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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2470, 2471 und 2472.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 381
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2019 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Boada/Norma
ISBN: 978-3-7517-6521-3
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https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2470
Flucht nach vorn
Lassiter 2471
Der Outlaw und die Tänzerin
Lassiter 2472
Ein riskanter Bluff
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Contents
Flucht nach vorn
Die Minenarbeiter von Fort Yukon saßen im Blackbear’s zu Gericht und riefen schon vor Ablauf einer Stunde Joseph Bonesteel in den Zeugenstand. Sie legten ihm die Heilige Schrift auf die Stuhllehne und ließen ihn einen Eid darauf sprechen. »… so wahr mir Gott helfe«, endete Bonesteel und senkte den Kopf.
Die Männer am Tisch erkundigten sich bei Bonesteel, ob er den Mörder seiner Tochter im Blackbear’s sehen könne. Der fahlgesichtige Gerber und Tuchmacher nickte und hob den Arm. Er wies in Lassiters Richtung.
Die wenigen Mädchen und ihre Mütter im Saal wandten die Köpfe zur Seite und schluchzten. Sie hatten vor dem Saloon ein Gebet für die tote Emily Bonesteel gesprochen.
Zwanzig Männer und Frauen hatten sich vor dem Blackbear’s versammelt, um jenen Mann zu sehen, dem man den grausamen Mord an der sechzehnjährigen Emily Bonesteel anlastete. Sie waren mit Äxten und Steinhacken gekommen, von denen sie wussten, dass Ratsvorsitzender John Senecal sie ihnen verbieten würde.
»Man müsste diesem dreckigen Hund die Kehle abschnüren«, brummte ein Goldsucher mit leuchtend rotem Bart. Er vertrieb die Katze der Dawsons, die ihm um die Beine strich. »Hätte er vor meinem Richtertisch gestanden, wäre das Urteil längst gesprochen. Er hätte ’nen verdammten Strick um den Hals und würde vom Ahornbaum drüben am Brunnen baumeln.«
Dem Angeklagten von Fort Yukon, der auf den eigentümlichen Namen Lassiter hörte, war es gewiss zum Vorteil, dass die Haltung des Rotbärtigen keine allgemeine Überzeugung war. Die meisten Bewohner des Handelspostens vertraten die Meinung, dass es Gerechtigkeit in ihrer Mitte nur geben konnte, solange sie ohne Ansehen der Person und kühlen Kopfes Gericht hielten.
»Senecal!«, rief eine Frau hinter dem Goldsucher und drängte sich nach vorn. »Er hält das Urteil in der Hand! Er hält das Urteil in der Hand!«
Die Wartenden wichen vor Captain John Senecal zurück, der seit fünf Jahren die Geschicke von Fort Yukon lenkte und für eine Handelsroute ins Kanadische stritt. Er war ein stattlicher Mann von fünfzig Jahren mit grauem Bart und stechend blauen Augen, die tief in den Höhlen saßen. »Sie sind alle aus den Häusern gekommen?«
»Für die Gerechtigkeit!«, rief ein anderer Goldschürfer und hob die Felshacke in die Luft. »Er soll die Strafe bekommen, die verdient.«
»Tod dem Mörder!«, knurrte der rotbärtige Goldsucher und verzog den Mund. »Soll er das Gleiche kriegen, was er dem Mädchen angetan hat! Soll er die ganze Nacht in seinem Blut liegen!«
Die übrige Menge schwieg und sah erwartungsvoll zu Senecal hinauf, der nach einer Weile das Verdikt zückte und mit zwei Fingern auseinanderfaltete. Er las die wenigen Zeilen darauf und trug sie vor. »Der ehrenwerte Rat der Minenarbeiter ist zu dem Urteil gelangt, dass die Schuld des betreffenden Angeklagten Lassiter als gegeben erachtet werden kann. Er hat am Morgen des 24. Oktober dieses Jahres das Mädchen Emily Bonesteel mit einer Axt erschlagen.«
Die Zornigeren unter den Männern rissen die mitgebrachten Äxte in die Höhe und schwangen sie drohend. Sie schrien wild durcheinander, dass Gottes Vergebung solche Seelen nicht reinwasche und das arme Mädchen unschuldig wie ein Engel gestorben sei.
Senecal bat um Ruhe.
»Gleichwohl ist der Rat überzeugt«, zitierte er das Verdikt weiter, »dass keine irdische Macht beweisen könne, ob der Angeklagte vor dem Mädchen gestanden und den tödlichen Hieb ausgeführt habe. Das Urteil müsse weise und salomonisch sein.«
»Keine Schlinge für den Dreckskerl?«, wiegelte der Rothaarige die Menge auf. »Keine Schlinge, hört ihr? Er soll davonkommen! Er soll davonkommen damit!«
»Möge der Herrgott uns davor bewahren!«, redete Senecal gegen den entstandenen Tumult an. »Die Minenarbeiter von Fort Yukon verurteilen den Angeklagten zur Verbannung in die Wildnis. Er erhält ein Zelt, eine Schaufel und eine Tagesration Proviant.«
Die Versammelten tobten vor Wut und Unverständnis.
Sie bezichtigten Senecal der übertriebenen Milde und des Hohns gegenüber der Toten, die in den Armen ihres Vaters gelegen habe, als sie den letzten Gang zum Fort angetreten hätte. Als zwei Männer Senecal zwischen sich einzwängten, hob der Fortkommandant den Arm und befahl die anderen Ratsmitglieder heraus.
Sie erschienen im Beisein von Lassiter.
Der Amerikaner war an Armen und Beinen gefesselt und trottete bis zur ersten Treppenstufe. Einer der Männer spuckte nach ihm und wirbelte eine Schaufel durch die Luft. Der Verurteilte indes zuckte nicht mit der Wimper.
»Runter mit euch!«, befahl Senecal und trieb die Menge von den beiden Treppenstufen am Blackbear’s. Er nahm das Verdikt und hielt es vor die Aufgebrachten. »Das Urteil ist gefallen, Leute! Er wird in die Wildnis gehen! Nehmt es an oder nicht!« Er ließ eine lange Pause. »Wenn Ihr es zerreißt, herrscht das Lynchgesetz in Fort Yukon! Ihr müsst euch entscheiden!«
Bald darauf kehrte Totenstille vor dem Blackbear’s ein.
Die Felshacken und Äxte verschwanden zwischen der Schar von Köpfen, die soeben noch Lassiters Tod gefordert hatten. Außer den Atemstößen der Aufrührer, die gedemütigt den Rückzug antraten, war nur der Wind über den Baumkronen zu vernehmen.
»Alaska«, sagte Senecal mit Pathos in der Stimme. »Alaska ist das wahre Land der Freien. Es ist das Land, in dem jeder nach Glück zu suchen vermag. Es ist das Land, in dem wir entschlossen sind zu leben.« Er schaute zu Lassiter. »Es wird seine Verbrecher gebührend behandeln. Aber es ist kein gesetzloses Land.«
Wie ein fremdartiger Balsam lagen Senecals Worte in der Luft und tilgten die letzten Spuren von Bitterkeit unter den Minenarbeitern. Die Männer schauten mit düsteren Blicken zu Lassiter hinauf und ließen sich zu keinen weiteren Flüchen hinreißen.
»Morgen früh um neun Uhr«, sprach Senecal in die Stille hinein, »bringen fünf Männer den Angeklagten hundert Meilen nordwärts. Er wird von den Gaben der Natur zu leben verstehen oder sterben.« Er hob das Kinn. »Sein Schicksal liegt in Gottes Hand und nicht länger in unserer.«
Wenig später standen Senecal und die anderen Männer allein neben dem Verurteilten.
Sie rammten Lassiter nacheinander die Fäuste in die Magengrube, zerrten ihn die Stufen hinunter und warfen ihn in den Schlamm. Als Letzter trat Senecal ihm in die Rippen und spuckte ebenfalls auf ihn.
»Nur dass du’s weißt!«, schnauzte der Kommandierende von Fort Yukon. »Die Leute fordern ein gerechtes Urteil, wenn sie deinen Tod fordern! Aber für uns zählt nur das Papier!«
☆
Yukon River, fünfzig Meilen südlich des 67. Breitengrads, zwei Wochen früher
Das schwere Heckschaufelrad der Alaskan Sea war gerade zu voller Kraft aufgelaufen, als ein gedehntes Dröhnen durch den Rumpf des Flussdampfers ging. Das Geräusch glich dem Ächzen einer Stahlwanne, die mit Wucht über ein Steinpflaster gezerrt wurde. Es hielt ein oder zwei Sekunden an und erstarb dann plötzlich.
Marianne fuhr neben Lassiter im Bett auf.
Sie hatte sich die schwarze Korsage und das Miederhöschen wieder übergezogen, nachdem sie es hinter dem Paravent in der Kabine getrieben hatten, und blickte den Mann der Brigade Sieben erschrocken an. Sie ergriff seine Hand und hielt sie fest.
»Kleines«, sagte Lassiter mit ruhiger Stimme. »Der Fluss ist vierzig Fuß tief. Der Kahn wird nicht auf Grund laufen.«
»Aber falls doch …?« Eilig schwang Marianne die schlanken Beine aus dem Bett und lief zum Bullauge hinüber. »Sieh nur, wie finster die Nacht ist! Niemand wird sehen, ob wir etwas streifen oder auf einen Felsen zulaufen!«
Fast zwei Tage war die Alaskan Sea bereits unterwegs, und bisher hatte nichts darauf hingedeutet, dass die Offiziere oder der Kapitän ihr Handwerk nicht verstanden. Der Dampfer hatte in Newport abgelegt und war ohne nennenswerte Vorkommnisse durch das erste Eis vor der Mündung des Tanana River gefahren.
»Hör auf damit!«, seufzte Lassiter und rieb sich die Stirn. Er hatte in den letzten Nächten schlecht geschlafen, was zum einen an Mariannes betörender Schönheit, zum anderen an den stampfenden Schiffskolben gelegen hatte. »Komm wieder ins Bett und wirf die Sorgen fort!«
Vollkommen allein war Marianne C. Fisher in Newport an Bord gekommen, und Lassiter hatte nur einen Drink an der Bar und Mariannes Augenaufschlag, um die neue Passagierin anzusprechen. Sie hatte ihm kein leichtes Spiel bereitet.
»So gefällst du dir, wie?«, schimpfte Marianne und kam zum Bett zurück. Sie kniete sich über Lassiter und sah ihn herausfordernd an. »Als ein Kerl, der einer Frau sagt, wo es langgeht. Ich habe ein bisschen Angst, weil ich in China auf dem Jangtse gekentert bin.«
Einen Augenblick lang sann Lassiter darüber nach, ob er all die Flüsse aufzählen sollte, in deren Wasser er schon geschwommen war, aber er beschloss, Marianne das kleine Abenteuer in China zu lassen. Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. »Willst du die ganze Nacht reden? Ich hatte gehofft, dass wir –«
»Dass wir –?«, wiederholte Marianne herausfordernd. Sie schnürte die Korsage auf und küsste Lassiter. »Dass wir das Gleiche tun wie letzte Nacht? Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.«
Die Kabine auf dem oberen Deck der Alaskan Sea hatte die Brigade Sieben für Lassiter reserviert, der noch in Newport ein Telegramm mit Anweisungen erhalten hatte. Der hiesige Mittelsmann für die Brigade war ein Mann mit dem Namen Ed Lamb, der in Beaver auf das Schiff kommen sollte.
»Nicht?«, fragte Lassiter und erwiderte den Kuss. Er zog Marianne die Korsage aus und strich über ihre zarten Schultern, die weich wie die Haut eines Pfirsichs waren. »Wie gut, dass es mir damit ganz genauso geht.«
Er entkleidete die schöne Texanerin, die wegen eines Pelzgeschäfts nach Alaska gekommen war und darauf hoffte, in zwei oder drei Wochen mit einem profitablen Kontrakt im Gepäck die Rückreise anzutreten. Sie war in Vertretung ihres Mannes an Bord gekommen, der – wie sie sagte – irgendwo in Oregon herumhurte.
»Willst du deine Hose anbehalten?«, erkundigte sich Marianne und deutete auf Lassiters Unterhose. »Ich darf dir versichern, dass kaum eine Frau in Leidenschaft verfällt, solange du dieses Ding anhast.«
Gelangweilt entledigte sich Lassiter des Kleidungsstücks, das ihn im Bett zumindest warmgehalten hatte. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit dabei auf Marianne, deren nackter Leib so berückend schön war, dass es schon Sünde war, den Blick auch nur für einen Moment davon abzuwenden.
»Gefalle ich dir?«, fragte die Texanerin und öffnete ihr schwarzes Haar. Sie schüttelte es auf und strich Lassiter mit der Hand über die Wange. »Du musst dich nicht zurückhalten. Ich war mit meinem Mann nie glücklich verheiratet.« Sie lächelte. »Er ist ein Dummkopf und ein schlechter Liebhaber.«
»Mit beiden Vorzügen kann ich nicht dienen«, konterte der Mann der Brigade Sieben und zog Marianne an sich. Er schob eine Hand zwischen ihre Beine und erfühlte ihre feuchte Scham. »Komm auf mich, Hübsche.«
Sie ritt seinen steifen Pint eine halbe Stunde lang.
Aus dem anfänglichen Stöhnen wurden laute Schreie, die von den Kabinenwänden widerschallten. Sie wechselten ein gutes Dutzend Mal den Ort in der luxuriös eingerichteten Kajüte, die über einen russischen Diwan, ein vergoldetes Waschbecken und eine gepolsterte Fensterbank verfügte.
Zum Schluss lag Marianne vornübergebeugt auf dem Schreibtisch an der Wand.
Sie hatte sämtliche Tuschefeder und Papierbögen heruntergefegt, hatte die Augen geschlossen und ließ sich mit Kraft durchnehmen. Sie klammerte sich mit beiden Händen an der Tischkante fest, während sie ihre runden Pobacken gegen Lassiters Lenden drückte und ihren breitschultrigen Geliebten laut anfeuerte.
»Noch ein bisschen!«, bettelte Marianne danach weiter. »Nur ein bisschen! Mir kommt’s gleich! Mir kommt es gleich, Lassiter!«
Ein Orkan peitschte einige Minuten darauf durch Mariannes Körper, fegte die letzte Beherrschung der jungen Texanerin davon, die sich vor Vergnügen in die Fingerknöchel biss und einen Höhepunkt nach dem anderen erlebte.
»Oh, Lassiter!«, seufzte Marianne und ließ auch ihm seine Freude. »Womit habe ich dich verdient … Womit habe ich diese Stunden verdient?«
Erschöpft und matt trug Lassiter sie zum Bett hinüber.
Er reichte ihr die Korsage, die sie zum dritten Mal in dieser Nacht anzog, und starrte an die verzierte Kabinendecke. Er lauschte den Maschinen, die unter ihnen rumorten und leise grollten.
»Steigst du in Fort Yukon aus?«, fragte Marianne und lächelte ihn von der Seite an. »Oder habe ich das Vergnügen einer Rückfahrt mit dir? Die Alaskan Sea geht jeden Freitag.«
Als hätte das Schiff das Schäferstündchen des Paares abgewartet, ächzte der Rumpf wieder. Der Flussdampfer fuhr nur noch mit halber Kraft.
»Vermutlich«, sagte Lassiter, der seine Anweisungen erst durch Ed Lamb erhalten würde. »Ich kann es dir noch nicht sagen.«
Halb enttäuscht und halb beglückt sprang Marianne auf und lief zum Kabinenfenster. Sie blickte auf die schroffen Felswände, die auf der Steuerbordseite vorüberzogen, und wickelte sich fröstelnd in die Bettdecke. »Du hast es gut, Lassiter. Du bist frei. Du kannst fahren, wohin du willst.«
»Freiheit ist ein hartes Brot«, entgegnete Lassiter und richtete sich im Bett auf. »Die meisten Männer in Alaska sind frei. Sie müssen sich durchschlagen, und wer es nicht schafft, bleibt auf der Strecke.« Er verschränkte die Hände im Schoß. »Du stellst dir die Freiheit zu romantisch vor.«
Verstohlen wischte sich Marianne eine Träne ab. »So spricht nur jemand, der sie hat.«
☆
Der Aufenthalt in Beaver betrug kaum eine Stunde.
Die Bediensteten der Alaska Commercial Company luden eine Fuhre Herrenbetten aus, die aus einer Lederhülle und einer gepolsterten Matte bestanden. Sie verteilten die Kisten am Steg und ließen sich den Empfang der Ware bestätigen.
Erst danach ging Ed Lamb an Bord.
Er war ein kleiner Mann mit listigen Augen und gewissenhaft gestutztem Bart. Er betrat den Rauchsalon der Alaskan Sea durch einen Nebeneingang, steuerte zielstrebig auf Lassiter zu und nannte das vereinbarte Codewort aus dem Telegramm.
» Aurora «, bestätigte Lassiter die Chiffre. »Mich freut es, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Lamb.«
»Ganz meinerseits«, erwiderte Lamb und orderte zwei Whiskey an der Bar. »Die Brigade Sieben schickt uns nicht oft Männer von Ihrem Schlag. Sie kümmert sich ohnehin selten um Alaska.«
»Um Alaska kümmert sich kaum jemand«, antwortete Lassiter und roch an seinem Glas. Der Whiskey verströmte einen holzigen Geruch. »Manche glauben, dass die Gegend immer noch russisch ist.«
Ein Lächeln trat auf Lambs schmales Gesicht. »Ach, die Russen … Sie sind ein Kapitel für sich. Ich brauche Sie allerdings für einen Amerikaner.«
Sie rutschten ans Thekenende, an dem ein geschwungener Messinggriff angebracht war. Der Barkeeper nickte Lamb zu und hielt die übrigen Gäste auf Abstand.
»Die Rede ist von Pat Rogan«, setzte Lamb seine Rede leiser fort. Er drehte das Whiskeyglas in der Hand. »Rogan hat ein paar Banken in Texas geplündert. Seit einiger Zeit hat er’s allerdings auf Frauen abgesehen.« Er presste die Lippen zusammen. »Sieben Rancherinnen hat er in den letzten Monaten getötet.«
»Sieben!« Lassiter trank einen Schluck. »Waren es Frauen aus den Banken?«
Verdrossen schüttelte Lamb den Kopf. »Die Frauen starben auf den Ranches ihrer Männer. Mit manchen Ranchbesitzern war Rogan sogar befreundet, bevor er ihre Gemahlinnen umbrachte.« Er schwieg kurz. »Er hat seine Opfer nicht angerührt. Er scheint aus reinem Blutdurst zu handeln.«
»Verdammt«, brummte Lassiter und sah zum Promenadendeck hinüber. Die Matrosen hatten die Taue gelöst, mit denen das Flussschiff am Steg festgemacht war. »Weshalb ist er nicht hinter Gittern?«
Die Alaskan Sea erzitterte unter ihren stampfenden Dampfzylindern. Achtern wühlte das Schaufelrad den Yukon River auf.
»Zwanzig Marshals waren hinter ihm her«, sagte Lamb und lauschte der Maschine. »Sie haben ihn durch Kansas, Nebraska, Dakota und Montana gejagt. Er ist wie ein Schatten. Sie bekamen ihn nie zu fassen.«
Aus dem Maschinenraum schallten die Rufe der Heizer herüber, die um ihre Kohle bangten und dem Führerhaus den Füllstand meldeten. Der Kapitän signalisierte ihnen dennoch volle Kraft.
Lamb griff in die Jacke und zog ein schmales Kuvert daraus hervor. Er legte es auf die Theke und drehte es mit einem Finger herum. »Vor einem guten Monat hat Rogan ein Ticket der Canadian Pacific gekauft. Er ist nach Anvik gefahren und hält sich derzeit in Alaska auf.«
»Damit ist er nun Ihre Angelegenheit«, bemerkte Lassiter und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Er trank das Whiskeyglas leer und genoss das Brennen in der Kehle. »Die Marshals in den Bundesstaaten müssen sich die Hände reiben.«
»Rogan ist eine Plage für Alaska«, zischte Lamb und trank seinen Whiskey ebenfalls leer. Er verzichtete auf ein zweites Glas und sah zu Lassiter. »Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, gibt es in Alaska kaum Gesetze. Die Männer und Frauen in den Minenstädtchen kümmern sich selbst darum, ob jemand gehängt oder nur für ’ne Nacht in die Zelle kommt. Sie bilden Räte, die wie Richter Urteile sprechen.«
Der Mann der Brigade Sieben hörte aufmerksam zu. »Keine Lynchjustiz demnach.«
»Fast keine«, pflichtete ihm Lamb zu. »Außer ein paar Schüssen auf Liebhaber und Diebe gab’s nichts, wofür Alaska sich schämen muss.« Er bestellte nun doch einen zweiten Whiskey. »Aber gegen einen Mann wie Rogan … Gegen einen skrupellosen Killer … Dagegen ist hier niemand gewappnet.«
Unter vollem Dampf fuhr die Alaskan Sea auf den breiten Yukon River hinaus, in dem sich zerklüftete Eilande voller Gras und Sandbänke abwechselten. Der Kapitän manövrierte zwischen Inselketten hindurch und verlangsamte nur selten die Fahrt dafür. »Wie kann ich Ihnen helfen? Soll ich Rogan schnappen?«
»Sie müssen ihn schnappen«, stellte Lamb klar und riss das Kuvert aus. »Ein Frauenmörder in Alaska würde die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Nur die wenigsten Männer haben eine Frau zuhause.« Er seufzte. »Sie müssen diesen Bastard bekommen.«
Das Kuvert enthielt Abschriften der Fahrten, die Rogan aus dem Dakota-Territorium heraus unternommen hatte, sowie eine kleine Ambrotypie mit dem Konterfei des Mörders. Er war ein unansehnlicher Kerl mit breitem Kinn und Pockennarben auf den Wangen.
»Er wird sich von Siedlungen fernhalten«, schlussfolgerte Lassiter. »Mit diesem Gesicht erkennt man ihn überall. Er muss Angst vor Steckbriefen und Kopfgeldjägern haben.«
Ungefragt füllte der Barkeeper die Whiskeygläser erneut und lächelte Lamb verschlagen an. Er schob dem Mittelsmann das Glas hin und versprach, dass es aufs Haus ginge.
»Wie der gute Mann will!«, seufzte Lamb und trank. »Ich muss diese Tage nicht nach Fort Yukon und einen Killer jagen. Solche undankbaren Aufgaben bleiben allein an Ihnen hängen, Lassiter.« Er prostete seinem Gegenüber zu. »Cheers, mein Freund. Ich habe einen verdammten Schwips.«
Der große Mann ging auf Lambs Äußerung nicht ein und durchstöberte weiter das Kuvert. Er fand einen Passierschein für Fort Yukon und eine zusammengefaltete Schachtel Best’s Butterflies darin.
»Schmerztropfen«, sagte Lamb und schwankte auf dem Stuhl. »Er flößt sie seinen Opfern ein, damit sie nicht um Hilfe rufen. Er muss sie auch schon selbst genommen haben. Bei ihm im Zimmer war ein ganzes Arsenal davon.«
Aus der Schachtel Best’s Butterflies rollten zwei Pastillen in Lassiters Handfläche. Sie waren von bräunlicher Farbe und rochen nach Erde. »Woher bekommt Rogan sie, wenn sie aufgebraucht sind? Oder hat er das Arsenal dabei?«
»Nein, nein!«, schüttelte der Mittelsmann den Kopf. »Unsere Leute haben das Arsenal in Billings konfisziert. Rogan dürfte auf dem Trockenen sitzen.«
Der Rauchsalon füllte sich mit gut gekleideten Männern, die ernst und andachtsvoll das Geschehen an der New Yorker Börse besprachen. Selten rauchten sie dabei auch, obwohl der Salon allein zu diesem Zweck errichtet worden war.
»Noch zwei Bourbon?«, fragte Lassiter und steckte das Kuvert ein. »Wir können sie gebrauchen.«
☆
Die kleine Kutchin-Squaw, die Pat Rogan mit seinem Jagdmesser aus Saint Mary getötet hatte, hatte ein Geschenk bei sich getragen. Sie war mit einem geschnitzten Karibuknochen in der Tasche auf den Coleen Hill gestiegen, den Rogan als Treffpunkt genannt hatte.
Eine Stunde später war die Indianerin tot gewesen.
Sie hatte friedlich im Laubmoos gelegen, das schwarze Haar breit aufgefächert, den rechten Arm zu einem Bogen verkrümmt. Das Lederkleid hatte die Wunden verdeckt, die für Rogan sonst das größte Ärgernis an den Toten waren.
Auf dem Karibuknochen stand sein Name.
Die Lettern waren ungelenk mit einer Pfeilspitze eingeritzt worden, und statt des »O« in Rogan hatte Sunkyo nur einen Kasten gezogen. Sie hatte Rogan bei ihrem letzten Treffen am Fluss darüber erzählt.
Von den Best’s Butterflies waren noch zwei Pastillen übrigen.
Sie rollten lose in der Schachtel herum, als Rogan seinem Braunen die Sporen gab und weiter die sumpfige Yukon-Ebene durchquerte. Er musste eine Anstellung in der Gegend finden, wollte er die ersten Frostnächte nicht in winterlicher Kälte verbringen.
Du Rogan, ich bin Sunkyo …
Die Squaw hatte bei ihrer Begegnung leise und hell gesprochen und immer wieder unterwürfig den Kopf gesenkt. Sie hatte Rogan gesagt, dass sie zwanzig oder einundzwanzig Sommer alt war und gern einen Weißen heiraten wolle.
Rogan hatte ihr das Blaue vom Himmel gesprochen.
Er war in das Nomadendorf der Kutchin geritten und hatte mit dem Häuptling zu Abend gegessen. Er hatte keinem der Männer gesagt, was er im Schilde führte, nicht einmal Sukyos Brüdern, die ihn misstrauisch und fasziniert zugleich gemustert hatten.
Er verriet seine Mordpläne nie.
Gedankenverloren betrachtete Rogan den Karibuknochen in seiner rechten Hand, dessen hellere Seite in der Abendsonne glühte. Er fuhr mit dem Finger über die Inschrift, die Sunkyo hineingeschnitzt hatte, und dachte an das dünne, reine Blut, das unter den Achseln der Indianerin hervorgesickert war.
Nur der Tod war schön an einem Menschen.
Die Zeile hatte Rogan bei den Dichtern gelesen, die in North Platte über die kalifornischen Goldsucher schrieben und ihre Verse im Huntsman’s Echo veröffentlichen. Er hatte sich die Spalte aus der Zeitung gerissen und verwahrte sie seither in der Sohle seines linken Stiefels.
Acht Frauen waren es mit der Indianerin.
Sie waren allesamt auf ähnliche Weise gestorben, meist unbehelligt in ihren Gärten und Häusern und bei einer Sache, die sie für Rogan getan hatten. Er fing nie Affären mit den Frauen an, obgleich die eine oder andere nicht abgeneigt gewesen war.
Er kam ausschließlich zum Morden vorbei.
Hatten die Frauen die Best’s Butterflies erst einmal geschluckt, fiel ihm das Handwerk deutlich leichter. Er lockte sie auf eine Wiese oder in ein abgelegenes Zimmer, sprach mit ihnen über Dinge, die sie bewegten, und erstach sie danach.
Der Mord machte Rogan nicht einmal besondere Freude.
Er hielt ihn für ein notwendiges Übel, das nötig war, damit jener stille Frieden auf den Gesichtern einkehrte, der auch Rogans Gedanken zur Ruhe brachte.
Die Frauen von Fort Yukon würden keine Ausnahme bilden.
Er wusste aus Magazinen und Wochenschriften, dass Alaska vorwiegend Männer anzog, die sich als Glücksritter verstanden. Die Siedler zogen in unbewohntes Land, wie sie es einst im amerikanischen Westen getan hatten, und lebten fortan von Minenarbeit oder Fischfang.
Sie heirateten selten und begingen damit eine Sünde, die Rogan – sofern es in seiner Macht stand – bestrafen würde.
»Hey-yah!«, rief Rogan und schnalzte mit der Zunge. Das Pferd sprang davon und preschte durch den Weißfichtenwald.
Knapp sechs Meilen weiter lichteten sich die Bäume.
Der Wald ging in ein wassergetränktes Sumpfland über, in dem hin und wieder Eisblöcke lagen, die von den ersten Frösten des Jahres übriggeblieben waren. Dünn und verschwommen erhoben sich am Horizont bereits die Holzbohlenhütten von Fort Yukon.
Nichts hätte Rogan je nach Alaska treiben können.
Er hatte das Wetter in Texas und Louisiana gemocht, das schlichte Leben der Viehzüchter und Barkassenkapitäne, denen die Schwüle der Nacht und die Hitze der Tage nichts anhaben konnten.
Alaska hatte nichts von alldem.
Es war kalt bei Tag und noch kälter in den Nachtstunden, in denen die Wölfe heulten und Polarlichter giftgrüne Schimmer auf die Baumkronen warfen. Es war ein Land, in dem Menschen verloren gingen, und wenigstens diese Eigenart fand bei Rogan Gefallen.
Er ritt zwischen zwei größeren Mooren hindurch, die von Mooswiesen und hohem Gras umgeben war, und erspähte vor dem Waldsaum auf nordwestlicher Seite ein einzelnes Haus. Er hatte in Anvik von Männern gehört, die sich an Ranches im alaskischen Kernland versuchten und oft mit ihren ganzen Familien in die Wildnis zogen.
Bei dem Haus täuschte Rogan sich nicht.
Es gehört zu einer winzigen Ranch, die an einem Zufluss des Yukon River erbaut worden war und über eine Scheune und einen Viehstall verfügte. Die Weiden grenzten an das benachbarte Moor und ertranken im Schlamm. Aus dem Schornstein des Hauses kräuselte ein dünner Rauchfaden.
»Jemand hier?«, rief Rogan und verfluchte seine krähende Stimme. »Ich suche Arbeit! Möchte arbeiten bei Euch!«
Aus dem Haus trat ein älterer Mann mit einer Flinte in der Hand. Er trug ein schilfbraunes Hemd, dazu Stiefel aus Rindsleder und eine bestickte Weste mit geschliffenen Knochenscheiben anstelle von Knöpfen. »Bei uns hat keiner Arbeit! Keinen einzigen Dollar zu verschenken, Mister!«
Der Mörder aus Kansas lächelte und schwang ein Bein über das Sattelhorn. Er spähte nach der Frau des Ranchers, die ängstlich und scheu hinter der Tür stand. »Pat Rogan heiß’ ich! Möchte Ihnen Arbeit gegen Kost und Wohnstatt anbieten!« Er zog den Hut. »Auch Ihnen, Ma’am!«
Der Rancher hielt das Gewehr in halber Höhe und kam unter dem Verandadach hervor. Er hatte hellgraues Haar, das in Wellen über seinem Kopf lag. »Gregory Bonesteel ist mein Name. Ich muss Sie bitten, von meinem Land zu verschwinden.«
»Lass ihn, Greg!«, tönte verhalten die Stimme von Bonesteels Frau herüber. Sie trat über die Schwelle und blieb an der Verandabrüstung stehen. »Er ist abgekämpft und gewiss lange geritten. Es schadet nicht, ihn für eine Nacht aufzunehmen.« Sie schaute zu Rogan. »Sie sind ein rechtschaffener Mann, nicht wahr?«
»Ob rechtschaffen oder nicht«, entgegnete Rogan laut und mit einem Lächeln, »darüber mag der liebe Herrgott befinden. Ich bin fleißig und ein guter Reiter.« Er deutete zum Viehstall. »Hab’ in Kansas und Nebraska Rinder getrieben! Könnte Ihnen zur Hand gehen, Mr. Bonesteel!«
Der Besitzer der Ranch behielt den Fremden scharf im Blick. Er kam ein gutes Yard näher und nahm das Gewehr herunter. »Eine Nacht gewähre ich Ihnen! Aber ich bin auf der Hut!«
☆
Unterhalb von Fort Yukon lagen bereits vier Dampfboote am Steg, als sich die Alaskan Sea mit dröhnendem Horn ankündigte. Der Flussdampfer mit dem Heckschaufelrad fuhr einen weiten Bogen um seine Schwesterschiffe herum und schob sich langsam steuerbords an die Uferböschung.
»Fort Yukon!«, tönte die Stimme des Stewards über die Decks. »Fort Yukon, Ladys and Gentleman! Eine Gelegenheit für frische Waren! Eine Gelegenheit für Landgang!«
Aus den Kabinen des eleganten Flussschiffes strömten die Passagiere mit ihren Kindern und ließen ihr Gepäck zur Landungsbrücke bringen. Sie lärmten und beklagten das kühle Wetter, das über Nacht hereingebrochen war; einige Männer nahmen Abschied von den Bekanntschaften, die sie an Bord gemacht hatten.
Lassiter harrte auf dem Promenadendeck aus.
Er stand neben Marianne Flynn an der Reling und betrachtete den Strom der Reisenden, der nicht eilig genug von Bord des Schiffes kommen konnte, das in den letzten Tagen seine Heimat gewesen war. Die schöne Texanerin neben ihm brach das Schweigen zuerst.
»Du wirst mich hoffentlich vermissen«, sagte Marianne und nahm einen tiefen Atemzug. »Ich darf mit deiner Diskretion rechnen, was meinen Mann angeht. Er mag ein Hurenbock sein, aber letztlich ist und bleibt er ein eifersüchtiger Dummkopf.«
Der Mann der Brigade Sieben wandte sich halb zu ihr um. »Niemand wird von uns erfahren, Marianne. Es gibt Geheimnisse, die man nicht weiterträgt.«
Die Texanerin hatte ihn über seinen Auftrag ausgehorcht, hatte jedoch eher aus Neugier gefragt als aus Kalkül. Sie hatte für sich beschlossen, in Fort Yukon nicht länger als eine Nacht zu bleiben. »Werde ich dich wiedersehen?«
Auf der Landungsbrücke war eine ältere Frau gestolpert und hatte den Koffer ihres Nebenmannes ins Wasser geworfen. Sie zeterte und lamentierte, dass die Stewards einschreiten und sie unter Komplimenten ans Land begleiten mussten.
»Vermutlich nicht«, blieb Lassiter bei der Wahrheit. »Es sind schwierige Dinge, die ich in Fort Yukon erledigen müssen. Ich arbeite für Männer, die sich auf mich verlassen.« Er lächelte. »Ich darf mich nicht ablenken lassen.«
Eine Spur Wehmut lag in Mariannes Augen. »Ich habe die Nächte mit dir genossen. Ich hätte ahnen müssen, dass es nicht ewig währt.« Sie berührte seine Hand auf der Reling. »Wohin gehst du jetzt? Wirst du in Gefahr geraten?«
Ruhig richtete Lassiter den Blick auf die Yukon-Ebene, hinter der sich eine schneebedeckte Gebirgskette erhob. Er wusste, dass jedermann diesem rauen Land zum Opfer fallen konnte. »Nicht an diesem Abend, Marianne. Aber ich weiß nicht, was die Zukunft bringt.«
Sie küsste ihn auf die Wange, strich mit der Hand an seinem Oberarm hinunter und entfernte sich einige Schritte. »Pass auf dich auf, großer Mann! Ich würde dich vermissen.«
☆
Die schlammigen Wege zwischen den Holzbohlenbaracken von Fort Yukon waren gespickt mit Passagieren und Kofferträgern, als Lassiter eine halbe Stunde darauf den Apothekenladen von Frank Hammond aufsuchte. Der Laden lag zwischen der Anglikanerkirche und den Tennington Stables , in denen Pferde und Fuhrkarren zur Vermietung bereitstanden.
Hammond trug einen Kneifer und hantierte mit einem Erlenmeyerkolben.
Er war ein schlanker Mann in einem passend geschneiderten Sakko, der näselnd sprach und keinen Hehl aus seinen großstädtischen Gewohnheiten machte. Er schüttete eine trübe Flüssigkeit in den Kolben und schwenkte ihn einige Male.
»Sir«, grüßte Lassiter und sah sich in der beengten Apotheke um. »Ich brauche dringend ein Schmerzmittel gegen die Gicht. Ich bringe mich noch um deshalb.«
Bis unter die Decke reichten die Wandregale, die mit drei Zoll hohen Flaschen und Gläsern vollgestopft waren. An den Einlagebrettern waren Messingschilder befestigt, auf denen medizinische Bezeichnungen standen. Die Handschrift war filigran und sauber.
»Gicht?«, meinte Hammond und lugte durch den Kneifer nach Lassiter. »Sie sehen mir zu jung für Gicht aus. Genauso gut könnten Sie am Reiterfieber leiden.« Er stellte den Kolben beiseite und schritt um die Registrierkasse herum. »Sitzen Sie oft im Sattel? Frieren Sie oft? Dieses Land ist tückisch für den gemeinen Amerikaner.«
»Einzig die Gicht«, gab Lassiter zur Antwort und lenkte das Gespräch in einer andere Richtung. »Was haben Sie vorrätig? Todd’s Painkiller ? Tino Iron ? Wie sieht’s mit Best’s Butterflies aus?«
Der Apotheker zog eine Braue hoch und erteilte die Antwort, auf die Lassiter schon an Bord der Alaskan Sea gehofft hatte. » Best’s Butterflies ? Sie sind schon der zweite Kerl in dieser Woche, der danach fragt!«
»Litt er auch an Gicht?«, fragte Lassiter und sah sich die Regale näher an. Er zog eine Tinktur hervor, die mit einem Dreieck und einer stilisierten Schlange auf dem Etikett gekennzeichnet war. »Ich möchte darauf wetten, dass dieser Bockmist in Alaska verbreitet ist.«
»Sie heilt jedenfalls nicht von starken Worten«, murrte Hammond und nahm Lassiter die Tinktur aus den Fingern. Er stellte die Flasche an ihren Platz zurück und nahm den Kneifer ab. »Der Bursche sah mir nicht krank aus. Er lebt derzeit oben bei den Bonesteels. – Zahlen Sie in Dollars oder Gold?«
»Dollars«, meinte Lassiter und trat vor eine Lithographie, die Hammond zwischen die Regale gehängt hatte. Sie zeigte ein schroffes Bergmassiv, unter dem herumziehende Indianer lagerten. »Verdienen Sie gut an der Gicht?«
Die Registrierkasse klapperte und gab mit einem klingenden Geräusch das Ergebnis aus. Hammond schrieb es auf und wickelte das Papier um die Schachtel Best’s Butterflies , die er unter der Theke hervorgeholt hatte. »Unsere Zunft verdient an jeder Krankheit, Mister. Der Kerl und Sie sind bei solchen Schmerzen zu bedauern. Die Butterflies sind das schärfste Mittel diesseits der kanadischen Grenze. – Zwei Dollar und fünfundsiebzig Cents macht’s für Sie.«
Zügig holte der Mann der Brigade Sieben einige Münzen aus der Hosentasche und zählte sie Hammond auf den Tisch. Er hatte einen Vierteldollar zu viel erwischt. »Behalten Sie’s, Mr. Hammond, ich danke für alles.«
Der Apothekenbesitzer legte den Kopf schief. »Ich habe zu danken, Sir.«
☆
Schwerer Zigarrenqualm zog über die Tische des Blackbear’s Saloon , in dem Captain John Senecal den vierten Pokersieg in Folge einstrich. Er griff mit beiden Händen nach dem Pot, in dem außer einigen Dollars das Miederhöschen von Frenzy-Phan lag, die hinter Senecal stand und ihm den Nacken knetete.
»Heilige Alaskaeule!«, schrie Bobby-Tim-Bobby und knallte sein Blatt auf den Tisch. »Wie ist dieser Teufelskerl dazu gekommen? Wie ist er bloß dazu gekommen?«
Vor Senecal lag ein Royal Flush aus Pik-Karten.
Der Kommandant von Fort Yukon warf seinem Freund Bobby-Tim-Bobby, der wegen seines treuen Hundes Tim so hieß, einen mitleidigen Blick zu und steckte Frenzy-Phan zwei Dollar zu. Die Chinesin strahlte ihn freudig an und schwang ein Bein über seinen Schoß.
»Auf, Freunde!«, brüllte Senecal und klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch. »Die nächste Runde bringt euch mehr Glück! Ich kann das Schicksal nicht ewig herausfordern!«
Die anderen Spieler am Tisch waren Minenarbeiter aus den Bergen südlich des Yukon, die davon geträumt hatten, die kargen Golderlöse an Senecals Tisch zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Sogar aus Beaver kamen sie zu den Blackbear’s -Pokerrunden, in denen Tausende Dollars über den Tisch wanderten.
Keiner von ihnen bemerkte den Fremden vier Tische weiter.
Gewöhnlich hatten die Männer ein Auge für die Zugereisten, die oft nur für eine Nacht von der Alaskan Sea oder der Shovun oder der Thirdmile stiegen und sich am wilden Geist Alaskas berauschten. Sie zettelten gern Streit mit den Ortsfremden an, die ihnen dann die Drinks ausgaben, um den Ärger beizulegen.
Der Fremde an Tisch No. 9 war keiner von dieser Sorte.
Er hatte sich still an den Mädchen vorbeigeschlichen, die hinter den Eingangstüren die Röcke schwangen, und einen schlichten Scotch auf Eis bestellt. Er hatte die Pokerkarten abgelehnt, die man ihm hingelegt hatte.
Kurzum hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen.
Hätte Senecal in diesen Minuten weitergespielt, wie es Art und Weise im Blackbear’s war, wäre ihm der Fremde ebenfalls entgangen. Er legte jedoch eine Pause im Spiel ein, nachdem zwei Minenarbeiter ihre Stühle umgeworfen hatten und wutschnaubend gegangen waren. Er hatte ihnen zweitausend Dollars in Goldstaub abgeknöpft.
»Bobby-Tim!«, rief Senecal und wies mit Hand über die Tische. »Wer ist der Bursche im Staubmantel dort drüben? Er kommt mir nicht koscher vor.«
Der ehemalige Deputy Bobby Rickley, der sich inzwischen mit »Bobby-Tim-Bobby« abgefunden hatte, reckte leicht den Hals. Er spähte zu Tisch No. 9 hinüber, an dem der Fremde in seinem Scotch rührte. »Ist gerade heute mit der Alaskan Sea gekommen. Er zeigt ’ne Ambrotypie von einem Kerl in der Stadt herum.«
Stirnrunzelnd setzte sich Senecal auf. »Eine Ambrotypie? Was für eine Ambrotypie? Ist der Mistkerl ein Kopfgeldjäger?« Er seufzte. »Ich will Frieden in der Stadt.«
»Er sieht mir nicht danach«, sagte Rickley und zuckte mit den Schultern. »Man könnte ihn für einen Handelsvertreter halten. Auf der Alaskan Sea hat er in der feinsten Suite gewohnt, die es auf dem Kahn gibt.«
Ohne recht auf Rickley zu hören, sah Senecal dem Fremden eine Weile zu. Er konnte die glänzende Glasplatte in dessen Hand erkennen, die sich im Schein der Kronleuchter unter der Decke spiegelte.
In der Tat reichte er die Ambrotypie herum.
Durch Senecals Adern rauschte kalte Wut, die sich vor allem aus der Erinnerung an Will Turner speiste, der vor zwei Jahren einen Dieb verfolgt und mitten auf der Mainstreet erschossen hatte. Er hatte Yukon in Furcht versetzt und Senecal unbequeme Fragen eingebrockt.
So weit durfte es nicht wieder kommen …
Nach längerem Grübeln stand Senecal auf und lief zu dem Tisch hinüber, an dem der sandblonde Mann mit der Ambrotypie im Gepäck saß. Er stellte sich als Kommandant von Fort Yukon vor und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite.
»Nun, Mister … Mister …?«, fragte Senecal und lehnte sich zurück. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Mister Lassiter«, antwortete der Fremde mit sanfter Stimme. Er zückte die Ambrotypie und gab sie über den Tisch weiter. »Ich suche nach diesem Mann. Er könnte sich in Fort Yukon aufhalten.«
Die Kollodiumschicht auf dem Glas hatte den Anblick eines pockennarbigen Weißens festgehalten, der erhaben in die Ferne schaute. Er hielt eine Bibel in der Hand und umfasste mit der anderen den Fahnenstock eines Sternenbanners.
»Mir sieht dieser Kerl nach einem guten Patrioten aus«, meinte Senecal und zeigte die Ambrotypie den Umstehenden. »Ich hege die Befürchtung, dass Sie aus ganz anderen Gründen zu uns gekommen sind.«
Der Mann, der sich Lassiter genannt hatte, erbat die Ambrotypie zurück und verstaute sie in der Tasche unter dem Tisch. Er sah zu Senecal auf und lächelte. »Ich bin nur wegen dieses alten Freundes hergekommen.«
»Wegen eines alten Freundes«, knurrte Senecal und beugte sich nach vorn. »Sind Sie ein Kopfgeldjäger? Oder ein Killer?«
»Nein«, gab Lassiter zur Antwort. »Ich muss nur Mr. Rogan finden.«
Allmählich schwante Senecal, dass er in dem Fremden kein leichtes Gegenüber hatte. Er fühlte sich an die beiden Pinkerton-Männer erinnert, die von der Canadian Pacific heraufgeschickt worden waren, als Indianer zweihundert Yards frisch verlegtes Gleis gestohlen hatte.
Die beiden Männer hatten nichts als Ärger gestiftet.
»Bei uns in Fort Yukon haben wir eigene Regeln«, stellte Senecal klar. »Eine davon ist, dass wir keinen bewaffneten Männern erlauben, quer durch das Stadtgebiet zu marschieren.« Er machte eine Pause. »Von Pinkerton-Leuten ganz zu schweigen.«
»Ich arbeite nicht für Pinkerton«, sagte Lassiter. »Ich will nur einen alten Freund finden.«
Senecal verlor die Geduld und wurde laut. »Sie werden keine Menschenseele in Fort Yukon suchen. Die Stadt ist voller ehrenwerter Männer, die über jeden Verdacht erhaben sind.«
Die übrigen Spieler drehten sich nach Senecal um, der längst wieder am Tisch sitzen sollte. Sie zogen vergnügte Gesichter und winkten mit den Karten. »Pot, Mr. Senecal! Es liegt Gutes im Pot! Spielen Sie mit uns!«
Die Blicke von Senecal und dem Fremden begegneten sich, als Lassiter die Ambrotypie soeben in Papier schlug. »Wollen Sie mich ins Jail stecken, Kommandant? Ich richte nirgendwo Schaden an. Ich suche nur –«
»Sie suchen das Abenteuer!«, brauste Senecal auf. »Sie missachten meinen Befehl schon jetzt. Ich verlange von Ihnen, dass Sie einen unbescholtenen Mann in Frieden lassen.« Er wurde ernst. »Falls ich Klagen höre, lasse ich Sie nach Anvik expedieren.«
Der Fremde schaute zu Boden und ließ kein Wort über die Lippen.
Als Senecal in die Pokerrunde zurückkehrte, leerte er seinen Scotch und ging.
☆
Das seichte Uferwasser des Porcupine River war hauchdünn gefroren, als Emily Bonesteel an diesem Morgen am Fluss eintraf und aus dem Sattel stieg. Das sechszehnjährige Mädchen mit den hellblonden Zöpfen lief zu den beiden Pappeln am Wasser, stemmte sich mit einem Bein zwischen die rissigen Stämme und sah auf den Strom hinaus. Sein Blick fiel auf das alte Bootshaus, dessen Dachfirst im vergangenen Sommer eingestürzt war.
Thomas hatte das Bootshaus gebaut.
Sein Todestag hatte sich am letzten Sonntag zum sechsten Mal gejährt, und Emily hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass ihr ältester Bruder dem gemeinsamen Mittagsmahl fernblieb und seine Schwester nicht länger zum Heuschober jagte, nur weil ihm gerade danach war.
Im Namen des Vaters …
Der Reverend hatte das Vaterunser zur Totenmesse gesungen, obwohl er liturgische Gesänge sonst mied wie der Teufel sprichwörtlich das Weihwasser. Der Geistliche hatte damit Emilys Bitte entsprochen, die sich nicht hatte vorstellen können, dass Thomas’ Begräbnis still und ohne einen Hauch Freude ablief.
Manchmal waren sie ein Herz und eine Seele gewesen.
Sie waren damals zu jung gewesen, um zu begreifen, welche Kraft ein geschwisterliches Band hatte, aber von zu Zeit hatten sie dessen Magie gespürt. Sie waren dann zum Fluss hinuntergeritten, zur gleichen Stelle, an der Emily jetzt saß und einen Fuß ins eiskalte Wasser hielt.
Vor fünf Jahren hatte Vater das Bootshaus geräumt.
Er hatte ein Geheimnis daraus gemacht, wie er es mit allen Sachen tat, die ihm nahegingen, und im Morgengrauen Thomas’ Kanu und seine Jagdspeere herausgeholt. Das Bootshaus hatte danach leer gestanden, bis ihm ein Wintersturm das Dach weggefetzt hatte.
Thomas …
Emily sprang zwischen den Pappeln hervor und lief am Ufer entlang, bis sie auf dem schmalen Pfad zwischen dem Fluss und dem Bootshaus war. Sie hüpfte über die Hölzer, die ihr Bruder im feuchten Boden vergraben hatte, um das Kanu rascher aus dem Wasser zu bekommen, und bahnte sich einen Weg durch das frische Gras.
Sie musste an Pat Rogan denken.
Der Tagelöhner war vor einer knappen Woche zu ihnen gekommen und hatten ihren Vater um Arbeit auf der Ranch gebeten. Er sah Thomas mit seinem breiten Kinn und den gelockten Haaren ähnlich, wenn auch auf eine entfernte und ungewohnte Art.
Emilys Mutter hatte ihn von Anfang an verabscheut.
Sie hatte ihm zornig das Abendbrot auf den Tisch geknallt und ihn gescholten, als er ein Stück zähes Fleisch auf dem Teller gelassen hatte. Sie hatte ihm das miserabelste Zimmer im Bunkhouse gegeben, und Pat hatte deswegen nicht einmal gemurrt.
Er schien sanftmütig wie Emilys Bruder zu sein.
Die Rancherstochter hörte zwei Stimmen in der Ferne und drehte den Kopf.
Sie wusste von ihrem Vater, dass er mit Pat zum Fluss hinunterkommen wollte, um den Rinderzaun an der Nordostbiegung zu reparieren. Ein halbes Dutzend Kälber war im letzten Sommer durch den löchrigen Zaun davongelaufen, und sie waren den Biestern eine halbe Woche lang nachgeritten.
Im Stillen freute sich Emily auf Pat.
Sie sah ihm gern in das etwas unförmige Gesicht, in dem zwei flinke Augen saßen, die jede Situation in kürzester Zeit erfassten. Sie hatte ein oder zwei Sätze mit ihm gewechselt und mochte, wie er sprach; sie mochte, dass es nach Tennessee und Kansas und nicht nach dem ewigen Alaska-Slang klang.
»Kommen Sie, Pat! Hier unten ist es!«
Die gleichförmige Stimme ihres Vaters war so unverkennbar, dass Emily weiter auf den Fluss hinaussah. Sie war im hohen Gras vor Entdeckung sicher und würde sich erst zu erkennen geben, sobald Pat mit der Arbeit anfing und sich nicht mehr zurückziehen konnte.
»Siebzig Dollar sind ’ne Stange Geld!«, rief Emilys Vater Gregory und stieg von seinem Pferd. Er schnallte die Schaufeln vom Sattel und rammte sie in die feuchte Erde. »Sie hätten den Kram günstiger kriegen können. Kaum einer verlangt Wucherpreise in Alaska. Man würde ihn aufs nächste Dampfboot jagen und ihm die Dollars hinterherwerfen.«
Pat stieg ebenfalls ab und streckte sich genüsslich. »Wollte die Scholle Land nicht zu dem Preis, Greg, können sie mir glauben. Ich hatte die Nase voll von Texas und der Tagelöhnerei. Ich wollte mich selbst mit Rindern versuchen.« Er seufzte. »Aber Dollars hatte ich keine, und Sie wissen, wie es ohne Dollars zugeht.«
Der Rancher warf Pat eine Schaufel zu, schulterte die andere und stieg zum Fluss hinunter. Er watete mit den Stiefeln ein Stück ins Wasser und zog den hölzernen Rinderzaun vom Grund herauf. Die Zaunpfosten hingen lose an den Querlatten. »Früher führte der Porcupine weniger Wasser. Ich werd’ gut Hilfe brauchen. Ist ’ne schwere Arbeit.«
Schweigend begann Pat zu schaufeln und hob in einer Viertelstunde die Löcher für fünf neue Pfosten aus. Er strich sich die Locken zurück und wollte sich an eine weitere Grube machen, als Emily am Bootshaus vorbei zu den Männern lief.
»Kleines!«, rief Emilys Vater aus und schob sich verblüfft den Hut aus der Stirn. »Wo treibst du dich herum? Du solltest Mutter mit den Bohnentöpfen helfen. Sie wartet auf dich.«
Die dünnen Eisschollen auf dem Porcupine knackten in der Wärme der Vormittagssonnen und brachen auseinander. Einige von ihnen lösten sich und trieben auf dem Fluss davon.
»Ach, Pa!«, sagte Emily. »Ich wollte bloß zum Bootshaus hinunter. Du weißt schon, aus welchem Grund.« Sie äugte zu Pat und wippte auf den Füßen. »Könnt ihr es nicht auch reparieren? Der Firstbalken ist eingeknickt … Es braucht doch bloß ein Dach.«
Obwohl er einen guten Steinwurf von ihr entfernt stand, sah Emily, dass die Züge ihres Vaters versteinerten. Sie wusste, wie tief in Thomas’ Tod getroffen hatte, und sprach ihn nicht gern darauf an. Doch es ging um das Bootshaus und mithin um etwas, das für ihren Bruder von Bedeutung gewesen war.
»Auf der Ranch ist genug zu tun«, sagte der Rancher und riss einen morschen Pfosten aus dem Zorn. Er schleuderte ihn zum Ufer hinüber und wischte sich den Mund ab. »Uns bleibt keine Zeit dafür, Emily. Das Holz fehlt uns auch.«
Dass ihr Vater nicht die Wahrheit sagte, war so offensichtlich, dass Emily auf ein Widerwort verzichtete. Sie hatte die Holzstapel am Wasserturm gesehen, die sich jeden Sommer vergrößerten. Die Kenning Lumber Company brachte so viele Stämme nach Fort Yukon, dass die Lagerplätze ausgegangen waren.
»Ich könnte mich darum kümmern«, sagte Pat und grub weiter. Er hatte Emily bisher keines Blickes gewürdigt. »Ich könnte mich ums Bootshaus kümmern. Könnte ein gutes Lager für die alten Rinderzäune abgeben, die wir an der Mündung wegnehmen müssen.«
Nach wie vor zeigte sich keine Regung in den Zügen des Ranchers. »Mach, was du willst, solange es nicht bezahlte Arbeit ist. Ich geb’ dir Holz und einen Eimer Nägel.« Er richtete sich auf und drohte Pat mit dem Finger. »Aber ich will dich sieben Uhr früh auf dem Pferd sehen.«
☆
Von den erleuchteten Fenstern des Blackbear’s Saloon fiel Licht in den morastigen Hinterhof, auf dem ein heruntergekommenes Fuhrwerk und einige ausrangierte Frachtkisten der Alaska Commercial Company standen. Die Saloonbesitzer hatten zudem zerbrochene Flaschen in den Schlamm geworfen, in denen fauliges Wasser stand und widerwärtigen Gestank verbreitete.
»Frenzy-Phan«, sagte die Chinesin und lehnte sich aus der Tür. Sie trug ihr Miederhöschen wieder, das sie zuvor auf dem Pokertisch verspielt hatte. »Eigentlich nur Phan. Ich kam vor vier Jahren mit dem Dampfer nach San Francisco.«
Der Mann im Halbdunkel rauchte einen Zigarillo, dessen Spitze bei jedem Zug aufglühte und wieder erlosch. Er hatte das Blackbear’s verlassen wollen, war aber von Frenzy-Phan zurückgehalten worden.
»Ich brauche einige Informationen«, sagte Lassiter und schlug die Asche ab. »Du kannst ein paar Dollar damit machen.«
Die geschwungenen Augen der hübschen Chinesin weiteten sich fröhlich. »Zwanzig Dollar für Senecal, zwanzig Dollar für die Ranch und zwanzig für alles Weitere. Ich muss sehen, wo ich bleibe.«
Die Männer von Captain John Senecal hatten Lassiter aus dem Saloon gejagt, nachdem der Kommandant vor allen Gästen erklärt hatte, dass er diese Visage – gemeint war Lassiters – nicht mehr aushalte. Er hatte den Mann der Brigade Sieben einen miesen Kopfgeldjäger und Dollar-Häscher genannt, woraufhin die Stimmung im Saloon gekippt war.
Lediglich Frenzy-Phan hatte sich nicht von der Aufregung anstecken lassen.
Sie hatte das Lokal durch eine Seitentür verlassen und Lassiter zugeraunt, dass er sie in einer Viertelstunde auf dem Hof des Blackbear’s treffen solle. Sie könnte ihm, hatte die Chinesin versprochen, alles über Senecal sagen, was er wissen müsse.
»Zwanzig Dollar«, erwiderte Lassiter und nickte. Er nahm Münzen aus der Tasche und gab sie Phan. »Erst einmal nur Senecal.«