4,49 €
Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2488, 2489 und 2490.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 390
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Titel
Inhalt
Lassiter 2488
Verbrannte Erde
Lassiter 2489
Im Hexenkessel von Camp Blood
Lassiter 2490
Hände weg von Emily!
Start Reading
Contents
Verbrannte Erde
Sie brachten die Toten gegen neun Uhr abends in die Stadt.
Die Spitze des Zuges bildete das Gespann von White-River-Agent William Garvin, der Mrs. Samantha Cooper gekannt hatte. Er fuhr die Mainstreet so langsam hinauf, dass jedermann die tote Frau und das einjährige Kind auf ihrer Brust sehen konnte.
Hinter Garvin rollten vier weitere Fuhrwerke mit Toten. Die verunglückte Kutsche war am Steep Hill gefunden worden, jenem Steilhang, an dem vor einem Jahr bereits die Memphis-Postkutsche zerschellt war. Lediglich vier Männer waren seinerzeit an Bord gewesen. Am heutigen Tag waren acht Seelen gen Himmel gefahren …
Fairfield County, Ohio, fünf Stunden zuvor
Schon in Columbus war Samantha Cooper in allerbester Laune gewesen, als Tante Rosemary sich den Spaß erlaubt hatte, ihren Mann auf das schmachvolle Ende seines letzten Croquet-Spieles anzusprechen. Sie hatten aus voller Kehle darüber gelacht, dass der Croquet-Schläger zerbrochen und deswegen Onkel Robert gestolpert und die Böschung hinuntergerollt war. Das Gelächter hatte Samanthas Einjährigen zum Schreien gebracht.
»Ist ein hübscher Junge!«, sagte der Kutscher jetzt und deutete mit der Hand auf das Kind. »Hab’ mir schon gedacht, dass Sie nicht lange warten, Mrs. Cooper! Wurde auch Zeit für Nachwuchs, wie?«
Aus der Kutschkabine drang die kräftige Stimme von Samanthas Mann Henry herauf, der mit ihrer Mutter Florence schäkerte. Er hatte die Familie mit seinem unwiderstehlichen Charme fest im Griff und machte einen Scherz nach dem anderen.
Der Kleine in Samanthas Armen schlief dagegen tief und fest.
»Sie hätten Joseph in Columbus sehen müssen«, erwiderte Samantha mit leiser Stimme. Sie strich die Rüschen glatt, die das Gesicht ihres Kindes rahmten. »Er ist ein fabelhaftes Kind. Keinen einzigen Ton hat er verlauten lassen.«
Außer Tante Rosemary, Onkel Robert, Henry und ihrer Mutter saßen Samanthas Vater George und ihre Cousine Bessie in der Kutsche. Sie hatten sich allesamt dafür ausgesprochen, dass man einen Tag früher zu den Burnells fuhr, deren Diamanthochzeit am Vormittag beginnen und bis in den späten Abend dauern sollte.
Nur Samanthas Bruder John Tonnar war in Columbus geblieben.
Er hatte einige geschäftliche Angelegenheiten als Grund genannt, doch Samantha wusste, dass er irgendwo spielen ging oder krumme Dinger drehte. Er würde sich am Morgen eine Expresskutsche nehmen und abgehetzt in Circleville eintreffen, wie er es bei jedem größeren Anlass zu tun pflegte.
»Unser James schreit den lieben langen Tag lang«, klagte der Kutscher und schwang die Peitsche. Er sprach so laut, dass Samantha um Josephs Schlaf fürchtete. »Man möchte das Balg unter einen Haufen Kissen stecken. Es ist eine Tortur mit dem Jungen.«
Erneut erklang Henrys Stimme, gefolgt vom heiteren Lachen der Damen, die damit einmal mehr bewiesen, dass sie mit der deutschen Herkunft der Tonnars nichts am Hut hatten. Rosemary war Irin und hatte ihren Humor an Bessie weitervererbt. Sie lachte laut und schallend wie eine Matrone vom Land.
»Wäre ich bloß nach Kalifornien gegangen!«, jammerte der Kutscher weiter und steuerte auf den Steep Hill zu. Die Hügelkuppe glänzte blass im Mondschein. »Drüben an der Küste könnte ich Bienen halten und einen verdammten Laden aufmachen. Ich würde zwanzig Dollar die Woche verdienen.« Er ließ die Peitsche in der Luft knallen. »Aber jetzt ist’s zu spät, Mrs. Cooper! Irgendwann ist’s immer zu spät!«
Das Quartett aus Mustangs vor dem Gespann zog an und schleppte sich die steile Hügelflanke hinauf. Zwei der Pferde waren Fuchsfalben, die anderen beiden hatten pechschwarzes Fell und zottige Mähnen. Sie waren die kräftigsten Tiere, die im Mietstall von Jack Conroe zu finden waren.
»Joseph«, flüsterte Samantha und küsste die Stirn des Knaben. Sie blickte auf die im Schlaf zuckenden Lider ihres Sohnes. »Wach nicht auf, mein Lieber. Wach bloß nicht auf.«
Die träge dahinzuckelnde Kutsche erklomm den Hügel, als der Kutscher plötzlich die Zügel annahm und die Stirn in Falten legte. Er lauschte auf die knirschende Vorderachse und stand langsam auf. »Verdammter Conroe-Schrott! Möchte nicht schon wieder ’nen Achsbruch erleben!«
Das Gelächter in der Kutschkabine war verstummt, als hätte ein Windstoß sämtliche Geräusche fortgetragen. Die unvermittelte Stille flößte Samantha Angst ein. »Was ist los? Was ist mit der Achse?«
»Nichts von Beachtung, Ma’am!«, besänftigte sie der Kutscher und beugte sich zur Seite herunter. Ein metallisches Ächzen strafte seine Worte Lügen. »Muss ein Klemmer in der Achsaufhängung sein! Ist ein Kreuz mit den vierfedrigen Kutschen! Es ist ein Kreuz da-«
Weiter kam der Mann auf dem Kutschbock nicht.
Die Achse riss mit einem heftigen Stoß die Aufhängung auseinander, worauf sich der ganze Aufbau des Gespanns zur linken Seite hin neigte. Aus den Kutscherlampen auf dem Dach floss zischend Petroleum und fing Feuer. Die Pferde wieherten und rissen die Häupter herum.
Zur selben Zeit schrie Joseph in Samanthas Armen.
Das Kind mochte die Tragödie ahnen, die sich unter dem Vierspänner in Gang setzte und von der Samantha nicht das Mindeste wissen konnte. Die Mutter aus dem Fairfield County drückte ihr Kind fest an sich, barg dessen Kopf an ihrer Brust und wurde als Erste von einem berstenden Ledergurt getroffen.
Die schiere Wucht des Hiebs riss Samantha von der Kutsche.
Sie stürzte über den rechten Handlauf vom Bock, hielt dabei Joseph umklammert und prallte mit einer Wange auf das stahlbeschlagene Vorderrad. Eines der Pferde trat mit dem Huf nach ihr und brach aus dem Verband aus.
Die übrigen Zugtiere gingen mit der Kutsche durch.
Verzweifelt schrie der Kutscher etwas, einen wirren Fluch oder ein Stoßgebet; es war nicht weiter zu verstehen, denn die Wagenräder scharrten seitwärts durch den Dreck.
Dann überschlug sich die Kutsche.
Sie krachte mit dem splitternden Dach vor Samantha nieder, brach wie eine splitternde Walnuss entzwei und erschlug die junge Mutter mitsamt ihrem Kind.
Es war ein Tod unter Schreien.
☆
Fast ein Dutzend Heimstättensiedler, bei dem Lassiter unterkommen konnte, hatte das Hauptquartier in seinen beiden Telegrammen benannt. Die Namen der Siedlerfamilien reichten von Franzosen über Engländer bis zu Deutschen und Dänen, von denen jeder für sich sein Glück im Jackson Hole zu machen gedachte.
Vor den mächtigen Teton Mountains wirkte jedes der Häuser winzig.
Der Mann der Brigade Sieben hatte soeben den Föhrenwald hinter sich gelassen, der die Südwestflanke des Gravel Mountain bedeckte, und ritt einen ausgespülten Karrenweg hinunter. Er starrte blinzelnd zu den sonnenüberstrahlten Gipfeln hinüber, von denen er instinktiv spürte, dass sie ihm für einige Wochen zur Heimat werden würden.
Nach einer Stunde beschwerlichem Ritt langte Lassiter beim Elk Post Office an.
Das bescheidene Postbüro befand sich auf der Ranch von Pierce Cunningham, in einem massigen Blockbohlenhaus, vor dem ein breiter Regenschau die mit Brettern ausgelegte Veranda schützte. Unter dem Vordach standen Cunningham und der Postinspektor Daniel Howes, der im Geheimen ein Mittelsmann für die Brigade Sieben war.
»Sie kommen spät über die Berge!«, rief Cunningham mit dröhnender Stimme und hielt sich beim Lachen die Seite. Er war korpulent und trug ein schmutziges Baumwollhemd mit zerschlissenen Hosenträgern darüber. »Ich hatte Sie schon im Morgengrauen erwartet.«
Am Morgen hatte Lassiter noch in den Armen von Carry Babbitt gelegen, die im Handelsposten am Buffalo Fork auf ihn gewartet hatte. Sie kannten sich aus Red Lodge und hatten eine jener atemberaubenden Nächte zusammen verbracht, für die Candy-Carry in ganz Wyoming bekannt war.
»Schnee«, behauptete Lassiter und glitt aus dem Sattel. »Oben am Gipfel. Der Höhenweg ist zugeweht.«
»Verdammtes Puderzeug!«, knurrte Cunningham und lächelte grimmig. Er trat unter dem Dach hervor und schüttelte Lassiter die Hand. »Sie hatten Glück mit dem Pferd. Zwei Kerle aus Belham sind letzten Sommer die Biester erfroren.« Er blickte in den Himmel. »Unten im Tal scheint uns die Sonne auf den Bauch, oben herrscht grimmiger Frost.«
Der Rancher marschierte zu seinem Wohnhaus zurück und überließ es Howes allein, sich mit dem Ankömmling bekannt zu machen. Nach einem anfänglichen Zögern bat der Postinspektor Lassiter in die Hütte. »Gleich zwei Telegramme? Offenbar hält das Hauptquartier seine Versprechen.«
»Wie meinen Sie das?« Lassiter sah sich in dem sparsam dekorierten Büro um. »Man hat Ihnen zwei Telegramme an mich versprochen?«
An den beiden hinteren Wänden des Postbüros hingen Fahrtentafeln verschiedener Eisenbahngesellschaften und ein Aquarell der Teton-Berge, die in einen Schneesturm gehüllt waren. Der Schreibtisch des Postinspektors war aufgeräumt und wurde von einer schmalen Petroleumlaterne erhellt.
»Das Hauptquartier versprach mir den besten Mann«, meinte Howes und bot Lassiter stumm einen Stuhl an. Er setzte sich erst, als sein Gast Platz genommen hatte. »Zwanzig Seiten an Dokumenten sind mit dem Kurier gekommen. Sie müssen einen Mann für uns finden, von dem es heißt, dass er gern verbrannte Erde hinterlässt.«
Die Flamme im gläsernen Kelch der Petroleumlampe flackerte, und Howes drehte den Docht niedriger. Er sah zu Lassiter hinüber, der eine Weile nachdachte und sich dann nach vorn beugte.
»Verbrannte Erde?«, fragte Lassiter. »Was wirft man ihm vor, dass er sich dazu genötigt sieht? Wie ist sein Name?«
»John Tonnar«, gab Howes knapp zur Antwort. Er griff unter den Tisch und brachte ein ledernes Brevier zum Vorschein, in dem ein Stapel Papiere steckte. »Ein Deutscher aus Lancaster in Ohio. Vor einem halben Jahr hat er bei einem Kutschunglück seine ganze Familie verloren.«
Schweigend griff Lassiter nach dem Lederbrevier und sah die Dokumente darin durch. Die meisten Schriftstücke waren Protokolle von Informanten, die der Brigade Sieben Auskunft über John Tonnar und dessen Familie gegeben hatten. »Seine Frau und seine Kinder, meinen Sie? Steht er jetzt allein da?«
»Tonnar hatte keine Frau«, erwiderte Howes und nahm einen tiefen Atemzug. »Er ist ein Spieler und Trinker und genoss kein hohes Ansehen in Ohio. Er verlor bei dem Unglück seine Schwester Samantha, seinen Vater George, seinen Onkel Robert, seine Tante Rosemary und seine Cousine Bessie.« Er atmete erneut tief durch. »Außerdem starben Samanthas einjähriger Sohn und ihr Mann Henry.«
»Was für ein Drama«, bemerkte Lassiter und ging die Protokolle durch. Sie waren mit der üblichen Sorgfalt zusammengestellt worden. »Hält sich Tonnar derzeit in Wyoming auf?«
Der Mittelsmann bejahte mit einem Kopfnicken. »Allerdings. Schon seit einigen Wochen. Das Hauptquartier ist besorgt, dass er es auf Frank Pendleton abgesehen haben könnte.«
»Frank Pendleton?«, fragte Lassiter und schob das Brevier auf den Tisch zurück. »Den Bruder von Senator George H. Pendleton?«
»Sie kennen den Pendleton-Fall?«, zeigte sich Howes erstaunt. »Senator Pendleton steht unter Korruptionsverdacht. Er wird sich in Kürze unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.«
»Von Pendleton liest man in allen Zeitungen«, sagte Lassiter zur Begründung. Er hatte zuletzt in Red Lodge von dem Senats-Skandal gelesen. »Aber wie steht Tonnar mit ihm in Verbindung?«
Howes Miene erstarrte zu Eis. »Tonnar hat gegenüber einigen Leuten geäußert, dass er Pendletons Einlassungen zu den Stahlpreisen die Schuld am Tod seiner Familie gibt. Er glaubt, dass die verunglückte Kutsche minderwertige Achsen hatte.« Der Postinspektor hob die Brauen. »Er mag verrückt sein, aber er ist ebenso gefährlich.«
Die nächste Stunde verbrachten die Männer damit, sich über die Lage der Pendleton-Ranch zu verständigen, die weit oben in den Teton-Bergen lag. Der Auftrag aus Washington sah vor, dass Lassiter Tonnar ohne größeres Aufsehen gefangen nahm, ehe es dem Deutschen gelang, dem Bruder des Senators zu schaden.
»Er kam mit einer Frau nach Wyoming«, schloss Howes seine Ausführungen. Er zog eine Zeichnung aus dem Brevier, auf dem eine junge Frau mit Kreolen im Ohr zu sehen war. »Sie ist derzeit Dienstmagd auf der Wolff-Ranch. Vermutlich kann sie Ihnen eine Menge über Tonnar sagen.«
☆
Das elegante Coupé, in dem Charles R. Crowell eintraf, glich den vornehmen Pariser Modellen, die George Pendleton bereits im Katalog der Crowell Stagecoach Manufacturing Co. bewundert hatte. Der Zweispänner verfügte über einen geschwungenen Unterbau, über dem eine bordeauxrote Kabine thronte.
Crowell stieg in bester Laune aus dem Gespann. »George! Was für eine Freude! Es ist fast dreizehn Monate her!« Er lächelte. »Du siehst munterer aus, als ich’s gewohnt war.«
Obgleich Crowell beträchtlich kleiner als Pendleton war, schlossen sich die Männer brüderlich in die Arme. Sie pflegten ihre Freundschaft seit dem gemeinsamen Dienst im vierten Kavallerieregiment und sahen sich fast jedes Jahr.
»Munter ist nur der Teufel!«, konterte Pendleton vergnügt und führte Crowell ins obere Stockwerk des Hauses. Er wies das Dienstmädchen an, ihnen zwei Tassen englischen Tees zu bringen, und musterte seinen Freund vom Scheitel bis zur Sohle. »Du scheinst mir mit jedem Tag wohlhabender, Charles. – Großer Gott, ist das Blue-Union-Kaschmir?«
Stolz zog Crowell den Arm seines Fracks straff. »Gerade aus Boston eingetroffen. Die Herren von der Atlantic Wool Company haben ihn mir überlassen.«
» Atlantic Wool «, brummte Pendleton anerkennend. »Wie ich sehe, schlägt man dir selbst in höchsten Kreisen nichts mehr aus. Du hast unserem Arrangement eine Menge zu verdanken.«
Das Dienstmädchen servierte den Tee und stellte einen Teller mit belgischem Gebäck hinzu. Als die junge Farbige gegangen war, griff Crowell ungeniert zu und stopfte sich zwei Mandelbaisers in den Mund. »Mir sind die Vorzüge unseres Arrangements bewusst, hochverehrter George. Kürzlich lieferten wir zwanzig Belvalette-Landauer nach Connecticut.«
Die Gewinne der Crowell Stagecoach Manufacturing Co. waren exorbitant gewachsen, nachdem Pendleton sich im Senat für einen Deal mit brasilianischen Stahlschmelzern eingesetzt hatte. Der Rohstahl kam mit Dampfern über den Golf und ging zu Spottpreisen an Crowells Einkäufer.
»Ich sandte dir bereits eine Gratulation«, erwiderte Pendleton und griff nach der dampfenden Teetasse. Er trank einen Schluck und beobachtete seinen Gast dabei, wie er weitere fünf Mandelplätzchen verschlang. »Mich besorgen jedoch die Ereignisse, von denen man aus Ohio hört. Die Zeitungen schreiben, dass eine deiner Kutschen buchstäblich entzweigebrochen sei.«
Über denselben Vorfall hatte es bereits einen Telegrammwechsel gegeben, in dem sich Crowell jedoch um nähere Einzelheiten gedrückt hatte. Der Kutschenbauer hatte nur grob wiedergegeben, was Pendleton bereits zuvor im Mirror und im Herald gelesen hatte.
»Hör mir mit den Ammenmärchen auf!«, winkte Crowell auch jetzt ab. Er zeigte keine Spur von Nervosität. »Die Leute von der Abbot-Downing stecken dahinter, glaub’s mir nur! Keiner hat gern Konkurrenz im Stall. Sie wollen mir eins auswischen.« Er grinste. »Du weißt, wie es in der Politik gehen kann.«
In der Tat kannte Pendleton die harten Bandagen, mit denen in der Politik gestritten wurde. Eine Gruppe republikanischer Abgeordneter aus Ohio hatte ihn vor einigen Wochen der Bestechlichkeit beschuldigt, woraufhin demütigende Ermittlungen stattgefunden hatten. Keine der Anschuldigungen hatte sich als stichhaltig erwiesen.
»Der verdammte Kutscher verstand nichts von seinem Handwerk«, legte Crowell nach und seufzte. »Er hat die Pferde einen Abhang hinaufgescheucht, die Biester sind ihm durchgegangen und haben die Kutsche in Stücke gerissen.«
»Eine von deinen Kutschen«, mahnte Pendleton an und entsann sich der zermürbenden Senatssitzungen, die den Stahlgeschäften mit Brasilien vorausgegangen waren. Er hatte für Crowell seine Karriere aufs Spiel gesetzt. »Eines jener Modelle, die mit billigem Stahl gebaut worden sind. Du müsstest darüber Bescheid wissen.«
Irritiert stellte Crowell die Teetasse ab und verzog das Gesicht. Er hatte die kantigen Züge eines Engländers, obgleich er mitten aus Ohio stammte. »Worauf willst du hinaus? Gibst du mir die Schuld? Stehe ich jetzt bei dir am Pranger?«
Die Spannung im Rauchsalon von Pendletons Stadthaus war nun fast mit Händen zu greifen. Der ehemalige Senator starrte auf den geschnitzten Gladiator, der in einer Ecke des Raumes stand. Er hatte ihn von Männern wie Crowell zum Fünfzigsten erhalten. »Eine ganze Familie ist tot. Sie starb in den Trümmern deiner Kutsche.«
Die Geschichte hatte in allen Zeitungen gestanden.
»Tonnar?«, rief Crowell entrüstet aus. »Glaubst du nun auch diesem Schwachkopf? Er hat sich ein hübsches Sümmchen mit seinen Lügen verdient, dieser James Tonnar –«
»John Tonnar«, warf Pendleton ein. »Sein Name ist John Tonnar.«
»Wie auch immer.« Crowell wedelte mit dem Arm, als wäre das Thema damit erledigt. »Ich weigere mich, dem rührseligen Geschwafel eines Säufers zuzuhören. Ich habe Erkundigungen über Tonnar eingeholt. Er ist ein armer Teufel ohne jede Hoffnung.«
»Er hat es auf meinen Bruder abgesehen«, meinte Pendleton mit Nachdruck. Er stand auf, lief zum Sekretär, der neben der Gladiatorenstatue unter einem Palmwedel stand, und zog eine Schublade auf. »Ein Vertrauter aus Washington hat mir Briefe dazu gesandt.«
Einen Augenblick lang schwieg Crowell betroffen. »Du machst Scherze? Man interessiert sich in Washington für einen Rancher aus Wyoming?«
»Tonnar ist auf Rache aus«, lautete Pendletons knappe Antwort. »Er hat einige Männer aus dem Mietstall von Jack Conroe angegriffen und wollte offenbar auch dich finden. Nach einigen Wochen ist er auf mich und meinen Bruder gekommen.«
Mit einem beiläufigen Handgriff reichte Pendleton die Briefe an Crowell weiter. »Die Regierung hat offenbar jemanden nach Wyoming geschickt. Aber ich will, dass du dich darum kümmerst.«
Zwei Falten bildeten sich über Crowells breiter Nase. »Ich? Du willst mich nach Wyoming schicken? Was soll ich dort?«
»Du sorgst für die Sicherheit meines Bruders und seiner Familie, Charles.« Pendleton sprach jetzt mit klarer und scharfer Stimme. »Du bist es mir schuldig. Du bist es mir schuldig, seit ich diesen Deal für dich eingefädelt habe.«
Ratlos wendete Crowell den Briefbogen in der Hand und zuckte mit den Schultern. »Du verlangst eine Menge von mir. Ich könnte ebenso einen meiner Männer –«
»Nein, Charles«, blieb Pendleton unerbittlich. » Du gehst nach Wyoming. Du siehst nach meinem Bruder. Du bringst die Sache in Ordnung.«
☆
Als sich Emile Wolff im Jahr 1870 im Jackson Hole niedergelassen hatte, war der Snake River ein ungezähmter Flusslauf mit Dutzenden Mäandern gewesen. Der Strom hatte sich damals wie ein Raubtier durch das Teton Valley gefressen und jeden Winter andere Furten geschaffen. Er war ein Stück jenes Amerika gewesen, um dessentwillen Wolff seiner Heimat Belgien den Rücken gekehrt hatte.
»Jewell!«, brüllte Wolff nach seiner Magd und stocherte im Stichgraben herum. Um seinen dichten Vollbart schwirrten die Fliegen. »Jewell! Bring endlich den verdammten Eimer! Wo treibst du dich schon wieder herum?«
Er richtete sich ächzend auf und stemmte die Arme in den Rücken. Die Schufterei am Stichgraben, der einmal vom Snake River hinüber zum Weiher führen sollte, forderte ihren Tribut.
»Komme doch schon!«, rief Jewell Hollister und rannte mit dem scheppernden Eimer in der Rechten den Hügel hinauf. Sie hatte das dunkle Haar zu einem Knäuel zusammengebunden. »Musste die Biester einzeln einlesen!«
Die junge Frau mit den ausdruckvollen blauen Augen stellte Wolff den Eimer vor die Füße und deutete erwartungsvoll hinein. Sie hatte den halben Morgen lang Flusskrebse gesammelt, wie es ihr der Rancher aufgetragen hatte.
»Fast nur Jungzeug!«, murrte Wolff und ging vor dem Eimer in die Hocke. Er hob einen Krebs am Schwanz an, während sich die anderen Krustentiere scharrend übereinander schoben. »Ich will sie im Graben ansiedeln, bevor der Winter kommt! Diese Zwerge schaffen’s keinen kalten Herbsttag lang!«
Empört verwahrte sich Jewell. »Verzeihen Sie, Mr. Wolff, Sie benehmen sich äußerst unfreundlich. Ich habe all diese ekelhaften Geschöpfe eingesammelt, obwohl ich Ihnen lieber das Mittagessen bereitet hätte.« Sie reckte die Nase in die Höhe. »Ein wenig Dankbarkeit wäre das Mindeste gewesen.«
Seufzend ließ Wolff den Krebs fallen und ärgerte sich erneut darüber, dass er den vier Deutschen diesen Schreihals von einer Frau abgenommen hatte. Er hatte Jewell bereits ins Bunkhouse umziehen lassen, doch sie wurde nicht müde, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. »Tu künftig nur das, was ich dir sage, Kleines. Ich ertrage die ewigen Streitereien nicht mehr.«
Mit beleidigter Miene trat Jewell den Rückzug an und drehte sich erst beim Ranchhaus nach Wolff um. Als der Rancher sie keines Blickes würdigte, pfiff sie nach ihm.
»Verdammt, Jewell!«, pulverte Wolff und riss dabei fast den Eimer mit den Krebsen darin um. Er fluchte über sich selbst und warf den Spaten aus den Händen. »Was, zum Kuckuck, ist –«
Doch Jewell trieb keine Späße mit ihm.
Sie stand stocksteif neben dem gemauerten Rauchfang des Hauses und wies zum Fluss hinunter. Durch die Fluten des Snake River kämpfte sich ein einzelner Reiter.
Wolff runzelte die Stirn.
Er bekam selten Besuch auf der Ranch, und wenn es doch geschah, waren es durchreisende Siedler oder – wie die Deutschen – nur mit dem Nötigsten ausgestattete Goldwäscher. Sie liehen sich Grabwerkzeug von ihm, ab und an auch Packpferde oder brauchten eine Wegzehrung für die letzte Etappe hinauf in die Teton-Berge.
Selten traf jemand allein ein.
»Geh ins Haus!«, befahl Wolff und schlug sich die Hände an der Hose ab. Er hatte eine Winchester im Heuschober, die er noch kein einziges Mal hatte benutzen müssen. »Und bleib drinnen, bis ich dich rufe!«
Indessen hatte der Reiter das Ufer erreicht.
☆
Die Ranch des Belgiers Emile Wolff, zu dem die Akten der Brigade Sieben nichts Nennenswertes zu berichten wussten, erstreckte sich im Schatten einer ausladenden Espe. Der größte Bau war das Ranchhaus mit einem steinernen Kamin an der Stirnwand, daneben erhoben sich Scheune und Bunkhouse. Durch ihren rostroten Anstrich waren die Häuser weithin sichtbar.
Besonnen dirigierte Lassiter das Pferd durch das seichte Uferwasser.
Der Snake River durchfloss an dieser Stelle eine weite Biegung, die westlich von hohem Gras und östlich bis hinauf zur Ranch von einer sandigen Böschung gesäumt war. Lediglich ein Pfad führte zum Fluss hinunter; zu schmal, um darauf zu reiten.
Unter den wiegenden Espenzweigen erschien eine hünenhafte Gestalt.
Sie entsprach der Beschreibung, die Lassiter von Postinspektor Daniel Howes erhalten hatte und nach der Wolff ein großgewachsener Mann mit breitem Kreuz war. Er würde zudem häufig eine Wollmütze tragen, hatte der Mittelsmann ergänzt, und auch in dieser Hinsicht war die Schilderung akkurat.
»Mr. Wolff?«, rief Lassiter und schob den Hut aus der Stirn. »Man hat mich von der Cunningham-Ranch hergeschickt. Ich würde gern ein paar Worte mit Ihnen wechseln.«
»Kommt auf die Worte an!«, rief Wolff zurück und löste sich aus dem Schatten des Baumes. »Mir ist jeder willkommen, der nichts Arges im Sinn hat.« Er stand jetzt im gleißenden Sonnenlicht. »Im Jackson Hole lässt man sich besser nicht täuschen.«
Der Mann der Brigade Sieben ritt die Böschung hinauf und hielt vor Wolff an. Er nickte dem Rancher zu und stützte sich mit einem Arm auf das Sattelhorn. »Mr. Howes vom Postbüro sprach davon, dass eine Frau mit dem Namen Jewell Hollister bei Ihnen auf der Ranch ist. Sie könnte mir von Nutzen sein.«
»Von Nutzen?«, wiederholte Wolff und kratzte sich am Bart. Er ging langsam um das Pferd herum und warf einen Blick auf Lassiter Gepäck. »Was wollen Sie von Miss Hollister? Sie ist meine Magd für den Sommer.«
»Es geht um eine Regierungsangelegenheit«, gab Lassiter zur Antwort. »Sie ist mit einem Mann bekannt, nach dem meine Auftraggeber suchen. Dieser Mann ist gefährlich und könnte ein Verbrechen begehen.«
Schweigend hörte Wolff zu und umrundete das Pferd ganz. Er kniff die Lippen zusammen und sah zum Ranchhaus hinüber. »Gewöhnlich gibt’s im Jackson Hole keine Gesetzesbrecher. Ich überlasse es Miss Hollister, ob sie mit Ihnen reden mag.«
Sie sprachen noch eine Weile über den Snake River, der im Frühjahr angeschwollen war und das Land einiger Siedler überschwemmt hatte. Wolffs schroffe Art schliff sich mit jedem Wort stärker ab, und zum Schluss lud der Ranchbesitzer Lassiter zum Abendbrot ein.
»Gern«, willigte Lassiter ein und band das Pferd an. »Miss Hollister wird sich hoffentlich ebenso freuen.«
»Sie kam mit etlichen Deutschen auf die Ranch«, erzählte Wolff und erklomm mit Lassiter das letzte Stück Uferböschung. Er blieb stehen und kratzte sich wiederum am Bart. »Sind Sie wegen der Deutschen gekommen? Die Kerle waren mir gleich verdächtig. Sie verlangten eine Säge und Proviant von mir.«
☆
Unter der flatternden Zeltplane ging es John Tonnar schlecht wie lange nicht.
Fast die halbe Nacht hatte er wachgelegen, nachdem er grausig von seiner Schwester Samantha und deren Sohn Joseph geträumt hatte. Im Traum war Samantha in einem weißen Nachthemd über eine Stahlfachwerkbrücke balanciert, wie Tonnar sie auf der Eisenbahnfahrt hinüber nach Wyoming gesehen hatte. Der kleine Joseph hatte in den Armen seiner Schwester gelegen.
Oh Willie dear, don’t kill me here …
Beide hatten im Traum gesungen, Samantha und der Knabe in ihrem Arm, wobei der Junge grotesk die Lippen bewegt hatte, als säße ein Dämon in seinem dürren Leib. Sie hatten zu Tonnar hinuntergestarrt und waren ins Dunkel gesprungen.
»John! John, werd’ endlich wach!«
Die tiefe Stimme von Henry Welter, dem Bierbrauer aus Montana, drang durch das dünne Segeltuch. Welter schlug mit der Faust auf die Mittelstange des Zeltes und feixte. Er machte sich jeden Morgen einen Spaß daraus, Tonnar auf diese Weise zu wecken.
»Hörst du nicht?«, rief Welter erneut und gähnte vernehmbar. »Gestern hat August ein Nugget am Fluss gefunden … Vielleicht fünf oder sechs Dollar wert. Ist ein Anfang, meinst du nicht?«
Ob fünf oder sechs Dollar nach einer Woche Arbeit genug für vier Männer war, wollte Tonnar zu dieser frühen Stunde nicht entscheiden. Er wusste nur, dass die anderen beiden Deutschen ihn am Abend als Faulpelz beschimpft hatten.
»Was ist nun?«, ließ Welter nicht locker und steckte seinen grauhaarigen Kopf ins Zelt. »Verdammt, du liegst immer noch! Willst du den anderen beiden recht geben? Sie haben sich deinetwegen die ganze Nacht das Maul zerrissen.«
Tonnar drehte sich zur Seite und zog die raue Jutedecke über die Schulter. Er sah im Geist abermals Samantha in die Tiefe stürzen. »Lass mich, Henry … Lass mich noch eine Viertelstunde. Ich komme rüber zum Frühstück, sobald mir danach ist.«
Der Bierbrauer seufzte und zog sich kopfschüttelnd zurück. Er ging pfeifend davon und rief nach den anderen beiden Deutschen, die Tonnar in dieser Sekunde verabscheute wie niemanden sonst.
Abgesehen von George Pendleton vielleicht …
Freigesprochen von aller Schuld hatte man Jack Conroe, dem der Mietstall gehörte, freigesprochen auch Charles R. Crowell, den Konstrukteur und Erbauer der Kutscher, und freigesprochen Senator George H. Pendleton, der Crowell einen hervorragenden Stahldeal verschafft hatte.
Keiner dieser Männer trug Schuld am Tod von Tonnars Familie.
»Verflucht, Tonnar! Aus den Federn!«
Der cholerische Ausbruch kam von August Kellenberger, einem anderen Brauer, dem zwei Finger an der rechten Hand fehlten. Er schrie buchstäblich jeden Satz aus voller Kehle. Für einen Kerl, der kaum größer als ein Schaufelstiel war, benahm er sich wahrlich dreist.
Gequält wälzte sich Tonnar unter der Decke hervor.
Mit einer Körpergröße von fünf Fuß und einem Gewicht von hundertvierzig Pfund schüchterte man niemanden ein. Die drei Deutschen hatten auf ihn, Tonnar, den Luxemburger, von Anfang an herabgesehen. Sie hatten ihn für seine Schwermut verspottet, obgleich sie ihrerseits ebenfalls Marotten pflegten.
Am schlimmsten war Theodore H. Tiggerman.
Er hielt stets mit Kellenberger zusammen und bildete sich viel darauf ein, dass er in Deutschland zu einem königlichen Wachbataillon gehört hatte. Als sie ins Jackson Hole geritten waren, hatte er behauptet, dass er für Goldlagerplätze ein besonderes Näschen hätte.
Genutzt hatte es dem Trupp bisher nichts.
Sie hatten am Flussufer ein paar Nuggets gewaschen, die kaum der Mühe wert gewesen waren. In den kommenden Tagen wollten sie einen Damm aufschütten, der den Snake River auf beträchtliche Länge anstaute. Kellenberger war ganz vernarrt in diese Idee.
»Tonnar!«, schnauzte Kellenberger erneut. Er strich um das Zelt herum und schlug mit der flachen Hand ein Dutzend Mal gegen die Plane. »Steh auf jetzt! Wir wollen runter zum Fluss!«
»Zu Befehl, Sir!«, knurrte Tonnar halblaut und hob die Stimme. »Ist Tiggerman schon fertig? Oder sitzt er noch am Feuer?«
»Theodore brät Speck«, verkündete Kellenberger laut und riss ein Zündholz an. Er steckte sich eine Zigarre oder einen Zigarillo in den Mund. »Willst du die Fehde mit ihm nicht langsam begraben? Er braucht seine Ruhe.«
Beinahe hätte Tonnar laut losgelacht.
Vom ersten Tage an hatte er die Deutschen ausschließlich hofiert, über ihre derben Scherze gelacht und sich schamvoll als »der Luxemburger« bezeichnet, sobald ihm ein Missgeschick unterlaufen war. Er hatte sich ihnen angedient wie ein räudiger Straßenköter.
Sie hatten ihn dafür wie einen Aussätzigen behandelt.
Die meiste Zeit verbrachte Tonnar abseits des Trupps, stets mit Arbeiten betraut, die Kellenberger, Tiggerman und Welter zu schwer oder zu lästig waren. Er hatte nie gemurrt deswegen. Aber dass er, John Tonnar, für den Streit mit Tiggerman verantwortlich sein sollte – das war eine Ungeheuerlichkeit.
»Scheinst das Maul nicht aufzukriegen!«, schlussfolgerte Kellenberger draußen ungerührt. Er zog an dem Zigarillo oder der Zigarre, bis seine Nasenflügel pfiffen. »Mir soll’s gleich sein. Um die Mittagsstunde fangen wir mit dem Damm an. Die Sonne geht rüber nach Westen.« Er paffte erneut. »Müsste genug Schatten auf den Snake River werfen.«
Keiner der Männer ahnte etwas von Tonnars Schicksal.
Sie hatten ihn als den dümmlichen Luxemburger abgestempelt, als den Goldgräber aus Ohio, der genug Kraft besaß, dass er dem Trupp von Nutzen und nicht nur ein weiteres hungriges Maul war. Ums Verrecken nicht hätte Tonnar ihnen von Samantha erzählt, die tot war, nicht von Joseph, ihrem Einjährigen, nicht von Onkel Robert und Tante Rosemary, nicht von seinem Vater George und Samanthas Mann Henry, die alle ebenfalls tot waren.
Zwischen den Zelten knackte friedlich das Feuer.
Sie waren im Paradies angelangt und würden irgendwann einträchtig Gold schürfen. Sie würden den Snake River um seine Schätze erleichtern und zu reichen Männern werden.
Keiner würde fragen, ob sie Deutsche oder Luxemburger oder Belgier wie Emile Wolff waren.
»August?«, fragte Tonnar und schlüpfte in die Stiefel. »August, wann geht’s los am Fluss?«
Kellenberger spie aus und lief vor dem Zelteingang auf und ab. »Gegen Mittag, verflucht! Gegen Mittag, habe ich dir doch gesagt!«
☆
Durch die Ranchküche von Emile Wolff zog der betörende Geruch von gebratenen Rippchen, die Wolffs Magd Jewell in einer schweren gusseisernen Pfanne hin und her schob. Die junge Frau trug ein aufreizendes Haushaltskleid, dessen Dekolleté aus französischer Spitze bestand und Lassiter den Verstand raubte.
Schräg gegenüber von Lassiter saß Wolff und nippte an seinem Bourbonglas. Er hatte seine helle Freude an der Unruhe, die Jewell beim Mann der Brigade Sieben auslöste. Als Lassiter gerade nicht hinsah, schenkte er dessen Glas wieder voll. »Trinken Sie, Mr. Lassiter! Sonst setzt Ihnen Miss Hollister noch ärger zu!«
Die hübsche Schwarzhaarige am Ofen wandte sich um und strahlte Lassiter an. Sie machte mit dem Holzlöffel eine auffordernde Geste. »Kommen Sie nur herüber, Mr. Lassiter! Sie schauen einer patenten Köchin über die Schulter.« Sie lachte. »Meine Rippchen genießen Ruhm weit jenseits der Grenzen Wyomings.«
»Womit Miss Hollister nicht übertreibt!«, sekundierte Wolff und lachte. »Sie ist eine Meisterin ihres Fachs.«
Nach kurzem Zaudern stand Lassiter auf und begab sich hinüber zu Jewell. Er konnte den Duft ihres Haarwassers riechen und lehnte sich vergnügt an den Küchenschrank. »Woher kommen Sie, Miss Hollister? Sie kamen mit den Deutschen, nicht?«
»Ich bin Tonnars Freundin«, bejahte Jewell und wendete eines der Rippchen im Öl. Sie schob Zwiebeln und gerösteten Thymian darauf. »Oder ich war’s wenigstens früher. Er macht sich nicht viel aus Frauen. Ich hab’ in Columbus mit ihm Poker gespielt.«
Aus dem Tiegel kräuselte ein dünner Rauchfaden empor.
»Sie pokerten mit ihm?«, fragte Lassiter und sah Jewell tatsächlich über die Schulter. »Weshalb hat er sie bei Mr. Wolff zurückgelassen?«
Um Jewells Lippen spielte abermals ein Lächeln. »Sie sind ein neugieriger Mann, Mr. Lassiter. Ich könnte Ihnen eine Menge über Mr. Tonnar erzählen.« Sie drohte ihm spielerisch mit dem Löffel. »Aber Sie schwärzen ihn bei der Regierung an, nicht?«
Von Wolffs Tischseite kam ein leises Räuspern, dem Lassiter entnahm, dass sich der Rancher die gleiche Frage gestellt hatte. Der Mann der Brigade Sieben schüttelte den Kopf. »Gegenwärtig arbeite ich auf eigene Rechnung. Mr. Tonnar hat sich wenig zu Schulden kommen lassen.«
»Wenig?« Jewell lud eines der Rippchen auf den Teller und brachte es zu Wolff. »Er hat seine ganze Familie in Ohio verloren. Er hätte allen Grund, jemandem Schlechtes anzutun.« Sie drehte sich halb zu Lassiter um. »Sind Sie gekommen, um ihn zu verhaften?«
Erneut antwortete Lassiter mit einem Kopfschütteln. »Niemand will Mr. Tonnar verhaften. Ich möchte nur mit ihm sprechen.« Er sah Jewell eine Weile an. »Sie sind der Schlüssel zu ihm.«
Schweigend trug Jewell die restlichen Speisen auf und band sich das schwarze Haar zu einem Zopf zusammen. Sie setzte sich neben Wolff an den Tisch und stach mit der Gabel in das bereitstehende Fleisch. »Sie verlangen von mir, dass ich John verrate? Sie könnten mit ihm Gott weiß was anstellen!«
»Sie sollen mich nur zu ihm bringen«, beharrte Lassiter und setzte sich ebenfalls. Er spürte Wolffs Blick auf sich ruhen. »Ich werde ihm kein Leid antun.«
»Genug des Geschäftlichen!«, schritt Wolff ein und unterband jedes weitere Gespräch. »Zunächst speisen wir an diesem Tisch. Ihr könnt euch noch die ganze Nacht darüber streiten.«
☆
Der prophezeite Streit fiel wild und leidenschaftlich aus.
Die brünette Saloontänzerin aus Ohio streifte sich das Mieder vom Leib und stieg splitterfasernackt über den liegenden Lassiter. Die Petroleumlampe in der Ecke der Schlafkammer war so weit heruntergedreht, dass Jewells Haut einen Bronzeton bekam. »Sprich ruhig darüber! Sprich nur darüber, was du mit Tonnar vorhast!«
Doch der Mann der Brigade Sieben äußerte kein Wort.
Er griff Jewell bei den schmalen Hüften, zog sie zu sich herunter und küsste sie voller Begierde. Als das Saloonmädchen beide Arme um seinen Hals schlang und sich langsam auf seinen Schoß sinken ließ, stöhnten beide vor Lust auf.
»Du … du bist wunderbar!«, hauchte Jewell und stützte sich auf Lassiter Brust ab. Sie rieb sich an seinem steifen Pint unter der Hose und packte Lassiter beim Kinn. »Ich hoffe, du nutzt mich nicht bloß aus?«
»Nein, Jewell«, versicherte Lassiter und warf seine Bettgenossin auf den Rücken. »Du bist es, die mich die ganze Zeit nach Tonnar fragt. Du solltest keine Nacht mit mir verbringen, falls du noch verliebt in ihn bist.«
»Verliebt in John!«, rief Jewell mit einem trockenen Lachen aus. »Keine Frau verliebt sich für lange Zeit in ihn. Er ist ein interessanter Kerl, aber mit ihm ist kein Staat zu machen.«
»Dich wird die Nacht nicht reuen?«, fragte Lassiter und wies auf die Bretterwand hinter ihm. »Mr. Wolff wird sie gewiss bereuen. Er hört jeden Laut von uns.«
»Nicht, solange du nicht ständig redest!«, flüsterte Jewell und beugte sich über Lassiter. Sie griff zwischen ihre Beine, knöpfte die Hose des großen Mannes auf und tastete nach dessen prallem Riemen. »Du verstehst dich doch auf Frauen!«
Fast eine Stunde verging darauf.
Sie trieben es in jeder Stellung, die ihnen in den Sinn kam, wälzten sich auf der Schlafpritsche und auf dem Dielenboden. Sie ließen nicht voneinander ab, bis Jewell den Kopf emporriss und vor Ekstase laut aufschrie.
»O Lassiter!«, stieß Jewell hervor. »Du hast nicht zu viel versprochen.«
Sie kehrte ihm den zierlichen Rücken zu, auf dem sich zwei spitze Schulterblätter abzeichneten, und kramte in ihrem Kleid nach einem Schnupftuch. Der Mann der Brigade Sieben schmiegte sich an Jewell und drang erneut in sie ein.
Laut stöhnte die brünette Tänzerin auf.
Sie presste den Hintern gegen Lassiters Lenden, krallte eine Hand in seinen Oberschenkel und warf den Kopf herum. Nach einem Dutzend Stößen kam Jewell zum Höhepunkt.
»Bringst du mich zu Tonnar?«, fragte Lassiter und sank erschöpft auf das Laken. »Ich muss dringend mit ihm sprechen.«
»Du hast gerade mit seinem Mädchen geschlafen«, neckte Jewell ihn. »Er wäre nicht gut auf dich zu sprechen. Aber von mir wird er davon nichts erfahren.«
»Ich muss mit ihm sprechen«, insistierte Lassiter. »Er ist der Mann, der für meine Auftraggeber von Bedeutung ist.«
»Wie du meinst«, wisperte Jewell und schmiegte sich mit ihrem nackten Körper erneut an Lassiter. »Sei bloß nicht enttäuscht, wenn er’s herausbekommt. Er hat ’nen sechsten Sinn für solche Sachen.«
»Wie finde ich zu ihm?«, fragte Lassiter und strich Jewell durchs Haar. »Wo steckt er?«
☆
Routiniert dirigierte Charles R. Crowell mit einigen forschen Rufen den Stahlkran, unter dessen rostigem Ausleger eine nagelneue Landauer-Kutsche schwebte. Der Kutschfabrikateur aus dem Mittleren Westen hob beide Arme und ließ den Kutschwagen vor den übrigen zwanzig Gespannen abstellen. An der Kranwinde hantierte Crowells Vormann Samuel Farr.
»Noch ein Stück, Sammy!«, rief Crowell und nahm in gebückter Haltung Maß. Er kniete sich unter das rechte Vorderrad des Landauers und gab das Signal zum Absetzen. »Ist Maßarbeit! Ist eine verfluchte Maßarbeit!«
Die Lederbänder unter der Kutschkabine spannten sich, als Farr die Kurbel betätigte und den Gespannwagen sanft herunterließ. Von der anderen Straßenseite kamen die Bewohner von Eagle Rock gelaufen und bestaunten den Aufzug aus sieben Kutschen, die Crowell am Gleis der Utah & Northern Railway von den Eisenbahnwaggons hatte hieven lassen.
»Numero Sieben, Boss!«, brüllte Farr vom Kran und reckte den Daumen in die Luft. Er lud seit dem Morgengrauen die Kutschen ab, die in Crowells Auftrag aus San Francisco gekommen war. »Keiner neidet Sie Ihnen mehr als ich!«
Dass Samuel ein passionierter Kutschfahrer war, davon hatte sich Crowell zuletzt bei der Leistungsschau in Berkshire überzeugen können. Er hatte seinem Vormann ein ausrangiertes Frachtgespann überlassen, und mit dem hatte Farr zum Schluss den ersten Preis errungen. Die Preisrichter hatten Farrs Instinkt und sein Geschick mit den Pferden gelobt.
»Du kriegst deinen Landauer!«, rief Crowell versöhnlich und drängte sich zwischen den Schaulustigen hindurch. »Die Fahrt hinüber in die Teton-Berge ist beschwerlich und weit. Ich brauche einen erfahrenen Mann an der Spitze.«
Die übrigen Landauer-Gespanne standen in Reih und Glied am Gleis und wurden von den Arbeitern der Utah & Northern Railway aufmerksam gemustert. Die Bahngesellschaft hatte Crowells Auftrag erst in letzter Minute erhalten und waren zu Verschwiegenheit gegenüber jedermann verpflichtet worden. Die Karawane in die Teton-Berge sollte Crowells Geheimnis bleiben.
»Sammy«, sagte Crowell und legte seinem Vormann brüderlich den Arm um die Schultern. Er zog Farr zur Seite und dämpfte die Stimme. »Was ist mit den Petroleumfässern? Hast du alle bekommen?«
Unbehaglich nestelte Farr an seinem Halstuch. Er war Crowells Befehl nur widerstrebend nachgekommen. »Zwanzig stehen im letzten Waggon, Sir. Die restliche Ladung kommt mit dem Zwei-Uhr-Zug. Der Treck sollte in den Morgenstunden bereit zum Aufbruch sein.«
Die Männer sahen sich eine Weile an, und Crowell erkannte in Farrs gebrochenem Blick jene Loyalität, die er an seinem Vormann so schätzte. Er wusste aus Erfahrung, dass Sam nichts von seinem Vorhaben hielt.
Doch Pendleton duldete keinen Widerspruch.
Der frühere Senator hatte der Crowell Stagecoach Manufacturing Co. einen profitablen Stahldeal beschert, der es nahezu unmöglich machte, Pendleton Gefälligkeiten zu verwehren. Crowell stand bei seinem alten Freund so tief in der Schuld, dass er allein nicht mehr herauskam.
»Bring je vier auf jeden Landauer!«, lautete Crowells Anweisung. Er deutete auf die vier hinteren Gespanne. »Du wirst die Vorhut übernehmen und uns eine Route über das Teton-Massiv suchen. Die Leute sollen glauben, dass wir ihnen die neuesten Kutschmodelle vorführen wollen.« Er seufzte. »Sieh also zu, dass ein paar Ranches auf unserem Weg liegen.«
Die Arbeiter der Eisenbahngesellschaft vertrieben ein paar neugierige Jungen, die sich unter den Landauer-Kutschen hindurchstahlen und sich gegenseitig mit Achsfett beschmierten. Als die Knaben einem der Männer ein Bein stellten, brach heiteres Gejohle unter den Stadtbewohnern aus.
»Sir, mir ist nicht wohl bei der Sache.« Farrs schmales Gesicht hatte einen betrübten Ausdruck. »Mit vier Petroleumfässern an Bord ist jede Kutsche ein fahrendes Pulverfass. Ein einziger Zigarillo oder ein neugieriger Indianer genügt, um die Wälder oben in den Bergen in Brand zu stecken.«
Das Gelächter unter den versammelten Männern und Frauen erstarb, und die Menge zerstreute sich allmählich. Zurück blieben nur einige Männer, die interessiert die Deichseln der Gespanne betrachteten und sich gegenseitig in ihren Mutmaßungen übertrafen.
»Willst du uns vor die Hunde gehen sehen?«, knurrte Crowell und ließ seinen Vormann los. Er ging um die hinterste Kutsche herum und strich über die glattlackierte Kabine. Seine Leute hatten den Wagen erst in diesen Tagen fertiggestellt. »Die Crowell Stagecoach Manufacturing steht nun einmal bei Mr. Pendleton in der Kreide. Er verlangt eine Eskorte für seinen Bruder und dessen Familie.«
»Aber gleich sieben Kutschen?«, entgegnete Farr und erfasste mit einer einzigen Geste die ganze Kutschreihe. »Beladen wie im Krieg? Sie hätten auch ein paar Pinkerton-Agenten damit beauftragen können.«
Über diese Möglichkeit hatte Crowell nachgedacht, sich danach jedoch für ein anderes Vorgehen entschieden. Er wollte die Ranch von Frank Pendleton, dem Bruder des früheren Senators, mit aller Macht schützen. Falls es misslang, musste er jedoch einen Trumpf im Ärmel haben.
»In Wyoming stehen wir im Krieg«, knurrte Crowell und stieg auf die Trittstufe. Er inspizierte die Polster der Kutschkabine, in der bald stinkende Petroleumfässer liegen würden. »Die Indianerstämme in der Gegend könnten uns gefährlich werden. Ein paar glücklose Goldgräber könnten auf Beutezug gehen.« Er sah sich zu Farr um. »Außerdem wissen wir nicht, mit wem sich John Tonnar zusammengetan hat.«
»Tonnar ist auf und davon«, sagte Farr leise und lies sich mutlos auf den Kutschbock sinken. »Er wird sich nicht wieder bei uns blicken lassen. Nicht nach all den Ereignissen in Ohio.«
Der einzige Überlebende einer ganzen Familie aus Columbus, John Tonnar, hatte in Ohio mehr als einmal versucht, an Crowell und dessen Manufaktur heranzukommen. Er hatte einigen von Crowells Männern aufgelauert, war allerdings jedes Mal vertrieben worden.
»Tonnar ist ein Schwachkopf und Säufer«, zischte Crowell. »Er wird sich nicht klug verhalten. Aber er könnte Leid über eine ganze Familie bringen, und das werden wir nicht zulassen, Samuel.« Er lächelte. »Auch wenn dir sieben Kutschen dafür unpassend erscheinen.«
Farr schlug demütig den Blick nieder. »Sie werden wissen, was Sie tun, Sir. Sie werden es wissen.«
Crowell sprang aus der Kutsche und richtete den Blick auf die im Abendrot schimmernden Teton-Berge. Die Ranch von Frank Pendleton befand sich irgendwo zwischen den Felsgraten und tief eingeschnittenen Kerbtälern.
Um Tonnar ging es Crowell jedenfalls nur am Rande.
☆
Der Damm an der Nordbiegung des Flusses war an diesem Morgen gerade einmal um zwei Fuß gewachsen, was Theodore H. Tiggerman in schäumende Wut versetzte. Der Deutsche rammte den Spaten in den lockeren Flusssand und starrte zum Floß hinüber.
»Was hast du, Theodore?«, fragte August Kellenberger und sprang von dem aus Brettern und lehmiger Erde errichteten Damm herunter. »Bis zum Mittag sollte er hoch genug sein, dass wir das Wehr reinschieben können. Das Gold ist zum Greifen nahe.«
Auf dem Floß stieß Henry Welter den sitzenden John Tonnar an, damit Tiggerman keinen Grund hatte, sich erneut aufzuregen. Er drückte ihm den Jutesack mit den Steinen darin in die Hand, der ihnen als provisorischer Anker diente.
»Bis zum Mittag!«, schnaubte Tiggerman und marschierte bis zu dem im Damm eingelassenen Wehr. Er rüttelte am Staubrett und blickte über den Snake River. »Wir hätten schon vor fünf Tagen fertig sein sollen! Wir sollten uns endlich die Taschen voll Gold stopfen!«
Noch immer hing am Verpflegungszelt die hastig gekritzelte Skizze, auf der Tiggerman vor gut zwei Wochen den Dammverlauf festgelegt hatte. Der Damm sollte den Snake River auf einer Breite von fast dreißig Yards anstauen, damit die Männer im trocken gefallenen Sand nach Gold schürfen konnten. Tiggerman hatte jedoch die Strömung des Flusses unterschätzt.
»Tonnar!«, brüllte Tiggerman und starrte wieder zum Fluss. »Beweg deinen verdammten luxemburgischen Hintern hier rüber! Die Pfosten sitzen nicht tief genug.« Er trat gegen einen der eingerammten Pfähle. »Du warst dafür verantwortlich!«
»Verdammter Faulpelz!«, sekundierte Kellenberger im flachen Uferwasser und watete zum Floß hinüber. »Keinen einzigen Handschlag hab’ ich dich den ganzen Morgen verrichten sehen! Oder, Henry? Hat er gearbeitet?«
Welter schwieg und gab Tonnar etwas Ankerseil nach. Als der Jutesack mit den Steinen darin ins Wasser schlug, sah er zu Kellenberger hinüber. »Er erledigt seinen Teil, August. Ich würde ihm ein paar Stunden Frieden lassen.«
Kellenberger und Tiggerman ließen sich nicht beschwichtigen.
»Ergreifst du Partei für diesen Kretin?«, brüllte Tiggerman quer über den Damm. Er marschierte auf Welter und Tonnar zu. »Wenn du mich fragst, ich brauche ihn nicht länger als Partner. Er soll verschwinden … Er soll sich dahin scheren, woher er gekommen ist.«
Die letzten Sätze sprach Tiggerman in hartem Deutsch und fuchtelte dabei mit den Armen. Er hatte Tonnar bereits einige Male geschlagen, doch Welter hatte das Ärgste stets abwenden können.
»Bewahr die Ruhe!«, rief Kellenberger und winkte ab. »Wir nehmen ihn uns zur Brust, sobald der Damm fertig ist. Er will doch etwas vom Gold abhaben, oder nicht?« Er schaute zu Tonnar. »Gib Antwort, du Lump!«
»August!«
Buchstäblich wie erstarrt stand Tiggerman plötzlich auf dem Damm und reckte den Arm in Richtung Wald. Er führte die Hand zum Holster und umklammerte den Griff der Waffe darin.
»Was ist?«, murrte Kellenberger und schritt auf Tonnar zu. »Ich würde mir den kleinen Luxemburger –«
Im nächsten Moment erblickte auch Kellenberger den Fremden.
☆
Schon für einige Zeit hielt Lassiter in der Rechten den schussbereiten Remington, dessen Trommel mit sechs .38er Patronen gefüllt war. Er hatte den Disput der Deutschen bereits aus der Ferne mitbekommen, und dass ihm die Goldgräber nun auflauerten, war für den Mann der Brigade Sieben keine Überraschung.
»Wer bist du, Kerl?«
Auf dem provisorischen Damm, der sich vom Ufer bis weit in den Snake River hinaus zog, richtete sich ein älterer Mann auf und zog einen Revolver aus dem Holster. Er spähte nervös zu seinen Kameraden, von denen einer gleichfalls auf dem Damm stand, während die anderen auf einem kläglich zusammengeschusterten Floß hockten.
»Nimm das Schießeisen runter!«, rief Lassiter und hielt den Remington hinter einem Baum verborgen. Er wollte auf die Deutschen nicht feuern. »Ich war am Fluss unterwegs und musste sehen, was ihr dort unten treibt.«
Auf der Ranch von Emile Wolff hatte ihm Jewell Hollister den Weg zum Lagerplatz in aller Ausführlichkeit beschrieben. Sie hatte den Mann der Brigade Sieben zudem davor gewarnt, dass die Goldsucher ihm misstrauen würden.
»Am Fluss also?«, tönte es vom Damm zurück. Der Älteste unter den Männern hatte das Wort ergriffen. »Treibst dich einfach in der Gegend herum, in der wir Gold suchen? Soll ich an solchen dummen Zufall glauben?«
»Du kannst glauben, was du willst.« Lassiter behielt die übrigen Goldgräber fest im Blick. »Ich will euch nichts Böses. Wollte nur nach dem Rechten sehen.« Er lächelte. »Außerdem suche ich einen Mann, der bei Euch sein soll.«
Die beiden Goldsucher auf dem Damm warfen einander einen raschen Blick zu. Sie stellten sich zueinander und berieten sich leise. Der Mann der Brigade Sieben ahnte, dass sie über Tonnar sprachen, und darüber, ob sie ihn einem Fremden ausliefern sollten.
Der Streit zwischen den Deutschen und Tonnar hatte schon auf der Wolff-Ranch gegärt, glaubte man Jewells Behauptungen. Die Männer hatten sich von Beginn an gestritten, obwohl sich Henry Welter und Tonnar bereits gekannt haben mussten. Sie waren in tiefem Zwist an den Snake River geritten.
»Scher dich zum Teufel!«, brüllte der Ältere schließlich, der Kellenberger oder Tiggerman sein musste. »Wir brauchen keinen Schnüffler bei uns. Die Arbeit am Damm hat uns Tage gekostet. Ich brauch’ keinen neugierigen Hund, der mir um die Füße streicht.«
»Sein Name ist John Tonnar«, erwiderte Lassiter mit lauter Stimme. Er konnte sehen, dass der Kleingewachsene auf dem Floß unwillkürlich den Kopf hob. Er hatte Tonnar gefunden. »Ich muss mit ihm wegen einer Angelegenheit in Ohio sprechen.«
»Ob du ’nen Johnny suchst, geht uns nichts an.« Der Ältere trat auf den Waldrand zu und hielt die Hand auf dem Revolvergriff. »Jetzt hau ab. Sonst müssen wir dir Beine machen.«
Ohne die mindeste Regung im Gesicht blieb Lassiter stehen.
»Wohl Dreck in den Ohren?«, schrie der ältere Goldsucher und stürmte auf Lassiter zu. »Kommt schon, Leute! Wir zeigen’s ihm!«
☆
An manchen Abenden stieg der Nebel in den Teton-Mountains bis unter die Berggipfel auf und breitete sich als gräuliches Meer vor der Ranch von Frank Pendleton aus. Der Pendleton-Besitz lag auf einem Hochplateau am Rockchuck Peak und umfasste fast tausendsiebenhundert Morgen Acker- und Weideland.
Vor zwanzig Jahren hatte Frank sich bewusst dafür entschieden.