Lassiter Sammelband 1866 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1866 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2479, 2480 und 2481.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 430

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1866

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2020 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN: 978-3-7517-6524-4

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1866

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2479

Ein Fluch namens Rebecca

Lassiter 2480

Rebeccas letzter Tag

Lassiter 2481

Serenade für zwei Colts

Guide

Start Reading

Contents

Ein Fluch namens Rebecca

Der Schrei, der durch die dünne Wand aus dem Nebenzimmer an Lulus Ohren drang, brachte ihr eigenes pflichtschuldiges Stöhnen zum Verstummen. Denn die Stimme von nebenan klang so grauenvoll, dass die Dirne unwillkürlich den Atem anhielt.

Dann riss der für einen Mann eigentlich zu hohe Laut plötzlich ab und ging in ein Gurgeln über. Lulu ahnte, weshalb, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, während sie sich von ihrem Freier löste, der offenbar nichts mitbekommen hatte.

»Hey!«, rief der Mann aus, der überall außer auf seinem Schädel dicht behaart war. »Was soll das, warum hörst du auf?«

Lulu stieg aus dem Bett und funkelte den Freier an. »Bist du taub? Nebenan wurde gerade jemandem die Kehle aufgeschlitzt!«

Der Dicke stützte sich mit seinen Unterarmen auf der Matratze ab, und seine Augen verengten sich zu verärgerten Schlitzen, während er Lulu dabei zusah, wie sie sich das dünne, zerschlissene Nichts von einem Bademantel überstreifte und die Schublade des Toilettentischs aufzog, um den kleinen Derringer hervorzuholen.

»Was redest du da für einen Unsinn, verdammt?«, brummte der Freier und starrte missmutig auf seine schrumpfende Erektion. »Ich hab nichts gehört. Und wenn du jetzt nicht weitermachst, will ich mein Geld zurück!«

Lulu ignorierte ihn, griff nach dem Türknauf und atmete kurz durch, bevor sie die Tür öffnete und hinaus spähte auf den Flur. Das schummrige Licht dünner Öldochte hinter den Glaszylindern der Lampen an den stoffbespannten Wänden erhellte den Korridor nur unzureichend. Sie schluckte, als sie sah, dass die Tür des Nachbarzimmers weit offen stand und eine dunkle Gestalt in einem langen weiten Mantel hastig durch den Flur davon rannte.

»Haltet ihn!«, wollte sie rufen, doch die Worte schafften es nur als ersticktes Krächzen durch ihre von Panik zugeschnürte Kehle.

»Haltet den Mörder …« Sie hob in einer hilflosen Bewegung den stupsnasigen Doppellauf ihres Derringer, doch im selben Moment wurde einige Yards weiter eine andere Tür aufgerissen. Daisy, eine mollige Kollegin, streckte ihr rundes Mopsgesicht zum Flur hinaus. Als sie Lulu sah, strich sie sich fahrig die ramponierte Lockenpracht aus der Stirn und riss die Augen so weit auf, dass Lulu befürchtete, sie im nächsten Moment über den Teppich kullern zu sehen.

»Was zur Hölle ist passiert, Lulu?«, fragte Daisy entgeistert, während hinter ihr die Gestalt bereits auf der gewundenen Treppe verschwand, die nach unten zum Hinterausgang des Horny Corny führte. »Hast du das auch gehört?«

Lulu sparte sich eine Antwort und ging stattdessen auf nackten Füßen und Beinen, die sich anfühlten, als hätten sich Knochen, Sehnen und Muskeln in eine Art Melasse verwandelt, auf die Tür zu, die zwischen ihr und Daisy lag.

»Tu das nicht!«, zischte Daisy, und ihr blasses Pfannkuchengesicht erweckte im fahlen Licht der Ölfunzeln den Eindruck, als wäre im Flur des Bordells gerade der Vollmond aufgegangen. »Lass uns Richy rufen, das ist sein Job !«

Beschwörend streckte Daisy ihre Hand in Lulus Richtung aus, als könne sie sie damit stoppen, doch die dunkelhäutige Dirne ließ sich davon nicht aufhalten.

Obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte und sich der kleine Griff des Derringer in ihrer rechten Faust plötzlich so glitschig anfühlte, dass er ihr aus der Hand zu gleiten drohte, schob sie sich vor bis an die Türkante und spähte vorsichtig daran vorbei in das Zimmer.

Um kurz darauf scharf die Luft durch gespitzte Lippen einzusaugen.

Der Mann auf dem Bett lag in ähnlicher Position auf den Laken wie ihr Freier im Nebenzimmer; die Beine gespreizt, auf dem Rücken und beide Arme ergeben ausgestreckt wie ein Gekreuzigter.

»Jesus Christus«, flüsterte Lulu und hielt sich am Türrahmen fest, weil sie spürte, wie Schwindel und Übelkeit von ihr Besitz ergriffen.

»Jetzt sag doch was, Lulu – was ist denn da?«, hörte sie Daisy fragen, doch sie konnte nur den Kopf schütteln und den Blick nicht abwenden von dem grauenhaften Anblick, der sich ihr darbot.

Es sah aus wie ein scharlachroter Kragen, den der Mann vor ihr um den Hals trug; doch es war dunkelrot glänzendes Blut, das im warmen Licht der brennenden Kerzen auf dem Nachttisch unheilvoll leuchtete. Mitten im Rot sah sie die klaffende Wunde, die wie ein zweiter Mund quer über der Kehle des Toten klaffte.

Lulu blickte in die aufgerissenen Augen der Leiche, und trotz der im Todeskampf verzerrten Züge hatte sie keinen Zweifel daran, dieses Gesicht zu kennen.

Am Morgen war das Konterfei des Mannes auf der Titelseite der Washington Post zu sehen gewesen.

Doch was hatte jemand wie er im Horny Corny verloren? Und wo war die Dirne, die bei ihm hätte sein sollen?

»Lulu? Jetzt sag doch was, mein Gott!«

»Ruf Richy, schnell«, stieß Lulu endlich mühsam hervor, während sie spürte, wie das Mittagessen in ihr aufstieg, um den Rückzug nach oben anzutreten. Sie würgte und wandte sich ab, nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, sich mit der Hand am Türsturz aufzurichten und das Essen bei sich zu behalten.

»Er soll die Polizei rufen«, krächzte sie noch, doch Daisy war bereits mit ihrem breiten Hintern zur Treppe gewatschelt, und ein älterer Herr schaute stattdessen irritiert aus ihrem Zimmer zum Korridor hinaus.

»Ist was passiert?«, fragte der Oldtimer verwirrt.

Lulu konnte ihn nur anstarren und brachte kein Wort über die Lippen. Sie sank mit dem Rücken an der Wand zu Boden, und als sie sich mit dem Arm über die Stirn wischte, spürte sie kalten Schweiß.

Ihr an den falschen Stellen dicht behaarter Gast tauchte in der Tür auf und hatte sich so hastig angekleidet, dass die Knöpfe seines Hemdes in verkehrten Löchern steckten und aus dem offenen Hosenstall ein Zipfel der Unterhose herausschaute. Er warf ihr einen giftigen Blick zu, bevor er sich wortlos in Richtung des Foyers davon machte.

Richy tauchte zwei Minuten später vor ihr auf und zog sie auf die Füße. Sie hörte kaum, was er zu ihr sagte, und anstatt ihm zu antworten, konnte sie nur hilflos den Kopf schütteln.

Auch auf die Fragen der Uniformierten, die erst fast eine Stunde später eintrafen, weil eine Massenschlägerei unter Matrosen unten an den Kais nahezu sämtliche Ordnungskräfte in Beschlag genommen hatte, hatte Lulu wenig mehr als ein Achselzucken zu bieten. Schließlich war sie lediglich Ohrenzeugin eines Schreis geworden. Eines wirklich grausigen Schreies, Yessir – aber sonst hatte sie kaum etwas von Belang zu berichten. Den Täter hatte sie nur im Zwielicht fliehen sehen, einen dunklen Schatten mit wehenden Mantelschößen.

Und weshalb Belinda, die normalerweise die Gäste im Zimmer nebenan bediente, spurlos verschwunden war, konnte sie sich ebenso wenig erklären.

Missmutig legte Town-Marshal Julian Devane die hohe Stirn in Falten, bevor er den Männern Platz machte, die den schlichten Kiefernsarg durch das Foyer des Bordells in Richtung Ausgang trugen. Er verdrehte die Augen, als einer der Träger dabei über einen Pflanzenkübel mit bedauernswert aussehendem Inhalt stolperte, der daraufhin bedrohlich ins Schwanken geriet.

Sein Blick streifte die Huren, die mit aschfahlen Gesichtern wie Tauben im Schlag auf den Treppenstufen hockten und knopfäugig zu ihm herunter sahen; eine brüske Handbewegung reichte aus, um sie aufflattern zu lassen, und binnen weniger Augenblicke waren die mit purpurrotem Samt bespannten Treppenstufen leer.

»Ich werde Ihnen die Hölle heißmachen, wenn der Name des Toten morgen in der Zeitung steht, Richy«, knurrte er und nahm sein Gegenüber eindringlich in den Blick.

Der Angesprochene hob abwehrend die Hände und grinste humorlos. »Bei aller Liebe, Sir – Sie wissen genau so gut wie ich, dass ich darauf keinen Einfluss habe. Ich kann meinen Mädchen den Mund verbieten, und die meisten von ihnen werden wahrscheinlich auf mich hören. Aber wir hatten fast ein Dutzend Gäste heute Abend, die sich so schnell vom Acker gemacht haben wie der Teufel vor dem Weihwasser, nachdem ihnen klar wurde, was passiert ist.«

Devane presste die Lippen zusammen und kratzte sich am Hals. Ihm war klar, dass Richy Fagan damit eine Wahrheit aussprach, die Schlimmes befürchten ließ.

Doch bis die Presse von Washington sich auf dieses saftige Filetstück stürzen konnte, blieben ihm noch ein paar Stunden Zeit, in denen er Fakten sammeln konnte.

»Okay, Richy«, brummte er und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Empfangstresen ab, um dem Mann dahinter forschend in die Augen zu sehen. »Wann hat der Gentleman, den meine Männer gerade rausgetragen haben, bei Ihnen eingecheckt?«

Fagan zuckte die Achseln. »Das ist ja gerade mein Problem, Marshal. Gar nicht.«

Devane schloss die Augen und rieb sie sich mit Daumen und Zeigefinger. Darüber, hinter seiner Stirn, machte sich ein rumorender Schmerz breit. »Was soll das heißen?«

»Das, was ich sage. Der Bursche ist hier nicht reingekommen. Er muss über den Hintereingang nach oben gelangt sein.«

Devane verengte die Augen. »Seit wann kann man jederzeit bei Ihnen durch die Hintertür hereinspazieren, Richy? Ich rate Ihnen, mich nicht zum Narren zu halten – sonst mache ich diesen Schuppen noch heute Abend dicht, und zwar für mindestens eine Woche.«

Fagan legte die Stirn in Falten und wich vor der grimmigen Miene des Town-Marshals unwillkürlich ein wenig zurück. »Das kann man normalerweise nicht, Mr. Devane«, gab er zu. »Ich habe wirklich keine Erklärung dafür. Auch nicht, warum der Kerl in Belindas Zimmer war. Weil sie ja ohnehin …« Seine Stimme erstarb mitten im Satz, und Devane registrierte, wie sein Gegenüber nervös blinzelte.

»Ohnehin was ?«, knurrte der Marshal eisig. »Strapazier meine Geduld nicht noch länger, Richy, sonst wirst du’s bereuen.«

»Belinda hatte einen Job für außerhalb«, antwortete Fagan, die Miene nun von sorgenvollen Falten durchzogen. »Jemand hatte sie bestellt, das Geld kam per Boten zusammen mit einer Nachricht, dass Belinda sich um fünf Uhr oben am Providence Square mit dem Kunden treffen sollte.« Er hob die Achseln und starrte den Sternträger unsicher an. »Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«

Devane nickte, und seine Miene verdüsterte sich. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass Fagan seine Belinda auch in der Zukunft nicht wiedersehen würde.

Jedenfalls nicht lebendig.

Es hatte den Anschein, als wäre hier ein Mord passiert, der sorgfältig und bis ins Detail vorbereitet worden war.

Eddy Cupper, einer seiner Deputies, kam an den Tresen und raunte ihm zu: »Die Leiche ist unterwegs zum Bodydoc , Sir. Sollen wir jetzt die Mädchen befragen?«

»Tun Sie das«, knurrte Devane. »Nehmen Sie Ryker und Smith dazu. Mit Mr. Fagan bin ich fertig … vorerst.« Er bedachte den Mann hinter dem Tresen mit einem kurzen, strengen Blick.

»Ich erwarte von Ihnen, dass Sie meine Männer nach Kräften unterstützen. Und morgen werden Sie noch einmal bei uns erscheinen, damit Ihre Aussage zu Protokoll genommen werden kann, verstanden?«

Fagan schnaufte, bevor er ergeben die Hände hob und nickte.

Als Julian Devane auf die Straße trat und seine Uhr aus der Westentasche zog, musste er sich abermals mit den Fingerknöcheln die müden Augen reiben, bevor er im Licht der Gaslaterne die Zeiger auf dem Zifferblatt erkennen konnte.

Drei Uhr zweiundfünfzig.

Mitten in der Nacht, doch von den Kais am Potomac trieb nicht nur eine salzige Brise herüber, sondern auch die klagenden Laute von Nebelhörnern; die ersten Fischer brachen bereits auf, um ihre Netze auszuwerfen.

Er schaute sich um. Das Kopfsteinpflaster glänzte matt unter dem Laternenlicht, und hier zumindest trieb sich niemand mehr herum. Für die Lampenwärter, die im Morgengrauen die Lichter löschten, war es noch zu früh. Und selbst die standfestesten Nachtschwärmer hatten Washingtons Rotlichtviertel mittlerweile entweder verlassen oder schliefen irgendwo in einem von Wanzen verseuchten Bett ihren Rausch aus.

Eigentlich liebte Devane diese kurze Zeit zwischen pulsierendem Nachtleben und dem geschäftigen Morgen, in denen die Bundeshauptstadt in einem dünnhäutigen Schlummer versank und die Metropole wie eine Geisterstadt erschien. Seit seine Frau ihn verlassen hatte und mit der gemeinsamen Tochter zurückgezogen war nach Minnesota, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, in dieser blauen Stunde , wie er sie nannte, durch die Stadt zu spazieren und die sonst so überlaufenen Plätze und Gassen zu erleben, wenn sie verwaist und menschenleer waren.

Doch jetzt war die Nacht nicht friedlich und die blaue Stunde mit tiefrotem Blut besudelt worden.

Mit der Stiefelspitze kickte er eine leere Fuselflasche in den Rinnstein, schlug seinen Kragen hoch und marschierte hinunter in Richtung des Hauptquartiers.

Es machte keinen Sinn mehr, nach Hause zu gehen, denn er würde ohnehin keinen Schlaf finden.

»Sir …«

Julian Devane schreckte hoch und blinzelte. Das Bild vor seinen Augen wurde nur zögerlich klar.

Er rieb sich über das Gesicht, spürte einen Geschmack im Mund, der ihn an zu lang getragene Socken erinnerte und ächzte, als sein Rücken schon die erste Bewegung nur mit jähen Schmerzimpulsen in Kauf nahm.

»Was ist los, Cupper?«, stöhnte er, streckte sich und versuchte, sich über der Platte des Schreibtisches, auf der er eingeschlafen war, in eine halbwegs würdige Position zu hieven.

Der Deputy sah ihm dabei zu und bemühte sich, seine ausdruckslose Miene aufrecht zu erhalten. Cupper räusperte sich und nestelte an seinem Kragen herum, bevor er antwortete.

»Eine junge Frau wartet draußen, Sir. Sie möchte mit Ihnen sprechen und behauptet, es ginge um den Mord an Mister …«

»Sprechen Sie den Namen nicht aus, Mann!«, unterbrach Devane ihn und rieb sich fahrig über die Stirn. »Niemand hier in diesen Büros spricht den Namen aus, bevor ich es erlaube. Ist das klar?«

Cupper nickte hastig, und Devane registrierte, wie das linke Augenlid seines Untergebenen nervös zu zucken begann. Er wedelte ungeduldig mit der Hand. »Schicken Sie die Lady herein.«

»Sehr wohl.«

War er tatsächlich schon wieder hier in seinem Sessel eingeschlafen? Devane fuhr sich seufzend durch die dunkle Mähne, holte den kleinen Rasierspiegel aus der Schublade und warf einen kritischen Blick auf sein Abbild.

Herrjemine. Die bläulichen Bartschatten wirkten wie Schmutz auf der unteren Gesichtshälfte, das Haar stand wirr vom Schädel ab, und seit der Ehering nicht mehr an seinem Finger saß, hatten sich die unter seinen Augen als fragwürdiger Ersatz scheinbar verdoppelt.

Es wurde Zeit, dass er Job und Privatleben wieder sauber voneinander trennte. Seit Claudia weg war, hatte er selten mehr als zwei Tage pro Woche in der Wohnung verbracht, die ihnen immer noch gemeinsam gehörte.

Die Tür öffnete sich, und trotz der halb heruntergelassenen Jalousien kam es Devane vor, als wäre der Raum plötzlich heller geworden.

Seine Augenbrauen hoben sich, und er spreizte unwillkürlich die Beine, ohne es zu bemerken.

Die Frau, die in sein Büro trat, wirkte zurückhaltend, fast schüchtern und tat im Grunde nichts, um ihn zu becircen. Ihre pure Präsenz reichte aus, damit Devanes Mundwinkel sich hoben und er sich räuspernd aufrichtete.

Meine Herren , dachte er beeindruckt, während seine Blicke rasch und verstohlen über ihre Kurven fuhren. Die Lady war eine atemberaubende Schönheit.

Sie trug ein taubenblaues Kostüm mit züchtigem weißem Spitzenkragen, hochgeschlossen, aber an Taille und Hüften enganliegend geschneidert. Ein kleiner Hut saß nach neuester Mode keck ein wenig schräg auf ihrem rotbraunen Haar, das kunstvoll zu zwei Affenschaukeln geflochten war. Die ebenmäßigen Züge mit der geraden Nase, fein geschwungenen Lippen und scharf gezogenen Brauen über rätselhaft blickenden Augen hatten fast etwas aristokratisches, und Devane wusste den Gesamteindruck nicht so recht einzuordnen. Sexy, aber auch sittsam gekleidet. Modisch und dennoch nicht auffallend. Unter dem Strich mysteriös.

»Was kann ich für Sie tun, Ma’am?«, kam es ein wenig verspätet aus seinem Mund. Er deutete auf den freien Stuhl vor dem Schreibtisch, und sie ließ sich vorsichtig darauf nieder.

»Ich bin wegen des Mordes hier, Sir«, sagte sie leise. »Und ich habe große Angst!«

Verblüfft registrierte Devane, wie sie den Kopf senkte und zu schluchzen begann. Und er wunderte sich.

Wie konnte diese Frau schon jetzt davon wissen? Die Leiche war erst vor drei Stunden im Kältekeller von »Bodydoc« Ruben Fellow, dem Leichenbeschauer und Pathologen in Personalunion eingetroffen. Und selbst wenn ein Reporter Wind von der Sache bekommen hätte, konnte die Geschichte unmöglich bereits in den Morgenzeitungen stehen, obwohl die ersten Blätter möglicherweise bereits verteilt wurden.

Er beugte sich vor und musterte die Frau forschend.

»Welchen Mord meinen Sie?«

Ein kurzes Aufschauen. Ihr Gesicht wirkte gefasst, doch dicht unter der Fassade schien sich eine tiefe Verletzung zu verbergen. »Sie wissen genau, wovon ich rede. Der Tote im Horny Corny .«

Devane starrte sie eindringlich an. »Woher wissen Sie davon, Miss? Das Verbrechen ist nur ein paar Stunden her, und ich habe strengstes Stillschweigen …«

»Horatio Dunstone ist … nein, er war mein Vater!«, schnitt sie seine Worte ab, und als sie ihm dabei aus großen Augen ins Gesicht sah, liefen Tränen ihre Wangen hinab.

»Er war was ?«, fragte der Marshal tonlos nach, weil er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können.

»Mein Name ist Rebecca Dunstone«, entgegnete sie mit brüchiger Stimme und schlug die Augen nieder.

Devane sprang auf und legte ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter. Er spürte, wie sie erbebte. »Ich bitte um Entschuldigung, Miss Dunstone, das … mein aufrichtiges Beileid, Ma’am. Möchten Sie ein Glas Wasser, oder vielleicht einen Kaffee?«

Sie hob die von Lederhandschuhen verhüllten Hände. »Nein, vielen Dank. Ich will einfach nur, dass Sie mir zuhören.«

»Selbstverständlich.« Devane ging zur Bürotür und machte sie zu, dann kehrte er zum Schreibtisch zurück, lehnte sich mit dem Hintern gegen die Platte und stützte sich mit beiden Händen darauf ab, bevor er ihr aufmunternd zunickte. »Ich bin ganz Ohr.«

»Sie wissen, was mein Vater vor zwei Tagen gegenüber der Washington Post geäußert hat, nehme ich an.«

Der Marshal hob die Achseln. »Es gibt wohl nicht viele in der Stadt, denen das entgangen ist, Miss Dunstone.«

Das kurze Interview, das Horatio Dunstone, ein wohlhabender Rancher aus Illinois, der Post gegeben hatte, war in der Tat zum Tagesgespräch in der Hauptstadt geworden und hatte der noch jungen Gazette in ihrem zweiten Erscheinungsjahr einen echten Scoop beschert. Wobei die Enthüllungen, die Dunstone darin für das Wochenende angekündigt hatte, eine noch weit explosivere Fortsetzung versprachen – die der Rancher nun nicht mehr erfüllen konnte.

Dunstone hatte von einem geheimen Zirkel mächtiger Männer gesprochen, die sich nur nach außen als honorige Gentlemen gaben, in Wahrheit aber »wahre Teufel« waren, die »Gods own Country aus dem Hintergrund beherrschen und dabei Recht, Moral und Ehre mit Füßen treten«. Laut Dunstone besetzten diese Männer wichtige Schaltstellen der politischen Macht und waren gleichzeitig korrupt bis ins Mark. Und er hatte versprochen, jeden einzelnen öffentlich beim Namen zu nennen und Beweise für ihre Verbrechen liefern zu können.

Es war dem Town-Marshal ein Rätsel gewesen, welche Chuzpe man brauchte, um derart brisantes Wissen in der Presse anzukündigen, ohne sich entsprechend abzusichern. Deshalb war er versucht gewesen, Dunstone als wichtigtuerischen Spinner abzutun – eine Meinung, die viele in Washington teilten –, bis er den Rancher heute Nacht mit durchtrennter Kehle aufgefunden hatte.

Sein blutiges Ende verlieh Dunstones Aussagen auf tragische Weise Glaubwürdigkeit, obwohl der Fundort der Leiche nicht unbedingt förderlich für seinen Leumund war.

»Sie gaben sich nicht zufrieden damit, ihn umzubringen«, ließ sich Rebecca Dunstone vernehmen, als hätte sie Devanes Gedanken gelesen. »Sie wollten auch seinen tadellosen Ruf zerstören! Deshalb haben sie ihn an diesen verkommenen Ort schaffen lassen, um ihn dort zu ermorden! Wie abgrundtief böse muss man sein, um einen derart perfiden Plan zu ersinnen?«

Devane sah sie an und erkannte, wie sich die Trauer auf ihren schönen Zügen allmählich in Zorn verwandelte. »Haben Sie Ihren Vater auf der Reise nach Washington begleitet, Ma’am? In dem Artikel und auf den Fotos tauchten Sie nicht auf, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Ich bin erst gestern Abend angekommen, um Vater beizustehen«, erklärte sie. »Eigentlich hatte er Mutter, mir und meinem Bruder Tristan untersagt, ihn zu begleiten. Er wollte uns in diese schmutzige Angelegenheit nicht mit hineinziehen, verstehen Sie? Aber ich brachte es nicht übers Herz, ihn das allein durchstehen zu lassen. Es war absehbar, dass seine Feinde alles tun würden, um ihn zu diskreditieren, also brauchte er jemanden an seiner Seite, dem er rückhaltlos vertrauen konnte. Doch dass diese Schufte so weit gehen würden …«

Ihre Unterlippe zitterte, und sie riss die Hände vor ihr Gesicht, bevor ein ersticktes Schluchzen sich ihrer Brust entrang.

Devane legte die Stirn in Falten und langte zum Garderobenständer hinüber, zog ein Taschentuch aus der Brusttasche seines Jacketts und prüfte verstohlen, ob es sauber war, bevor er es an die junge Frau weiterreichte.

Sie nahm es entgegen, nickte dankend und schnäuzte sich, bevor sie aus geröteten Augen zum Marshal aufsah.

»Ich hatte mir ein Zimmer genommen im Trafalgar Grand Hotel «, berichtete sie, »und Vater eine Nachricht geschickt, in der ich ihn über meine Ankunft informierte. Er ließ mich wissen, dass er zwar wenig erfreut über meinen Ungehorsam sei, mich aber zum Abendessen treffen wolle. Wir verabredeten uns im Hazard’s , das ist …«

»… in der Maryland Avenue, gegenüber vom Botanischen Garten.« Devane nickte.

»Ich war pünktlich um neun Uhr dort, und er hatte bereits einen Tisch für uns reserviert.« Rebecca Dunstone runzelte die Stirn. »Ich blieb geschlagene zwei Stunden, aber Dad tauchte nicht auf. Irgendwann wurde mir klar, dass ihm etwas zugestoßen sein musste.«

Die Augen des Marshals verengten sich um eine Nuance. »Okay. Aber woher wussten Sie vom Horny Corny ?«

Sie hob die Achseln. »Ich wusste nichts davon. Aber in Dads Nachricht stand, dass er in der Canal Street verabredet sei, daher hat er das Hazard’s vorgeschlagen – weil es von dort aus nur ein paar Minuten zu Fuß sind.«

Sie schlug die Beine übereinander und legte die Hände in den Schoß. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Also verließ ich das Restaurant und marschierte aufs Geratewohl los, die Canal Street hinunter. Natürlich merkte ich, was für eine Gegend das war, und fühlte mich ein bisschen unwohl, zumal es ja bereits ziemlich spät war. Aber es ließ mir einfach keine Ruhe, verstehen Sie? Irgendwie hoffte ich, ihm irgendwo dort über den Weg zu laufen.«

»Das ist durchaus nachvollziehbar, Miss Dunstone«, behauptete Devane und hob fragend die Augenbrauen. »Wie ging es weiter?«

»Ich nehme an, den Rest können Sie sich denken«, erwiderte Rebecca Dunstone. »Ich fragte mich, was mein Vater in dieser verrufenen Gegend für eine Verabredung haben sollte. Aber ich reimte mir zusammen, dass er vielleicht noch nach Zeugen oder weiteren Beweisen suchte für das, was er diesen Männern vorwarf. Trotzdem traute ich mich nicht, eine der Spelunken zu betreten, und als ich über eine Stunde draußen auf der Straße herumgerannt war, wollte ich schon aufgeben und zurückfahren ins Hotel.«

Sie schluckte und sah Devane mit großen Augen an, bevor sich ihre Stimme zu einem tonlosen Flüstern senkte. »Dann hörte ich diesen grauenhaften Schrei … ich erkannte Dads Stimme sofort. Und nur kurz darauf rannte jemand aus dem Laden auf die Straße und rief etwas von Mord. Da wusste ich, was passiert war.«

Der Marshal rief sich kurz den Tatort in Erinnerung. Tatsächlich war das Fenster des Zimmers weit geöffnet gewesen, und es führte auf die Canal Street hinaus. Dennoch …

»Ein ziemlicher Zufall, dass Sie sich genau zum Zeitpunkt des Mordes in der Nähe des Horny Corny aufhielten, meinen Sie nicht?«

Rebecca erwiderte seinen Blick unumwunden, doch ihre Augenbrauen senkten sich erbost über der Nasenwurzel. »Das ist es in der Tat, Marshal. Und was schließen Sie daraus? Dass ich mit den Mördern meines Vaters unter einer Decke stecke? Wäre ich dann hier bei Ihnen aufgekreuzt und hätte all das erzählt?«

»Das scheint kaum logisch zu sein«, musste Devane zugeben und legte nachdenklich die Stirn in Falten. Ein paar Augenblicke verstrichen, bevor er fragte: »Warum sich Ihr Vater in dem Bordell aufhielt, ist Ihnen also nicht bekannt?«

»Das sagte ich doch bereits«, erwiderte Rebecca Dunstone und wirkte nun eindeutig verärgert. »Ich habe gestern Nacht gemutmaßt, dass er sich vielleicht mit Zeugen treffen wollte. Aber inzwischen glaube ich, man hat ihn irgendwie in eine Falle gelockt und es so arrangiert, dass er nun dasteht wie ein notgeiler alter Sack, der sich in schäbigen Bumsläden herumtreibt!«

Offenbar von ihrer eigenen deftigen Wortwahl überrascht, hob Rebecca Dunstone die Hand vor den Mund und blinzelte schuldbewusst. »Entschuldigen Sie, Sir«, murmelte sie, und eine leichte Röte zog über ihr Gesicht.

Die Mundwinkel des Town-Marshals hoben sich zur Andeutung eines Lächelns. »Ich bitte Sie, Ma’am. Angesichts der Ereignisse wundert es mich, wie tapfer Sie sich halten. Und die Wände dieses Büros haben schon ganz anderes zu hören bekommen, glauben Sie mir.«

Er beugte sich vor und sah sie eindringlich an. »Sie sagten vorhin, dass Sie Angst haben. Darf ich daraus schließen, dass Sie etwas über diese Männer wissen, die Ihr Vater entlarven wollte?«

Rebecca presste die Lippen zusammen und lehnte sich zurück, um den Abstand zum Sternträger wieder herzustellen. »Schon möglich, dass ich etwas weiß, Marshal«, sagte sie zögernd. »Vielleicht kenne ich einige der Namen, die Dad preisgeben wollte. Aber ich will nicht so enden wie er, verstehen Sie?«

Devane nickte bedächtig. »Natürlich nicht. Gut, dass Sie nicht dabei waren, als er mit der Post gesprochen hat. Bisher ahnen die Männer, die für den Tod Ihres Vaters verantwortlich sind, wahrscheinlich noch nicht, dass Sie in Washington sind.«

Rebecca Dunstone verschränkte die Arme über dem Busen, und ihre Miene wurde ausdruckslos. »Ich sage kein Wort, bevor ich nicht sicher sein kann, dass man mich vor diesen Leuten schützt. Und damit meine ich keine Gefängniszelle hier bei Ihnen, damit wir uns richtig verstehen. Nehmen Sie es nicht persönlich, Sir – aber der Polizei kann ich nicht trauen.«

Wieder nickte der Town-Marshal und strich sich dabei seufzend das widerspenstige Haar aus der Stirn.

»Das kann ich Ihnen nicht einmal übel nehmen, Miss. Aber ich denke zu wissen, wer Ihnen helfen kann.«

Lassiter schloss ergeben die Augen, während die mollige Blondine sich sanft über seinen Lenden auf und ab bewegte und dabei lustvoll stöhnte. Seine ausgestreckten Hände umfassten die vollen Halbkugeln ihrer Brüste und massierten sie, bis er spürte, wie sich die Knospen in seinen Handflächen aufrichteten.

LaVerne warf den Kopf in den Nacken und bohrte die Fingernägel in seine Brust, während sie den Rhythmus ihrer Bewegungen steigerte. »Ja, ja, ja! Ich reite den Hengst, ich reite ihn …«, presste sie hervor, und ihre geschminkten Lider flatterten über den geschlossenen Augen, als würde sie träumen.

Lassiter packte die Frau bei den Schultern und zog sie zu sich herab, um ihre Laute mit einem Kuss zum Verstummen zu bringen. In einer kräftigen Bewegung rollte er sich und sie auf dem breiten Bett herum, bis LaVerne auf dem Rücken lag und er über ihr war.

Sie jauchzte, als er nun das Kommando übernahm und dabei alles andere als zurückhaltend vorging.

»Ah. Ah. Aah. Aaah!«

Ihre Lustschreie wurden lauter und kamen in immer kürzeren Abständen, während Lassiter spürte, wie sich auch in seiner Körpermitte die Hitze dem Siedepunkt näherte. Er ließ alle Zügel fahren und stieß in ihren Schoß, schneller und schneller, bis die Erlösung kam.

Keuchend zog Lassiter sich aus LaVerne zurück und ließ sich neben ihr auf den Rücken fallen, als es an der Tür klopfte. Er rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.

Das Klopfen wiederholte sich, und der Agent der Brigade Sieben rief mürrisch: »Wer zur Hölle ist da?«

Drei Sekunden verstrichen, bevor eine Antwort kam: »Kenny, der Page. Es tut mir leid, Sir, aber ich habe eine Nachricht für Sie, und man sagte mir, es sei wichtig.«

Lassiter rieb sich über die verschwitzte Stirn, wandte den Blick und schaute in LaVernes große verblüffte Augen.

»Hast du nicht gesagt, du hättest alle Zeit der Welt?«, fragte sie flüsternd, und er hob bedauernd die Augenbrauen, bevor er sich seufzend aufrichtete. »Schieben Sie’s unter der Tür durch, Kenny«, knurrte er und schwang die Beine über die Kante der Matratze.

»Sehr wohl, Sir.«

Aus verengten Augen sah Lassiter, wie ein brauner Umschlag durch die Ritze zwischen der Zimmertür und dem dunklen Teppich geschoben wurde. Er stand auf und bückte sich, um das Kuvert aufzunehmen.

Sein Name, das Hotel und die Zimmernummer standen in einer schwungvollen Schrift auf dem Umschlag, die ihm durchaus bekannt war, daher hätte es des unscheinbaren Stempels auf der Rückseite gar nicht bedurft, um ihm den Absender zu verraten.

Dennoch bewies das Siegel mit den kryptischen Lettern, dass es sich um eine offizielle Nachricht der Brigade Sieben handelte.

Das bedeutete wohl, dass sein Urlaub nach gerade mal drei Tagen bereits wieder beendet war.

Er riss das Kuvert auf und zog den Inhalt hervor: eine drei Tage alte Ausgabe der Washington Post und ein Papier, auf dem nur wenige Sätze standen, die er stirnrunzelnd überflog.

»Schlechte Nachrichten?«, ließ sich LaVerne in seinem Rücken beklommen vernehmen.

Er wandte sich um und zuckte die Achseln. »Was uns zwei angeht, wohl schon, Baby. Tut mir leid, aber ich muss gehen.«

Er stopfte die Papiere zurück in den Umschlag und griff nach seinen Hosen, während sich LaVerne mit traurigem Blick am gusseisernen Kopfteil des Bettes aufrichtete und die Bettdecke über ihren ausladenden Brüsten zusammenzog. »Es ist doch hoffentlich nichts mit dem Sägewerk passiert, oder?«, fragte sie besorgt.

Lassiter verstaute sein immer noch strammes Gemächt in der Denim und musste einen Sekundenbruchteil lang nachdenken, bevor er wusste, was sie meinte. Er setzte eine entspannte Miene auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, keine Sorge, LaVerne. Mein Sägewerk oben in Vermont, das … also, da läuft alles bestens.«

Ihr forschender Blick brachte ihn dazu, sich durch das wirr vom Kopf abstehende Haar zu fahren und entschuldigend die Hände zu heben. »Mein Kunde hier in Washington ist nicht zufrieden mit der Fuhre an Douglasien-Stämmen, und jetzt will er mir die Hölle heißmachen.« Vieldeutig hob er die Augenbrauen und schlüpfte dabei in seine Stiefel. »Was für ein Dilemma. Der Bursche glaubt doch tatsächlich, den Preis drücken zu können, deshalb muss ich sofort mit ihm reden. Ich hoffe, du verstehst das.«

LaVerne nickte heftig. »Natürlich, mein Lieber. Die Händler unten am Hafen, das sind doch alles Halsabschneider. Pass bloß auf, dass du dich von denen nicht über den Tisch ziehen lässt.«

Lassiter schnallte sich den Revolvergurt um und streifte seine Lederjacke über, bevor er der Frau auf dem Bett verschmitzt zuzwinkerte. »Darüber mach dir mal keine Sorgen, Honey. Ich weiß mich schon zu wehren.« Er griff nach dem Umschlag, rollte ihn zusammen und ließ ihn in der Innentasche seiner Jacke verschwinden. Bevor er an die Tür trat, stülpte er sich seinen Stetson über. Die Hand bereits auf dem Knauf, tippte er sich mit zwei Fingern an die Krempe und setzte ein breites Lächeln auf.

»Alles Gute, LaVerne. Man sieht sich.«

Die Tür fiel hinter ihm zu, und LaVerne verdrehte die Augen, während sie Lassiters hastigen Schritten lauschte, die sich auf dem Korridor entfernten.

»Wohl eher nicht«, murmelte sie.

Der leichte Sprühregen, der die Luft über den Sonnenschirmen befeuchtete, ließ Nicholas Coleman genüsslich aufatmen. Denn die drückende Schwüle, die die Hauptstadt seit dem Vormittag im Würgegriff hielt, machte dem Uhrmacher zu schaffen.

Er war nicht mehr der Jüngste, auch wenn er diesen Gedanken nur selten zuließ – an Tagen wie diesem hielten ihm die über sechzig zurückliegenden Lebensjahre den Spiegel vor.

Durch dicke Brillengläser wanderten seine flinken Blicke über den Platz und suchten nach dem hochgewachsenen Mann, mit dem er verabredet war. Lassiter war bereits eine halbe Stunde über der Zeit, und Coleman runzelte verärgert die Stirn.

Eine Hand schlug ihm kräftig auf die Schulter, und er fuhr hoch. Lassiter ließ sich ihm gegenüber auf einen der Lehnstühle fallen und grinste schmal.

»Seit wann treffen wir uns in aller Öffentlichkeit, Mr. Coleman?«, brummte er. »Haben Sie Ihren Laden nicht aufgeräumt? Oder liegt womöglich noch eine Leiche im Hinterzimmer?«

Coleman stieß scharf die Luft aus und versuchte, sich den Schrecken über Lassiters Hinterhalt nicht anmerken zu lassen. Er rieb sich über die Stirn und fixierte sein Gegenüber mit einem eindringlichen Blick. »Wir haben keine Zeit zum Scherzen, Lassiter«, brummte er. »Die Lage ist ernst. Glauben Sie mir.« Er klopfte auf die Zeitung, die zwischen ihnen auf dem Tisch lag, und Lassiter nickte.

»Sie haben mir ein Exemplar zukommen lassen, und ich habe den Artikel gelesen. Klingt, als würde demnächst mal wieder eine ganze Menge Dreck ans Licht kommen.« Lassiters heitere Miene deutete darauf hin, dass er diesen Umstand nicht weiter schlimm fand. Sein Gegenüber kannte Lassiters Meinung über Politiker und war daher nicht überrascht.

»Das bleibt abzuwarten«, erwiderte Coleman und schob sich die Brille auf der Nase zurecht. »Der Mann da auf der Titelseite ist nämlich mausetot.«

Lassiters Augenbrauen wanderten ein Stück weit die Stirn hinauf. »Ach ja? Dunstone ist tot? Wenn wir beide hier darüber reden, wird er wohl kaum aus freien Stücken aus dem Leben geschieden sein. Wie praktisch für die Leute, die er an den Pranger stellen wollte.« Er schnaubte verächtlich. »Was ist passiert?«

Coleman erklärte es ihm in kurzen, präzisen Sätzen. Und vergaß am Schluss seines Berichts nicht, die Person zu erwähnen, die der wesentliche Grund für ihr Treffen war.

»Rebecca Dunstone weiß vermutlich längst nicht alles, was ihr Vater preisgeben wollte. Aber hoffentlich genug, damit sein Tod gesühnt werden kann.«

Lassiter nickte. »Befindet sie sich immer noch in der Obhut des Town-Marshals?«

»Nein.« Coleman schüttelte den Kopf. »Ein Team unserer Agenten hat sie bereits abgeholt und über den Anacostia River in Sicherheit gebracht.«

»Eines der Anwesen drüben in Uniontown?«

»Die Sorrow-Villa in den Hügeln.«

»Ich möchte mit ihr reden.«

»Das werden Sie. Aber zunächst müssen Sie sich mit dem Town-Marshal unterhalten.«

Lassiter runzelte die Stirn. »Okay … und warum?«

»Befehl von oben«, erwiderte Coleman und setzte eine strenge Miene auf. »Matthews traut weder der Capitol Police noch dem Town-Marshal und seinen Deputies über den Weg, also fühlen Sie Marshal Julian Devane auf den Zahn. Es ist entscheidend, dass die Ermittlungen im Fall von Horatio Dunstone überwacht werden, damit nichts unter den Teppich gekehrt wird. Für Devane spricht, dass er von sich aus an uns herangetreten ist, aber Sie sollten ihm trotzdem genau auf die Finger schauen.«

»Matthews hat also die Befehlsgewalt?« Lassiter war ein wenig überrascht, denn der junge Gouverneur von Utah war erst vor kurzem der Führungsriege der Brigade Sieben beigetreten und hatte eigentlich noch keine Funktion inne. Matthews galt gemeinhin als Paranoiker, doch wenn es um die Schlangengrube Washington ging, hatte er Lassiter damit durchaus auf seiner Seite.

Coleman zwinkerte. »Ich weiß, er ist nur ein Jahr älter als Sie, aber bei den alten Hasen hält man große Stücke auf ihn. Diese Geschichte gilt als Bewährungsprobe, daher hoffe ich, dass wir es nicht vermasseln.«

Lassiter starrte Coleman eine Weile reglos an, bevor er die Achseln zuckte. »Na gut«, knurrte er schließlich. »Wann treffe ich mich mit Marshal Devane?«

Coleman zog eine kostbar aussehende Taschenuhr aus der Weste und warf einen langen Blick darauf. »Vor sechseinhalb Minuten«, brummte er. »Also sollten Sie sich wohl ein wenig beeilen.«

Der Schrei einer Möwe ließ Rebecca den Kopf heben und düsteren Blickes in den Himmel starren. Regenschwere graue Wolken zogen eilig über den Horizont, und sie sog tief die frische, salzige Luft in ihre Lungen. Gegenüber am Navy Yard legte gerade ein Schoner der Marine vom Kai ab. Die Segel blähten sich im kräftigen Westwind, und der Bug des schnittigen Schiffs durchtrennte die stahlgrauen Wellen der Eastern Branch wie eine Messerklinge.

»Es wäre wirklich besser, wenn Sie im Haus blieben, wenigstens bis zur Abenddämmerung, Miss.«

Rebecca drehte sich auf der Holzbank um und erkannte Jeff, einen der jungen Männer, die sie beim Marshal abgeholt und für ihre Bewachung zuständig waren. Wie seine Kollegen trug er einen schlecht sitzenden grauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte. Er hätte ein Büroangestellter oder ein Journalist sein können, wäre nicht der Revolver gewesen, der in einem Holster an der Hüfte steckte.

Und die geschmeidige Art, sich zu bewegen sowie der unstete Blick, mit dem er unaufhörlich die Umgebung taxierte.

»Es tut mir leid, Jeff«, seufzte sie. »Aber drinnen habe ich das Gefühl, ersticken zu müssen. Außerdem sehe ich weit und breit keine Menschenseele – von Ihnen und den anderen Männern abgesehen.«

»Wenn Sie jemanden sehen, könnte es schon zu spät sein«, brummte Jeff und trat neben die Bank, um hinauszublicken auf den Fluss.

»Aber das Gelände ist doch von hohen Zäunen, Wald und den schroffen Klippen da unten umgeben. Wie sollte es jemandem gelingen, unbemerkt hier einzudringen?«, fragte sie.

Als sie von der Fähre aus mit der Kutsche in die Hügel hinaufgefahren waren, hatten sie zunächst noch ein paar einsame Villen passiert, doch dann waren sie gut und gern zwanzig Minuten nur durch dichten Wald gekommen, bis sie das hohe, wehrhafte Tor erreicht hatten, an dem sie von zwei mit Gewehren bewaffneten Wächtern eingelassen worden waren.

»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, Ma’am«, sagte Jeff mit schiefem Grinsen, und Rebecca zog die Stirn kraus.

»Oh, bitte, Jeff. Seien Sie so lieb und nennen mich Rebecca. Wenn man mich mit Ma’am anspricht, komme ich mir vor wie meine eigene Mutter.«

Jeff grinste und strich sich über den dunkelblonden Schnurrbart. »Das ist wirklich sehr freundlich, Miss Dunstone. Aber wir sind gehalten, unseren Klienten gegenüber eine gewisse Form zu wahren.«

Rebecca hob die Augenbrauen. »Oho, Befehl von oben. Nun ja, Jeff, ich möchte natürlich nicht, dass Sie wegen einer solchen Kleinigkeit Schwierigkeiten bekommen.« Sie zwinkerte, und sein Grinsen wurde breiter. »Ich dachte nur, ein etwas zwangloserer Umgang wäre hilfreich. Wer weiß, wie lange wir gezwungen sind, hier zusammen zu sein.«

Jeffs Miene wurde wieder ernst, und er faltete die Hände hinter dem Rücken, während er ein paar Schritte vortrat und beobachtete, wie der Schoner in voller Fahrt am Greenleafs Point vorbei aus ihrem Sichtfeld segelte.

»Das ist zu diesem Zeitpunkt nur schwer abzusehen«, erwiderte er. »Es hängt natürlich vom Verlauf der Ermittlungen ab, und vom Ergebnis Ihrer Befragung.«

Rebecca spitzte die Lippen. »Damit meinen Sie wohl, ob die Informationen, die ich zu bieten habe, einen derartigen Aufwand rechtfertigen«, sagte sie. »Und was passiert, wenn Ihre Vorgesetzten zu der Ansicht gelangen, das sei nicht der Fall? Setzt man mich dann wieder vor die Tür und gibt mich zum Abschuss frei?«

Jeff wandte sich um und hob abwehrend die Hände. »Natürlich nicht, Ma … ich meine, Miss Dunstone! Wofür halten Sie uns? Selbstverständlich wird für Ihre Sicherheit gesorgt sein, so lange es nötig ist.«

Rebecca legte die Finger an Kinn und Wange und musterte ihr Gegenüber forschend. »Ja, wofür halte ich Sie, Jeff? Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung. Sie und die anderen Jungs machen einen ziemlich smarten Eindruck, und mit den offiziellen Gesetzeshütern scheinen Sie nichts zu tun zu haben.« Sie nickte zum anderen Ufer hinüber, an dem sich der trutzige Gebäudekomplex der Navy in den Himmel erhob. »Unterstehen Sie den Streitkräften und haben die Uniform für diesen Einsatz im Spind gelassen?« Schmunzelnd deutete sie auf seine Kleidung. »Obwohl dieser Anzug da haargenau wie der Ihrer Kollegen aussieht und deshalb wohl auch so eine Art Uniform ist, oder?«

Jeff hob die Achseln und setzte eine bedauernde Miene auf. »Es tut mir leid, aber darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Allerdings können Sie sicher sein, dass wir für Einsätze dieser Art ausgebildet wurden und Sie sich deshalb in den besten Händen befinden.«

»Freut mich, das zu hören«, entgegnete Rebecca und schürzte spöttisch die Lippen.

Dumpfer Hufschlag drang an ihre Ohren, und beide wandten den Blick in Richtung der Zufahrt. Zwischen den mächtigen Baumstämmen hindurch erkannte Rebecca einen Einspänner, der sich in langsamer Fahrt näherte.

»Das wird Ihr Gepäck aus dem Hotel sein, Miss Dunstone. Wollen wir zurückgehen zum Haus?« Galant reichte er ihr den Arm, und sie erhob sich seufzend, um sich von Jeff zurückgeleiten zu lassen.

»Wann kommt denn jemand, der befugt ist, mit mir zu reden?«, fragte Rebecca, und Jeff warf ihr einen kurzen Seitenblick zu.

»Genau kann ich Ihnen das auch nicht sagen«, gab er zu. »Heute Abend, nehme ich an.«

Town-Marshal Julian Devanes zerknitterte Klamotten erweckten den Eindruck, als hätte er die vergangene Nacht darin geschlafen – wenn er denn überhaupt ein Auge zugetan hatte.

Der Sternträger trug tiefe Schatten unter den geröteten Augen, dunkle Bartstoppeln im Gesicht und rieb sich unbewusst das offenbar schmerzende Kreuz, als er sich mühsam aus seinem Sessel erhob, um den Besucher zu begrüßen.

»Sie sind Lassiter, nehme ich an.«

Er zeigte auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch, bemerkte die neugierigen Blicke der Deputies hinter der zur Hälfte aus Glas bestehenden Trennwand und ließ kurzerhand die Jalousien hinab und schloss die Bürotür.

Leise ächzend ließ er sich wieder in den Sessel fallen und schaute Lassiter ein paar Sekunden lang an, bevor er die Arme ausbreitete.

»Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Sir«, sagte er. »Obwohl man mich vor einem halben Jahr ins Vertrauen gezogen und über die Existenz der Brigade Sieben informiert hat, gab es bisher noch keinen Anlass, Ihre Gruppe hinzuzuziehen. Mir fehlt daher jede Erfahrung darüber, wie die Zusammenarbeit ablaufen soll. Die …«, er zögerte einen Moment, bevor er das Wort aussprach, »… Agenten , so nennt man sie wohl, die Miss Rebecca Dunstone vor ein paar Stunden abgeholt haben, waren alles andere als gesprächig. Also bin ich jetzt kein Deut klüger und hoffe, Sie werden einem etwas erschöpften Greenhorn erklären können, wie es weitergeht.«

Müde, aber unverwandt blickte er Lassiter ins Gesicht und hob dabei fragend die Augenbrauen.

Der zuckte gelassen die Achseln.

»Nur keine Sorge, Marshal. Ich werde Ihnen nicht in die Suppe spucken. Die Brigade hat Miss Dunstone aus der Schusslinie gebracht und sorgt ab sofort für ihre Sicherheit. Dieses Problem geht Sie nichts mehr an.« Lassiter lehnte sich zurück und legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr. »Was die Ermittlungen zum Tod von Horatio Dunstone betrifft, werde ich Ihre Autorität nicht in Frage stellen. Ihre Stadt, Ihr Mord. Sie sind der Town-Marshal. Ich biete Ihnen lediglich meine Hilfe an …«

Devane lächelte schief. »Das soll wohl heißen, ich führe offiziell die Untersuchung, solange ich Ihnen nicht krumm komme.«

»Wir werden uns schon einigen, Devane«, erwiderte Lassiter und versuchte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen. »Schließlich wollen wir beide das Verbrechen aufklären. Vielleicht erzählen Sie mir erst einmal, was Sie haben.«

»Wie Sie meinen.« Der Marshal nickte, offenbar erleichtert über Lassiters umgänglichen Tonfall.

Er lieferte einen kurzen und dennoch detailgenauen Bericht über die nächtlichen Ereignisse, schilderte die Ergebnisse der Untersuchung des Tatorts und schloss mit dem Protokoll des Bodydocs Ruben Fellow.

Der Agent der Brigade Sieben war durchaus beeindruckt von Devanes kompetentem Vortrag, und nun wunderte er sich nicht mehr über den derangierten Eindruck, den der Marshal machte. Er konnte kaum zur Ruhe gekommen sein, seit ihm der Mord gemeldet worden war und die Stunden genutzt hatte, um alle eingehenden Informationen auf schlüssige Art zu einem Bild zusammenzufassen.

Dennoch blieben noch einige Fragen offen.

»Die Prostituierte, die normalerweise das Zimmer nutzte, in dem der Mord passierte – gibt es inzwischen eine Spur von ihr?«

»Belinda?« Devane schüttelte den Kopf. »Nein, und wenn ich ehrlich bin, mache ich mir auch keine großen Hoffnungen. Die Mörder haben sie fortgelockt, um freie Bahn zu haben, denken Sie nicht? Und dann …« Er fuhr sich vielsagend mit der Hand über die Kehle.

Lassiter nickte grimmig. »In jedem Fall schienen sie sich gut auszukennen im Horny Corny . Und hatten dort womöglich jemanden, der ihnen geholfen hat.«

»Wäre denkbar.« Devane legte skeptisch den Kopf schief. »Obwohl Richy Fagan nicht den Eindruck machte, als würde er mit drin hängen. Wenn Sie wollen, können Sie den Burschen selbst noch einmal ins Gebet nehmen, er dürfte sich bald hier blicken lassen.«

Lassiter winkte ab. »War schon jemand bei der Washington Post ?«

Der Town-Marshal hob überrascht die Augenbrauen. »Nein, warum?«

»Vielleicht hat Mr. Dunstone den Reportern ja mehr verraten, als in der Ausgabe von vorgestern stand«, erwiderte Lassiter, obwohl er daran nicht recht glauben mochte. Brisante Informationen wirkten auf Journalisten gemeinhin wie Starkbier auf die Blase eines Konfirmanten: Es konnte nicht lange dort verweilen, wo es angekommen war. Dennoch hoffte er, dass die Journalisten ihm vielleicht etwas über Dunstone erzählen konnten, dass ihm ein präziseres Bild des ermordeten Ranchers lieferte.

»Darum kümmere ich mich, Marshal«, sagte er deshalb. »Was können Sie mir über Rebecca Dunstone sagen?«

Devane lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen übereinander. »Eine sehr attraktive junge Dame, die einen relativ gefassten Eindruck auf mich machte«, antwortete er und legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Natürlich gab es Tränen, und der Tod des Vaters ging ihr nahe. Aber trotzdem war ihre Aussage präzise und umfangreich. Heather, meine Sekretärin, hat ein Protokoll angefertigt, das ich ihr unmittelbar nach der Befragung diktiert habe.«

Der Marshal griff nach zwei eng beschriebenen Seiten, die neben ihm auf dem Schreibtisch lagen, und schob sie Lassiter zu.

Der nahm sie entgegen und las das Protokoll aufmerksam, wobei er an einigen Stellen leicht die Stirn runzelte, sich aber jeden Kommentars enthielt.

»Okay, Marshal«, brummte er schließlich. »Hat die Befragung der Damen im Horny Corny etwas ergeben?«

Devane verzog die Lippen. »Niemand will etwas mitbekommen haben, aber es hätte mich auch gewundert. Die Mädchen dort verstummen sofort, sobald sie eine Uniform oder einen Stern vor sich sehen.«

»Damit werden Sie sich in diesem Fall nicht zufriedengeben können«, brummte Lassiter. »Legen sie denen die Daumenschrauben an, und befragen Sie auch das Personal in den Läden rund um das Horny Corny . Irgendjemand wird früher oder später schon den Mund aufmachen. Auch die kleinste Information könnte wichtig sein.«

Der Town-Marshal nickte. »Okay. Ich werde mich gleich auf die Socken machen.« Er erhob sich, und Lassiter tat es ihm gleich, doch als Devane um den Schreibtisch herumkam, legte ihm der Brigade-Agent vertraulich die Hand auf die Schulter.

»Dieser Mord ist eine dringliche Angelegenheit«, sagte er, »aber ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Sir – Sie brauchen eine Dusche und ein paar Stunden Schlaf.« Er nahm Devane eindringlich in den Blick. »Es nützt niemandem, wenn Sie irgendwann vor Ihren Leuten zusammenklappen.«

Devane legte die Stirn in Falten und wollte widersprechen, doch im letzten Moment besann er sich anders und nickte stumm.

Die Männer schüttelten sich die Hände, Lassiter öffnete die Bürotür und trat hindurch, bevor er sich noch einmal umwandte.

»Wir arbeiten Hand in Hand, in Ordnung? Ich melde mich wieder.«

Mit zwei Fingern tippte sich Devane salutierend an die Stirn, und ihm gelang ein schiefes Lächeln. Es verwandelte sich in ein herzhaftes Gähnen, als Lassiter sich seinen Weg zwischen den Reihen der Schreibtische hindurch in Richtung Ausgang suchte.

»Ich wüsste nicht, warum ich mit Ihnen bereden sollte, Mr. Lassiter.« Theodore Roosevelt, der junge Redakteur der Washington Post , faltete die Hände hinter seinem Nacken, lehnte sich zurück und blinzelte seinen Besucher herausfordernd an.

»Es sei denn, Sie haben so etwas wie eine richterliche Verfügung dabei; und wäre das der Fall, würden Sie sie mir doch wohl bereits unter die Nase halten.«

Lassiter rieb sich die Stirn und zwang sich zur Gelassenheit.

»Jetzt hören Sie mir mal zu, Mr. Roosevelt«, knurrte er. »Horatio Dunstone hat Ihnen ein Interview gegeben, das den Mann sein Leben gekostet hat. Meinen Sie nicht auch, dass es Ihre gottverdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, wenigstens dazu beizutragen, seine Mörder zu finden?«

Der Journalist hielt Lassiters bohrendem Blick mühelos stand und schob sein breites Kinn vor, als er schmallippig antwortete: »Eine Zeitung, die investigativ arbeitet wie die unsere, verliert ihr wesentliches Kapital, nämlich das Vertrauen seiner Informanten, wenn sie ihre Quellen preisgibt.«

»Ihr Informant ist tot«, brummte Lassiter und beugte sich vor. Seine Hände fanden zwischen den Papierstapeln, die Roosevelts Schreibtisch ellenhoch bedeckten wie Verteidigungswälle, nur mit Mühe Platz, um sich abzustützen.

»Man hat ihn mit durchgeschnittener Kehle in einem Bordell in der Canal Street aufgefunden.«

Zufrieden sah er, wie der breitschultrige Bursche blass wurde und seine selbstzufriedene Miene deutlich ins Wanken geriet.

»Der Mord im Horny Corny ? Dunstone war das Opfer?«

Lassiter antwortete mit einem verächtlichen Schnauben. »Dass er tot ist, hat Sie kalt gelassen. Aber dass seine Leiche in einem Bordell gefunden wird, bringt Sie aus der Fassung?«

Roosevelt verengte die Augen. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, Sir. Und sie wären nicht der erste, der mich mit der Geschichte zum Reden bringen will, mein Informant sei tot. Es gehört zu meinem Beruf, Behauptungen als solche anzusehen, bis ich mich davon überzeugt habe, dass sie mit Tatsachen übereinstimmen.«

Sekundenlang starrten die beiden Männer sich wütend in die Augen, bis Lassiter sich langsam aufrichtete und hörbar die Luft ausstieß.

»Okay«, stieß er schließlich hervor, »und woher wissen Sie von dem Mord im Horny Corny ?«

Roosevelt kratzte sich am Hals, bevor er nach der qualmenden Zigarre griff, die in einem mächtigen Aschenbecher am Rand seines Schreibtisches lag. Er nahm einen Zug und blies eine Rauchwolke in den Raum, bevor er antwortete: »Einer meiner Spitzel hat mich informiert, ist nicht mal zwei Stunden her. Eigentlich wollte ich mich gerade selbst auf den Weg machen, um Mr. Fagan und seinen Mädchen ein paar Fragen dazu zu stellen.«

»Nun, da Sie wissen, um wen es sich bei dem Opfer handelt, dürften Sie es wohl noch eiliger haben, den Ort des Geschehens aufzusuchen, Mr. Roosevelt«, vermutete Lassiter. Dabei blieb er vor dem Schreibtisch des Redakteurs stehen und ließ damit keinen Zweifel daran, dass er Roosevelt nicht gehen lassen würde, bevor der seine Fragen beantwortet hatte.

Der breitschultrige Journalist war aufmerksam genug, die Körpersprache seines Gegenübers zu deuten, und stieß ein ergebenes Seufzen aus. »Okay. Was wollen Sie wissen?«

»Hat Dunstone Ihnen gegenüber Namen genannt?«

Roosevelt schüttelte den Kopf. »Keinen einzigen. Er hat uns auf morgen vertröstet, warum auch immer.«

»Das heißt, außer diesen blumigen Umschreibungen, Teufel und Diskreter Kreis der Gentlemen, haben Sie nichts in der Hand? Er hat Ihnen keinerlei Fakten genannt?« Ungläubig starrte Lassiter den Redakteur an. »Dann fußt Ihre Story auf verdammt brüchigem Fundament, meinen Sie nicht?«

Roosevelt strich sich über den beeindruckenden, an den Spitzen schwertartig gezwirbelten Schnauzbart und nahm Lassiter in den Blick. Man sah ihm an, wie er mit sich haderte, und er hob auffordernd die Augenbrauen.

»Er hat keinen Namen genannt, aber er erwähnte etwas anderes. Ein Etablissement … und jetzt, im Zusammenhang mit dem Horny Corny , wird es interessant.« Roosevelt hatte seine Stimme zu einem vertraulichen Raunen gesenkt, und als er einen weiteren Zug von seiner Zigarre nahm, verschwand sein Gesicht hinter einer würzigen Wolke aus Rauch.

»Reden Sie weiter«, brummte Lassiter und versuchte, sein Gegenüber durch die Qualmwolken hindurch zu taxieren. Ein Ding der Unmöglichkeit.

»Es gibt einen Edelpuff, der schräg gegenüber des Horny Corny liegt. In einem unscheinbaren Mietshaus, oben in der dritten und vierten Etage. Dort erhält nur handverlesenes Publikum Zutritt, und man munkelt, die Liebesdienste, die dort angeboten werden, seien ziemlich speziell.«

»Speziell? Peitschen, Fesseln, etwas in der Art?«

Roosevelt zuckte die Achseln und lächelte schmal. »Ich gehöre nicht zum Kreis der Eingeweihten, und auch Ihnen dürfte es schwerfallen, dort reinzukommen. Das Elysium ist nur elitären Kreisen vorbehalten.«

» Elysium ? So heißt der Schuppen?«

Roosevelt nickte. »Er wurde vor vier oder fünf Jahren eröffnet, aber die Betreiber und ihre Gäste sind so diskret, dass selbst wir erst vor ein paar Wochen zufällig von seiner Existenz erfahren haben.« Das Lächeln des Redakteurs ließ eine Spur von Selbstzufriedenheit erkennen. »Möglich, dass anderen Blättern das Elysium schon früher bekannt war, aber die meisten Reporter in der Stadt kann man mit ein paar Dollar zum Schweigen bringen.«

»Und Sie sind natürlich unbestechlich.« Lassiters Stimme war der Sarkasmus deutlich anzuhören.

Roosevelts Augen verengten sich, und man sah, wie seine Kiefern mahlten. »Uns wurde zugetragen, dass dort keine Dirnen ihre Arbeit machen wie sonst auch überall, Lassiter. Im Elysium sind die Mädchen jung, sehr jung. Und man fragt sie nicht, ob sie das tun wollen, was von ihnen verlangt wird.«

Lassiter starrte sein Gegenüber an. »Wer hat Ihnen das zugetragen, Roosevelt? Dunstone? Ihre dunklen Geschichten sind ja spannend genug, bringen mich aber keinen Schritt weiter.«