen. Er grüßte die beiden mit Namen. Der Vater hob den Blick von der Speisekarte.

Nu sag schon, wasde willst, sagte er zu dem Jungen. Er wartet nich ewig hier.

Was nimmst du denn?

Ich glaub, bloß Kaffee und Kuchen.

Was für Kuchen haben Sie denn?, sagte der Junge.

Der Wirt blickte in Richtung Büfett.

Nur zu, iss mal was Richtiges, sagte der Vater. Ich weiß doch, dassde Hunger hast.

Sie bestellten; der Wirt brachte den Kaffee und ging wieder zurück zum Büfett. Der Vater fischte sich eine Zigarette aus der Hemdtasche.

Haste dir nochmal überlegt, wiede dein Pferd unterbringst?

Jau, sagte der Junge. Hab ich.

Wallace hat bestimmt nix dagegen, dassde’s fütterst und’n Stall ausfegst oder so. Kannste ja noch mit ihm aushandeln.

Wird ihm aber nicht passen.

Wem, Wallace?

Nein. Redbo.

Sein Vater rauchte. Er schaute den Jungen an.

Triffste dich noch mit der kleinen Barnett?

Der Junge schüttelte den Kopf.

Wer hat’n Schluss gemacht, sie oder du?

Keine Ahnung.

Also sie.

Jau.

Sein Vater nickte. Er rauchte vor sich hin. Draußen auf der Straße zogen zwei Reiter vorbei; sie begutachteten die Männer und ihre Tiere mit prüfenden Blicken. Der Vater rührte lange in seinem Kaffee. Was unnötig war, denn er trank ihn schwarz. Er nahm den dampfenden Löffel und legte ihn auf die Papierserviette; dann hob er die Tasse, betrachtete sie und trank. Er blickte noch immer zum Fenster hinaus, obwohl es da nichts zu sehen gab.

Deine Mutter und ich, wir ha’m uns eigentlich nie richtig verstanden. Sie hatte nix gegen Pferde. Ich hab immer gemeint, das wär genug. Schön blöd von mir. Sie war damals noch jung, und ich hab mir gesagt, irgendwann müssen sich die fixen Ideen ja mal auswachsen; denkste. Aber vielleicht waren’s auch gar keine fixen Ideen. Am Krieg allein hat’s jedenfalls nich gelegen. Als der anfing, waren wir immerhin schon zehn Jahre verheiratet. Einfach abgehaun isse, da warst du grad mal sechs Monate alt. Und wiedergekommen isse erst, wiede ungefähr drei warst. Ich weiß, so ganz neu iss dir das nich; trotzdem, ich hätt’s dir eigentlich schon viel früher erzählen sollen. Jedenfalls warenwer seitdem getrennt. Sie iss nach Kalifornien. Luisa hat sich damals um dich gekümmert. Luisa und Abuela.

Er sah den Jungen an; dann blickte er wieder zum Fenster hinaus.

Sie hat gewollt, dass ich nachkomm, sagte er.

Und wieso hast du’s nicht gemacht?

Hab ich ja. Hab’s aber nich lang ausgehalten.

Der Junge nickte.

Sie iss bloß wegen dir wieder zurückgekommen, nich wegen mir. Das wollt’ ich eigentlich damit sagen.

Woll Sir.

Der Wirt brachte das Essen für den Jungen und servierte den Kuchen. Der Junge griff sich das Salz und den Pfeffer. Er blickte nicht auf. Der Wirt kam mit der Kaffeekanne, füllte die Tassen nach und entfernte sich wieder. Der Vater drückte die Zigarette aus, nahm die Gabel und stach sie in den Kuchen.

Sie wird mich sowieso’n paar Jährchen überdauern. Und da würd ich halt gern noch erleben, dass euer Knatsch mal’n Ende hat.

Der Junge gab keine Antwort.

Ohne sie wär ich heut gar nich hier. Als ich damals in Goshee lag, hab ich oft stundenlang mit ihr gequatscht. Hab mir eingeredet, dass sie’n Mensch iss, wo einfach alles kann. Ich hab ihr von’n paar andern erzählt, die’s meiner Meinung nach garantiert nich schaffen würden, und habse gefragt, obse sich nich um sie kümmern und für sie beten will. Einige von den Jungs sind dann auch tatsächlich durchgekommen. Ich war damals wohl’n bisschen durchgedreht. Jedenfalls zeitweilig. Aber ohne sie hätt ich’s bestimmt nich gepackt. Nie im Leben. Du bist der Erste, dem ich’s erzähl. Nich mal sie weiß was davon.

Der Junge aß. Draußen wurde es dunkel. Der Vater trank seinen Kaffee. Sie warteten auf Arturo, der mit dem Lastwagen kommen sollte. Das Letzte, was sein Vater sagte, war, dass das Land nie wieder so sein würde, wie es mal war.

Die Leute fühlen sich nich mehr sicher, sagte er. Uns geht’s wie den Comanchen vor zweihundert Jahren. Wir wissen nich, was am nächsten Tag auf uns zukommt. Wir wissen nichmal, was für’ne Hautfarbe es hat.

Die Nacht war lauwarm. Er lag mit Rawlins auf der Landstraße; unter ihren Rücken spürten sie die aus dem Asphalt strömende Wärme, und sie beobachteten die Sterne, wie sie die lange schwarze Schräge des Firmaments hinabsanken. In der Ferne hörten sie eine Tür zuschlagen. Eine Stimme rief etwas. Ein Kojote, der die ganze Zeit irgendwo in den Hügeln gejault hatte, verstummte. Dann begann er wieder zu heulen.

Schreit da jemand nach dir?, fragte der Junge.

Kann schon sein, sagte Rawlins.

Sie lagen mit gespreizten Gliedern auf dem Asphalt, wie Gefangene, die ihrem Prozess im Morgendämmer entgegenharren.

Weißes dein Alter schon?, sagte Rawlins.

Nein.

Sagste’s ihm noch?

Wozu?

Wann müsst ihr denn raus?

Spätestens ersten Juni.

Dann haste ja bis dahin noch Zeit.

Zu was?

Rawlins legte die Hacke des einen Stiefels auf die Spitze des anderen. Als wolle er den Himmel abschreiten. Mein Daddy iss schon mit fünfzehn von daheim abgehaun. Sonst wär ich nämlich in Alabama geboren.

Sonst wärst du überhaupt nicht geboren.

Wie kommst’n darauf?

Weil deine Mama aus San Angelo iss und er sie dann nie getroffen hätt.

Hätter halt jemand anders getroffen.

Sie aber auch.

Ja und?

Und dann wärst du nicht geboren.

Das kapier ich nich. Dann wär ich doch einfach woanders geboren.

Wieso?

Ja, wieso denn nich?

Wenn deine Mama von’nem anderen Mann ’n Kind hätt und dein Daddy eins von’ner anderen Frau, welches wärst dann du?

Na, keins davon.

Genau.

Rawlins lag da und beobachtete die Sterne. Nach einer Weile sagte er: Aber trotzdem, geboren wär ich. Ich säh halt vielleicht anders aus oder so. Wenn’s der Herrgott gewollt hätt, dann wär ich auch geboren.

Und wenn nicht, dann nicht.

Mensch, du machst ei’m ja richtig Kopfschmerzen.

Ich weiß. Die mach ich mir selber.

Sie lagen da und beobachteten die Sterne.

Also, wie sieht’s aus?, sagte der Junge.

Keine Ahnung, sagte Rawlins.

Aha.

Ich mein, wennde in Alabama wärst, dann hättste wirklich allen Grund, nach Texas zu verduften. Aber wennde schon da bist – also ich weiß nich. Du hast jedenfalls viel mehr Grund zum Abhaun wie ich.

Mannometer, wieso willst du denn hierbleiben? Meinst du vielleicht, ’s kratzt einer ab und du erbst was?

Blödsinn.

Na also. Wegen dir stirbt nämlich keiner.

Die Tür schlug zu. Die Stimme rief wieder.

Ich zisch lieber mal los, sagte Rawlins.

Er stand auf, klopfte sich den Hosenboden seiner Jeans ab und setzte den Hut auf.

Und wenn ich hierbleib, haust du dann trotzdem ab?

John Grady richtete sich auf und setzte den Hut auf. Ich bin schon so gut wie fort, sagte er.

In der Stadt sah er das Mädchen dann zum letzten Mal. Kurz zuvor hatte er sich bei Cullen Cole in der North Chadbourne eine kaputte Kandare zurechtschweißen lassen und ging dann die Twohig Street hoch, als sie gerade aus dem Cactus Drug kam. Er wollte schon über die Straße, da rief sie ihn; er blieb stehen und wartete, bis sie bei ihm war.

Wolltest du mir etwa aus dem Weg gehn?, sagte sie.

Er blickte sie an. Über so was hab ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht.

Sie musterte ihn. Man kann halt nicht über seinen eigenen Schatten springen, sagte sie.

Dann iss ja alles in Butter.

Ich dachte, wir könnten Freunde sein.

Er nickte. Iss schon okay. Bin eh nicht mehr lange hier.

Wo willst du denn hin?

Darf ich nicht sagen.

Warum denn nicht?

So halt.

Er schaute sie an. Sie musterte sein Gesicht.

Was glaubst du wohl, was er sagt, wenn er uns zwei hier so zusammenstehn sieht?

Er ist nicht eifersüchtig.

Na prima. Schöner Zug von ihm. Spart ihm’ne Menge Ärger.

Was soll das heißen?

Garnix. Ich muss los.

Hasst du mich?

Nein.

Aber mögen tust du mich auch nicht.

Er blickte sie an. Mannometer, du schaffst mich, sagte er. Was spielt das für’ne Rolle? Wenn du’n schlechtes Gewissen hast, dann sag mir, was ich sagen soll; dann sag ich’s.

Das wär aber nicht ehrlich gemeint. Außerdem hab ich kein schlechtes Gewissen. Ich dachte bloß, wir könnten Freunde sein.

Er schüttelte den Kopf. Das iss nix als Gerede, Mary Catherine. Ich muss jetzt weiter.

Ja, und wenn schon. Alles ist doch Gerede, oder nicht?

Nicht alles.

Willst du wirklich fort aus San Angelo?

Jau.

Aber du kommst doch wieder.

Vielleicht.

Ich trag dir jedenfalls nichts nach.

Hast du auch gar keinen Grund zu.

Er sah die Straße hinauf; sie folgte seinem Blick, aber es gab nicht viel zu sehen. Dann wandte sie sich ihm wieder zu, und er schaute ihr in die Augen; sie waren feucht, aber das kam nur vom Wind. Sie streckte die Hand aus. Er wusste zunächst gar nicht, was sie wollte.

Ich wünsch dir jedenfalls alles Gute, sagte sie.

Er nahm ihre Hand; ganz klein in der seinen, traulich. Er hatte noch nie einem Mädchen die Hand geschüttelt. Pass auf dich auf, sagte sie.

Danke. Mach ich.

Er trat einen Schritt zurück, tippte an die Hutkrempe, drehte ab und marschierte wieder die Straße entlang. Er blickte sich nicht um, aber er sah sie in den Scheiben des Federal Building auf der anderen Straßenseite stehen; und sie stand immer noch da, als er die Ecke erreichte und endgültig aus dem Spiegel herausschritt.

Er stieg aus dem Sattel, öffnete das Tor und führte das Pferd hindurch; dann schloss er das Tor wieder und ließ das Tier am Zaun entlanggehen. Er duckte sich und hielt Ausschau nach Rawlins, aber der war nirgends zu sehen. An der Zaunecke ließ er die Zügel los und lugte hinüber zum Haus. Das Pferd schnupperte und schubste ihn mit der Nase am Ellbogen.

Bist du’s, Alter?, flüsterte Rawlins.

Kannst aber annehmen.

Rawlins führte sein Pferd herüber, blieb stehen und spähte zum Haus zurück.

Bist du so weit?, sagte John Grady.

Jau.

Hat jemand was spitzgekriegt?

Nee.

Dann mal los.

Sekunde noch. Hab mein Zeug einfach aufs Pferd gepackt und bin so mit ihm her.

John Grady ergriff die Zügel und schwang sich in den Sattel. Da vorne brennt Licht, sagte er.

Mist.

Du kommst noch zu deiner eigenen Beerdigung zu spät.

Mann, ’s iss ja noch nichmal vier. Du bist einfach zu früh.

Okay, auf geht’s. Vielleicht kommt das Licht von der Scheune.

Rawlins versuchte seine Schlafrolle hinter dem Sattel festzuschnallen. In der Küche hat’s’n Schalter. Der Alte iss jetz noch nich in der Scheune. Ich glaub nich, dasser um die Zeit schon rausgeht. Vielleicht holter sich bloß’n Glas Milch oder so.

Vielleicht lädt er aber auch bloß’ne Flinte oder so.

Rawlins stieg in den Sattel. Biste so weit?, sagte er.

Schon lang.

Sie ritten am Zaun entlang und dann übers offene Weideland. Das Leder knarrte in der Morgenkälte. Sie ließen die Pferde kantern. Hinter ihnen erloschen die Lichter. Sie erreichten die Hochprärie, wo sie im Schritttempo weiterzogen; aus der Schwärze ringsum schwärmten die Sterne. Irgendwo in der leeren Nacht hörten sie kurz eine Glocke läuten, irgendwo, wo es gar keine Glocke gab; sie zogen über die runde Estrade der Erde, ein einziges lichtloses Dunkel, es trug sie und hob sie zum Himmel empor, sie ritten nicht unter, sondern mitten im Sternenschwarm, sie ritten unbeschwert und wachsam zugleich, wie eben erst freigelassene Diebe in der irisierenden Dunkelheit, wie junge Diebe in einem leuchtenden Obstgarten, mit leichten Jacken bekleidet gegen die Kälte und zehntausend Welten zur Auswahl.

Am Mittag des folgenden Tages hatten sie ungefähr vierzig Meilen hinter sich. Noch in vertrautem Gelände. Nachts kamen sie an der alten Mark-Fury-Ranch vorbei, vor deren Drahtzaun sie aus dem Sattel stiegen; John Grady zog mit einem Werkzeug die Krampen heraus und stellte sich aufs Drahtgeflecht, bis Rawlins die Pferde hinübergeführt hatte; dann lüpfte er den Draht wieder hoch, schlug die Krampen in die Pfähle, verstaute das Werkzeug in seiner Satteltasche, saß auf und ritt weiter.

Was denken die Pfeifen sich eigentlich, wie man hier durchs Land reiten soll?, sagte Rawlins.

Nix denken sie, sagte John Grady.

Sie ritten der Sonne nach und aßen die Sandwiches, die John Grady mitgenommen hatte; mittags versorgten sie die Pferde an einer alten Holztränke und führten sie dann durch ein ausgetrocknetes Bachbett voller Spuren von Rindern und Nabelschweinen zu einem Pappelhain. Rinder lagen unter den Bäumen; als die Reiter heranrückten, standen sie auf, glotzten und tappten davon.

Die zusammengerollten Mäntel unter den Köpfen, die Hüte über den Augen, lagen sie auf der trockenen Spreu unter den Bäumen; die Pferde standen weidend im Gras längs des Bachbetts.

Was hast’n für’ne Kanone dabei?, sagte Rawlins.

Bloß Opas alten Bleiprügel.

Triffste mit dem überhaupt was?

Nein.

Rawlins grinste. Jetz ha’mwer’s geschafft, was?

Jau.

Meinste, sie sind hinter uns her?

Wieso sollten sie?

Keine Ahnung. Kommt mir irgendwie alles zu einfach vor.

Sie hörten den Wind und die Geräusche der weidenden Pferde.

Ich sag dir mal was.

Schieß los.

Wär mir auch scheißegal.

John Grady setzte sich auf, fischte seinen Tabak aus der Hemdtasche und begann sich eine Zigarette zu drehen. Was denn?, sagte er.

Er befeuchtete die Zigarette, steckte sie in den Mund, holte seine Streichhölzer hervor und gab sich Feuer; mit dem Rauch blies er das Streichholz aus. Dann drehte er sich um zu Rawlins, aber der war bereits eingenickt.

Spätnachmittags ritten sie weiter. Bei Sonnenuntergang hörten sie Lastwagen auf einem fernen Highway, und als sie am langen kühlen Abend westwärts eine Anhöhe hinaufzogen, sahen sie die Scheinwerfer auf dem Highway in wahlloser Regelmäßigkeit verschwinden und wieder auftauchen, ein langsames Hin und Her. Sie erreichten eine Ranch-Zufahrt und folgten ihr Richtung Highway, wo sie auf ein Tor stießen. Sie blieben stehen. Auf der anderen Straßenseite war kein Tor zu erkennen. Sie blickten den Lkw-Lichtern am Zaun entlang nach; weder ostwärts noch westwärts gab es ein Tor.

Und jetz?, sagte Rawlins.

Keine Ahnung. Mir wär’s jedenfalls recht, wenn wir heut Nacht noch da rüberkämen.

Ich hab aber keine Lust, mein Pferd im Dunkeln an der Straße da langzuführen.

John Grady beugte sich ein Stück vor und spuckte aus. Ich auch nicht, sagte er.

Es wurde kälter. Das Tor klapperte im Wind; die Pferde traten unruhig auf der Stelle.

Was sind’n das für Lichter da vorn?, sagte Rawlins.

Wahrscheinlich Eldorado.

Was meinste, wie weit isses bis dort?

Zehn, fünfzehn Meilen.

Und jetz?

Sie breiteten ihre Schlafrollen in eine Erdmulde, sattelten die Pferde ab, banden sie fest und schliefen dann bis Tagesanbruch. Als Rawlins sich aufrichtete, hatte John Grady bereits sein Pferd gesattelt und schnallte gerade die Schlafrolle fest. Da vorn an der Straße hat’s’n Café, sagte er. Wie wär’s mit’nem Frühstück?

Rawlins setzte den Hut auf und langte nach seinen Stiefeln. Du sprichst mir aus dem Herzen, mein Alter.

Sie führten die Pferde durch einen hinter dem Café liegenden Schrotthaufen aus alten Lkw-Türen, Getrieben und ausrangierten Motorteilen und tränkten sie an einer Metallwanne, die zum Lokalisieren von Schlauchlöchern diente. Ein Mexikaner wechselte gerade einen Lastwagenreifen; John Grady ging auf ihn zu und fragte ihn nach dem Herrenklo. Der Mexikaner zeigte mit dem Kopf zur Seitenwand des Gebäudes.

Der Junge holte sein Rasierzeug aus der Satteltasche und trabte zur Toilette; er rasierte sich, spülte das Gesicht ab, putzte sich die Zähne und kämmte sich. Als er wieder herauskam, waren die Pferde unter einer Baumgruppe an einem Picknicktisch festgebunden; Rawlins saß im Lokal und trank Kaffee.

Er rutschte in die Sitzecke. Schon was bestellt?, sagte er.

Hab noch auf dich gewartet.

Der Wirt brachte eine zweite Tasse Kaffee. Was darf ’s sein, Jungs?, sagte er.

Sag an, sagte Rawlins.

John Grady bestellte drei Eier mit Schinken, Bohnen und Brötchen; Rawlins schloss sich ihm an und orderte zusätzlich Pfannkuchen mit Sirup.

Hau nur mal richtig rein.

Kannst aber singen, sagte Rawlins.

Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, saßen sie da und blickten zum Fenster hinaus über die Ebene nach Süden, zu den fernen, unter der Morgensonne in ihre Schatten gehüllten Bergen.

Da müssenwer hin, sagte Rawlins.

John Grady nickte. Sie tranken ihren Kaffee. Der Wirt brachte zwei schwere weiße Steingutplatten mit dem Frühstück; kurz darauf kam er mit der Kaffeekanne zurück. Rawlins pfefferte die Eier, bis sie ganz schwarz waren. Dann bestrich er die Pfannkuchen mit Butter.

Da isst einer seinen Pfeffer scheint’s gern mit Eiern, sagte der Wirt. Er füllte die Tassen nach und marschierte wieder in die Küche zurück.

Jetz gib acht, sagte Rawlins. Ich zeig dir mal, wie Daddy mit’nem aufmüpfigen Frühstück fertig wird.

Lass sehn, sagte John Grady.

Könnt das Ganze grad nochmal bestellen.

Der Laden hatte kein Viehfutter. Sie kauften einen Eimer Haferschrot, bezahlten und gingen nach draußen. John Grady schnitt den Pappeimer mit dem Messer entzwei; dann schütteten sie das Haferschrot in zwei Radkappen, setzten sich an den Picknicktisch und rauchten; die Pferde fraßen solange. Der Mexikaner kam herüber und sah sich die Tiere an. Er war nicht viel älter als Rawlins.

Wo soll’s’n hin?, sagte er.

Nach Mexiko.

Wieso?

Rawlins warf John Grady einen Blick zu. Meinste, der hält dicht?

Jau. Der sieht okay aus.

Wir sind auf der Flucht, sagte Rawlins.

Der Mexikaner musterte die beiden.

Ha’m nämlich’ne Bank ausgeraubt.

Der Mann begutachtete die Pferde. Wer’s glaubt, wird selig, sagte er.

Kennste dich aus in Mexiko?, sagte Rawlins.

Der Mexikaner schüttelte den Kopf und spuckte aus. Bin noch nie dort gewesen.

Die Tiere hatten gefressen; die Jungen sattelten sie, führten sie vor dem Café die Auffahrt hinunter und dann über den Highway. Sie marschierten am Straßengraben entlang zum Tor, gingen hindurch und machten es hinter sich zu. Anschließend saßen sie auf und ritten der schmutzigen Ranch-Zufahrt nach. Nach ungefähr einer Meile schwenkte die Straße nach Osten; sie ließen sie hinter sich und zogen südwärts über die wellige Zedernebene.

Am späten Vormittag erreichten sie den Devil’s River; sie tränkten die Pferde, streckten sich in den Schatten einer Gruppe von Schwarzweiden und studierten die Straßenkarte. Rawlins hatte sie im Café mitgenommen; er betrachtete sie und lugte dann südwärts zur Talsenke im Hügelgelände. Der amerikanische Kartenausschnitt war voller Straßen, Flüsse und Städte, bis hinunter zum Rio Grande; dahinter war alles weiß.

Von da unten iss scheint’s nix drauf, oder?, sagte Rawlins.

Nein.

Meinste, da gibt’s überhaupt Karten von?

Klar gibt’s Karten. Auf der iss es halt bloß nicht drauf. Ich hab aber noch eine in der Satteltasche.

Rawlins kam mit der Karte zurück, hockte sich auf den Boden und zog mit dem Finger die Reiseroute nach. Dann blickte er auf.

Und?, sagte John Grady.

Scheiße, da unten gibt’s überhaupt nix.

Sie verließen das Flussufer und zogen durch die trockene Talsenke in Richtung Westen. Welliges Grasland; der Tag war sonnig und kühl.

Eigentlich müsst’s hier mehr Rinder geben, sagte Rawlins.

Stimmt.

Sie scheuchten Tauben und Wachteln aus dem Gras längs der Hügelkette. Hie und da ein Kaninchen. Rawlins saß ab, zog seinen kleinen 25-20er Karabiner aus dem Halfter und marschierte die Talsenke entlang. John Grady hörte ihn schießen. Kurz darauf kehrte Rawlins mit einem Kaninchen zurück; er steckte die Waffe wieder ins Halfter, holte sein Messer hervor, ging ein Stückchen abseits, kauerte nieder und brach das Tier auf. Kurz darauf erhob er sich, wischte die Klinge am Hosenbein ab, klappte das Messer zu, marschierte zu seinem Pferd, band das Kaninchen mit den Hinterläufen am Sattel fest und saß auf; dann ritten sie weiter.

Spätnachmittags überquerten sie eine nach Süden führende Straße und erreichten am Abend den Johnson’s Run; sie kampierten an einer Pfütze in dem sonst trockenen Kiesbett des Flusses, tränkten die Pferde, legten ihnen Fußfesseln an und ließen sie grasen. Dann machten sie ein Feuer, häuteten das Kaninchen, spießten es auf einen frischen Ast und brieten es über dem Feuer. John Grady öffnete seinen schwärzlich verfärbten Jutebeutel, fischte einen kleinen Emailpott heraus, marschierte zum Bach und holte Wasser. Kurz darauf hockten sie da, schauten ins Feuer und beobachteten die schmale Mondsichel über den westlichen Hügeln.

Rawlins drehte sich eine Zigarette, zündete sie mit einem glühenden Holzstück an und lehnte sich wieder an seinen Sattel zurück. Ich sag dir mal was.

Schieß los.

An so’n Leben könnt ich mich glatt gewöhnen.

Er zog an der Zigarette, hielt sie zur Seite und tippte mit dem Zeigefinger behutsam die Asche ab. In null Komma nix.

Den ganzen nächsten Tag über zogen sie durch Hügelland, die flachen felsigen Mesas mit Zedern betupft, die Yuccas an den Osthängen in weißer Blüte. Abends erreichten sie die Landstraße nach Pandale, schwenkten nach Süden und ritten der Straße nach in die Stadt.

Neun Gebäude, darunter ein Laden und eine Tankstelle. Sie banden die Pferde vor dem Laden fest und gingen hinein. Sie waren staubig, Rawlins unrasiert, beide rochen nach Pferden, Schweiß und Holzasche. Hinten hockten ein paar Männer auf Stühlen; sie blickten kurz auf und setzten dann ihr Gespräch fort.

Die beiden standen vor der Fleischvitrine. Die Ladnerin kam vom Tresen herbei, tappte hinter die Vitrine, holte sich eine Schürze und zog an einer Kette; oben ging die Glühbirne an.

Du siehst aus wie’n Desperado, sagte John Grady.

Du siehst auch nich grad wie’n Chorleiter aus, sagte Rawlins.

Die Frau band die Schürze hinter dem Rücken zu und musterte die beiden über die weißemaillierte Vitrinenplatte hinweg. Was soll’s sein, Jungs?, sagte sie.

Sie kauften Mortadella, Käse, einen Laib Brot und ein Glas Mayonnaise. Eine Schachtel Kräcker und ein Dutzend Dosen Wienerwürste. Zwölf Tüten Koolaid, ein dickes Endstück vom Speck, einige Büchsen Bohnen, fünf Pfund abgepacktes Maismehl und eine Flasche Chilisoße. Die Frau wickelte Speck und Käse separat ein, befeuchtete mit der Zunge ihren Stift und zählte zusammen; dann packte sie die Lebensmittel in eine Tüte.

Wo kommt ihr’n her, Jungs?, sagte sie.

Aus der Gegend von San Angelo.

Und ihr seid den ganzen Weg hergeritten?

Ja, Mam.

Oha, sagte sie.