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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2473, 2474 und 2475.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 399
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2019 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Boada/Norma
ISBN: 978-3-7517-6522-0
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2473
Geister der Vergangenheit
Lassiter 2474
Drei Särge auf Bestellung
Lassiter 2475
Spiel um dein Leben, Lassiter!
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Contents
Geister der Vergangenheit
Funkensprühend zischte das Ende der Lunte über das Pflaster auf ein in tiefer Dunkelheit liegendes Lagerhaus zu, und die Männer zogen sich in den Schutz der Fässer am Rande des Docks zurück. Amos Pakula empfing sie mit beunruhigter Miene. »Wo steckt Amora, verdammt?«, knurrte er. Duncan Hobbs’ Antwort gefiel ihm ganz und gar nicht: »Ich dachte, sie wäre hier bei dir …«
Als hinter den Hallenfenstern plötzlich ein Licht aufflammte, stockte Pakula der Atem. »Das darf nicht wahr sein«, flüsterte er. Die Silhouetten von Gestalten erschienen hinter dem Glas, und in einer davon glaubte er seine Lebensgefährtin zu erkennen.
Er streckte die Hand aus. »Nein!« Nur eine Sekunde später zerriss eine mächtige Explosion das Gebäude, und die Druckwelle warf ihn zurück bis an den Rand des Hafenbeckens.
Amos Pakula riss geblendet den Arm vor sein Gesicht, während sich ein gewaltiger Flammenpilz in den Nachthimmel erhob. Es sah aus, als hätte sich direkt vor ihnen ein Schlund zur Hölle aufgetan.
»Heilige Scheiße!«, kreischte Duncan Hobbs neben ihm hysterisch, und sein Bruder Liam lachte gackernd, bis ihn das Stück einer brennenden Dachlatte wie aus dem Nichts an der Schulter traf und den Stoff seiner Jacke in Brand setzte. Hektisch klopfte er auf die kleinen Flammenzungen und verzog schmerzerfüllt die Lippen.
Entgeistert ging Amos Pakula ein paar Schritte in Richtung des mörderischen Infernos, bis die unerträgliche Hitze des Feuers ihn zum Stehen brachte.
»Amora, mein Gott«, murmelte er fassungslos.
Inmitten der Flammen, die sich gierig in das Diebesgut des Kalgorian-Clans fraßen und bereits Teile der hölzernen Wände zum Einsturz brachten, glaubte er, ein paar taumelnde Schemen auszumachen, und er hörte gellende Schmerzensschreie, doch es war unmöglich, länger als einen kurzen Moment aus schmalen Augen in die Flammenhölle zu starren, ohne das Gefühl zu haben, dass einem die Augäpfel schmolzen.
Wie hatte das passieren können? Ihr Spitzel bei den Kalgorians hatte ihm noch am Morgen hoch und heilig versichert, dass die Lagerhalle menschenleer sein würde, weil die Bande ihr Jahrestreffen im Apostels auf Coney Island abhielt.
Wenn sich doch ein oder zwei Wächter von seinem Späher unbemerkt in der Halle aufgehalten hatten, würde das Pakula keine Träne entlocken.
Aber Amora … seine Geliebte, die Frau seines Lebens! War sie von jemandem überrascht worden, als sie dreist wie immer noch eine Botschaft an ihre Erzfeinde hatte hinterlassen wollen?
Die Antwort war so grausam wie offenkundig. Wäre sie rechtzeitig aus der Halle entkommen, würde sie jetzt neben ihm stehen.
Pakula ballte die Fäuste, wirbelte herum und marschierte mit ausgreifenden Schritten auf die Hobbs-Brüder zu. Er packte Duncan am Jackenkragen und schüttelte ihn.
»Ihr elenden Bastarde habt die Lunte angezündet, bevor Amora wieder bei euch war! Ich schneide dir die Eier ab und werfe sie den Ratten zum Fraß vor, Duncan!«
»Nein, warte, Amos!« Liam packte ihn am Arm und sah ihn eindringlich an. »Sie … sie hat uns gesagt, wir sollen ihr fünf Minuten geben, und sie wollte durch den Hintereingang abhauen!« Er rollte mit den Augen und beteuerte: »Amora hat ausdrücklich befohlen, genau fünf Minuten und keine Sekunde länger.«
Nach einem kurzen Blick in die Flammen sah er seinen Anführer hoffnungsvoll an. »Vielleicht ist sie schon auf dem Weg ins Nest , Boss!«
Die Glocken mehrerer Fuhrwerke der städtischen Feuerwehr mischten sich in das Prasseln des Feuers. Sie schienen nicht mehr weit entfernt zu sein. Pakula knirschte mit den Zähnen und öffnete zögernd die Finger seiner Fäuste, um Duncan Hobbs loszulassen.
»Wir müssen weg, Boss«, murmelte der Einäugige kleinlaut und zog sich den derangierten Kragen seiner Jacke zurecht.
Pakula nickte widerwillig, und sie wandten sich zur Flucht.
Ein fauliger Geruch erfüllte die feuchte Luft, als sie über das glänzende Kopfsteinpflaster am Ufer des Hudson Rivers hasteten. Das Läuten der Feuerwehren war hinter ihnen und wurde leiser, je weiter sie sich vom Brandherd entfernten. Pakula hatte seine Augen überall, weil er stetig damit rechnete, dass uniformierte Bullen der Hafenpolizei ihren Weg kreuzen würden. Doch in diesem Fall hatten sie Glück. Als sie nach fünf Minuten die Canal Street erreichten und kurz darauf den von Gaslaternen erleuchteten Broadway, waren sie keinem einzigen Ordnungshüter über den Weg gelaufen.
Das Nest , ihr verschwiegener Rückzugsort, war ein Kellergewölbe im Herzen von New Yorks Amüsierviertel Soho. Die Räume erstreckten sich über einen viertel Häuserblock unterhalb eines Bordells, einer Wäscherei und einer Kaschemme mit dem vielversprechenden Namen Devil’s Lounge , die Amos’ Cousin Sebastian betrieb.
Der rothaarige Hüne stand heute selbst hinter dem Tresen und hatte alle Hände voll zu tun, denn die Stühle an den Tischen und auch die meisten Barhocker vor der Theke waren von durstigen Gästen besetzt. Als er die düsteren Mienen der Ankömmlinge bemerkte, verscheuchte Sebastian ein angeheitertes Pärchen, das am Thekenende hockte und angesichts seiner strengen Miene ohne Murren Platz machte.
»Was ist schiefgegangen?«, fragte er Amos, als der sich mit beiden Armen auf dem vernarbten Holz der Thekenplatte abstützte.
Sebastian war kein Freund vieler Worte und verfügte schon immer über eine schnelle Auffassungsgabe.
»Ist Amora aufgetaucht?«, stellte Amos eine Gegenfrage und schloss für einen Moment die Augen, als sein Cousin den Kopf schüttelte.
»Goddam!«
Der Rothaarige stellte den Männern kurzentschlossen drei Krüge Bier hin, und die Hobbsbrüder ergriffen ihre und tranken wie Verdurstende.
»Also, was ist passiert?«, raunte Sebastian, und Amos starrte ihn über den Tresen hinweg unter halb geschlossenen Lidern an.
»Unser Spitzel hat Scheiße erzählt. Ich weiß nicht, warum, aber es waren Leute in der Lagerhalle.«
Sebastian legte die Stirn in Falten. »Was? Stinky Iggs war immer zuverlässig, das kann ich kaum glauben.«
»Es ist aber so gewesen, Seb«, brummte Pakula stirnrunzelnd, während seine Gedanken im Hirnkasten einen wilden Tanz aufführten wie in Brand gesetzte Grashüpfer.
»Ihr habt aber trotzdem das Dynamit gezündet, oder? Hab doch vorhin die Feuerwehrzüge auf dem Broadway gehört.«
Pakula nickte grimmig.
»Und Amora …« Sebastians Augen weiteten sich. »Soll das heißen, sie war noch … da drin?«
Pakula biss die Zähne zusammen und starrte mit finsterer Miene in seinen Bierkrug. Sein Cousin verzog das Gesicht, beugte sich vor und legte Pakula mitfühlend die Pranke auf die Schulter.
»Scheiße, Amos …« Er sah sich kurz um, während er nachdachte.
»Hör zu, besser ihr verzieht euch nach unten. Ich werde sofort Billy losschicken, der soll sich bei den Bullen umhören. In einer Stunde wissen wir mehr, okay?«
Die Blicke der Cousins trafen sich, und nach einem Moment nickte Amos Pakula. »Also gut. Du gibst mir Bescheid, sobald du etwas erfahren hast.«
»Natürlich.« Sebastian versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln. »Gib die Hoffnung nicht gleich auf, Amos. Sie treibt sich bestimmt noch irgendwo da draußen rum.«
☆
Der Optimismus von Sebastian erwies sich als ebenso unbegründet, wie das Netz der Spitzel und Schmiergeldempfänger von Pakulas Bande für einen zügigen und zuverlässigen Informationsfluss sorgte.
Und so waren kaum zwei Stunden verstrichen, als Sebastian sich im Nest einfand und mit einem ganzen Strauß schlechter Nachrichten aufwartete.
Es begann damit, dass die Kräfte der Feuerwehr ein halbes Dutzend völlig verkohlter Leichen aus der Lagerhalle geborgen hatten und niemand von Verletzten zu berichten wusste – auch in sämtliche Krankenhäuser von Manhattan waren Männer geschickt worden, die ohne Ergebnis zurückkamen. Somit musste Amos Pakula sich nun endgültig der Tatsache stellen, dass sein Vorhaben, die Konkurrenz in Lower Manhattan aus dem Feld zu schlagen, seine Lebensgefährtin das Leben gekostet hatte.
Doch das war nicht die einzige Hiobsbotschaft. Denn bei den anderen Opfern des Sprengstoffanschlags handelte es sich keineswegs nur um ein paar unglückselige Nachtwächter des Kalgorian-Clans.
»Bisher sind das nur Gerüchte, Amos«, sagte Sebastian, als sie sich bei einer Flasche Whiskey unten im Keller gegenübersaßen. Allein, denn die Hobbsbrüder hatte Amos bereits in weiser Voraussicht fortgeschickt mit dem Befehl, sich für ein oder zwei Wochen unsichtbar zu machen. »Aber du kennst meine Informanten bei den Bullen. Sie hören das Gras wachsen.«
Die Miene seines Cousins sah im flackernden Licht der Öllampe aus, als müsse er ein Todesurteil verkünden, und Pakula wappnete sich, bevor er ihm zunickte. »Spuck’s schon aus, Seb.«
»Offenbar hat sich Bartholomew Kalgorian in der Halle aufgehalten, und zwar nicht allein. Er hat sich mit Gregory Sturgeon dort getroffen.«
Pakula wurde blass. »Sturgeon … das … das kann nicht sein …«
Sebastian zuckte nur die Achseln und rieb sich über die fliehende Stirn.
Fassungslos strich sich Pakula das schulterlange, rotblonde Haar aus dem Gesicht, und der Schock ließ ihn frösteln.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Er war erledigt, keine Frage.
Dass sich Bartholomew, einer der beiden Clanführer der Kalgorians, unter den Toten befand, war übel genug. Aber Gregory »die Echse« Sturgeon …
Er hatte vor wenigen Stunden den Polizeichef von Manhattan zur Hölle geschickt.
Sebastians Stimme drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr.
»Hör mir zu, Amos«, beschwor ihn sein Gegenüber. »Du musst die Stadt verlassen, noch heute Nacht. Sie wissen bereits, dass du hinter dem Anschlag steckst, und nicht nur der ganze Kalgorian-Clan, sondern auch sämtliche Bullen werden bald auf der Jagd nach dir sein.«
»Tausend Teufel«, presste Amos Pakula zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und starrte sekundenlang ins Leere.
Binnen weniger Stunden hatte sich der beherzte Versuch, sich zum Herrscher über das Verbrechen in Lower Manhattan aufzuschwingen, auf fatale und grausame Weise gegen ihn gewendet, und sein in wenigen Jahren aufgebautes scheinbar unaufhaltsam wachsendes Imperium brach gerade zusammen wie ein Kartenhaus.
»An der Vierzehnten steht eine Kutsche bereit, die bringt dich rüber nach Brooklyn.«
Pakula schaute auf und starrte in Sebastians wasserhelle Augen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es mal so weit kommen würde, Seb«, murmelte er resignierend. Seine sonst so volltönende Stimme hallte hohl und dünn von den feuchten Backsteinwänden wider.
Der rothaarige Hüne hob die mächtigen Schultern und schüttelte den Kopf. »Das hat keiner von uns. Man schaut immer nur nach vorn und glaubt an sich – bis die Faust des Teufels einen im Nacken erwischt. Aber gut, dass du vorbereitet bist.«
Pakula nickte. In der Tat gab es einen ausgeklügelten Fluchtplan für solche Fälle, und der trat nun in Kraft, setzte sich in Bewegung wie ein hoffentlich reibungslos funktionierendes Uhrwerk.
Die Männer erhoben und umarmten sich, und als Pakula seinem Cousin ein letztes Mal in die Augen sah, fehlten ihm die Worte.
Denn beide Männer ahnten, dass die Rache der Kalgorians andere Ziele finden würde, wenn sie den Kopf der Bande nicht in die Finger bekamen.
»Jetzt hau schon ab«, knurrte Sebastian, und Pakula marschierte an ihm vorbei in den dunklen Tunnel, der ihn zur vierzehnten Straße führen würde.
Wenige Stunden später verließ er New York. Den Big Apple, in dem er aufgewachsen und zu einem der erfolgreichsten Verbrecher seiner Generation geworden war – ohne die Stadt am Hudson jemals wiederzusehen.
☆
Bangor, Maine. Achtzehn Jahre später.
»Gestehen Sie, Adam!«
Der Angesprochene wirbelte herum, und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte so etwas wie Angst in seinen dunkelblauen Augen auf. Doch als er den pausbäckigen Mann mit dem breiten Grinsen hinter sich erkannte, entspannte er sich sofort.
»Grundgütiger, Mike! Wenn Sie sich ständig so lautlos anschleichen, bekommen Sie irgendwann versehentlich eine Gerade auf Ihren mächtigen Zinken verpasst!«
Michael Orville, der vierschrötige Sheriff von Bangor, lachte dröhnend und duckte sich tänzelnd unter einem unsichtbaren Schlag, bevor er Adam Nomad freundschaftlich gegen die Schulter boxte.
»Sorry, Richter. Ich wollte Sie doch nicht erschrecken«, behauptete der Sternträger und setzte eine schalkhafte Miene auf, die seine Worte postwendend Lügen strafte. Er beugte sich vor und senkte vertraulich die Stimme. »Aber mir dürfen Sie’s trotzdem verraten – es stimmt doch, was man sich im Rathaus erzählt, oder?«
Adam Nomad schob sich den weißen Stetson in den Nacken und lächelte seiner Frau Abigail zu. Sie erwiderte das Lächeln, und eine leichte Röte überzog ihr anmutiges Gesicht, bevor sie die Augen niederschlug, um den Stolz auf ihren Gatten nicht zu offenkundig werden zu lassen.
»Was meinen Sie, Sheriff?«, fragte Nomad in gespielter Ahnungslosigkeit mit schmalem Lächeln. »Dass ich Kenneth, den alten Geizkragen, der sich Bürgermeister nennt, endlich dazu überreden konnte, unserem Kirchenschiff ein neues Dach zu spendieren?«
Der Sternträger grinste kopfschüttelnd. »Eine weitere Heldentat auf Ihrem Konto, Adam. Aber nein, ich spreche davon, dass Sie in ein paar Monaten …«, seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, als ein älteres Ehepaar an den beiden vorbeiging und höflich grüßend die Köpfe neigte, »… für Maine im Senat sitzen werden.«
Nomad erwiderte den Gruß des Paars, indem er sich freundlich an die Hutkrempe tippte. Er wartete, bis die beiden sich ein paar Schritte weiter in die Schlange vor der Kirche einreihten, bevor er antwortete.
»So weit ist es beileibe noch nicht, Mike. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich mir nach wie vor nicht sicher, ob ich mich überhaupt zur Wahl stellen möchte. Es gibt eine große Zahl aussichtsreicher Kandidaten, und derzeit unterstütze ich meinen guten Freund Samuel McPherson, wie Sie wissen.«
Orville winkte verächtlich ab. »Ich bitte Sie, der alte Tattergreis sollte wirklich langsam mal in Pension gehen! Außerdem hat er selbst bei seiner Rede zum vierten Juli gesagt, Sie seien die Zukunft! Ich beschwöre Sie, Adam – packen Sie den Stier bei den Hörnern, ehe es …«
Seine folgenden Worte gingen im dröhnenden Läuten der Glocken unter, die vom Turm hinter ihnen die Bürger der Stadt zur Messe riefen.
Nomad tat den fragenden Blick des Sheriffs mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen ab und sagte: »Ich danke Ihnen für den Zuspruch, Mike. Aber ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie das Thema vorerst nicht weiter verbreiten. Geben Sie mir einfach noch eine Woche, dann wird Ihre Neugier befriedigt werden, in Ordnung?«
Orville legte feierlich einen Finger über seine fleischigen Lippen, konnte aber nicht umhin, sich vorzubeugen, um verschwörerisch zu flüstern: »Meine Stimme haben Sie sicher, Senator!«
Er stapfte an Nomad, seiner Frau und dem kleinen Sohn vorbei durch den Matsch zur Kirche hinüber. Adam tauschte kopfschüttelnd einen Blick mit Abigail, und sie schmunzelte.
»Dad, was ist denn eigentlich ein Zehnertor?«, fragte David und schaute neugierig zu seinem Vater auf. Der ging vor dem Jungen in die Hocke und sah ihm in seine hellen Augen.
» Ein Senator heißt das. Der achtet darauf, dass man die guten Menschen hier in Maine nicht vergisst, wenn in der Hauptstadt das Geld verteilt wird, das alle Leute in die Staatskasse einzahlen.«
Davids Augen weiteten sich, und er legte konzentriert die Stirn in Falten. »Was ist denn eine Stargasse?«
»Nun, da …«
»Und was ist die Hauptstadt?!«, fiel David noch eine Frage ein, mit der er den Versuch seines Vaters, ihm die komplizierte Welt wenigstens ansatzweise zu erklären, im Keim erstickte.
»Also … weißt du, mein Kleiner – ich glaube, dafür bist du noch etwas zu jung. Ich erkläre es dir, wenn du ein wenig größer bist, okay?«
David bohrte sich nachdenklich in der Nase, bevor er nickte. »Gut«, stimmte er zu, »dann eben morgen, Daddy.«
Grinsend fuhr Nomad seinem Sohn durch den rotblonden Schopf und richtete sich auf.
»Mal sehen, Kumpel«, brummte er vage und ergriff das kleine Händchen des Fünfjährigen, bevor sie gemeinsam zur Reihe der Kirchenbesucher aufschlossen, die sich nun langsam durch die offenen Türen ins Innere des Gotteshauses bewegte.
»Lange wirst du es nicht mehr unter dem Tisch halten können, Adam«, sagte Abigail mit leiser Stimme, was ihr einen strengen Blick des Gatten eintrug.
»Bitte, Abby, jetzt fang du nicht auch noch an. Am Wochenende wird Sam die Katze aus dem Sack lassen, aber bis dahin ist es immer noch sein Amt, um das es geht«, raunte er, und als sich mehrere Leute zu ihnen umdrehten, zog er höflich den Hut.
»Mr. Nomad … Adam … Wünsche einen schönen Tag … Erfreut, Sie zu sehen, Sir! … Gott sei mit Ihnen, Friedensrichter …«
Er reagierte auf die vielstimmigen Grüße mit einem routinierten Lächeln, in dem sich Bescheidenheit und Stolz die Waage hielten, war aber froh, als sie das Kirchentor endlich hinter sich gelassen hatten und alle Blicke sich nun darauf konzentrierten, in den Bänken einen Sitzplatz zu finden.
Abigail half ihrem Sohn dabei, auf die Bank zu gelangen, bevor sie dem Gatten die Hand drückte und die Eltern zu beiden Seiten von David Platz nahmen; wie üblich am Rand einer Bankreihe, weil Nomad es sich zu eigen gemacht hatte, grundsätzlich direkt am Gang zu sitzen.
Meredith, die übergewichtige Tochter des Bürgermeisters Kenneth Devane, pflanzte ihren breiten Hintern auf den Hocker vor der kleinen Orgel und haute mit ebenso viel Inbrunst in die Tasten, wie sie frei von musikalischem Talent war.
Nomad lächelte tapfer und stimmte nach kurzem Zögern in die Melodie des alten Liedes ein. Der Chor der Kirchengemeinde überlagerte schnell die Misstöne der Organistin, was vermutlich viele der Gläubigen zusätzlich motivierte, sich ins Zeug zu legen.
»Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart …«
Nomads Stimme hob und senkte sich, während seine Blicke gedankenverloren über die Reihen der Besucher wanderten.
Es war auch seine Gemeinde, so wie es die von Kenneth Devane und Rupert Loxley, dem Pfarrer war, der vorn am Taufbecken stand in seiner dunklen Robe und wie üblich ergriffen die Arme im Takt hin und her schwenkte, als wäre er ein Dirigent und die Besucher des Gottesdienstes sein Orchester.
Vor fast zwei Jahrzehnten war er in diese Stadt gekommen und hatte nicht viel mehr als ein paar hundert Dollar und die Kleidung dabei gehabt, die er am Leib trug.
Man hatte ihn mit einer Wärme und Freundlichkeit aufgenommen, wie er sie nie zuvor in seinem Leben erfahren hatte, und das war der Grund gewesen, zu bleiben, obwohl er hier eigentlich nur ein paar Tage hatte rasten wollen auf dem Weg nach Kanada.
Das – und vor allem Abigail.
Ihr bezauberndes Lächeln hatte ihn gefangengenommen, aus Tagen waren Wochen geworden, bis ihm irgendwann klar geworden war, dass er sein Ziel bereits erreicht hatte, während er sich noch auf der Reise wähnte.
Vom ersten Moment an fühlte er eine derart enge Verbundenheit zu der jungen Frau, als würden sie sich von Kindesbeinen an kennen. Sie hatten denselben Humor, teilten das Interesse für moderne Schriftsteller wie Mark Twain oder Henry James, tranken lieber Wein als Bier und waren vernarrt in das Schachspiel, lange Waldspaziergänge und Gespräche über Gott und die Welt, während überall in der kleinen Stadt längst alle in tiefem Schlaf lagen.
Doch es gab noch etwas anderes, das sie verband: Wie Adam war auch Abigail alleinstehend und entwurzelt. Nur zwei Wochen nach ihm war seine Gattin mit ihren Eltern und einem Bruder aus Übersee nach Maine gekommen, und kurz darauf hatte das Schicksal bitter zugeschlagen. Ein übler Virus war in Bangor ausgebrochen, für den vermutlich der feuchte warme Frühling und eine daraus folgende fürchterliche Mückenplage verantwortlich gewesen waren. Neben Dutzenden anderer war auch Abigails Familie dahingerafft worden, sodass sie, kaum in der neuen Heimat angekommen, plötzlich ganz allein in der Fremde stand.
Nomad, der ungern über seine Vergangenheit sprach, spürte Abigails Sehnsucht nach einem Partner, der ihr auf dem weiteren Lebensweg zur Seite stand.
Und so wurden sie nach nur einem Jahr ein Paar und hofften auf viele Kinder. Adam, geschickt im Umgang mit Holz, investierte einen Teil seiner Ersparnisse zunächst, indem er eine Tischlerei von einem alten Mann übernahm, der kinderlos geblieben war und händeringend nach einem Nachfolger suchte. Doch er erkannte bald, dass der Handel ihm eher lag als das Handwerk, sodass er die gut gehende Tischlerei einem Angestellten überließ und stattdessen einen Kolonialladen eröffnete, der schon bald noch besser lief als seine erste Unternehmung.
Nomad war fleißig und geschäftstüchtig, doch er zeigte sich der Stadt gegenüber, die ihn so freundlich aufgenommen hatte, auch dankbar. Seine Preise waren fair, Kunden, die gerade klamm waren, gewährte er großzügig Kredit und seine Angestellten wurden weit besser bezahlt als sonst wo in der Stadt.
Daran hatte Abigail, deren tiefer Glaube ihren Mann zunehmend beeinflusste, einen größeren Anteil, als die meisten Bewohner von Bangor ahnten. Ganz dem Katholizismus verhaftet und jahrelang darauf wartend, dass Gott ihnen endlich ein Kind schenkte, vertraute Abigail darauf, dass gute Taten letzten Endes vom Himmel belohnt werden würden.
Die Geduld der Eheleute wurde auf eine harte Probe gestellt, doch ihre Menschenliebe trug derweil andere Früchte: Zehn Jahre, nachdem Nomad als Fremder in die Stadt gekommen war, wählte die Gemeinde ihn zum Friedensrichter und trug dem Mann mit der langen rotblonden Mähne damit das höchste Ehrenamt an, das die Stadt zu vergeben hatte.
Es erwies sich als eine gute Wahl. Nomad fällte seine Urteile bedächtig; manchmal streng, öfter nachsichtig – aber immer gerecht und nachvollziehbar. Nicht nur einmal gelang es ihm, tiefe Streitigkeiten unter den Bürgern nicht nur zu schlichten, sondern gänzlich aufzulösen.
Als das Ehepaar die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, fand Gott doch noch ein Einsehen und schenkte ihnen mit dem kleinen David ein spätes, dennoch kerngesundes Kind, das seiner anmutigen Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Der Sohn war gerade ein Jahr alt geworden, als das Leben von Adam Nomad eine weitere bedeutsame Wende nahm.
Washington beschloss, mit einem Staudamm im Norden von Maine einen Großteil der bisher üppigen Wasserversorgung von Bangor zu kappen, und unter der Bevölkerung regte sich Widerstand. Wut machte sich breit, und als Politiker auf einer Versammlung in Maine vor den Bürgern behaupteten, gegen diese Entscheidung machtlos zu sein, war es Adam Nomad, der sich erhob und sagte: »Wir werden nicht verdursten, nur weil Washington es so will.«
Der Satz, so unsachlich und vereinfachend er war, wurde genau deshalb bald zu einem geflügelten Satz, doch Nomad war auch klug genug, seine wachsende Popularität zu nutzen, um mit den Abgeordneten von Maine ins Gespräch zu kommen.
Es stellte sich heraus, dass er in mittlerem, besten Alter sein wahres Talent entdeckte – nämlich das diplomatische Vermitteln zwischen unterschiedlichen Interessen. Zu Samuel McPherson, dem bedächtigen Mann aus Augusta, der von seinen Wählern zwar respektiert und bewundert, aber nur selten geliebt wurde, entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.
Gemeinsam gelang es ihnen tatsächlich, das Staudamm-Projekt zu stoppen, was McPherson die Wiederwahl und Nomad die nachhaltige Dankbarkeit seines Förderers sicherte.
Vier Jahre waren seitdem ins Land gegangen, während deren Nomad alle Gerüchte, was den Griff auf höhere Ämter anging, immer wieder weit von sich gewiesen hatte.
Doch seit einem langen Gespräch mit Sam vor einer Woche wusste er, dass die Zeit nun gekommen war. Sein alter Mentor war müde und nur zu bereit, den Staffelstab in seine Hände zu legen.
Nun, nach so langer Zeit der Buße, stand ein Tor weit offen vor ihm. Er musste lediglich hindurchtreten.
Irritiert hob er den Kopf, als der Gesang am Ende der vierten Strophe verstummte und Meredith, offenbar ebenso überrascht wie er, einen schiefen Schlussakkord hinlegte, der nur langsam in der Kirche verhallte.
Nachsichtig warf der Pfarrer der Organistin einen kurzen Blick zu, bevor er sich an die Gemeinde wandte. »Liebe Brüder und Schwester, die wir uns hier versammelt haben, lasset uns beten.«
Leichtes Rumpeln erfüllte das Kirchenschiff, als die Besucher sich von den Bänken erhoben, die Hände falteten und die Blicke senkten. Auch Nomad verschränkte die Finger und neigte den Kopf, doch im selben Moment bemerkte er einen Schatten im Gang neben sich.
»Hier!«, zischte eine wispernde Stimme, und er schaute nach links. Doch der Flüsterer war bereits an ihm vorbei. Stattdessen segelte ein Blatt Papier vor seinen Füßen zu Boden.
Nomad beugte sich hinaus und sah den Gang hinunter. Eine dunkle Gestalt hastete auf die offenen Flügel des Tores zu, und im Gegenlicht der hineinscheinenden Sonne erkannte er nicht mehr als einen flatternden Mantel.
Blinzelnd sah er, wie die Gestalt über die Treppenstufen aus der Kirche rannte, und wollte sich schon wieder umdrehen, als sich neben dem Tor jemand anders aus den Schatten löste.
Das rote Haar flatterte in der Brise, die von draußen in die Kirche wehte, und die Frau hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während sie ihn für ein paar Sekunden herausfordernd anstarrte.
»Nein«, stöhnte er und riss ungläubig die Augen auf. »Nein …«
»Adam, was ist mit dir?«
Er fuhr herum und starrte Abigail über den Kopf ihres Sohnes hinweg an, als wäre sie eine Fremde.
»Ich …«
Sie beugte sich zu ihm und murmelte mit besorgter Miene: »Liebster, du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
Nolan wirbelte herum und schaute zurück zum Ausgang.
Die Frau war verschwunden, und er griff sich stirnrunzelnd an die Kehle.
Mein Gott, das kann nicht wahr sein …
Als er auf die Bank niedersank, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass seine Frau den Zettel aufgehoben hatte, den der Unbekannte ihm vor die Füße geworfen hatte.
Er griff an David vorbei und riss ihn Abigail aus der Hand, als sie ihn gerade auseinanderfalten wollte.
David schaute beunruhigt zu ihm auf. »Was ist denn, Dad? War das eben wirklich ein Gespenst?«
Nomad versuchte zu lächeln, doch die Grimasse erinnerte eher an ein Zähnefletschen. »Ruhig, mein Sohn. Hör’ dem Pfarrer zu, das sind Gottes Worte.«
Er bemerkte Abigails bohrende Blicke, schüttelte aber nur stumm den Kopf, während er starr nach vorne schaute.
☆
Washington, D.C.
Aphrodite’s Grotto war Washingtons neuestes Sündenbabel und galt schon jetzt als das exklusivste und eleganteste Bordell der Hauptstadt. Das Etablissement in der New Jersey Avenue war von der Straße aus weder durch ein Schild noch durch andere einladende Dekors an der Fassade auszumachen, sodass Uneingeweihte den unscheinbaren Eingang unmöglich finden konnten. Außerdem benötigte man eine persönliche Einladung, um vom strengen Portier eingelassen zu werden.
Eine der zahlreichen Attraktionen der Grotte war ein herzförmiges Schwimmbecken von fast acht Yards Durchmesser, in dem sich an diesem frühen Abend nur ein einziger Gast entspannte. Lassiter hatte beschlossen, sich an den ersten freien Tagen seit einem halben Jahr etwas Exklusives zu gönnen.
Er tauchte kurz in dem angenehm temperierten, nach Kräuteressenzen duftenden Wasser unter und kam prustend wieder hoch, als er zwischen den Säulen gegenüber eine Bewegung wahrnahm.
Die schwarzhaarige Frau winkte ihm schmunzelnd zu, während sie hüftschwingend an die Stufen trat, die in das Becken führten. »Hallo, Fremder. Mein Name ist Esther …« Unter halb gesenkten Lidern schaute sie auf ihn hinab. »Ist der Pool nicht ein wenig zu groß für dich allein?«
Lassiters Augenbrauen hoben sich unmerklich, als sie den seidenen Bademantel abstreifte. Darunter war sie so nackt, wie Gott sie erschaffen hatte – und bei diesem Anlass musste Gott einen wirklich guten Tag gehabt haben.
Fasziniert wanderte sein Blick über Esthers üppige Rundungen und ließ sich dabei alle Zeit, die ein Mann, der stetig dem Tod ins Auge schaute, zu erübrigen bereit war.
»Zweifellos, mein Engel«, murmelte er, während er spürte, dass sich beim Anblick der rassigen Schönheit etwas in seiner Körpermitte zu rühren begann. »Ich fing gerade an, mich ein wenig einsam zu fühlen an diesem wunderbaren Ort.«
Mit grazilen Bewegungen stieg die junge Frau in das Bassin hinab und näherte sich ihm lächelnd. »Dann muss ich wohl deine Gedanken gelesen haben, oder nicht?«
Lassiter schmunzelte. Genau genommen hatte er Esther eine Stunde zuvor bei einem Drink in der Bar eine Etage höher erwählt, indem er Estelle Delacroix, die Dame de la Maison , diskret auf sie hingewiesen hatte. Doch wozu sollte so ein kleinlicher Einwurf die sinnliche Atmosphäre zerstören?
Mit einem leisen Seufzer sank sie in seine kräftigen Arme. Als sich ihr weicher Körper an ihn drängte und er die harten Knospen ihrer Brüste an seinen Rippen spürte, merkte er, wie sich die Hitze in seinen Lenden auszubreiten begann. Esther strich ihm das Haar aus dem Gesicht und küsste ihn sanft.
»Als du vorhin hereinkamst, schlug mein Herz sofort schneller«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Und ich habe gleich gesehen, dass es dir genau so ging.«
Das Licht der Laternen, die auf kunstvoll geschmiedeten Ständern rund um das Becken platziert waren, zauberte glänzende Lichter auf das Wasser, das von ihren vollen Brüsten abperlte, und Lassiter konnte nicht widersprechen. Die sinnliche Schwarzhaarige hatte aus der Gruppe der Edelprostituierten am Tresen herausgestochen, obwohl alle Damen dort von erlesener Schönheit gewesen waren.
Esther streichelte seine behaarte Brust und fuhr mit ihrer Zungenspitze über seine Lippen, während ihre Hand tiefer wanderte, bis sie gefunden hatte, wonach ihr der Sinn stand.
»O Jesus«, hauchte sie und lächelte. »Ich fühle, wir sind uns einig, daran besteht kein Zweifel.«
Lassiter zog die junge Frau an sich und küsste ihren Hals. Der Duft von Rosen stieg ihm in die Nase, als er ihren Rücken streichelte. Ihr weicher Körper fühlte sich wunderbar an. Esther seufzte leise, als seine Hände sich abwärts bewegten und auf ihrem Hintern landeten. Mit kräftigen Fingern begann er, ihre Pobacken zu massieren.
Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, während ihre linke Hand sein Geschlecht umfasste und ihm ohne Umschweife den Weg wies. Erstickt stöhnte sie auf, als sie seine Härte in sich spürte, dann drückte sie Lassiter gegen die Kacheln des Beckenrandes und ließ mit langsamen Bewegungen ihr Becken kreisen. Ein langgezogener Laut kam über ihre vollen Lippen, als die wachsende Lust ihren Herzschlag beschleunigte. Ihre schlanken Arme legten sich auf seine Schultern, kreuzten sich hinter seinem Nacken und sie drängte sich an ihn.
Lassiter, nun schräg im Wasser liegend mit Esther halb über sich, schloss die Augen und ließ es geschehen. Seine tastenden Hände fanden ihre Brüste und liebkosten sie, während die junge Frau auf ihm ritt. Sie neigte sich zu ihm hinab, bevor sie ihn leidenschaftlich küsste. Ihre Lippen öffneten sich, und ihrer beider Zungen vollführten einen wilden Tanz miteinander.
Lassiters Hände glitten an ihrem Rücken hinab und umfassten ihre Hüften. Er hob sie etwas empor und zog sie gleich darauf mit einer kräftigen Bewegung wieder zu sich herab.
»Ja … o jaaa!«, stöhnte sie. »Du fühlst dich so gut an, Großer. Gib mir mehr! Stoß mich richtig fest!«
Ihr Po hob und senkte sich in zunehmender Geschwindigkeit. Wieder packte er ihren Hintern und streckte sich, um noch tiefer in sie eindringen zu können. Die Hitze loderte in ihm auf, als er spürte, wie die Muskeln in ihrem Unterleib sich um ihn zusammenzogen, als wolle sie ihn verschlingen.
Esthers glänzend schwarzes Haar fiel in feuchten Strähnen in sein Gesicht, als sie ihren Kopf in Ekstase von links nach rechts warf. Immer schneller wurde nun der Rhythmus ihrer Bewegungen, und Lassiters Puls begann zu galoppieren wie ein fliehender Mustang. Er spürte, dass Esther sich dem Gipfel näherte, und ließ nun seinerseits alle Zügel fahren.
Esther schrie auf vor Lust, ihr Atem hob und senkte sich unter ihrem Busen. Die vollen Brüste wippten über Lassiters Gesicht auf und ab. Dann plötzlich ging ein Zittern durch ihren üppigen Körper, sie hielt den Atem an und bog ihren Rücken durch. Für Sekunden schien sie in ihrem Höhepunkt zu erstarren, und nur wenig später explodierte auch Lassiter in ihrem Schoß.
Ein tiefer Seufzer kam aus ihrer Kehle, bevor sie sich keuchend auf seine Brust fallen ließ.
»Jesus, war das schön«, brachte sie tonlos hervor und strich ihm fahrig durch das nasse Haar. »Am liebsten würde ich bis in alle Ewigkeit so liegen bleiben. Bitte lass ihn in mir, nur noch für ein paar Augenblicke …«
Lassiter brummte etwas Zustimmendes mit geschlossenen Augen, streichelte ihren Rücken und küsste sie sanft. In inniger Vereinigung genossen sie die selige Erschöpfung, die sich über ihre Körper legte.
Als sich jemand vernehmlich räusperte, öffnete Lassiter überrascht die Augen, blickte über Esthers Schulter und runzelte die Stirn.
Madame Delacroix stand in ihrer purpurfarbenen Robe gegenüber am Beckenrand und wirkte sichtlich indigniert. Anlass dafür war allerdings keineswegs das nackte Paar im Bassin, sondern offenbar der Umstand, dass sie die Intimität der beiden zu stören gezwungen war.
»Ich bin untröstlich, Monsieur Lassiter, Ihr tête-à-tête derart grob unterbrechen zu müssen«, beteuerte sie, und der übertriebene französische Akzent nahm der Entschuldigung ein wenig von ihrer Glaubwürdigkeit. »Aber der Bote hat mir versichert, dass die Nachricht keinerlei Aufschub duldet.«
Lassiter warf Esther einen bedauernden Blick zu, zog sich sanft aus ihr zurück und richtete sich im Becken auf. Das Wasser reichte ihm knapp über die Hüften, war aber so klar, dass Madame Delacroix nicht umhin konnte, kurz den Blick zu senken und beeindruckt die geschwungenen Augenbrauen zu heben.
»Okay«, brummte Lassiter. »Und wie lautet die Nachricht?«
»Ein Mr. Coleman erwartet Sie unverzüglich«, antwortete Madame Delacroix. »Einen Ort hat mir der Bursche aber nicht genannt.«
Lassiter seufzte. »Ich weiß schon, wo Mr. Coleman zu finden ist, Madame. Vielen Dank.«
☆
Der kleine Uhrmacherladen von Nicholas Coleman befand sich in der Westminster Street, nur ein paar Fußminuten von Aphrodite’s Grotto entfernt. Lassiter fragte sich nur für einen Augenblick, woher der Kontaktmann der Brigade Sieben etwas von seinen Plänen für das Wochenende wissen konnte. Der alte Fuchs hatte seine Augen und Ohren schließlich überall in der Hauptstadt.
Coleman zog die Stirn in Falten, als die Türglocke ertönte und er Lassiters grimmige Miene registrierte. Er legte die Lupe beiseite und breitete ein weißes Tuch über die metallischen Innereien einer Taschenuhr, die vor ihm auf dem Arbeitstisch lag, bevor er entschuldigend beide Hände hob.
»Es tut mir leid, Lassiter, Ihren wohlverdienten Urlaub so rasch schon wieder zu unterbrechen.«
Lassiter verzog missbilligend die Lippen, während er sich vor dem Mann mit dem weißen Haarkranz und dem beeindruckenden Schnauzbart aufbaute.
»Die Nacht war bereits bezahlt, Mr. Coleman, und das Entgangene werde ich auf die nächste Spesenrechnung setzen.«
Coleman nickte ergeben. »Selbstverständlich. Um welchen Betrag handelt es sich?«
Lassiter nannte ihm die Summe, und der Uhrmacher pfiff leise durch die Zähne. »Donnerwetter, das klingt mir in der Tat nach einem exklusiven Etablissement.«
»Angesichts Ihres fortgeschrittenen Alters wären Sie mit den dafür gebotenen Dienstleistungen vielleicht ein wenig überfordert«, knurrte Lassiter boshaft, was Coleman mit nachsichtigem Schmunzeln quittierte.
»Ich bitte nochmals um Verzeihung«, sagte er. »Aber wenn Sie erfahren, warum ich Sie her gebeten habe, wird Ihre Verärgerung vielleicht besänftigt. Der Fall wird Sie interessieren.«
»Ach ja?«, knurrte Lassiter. »Und warum?«
Coleman erhob sich und drückte ächzend den gebeugten Rücken durch, bevor er Lassiter einen listigen Blick zuwarf. »Ich kenne Sie lange genug, mein Bester. Und ich weiß um Ihre Abneigung gegen Politiker. Deshalb wird die Mission Ihnen gefallen. Aber ich möchte meinem Kollegen nicht vorgreifen.«
Er trat an seinem Arbeitstisch vorbei und schob einen Vorhang beiseite. »Folgen Sie mir.«
Sie durchquerten einen langgezogenen Nebenraum, in dem zu beiden Seiten Regale bis zur Decke gefüllt waren mit Kisten, Schachteln, Werkzeugen und tausenderlei Krimskrams. Von der Decke hing eine Laterne, die das Lager in schwaches Licht tauchte.
Am Ende des Raumes öffnete Coleman eine Tür, und sie gelangten in einen behaglich wirkenden Salon, den man dort angesichts der vor ihm liegenden bescheidenen Räumlichkeiten nicht erwartet hätte.
Deutlich größer als Laden und Lager, war Colemans Refugium mit erlesenem Mobiliar ausgestattet und gemütlich eingerichtet. An den Wänden hingen Kupferstiche, die detailliert ausgeführte Ansichten europäischer Städte, Risszeichnungen historischer Schiffe und Konstruktionsskizzen von Uhren zeigten. Im kleinen Kamin brannte ein Feuer, und im hinteren Bereich waren ein Diwan und zwei Ohrensessel um einen runden Tisch gruppiert.
In einem der Sessel saß ein älterer Mann und schaute ihnen erwartungsvoll entgegen.
Nicholas Coleman trat an den Tisch und stellte seine Gäste einander vor. »Herman, das ist Lassiter. Unser bester Mann, möchte ich meinen. Lassiter … Herman Traverne.«
Lassiter hob die Augenbrauen, während er sich über den Tisch beugte und dem Mann mit der grauen Mähne die Hand reichte.
» Der Herman Traverne?«, fragte er respektvoll, was seinem Gegenüber ein Schmunzeln entlockte.
Der Händedruck des alten Mannes war überraschend kräftig, während er entgegnete: »Wüsste nicht, dass noch jemand mit dem Namen durch die Gegend geistert, Lassiter. Sie haben tatsächlich von mir gehört?«
Lassiter ließ sich auf dem zweiten Sessel nieder und nickte, während Coleman an die Bar trat und nach einer Karaffe griff.
»Aber sicher, Sir«, brummte er. »Sie waren schon damals dabei, als die Brigade Sieben gegründet wurde, stimmt’s?«
Traverne drehte sein Whiskeyglas in den Händen und nickte leicht. »Das stimmt zwar«, gab er zu, »ist aber schon so lange her, dass ich es selbst kaum mehr glauben mag. Außerdem bin ich seit ein paar Jahren in Pension, gewissermaßen.«
»Gewissermaßen«, wiederholte Coleman, wackelte dabei mit den buschigen Augenbrauen und reichte Lassiter seinen Drink, bevor er mit dem eigenen auf dem Diwan Platz nahm. Als er Lassiters fragenden Blick bemerkte, zuckte er die Achseln.
»Herman ist zwar nicht mehr im aktiven Dienst, aber er ist immer noch ein wertvoller Mitarbeiter. Er kümmert sich um das Archiv mit ungelösten Fällen … und darüber hinaus hält er die Augen auf.«
Lassiters Miene musste nach wie vor ratlos wirken, denn Herman Traverne grinste amüsiert.
»Nicht auf den Straßen, Lassiter. Meine alten Knochen schaffen noch einen täglichen Spaziergang am Hafen entlang oder durch den botanischen Garten. Aber sonst beschränke ich mich darauf, die Gazetten und Journale zu studieren, die die Brigade aus den Bundesstaaten von New Mexiko bis nach Vermont regelmäßig nach Washington senden lässt.«
Lassiter nickte. Er hatte davon gehört, dass die Brigade Sieben ein umfangreiches Archiv mit relevanten Presseerzeugnissen zusammentragen ließ, um darin nach Informationen über flüchtige Verbrecher oder neue Hinweise auf ungeklärte Fälle zu suchen.
»Das klingt …«, er zögerte kurz, »… ziemlich aufwändig.«
Traverne lachte. »Sie wollten wohl eher langweilig sagen, oder?«
Er breitete die langen Arme aus, die von einem viel zu weiten Hemd verhüllt wurden. Mit dem verschossenen Hut auf dem länglichen, kahlen Schädel und der formlosen grauen Hose wirkte der alte Mann wie eine Vogelscheuche, die resignierend in einem Möbelstück ruhte, das nicht für sie bestimmt war.
»Nun, das ist es auch in der Tat – im Großen und Ganzen. Die Chance, in diesen ellendicken Stapeln aus mehr oder weniger interessanten Banalitäten auf etwas zu stoßen, was für uns von Bedeutung ist, gleicht dem Versuch, einen verlorenen Ehering aus einem Bergsee zu fischen.«
Lassiter erwiderte Travernes Blick, und das triumphierende Leuchten in den braunen Augen seines Gegenübers ließ ihn die Mundwinkel heben. »Ich höre da irgendwie ein »Aber« anklingen«, murmelte er, und Coleman nickte eifrig.
Man sah es dem Uhrmacher an, dass er die Antwort gern selbst gegeben hätte, doch stattdessen nickte er Traverne zu und nahm dafür einen kräftigen Schluck aus seinem Whiskeyglas.
»Sagt Ihnen der Kupferkrieg etwas? In New York; ist rund zwanzig Jahre her.« Traverne schaute ihn fragend an, doch Lassiter schüttelte den Kopf.
»Das war vor meiner Zeit bei der Brigade, Sir«, gab er zu.
Traverne leerte sein Glas, und Coleman nahm es entgegen, um ihm nachzuschenken.
»Damals konkurrierten zwei Gangsterbanden in Manhattan um die Vorherrschaft. Der alteingesessene Clan der Kalgorians, griechische Einwanderer, die die Docks und fast ganz Lower Manhattan kontrollierten. Prostitution, Glücksspiel, Schmuggel. Das Übliche eben.« Traverne räusperte sich und zuckte die Achseln. »Und dann die Polen, die ein paar Jahre zuvor in die Stadt gekommen waren. Eine verschworene Gemeinschaft, zwei oder drei Familien, vielleicht dreißig verkommene Subjekte, aber mit ganz neuen Geschäftsideen. Sie nannten sich Pack of the Jackals – die Schakalmeute – und fingen damit an, Schutzgelder von Kneipen, Händlern und Restaurants zu erpressen, handelten mit Waffen und Rauschgift und hatten zwei oder drei Dutzend verdammt talentierte Trickbetrüger auf den Straßen. Anfangs existierten beide Banden noch nebeneinander, aber der Anführer der Polen wollte irgendwann mehr. Er war jung, überheblich, zu allem bereit und dachte tatsächlich, er könnte König der New Yorker Unterwelt werden – dieser Bastard!«
»Herman war damals Leiter der Brigade in New York und zuständig für die Banden der Einwanderer«, erklärte Coleman. »Er war es auch, der herausfand, dass die Kalgorians die Metropolitan Police mit großen Summen bestachen.«
»Das ging bis hinauf in die obersten Etagen«, ergänzte Traverne und legte die Stirn in Falten. »Der Polizeichef persönlich ließ sich von den Kalgorians schmieren! Wir hatten stichhaltige Beweise dafür und standen kurz davor, den ganzen Misthaufen auszuheben.«
»Doch dann kam etwas dazwischen …« Bedeutsam weiteten sich Colemans Augen, während er an der Bar stehend Travernes Glas auffüllte.
Lassiter hatte seinen eigenen Drink nicht einmal angerührt. Gebannt von der Erzählung der beiden alten Männer wanderten seine Blicke vom Uhrmacher zum Archivar und wieder zurück.
»Was war das?«, fragte er.
»Ein Sprengstoffanschlag auf eine Lagerhalle«, antwortete Coleman und reichte Traverne sein Glas, ohne Lassiter aus dem Blick zu nehmen. Bedächtig ließ er sich wieder auf dem Diwan nieder. »Der Anführer der Polen wollte den Kalgorians offenbar einen Schuss vor den Bug verpassen, indem er deren Schatzhöhle in die Luft jagte – so genau weiß man das nicht.«
»In der Halle befanden sich Dutzende Kisten geraubte Kupferdrähte und –bleche. Die Kalgorians hatten in dieser Halle Werte zusammengetragen, mit denen man ganz Manhattan für ein Jahr hätte versorgen können. Doch das war eigentlich gar nicht das Problem.«
»Was sonst?«, fragte Lassiter stirnrunzelnd.
»Just in dieser Nacht traf sich dort Bartholomew Kalgorian, einer der beiden Bosse des Clans, mit dem Polizeichef von New York. Ein streng geheimes Treffen, bei dem wohl die weitere vertrauliche Partnerschaft besiegelt werden sollte.« Traverne schnaubte verächtlich. »Nun ja … das Gespräch der beiden Gentlemen wurde dann wohl erst in der Hölle beendet.«
Lassiter stieß scharf die Luft aus. »Damit sind die Polen offenbar einen Schritt zu weit gegangen, nehme ich an …«
»Deshalb nennt man es den Kupferkrieg, Lassiter. Denn was folgte, war in der Tat ein Bandenkrieg, den New York so noch nicht erlebt hatte.« Coleman lehnte sich auf dem Diwan zurück und nippte an seinem Whiskey. »Die Kalgorians kannten kein Erbarmen. Die Bande der Polen wurde buchstäblich ausgelöscht bis auf das letzte Mitglied, und die Metro Police, zu dieser Zeit korrupt bis ins Mark, schaute nicht nur zu dabei, sondern deckte viele Morde sogar.«
»Es gelang uns zwar, ein paar von ihnen vor Gericht zu bringen, aber den Massakern auf den Docks hatte die Brigade nichts entgegenzusetzen«, brummte Traverne mit düsterer Miene. »Wir waren zu der Zeit noch nicht so schlagkräftig wie heute, und wenn man neben den Clans auch noch die Hälfte der Gesetzeshüter gegen sich hat …«
Lassiter kratzte sich am Hals, griff nach dem Whiskeyglas auf dem Tisch und trank einen Schluck, während er erst Coleman, dann Traverne eindringlich musterte.
»Eine spannende Geschichte«, brummte er schließlich, »ich warte nur noch auf die Pointe.«
Traverne lächelte humorlos. »Die Bande der Polen wurde vor zwanzig Jahren vollständig aufgerieben, und unseres Wissens nach hat niemand von ihnen den Kupferkrieg überlebt … bis auf ihren Anführer.«
»Woher können Sie das wissen, Sir?«, fragte Lassiter.
»Ich habe damals seinen Cousin festgenommen und verhört. Ein rothaariger Wichser vor dem Herrn namens Sebastian Pakula. Hab ihm und seinem Boss Schutzhaft angeboten, wenn die beiden als Zeugen aussagen«, entgegnete Traverne und verzog die Lippen. »Der Bursche hat mir ins Gesicht gelacht und versichert, dass Amos Pakula längst die Stadt verlassen hat.«
Er zuckte kaltlächelnd die Achseln. »Zehn Stunden später hat man ihn mitten auf dem Broadway erschossen.«
»Aber Sie glauben, der Kerl hat die Wahrheit gesagt, und dieser Boss der Polenbande, Amos Pakula, ist damals geflohen und noch am Leben?«
Travernes faltiges Gesicht hellte sich unter dem verbeulten Hut um eine Nuance auf. »Ich glaube es nicht, Lassiter. Ich weiß es.«
Er griff neben sich in eine geöffnete Aktentasche, die an den Beinen des Sessels lehnte, und zog eine zusammengefaltete Gazette hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete. Zielgerichtet blätterte er die Seiten um, bis er die Stelle gefunden hatte, um die es ihm ging.
Mit steifem Finger stieß er auf das Foto neben einem kurzen Artikel und lehnte sich zurück, während Lassiter sich vorbeugte, um genauer hinzusehen.
Bei der Zeitung handelte es sich zwar immerhin um die New York Times , der Artikel befand sich aber auf einer Seite weit hinter dem Titel und nahm nur einen kleinen Raum ein.
Die Überschrift fragte hoffnungsvoll: Maines neuer Senator?
Lassiter überflog die wenigen Zeilen, in denen darüber berichtet wurde, dass Senator Samuel McPherson in einer Rede andeutete, nicht mehr zu kandidieren und stattdessen seinem jüngeren Protegé Adam Nomad die Kandidatur bei der kommenden Wahl zu überlassen. Das Bild neben dem Artikel war grobkörnig und zeigte zwei Männer auf einem Podium. Der Ältere, vermutlich McPherson, legte freundschaftlich seinem Nebenmann den Arm um die Schulter, der ihn um fast eine Haupteslänge überragte und den Blick bescheiden gesenkt hielt.
»Da steht, der Bursche heißt Adam Nomad«, sagte Lassiter und schaute fragend auf.
Traverne schnaubte. »Das ist Amos Pakula«, knurrte er. »Ich schwör’s Ihnen beim Leben meiner Mutter.«
☆
Was ist denn bloß los mit dir?
Nomad starrte auf die Wiese vor seinem Haus, während die vorwurfsvolle Stimme von Abigail durch seinen Kopf geisterte wie ein Echo.
Und wie ein Echo hatte seine Frau diese Frage auch hartnäckig wiederholt auf dem Weg vom Gottesdienst zurück auf ihr Anwesen, bis er irgendwann – kurz vor dem offenen Tor, als niemand anderer mehr in der Nähe gewesen war – seine Stimme erhoben und ihr laut und vernehmlich Einhalt geboten hatte.
Laut. Vernehmlich. Und mit einer Faust, die erst hoch erhoben gewesen war und sich dann zu einem Schlag herabsenkte, der nur kurz vor Abigails Gesicht Halt gemacht hatte.
Davids schreckgeweiteter Blick, den er aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, hatte ihn im letzten Moment innehalten lassen, und Nomad war, erschrocken über sich selbst, wie eine Salzsäule erstarrt, während seine Gattin den Sohn bei der Hand genommen und die Auffahrt hinauf vor ihm geflohen war.
Fassungslos hatte er Frau und Kind nachgesehen und war auf die Bank unter der mächtigen Esche gesunken, die das Tor ihres Anwesens bewachte.
Was ist bloß los mit dir?
Er schüttelte den Kopf und zog den Zettel aus der Tasche seines Gehrocks, den der bleiche Unbekannte in der Kirche hatte fallen lassen. Minutenlang drehte er das Papier zwischen den Fingern und traute sich nicht, es zu entfalten. Denn er ahnte, dass der Text, den er zu lesen bekam, böse Geister befreien würde wie Aladin, als er den Korken der Lampe entfernte.
Nein, schlimmer als das. Denn Aladin war nur eine Märchenfigur, aber das hier war Realität.
Um böse Geister ging es dennoch. Böse Geister einer Vergangenheit, von der er geglaubt hatte, dass sie weit hinter ihm lag.
Er faltete den Zettel auf und las die wenigen Zeilen, die in ungelenker Schrift mit einer Feder auf das Papier gekrakelt worden waren.
Wahre Liebe verlangt Ewigkeit,
Kennt weder Grenze noch Endlichkeit.
Wer sie verrät, wird für immer verfolgt und am Ende gerichtet, auch wenn er bereut.
Nomad hob den Kopf weit bis in den Nacken und schaute hinauf zu den dunkelgrünen Blättern. Für einen Moment war er vorhin wieder zu jenem kaltblütigen, brutalen Amos Pakula geworden, den er wohl nur scheinbar vor achtzehn Jahren in New York zurückgelassen hatte.
Die rätselhafte Botschaft ließ nur einen Schluss zu: Die dunkle Hälfte seiner Seele schickte sich an, wieder die Herrschaft über sein Leben zu übernehmen.
Die Frage war nur, ob er das zulassen wollte.
Sein Blick fiel auf die Signatur unterhalb des Poems.
Amora
Kein Zweifel möglich.
Hatte er sie also wirklich dort neben dem Eingang stehen sehen, mit jenem unverkennbaren frechen Grinsen auf den Lippen und dem feuerroten Haar?
Nomad rieb sich unbewusst mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken, während er die Augen schloss.
Das ist völlig unmöglich, versuchte er sich zu überzeugen. Sie sah aus wie damals, als du sie zum letzten Mal gesehen hast.
Im Nest , am Abend, als sie den Überfall auf das Lagerhaus der Kalgorians planten und Amora vorschlug, die verdammte Halle einfach in die Luft zu jagen.
Wir brauchen das Zeug nicht! Das waren damals ihre Worte gewesen, als sie den Coup gegen die Erzfeinde ausbaldowert hatten. Was wir brauchen, ist Respekt, versteht ihr?
Beunruhigt registrierte Nomad, wie die Erinnerungen in beängstigender Klarheit wieder vor seinem geistigen Auge auftauchten.
Jeder am Tisch – ihn eingeschlossen – hatte sich dafür ausgesprochen, dem Clan so viel von seiner Beute abzunehmen wie möglich und das Zeug dann außerhalb von New York irgendwo gewinnbringend zu verscherbeln. Aber Amora war anderer Meinung gewesen. Sie wollte es den Kalgorians wirklich zeigen – indem sie deren wertvollste Ressourcen kaltblütig vernichtete.
Irgendwann hatte er verstanden, was sie damit zu erreichen beabsichtigte. Und zugestimmt.
Mit den bekannten Folgen.