Lao-Tse's Tao-Te-King - Victor von Strauss - E-Book

Lao-Tse's Tao-Te-King E-Book

Victor von Strauss

0,0

Beschreibung

150 Jahre nach Erscheinen der Erstübersetzung des Tao-Te-King ins Deutsche wird diese mit einer [in eckigen Klammern] in den Text eingebauten Erläuterung, die mitgelesen werden kann, sowie mit Hinweisen und Anmerkungen in den Fußnoten neu herausgegeben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 197

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

E

RSTES

B

UCH

Z

WEITES

B

UCH

Vorwort

Aus Anlass des 150. Jahres nach dem Erscheinen der beiden ersten Übersetzungen des Tao-Te-King ins Deutsche, 28 Jahre nach der Übertragung ins Französische durch Stanislas Julien im Jahre 1842, gebe ich eine der beiden Übersetzung, jene von Victor von Strauss, unter Einschluss von Erläuterungen heraus, die seine Bemerkungen in gedrängter Form enthalten; ich habe sie in [eckigen] Klammern in die Übersetzung eingebaut, damit sie mitgelesen werden können. Zeichensetzung, Satzgliedfolge und Rechtschreibung sowie Ausdrucksweise sind behutsam an den neueren Sprachgebrauch angepasst worden. Alledem liegt die folgende Ausgabe zugrunde:

Laò-tsè’s Taò-Tĕ-Kīng. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss. Leipzig, Verlag von Friedrich Fleischer. 1870.

In der im gleichen Jahr (1870) veröffentlichten Fassung von Reinhold von Plänckner verschwimmt die Übersetzung mit der Interpretation; ich habe daher von ihrem Abdruck abgesehen.1

Ergänzende Hinweise gebe ich in den Fußnoten , fokussiere dabei auf Ethik und nehme auf die Werke von Stanislas Julien und Paul Carus Bezug:

Stanislas Julien, Lao Tseu Tao Te King, Le Livre de la Voie et de la Vertu, Paris 1842.

Lao-Tze’s Tao Teh King, By Dr. Paul Carus, The Open Court Publishing Co., Chicago 1898.

Wien, im Dezember 2020.

Der Herausgeber.

1 Lao-tse Táo-Tĕ-King. Der Weg zur Tugend. Aus dem Chinesischen übersetzt und erklärt von Reinhold von Plaenckner. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1870.

ERSTES BUCH.

1. Kapitel.

TAÒ [ist der Grund des Seins], [der weder durch »Weg, Wort« noch durch »Vernunft« übersetzt, sondern allenfalls nur durch »Gott« wiedergegeben werden kann;] KANN ER [als Grund aller Erkenntnis und Lehre zur Sprache gebracht, in’s Wort gefasst und] AUSGESPROCHEN WERDEN, [so] IST [er jedoch] NICHT [Gott als der Ewige,] DER EWIGE TAÒ.2

DER NAME [Gottes], KANN ER [so ] GENANNT WERDEN, [dass er – hier als »Taò« – die geheimnisvolle, verborgene Wesenheit von Gott zu bezeichnen gedacht ist,] IST NICHT DER [unzugängliche oder (auch) unzulässige] EWIGE NAME [Gottes, denn nennbar ist das , was ihn ausmacht, nur, sofern Gott selbst sich ausspricht, sich erweist, sein Wesen offenbart, also als Logos sprachlichen Ausdruck zulässt].3

DER NAMENLOSE [,] [weil Unnennbare,] IST [Gott als] HIMMELS UND DER ERDEN [,] [der zwei Grundpotenzen der Welt,] URGRUND [oder Anfang]; DER NAMEN-HABENDE IST [Gott als der Myriaden, d. h.] ALLER WESEN [oder Dinge] MUTTER [,] [in dem Sinne, dass Gott sie – so wie die Mutter ihr Kind – in ein selbständiges, von ihm abgelöstes Dasein heraustreten lässt, wiewohl er sie auch ferner erfasst, nährt, erzieht, erhält u. s. w.].4

DARUM [ist gesagt worden:]

»WER STETS BEGIERDENLOS, [also frei von Unruhe und Trübung des Herzens durch Wünschen und Trachten,] DER SCHAUET SEINE GEISTIGKEIT, [die als völlige Innerlichkeit nur in der tiefsten und stillsten Verinnerlichung wahrzunehmen ist,]

WER STETS BEGIERDEN HAT, DER SCHAUET [die Myriaden Wesen oder Dinge als] SEINE AUßENHEIT [Äußerlichkeit, Umgrenzung].«5

DIESE BEIDEN [,] [Gott , der einerseits namenlos , andererseits mit Namen ist,] SIND DESSELBEN [schöpferischen] AUSGANGS [bei der Schöpfung] UND [dennoch ist er] VERSCHIEDENEN NAMENS [,] [sodass »Tao« nicht der unnennbare Name ist].6 ZUSAMMEN [als Eins und Dasselbe] HEIßEN SIE TIEF [unfassbar, abgründig], DES TIEFEN ABERMALS TIEFES [,] [also die Grenze aller Spekulation und zugleich ihr unerschöpflicher Quellborn]; [alles Geistigen oder] ALLER GEISTIGKEITEN PFORTE [d. i. Ausgang und Eingang des rein Geistigen; des Wesentlichen].7

2 V. v. Strauss sagt „der“ Tao, sowohl im Hinblick auf „den“ (Ur-)Grund des Seins als auch auf (den) „Gott“. St. Julien hat „das“ Tao als „Weg“ (la Voie) übersetzt. Hans von Ess, Der Daoismus, Von Laozi bis heute, C.H. Beck, München 2011, S. 13, hielt fest, dass mit „Tao“ der „rechte Weg“ gemeint sei, im Sinne von „Methode“ und „moralisch korrektem Benehmen“. Vgl. Pierre Martin, Dao-De-Ging (Tao-Te-King), hrsg. von M.P. Steiner, Die Gnosis im Alten China, Edition Oriflamme, Basel 2013, mit Bezug auf den „rechten Weg“.

Enno v. Denffer, Die Weisheit des Tao Te King, BoD, Norderstedt 2017, begreift „Tao“ als „Geist“, und Matthias Schossig, Tao-Te-King, Guidance from the Eternal, Artemis Publishing, USA 2011, übersetzt es mit „Eternity“. P. Carus wählt das Wort „reason“, also Vernunft, Grund.

Zensho W. Kopp, Lao-tse Tao Te King, Das Buch vom Tao und der Wirkkraft, EchnAton, ohne Ort 2017, S. 25, lässt „Tao“ unübersetzt, deutet es nicht als Gott, nennt es aber den „Urgrund allen Seins“ (S. 17). Günther Debon, Lao-tse Tao-Tê-King, Das Heilige Buch vom Weg und von der Tugend, Reclam, Stuttgart 2016, § 1, und Hans J. Knospe mit Odette Brändli, Lao Tse Tao-Te-King, Diogenes, Zürich 1990, S. 1, geben „Tao“ mit „Weg“ wieder.

Richard Wilhelm, Laotse, Tao te king, 2. Auflage, Fischer, Frankfurt am Main 2014, S. 9, hat das Wort „Sinn“ verwendet. Die Gesamtheit der Lehren, die von den alten Königen tradiert worden seien, sei darin enthalten, doch habe Laotse „Tao“ nicht in „historischer Begrenztheit“, sondern als überzeitlichen Begriff verstanden (S. 99).

Vielleicht ist es angebracht, „Tao“ als „die Sitten “ und das „ewige“ Tao als die davon losgelöste „Sittlichkeit “ zu übersetzen. „Te“ wäre als „Tugend“ die Haltung der Sittlichkeit, die zu „Tun ohne Zutun“ anhält. Das Tao-Te-King ist (so gesehen) ein Buch, das von der Ethik handelt.

3 Vgl. dazu Ludwig Wittgenstein, Logisch-philosophische Abhandlung, Suhrkamp, 34. Auflage, Frankfurt am Main 2013, Vorwort (S. 7): „Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“ Im Satz 6.41 (S. 107) sagte er: „Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen.“ Dann fuhr er fort (Sätze 6.42 und 6.421, S. 108): „Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken. Es ist klar, daß sich die Ethik nicht aussprechen läßt. Die Ethik ist transcendental.“

4 Eine andere Lesart des Satzes lautet in Übersetzung von V. v. Strauss: »Das Nichtsein nennt man Himmels und der Erden Anfang; das Sein nennt man aller Wesen Mutter.« Wir finden sie bei: Jan Julius Lodewijk Duyvendak, Tao Te Ching, The Book of the Way and its Virtue, London 1954. R. Wilhelm las „Jenseits” bzw. „Diesseits” des Nennbaren (S. 9).

Vielleicht ist es adäquat, mit Lutz Geldsetzer und Han-ding Hong, Chinesische Philosophie, Reclam, Stuttgart 2008, im Tao-Te-King das Nichts in den Fokus zu rücken, das mit „Tun ohne Zutun“ („Wu Wei“) bereits in Aussicht gestellt wurde – es meint das „Handeln des Nichts“ im Sinne eines „Zur-Wirkung-gelangen-lassens“ (S. 80). Die Textstelle hat – in Worten von Martin Heidegger, Was ist Metaphysik? 16. Aufl., Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2007 – wohl diesen Sinn: „Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts“ (S. 38).

5 Bei G. Debon (S. 25) und Z.W. Kopp (S. 25) ist ebenso das Begehren angesprochen, bei H.J. Knospe und O. Brändli (S. 1) als ein Haben von Wünschen, wohingegen es bei R. Wilhelm (S. 9) hier um „Streben nach dem Ewig-Jenseitigen bzw. dem Ewig-Diesseitigen“ geht. Nach Ursula K. Le Guin, Lao Tzu Tao Te Ching, A Book about the Way and the Power of the Way, Shambhala, Boston/London 2009, wird gesagt, dass eine “ever-wanting” Seele nur das sehe, was sie sehen wolle (S. 2).

6 Bei den Worten »diese Beiden« ist nicht klar, ob sie sich auf Nichtsein und Sein, Geistigkeit und Außenheit, den Urgrund und die Mutter oder auf den Menschen mit und jenen ohne Begierden beziehen. Vielleicht geht es darum, dass Sittlichkeit nicht als Weisheit gewiesen (gelehrt) werden soll , weil sie sich sonst nicht als Heiligkeit „von selbst“ (Zi Ran) erweisen kann – sie zeigt sich in der sittlichen Tat: was verborgen ist, offenbart sich. Vgl. L. Geldsetzer/H.-d. Hong, Chinesische Philosophie, S. 26 ff. („Nei Sheng Wai Wang – Das Heilige im Innern nach außen zur Herrschaft bringen“).

7 R. Wilhelm sah das All-Eine angesprochen, das mit der Figur „Tai Gi“ (Uranfang) angedeutet sei, „Wu Gi“ (Nichtanfang) sei das noch tiefere Geheimnis (S. 99 f.). Vielleicht geht es an dieser Stelle aber „bloß“ um das stete (Austausch-)Verhältnis von (Geistes-)Haltung und Verhalten.

2. Kapitel.

ERKENNEN ALLE IN DER WELT DES [sittlich] SCHÖNEN SCHÖN-SEIN, [weil es erfreulich und anziehend ist,] DANN AUCH [sogleich] DAS HÄSSLICHE [,] [weil es beleidigend und abstoßend ist]; ERKENNEN ALLE DES [sittlich] GUTEN GUT-SEIN, DANN AUCH DAS NICHT-GUTE [,] [d. i. das Böse].8

DENN

»SEIN UND NICHTSEIN GEBÄREN EINANDER [,] [bringen einander hervor,]9 [das Eine ist , was das Andere nicht ist ; das Andere ist , was das Erste nicht ist]:10

SCHWER UND LEICHT BEWÄHREN [,] [vollenden] EINANDER,

LANG UND KURZ [stellen dar, gestalten,] ERKLÄREN EINANDER,

HOCH UND NIEDRIG ENTKEHREN EINANDER [in ihrer Andersheit, die entgegengesetzt ist], [doch]

TON UND STIMME FÜGEN SICH EINANDER [durch ihre Andersheit],

[sogar] VORHER UND NACHHER [bilden eine Einheit, denn sie] FOLGEN [auf] EINANDER.«11

DAHER BEHARRT DER HEILIGE [oder weise] MENSCH [als ethisches Ideal, das sich durch das sittlich Schöne, Gute auszeichnet,] IM GESCHÄFT DES NICHT-TUNS [,] [denn Vorbild-sein ist kein Tun: es ist ein Wirken ohne Werke].12

WANDEL, NICHT REDE IST SEINE LEHRE [,] [er predigt nicht].13 [Er hält an Taò fest, so dass er sich wie Taò verhält.]14 ALLE WESEN TRETEN HERVOR UND ER ENTZIEHT SICH [ihnen] NICHT.15

ER BELEBT [,] [verhilft ihnen zum Leben,] UND HAT [sie] NICHT [,] [nimmt sie nicht in Pflicht].16 ER TUT [,] [was er vermag,] UND [doch] GIBT [er] NICHTS D‘RAUF [bzgl. Ehre, Vorteil].17 ER VOLLENDET VERDIENSTLICHES UND BESTEHT NICHT DARAUF.18

»WEIL ER NICHT DARAUF BESTEHT,

DARUM ES IHM NICHT ENTGEHT.«19

8 Nach G. Debon (S. 26) ist die Hässlichkeit „erst seit“ dem Wissen von der Schönheit gegeben. H.J. Knospe und O. Brändli (S. 2) zufolge kann das Schöne erkannt werden, weil es das Hässliche gibt. Z.W. Kopp (S. 26) und R. Wilhelm (S. 10) geben – wie V. v. Strauss – zu verstehen, dass mit der Erkenntnis des Schönen bzw. Guten sofort die Erkenntnis der Negation derselben verständlich werde. St. Julien hat in Klammern deutlich gemacht, dass es hier um das sittlich Schöne bzw. Unschöne, d. h. um Tugend(en) und Laster geht.

Vielleicht wird hierdurch dreierlei gesagt: 1. Nicht allein das Sein, sondern auch das Nichts „wirkt“. M. Heidegger (S. 39 f.) drückte es so aus: „Das Nicht entsteht nicht durch die Verneinung,“ „die Verneinung gründet sich“ stattdessen „auf das Nicht, das dem Nichten des Nichts entspringt.“ 2. Ethik und Ästhetik hängen zusammen. Sigmund Freud hat in einem Brief an Albert Einstein geschrieben: „Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen. Wir haben es dann leicht, unsere Einstellung durch Argumente zu rechtfertigen.“ Er sprach von den „ästhetischen Erniedrigungen des Krieges“, welche „nicht viel weniger Anteil an unserer Auflehnung haben als seine Grausamkeiten.“ Entnommen aus: Sigm. Freud, Gesammelte Werke, Bd. XVI, hrsg. von Anna Freud et al. im S. Fischer Verlag, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1961, S. 25 f. Ludwig Wittgenstein vermerkte im Tractatus (Satz 6.421, S. 108) bzgl. der Werte, „das Höhere“: „Ethik und Ästhetik sind Eins.“ 3. Wissen und Handeln lassen sich nicht voneinander ablösen; so ist das Wahre mit dem Schönen und Guten verbunden. Vgl. L. Geldsetzer und H.-d. Hong, Chinesische Philosophie [Chin. Phil.], S. 81.

Epiktet sagte in seinem „Handbüchlein der Moral“, übers. und hrsg. von Kurt Steinmann, Reclam Nr. 8788, Stuttgart 2012: „Der erste und notwendigste Bereich der Philosophie ist der von der Anwendung ihrer Lehren“ (S. 77).

9 Wiewohl das Sein aus dem Nichts entsteht , wie das im 40. Kap. steht, ist das Nichts nur dann zu verstehen, wenn das Sein mit-gedacht wird; vielleicht ist dies eine adäquate Interpretation, um die eine Stelle nicht gegen die andere auszuspielen.

10 „Wo ‚Dies‘ und ‚Das‘ aufhören, Gegensätze zu sein,“ so Zhuangzi, Das Buch der daoistischen Weisheit, Auswahl, Einleitung und Anmerkungen von Günter Wohlfart, Übersetzung von Stephan Schuhmacher, Reclam Nr. 18256, Stuttgart 2016, S. 50, „da liegt der Angelpunkt des Weges.“

11 V. v. Strauss erläutert, dass so wie Nichtsein, Leicht, Kurz, Niedrig, Stimme und Vorher nicht ohne Sein, Schwer, Lang, Hoch, Ton und Nachher ins Bewusstsein treten würden, alle sich auch des Hässlichen erst dann bewusst werden, wenn ihnen das Schöne und das Gute zur Anschauung gebracht und von ihnen als schön und gut erkannt werde.

Marcus Aurelius Antoninus, Selbstbetrachtungen, Übers. und Anm. von Albert Wittstock, Reclam Nr. 1241, Stuttgart 2012, setzte hingegen beim Nicht-Guten an: „Was ist Schlechtigkeit? Nichts anderes, als was du schon oft gesehen hast“ (S. 92).

Vgl. Heraklit, Fragmente, hrsg. von Bruno Snell, Artemis & Winkler, 14. Aufl., Zürich und München 2007, Samml. Tusculum, B 23 (S. 13): „De Rechtes Namen kennten sie nicht, wenn dies nicht wär (das Ungerechte?).“

12 Arthur Waley, Lao Tzu Tao Te Ching, Worldsworth, UK 1997, S. 2: „the Sage relies on actionless activity”. Stephen Addis und Stanley Lombardo, Tao Te Ching, Hackett, Indianapolis/Cambridge 1993, S. 2: „the Sage is devoted to non-action”. St. Julien sprach vom „non-agir“. R. Wilhelm lässt den „Berufenen“ im „Wirken ohne Handeln“ verweilen (S. 10), G. Debon den „Heiligen Menschen“ „beim Geschäft des Ohne-Tun“ (S. 26), Z.W. Kopp (S. 26) und H.J. Knospe/O. Brändli (S. 2) den „Weisen“ „im Nicht-Tun“. R. v. Plänckner deutet dies als „Abstraktionen machen“. L. Geldsetzer/H.-d. Hong, Chin. Phil., S. 80, machen darauf aufmerksam, dass das Handeln (Wei) hier ein „zur Wirkung gelangen lassen“ sei, welches das Wirken der Natur einschließe, zu der auch das Nichts (Wu) gehöre. R. Wilhelm umschrieb das „Wirken ohne Handeln“ als ein (S. 101): „Wirkenlassen der schöpferischen Kräfte im und durch das eigene Ich, ohne selbst etwas von außen her dazu tun zu wollen“.

Vielleicht ist dieses Tun ohne Zutun als – wie P. Carus übersetzt – „non-assertion“ zu verstehen (S. 19), im weitesten Sinne gewaltfrei zu handeln, sich nicht aufzudrängen, den Dingen nichts aufzuzwängen, mit der Natur (verstanden als ein Wie, nicht als ein Was) in der Sache zu wirken; das wird im Verlauf des Tao-Te-King zu vermitteln versucht.

Das Denken des „Wu Wei“ ist älter als das Tao-Te-King, ist aber wohl erst darin fest mit dem Tao in Verbindung gebracht worden. Vgl. Chen-Yu Chung, Taoistische Gelassenheit, Interkulturelle Bibliothek, Traugott Bautz, Nordhausen 2006, S. 14.

13 Nach St. Julien bestehen (ergehen) seine „Anweisungen“ in der Stille: „De là vient que le saint homme fait son occupation du non-agir . Il fait consister ses instructions dans le silence.” Nach P. Carus „the holy man abides by non-assertion and conveys by silence his instructions”.

Auf die „Gefahren“ der Nachahmung von Vor bildern hat L. Annaeus Seneca hingewiesen, als er in „De vita beata“, übersetzt und hrsg. von Fritz-Heiner Mutschler, Reclam Nr. 1849, Stuttgart 2012, bemerkt hat: „Am Beispiel anderer gehen wir zugrunde“ (S. 7). Konfuzius, (Lun-yu) Gespräche, Aus dem Chinesischen übersetzt und hrsg. von Ralf Moritz, Reclam Nr. 9656, Stuttgart 2008, sagte (IV, 4): „Wollten alle das Gute, dann gäbe es nichts Böses mehr.“ Vom Edlen sagte Konfuzius, er tue erst, wie er denke, dann spreche er, wie er handle (II, 13); und wer in seinen Worten nicht maßvoll sei, von dem sei kaum zu erwarten, dass er handle, wie er spreche (XIV, 20).

Johann Wolfgang Goethe, Faust, Der Tragödie Erster Teil, Reclam Nr. 1, Stuttgart 2000, Z. 1237, kam vom „Wort“ über „Sinn“ und „Kraft“ auf die „Tat“ zu sprechen: „Im Anfang war die Tat“. Vielleicht wäre bei „im“ anstelle von „am“ Anfang noch passender: Im Anfang ist die Tat. Demokrit, Fragmente zur Ethik, Griechisch/Deutsch, Neu übersetzt und kommentiert von Gred Ibscher, Reclam Nr. 9435, Stuttgart 2007, hat das „Wort“ gleichsam nur einen „Schatten der Tat“ genannt (Frg. 145).

14 Wenn das ewige Taò die Sittlichkeit ist, aber in der Übersetzung von v. Strauss mit Gott gleichgesetzt wird, dann ist Gott als „das Ethische“ angesprochen, das eine Kritik der Sitten gestattet. Wer erschaut hat, wie sich alles verhält, und diese Anschauung „unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit“ zur „Haltung“ macht, ist also gehalten, sich entsprechend zu verhalten. Gott als ewiger Weg wird so zum Weg oder Willen Gottes. L. Wittgenstein hat am 1.8.1916 im Tagebuch vermerkt: „Wie sich alles verhält, ist Gott. Gott ist, wie sich alles verhält.“ Abgedruckt auf S. 173 in Band I der Werkausgabe, 22. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt/Main 2016.

15 St. Julien: sie setzen sich in Bewegung und er verwehrt ihnen nichts. P. Carus: „he refuses them not”.

Ist zu Beginn des Kap. von allen „unter dem Himmel“ (vgl. Knospe und Brändli, S. 2) die Rede gewesen, so ist vielleicht nicht bloß ein „auf Erden“ (vgl. Debon, S. 26) gemeint, sondern die „Einheit von Himmel und Mensch“ als Grundthematik der chinesischen Philosophie tangiert; zum Thema vgl. Geldsetzer/Hong, Chin. Phil., 2. Kap.

16 St. Julien: er bringt sie hervor und eignet sie sich nicht an.

17 St. Julien: er vervollkommnet sie [bildet/arbeitet sie aus] und rechnet nicht mit ihnen.

18 St. Julien: er hängt sie sich nicht an [klammer sich nicht daran]. Dem Lied der Gottheit, „Bhagavadgita“, Aus dem Sanskrit übers. von Robert Boxberger, hrsg. von H.v. Glasenapp, Reclam Nr. 7874, Stuttgart 2017, ist zu entnehmen:

„Ans Dasein bindet jedes Tun,

Das nicht geschieht aus Opferlichkeit;

Vollbringe darum zwar ein Werk,

Doch hänge an demselben nicht“ (S. 33).

„Wer nicht der Taten Frucht erstrebt,

Zufrieden, auf sich selbst gestellt,

Der ist von allem Handeln frei,

Auch wenn er handelt in der Welt“ (S. 40).

19 St. Julien: „Il ne s’attache pas à ses mérites; c’est pourquoi ils ne le quittent point.” P. Carus: „Since he does not dwell on it, It will never leave him”.

3. Kapitel.

NICHT HOCHSTELLEN [bevorteilen] DIE WEISEN, [d. h. die, die hohe Ämter bekleiden], MACHT DAS VOLK NICHT [über ihre Auswahl und ihre Vorteile] HADERN [und ihren Verdienst aus Neid, Missgunst bestreiten].20 NICHT HOCHSCHÄTZEN GÜTER SCHWEREN ERWERBS, [d. h. keinen unnützen Luxus zur Schau stellen,] MACHT DAS VOLK NICHT [oder weniger] DIEBSTAHL [und andere Delikte] VERÜBEN.21

NICHT ANSEHEN DAS, WAS DIE BEGIER ERREGEN KANN, MACHT DAS HERZ NICHT UNRUHIG.22

DAHER LEERT DER HEILIGE MENSCH, WELCHER REGIERT, SEIN HERZ [von allen Begierden, die ihn beunruhigen könnten], FÜLLT SEIN INNERES, [seinen Bauch, d. i. erstarkt innerlich,] SCHWÄCHT SEINEN WILLEN, [d. h. tilgt die Wurzel schädlicher, eigene wie fremde Kraft verzehrender Viel- und Großtätigkeit,] STÄRKT SEIN GEBEIN [,] [festigt also den Charakter].23

IMMER MACHT ER DAS VOLK NICHTS KENNEN, NICHTS BEGEHREN; [nichts, was Hader, Diebesgelüst, Herzensunruhe erregt, und] MACHT ER, DASS DIE, WELCHE [solches] KENNEN, [aus Respekt vor seiner Zurückhaltung] NICHT WAGEN [aufzubegehren und Böses] ZU TUN.24

TUT ER DAS NICHT-TUN, [d. h. ist sein Tun ohne Tun, im Sinne einer sittlichen Potenz, der ethischen Autorität,] DANN MANGELT’S NICHT AM REGIEREN.25

20 St. Julien: Indem man die Weisen nicht verherrlicht, verhindert man, dass das Volk sich streitet. P. Carus: „Not exalting worth keeps people from rivality“. V. v. Strauss notierte: „In China ist der Staat schon sehr früh als die ethische Form des Gemeinlebens erkannt worden, weshalb das Regieren als sittliche Tätigkeit aufgefasst und als ein Teil der Ethik behandelt wird.“ Die Regierung solle das „Begehren“ der Bevölkerung nicht entfesseln.

Das Nicht-Begehren, von dem im 1. Kap. die Rede war, ließe sich vielleicht mit den drei Wurzeln des Unheils in Zusammenhang bringen: (Hab-)Gier, Hass und Ignoranz. Vgl. Damien Keown, Der Buddhismus, Aus dem Englischen übersetzt von Ekkehard Schöller & Susanne Lenz, Reclam Nr. 19199, 6. Aufl., Stuttgart 2014, S. 61, 76 ff.; mitzudenken wären mit Nicht-Gier (Nichtbegehren): Nicht-Hass und Nicht-Ignoranz, sodass eine anhaftende , ablehnende und gleichgültige Geisteshaltung zurückgewiesen wird. Was verbliebe, wäre eine „gütige, freundliche Mitte“, die nichts ausschließt, das Ganze in sich spiegelt; das Wandern auf dem Wege des Lebens. Vgl. Byung-Chul Han, Philosophie des Zen-Buddhismus, Reclam Nr. 18185, Stuttgart 2014, S. 19, 86, 121, 125.

21 St. Julien: „En ne prisant pas les biens d’une acquisition difficile, on empêche le peuple de se livrer au vol“.

22 St. Julien: „le coeur du peuple“, des Volkes Herz. Bei P. Carus steht: „Not contemplating what kindles desire keeps the heart unconfused”. G. Debon las „Vorzeigen” (S. 27), Knospe/Brändli schreiben „zur Schau stellen“ (S. 3). Bei Z. W. Kopp (S. 27) und R. Wilhelm (S. 11) ist der Sinngehalt wie bei V. v. Strauss „verallgemeinert“: Es geht zwar immer noch um das Volk, aber wohl schon aus der Perspektive eines an der Regierung beteiligten Weisen. In diesem Sinne übersetzt Wilhelm den Folgesatz: „Also auch ist das die Ordnung des Berufenen“.

23 St. Julien: „C’est pourquoi, lorsque le saint homme gouverne, il vide son coeur, il remplit son ventre (son intérieur), il affaiblit sa volonté, et il fortifie ses os.” P. Carus: „Therefore the holy man when he governs empties the peoples heart but fills their souls.” Carus fährt fort: „He weakens their ambitions but strengthens their backbones”. Was Debon (S. 27), Knospe/Brändli (S. 3) und v. Strauss mit „Wille“ wiedergeben, das ist „Begehren“ bei Kopp (S. 27) und Wilhelm (S. 11). Wilhelm hat bemerkt, das „Herz“ bedeute den „Sitz des Begehrens nach äußeren, fremden Dingen“ (S. 101).

Vielleicht ist all das so zu verstehen: 1. das leibliche ist nicht vom geistigen „Ertüchtigen“ zu sondern, da die Denk- und Handlungsweise Eins sind; 2. es geht dabei im Lichte des nachfolgenden Kap. um das, was in der Tat „gebraucht“ wird, um für die Tat „brauchbar“ zu sein; 3. diese Tat ist dabei durchgehend als Tun ohne Zutun, als Nicht-Tun begriffen. Byung-Chul Han, Abwesen, Zur Kultur und Philosophie des Fernen Ostens, Merve, Berlin 2007, S. 16 f., sagte dazu: „Der Bauch begehrt nicht.“ Das Begehren beruhe auf der Unterscheidung , die nicht vom Bauch oder von den Knochen, sondern vom Geschmack herrühre. Bauch und Knochen seien „Organe der In-Differenz“. Han fügte hinzu, dass das leere Herz den vollen Bauch nicht ausschließe; der Askese in ihrer Verbissenheit liege „viel Begehren zugrunde“. Zudem hielt er fest: „Wenn es auch darum geht, dem Körper eine richtige Haltung zu geben, so dient diese Arbeit am Körper nur dem Zweck, ihn zu öffnen, durchlässig zu machen für jene himmlische Lebenskraft, die die ganze Welt belebt, erneuert, harmonisiert und befriedet“ (S. 89 f.).

24 St. Julien: „Il s’étudie constamment à rendre le peuple ignorant et exempt de désirs. Il fait en sorte que ceux qui ont du savoir n’osent pas agir. Il pratique le non-agir , et alors il n’y a rien qui ne soit bien gouverné“. P. Carus: „Always he keeps the people unsophisticated and without desire. He causes that the crafty do not dare to act. When he acts with non-assertion, there is nothing ungoverned”.

Rainald Simon, Laozi, Daodejing, Das Buch vom Weg und seiner Wirkung, Reclam, Stuttgart 2009, S. 19 f., liest eine „zynische“ Grundhaltung heraus, die nicht in apologetischer Weise verdeckt werde solle; verstörende Inhalte solle man nicht hinwegglätten, denn dies schaffe eine „falsche, biedere Dao-Seligkeit, die der Widersprüchlichkeit, ja Anstößigkeit des Textes nicht“ entspreche.

Geldsetzer/Hong, Chin. Phil., S. 82, lesen das Kapitel so, dass unter der Regierung des Heiligen sich sein, d. i. des Volkes, Bewusstsein vom „falschen“ Wissen leere, sein Bauch fülle, sein Wille schwach und seine Knochen stark würden; er wirke dahin, dass das Volk das Nichts kenne, das Nichts begehre, und dass die „sogenannten“ Wissenden nicht zu handeln wagen. Sie halten fest, dass dann, wenn Tao als dialektische Einheit von Sein und Nichts erkannt wird, es überall