Lange Beine, kurze Lügen - Michael Buchinger - E-Book

Lange Beine, kurze Lügen E-Book

Michael Buchinger

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Beschreibung

Michael Buchinger hat gar keine langen Beine. Aber mit richtigem Filter und Winkel glaubt das auf Instagram jeder. Ist das schon eine Lüge? Oder eine Berufskrankheit? Buchinger schenkt uns eine unterhaltsame Anekdotensammlung mit jeder Menge Lügengeschichten, Märchen, Party-Flunkereien und einem radikalen Selbstexperiment: eine Woche ohne Lügen. Mit weniger Wahrheit ist das Leben aber eindeutig bunter!

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Lange Beine, kurze Lügen

Der Autor

Michael Buchinger, 1992 in Wien geboren, ist YouTuber und schreibt für Vice, Miss und Die Welt. Er hat Anglistik studiert und erhielt 2015 den Deutschen Webvideopreis in der Kategorie Lifestyle für das Format Michaels Hass-Liste.Sein erstes Buch Der Letzte macht den Mund zu war ein SPIEGEL-Bestseller.

Das Buch

Michael Buchinger lügt gerne, gut und vor allem so ausdauernd, dass er sämtliche Lügen, die er in die Welt gesetzt hat, in einem Dokument namens »Lügen.doc« notieren muss, um sich nicht in seinem eigenen Lügennetz zu verfangen. Ist das moralisch vertretbar? Nein. Verbessert es seine Lebensqualität? Auf jeden Fall! Auf den folgenden Seiten kommen all diejenigen auf ihre Kosten, die eine ordentliche Notlüge zu schätzen wissen und zum Lachen nicht in den Keller gehen. Ehrlich wahr!

Michael Buchinger

Lange Beine, kurze Lügen

Michi schenkt euch reinen Wein ein

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage November 2018 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © Dominik PichlerE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-1847-9

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorwort: Reden ist Silber, Lügen ist Gold

Früh lügt sich

Mein Leben als Anonymer Antialkoholiker

Eine mauritische Lüge

Mama, ich bin ein Internet-Star!

Like a Virgin

Alles nur gelogen! Mein Leben als Kunstfigur

Michi gegen den Rest der Schule

Durch freche Lügen zur wahren Liebe

50 Shades of Meh

Wo wohnst du eigentlich?

Meine erste »Beziehung«

Die zwei Fragezeichen

Als ich das Weinen lernte

Lügen haben schlanke Beine

Illusionen der Großartigkeit

Ich bin dann mal weg

Michi im Wunderland a.k.a. Das Drogen-Kapitel

E-Mail für Michi

Eine Woche ohne Lügen

Fazit: Lüge lieber ungewöhnlich!

Danksagung

Social Media

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort: Reden ist Silber, Lügen ist Gold

VorwortReden ist Silber, Lügen ist Gold

»Musst du immer lügen?«, fragt mich mein Freund Dominik eines Morgens mit einem missbilligenden Unterton, der mir bereits verrät, dass meine Vorliebe für Flunkereien nicht unbedingt der Grund ist, warum er mich liebt. Ich werfe ihm einen Blick zu und sehe, dass seine Stirn eine Zornesfalte ziert, die so ausgeprägt ist wie die eines Bösewichts in einem Manga. Oh, oh, das bedeutet Ärger!

Im Gegensatz zu mir ist Dominik nämlich ein sehr ehrlicher Mensch. Lügen ist einfach nicht so sein Ding, ähnlich wie manche Menschen aus Prinzip keine Meeresfrüchte essen oder den Wehrdienst verweigern. In dieser Hinsicht sind wir sehr unterschiedlich. Ich wiederum lüge gerne, gut und vor allem so viel, dass ich mir sämtliche Lügen, die dank mir aktuell in der Welt sind, in einem Dokument namens »Lügen.doc« notieren muss.

Nicht selten führen unsere gegensätzlichen Standpunkte zum Thema »Ehrlichkeit« zu langwierigen Grundsatzdiskussionen. Etwa, wenn ich Spendensammlern auf der Straße bereits aus der Ferne »¡Lo siento, no hablo alemán!« zurufe, oder wenn ich darauf bestehe, dass wir uns auf den Boden legen und tot stellen, wenn spontaner Besuch vor der Tür steht. Mein Leben ist nun mal angenehmer, wenn ich lüge!

Doch Dominiks heutiger Anlass zum Groll und Grund für seine Frage ist ein völlig anderer: Gerade eben hat mich eine Mail erreicht, in der mich eine Lehrerin namens »Frau Barbara« um einen – wie ich finde – gigantischen Gefallen gebeten hat.

»Meine Schüler lieben deine YouTube-Videos«, leitete die Lehrerin ihre Mail ein. »Die Kids nehmen kommenden Samstag an einem Charity-Lauf für Jugendliche durch die Wiener Innenstadt teil und es wäre super, wenn du als kleine Überraschung um sechs Uhr morgens ein paar aufbauende Worte in der Eröffnungsrede an sie richten könntest!«

Man möchte meinen, Frau Barbara habe sich im Gegensatz zu ihren »Kids« kein bisschen mit mir auseinandergesetzt, da es ihr gelungen war, gleich so viele Dinge, die ich abgrundtief hasse, in nur einem einzigen Satz unterzubringen. Da ich – der ich damals noch viel und oft Alkohol trank – vorhatte, am Freitagabend meine Sorgen in einem Glas Sauvignon Blanc von der Größe meines Kopfes zu ertränken, war mir klar, dass ich an dieser ulkigen Samstagmorgen-Sause nicht teilhaben konnte – nur bei der Formulierung meiner Absage hatte ich wie so oft Probleme.

Gehen wir mal kurz durch, was in dieser Situation meine Möglichkeiten gewesen wären: Ja, ich hätte natürlich die Wahrheit sagen können.

»Frau Barbara, das klingt ja absolut fürchterlich. Wenn Sie denken, dass ich um sechs Uhr morgens wach bin, und dann auch noch eine Rede vor Ihren ›Kids‹ halten möchte, haben Sie sich gewaltig geschnitten. Lieber würde ich mir sämtliche Adam-Sandler-Filme am Stück ansehen! Hier die E-Mail-Adresse von Sami Slimani, der ein besserer Mensch ist als ich und der das bestimmt gerne macht!«

Stets bemüht darum, die Gefühle meiner Mitmenschen zu schützen und nicht wie der Misanthrop zu wirken, der ich eigentlich bin, entschied ich mich also für die zweite – und einzig logische – Variante: Lügen! »Liebe Frau Barbara, das klingt ja mega toll! Leider bin ich am Samstagmorgen geschäftlich in Lissabon. Beste Grüße und toi toi toi an die Kids!«, tippte ich im ersten Entwurf meiner Mail frech vor mich hin.

»Aber Michael, ist es nicht irrsinnig egoistisch von dir, Menschen, die dich höflich um einen Gefallen bitten, anzulügen?«, fragt ihr euch bestimmt, euren Zeigefinger anklagend in Richtung dieser Zeilen gerichtet. Au contraire, liebe Leserin und lieber Leser! Wie ich euch bereits kurz in meinem ersten Buch erklärt habe, lüge ich nicht, weil ich mir die Poleposition in der Hölle sichern möchte (wo – unter uns – wahrscheinlich ohnehin bereits seit Jahren ein lauschiges Plätzchen für mich reserviert ist), sondern, weil ich es vermeiden will, die Gefühle meiner Mitmenschen zu verletzen. Denn meine Lügen gestalten nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das der anderen um einiges angenehmer.

So wie ich es sehe, ist gezieltes Lügen ein Anzeichen für gute Manieren. Ähnlich wie »Bitte« und »Danke« sagen, zählt für mich auch der Ausruf »Ja, Klaus, diese hautenge Lederhose im Leoparden-Print steht dir wirklich sehr gut!« zum guten Ton. Was Unwahrheiten (und schnittige Uniformen!) betrifft, sind Airline-Mitarbeiter meine absoluten Vorbilder. Sie belügen uns ständig nach Strich und Faden, nur um den Frieden zu wahren. »In zehn Minuten ist Ihre Maschine zum Einsteigen bereit!«, sagen sie fröhlich und lassen dann eine Stunde lang nichts mehr von sich hören, während wir alle schwitzend an Gate 32A vor uns hin vegetieren.

Aber lügen sie aus Jux und Tollerei, weil wir gerade Dienstag haben und sie gerne ihre Fähigkeiten als Moderatoren von »Verstehen Sie Spaß?« trainieren möchten? Nein. Sie wissen einfach, was viele von uns noch lernen müssen: Zu viel Ehrlichkeit stört die Harmonie. Stellt euch vor, sie würden sagen: »Uff. Also die Maschine können Sie frühestens in 50 Minuten betreten – und selbst dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen!«

Unvorstellbar! Die Köpfe der Business-Männer würden der Reihe nach explodieren, während sämtliche Millennials schon mal anfangen würden, ihre passiv-aggressiven Tripadvisor-Bewertungen zu verfassen. Unwissenheit ist in diesem Fall wirklich ein Segen. Ähnlich wie Flughafenangestellte lasse ich also gerne mal die ein oder andere Wahrheit aus, um die Nerven meiner Mitmenschen nicht überzustrapazieren.

Wie ihr euch vorstellen könnt, habe ich aufgrund dieser locker-flockigen Attitüde über die Jahre mehr fabrizierte Geschichten erzählt als die Gebrüder Grimm; mal, um die Gefühle meiner Mitmenschen zu wahren, und mal, um mich selbst in besserem Licht darzustellen. In diesem Buch findet ihr nicht nur die schönsten, schrägsten und schaurigsten Notlügen und Flunkereien meines Lebens, nein, auch für heimliche Täuschungen, gekonntes Verschweigen und maßlose Übertreibungen ist in dieser wahnwitzigen Anekdotensammlung Platz.

Egal ob ich gelogen habe, um als schwuler Teenager an einer katholischen Privatschule akzeptiert zu werden, um meine Magersucht zu vertuschen, oder ob ich Dominik dazu genötigt habe, so zu tun, als wären wir verheiratet, um im Urlaub von einem exklusiven »Honeymoon-Rabatt« zu profitieren – ich bin nicht stolz auf meine Unwahrheiten, aber ich hatte immer ziemlich gute Gründe dafür.

Um mein Karma ein kleines bisschen aufzubessern, findet ihr am Ende dieses Buches außerdem ein waghalsiges Selbstexperiment, in dem ich mich doch tatsächlich getraut habe, eine ganze Woche ohne Lügen auszukommen. Ich habe es überlebt, so viel sei verraten.

Also: Muss ich immer lügen? Nein, aber ich finde, es gehört zum guten Ton. Was die Leute nicht wissen, kann ihnen auch nicht die Stimmung vermiesen. Guten Gewissens verschicke ich an jenem Morgen also meine erlogene Absage an die bemühte Lehrerin und bin wieder mal irrsinnig zufrieden mit der Win-win-Situation, die ich soeben kreiert habe: Frau Barbara denkt weiterhin, ich sei ein guter Mensch, und findet bestimmt eine andere Überraschung für ihre Zöglinge. Wer weiß, vielleicht gefällt diese den Kids sogar noch besser als ein lallender YouTuber, der lieber woanders wäre. Und während die Jugendlichen beschwingt für den guten Zweck laufen, kann ich indes tief schlummernd von einer Welt träumen, in der wir alle ein bisschen mehr lügen.

Früh lügt sich

»Hören Sie, es tut mir sehr leid, dass Ihre Katze einen Unfall hatte«, sagte der Airline-Mitarbeiter streng, »und das auch noch ausgerechnet an Ihrem Geburtstag. Aber ich kann Sie leider nicht ohne Ausweis ins Flugzeug lassen! Sie können gerne Ihren Pass oder einen anderen gültigen Ausweis von zu Hause holen und mit einem späteren Flugzeug nach Berlin fliegen.«

Wie unhöflich! Ja, rein objektiv gesehen entsprachen sowohl die Behauptung über meine Katze als auch die Sache mit dem Geburtstag nicht ganz der Wahrheit, da sie zu 100% gelogen waren. Ich hatte noch nicht mal eine Katze, und selbst wenn ich eine hätte, warum sollte sie dann ausgerechnet in Berlin wohnen, während ich in Wien residiere? Das ergibt schlichtweg keinen Sinn.

Obwohl ich die Details dieser Oscar-reifen Lüge eindeutig nicht gründlich genug durchdacht hatte, war ich davon ausgegangen, dass mir gezieltes Flunkern, kombiniert mit meinem treffsicheren Charme, mal wieder aus der Patsche helfen würden. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, im Flugzeug Richtung deutsche Hauptstadt zu sitzen und meinen Tomatensaft feierlich zu erheben, während ich schallend lachen würde. »Ein weiteres Mal durch Lügen zum Sieg!«, hätte ich mir gesagt.

Aber nein, nicht dieses Mal. Ich hatte meine Lektion gelernt: Der Flughafen war wohl einer der wenigen Orte, an denen ein nettes Lächeln und eine kleine Notlüge kein bisschen halfen.

Melancholisch dachte ich an meine Jugend zurück, die Zeit, in der ich gelernt hatte, dass man sämtliche Regeln brechen durfte, wenn man dabei immer furchtbar nett war und die Wahrheit nur ein kleines bisschen überzog. Dabei hätte mir, der auf dem österreichischen Land groß geworden ist und mehr oder weniger katholisch erzogen wurde, doch klar wie Kloßbrühe sein sollen, dass Lügen kurze Beine haben und – außer vielleicht ganz fantastisches Schauspiel-Training – selten Gutes mit sich bringen.

Ich denke, ähnlich wie meine Vorliebe für einen guten Krimi geht dieser Schlamassel auf den Einfluss meiner Mutter zurück. Im Jugendalter wurde ich an jedem Schultag von meiner Mutter geweckt, die um sieben Uhr morgens mit einem derart strengen Blick in mein Zimmer kam, als wollte sie Schimmel inspizieren.

Da ich dafür bekannt bin, selbst den lautesten Wecker der Welt gekonnt zu verschlafen, war großes Durchsetzungsvermögen erforderlich, um mich aus dem Bett zu bekommen. Für gewöhnlich wankte ich nach diesem für beide Parteien äußerst mühsamen Weckritual halb tot zum Frühstückstisch, vertilgte mein Brötchen und machte mich im Tempo eines gelangweilten Faultiers auf den Weg in die Schule.

Alle drei Monate etwa aber hatte meine Mutter einen anderen Plan für uns: »Was wäre, wenn du heute die Schule schwänzt und wir gemeinsam nach Wien fahren? Shoppen?«, fragte sie mich dann. Anfangs war ich von diesem Angebot immer gänzlich schockiert.

»Schule schwänzen???«, erwiderte ich dann völlig aufgebracht. »Aber heute erwarten mich doch 20 spannende Referate im Deutschunterricht und in der Englischstunde wollen wir uns zum dritten Mal Die Farbe Lila ansehen!« In Anbetracht dieses Lehrplans dämmert mir rückblickend betrachtet übrigens, dass der Großteil unserer Lehrer offenbar ebenfalls keine Lust auf Schule hatte und wohl genauso gerne geschwänzt hätte.

»Du fehlst doch ohnehin so selten!«, entgegnete meine Mutter, als wäre sie die Schlange aus dem Garten Eden und wolle mich in Versuchung führen. »Komm schon, ich schreibe dir eine Entschuldigung!« Mehr brauchte es auch nicht, um mich zu überzeugen – 20 Minuten später saßen wir bereits im Zug und eine weitere Stunde später aß ich Eclairs in einem Wiener Feinkostladen.

Wenngleich ich meine Mutter nicht als schlechtes Vorbild bezeichnen würde, wurde mir durch Aktionen wie diese schon damals vermittelt, dass sämtliche »Regeln«, »Fristen« und »Deadlines« pro forma sind und, ähnlich wie Geschwindigkeitsbeschränkungen oder der Hinweis, Alkohol nicht mit Red Bull zu mischen, nicht wirklich für mich gelten.

Muss ich an dieser Stelle überhaupt noch erwähnen, dass meine Lügen aufgrund meiner neuen »Mein Stundenplan ist doch nur ein Vorschlag!«-Attitüde bald überhandnehmen sollten? Und dafür brauchte ich noch nicht mal mehr die Hilfe meiner Mutter.

Ich besuchte gerade die 11. Klasse, als unser Direktor stolz eine Neuerung der Schule präsentierte: »Von nun an gibt es ein virtuelles Klassenbuch!«, kündigte er an, als hätte er das Rad neu erfunden. »Hier wird virtuell eingetragen, wer kommt und geht. Aufgrund dieses Systems werden Fehlstunden nun mit nur einem Mausklick virtuell angezeigt!«

Mein Instinkt sagte mir, dass in seinem »Ein Fremdwort am Tag!«-Kalender an diesem Tag das Wort »virtuell« gestanden hatte.

Das virtuelle Klassenbuch wäre in der Tat eine tolle und hochsichere Neuerung gewesen, hätten die meisten Lehrer als Passwort dafür nicht einfach ihre Nachnamen verwendet. Dies fiel mir auf, als unsere Französischlehrerin, Frau Gruber, bei der Eingabe des Passworts laut mit sich selbst sprach. »Passwort: Gruber«, und dann buchstabierte sie auch noch ihren eigenen Nachnamen: »G-R-U-B-E-R! Und ich bin drin!«, rief sie stolz, wie ein Hacker in einem SciFi-Film.

Mein Wissen über den Zugang zum Klassenbuch, kombiniert mit der Tatsache, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits sämtlichen Gehorsam über Bord geworfen hatte, verhießen nichts Gutes für die Entwicklung meiner Ehrlichkeit. Mir dämmerte, dass ich ungestraft fehlen konnte, wenn ich mich im Namen meiner Lehrerin selbst aus dem virtuellen Klassenbuch austrug und die Austragung am Morgen nach meinem Fernbleiben einfach wieder löschte.

Die gesamte 11. Klasse lang war ich daher ein Gespenst: Menschen erzählten von mir und manche behaupteten sogar, mich hie und da gesehen zu haben, aber meistens war ich einfach nicht da. Wo war ich stattdessen? Ihr habt es erraten: in Wien, wo ich meistens alleine, manchmal aber auch mit Schulkameraden, die Teil meines Komplotts waren, ungestraft das süße Nichtstun genoss.

Seit meiner Schulzeit sind mittlerweile zwar zig Jahre vergangen, aber ich darf euch freudig berichten, dass ich nach wie vor mit Vorliebe Regeln breche und Sonderbehandlungen einfordere. Eigentlich ist es in den meisten Fällen wirklich simpel: Man muss nur ein bisschen nett zu Personen sein, die eine Machtposition innehaben, und ihnen genug Honig ums Maul schmieren, und dann darf man auch schon Dinge tun, die sonst eigentlich verboten sind. Probiert es mal aus!

Wenn ich Türsteher lieb frage, tun sie so, als würde ich auf der Gästeliste stehen. Beim Mittagessen mit Freunden immer dann lauthals »UND NOCH MAL ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, BIANCA!« zu rufen, wenn gerade ein Kellner vorbeigeht, ist ein treffsicherer Weg, um gratis Desserts für alle zu garantieren. Und 2015 habe ich es sogar geschafft, ohne Ticket auf eine dreitägige Konferenz zu gelangen, weil ich besonders nett darum gebeten habe.

Eine Affinität zum Regelbruch, kombiniert mit ungezwungenem Charme, machen die »Buchinger-Methode« (wie ich sie liebevoll nenne) zu einer gefährlichen Strategie, die nie in die Hände von Terroristen-Gruppen kommen darf. Stolz kann ich behaupten, dass ich diese Methode seit Jahren anwende und dass sie mein Leben um einiges leichter macht.

Klingt doch fantastisch, oder? Umso grausamer war das Erwachen, als ich feststellen musste, dass die »Buchinger-Methode« zwar an der Feinkost-Theke und in der Schule gut funktioniert, in wichtigen Situationen wie etwa am Flughafen allerdings nur in etwa so viel ausrichten kann wie eine Tasse Kamillentee gegen pochende Kopfschmerzen.

Es war im Sommer 2016, als ich beruflich nach Berlin reisen sollte, um an einer dreitägigen, bezahlten Video-Produktion teilzunehmen. Da ich zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben so gierig nach Geld schnappte, als wäre ich Super Mario auf Münzen-Jagd, sagte ich zu, bevor ich überhaupt das Thema der Videos erfahren hatte.

Alleine reisen ist ein oft notwendiger und selten angenehmer Teil meines Alltags. Da ich bereits mehrere Male einfach mein Handgepäck im Flugzeug liegen gelassen oder stundenlang am völlig falschen Terminal gewartet hatte, fühle ich mich immer unwohl, wenn ich keine gut organisierte Person an meiner Seite habe, die mich durch den Flughafen lotst, als wäre ich ein alter, gebrechlicher Mann.

Deshalb verreise ich meist nur ohne Begleitung, wenn am Ende des Trips eine Gage auf mich wartet.

Ich war gerade am Flughafen Wien angekommen und ganz begeistert davon, dass bislang noch gar nichts schiefgegangen war, als ich bemerkte, dass ich gar keinen Reisepass dabeihatte. Aber kein Grund zur Panik! Selbst ich als jemand, der immer nur den »Kultur«-Teil der Tageszeitungen liest und lange Zeit glaubte, dass James Cameron – der Regisseur von Titanic – nebenbei Premierminister des Vereinigten Königreichs war, hatte am Rande mitbekommen, dass man definitiv keinen Reisepass mehr brauchte, um von Wien nach Berlin zu reisen. Immerhin hatte ich meinen Boarding-Pass doch bereits auf dem Handy, war durch den Security-Check gekommen und saß schon am Gate. Bei den meisten Flügen wurde doch gar nicht erst nach einem Ausweis verlangt, und selbst wenn: Ein anderes Ausweis-Dokument, wie etwa mein Führerschein, würde in diesem Fall sicher reichen.

Das war der Moment, in dem ich bemerkte, dass ich auch keinen Führerschein, geschweige denn mein Portemonnaie bei mir trug. In der Aufregung, die ich bei diesen Solo-Reisen empfinde, hatte ich es doch glatt zu Hause liegen lassen. Typisch Michi! Würde mir meine Dunkin-Donuts-Stempelkarte, die ich soeben am Boden meines Rucksacks gefunden hatte, in das Flugzeug helfen?

Ach, papperlapapp! Als würde ausgerechnet heute jemand nach meinem Ausweis fragen, wo ich doch in den letzten drei Jahren bei Flügen im Schengen-Raum kein einziges Mal darum gebeten worden war. Ich entspannte mich wieder.

Die Schlange am Gate Nummer 18 hatte sich natürlich schon eine halbe Stunde, bevor weit und breit auch nur ein einziger Airline-Mitarbeiter zu sehen war, gebildet, da es offenbar immer noch Menschen gibt, die denken, dass sie durch ihre Eile früher als alle anderen Passagiere am gemeinsamen Ziel ankommen könnten.

Nachdem jedoch die Durchsage gekommen war, dass das Flugzeug nun zum Einsteigen bereit sei, bemerkte ich, wie sämtliche Passagiere gebeten wurden, gemeinsam mit dem Boarding-Pass auch ihren Ausweis herzuzeigen. Ausgerechnet heute! Ich beschloss also, das zu tun, was ich immer tue, wenn ich mich in der Klemme befinde: Ich griff auf die gute alte Buchinger-Methode zurück.

»Boarding-Pass und Ausweis bitte!«, sagte der Airline-Mitarbeiter lächelnd zu mir, woraufhin ich erst mal ziemlich lange und tief in meinem Handgepäck kramte, wie Mary Poppins in ihrer magischen Tasche. Die Leute lieben es, wenn man sie durch ein bisschen Slapstick zum Lachen bringt, und ich fühlte, wie ich während dieser Aktion unzählige Sympathie-Punkte sammelte.

»Hmm, ich habe hier meinen Boarding-Pass für Sie …«, leitete ich ein, während ich mein Handy herzeigte, »aber Ausweis habe ich heute leider keinen dabei. Ich Schussel habe mein ganzes Portemonnaie zu Hause liegen lassen! Hoppla!« So würde ich doch sicher allen Anwesenden signalisieren, dass mein fehlender Ausweis nun wirklich keine große Sache war.

»Es tut mir leid, aber Sie müssen sich schon ausweisen, um ins Flugzeug zu kommen«, entgegnete mir der Mitarbeiter, der laut seines Namensschilds den Namen »Herr Pfahl« trug. Na toll! Ich beschloss, den Charme noch eine Spur aufzudrehen. Zwar kann ich nicht viel, aber charmant sein ist wohl eine meiner Stärken, für die mich Schwiegermütter und kleine Kinder besonders lieben.

In einem Ton, den ich rückblickend betrachtet als »super charmant« und »als wären wir alte Freunde« bezeichnen würde, erklärte ich Herrn Pfahl mein Problem. »Ich war vorhin so nervös, weil ich heute alleine fliegen muss. Wir alle sind Menschen, Herr Pfahl, und als Menschen passieren uns ab und zu Fehler. Auch ich bin nun mal nicht perfekt!«, erklärte ich behutsam, so als würde ein Gerücht über mich zirkulieren, dass ich absolut makellos sei.

Kurz spielte ich mit der Idee, meinen neuen Kumpel augenzwinkernd zu fragen, ob es eine »Frau Pfahl« gab, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder.

Seine Stirn legte sich in Falten. »Das stimmt natürlich, aber die Vorschrift …«

Umpf, immer diese Vorschriften! In diesem Wortgefecht war ohnehin schon Hopfen und Malz verloren, also zog ich wirklich alle Register und fiel ihm ins Wort.

»Schauen Sie«, sagte ich nun, denn wir alle wissen, dass Sätze, die mit »Schauen Sie« anfangen, wirklich wichtige Informationen enthalten. »Ich muss heute nach Berlin. Eigentlich wollte ich meinen Geburtstag entspannt in Wien verbringen, aber offenbar hatte jetzt meine Katze einen Unfall – da ist man einmal ein paar Tage weg …«, schwafelte ich nun vor mich hin und war wirklich völlig außer Rand und Band mit meinen Unwahrheiten. Als wäre es Leuten, die Geburtstag haben, erlaubt, sich an ihrem Ehrentag ein Flughafen-Gesetz auszusuchen, das sie brechen dürfen.

Herr Pfahl, der mir meinen Bullshit keine Sekunde lang abkaufte, wurde langsam ungeduldig. »Hören Sie, es tut mir sehr leid, dass Ihre Katze einen Unfall hatte«, sagte er augenrollend, »und das auch noch ausgerechnet an Ihrem Geburtstag, aber ich kann Sie leider nicht ohne Ausweis ins Flugzeug lassen! Sie können gerne Ihren Pass oder einen anderen gültigen Ausweis von zu Hause holen und mit einem späteren Flugzeug nach Berlin fliegen.«

Ich sah ihn mit großen Augen an, in der Hoffnung, doch noch ein bisschen Mitleid zu erhaschen. Doch dieses Glück sollte mir verwehrt bleiben.

»Leider ist es heute absolut unmöglich, ohne Ausweis ins Flugzeug zu gelangen«, legte er schließlich nach – eine Aussage, die meiner Meinung nach sehr passiv-aggressiv wirkte.

»Nun, man hielt es einst auch für ›unmöglich‹, einen tonnenschweren Metallvogel voller Passagiere durch die Lüfte fliegen zu lassen, aber sehen Sie an, wo wir jetzt sind!«, wollte ich antworten und passiv-aggressiv auf einen Wikipedia-Artikel zum Thema »Flugzeuge« verweisen. Da wir mittlerweile aber von den übrigen Passagieren und Angestellten beobachtet wurden, wäre es mir unangenehm gewesen, mich an Ort und Stelle in Mariah Carey zu verwandeln.

Geknickt gab ich auf – es war das erste Mal seit Langem, dass jemand nicht gewillt war, die Regeln auch nur ein klein bisschen für mich zu verbiegen, und ich fühlte mich machtloser als der »Vorher«-Mann in einer Viagra-Werbung.

Unter der Beobachtung all der Passagiere, die hinter mir angestanden und das Spektakel mitverfolgt hatten, drehte ich mich um und machte mich auf den Weg zurück in meine Wohnung. Obwohl ich relativ problemlos noch am selben Tag einen anderen Flug bekam und es rechtzeitig zu Drehbeginn nach Berlin schaffte, sollte ich an diesem Tag eine Lektion lernen, die ich eigentlich schon im Jugendalter hätte lernen sollen.

Regeln und Gesetze sind keine flexiblen Vorschläge, die man nach Lust und Laune befolgen kann, und auch definitiv nicht dazu da, um gebrochen zu werden. Obwohl es in manchen Situationen des Alltags durchaus okay ist, freundlich um Ausnahmen zu bitten, sollte ich bevorzugte Behandlung auf keinen Fall erwarten und muss mich von Zeit zu Zeit einfach Autoritätspersonen unterordnen. Manchmal hilft da auch keine Buchinger-Methode.

Mit meinem Verhalten wäre ich wohl auf Dauer sowieso nicht durchgekommen. Stellt euch vor, ich wäre über die Jahre immer machttrunkener geworden und hätte eines Tages versucht, mithilfe der Buchinger-Methode eine antike Vase aus einem Museum zu entwenden, weil ich den Eindruck hatte, dass sie sich gut auf meinem Beistelltisch von IKEA machen würde. Wahrscheinlich würde ich euch diese Zeilen dann aus dem Gefängnis schreiben, wo ich den Großteil meiner Zeit damit verbringen würde, einen Hacker-Angriff auf das »virtuelle Strafregister« zu plotten.

Rückblickend bin ich also sehr froh, meine Lektion an einem Ort gelernt zu haben, an dem der Regelbruch relativ wenige Folgen für mich hatte.

Aber wirklich – musste das ausgerechnet an meinem Geburtstag passieren?

Mein Leben alsAnonymer Antialkoholiker

»Er ist endlich da! Der Michael Buchinger Frizzante Blanc – ein prickelndes, sommerliches Getränk für eine perfekte Party mit Freunden!«, posaunte ich beim Dreh zum Video anlässlich der Veröffentlichung des relativ unkreativ betitelten »Michael Buchinger Frizzante« in die Kamera und es war wirklich keine Lüge: Ich hatte dieses Getränk vor einigen Monaten im Rahmen einer umfangreichen Sprudel-Verkostung probiert und, wenn ich mich recht erinnere, als »ganz okay eigentlich« bezeichnet.

Der Frizzante war mein zweiter Versuch, Alkohol als Fanartikel zu meinen Videos zu verkaufen. Da ich mir über die vergangenen Jahre einen Ruf als Schluckspecht aufgebaut hatte, war dieses Unterfangen meiner Meinung nach eine meiner besseren Ideen und in etwa so sinnvoll, als würde Garfield seine eigene Lasagne verkaufen.