Lassiter Sammelband 1865 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1865 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2476, 2477 und 2478.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

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Seitenzahl: 394

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1865

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019/2020 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN: 978-3-7517-6523-7

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1865

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2476

Lassiter und die Inka-Prinzessin

Lassiter 2477

Coopers Grenze

Lassiter 2478

Lassiter und die falsche Zeugin

Guide

Start Reading

Contents

Lassiter und die Inka-Prinzessin

Von den Höhlenwänden rann das schwarze Gold der Amerikaner. Die Männer hatten Cura achtzig Fuß unter die Erde gebracht und mit ihrer Fracht allein gelassen. Sie hatten der jungen Peruanerin jenen Respekt erwiesen, um den sie so inständig gebeten hatte.

»Schlaf, Sapa Inca«, sagte Cura und berührte die Tunika aus staubiger Alpakawolle. Sie ertastete die trockenen Schultern der Mumie darunter. »Schlaf und erwache nicht vor dem Morgengrauen.«

Das Öl an den Felswänden roch nach Erde und feuchtem Schlamm. Es roch anders als das abgelegene Grab in den Anden, aus dessen kostbar geschmückten Katakomben Cura den toten Inkaherrscher hergebracht hatte.

Es roch nach der Gier der Fremden …

Cuzco, späteres Peru, im September 1572

Die geschorene Mähne des Maultiers war ein geschwungener Strich auf dem Hals des Tieres. Sie verzog sich bei jedem Ruf aus der vielköpfigen Menge, von der die Straßen gesäumt waren und die selbst gelassenere Maultierhengste in Furcht versetzt hätte. Die Mähne war die einzige Stelle, auf die Túpac Amaru seinen Blick heften wollte.

Vor einigen Tagen hatte man Urteil über den Inkakönig und dessen Generäle gesprochen.

Die katholischen Würdenträger der Spanier hatten vor dem Vizekönig auf den Knien gelegen. Sie hatten um Gnade für Amaru gebettelt, hatten darum gefleht, dass er nach Spanien gebracht würde, statt ihm den Kopf abzuschlagen.

Der Vizekönig hatte sich nicht erbarmt.

Er hatte in den Straßen selbst diejenigen Inkageneräle aufknüpfen lassen, die schon zuvor durch die Prügelhiebe seiner Schergen gestorben waren. Er hatte seinen Missionaren befohlen, die Gefangenen unter Zwang zu taufen.

Die Spanier hatten zudem die heiligen Leiber von Manco Capac und Titu Cusi gestohlen.

Die Leichname der früheren Inkaherrscher waren zusammen mit Amaru und der goldenen Statue von Punchao in die Hauptstadt Cuzco gebracht worden. Man hatte sie geraubt, wie man Amarus Untertanen Ehre und Würde geraubt hatte. Die Mumien waren der heiligste Besitz seines Volkes.

»Rühr dich nicht!«, raunte Pater Alonso und knurrte dem Soldaten vor dem Maultier einen knappen Befehl zu. »Die Menge soll dich als stolzen und ungebrochenen Mann im Gedächtnis behalten.« Er wies mit dem Kinn auf Amarus Brust. »Nicht mit einer Schlinge um den Hals.«

Die Prozession steuerte auf den weitläufigen Platz vor der künftigen Kathedrale zu.

Fast Schulter an Schulter stand das Inkavolk rings um das Holzschafott, das die Männer des Königs mit schwarzem Tuch drapiert hatten. Die versammelte Menge schwieg so andächtig, dass Amaru das Haupt hob und den Blick über die Antlitze der Versammelten schweifen ließ. Er las Trauer und Bekümmerung darin und sah zu den halb vollendeten Mauern der Kathedrale hinüber.

Die Conquistadores hatten den Palast von Wiraquocha für ihr Gotteshaus abgerissen.

Sie hatten die Bewohner der Stadt Steinfuhre um Steinfuhre zum Kathedralenplatz karren lassen und würden nun den letzten König des Sonnenreiches töten. Sie würden Thupaq Amaru , der »Strahlenden Schlange«, den Kopf abschlagen.

Einzig aus diesem Grund hatten sie Vilcabamba angegriffen.

Vor den Stufen des Schafotts stand Bischof Agustín de la Coruña. Er war ein beleibter Mann mit heiterer Miene und freundlichem Auftreten. Er gebot den Wachen vor Amaru Halt und trat an das Maultier heran.

»Bischof Agustín«, sagte Amaru und stieg langsam vom Maultier. Er ließ sich die Schlinge vom Hals nehmen und blickte den Geistlichen an. »Der Tag ist gekommen.«

»Dieser Tag ist fürchterlich«, sagte de la Coruña. »Wir haben für deine Freiheit gekämpft und gebetet. Es lag in der Hand des Vizekönigs.«

Die Wachen bahnten eine Gasse für den Verurteilten und hießen ihn schroff, die Stufen zur Richtstätte emporzusteigen. Als die versammelten Inka ihren geschundenen Herrscher erblickten, stimmten sie lautes Wehklagen an.

»Verdammte Wilde!«, knurrte ein Soldat neben de la Coruña. Er verstummte erschreckt, als ihm der Gottesmann einen strafenden Blick zuwarf.

»Sprich zu deinem Volk!«, flüsterte der Bischof und fuhr mit einem leisen Gebet fort. »Sie lechzen nach deinen Worten.«

»Wie du und die deinigen nach Blut lechzen?«, fragte Amaru und bezwang sich sogleich. »Ihr mögt unsere Könige töten und unsere Heiligtümer zerstören. Ihr mögt uns wie Insekten zerquetschen.« Er sah zum blutverschmierten Richtklotz hinauf. »Das Inkavolk wird nicht vergehen, ehrenwerter Bischof.«

Das Klagen der Menge war zu lautem Geschrei angewachsen, aus dem die spitzen Rufe der Frauen und Mädchen hervorstachen. Ein wogender Ozean aus bunten Gewändern erstreckte sich vor Amaru und nahm den Platz bis in den letzten Winkel ein.

»Stolzes Volk der Inka!«, hob Amaru zu seiner letzten Rede an. Er zitterte am ganzen Leib und zwang sich zur Ruhe. »Verflucht niemals zur Strafe eure Kinder, wenn sie Artigkeit missen lassen. Meine Mutter prophezeite mir einmal einen vorzeitigen Tod, als ich ihr Ärger bereitete.«

Über dem Platz lag mit einem Mal gespenstische Stille.

Hinter Amaru stellte der Scharfrichter das Beil auf und rieb die Nägel am Holz. Er atmete angestrengt, als wäre sein Dienst das schwerste Los an diesem Tag.

»Zu unser aller Bedauern scheint diese Stunde gekommen«, sprach Amaru in die Stille hinein. Er hielt die Rede in der Sprache seines Volkes. » Ccollanan Pachacamac ricuy auccacunac yahuarniy hichascancuta. – Möge Mutter Erde bezeugen, dass unsere Feinde mein Blut vergießen.«

Der Scharfrichter ergriff Amaru an der Schulter und stieß ihn auf den Richtblock hinunter. Das feuchte Holz roch nach Blut und den lockeren Spänen, die sich in den Beilkerben gesammelt hatten. »Die Ehre kannst du haben, König der Inka ! Die Ehre erweise ich dir nur zu gern!«

Rasch besann sich Amaru auf seine Frau, die neben ihm im Gras gesessen hatte, als die Spanier vom Fluss heraufgekommen waren. Sie trug sein Kind unter dem Herzen und hatte zum Abschied sanft gelächelt.

Dann packte eine Hand Amarus Haarschopf.

Salt Creek, Wyoming, im Jahr 1886

Die flatternden Planen der winzigen Zeltstadt, die inmitten der Bisonherde errichtet worden war, hatten einige der mächtigen Tiere erschreckt. Die Büffel senkten drohend die Häupter und stoben erst auseinander, als ein Scout mit der Büchse in die Luft feuerte. Der Schuss hallte über den Salt Creek und verklang.

»Verdammt!«, flüsterte Kate Logan und reckte den Kopf in die Höhe. Sie saß nackt auf Lassiter und hatte soeben den Knoten in ihrem rotblonden Haar gelöst. »Sie pulvern schon wieder herum! Sie können’s nicht lassen! Die Büffel zertrampeln uns über Nacht!«

Der Mann der Brigade Sieben lächelte die schöne Wirtstochter an und zog sie an den Schultern sanft zu sich herunter. Er ließ eine Hand über ihren Rücken gleiten, bis sich die Sehnen unter der Haut entspannten. »Die Männer von Fisher kennen die Gegend. Sie wollen sich ebenso wenig in Gefahr bringen wie uns.«

»Sei dir bloß nicht zu gewiss darüber!«, versetzte Kate und bedeckte Lassiters Brust mit Küssen. Sie fuhr mit den Lippen an seinem Hals hinauf und lachte leise. »Ich halte nicht das Mindeste von diesen Schwachköpfen. Sie kamen mit Schuhen aus Krokodilsleder nach Wyoming.« Sie hielt inne und sah ihren Geliebten zärtlich an. »Diese Kerle können dir jedenfalls nicht das Wasser reichen.«

Der zwölfköpfige Trupp von Präriejägern war aus Laramie gekommen und hatte im Salt Creek das erste Lager aufgeschlagen. Die Mehrzahl der Männer wollte höher in den Norden, hatte sich jedoch dem Scout gebeugt, der ihnen Felle im Wert von Hunderten Dollars versprochen hatte. Noch kannte Lassiter keinen Grund dafür, dass er sich dem Trupp hatte anschließen müssen.

»Schläfst du bei mir?«, erkundigte sich Lassiter und schälte sich aus seinem staubigen Hemd. Er hatte Kates anzügliche Blicke bereits in Laramie bemerkt. »Oder musst du in den Küchenwagen zurück?«

»Nicht vor dem Frühstück«, wisperte Kate und vergrub eine Hand in seinem Haar. »Dir bleibt die ganze Nacht für all diese  … verbotenen Dinge.«

Eine Stunde zuvor hatten sie es auf den Vorräten im Küchenwagen getrieben, bis ein Bohnensack aufgerissen war und sie das ständige Tock-Tock-Tock der herausfallenden Schoten beinahe verraten hätte. Kate hatte Lassiter beschworen, das Schäferstündchen in dessen Zelt fortzusetzen.

»Verbotene Dinge?«, meinte Lassiter und verzog den Mund zu einem Grinsen. »Vorn auf dem Wagen hast du dich nicht daran gestört.«

Anstelle einer Erwiderung beugte sich Kate herunter und nahm seinen steifen Pint zwischen die Lippen. Sie ging ebenso geschickt wie heißblütig zu Werke und ließ in ihrem feurigen Angriff erst nach, als Lassiters Atem schwerer wurde.

Ohne ein Wort ergriff Lassiter seine rotblonde Eroberung bei den Hüften und warf Kate neben sich aufs Lager. Er spreizte ihre Schenkel, legte sich dazwischen und drang mit einem leidenschaftlichen Stoß ein.

Erregt stöhnte Kate auf.

Sie krallte die Nägel in Lassiters Rücken, schloss die Augen und wölbte sich dem sandblonden Fremden entgegen. Sie gab sich ihm mit solcher Begierde hin, dass Lassiter die Büffelherde und das Lager um sie herum vergaß.

»O Lassiter!«, hauchte Kate und schmiegte ihren schlanken Leib an ihn. »Du weißt nicht … wie gut du mir tust!«

Draußen wurde das Gemurmel der Männer lauter, die offensichtlich begriffen, was in Lassiters schmalem Zelt vor sich ging. Sie ergingen sich in Neid und gespielter Abscheu und wandten sich dann halbherzig ihrer Pokerpartie zu. Über das Lager senkte sich Stille, die nur Kates gelegentliche Seufzer unterbrachen.

»Weiter, weiter!«, stieß Kate eine Viertelstunde später hervor, als Lassiters Höhepunkt gerade vorüber war. Sie hämmerte mit den Fäusten gegen seine Brust. »Du kannst mich so nicht liegen lassen!«

Ruhig setzte Lassiter zu einer zweiten Runde an.

Er sann für einen Moment über das Telegramm nach, das ihm in Laramie ein Kurier gebracht hatte und das zweifelsohne erst ein paar Stunden zuvor im Hauptquartier in Washington aufgegeben worden war. Die wenigen Worte waren mit dem Kürzel des Diensthabenden unterzeichnet gewesen, der wiederum die Kennung des Präsidenten beigefügt hatte. Der Auftrag war von höchster Stelle erteilt worden.

Treffen Sie Cuddler.

Allein der Postmeister von Laramie hatte Lassiter fünf Leute namens Cuddler genannt, die sich derzeit in Wyoming aufhielten und ihm Aufträge telegraphiert hatten. Zwei der Männer waren Siedler, zwei weitere Prospektoren in den Bergen. Der fünfte Cuddler hatte sich als Büffelfellhändler im Post Office eintragen lassen.

»Wovon träumst du, zum Teufel!« Kates Wangen glühten vor Hitze. »Du treibst mich erst halb in den Wahnsinn und willst mich jetzt auf halber Strecke verhungern lassen? Du bist ein Dreckskerl!«

Trotz der scharfen Worte lächelte die Tochter des Saloonbesitzers und klammerte sich an der Schlafdecke fest. Sie verkniff sich einen spitzen Schrei und wurde von den Krämpfen ihrer eigenen Ekstase geschüttelt. Als sie sich nicht länger beherrschen wollte oder konnte, legte ihr Lassiter die Hand auf den Mund und dämpfte ihr Stöhnen.

Sie kam mit aller Gewalt.

Erst presste Kate den Unterleib gegen Lassiters Riemen, dass es ihn schmerzte, dann bewegte sie sich ruckartig vor und zurück und gab ein klägliches Wimmern von sich. Sie schwitzte vor Anstrengung und ließ sich befriedigt auf das Nachtlager unter ihnen fallen.

Glücklich strahlte sie Lassiter danach an. »Woran hast du die ganze Zeit gedacht? Meine Güte, wenn du Frauen so vögelst, wie du’s eben getan hast, ist es kein Wunder, dass sie dir nachlaufen.«

»Matthew Cuddler«, sagte Lassiter die Wahrheit. Er legte sich neben Kate und berührte ihre Hand. »Kennst du ihn? Er muss zum Trupp gehören.«

»Cuddler«, überlegte Kate und nickte. »Er kam vor ein paar Wochen nach Laramie. Er jagt ab und zu in den Plains. Ich hab’ ihn manchmal im Saloon gesehen.« Sie wandte den Kopf zur Seite. »Was willst du von ihm?«

Lassiter ließ eine längere Pause verstreichen. »Er muss mit mir reden.«

Die Blutspritzer auf den weißen Blüten seines Saguarokaktus stimmten Gonzales Salamanca betrübt, obgleich er sie selbst zu verschulden hatte. Er hatte die mannshohe Kaktusstaude aus Pueblo Pintado herüberbringen und in den Garten der Hacienda setzen lassen. Die dornenbewehrte Fracht hatte ihn damals vierhundert Dollar gekostet.

Nun lag Gonzales’ ältester Bruder Lopez unter dem Saguaro.

Die Kugel hatte ihm den hinteren Teil des Schädels aufgefetzt und jenen dichten Haarschopf ruiniert, auf den Lopez sein kümmerliches Leben lang stolz gewesen war. Unter dem schwarzen Lockenhaar sickerte ein dünner Strom Blut hervor.

»Gott im Himmel«, sagte Joseph Vinney und wich vor dem beleibten Mexikaner zurück. »Er wollte mit uns übers Geschäft reden. Er ist Ihr Bruder gewesen, Mr. Salamanca.«

»Verräter«, knurrte Salamanca und musterte den Weißen neben ihm. »Keiner aus dem Clan nennt ihn noch Bruder. Er ist ein Sapo , ein Verräter.«

Der Amerikaner war von schmächtiger Gestalt und roch nach gebratenem Speck und Kümmel, nachdem er sich den ganzen Morgen zwischen den Kochtöpfen von Salamancas Großmutter herumgedrückt hatte. Er war ein lächerliches Mannsbild, sah man von den kräftigen Händen und der gegerbten Haut ab, die Vinneys Vergangenheit als Grubenarbeiter bezeugten.

»Verflucht, Salamanca!«, sagte Vinney und stieg voller Abscheu über den Toten hinweg. Er strich sich die Hose über den Knien glatt und konnte den Blick nicht von Lopez abwenden. »Ich könnte die Lust verlieren, mit Ihnen Verträge zu machen. Niemand von meiner Zunft mag Barbareien.«

Spöttisch grinsend beugte sich Salamanca zu seinem toten Bruder herunter und nahm ihm die Dollars aus der Tasche. Er zählte fünf Münzen ab, ließ sie in der Westentasche verschwinden und gab den Rest an Vinney. »Genug für Ihr Schweigen? Sie sollten nur sehen, wie meine Familie Männer behandelt, die uns betrügen wollen.«

Zögerlich griff Vinney die Münzen und gab sie Salamanca sogleich wieder zurück. Er schloss mit den Mexikanern seit Jahren Kontrakte und kannte die hiesigen Gepflogenheiten. Wer Schweigegeld nahm, bewies seinem Gegenüber nur, dass er für Dollars und nicht der Ehre wegen schwieg.

» Amigo !«, sagte Salamanca und legte Vinney den Arm um die Schultern. Er führte ihn von dem Toten weg und blieb auf einer Anhöhe hinter der Hacienda stehen. »Siehst du die Sonne? Siehst du den Horizont? Das Land könnte gänzlich dir gehören.«

Die Vinney Oil & Tar Co. war die mächtigste Ölbohrgesellschaft im fernen Wyoming, und Salamanca wusste, dass es ihrem Besitzer vor allem darum ging, sich bald größeren Einfluss in Texas zu verschaffen. Die Indianer mochten über Jahrzehnte über das »schwarze Gold« geklagt haben, das überall aus dem Boden trat, doch neuerdings wurde es zu immer höheren Preisen gehandelt.

»Sie wollen verkaufen?«, fragte Vinney und glich dabei einem arglosen Schuljungen. Er hatte Furcht vor Salamanca, wenn auch nicht genug, um sich über den Tisch ziehen zu lassen. »Dreihunderttausend sind mein letztes Wort. Ich muss an meine Familie denken.«

Der Mexikaner stützte die Arme in die Seiten und nickte bedächtig. Er hatte anderen Männern das Vermögen abgeluchst, die weniger gutgläubig als Vinney waren, und er würde auch diese Bekanntschaft zu seinem Vorteil nutzen. »Dreihunderttausend ist eine gute Zahl. Sie wird die familia zufrieden stellen.«

Fast fünf Generationen lang hatte der Salamanca-Clan auf diesem Flecken Land gelebt, auf dem Vinney nun seine Ölbohrtürme aufstellen wollte. Sie hatten Kinder geboren und Häuser errichtet, sie hatten für Mexikos Unabhängigkeit gekämpft und die wachsende Zahl Amerikaner in der Gegend ertragen.

»Wollen Sie mehr?«, fragte Vinney und äugte abermals zu dem riesenhaften Saguaro hinüber, unter dem Salamancas toter Bruder lag. »Ich … ich möchte mit der familia nicht in Streit geraten.«

Vergnügt lächelnd betrachtete Salamanca die Höhenzüge am Horizont, hinter denen die Santa-Cruz-Ebene lag. »Die Dollars machen ein Leben schwerer oder leichter. Es ist gut, Land und Vieh damit zu kaufen.« Er drehte sich halb zu Vinney um. »Aber manchmal kommt’s allein auf Gefälligkeiten an.«

Vinney widersprach nicht und heftete den Blick ebenfalls auf die Hügelkuppen am Horizont. Er ließ sich sein Entsetzen über den Toten nicht anmerken.

»Sie könnten etwas für mich tun, Mr. Vinney«, sagte Salamanca nach einem längeren Schweigen. »Sie könnten mir eine Sache beschaffen, die meine Familie gewogen stimmt.« Er setzte erneut ein Lächeln auf. »Der Verkauf des Landes liegt in den Händen meiner Verwandtschaft, wie Sie wissen.«

Aus der Ebene wehten Sandschwaden herüber, die wie eine ockerfarbene Nebelbank durch die Mesquitesträucher zogen. Sie hüllten die alte Scheune in einen Schleier, an der Salamancas Leute vor kurzem Öl gefunden hatten.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Vinney und drehte sich ganz zu dem Mexikaner um. Er starrte Salamanca forschend an. »Sie haben Ihren Bruder getötet, um mich einzuschüchtern. Sie müssen mich für den richtigen Mann halten.«

Befriedigt nahm Salamanca zur Kenntnis, dass er den Amerikaner am Haken hatte. Er musste Vinney nur eine Weile zappeln lassen, und alle Dinge würden sich wie von selbst fügen.

»Sie kennen die Antwort bereits«, erwiderte das Clanoberhaupt und hob die Brauen. »Es soll um die Frau gehen. Ich sprach bei unserer letzten Zusammenkunft von ihr. Sie hält sich derzeit in Wyoming auf und verfolgt einen finsteren Plan.«

Einen tiefen Atemzug später war Vinney im Bilde. »Sie meinen Miss Yupanqui? Sie hat sich als Küchenhilfe bei uns vorgestellt.«

Der Mexikaner verschränkte die Arme auf dem Rücken und kehrte langsam zum Leichnam seines Bruders zurück. Er schob den Arm des Toten zur Seite und stierte den zerschossenen Schädel eine Weile an. »Miss Yupanqui war an keinem einzigen Tag ihres Lebens eine bloße Küchenmagd.«

»Sie hat um eine Stellung gebeten«, versetzte Vinney augenblicklich. »Ich sandte Ihnen einen Rapport darüber und gab Mrs. Yupanquis Bitte statt.«

Salamancas Wangenmuskeln zuckten nervös. »Dann sind die Würfel gefallen. Ich vertraue darauf, dass weniger als ein Monat vergeht, ehe ich bekomme, was mir und meiner Familie zusteht.«

Zweihundert Bisons hatte der Scout im Morgengrauen gezählt und mit dieser Nachricht das Lager in Goldgräberstimmung versetzt. Die bärtigen Jäger aus Iowa, Kentucky, Texas, Louisiana oder New Hampshire schleppten ihre Sättel zu den Pferden und übertrumpften einander darin, sich gegenseitig für ihre Schießkünste zu loben. Als sie aufbrachen, blieben nur Matthew Cuddler und Lassiter bei den Zelten zurück.

»Sonntagsjäger!«, knurrte Cuddler verächtlich und schob sich den Hut aus der Stirn. Er war vierzig oder fünfzig und hatte die Angewohnheit, nach jedem Satz die Luft durch die Zähne zu ziehen. »Ich kann diese Kerle nicht anders nennen, Mr. Lassiter. Aber sie bringen mir gutes Geld.«

Die Reiter waren in einer Staubwolke verschwunden.

Einige Stunden zuvor hatte Kate Logan über Cuddler zu Protokoll gegeben, dass er ein Reiseagent wäre, der ab und an in Laramie absteige. Dass er zugleich Mittelsmann der Brigade Sieben war und Geheimdokumente mit sich führte, hatte die schöne Rothaarige nicht ahnen können.

»Sie lassen die Gringos allein?«, fragte Lassiter und sah in die staubgeschwängerte Luft hinaus. »Keiner von denen führt das Gewehr vernünftig. Sie hatten feuchtes Pulver in ihren Taschen.«

Der Mittelsmann winkte ab und schritt zwischen den Zelten hindurch. Er trug eine leichte Trappermontur, deren auffälligster Bestandteil ein sieben Zoll langes Messer mit geschnitztem Geweihgriff war. »Soll ich mir ihre Missetaten noch anschauen? Die Bisons in Wyoming gehen nicht zur Neige.« Er grinste. »Die Männer sollen ihren Spaß haben.«

Vor dem Zelt des Scouts zückte Cuddler ein braunes Kuvert. Es war fingerdick mit Papieren gefüllt und mit dem Siegel des Hauptquartiers in Washington versehen.

»Sie müssen einen Toten finden«, sagte Cuddler und breitete die Schriftstücke auf dem Esstisch des Scouts aus. Er nahm die Zeltplane zur Seite, die unentwegt gegen die Tischbeine schlug. »Er muss sich irgendwo in der Nähe des Salt Creek befinden. Die Brigade hat bis jetzt keine Spur von ihm entdeckt.«

Die Papierbögen aus dem Kuvert teilten sich in Informantenberichte und die üblichen Passierscheine, Formulare und Urkunden, die es Lassiter erlaubten, sich bei seinen Aufträgen als Angestellter der Regierung oder Bediensteter einer Eisenbahngesellschaft auszugeben. Sie waren mit faserigen Bastbändern zusammengebunden.

»Sie setzen mich auf einen Leichnam an?«, murrte Lassiter und griff nach dem obersten Blätterstapel. Er knotete den Strick auseinander und sah die Schreiben durch. »Irgendeinen Totengräber in Laramie grämen die entgangenen Dollars.«

»Sie sollen keinen gewöhnlichen Verstorbenen aufspüren«, meinte Cuddler ungeduldig. Er zog aus dem Kuvert eine Tuschezeichnung, die einen reich verzierten Sarkophag zeigte. Auf der steinernen Platte der Totentruhe war eine goldene Sonnenfigur abgebildet, neben der Maßpfeile und eine Reihe von Ziffern notiert worden waren. »Er ist dreihundert Jahre tot.«

»Sie sprechen von einer Mumie«, schlussfolgerte Lassiter und hielt die Skizze in die Morgensonne. Die Konturen des Sarkophags waren sorgfältig gezeichnet worden, als hätte der Urheber Sorge dafür tragen wollen, dass keine Einzelheit verlorenging. »Ist sie aztekischer Herkunft?«

»Fast ins Schwarze«, gab Cuddler zurück und nahm eine Fotoplatte unter den Akten hervor. Sie war in graues Packpapier eingeschlagen und barg das verschwommene Abbild eines Toten, der nicht in Leinentücher oder ein anderes Sterbegewand gehüllt war. »Der gute Mann ist ein Inka.«

Von Zeit zu Zeit hatte Lassiter über den kleinen Staat Peru gelesen, der sich zu Anfang des Jahrhunderts vom Joch der spanischen Konquistadoren befreit und seitdem von einem Bürgerkrieg zum nächsten stolperte. Die meisten amerikanischen Blätter spotteten über das Ungeschick der Lateinamerikaner.

»Die Leiche ist von einem Konsul nach Amerika gebracht worden.« Cuddler wartete geduldig ab, dass Lassiter die Zeichnung aus der Hand legte, um nach der Fotoplatte zu greifen. »Er wollte sie im vergangenen Monat der Universität von Georgetown zum Geschenk machen. Sie ist ihm allerdings vorher vom Frachtwagen gestohlen worden.«

Aus der Prärie tönten die Schüsse der Büffeljäger herüber, denen das Jagdglück offenkundig so hold war, wie es der Scout vorhergesagt hatte. Die dumpfen Schläge glichen Explosionen in einem weit entfernten Steinbruch.

»Gestohlen?« Lassiter zog die rechte Braue hoch. »Wer verscherzt es sich derart mit dem Jenseits, dass er Leichen raubt? Oder ist die Mumie von Wert?«

»Sogar von außerordentlichem Wert!«, beeilte sich Cuddler zu versichern. »Sie ist der sterbliche Überrest des letzten Inkaherrschers, der dieses stolze Volk regiert hat. Er fiel den spanischen Kolonialherren in die Hände, die mit ihm«, er führte die Geste des Halsabschneidens aus, »kurzen Prozess gemacht hat.«

Zwischen zwei Stapeln mit Informantenberichten, die das Hauptquartier für jeden Auftrag sammelte und zusammenstellte, stach Lassiter das mit goldenen Ornamenten besetzte Gutachten eines New Yorker Auktionshauses ins Auge. Die Buchmacher bemaßen den Wert der Mumie auf fünfhunderttausend Dollar.

»Túpac Amaru«, nutzte Cuddler die Stille. »So nannte man diesen König. Man betete diese Mumien zu früherer Zeit an.« Er lächelte. »Dummer Aberglaube, wie Sie wissen.«

»Ich nenne niemanden dumm«, entgegnete Lassiter und studierte das Gutachten. Es war von Professoren der Harvard- und Yale-Universität verfasst worden. »Jedenfalls nicht die Untertanen eines versunkenen Reiches. Was wissen wir über die Diebe?«

»Kaum ein paar Krumen«, seufzte der Mittelsmann und stützte sich auf den Tisch. »Die Männer kamen bei Nacht und brachten die Mumie mit einem Karren davon. Ein Bediensteter der Union Pacific hat die Beute in einem Postwagen gesehen.«

Konzentriert zeichnete Cuddler mit dem Finger zwei Linien auf das Tischholz und sann für einen Augenblick nach. »Sie fuhren erst nach Kansas City, danach weiter nach Sidney und Sherman. Die Leiche muss sich in Wyoming befinden.«

»Steht die Union Pacific auf unserer Seite?«, fragte Lassiter und legte das Gutachten zurück. »Oder schützt sie das Frachtgeheimnis? Diese Männer müssen für einen solchen Transport gut gezahlt haben.«

»Niemand in Washington will Wirbel um diese Sache«, meinte Cuddler rasch. »Die Mumie ist ein diplomatisches Dilemma für den Präsidenten. Er will das Verhältnis zu Mexiko nicht belasten.« Er schob die Unterlagen ins Kuvert zurück. »Auf mexikanischem Boden wohnen mächtige Dynastien, die sich als Nachfahren der spanischen Eroberer sehen. Sie würden eine solche Mumie in amerikanischem Besitz als Affront verstehen.«

Die ersten Reiter in der Prärie hatten kehrtgemacht und kamen in fliegendem Galopp zurück. Sie schwangen triumphierend die Arme, als sie Cuddler und Lassiter erkannten.

»Besorgen Sie mir einen Dienstschein der Union Pacific «, brummte Lassiter. »Ich beschaffe Ihnen die Mumie.«

Niemals würde Cura Yupanqui die silbergrauen Augen vergessen, die sie eines Nachts aus der Dunkelheit heraus angestarrt hatten. Sie hatten in der Finsternis wie winzige Diamanten gefunkelt, wie die ersten Sterne über den Andengipfeln im Osten. Sie hatten wie die Träume geglänzt, die Cura zu dieser Zeit gehegt hatte.

»Du musst fort aus Wyoming«, sagte Pasco und schob den Teetopf auf dem Feuer hin und her. Er hatte dem Trupp eine Handvoll Pferde besorgt, mit denen sie die Flucht antreten wollten. »Sie gehen auf die Suche nach uns. Sie haben den Leichnam gesehen.«

Die kläglich erleuchtete Erdhöhle, in der Pasco und die anderen Männer sich verkrochen hatten, lag zwanzig Meilen südlich der Vinney-Ölfelder. Sie war mit Balken und rostigen Stahlträgern zugestellt, unter denen ein fiependes Rattenrudel hauste. Die Schlafstätten reichten dennoch für alle aus.

»Ich gehe nicht«, sagte Cura entschlossen und wechselte ins Quechua. Sie hatten ihre Landessprache seit Wochen nicht gesprochen. »Du und alle Freunde wissen, dass wir klug und mutig sein müssen. Es darf niemand den Feigling spielen.«

Trotzig blieb Pasco bei seinem holprigen Englisch. »Hör auf damit, Cura! Hör auf damit! Es ist dumm genug gewesen, den Leichnam zu stehlen! Er ist in Sicherheit! Du kannst fort! Wir können fort!«

Der flackernde Widerschein des Feuers zeigte Cura reihum verängstigte Mienen. Die Männer fürchteten die Amerikaner, sie fürchteten noch stärker die Mexikaner, die nach ihnen jagten. Sie fürchteten dieses Land, das ihnen so fremd wie die Wellen des Pazifiks war.

»Noch ein paar Tage«, bat Cura und hob stolz den Kopf. Sie hatte sich das lange schwarze Haar mit einem Tuch zusammengebunden. »Er muss in Sicherheit sein, ehe wir die Rückkehr antreten. Er muss für wenigstens ein Jahr oder zwei in guter Obhut sein.« Sie flüsterte beinahe. » Er . Er war einmal euer König.«

Die Peruaner senkten die Häupter und verharrten in andächtiger Stille. Als sie ihr stilles Gebet beendet hatten, legte Pasco ein Holzscheit ins Feuer und sah zu, wie die Flammen die trockene Pinienrinde verschlangen.

»Túpac Amaru«, flüsterte Pasco. »Er war unser aller Herrscher und gütiger Hirte. Er war vor allem jedoch dein Ahne, Cura.« Er deutete über das Feuer. »In deinen Adern fließt sein Blut.«

Die silbergrauen Augen …

Sie hatten starr in der Luft gestanden, während Cura sich entkleidet und sich rücklings auf die gestrickte Decke aus Lamawolle gelegt hatte. Sie hatten auf sie herabgestarrt, als wären sie Augen eines Raubvogels gewesen.

Er war Konsul gewesen.

Seinen Posten und seinen Namen hatte er lange Zeit für sich behalten, nicht aus Scham, sondern aus dem kühlen Kalkül heraus, dass die Affäre mit Cura ihm hätte Ärger einbringen können. Er hatte erst spät verraten, dass er Edward hieß, und noch später, dass sein voller Name Edward D. Mulhagan lautete.

Du bist ein Engel.

Stets aufs Neue hatte er diesen schmeichelhaften Satz wiederholt, indessen er Cura angestarrt und an seiner Hose genestelt hatte. Er roch nach herbem Moschus, während er sich über sie beugte. Cura hatte dem Amerikaner nicht den mindesten Widerstand entgegengesetzt.

»Du bist die letzte Tochter Amarus«, sprach Pasco in beschwörendem Ton weiter. Er wandte sich zu den Männern um, die es nicht wagten, das brodelnde Teewasser vom Feuer zu nehmen. »Sie befiehlt uns, Brüder. Sie weiß, was zu tun ist.«

Doch in Curas Kopf war Leere.

Sie hatte Pasco und die übrigen Männer aus dem Dorf dazu gebracht, sie und Amarus Leichnam nach Amerika zu eskortieren. Sie hatte ihnen Entbehrungen auferlegt, sie hatte sie an Bord eines seeuntüchtigen Seglers gezwungen. Sie hielt dieses halbe Dutzend Leben in der Hand.

Sie, Cura Yupanqui, Prinzessin vom Stamme Amarus.

»Was willst du tun?«, wollte Chogon wissen und strich mit den Fingern an seinem schmalen Gesicht hinunter. Er war der Jüngste unter den Peruanern. »Die Mexikaner schneiden uns die Kehlen auf, sobald sie uns finden. Die Amerikaner schicken uns ihre Marshals hinterher.«

Seitdem sie Mulharan brüskiert hatten, mussten sie mit allem rechnen.

Der Honorarkonsul hatte Gift und Galle gespien, als ruchbar geworden wurde, dass sein Gastgeschenk für die Georgetown University verschwunden war. Er hatte Curas peruanischen Namen an die Zeitungen gegeben und Steckbriefe in Sheriffbüros und Bahndepots aushängen lassen.

Er hatte Rache an seiner einstigen Geliebten genommen.

Silbergrau wie eine tote Maus …

»Bald hat Mulharan genug«, sagte Cura mit Nachdruck und hob den Kopf. »Er rächt sich bloß für die Schmach, die ich ihm angetan habe. Er ist ein Dummkopf. Er weiß nichts vom kostbaren Leib des königlichen Amaru.«

Erneut schürte Pasco das Feuer und zog nachdenklich die Stirn in Falten. Seine dunklen Augen waren schwarz bis an die Lidränder. »Er ist ein mächtiger Mann, Schwester Cura, und er wird uns finden. Du bist einen gefährlichen Weg mit uns gegangen.«

»Ich bin den Weg der Inka gegangen«, schnitt Cura ihm grob das Wort. »Den gleichen Wegen gingen Abertausende vor uns. Es ist der Weg von Kriegern und Kämpfern.« Sie schwieg einen Moment lang. »Es ist nicht der Krieg von Feiglingen.«

Fast fünfhunderttausend Dollar hatte sich Honorarkonsul Edward D. Mulharan von der Leiche des Inkakönigs versprochen. Er hatte mit Cura nie darüber gesprochen, aber die Briefe, die nach Peru gekommen waren, hatten offen in seinem Schlafzimmer gelegen. Mulhagan hatte darin frohlockt, dass er diesen »peruanischen Bauern« einen Schatz aus den arbeitsamen Händen reißen würde.

Danach hatte Cura gute Miene zum bösen Spiel gemacht.

Sie hatte Mulhagan die Weichen stellen lassen, damit Amaru nach Amerika kam und kein gieriger Verwandter den Leichnam je für einige hundert Dollar verschachern konnte. Die Gier des Konsuls war Curas Glück gewesen. Sie hatte mit Mulhagan geschlafen und ihn eingesponnen, wie es die Alpaidaspinnen in den Bäumen taten.

»Ihr habt Cura gehört«, sagte Pasco und griff endlich nach dem Teekrug. Er schenkte den Männern die Tassen voll. »Vorerst bleiben wir in Wyoming. Der Leichnam darf nicht in amerikanische Hände geraten.«

Sie tranken schweigend von ihrem Tee und beratschlagten danach über Joseph Vinney, der ihnen eine andere Höhle auf seinen Ölfeldern angeboten hatte. Die meisten Männer wollten Amaru an Ort und Stelle lassen.

»Beten wir zu ihm!«, sagte Pasco halblaut und lehnte sich nach vorn. »Möge er uns leiten und Cura vor Unheil beschützen.«

Die Union-Pacific- Lokomotive aus Kansas City rollte mit zischenden Kolben das Gleis hinunter und hielt inmitten schlohweißen Qualms an. Sie zog einen massigen Pullman-Wagen, dessen Fenster verhangen waren, und einen US-Post-Waggon, in dem Briefe und Frachtwaren für Laramie lagerten. An den gefetteten Wagenachsen haftete fingerdick Staub.

»Laramie!«, rief der Schaffner mit durchdringender Stimme. »Laramie, Herrschaften! Bitte aussteigen! Bitte aussteigen für Laramie, Wyoming!«

Der Bedienstete der Eisenbahngesellschaft sah sich auf dem leeren Bahnsteig um und stolzierte mit verschränkten Armen von einer Tür des Pullman-Wagens zur anderen. Als ein älterer Passagier die Trittstufen herunterstieg, eilte er ihm beflissen zu Hilfe.

Von dem Fremden am Depotgebäude nahm niemand Notiz.

Er war mit der ersten Ankündigung des Kansas-City-Zuges erschienen und hatte Bahnhofsvorsteher Albert Miles seinen Dienstschein vorgelegt. Statt eines vollen Namens hatte auf dem Papier lediglich Lassiter gestanden. Mürrisch hatte Miles sein Stempel darunter gesetzt.

»Sie da!«, rief der Schaffner des Kansas-Zuges. Er winkte nach Lassiter. »Sie da! Kommen Sie her! Helfen Sie dem armen Herrn!«

Im selben Augenblick peitschten Schüsse über den Bahnsteig.

Die Kugeln zerfetzten die königsblaue Außenwand des Pullman-Wagens und waren aus den Abteilen heraus abgefeuert worden. Als der pfeifende Widerhall verklungen war, sprang Lassiter zu dem Schaffner und dessen Passagier und riss beide zu Boden.

»Schönes Wyoming!«, fluchte der Zugpassagier grimmig und hielt sich die Seite. Er hatte sich beim Sprung von der Wagenplattform verletzt. »Keine zwei Wochen war ich fort! Man hat’s nicht aufgegeben!«

Oben auf dem Zug ertönten hastige Schritte.

Der Mann der Brigade Sieben stahl sich unter dem Pullman-Wagen hindurch und zog den Remington. Er kroch über den Gleisstrang und spähte in die Höhe.

Der ruhige Vormittag war dahin.

Die Bewaffneten im Zug waren zu viert oder zu fünft und traten soeben die Flucht an. Sie zerschlugen ein Wagenfenster, schwangen sich nacheinander in die Tiefe und landeten im Schotter der Union-Pacific -Trasse. Als sie Lassiter bemerkten, nahmen sie ihren Gegner unter Beschuss.

Flirrend zischten die Revolverkugeln über den Brigade-Sieben-Agenten hinweg.

Die Feuerstöße ebbten nach kurzer Zeit wieder ab, als die Angreifer genügend Abstand zwischen sich und den Zug gebracht hatten. Sie erklommen ihre Pferde, die hinter dem Kohlebunker angebunden waren, und jagten auf einen Befehl ihres Anführers davon. Binnen Sekunden waren sie außer Schussweite.

»Verdammt!«, knurrte Lassiter und wandte sich zu dem Union-Pacific -Schaffner um. »Sind Sie verletzt? Sind Sie getroffen worden?«

»Nicht der Rede wert!«, rief der Schaffner mit einem tapferen Lächeln zurück. Er hatte sich über den Passagier geworfen, als das Fenster im Pullman-Wagen geborsten war. »Nur ein paar Kratzer bei mir! Mr. Vinney geht’s gut! Er hat … er hat nichts!« Der Schaffner richtete sich auf. »Ist’s wohl wahr, Mr. Vinney? Ist’s wohl wahr?«

Der Reisende aus dem Pullman-Wagen schlug sich den Staub vom Gehrock und stand ebenfalls auf. Er sah zu Lassiter hinüber und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lassen Sie die Kerle ziehen! Sie hatten es nicht auf mich abgesehen! Sie wollten mir bloß einen Schreck einjagen!«

»Seltsame Sitten«, entgegnete Lassiter und stieg unter dem Waggon hervor. »Solche Scherze könnten Unschuldige das Leben kosten.«

»Solche Skrupel kennen diese Leute nicht«, meinte der Union-Pacific -Passagier und trat auf Lassiter zu. Er musterte den Mann der Brigade Sieben länger. »Wo haben Sie derartige Schießkünste erlernt? Mir scheint, dass Sie bei einer Eisenbahngesellschaft am falschen Platz sind.«

»Lassiter«, stellte sich der Mann der Brigade Sieben vor und tippte sich an den Hut. »Ich bin Frachtwart drüben in Hilliard. Nichts ist wichtiger als ein Schießeisen in Wyoming.«

Beeindruckt reichte der andere Mann Lassiter die Hand. »Joseph Vinney. Ich bin Inhaber der Vinney Oil & Tar Co. und könnte Männer wie Sie brauchen.«

Ohne sich sein Erstaunen darüber anmerken zu lassen, dass er geradewegs dem mächtigsten Mann im County über begegnet war, setzte Lassiter ein schmales Lächeln auf. Er hatte auf einen Repräsentanten der Union Pacific im Zug gehofft, doch Vinneys Bekanntschaft war womöglich noch nützlicher.

»Was meinen Sie?«, insistierte Vinney und lächelte ebenfalls. »Ich könnte jemanden für die Feldmiliz brauchen. Meine Ölfelder ächzen unter den Sabotageakten.«

Der Schaffner beanspruchte mit einer energischen Geste das Wort. »Die Union Pacific braucht ihre guten Leute ebenfalls, Mr. Vinney. Sie können nicht daherkommen und –«

»Der Herr kann gewiss für sich selbst sprechen«, schnitt Vinney dem Uniformierten das Wort ab. »Die Freiheit des Einzelnen und Vertrauen zu Gott sind das Credo unserer großartigen Nation.« Er richtete den Blick zurück zu Lassiter. »Finden Sie nicht?«

Zwischen dem Schaffner und den anderen beiden Männern lag eine Spannung, die buchstäblich mit Händen zu greifen war. Nach längerem Schweigen resignierte der Schaffner und kehrte kopfschüttelnd in den zerschossenen Pullman-Wagen zurück.

»Er ist von weichem Gemüt«, sagte Lassiter und wusste nicht, ob er dem loyalen Union-Pacific -Angestellten damit Unrecht tat. »Ich arbeite gern für Sie, Mr. Vinney. Allerdings stehe ich noch zehn Tage im Dienst.«

»Zehn Tage sind keine Zeit«, gab Vinney zurück und ließ sich vom Schaffner die Taschen aus dem Zug reichen. Er war mit großem Gepäck gereist. »Sie können jederzeit zu mir kommen. Diese Kerle …« Er ging vor einer Ledertasche in die Hocke und öffnete die Messingschnallen daran. »Verdammt, entlassen Sie bloß keinen Vorarbeiter! Er wird’s Ihnen nachtragen bis ans Ende seiner Tage.«

Die Reisetasche aus braunem Rindsleder war mit Papieren und Kassenbüchern vollgestopft. Sie trug Vinneys Monogramm auf der Wandung.

»Sie kennen die Männer?«, fragte Lassiter. »Sie standen auf Ihren Lohnlisten?«

Vinney nickte grimmig und verschloss die Tasche wieder. »Einige von ihnen in der Tat. Sie sind vor zwei Jahren gefeuert worden.« Er seufzte. »Travis Baker hat es am schlimmsten erwischt.«

Mit knappen Worten nahm der Schaffner Abschied und eilte zum Stationsgebäude hinüber. Er schickte Vinney zwei Gepäckjungen, die emsig die Taschen schulterten und zu einem Landauer hinüber am Straßenrand trugen. Als sie damit fertig waren, kannte Lassiter die ganze Geschichte um Travis Baker.

»Seinen Stiefsohn feuert man nicht«, schloss Vinney und drückte den Jungen je einen Vierteldollar in die Hände. »Ich musste eine bittere Lehre wie diese erst selbst ziehen. Travis trägt mir diesen Entschluss nach.«

»Sie müssen solche Taten nicht hinnehmen«, knurrte Lassiter und schaute zum Pullman-Wagen hinauf. »Nicht bei der Union Pacific , Sir.«

Fast acht Meilen ritt Travis Baker mit seinen Männern nordwärts, ehe die Stambough Hills in Sicht kamen und der pochende Herzschlag in Bakers Brust nachließ. Er starrte auf den Revolvergriff, der aus der Satteltasche ragte, und stieß einen lauten Fluch aus.

»Ruhig, Travis!«, brüllte Pete Coulton und hielt sein Pferd kurz. Er und Baker hatten früher zusammen die Bohrgestänge ausgetauscht. »Ein Hitzkopf hilft uns nicht weiter! Hilft uns nicht weiter! Hörst du?«

Die übrigen Berittenen preschten zu den windumtosten Hügelkuppen hinauf und machten Halt. Sie sahen sich nach dem Gleis der Union Pacific um, das in der Ferne glänzte wie eine Rinne voll flüssigem Blei. Die Sonne stand tief über dem Horizont.

»Travis!«, rief Coulton erneut und brachte sein Pferd neben jenes von Baker. »Du führst dich auf wie ein Derwisch! Es war nicht der erste missglückte Angriff! Du solltest es wissen!«

Durch Bakers Schädel tobten finstere Gedanken, in denen es ausnahmslos um den Tod von Joseph Vinney ging. Sie hatten dämonische Stimmen und gaben Baker die Schuld an allem. Einmal verwünschten sie den ehemaligen Vorarbeiter der Vinney Oil & Tar Co. , dann wieder spotteten sie, dass er offenbar außerstande war, seinen Stiefvater ins Gras beißen zu lassen.

»Travis?«

Coultons Hand spannte sich um seine Schulter und holte Baker in die Wirklichkeit zurück. Er riss sich los und hieb zornig auf das Sattelhorn vor sich.

»Verdammt, Travis!«, schnauzte Coulton und ballte verärgert die Faust. »Dir sind ’n paar Tassen aus dem Schrank gefallen, was? Reiß dich zusammen, eh’ es der Rest merkt! Bist nicht der Einzige im Trupp, dem die Sache an die Nieren geht!«

Seine Leute hatten sich schweren Herzens auf den unausgegorenen Plan eingelassen, den Baker ihnen serviert hatte. Alle im Trupp waren sich einig gewesen, dass es einer Dummheit glich, sich mitten auf dem Bahnsteig von Laramie eine Schießerei zu liefern.

Eine günstigere Gelegenheit indes hätte sich nicht geboten.

Sie hatten Vinney abfangen müssen , ehe er und seine Entourage wieder zu den Ölfeldern ritten, zu jenem stattlichen Herrenhaus mitten in der Prärie Wyomings, in dem seine Frau und seine Kinder lebten. Sie hätten ihn an Ort und Stelle abknallen müssen, wie er es mit ihren Hoffnungen getan hatte.

Stattdessen hatten sie Vinney geschont.

»Nimm deine Dreckspfote weg!«, knurrte Baker aufgebracht und schüttelte Coultons Hand von der Schulter. Er brachte Abstand zwischen sich und seinen Gewährsmann und hämmerte vor Zorn auf das Sattelleder ein. »Ruf die Jungs zusammen! Ich will mit ihnen reden!«

Dreizehn Jahre hatten Vinney und er gemeinsam geschuftet, erst als Ölgräber unten in Texas, dann auf eigene Rechnung in Wyoming. Sie hatten sich wechselseitig das letzte Brot zugeschoben, als sie hungrig schlafen gegangen waren, hatten einander die Kojoten vom Leib gehalten und die Grabeisen geschliffen, mit denen sie am nächsten Tag die Prärie durchpflügt hatten.

Sie waren gottverfluchte Ölbrüder gewesen.

»Was gibt’s, Boss ?«, rief einer aus Bakers Trupp und betonte das letzte Wort spöttisch. Er grinste und schaute sich beifallheischend um. »Ist ’n rechter Reinfall gewesen, wenn man’s genau nimmt. Irgendeine von den Union-Pacific -Fratzen hatte wohl ’nen Schießprügel dabei.«

»Halt’s Maul!«, fauchte Coulton und ritt um die versammelten Männer herum. »Ich reiß’ jedem von euch die Ohren vom Stamm, der sich despektierlich auslässt. Ist unser aller Plan gewesen. Den Boss trifft keine Schuld, dass es schiefgelaufen ist.«

»Hört, hört!«, schaltete sich Baker ein und stieg aus dem Sattel. Er stemmte die Hände in die Seiten und schritt fahrig auf und ab. »Aber wahr wird’s dadurch trotzdem nicht! Keiner außer mir ist schuld daran! Ich hab’ euch nach Laramie geschickt!«

»Hör auf, Travis!«, brummte Coulton und stieg ebenfalls von seinem Pferd. Er begab sich zu Baker und dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Hör zu, die Männer vertrauen dir noch! Du darfst sie nicht für dumm verkaufen!« Er kehrte sich den übrigen Reitern zu. »Sagt ihm, wem eure Treue gehört!«

Einige Bandenmitglieder senkten verdruckst die Köpfe und beteuerten murmelnd ihre Loyalität. Sie sprachen so leise, dass Baker keine ihrer Äußerungen verstand. Er trat zu Coulton und nahm einen tiefen Atemzug.

»Sei still!«, kam Coulton ihm zuvor. »Denk daran, dass mancher von ihnen fast ’ne Kugel im Leib hatte.«

Düstere Wut stieg in Baker auf. »Pete, Vinney gebührt der Tod. Er muss endlich büßen für seine Taten.«

Kaltblütig hatte Vinney jeden von ihnen gefeuert.

Er hatte vor dem Hauptquartier der Vinney Oil & Tar Company ihre Vergehen vorgelesen und ihnen die letzten Lohntüten ausgehändigt. Er hatte von Ehre und Anstand gesprochen, während er ihnen den Dolch in den Rücken gerammt hatte.

»Mr. Baker!«, rief Charles Cameron aus dem Sattel. Er war ein drahtiger Mann von neunzehn Jahren, den Vinney wegen einer Bagatelle gefeuert hatte. »Wir könnten uns immer noch auf die Suche nach der Mumie machen.«

Erneut packte Baker finsterer Zorn. »Die sogenannte Mumie gibt es nicht, Charlie! Sie ist eine Lüge! Wahrscheinlich hat’s Vinney behauptet, damit wir ihm in die Arme laufen!«

Über die alte Inkamumie hatten sie sich in den vergangenen Wochen ständig in die Haare bekommen. Eine Hälfte der Männer glaubte, dass Vinney tatsächlich im Besitz eines Grabschatzes war, die andere Hälfte hielt die Sache für ein Hirngespinst.

»Streiten wir nicht!«, mahnte Coulton und griff die Zügel nach. »Uns ist übel mitgespielt worden.« Er sah zu Baker. »Eine längere Verschnaufpause würde uns guttun.«

»Um ein Phantom zu jagen?«, blaffte Baker und spie voll Abscheu aus. »Allmählich verliert ihr alle den Verstand, Männer. Ob es die Mumie gibt oder nicht, sie hilft uns kein Stück weiter.«

»Sie ist kostbar«, wandte Cameron ein und erntete zustimmendes Nicken. »Sollten wir sie in die Hände kriegen, hat Vinney größere Sorgen als unsere Kugeln. Ich meine, dass wir uns auf diese Art rächen sollten.«

Aus den Reihen der Männer, die ebenso wenig von der Mumie hielten wie Baker, kam leises Gelächter. Selbst in den Mienen dieser Zweifler jedoch konnte Baker lesen, dass sie eine unnütze Suche weiteren Bluttaten vorzogen.

»Hör auf das Greenhorn!«, raunte Coulton und stieg zurück in den Sattel. »Ein paar Tage müssen wir uns ohnehin verkriechen. Über Laramie muss erst Gras wachsen.«

Die Ölbohrgerüste im Salt Creek zeichneten sich scharf gegen die Morgenröte ab, die wie ein glühender Schleier über dem Horizont stand. Die Holzbauten waren aus kalifornischem Pinienholz errichtet worden, dessen harzgetränkte Stämme dem sprudelnden Öl selbst nach Jahren noch standhielten. An einigen Stellen standen die Gerüste so dicht beieinander, dass Joseph Vinney Mühe hatte, sie bei ihren Nummern zu nennen.

»Zwölf, dreizehn und fünfzehn!«, rief Vinney und runzelte die Stirn. »Könnte auch die verdammte Achtzehn sein! Ich kann’s Ihnen nicht besser sagen.« Er setzte ein zufriedenes Lächeln auf. »Aber sie fördern das beste Schmieröl im Umkreis von tausend Meilen!«

Der Mann neben Vinney nickte anerkennend und winkte gleichzeitig ab. Er hatte weitestgehend geschwiegen, seit der Ölbaron und er das Geschäftsgebäude der Vinney Oil & Tar Company verlassen hatten. »Ich könnte kein Gerüst vom anderen unterscheiden, Mr. Vinney. Ich sehe bereits genug.«

»Mr. Lassiter«, schlug Vinney einen großväterlichen Ton an. »Sie wollen in meine Feldmiliz eintreten und kennen nicht sämtliche Ölfelder? Ich muss Ihnen sämtliche Förderquellen zeigen.«

Der Mann der Brigade Sieben gab sich mit einem höflichen Lächeln geschlagen und grübelte weiter über das Geschehnis in Laramie nach. Die Berichte aus Washington hatten keinen Widersacher Vinneys erwähnt, der für eine solch blutrünstige Tat in Betracht kam.

Sie passierten in ruhigem Trab einen Förderturm.

»Wann entließen Sie Travis Baker?«, fragte Lassiter und blickte an dem Holzgerüst hinauf. »Wie gut kannten Sie ihn?«

»Sie sind schlimmer als Scotland Yard«, gab Vinney zur Antwort und legte eine Hand an das Fördergestänge. »Er und ich waren über Jahre gute Freunde. Ich verdanke ihm viel.« Er zog die Hand zurück und schaute nach dem Pumpenhaus am Fluss. »Aber er vernachlässigte seine Pflichten bei Vinney Oil & Tar .«

Einen Augenblick lang konnte Lassiter das rauschende Öl unter dem Stahl hören. »Was war ihm vorzuwerfen? Sie ließen einen Freund gehen?«

Die Züge des Geschäftsmannes verhärteten sich. »Ich setze jeden auf die Straße, der dieser Ölbohrgesellschaft schadet. Es geht um fast fünfzig Menschen, die für mich arbeiten. Ich darf und kann keine Nachlässigkeiten dulden.«

Aufgebracht stieg Vinney vom Pferd und lief um das Bohrgestänge herum, das in einem mit Holzbrettern abgesteiften Erdschacht verschwand. Er nahm eine rostige Zange aus der Satteltasche und zog eine Manschette fester.

»Sie sollten sich niemandem zum Feind machen«, sagte Lassiter ruhig. »Schon gar keinen Freund, den Sie in Geschäftsgeheimnisse eingeweiht haben.«

»Er war und ist kein Feind«, knurrte Vinney und legte die Zange um eine weitere Rohrmanschette. Als er außer Atem geriet, setzte er ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Seinetwegen hat die Vinney Oil & Tar beinahe einen Ölkäufer verloren. Ich musste Baker und einige andere Männer entlassen.«

Die Manschette knirschte unter Vinneys Handgriffen, bis durch das ganze Gestänge ein Ächzen ging. Der Direktor der Vinney Oil & Tar Co. setzte abermals ab.

»Geht es Baker um die Mumie?«, fragte Lassiter und sah Vinney durchdringend an. »Die Mumie aus dem Union-Pacific -Zug?«

Einen Augenblick lang war Vinney wie vor den Kopf gestoßen. »Wo … woher wissen Sie von der Mumie? Es durfte niemand davon erfahren. Ich erhielt Telegramme von der Eisenbahngesellschaft –«

»Von der Union Pacific ?« Lassiter hatte beschlossen, bei seiner Tarnung zu bleiben. »Die Union Pacific wahrt nur die Interessen des amerikanischen Außenministeriums. Die Mumie versetzt Washington in Sorge.«

Verdrossen schob Vinney die Zange in die Satteltasche und zog den Gurt durch die Lasche. Er schürzte die Lippen und sah Lassiter von der Seite an. »Sie sind kein schlichter Angestellter, nicht wahr? Sie sind ebenfalls auf der Suche nach der Mumie.«

Der Mann der Brigade Sieben beantwortete Vinneys Mutmaßungen mit vieldeutigem Schweigen. Er wies am Gerüst des Ölbohrturms hinauf und lächelte. »Verkaufen Sie das Zeug nur an uns? Oder nimmt’s Ihnen auch eine andere Gesellschaft ab?«

»Die Mumie ist eine Regierungsangelegenheit?«, überging Vinney Lassiters Frage. »Sie wollen mir sagen, dass jemand Eigentum der amerikanischen Regierung widerrechtlich nach Wyoming gebracht hat? Auf mein Land?«

»Ist die Mumie auf Ihrem Land?«

Die beiden Männer lauschten erneut dem rauschenden Öl, das weiter oben von einem Schlauch aufgefangen und in die Tiefe geleitet wurde. Das Stahlrohr stand wie ein Pfosten zwischen ihnen.

»Sie sind ein neugieriger Mann, Mr. Lassiter«, sagte Vinney nach einiger Zeit. »Ich möchte Sie trotzdem in meinen Diensten wissen, falls es Ihre Pflichten zulassen. Sie müssten eine faule Miliz wieder in die Gänge bringen.«

»Welch verlockendes Angebot«, scherzte Lassiter und schritt um das Förderrohr herum. Er hatte Vinney, wo er ihn brauchte. »Ich stelle mich gern als Milizführer in Ihren Dienst.«

Sie setzten ihren Ritt fort und passierten eine stattliche Anzahl Fördertürme, die zumeist in Erdsenken standen und von niedrigen Wirtschaftsgebäuden umgeben waren. Vinney hing seinen Gedanken nach und redete erst auf dem Heimritt wieder über die Mumie.

»Sie ist gestohlen worden«, streute Lassiter wie beiläufig ein. Er lauschte jedem Wort seines Begleiters. »Ich bin nicht erstaunt, dass die Union Pacific Ihnen Telegramme sendet.«

Zögerlich nahm Vinney eine Telegrammabschrift aus der Westentasche und reichte sie Lassiter. Er zog die Schultern hoch und ritt in dieser verkrampften Haltung weiter. »Hören Sie, ich wusste nicht, was es mit diesem Toten auf sich hat. Es war eine Frau bei dem Leichnam. Sie muss eine Peruanerin gewesen sein. Ich habe sie seither nicht wieder gesehen.«

»Eine Frau?«, fragte Lassiter und betrachtete die Niederschrift des Telegramms. Es war in Omaha, Nebraska, durch einen Bediensteten der Union Pacific Railroad aufgegeben worden. »Wie hieß sie? Woher kam sie?«

Vinney beugte sich nach vorn und kniff die Augen zusammen. »Sie hieß Cura … Cura Yupanqui. Ich habe den Namen einige Male gelesen. Sie hat sich mir nie vorgestellt.«

»Sie ließen eine fremde Frau auf Ihr Land?«, entgegnete Lassiter zweifelnd. »Mit einer Leiche im Gepäck?«