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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2491, 2492 und 2493.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 398
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Maren/Ortega
ISBN: 978-3-7517-6528-2
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https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2491
Die Rückkehr des Blutlords
Lassiter 2492
Todesspiel
Lassiter 2493
Gestohlene Freiheit
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Contents
Die Rückkehr des Blutlords
Brenda Kane saß am Ende der Bar und sah zu, wie Big Nat, der Bartender, den Spiegel putzte und hin und wieder verstohlen auf ihr Busenschaufenster schielte.
Die Schwingtüren sprangen auf und ein Mann kam in den Saloon. Er tippte grüßend an seinen Hut, aber Brenda wandte den Blick. Es war der berüchtigte Kopfgeldjäger Boterro, wegen seiner Grausamkeit Blutlord genannt. Sein großer Colt wippte an seiner Hüfte. Big Nat kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
»Whiskey«, grunzte der Neuankömmling. Beim Klang seiner Stimme lief Brenda ein Schauder über den Rücken. Big Nat schenkte dem Mann ein. Boterro packte die Hand des Keepers. »Ich suche einen Kerl, der sich Lassiter nennt«, raunte er.
Brenda erschrak. Lassiter hieß der Mann, mit dem sie am Vorabend geflirtet hatte …
Draußen war es heller Tag. Auf der Mainstreet fuhren Kutschwagen hin und her. Die hölzernen Bürgersteige bebten unter den Schritten der Fußgänger. In Nat’s Saloon hockten ein paar träge Biertrinker und palaverten über den neuesten Klatsch in Topeka.
Als Boterro hereinkam, brachen die Gespräche ab. Die Männer senkten den Kopf und starrten ins Leere.
»Lassiter?« Big Nat schüttelte den Kopf. »Nie gehört, den Namen.«
Boterro ließ seine Hand los, und der wohlbeleibte Wirt putzte den Spiegel weiter.
»Zahlen«, sagte Brenda.
Big Nat winkte ab. »Ich schreib’s dir auf die Rechnung«, sagte er.
»Okay.« Brenda langte nach der Krücke, die neben ihr lehnte, und humpelte los.
Sie kam nur fünf Schritte weit. Der Blutlord griff nach ihrem Arm. »Eine Hure mit Holzbein?«, fragte er verächtlich.
»Lassen Sie mich gehen«, fauchte sie.
Er lachte freudlos. »Stört es dich, wenn ich die Dinge beim Namen nenne?«
Brenda warf Big Nat einen hilfesuchenden Blick zu. Doch der Salooner tat, als bemerkte er ihn nicht. »Sie müssen mich verwechseln«, sagte Brenda zu Boterro. »Wenn Sie ein Flittchen wollen, gehen sie in die Concordia Street.«
Der Druck um ihr Gelenk wurde fester. »Der Mann, den ich suche – kennst du ihn?«
»Nein.«
Er starrte sie an. »Ist das auch wahr?«
»Ja.« Brenda wollte seine Hand abstreifen, aber seine Finger hatten sich fest in ihre Bluse gekrallt. »Sie tun mir weh, Mister«, stöhnte sie.
Die Männer, die an den Tischen saßen, schienen alle zu Stein geworden zu sein. Die Angst vor dem Blutlord stand ihnen im Gesicht geschrieben. Niemand erhob sich, um die Ehre einer behinderten Frau zu verteidigen. Sie wünschte, dass Lassiter hier wäre, er würde dem Unhold Manieren beibringen.
Unvermittelt ließ Boterro von ihr ab. »Wehe, du hast mich belogen, Peg Leg«, sagte er und kniff ihr in die Brust.
Brenda zögerte nicht eine Sekunde. Die Gehhilfe unter der Achsel, bewegte sie sich zur Tür. Die schweigsamen Zecher blickten nicht mal auf, als sie an den Tischen vorbei humpelte.
Draußen auf der Straße atmete Brenda befreit auf.
Die Begegnung mit dem Blutlord hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Aber nun schlug ihr Herz ruhiger.
Sie dachte an Lassiter.
Er sollte wissen, dass sich ein Kopfgeldjäger nach ihm erkundigt hat, fand sie.
☆
Burt Hobbs blickte den Mann von der Brigade Sieben nachdenklich an. »Die Worte des Präsidenten waren ganz eindeutig«, sagte er. »Er will, dass ein Mann der Brigade seine Schwester beschützt, unabhängig von den Sicherheitsleuten, die das Weiße Haus eingesetzt hat.«
Lassiter krauste die Nase. »Mary Arthur McGilroy ist die First Lady. Bin ich nicht eine Nummer zu klein für einen White-House-Job?«
»Die Zentrale in Washington sagt nein.« Hobbs hob die Brauen. »Sieht so aus, als hielte man Sie für das beste Pferd im Stall. Man hat dem Präsidenten bereits eine Zusage gegeben.«
»Na prima.« Lassiter dachte nach. Er war nicht sehr versessen darauf, als externer Bodyguard für eine so hochgestellte Persönlichkeit zu fungieren. Seit dem frühen Tod seiner Gattin versah die Schwester von Chester A. Arthur die Funktion der First Lady. Nun hatte sie sich in den Kopf gesetzt, eine Freundin in Kansas zu besuchen, mit der sie in Greenwich, New York, die Schulbank gedrückt hatte. Für eine ganze Woche wollte sie in Topeka bleiben, und zwar inkognito.
Hobbs und Lassiter befanden sich in einem Hinterzimmer der Town Hall. Burt Hobbs bekleidete das Amt des Bürgermeisters. Nur wenige wussten, dass er als Kontaktmann für die Brigade Sieben arbeitete. Er war ein blasser, nicht sehr kräftiger Mann. Vor wenigen Monaten hatte er seine Ehefrau verloren. Sie war bei dem großen Zugunglück am Saline River ums Leben gekommen. Seitdem trug Hobbs nur noch schwarze Kleidung.
»Mrs. McGilroy reist mit drei Begleitern«, sagte er nun. »Miss Havisham, eine Art Zofe, dazu zwei handfeste Typen aus dem Team des Präsidenten.«
»Wo werden sie absteigen? Im Continental?«
Hobbs schüttelte den Kopf. »Nein, das Continental ist ihnen zu exklusiv. Sie wollen es bescheidener und logieren im Belvedere Hotel.«
Das erstaunte Lassiter. »Das Belvedere liegt ganz dicht am Amüsierbezirk«, warf er ein. »Ich finde es ganz schön wagemutig, dass die First Lady ausgerechnet in dieser Gegend ein Quartier bezieht.«
»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.« Hobbs hob die Achseln, dann machte er seine Augen ganz klein. »Aber das Beste hab ich mir bis zum Schluss aufgehoben.«
Lassiter runzelte die Stirn. »Und das wäre?« Er ahnte nichts Gutes.
»Mrs. McGilroy Freundin, mit der sie zur Schule gegangen ist – ihr gehört das Unholy House.«
»Das Bordell in der Concordia Street?«
»So ist es.«
Die Sache wurde immer komplizierter. Lassiter stand auf. Er spazierte um den T-förmigen Konferenztisch, blieb vor dem goldgerahmten Gemälde von Thomas Jefferson stehen, wandte sich abrupt um und ging den gleichen Weg zurück, den er eben gekommen war.
Hobbs nickte vielsagend. »Jetzt wissen Sie, warum die First Lady inkognito reist.«
Lassiter beschlich ein ungutes Gefühl. Die Concordia Street gehörte zu den verrufensten Orten in ganz Topeka. Es wimmelte dort von Glücksrittern, Geschäftemachern, Satteltramps, Berufsspielern, desertierten Soldaten, Sidewalkdohlen und anderen Zeitgenossen mit abenteuerlichem Hintergrund. Die First Lady würde hoffentlich nicht auf die Idee kommen, ihre Schulfreundin an deren Arbeitsplatz besuchen zu wollen.
Bei dem Gedanken geriet Lassiter ins Grübeln.
Jemand klopfte an die Tür.
Hobbs machte auf und stand einer atemlosen Rotblonden gegenüber, die sich auf eine Krücke stützte. »Miss Kane«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
Sie lächelte matt. »Ihr Sekretär sagte mir, dass ich Mr. Lassiter hier finde.«
Lassiter trat neben den Town Mayor. Brenda Kane wechselte von einem Bein aufs andere. Ihre Prothese knirschte. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Ihr Atem ging stoßweise.
»Was ist los, Miss Brenda?«, fragte Lassiter besorgt. »Sie sind ja ganz blass um die Nase herum.«
Sie sah ihn verängstigt an. »Da ist so ein Typ aufgetaucht, der hinter Ihnen her ist. In Nat’s Saloon. Sie sagen Blutlord zu ihm.«
»Der Blutlord ist in Topeka?« Hobbs zog die Tür weiter auf. »Kommen Sie doch herein, Miss.«
Brenda Kane humpelte zum Tisch. Erleichtert sank sie auf den Stuhl, den Lassiter ihr rasch hinschob. Sie bedankte sich mit einem anmutigen Augenaufschlag.
»Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser«, sagte Hobbs und ging.
Lassiters Gedanken eilten zurück. Es war noch nicht allzu lange her, dass er eine junge Frau aus den Klauen des Blutlords befreit hatte, eine Saloon-Ballerina aus Ashton. Boterro war so vernarrt in sie, dass er sie gekidnappt und zu seiner Fluchtburg am Oneida Lake verschleppt hatte. Dort sollte sie die Rolle seiner Ehefrau übernehmen. Lassiter hatte das verhindert.
Vermutlich ist der Menschenjäger nach Topeka gekommen, um sich an mir zu rächen, dachte er.
»Erzählen Sie, Brenda«, sagte er. »Was ist in Nat’s Saloon geschehen?«
Mit bewegten Worten schilderte sie ihm ihre Begegnung mit dem dreisten Kopfgeldjäger. »Was mich am meisten stört«, klagte sie, »ist, dass mir kein Mensch beigestanden hat. Auch Big Nat nicht. Dabei hat mich Boterro behandelt wie einen räudigen Straßenköter.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Hobbs kam mit dem Wasser zurück.
Lassiter sah zu, wie die hübsche Rotblonde hastig trank. Er machte sich Sorgen. Mit einem rachedurstigen Scharfschützen im Schlepptau war er wohl nicht die richtige Wahl als Bodyguard für die First Lady aus dem Weißen Haus.
Bevor Mary Arthur McGilroy in Topeka ankam, musste das Problem Boterro vom Tisch sein.
Lassiter stand unter Zugzwang, und das nicht zu knapp.
»Sie sollten sich vorsehen«, sagte Brenda zu ihm. »Dieser Boterro ist nicht in die Stadt gekommen, weil er einen Mitspieler zum Pokern braucht. Sie hätten ihn sehen sollen. Er ist zerfressen vor Hass.«
»Ich werde dem Marshal einen Tipp geben«, versprach Hobbs. »Er wird sich um den Blutlord kümmern.«
»Okay.« Lassiter nickte. Doch er nahm sich vor, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Marshal Jackson und seine Leute waren keine ernstzunehmenden Gegner für einen kaltblütigen Revolverschwinger wie Boterro.
Brenda Kane stellte das Glas weg. Sie stemmte sich auf die Krücke und wandte sich zum Gehen.
Lassiter sprang hinzu. »Warten Sie, Miss, ich bringe Sie hinaus.«
☆
Boterro lehnte an der Theke im Last Chance, dem verruchtesten Saloon im Amüsierbezirk. Er nippte an einem Whiskey, rauchte ein Zigarillo und beobachtete verstohlen die Leute ringsum.
Der Gastraum war nur spärlich erleuchtet und voller Tabakrauch. Es roch nach verschüttetem Bier und dem aufdringlichen Parfüm der Grazien aus dem Unholy House. An einem Dutzend grob gehobelter Tische saßen trinkfreudige, lärmende Männer. Einige von ihnen schaukelten halbnackte Prostituierte auf dem Schoß. In einer rückwärtigen Nische, gleich neben dem Billardtisch, gab es ein Handgemenge. Zwei Männer mit struppigen Bärten prügelten sich um die Gunst eines Mädchens, das eine weißblonde Perücke und kirschrote Netzstrümpfe trug. Cox, der hemdsärmelige Barkeeper, zapfte Bier ohne Unterlass.
Boterro hatte im Last Chance Quartier bezogen. Seine Kammer befand sich in einem Anbau des Hauses, der über einen separaten Eingang verfügte. Er wollte heute zeitig zu Bett gehen, damit er morgen in Hochform war, falls es zum Showdown mit Lassiter kam. Ein Informant hatte ihm verraten, in welchem Hotel sein Erzfeind logierte.
Yeah! Morgen wird Lassiter sein blaues Wunder erleben!
Boterro trank sein Glas leer, drückte den Zigarillo aus und wandte sich um.
Der Bursche, der vor ihm stand, grinste schief. Es war Sean Fields, der Zuträger. Er kniff die Lider zusammen und versuchte besonders pfiffig auszusehen. »Auf ein Wort, Mister«, raunte er.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Boterro.
»Sechster Sinn«, murmelte Fields.
Sie drängten sich durch die herumstehenden Leute zum Ausgang. Gleich neben der Vordertür des Saloons knutschte sich ein Liebespaar. Die Hände des Mannes waren unter die Bluse der Frau geschlüpft. Wenn man genau hinsah, erkannte man, wie sie sich hin und her bewegten.
Boterro streifte ein Hauch von Begierde. »Was gibt’s, Sonnyboy?«, fragte er.
Sean Fields war ein langer Lulatsch, dünn wie eine Bohnenstange, mit roten Koteletten und flaumigem Schnurrbart. An seiner abgewetzten Jacke fehlten zwei Knöpfe. Am linken Revers prangte ein Blechabzeichen mit einem Weißadler. »Ich habe Neuigkeiten für Sie«, sagte er leise.
»Spuck’s aus!« Boterro straffte seine Gestalt.
Fields duckte sich unterwürfig. »Es sind verdammt wichtige Neuigkeiten«, sagte er.
Boterro packte ihn am Kragen. »Ich haue dir in die Fresse, wenn du mich verklapsen willst.«
»Nein, Mister.« In Fields’ Augen flirrte Angst. »Ich verklapse Sie nicht.«
»Dann red’ endlich!«
Als Boterro einen Schritt zurückgetreten war, lockerte der Rotschopf seinen Kragen. Dabei blickte er sich hektisch nach allen Seiten um. Schließlich hob er eine Hand an seine Wange und flüsterte: »Ich hab Ron Travell gesehen, oben bei den Schuppen auf dem Bahnhofsgelände.«
Boterro schnalzte mit der Zunge. Ron Travell war ein steckbrieflich gesuchter Pferdedieb und Mädchenschänder. Für seine Ergreifung war eine Belohnung von achthundert Dollar ausgesetzt. Boterro, der gerade nicht gut bei Kasse war, kam der Tipp wie gerufen.
»Wann?«, grunzte er. »Wann hast du den Kerl gesehen?«
»Vor ’ner halben Stunde.«
»Und du bist sicher, dass es Travell war?«
»Todsicher.« Fields nickte hastig. »Wenn Sie ihn schnappen, bekomme ich dann achtzig Dollar?«
»Vierzig«, sagte der Blutlord.
»Ich hab eine Freundin, die verdammt hohe Ansprüche stellt«, wandte Fields ein. »Sie stammt aus einer ehrbaren Farmer-Familie. Im Herbst wollen wir heiraten. Geben Sie mir wenigstens fünfzig, Mister …«
Mit einem Fluch rammte Boterro ihm ein Knie zwischen die Beine.
»Uff!« Der Rotkopf klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Er taumelte an die Wand, beide Fäuste auf sein Gemächt gepresst.
Boterro lachte freudlos. »Na gut, fünfundvierzig, weil du’s bist.«
Fields gab einen Laut von sich, der wie eine Zustimmung klang.
»War Travell allein, als du ihn gesichtet hast?«, hakte Boterro nach.
»Ja, Mister, hab keinen weiter gesehen.«
»Und wo genau ist dieser Schuppen, von dem du geredet hast?«
»Neben dem Prellbock am Abstellgleis, nicht weit weg von der Verladerampe.« Fields hielt inne, um zu stöhnen. Er krümmte sich wie ein Wurm auf der heißen Herdplatte. »Sieht so aus, als wollte er die Nacht in dem Kabuff verbringen. Ich tippe, er wartet hier auf den Denver Express, um sich als blinder Passagier aus dem Staub zu machen.«
Boterro nickte beifällig. Fields war nicht auf den Kopf gefallen. Seine Vermutung hörte sich logisch an.
»By gosh, die Suppe werde ich ihm versalzen.« Boterro drückte das Rückgrat durch. »Verschwinde jetzt, Amigo!«
»Wie wär’s mit ’ner kleinen Anzahlung?« Fields ging vorsichtshalber zwei Schritte zurück.
Boterro starrte ihn an. »Hm, aber nur unter einer Bedingung.«
»Welche?«
»Du findest heraus, wo sich der Hurensohn namens Lassiter aufhält. Kennst du ihn?«
»So ein großer Hombre mit einem Remington?«
»Genau der.«
Fields nickte. »Ja, bin ihm mal in Mattie’s Livery Stable begegnet.«
»Ich will alles über ihn wissen: wo er wohnt, mit wem er Kontakt hat und so weiter.«
»Okay, das kriege ich hin«, versprach Fields.
»Sobald du weißt, kommst du zu mir. Klar?«
»Yeah.« Fields hielt eine Hand auf. »Der Vorschuss.«
Boterro drückte ihm fünf Dollar in die Hand.
Fields zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten, dann zauberte er ein Grinsen unter seinen Schnurrbart. »Danke, Mister.«
Im nächsten Augenblick hatte ihn die einbrechende Dunkelheit verschluckt.
Boterro warf noch einen Blick auf das knutschende Pärchen. Die Hände des Mannes waren noch immer nicht zu sehen. Der Atem der Frau rasselte wie eine Kuhkette. Hektisch trat sie von einem Fuß auf den anderen.
»O George«, keuchte sie.
Grinsend schlug Boterro den Weg zum Bahngelände ein. Achthundert Dollar warteten auf einen neuen Besitzer.
☆
Es war schon dunkel, als sie in der Kansas Street ankamen. Brenda Kane wohnte in einem zweistöckigen Haus mit weißer Fassade und einem Dach aus rotbraunen Schindeln.
Sie lächelte. »Vielen Dank für Ihre Begleitung, Mr. Lassiter. Es tut gut, zu wissen, dass es noch Kavaliere auf der Welt gibt.«
»Vielleicht gibt es mehr, als Sie denken.« Lassiter hielt ihr die Haustür auf. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Ma’am.«
Sie zögerte einen Augenblick, dann fragte sie: »Mögen Sie Kaffee?«
Er dachte nicht lange nach. Brenda war eine überaus attraktive, junge Frau. Das Zusammensein mit nett anzusehenden Evastöchtern erwärmte sein Herz. Und die schlanke Rotblonde war eine Augenweide, trotz ihres Handicaps. Er brachte es nicht fertig, ihre Einladung auszuschlagen.
»Ja, ich mag Kaffee«, antwortete er.
Brenda ging vor und machte Licht. Als Lassiter die Stube betrat, stieg ihm der schwache Geruch eines Veilchenparfüms in die Nase. Die rosafarbenen Wände waren mit wildromantischen Bildern bedeckt: imposante Aquarelle vom Grand Canyon, dem Yosemite, dem Lake Powell und von den Smoky Hills.
Brenda kümmerte sich um den Kaffee. Die Krücke unter der Achsel, goss sie Wasser in den Kessel und setzte den Spirituskocher in Gang.
»Reichen Sie mir bitte das Kaffeepulver?« Sie deutete auf das oberste Fach des Regals, vor dem Lassiter stand.
Er reichte es ihr. »Wobei ist das passiert, das mit Ihrem Bein?«, fragte er.
Sie gab Kaffeemehl in das Wasser. »Ich war elf Jahre alt, da spielte ich neben frisch verlegten Bahnschienen. Ein paar Schwellen waren wohl nicht fest genug verschraubt. Und der Untergrund des Bahnkörpers war löchrig wie ein Schweizer Käse. Beim Herumtollen bin ich mit einem Fuß unter ein loses Gleis gekommen. Weiß der Kuckuck, wie das passieren konnte! Jedenfalls saß ich fest, wie ein Hase im Fangeisen. Meine Spielgefährten sind in die Stadt gerannt, Hilfe holen. Aber die Männer haben es nicht geschafft, die tonnenschweren Eisenschienen anzuheben.« Sie hielt inne. »Inzwischen war ich ohnmächtig geworden. Die Schiene sackte immer tiefer. Nun ja, und als ich wieder zu mir kam, lag ich zu Hause im Bett, mein Unterschenkel hatte sich empfohlen. Man erzählte mir, dass Old Buffy, der alte Trapper, der in der Blockhütte vor unserer Stadt hauste, meinem Problem mit der Säge zu Leibe gerückt war.«
»All devils!«, entfuhr es Lassiter. »Das Unglück schläft nicht.«
»Ach, was!«, rief sie aus. »Es ist, wie es ist. Man muss das Leben so nehmen, wie es kommt. Im Laufe der Zeit habe ich mich an alles gewöhnt.«
Eine tapfere Frau. Lassiter setzte sich an den Tisch.
Im Zimmer breitete sich der aromatische Duft von Kaffee aus. Brenda öffnete das Fenster, damit der Dampf abzog. Das Öllicht auf dem Tisch flackerte.
»Was hat der Blutlord gegen Sie?«, fragte sie. »Sie müssen ihm ja gewaltig auf den Schlips getreten haben, dass er so wild auf Rache ist.«
»Ich hab ihm die Tour mit einer Tänzerin aus Ashton vermasselt«, erzählte Lassiter. »Er hatte das arme Ding auf sein Gehöft am Oneida Lake verschleppt und wollte mit ihr Mann und Frau spielen, natürlich gegen ihren Willen.«
»Ach so?« Brenda machte die Augen schmal. »Stand die Tänzerin Ihnen nahe?«
»Ja, wir waren gute Freunde.«
»Nicht mehr als das?«
»Warum fragen Sie?«
»Na ja, der Blutlord ist ein harter Typ. Skrupellos und menschenfeindlich. Das weiß jedes Kind in Kansas. Wer sich mit ihm anlegt, riskiert sein Leben oder wenigstens seine Gesundheit.« Sie hob die Brauen. »Es müssen triftige Gründe vorgelegen haben, dass Sie der Lady aus der Klemme geholfen haben. Immerhin haben Sie eine Menge riskiert.«
Lassiter fühlte sich ertappt. »Es war reiner Zufall, dass ich gerade vor Ort gewesen bin. Sicher hätten viele so gehandelt wie ich.«
»Ganz sicher.« In Brendas Augen blitzte Ironie. Sie goss den Kaffee in zwei Becher.
Als sie ihn servierte, fiel Lassiters Blick in ihren Ausschnitt.
Was er sah, fand er überaus bemerkenswert. Oh, wie er eindrucksvolle Busenschaufenster liebte!
»Danke, Ma’am«, sagte er mit belegter Stimme.
»Wie wär’s mit – Brenda?«
Lassiter grinste. »Okay, Brenda.« Er nahm den Becher in die Hand und pustete.
Auch Brenda blähte die Wangen auf und blies in ihr dampfendes Getränk. Sie trank einen Schluck und nahm neben ihm Platz. Ihr miederloser Busen wippte unter der Bluse.
Lassiters Blick blieb eine Winzigkeit zu lange auf den hübsch geformten Rundungen haften.
Brenda bemerkte es und lächelte spitzbübisch.
Er wurde verlegen. »Nichts für ungut, Brenda. Nun, es ist schon eine Weile her, das ich mit einer Frau zusammen war.«
Es entstand eine kurze Pause, dann sagte Brenda: »Es ist auch schon eine Weile her, dass ich mit einem Mann zusammen war.«
Im nächsten Augenblick nahm Lassiter ihr hübsches Gesicht in beide Hände und küsste Brenda sacht auf den Mund. Er merkte, wie sie nach kurzem Zaudern die Lippen öffnete.
Ein Schauder durchlief ihren Körper.
Dann, ganz unvermittelt, kitzelte Brenda seine Lippen mit ihrer Zungenspitze. Er fand das überaus erregend und öffnete den Mund. Ihre Zungen rangen miteinander.
Auf einen Schlag schien sich sein Herzschlag zu verdoppeln.
Brenda seufzte leise.
Der Kuss zog sich in die Länge. Lassiter legte seine Hände auf ihre Schultern. Brenda drückte ihren Busen gegen seine Brust.
Wenig später unterbrachen sie den Kuss und schauten sich an. Brendas Augen funkelten vor Leidenschaft. Lassiters Verlangen wurde noch stärker.
Ganz sacht berührte er ihre Bluse.
»Wir sollten das nicht tun«, flüsterte die Frau.
»Nein, das sollten wir nicht«, gab er zurück.
Sie sahen sich an.
Lassiter strich ihr übers Haar. »Wie schön du bist«, sagte er.
Eine Träne kullerte über ihre Wange.
Er wischte sie mit dem Handrücken fort und berührte ihren Hals und die Ansätze ihres bebenden Busens. Ihr Atem beschleunigte sich. Gefühlvoll legte er die Hände um die Wölbungen, wobei er sanften Druck ausübte.
Brenda schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken.
Nach einiger Zeit stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Es tut so gut«, hauchte sie.
Er schwelgte in ihrem Anblick. Ihre vorhin noch so blassen Wangen waren nun gerötet. Sie öffnete die Augen und blickte ihn an, während er sie weiterhin liebkoste.
»Warte«, sagte sie plötzlich.
Er ließ den Atem aus seinen Lungen.
Im Nu hatte Brenda ihre Bluse aufgeknöpft. Lassiter half ihr beim Ausziehen. Er warf das Kleidungsstück ans Fußende des Bettes, direkt unter die Ansicht des Grand Canyons.
Brenda drückte das Rückgrat durch. Sie legte beide Hände unter ihre Brüste, sodass die spitzen Warzen in seine Richtung zeigten.
»Gib ihn mir«, sagte sie.
Selten hatte Lassiter so perfekte Brüste gesehen. Und überhaupt: Bei einem Schönheitswettbewerb hätte Brenda Kane garantiert auf dem Siegerpodest gestanden, wäre da nicht …
Er lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung.
»Tu es«, bat Brenda.
Ihm war, als näherte er sich den Grenzen seiner bisherigen Erfahrungen. Er zögerte, dann gab er sich einen Ruck und öffnete seinen Gürtel.
Brenda küsste Lassiter auf den Mund, bevor sie sich zu ihm beugte. Sie nahm seinen Pint in die rechte Hand und streichelte ihn. Dann hob sie ihn in die Spalte zwischen ihren Brüsten, die sie fest gegeneinander presste.
Langsam bewegte sie ihren Oberkörper auf und ab. Dabei blickte sie Lassiter unablässig in die Augen.
»Warum schaust du mich so an?«, fragte er.
Sie lächelte. »Es gefällt mir, zu sehen, was du für mich empfindest.«
Auch Lassiter gefiel, dass sie so intensiv bei der Sache war. Er war schon bei Frauen gewesen, die, als es darauf ankam, sich als ziemlich frostig entpuppt hatten. Aber Brenda war mit ganzem Herzen dabei.
Allmählich forcierte sie das Tempo ihrer Bewegungen.
Lassiter genoss das Liebesspiel in vollen Zügen. »Nicht so schnell«, keuchte er nach einer Weile.
»Lass es heraus«, sagte sie mit einem Lächeln. »Es ist alles in Ordnung.«
Er runzelte die Stirn. »Und du?«
»Was meinst du?«
»Nun, möchtest du nicht …?«
»Ach was, ich komme schon zurecht.« Sie machte noch schneller.
»Warte!« Er schob sie zurück.
Brenda hielt inne und musterte ihn erstaunt. Er beugte sich vor und hob ihren Rocksaum.
»Lassiter, ich …«
Er verschloss ihren Mund mit einem zärtlichen Kuss.
Brenda stöhnte schwer, als er seine rechte Hand von oben in ihre Unterhose schob. Er spürte das krause Haargeflecht auf ihrem Venushügel. Langsam ließ er seine Hand tiefer wandern.
Voller Gefühl streichelte er ihre voll erblühte Knospe. Schon nach kürzester Zeit bäumte Brenda sich auf. Sie fing an zu zittern, als hätte sie Schüttelfrost. Ihre Augen traten aus ihren Höhlen.
»O mein Gott!«, stöhnte sie.
Er hörte erst auf, als sie kam. Während sie in höchster Ekstase schwebte, drückte er sie fest an seine Brust.
Brenda weinte vor Glück, als es vorbei war. »Tut mir leid«, schluchzte sie. »Ich hab ein wenig nah am Wasser gebaut. Bestimmt magst du keine Heulsusen.«
»Du bist keine Heulsuse.« Er strich ihr sanft über den Kopf.
Es dauerte nicht lange, da hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie schob Lassiter von sich und setzte sich in Position. »Und jetzt, mein Löwe, bist du an der Reihe«, sagte sie forsch.
Natürlich erhob Lassiter keine Einwände. Das, was Brenda jetzt mit ihm tat, gehörte zu den erquickendsten Dingen, die Frauen je mit ihm gemacht hatten.
Als Brenda ihr Verwöhnprogramm beendet hatte, stellten sie fest, dass ihr Kaffee kalt geworden war. Trotzdem leerten sie die Becher bis zum letzten Tropfen.
Als Lassiter ging, stand Brenda im Türrahmen und winkte ihm zum Abschied.
Er winkte zurück – und dabei übersah er die Gestalt, die katzengleich hinter den Zaun des Nachbargrundstücks huschte.
☆
Sean Fields’ Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
Er stand hinter dem Bretterzaun und sah zu, wie Lassiter die Kansas Street hinauf ging. Zum Glück hatte der Kerl, auf den Boterro so scharf war, ihn nicht entdeckt.
Fields spähte zu dem Haus hinüber, in dem Miss Peg Leg wohnte.
In Gedanken rieb er sich die Hände.
Wenn Boterro erfuhr, wen Lassiter da besucht hatte, würde der Blutlord gewiss mehr als nur fünf Dollar lockermachen. Fields ging jede Wette ein, dass Lassiter ein Verhältnis mit Brenda Kane hatte.
Das machte ihn angreifbar. Boterro würde sich die Chance nicht entgehen lassen. Bestimmt würde er Miss Peg Leg auf die Pelle rücken, um Lassiter aus der Reserve zu locken.
Ein schlauer Fuchs, dieser Boterro!
Fields spähte die Straße entlang.
Von Lassiter war nichts mehr zu sehen. Hinter einer Wolke trat die Sichel des zunehmenden Mondes hervor. Fahles Licht ergoss sich über die Stadt.
Fields zählte langsam bis zehn, dann trat er aus seiner Deckung hervor.
Die Hände in den Taschen, schlenderte er in Richtung Mainstreet. Auf halbem Weg fragte er sich, ob Boterro den Viehdieb Travell wohl schon gestellt hatte. Am liebsten wäre er zum Abstellgleis geeilt, um seine Neugierde zu stillen.
Doch besser war’s, wenn er die Nacht abwartete.
Morgen, im Laufe des Tages, würde er zur Last Chance gehen, um Boterro seine Beobachtung mitzuteilen. Fields sonnte sich in Wohlbehagen. Sobald er seine Belohnung kassiert hatte, würde er zu Hedwig auf die Ranch reiten und ihr einen Antrag machen.
Und danach würde er mit ihr ins Heu gehen …
☆
Marshal Jackson nahm die Zigarre aus dem Mund. »Natürlich kenne ich Boterro«, sagte er zu Hobbs, dem Town Mayor. »Dass er sich in Topeka aufhält, ist mir nicht neu. Aber was zum Geier soll ich tun? Gegen ihn liegt nicht das Geringste vor.«
Hobbs ärgerte sich. Er hatte gehofft, dass Jackson gegen den Blutlord vorging. »Wir könnten ihn aus der Stadt ausweisen lassen«, sagte er.
Die Männer standen sich im Marshal’s Office gegenüber. Jackson war einen Kopf größer als Hobbs und wog sicher fast das Doppelte.
Er hüllte sich in Tabakrauch. »Nun, wie gesagt, Boterro hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Mir sind die Hände gebunden, Town Mayor.«
Hobbs merkte, dass seine Mission überhaupt nicht so verlief, wie er sich das vorgestellt hatte. Die Ankunft der First Lady rückte immer näher, und Lassiter musste der Rücken frei gehalten werden. Boterro musste unschädlich gemacht werden.
Doch der örtliche Polizeichef wollte nicht kooperieren. Er berief sich auf Paragraphen und versagte seine Unterstützung.
»Kann ich sonst noch was für Sie tun, Sir?«, fragte Jackson.
Hobbs schüttelte resigniert den Kopf.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und ein Mann stolperte über die Schwelle. Er fiel hin und bremste seinen Fall mit dem Kinn.
Hinter ihm erschien die eindrucksvolle Gestalt des Blutlords. Während sich der Gefallene fluchend aufrappelte, ließ Boterro seinen Colt um den rechten Zeigefinger rotieren.
»Voilà, Marshal«, erklärte er großspurig. »Es ist angerichtet. Ich serviere Ihnen Ron Travell, den Achthundert-Dollar-Mann.«
Hobbs biss die Zähne zusammen. Da stand er dem Teufelsbraten gegenüber, der die Mission First Lady gefährdete, und er konnte nichts weiter tun als glotzen!
Bei Gott, wie er dieses Gefühl der Hilflosigkeit hasste!
Die Zigarre im Mund, beäugte Jackson den Missetäter. »Willkommen im Jail, Ron«, sagte er aufgeräumt. »Ich dachte nicht, dass wir uns so schnell wiedersehen.«
Ron Travell, ein stämmiger Vierschrot mit behaarten Unterarmen, verzog das Gesicht. Er sah aus, als hätte er mit Schießpulver gegurgelt. Boterro musste ihn kräftig verdroschen haben, als er ihn geschnappt hatte. Travell hatte ein blaues Auge, geschwollene Lippen und eine Blessur an der linken Schläfe. Auf seiner Hemdbrust wimmelte es von Blutflecken.
Boterro versenkte seinen Colt im Holster. »Wo kann ich meine Prämie abholen?«, fragte er.
Nur mit Mühe bewahrte Hobbs die Fassung. Die Nähe von Boterro ließ sein Herz schneller schlagen.
Jackson sagte: »Halt! Halt! Nicht so eilig mit den jungen Pferden. Zuerst muss ich einen Bericht schreiben. Dazu brauche ich möglichst genaue Angaben von Ihnen, Boterro.«
»Sollen Sie haben«, griente der.
Hobbs sehnte sich nach frischer Luft zum Atmen. Er tippte an seinen Hutrand und ging. Als er an Barry’s Drugstore vorbeikam, begegnete er Tom Golding, dem Postboten.
»Da ist ein Telegramm für Sie, Sir«, sagte er. »Ich hab’s Ihrem Sekretär ausgehändigt.«
»Danke, Tom.«
Hobbs eilte zur Town Hall. Er hatte ein ungutes Gefühl. Fünf Minuten später bestätigte sich seine Vorahnung. Hackett, sein Sekretär, überreichte ihm das Fernschreiben. An einem geheimen Zeichen erkannte Hobbs den Absender: die Zentrale der Brigade Sieben in Washington.
Der Text umfasste einen einzigen Satz: »Ankunft auf Vortag verlegt.«
Hobbs fühlte, wie seine Knie weich wurden. Die Reisegesellschaft aus Washington trudelte schon einen Tag früher ein.
Das hatte gerade noch gefehlt! Hobbs zerriss das Papier, warf die Schnipsel in den Eimer und rannte aus dem Haus. Zuerst musste er zum Belvedere Hotel, um einige organisatorische Dinge zu klären. Anschließend musste er Lassiter informieren. Auch der Schulfreundin der First Lady wollte er einen Besuch abstatten.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend marschierte er in Richtung Vergnügungsviertel. Das Gebiet lag am anderen Ende der Stadt. Hin und wieder erwiderte er den Gruß eines Passanten. Als das Belvedere in Sicht kam, ging er schneller.
Das Hotel war ein unauffälliger Bau mit falscher Fassade und Balkonen in der oberen Etage. Gleich neben der Vordertür stand ein Fahnenmast, an dem die Stars & Stripes aufgehängt waren. Auf einem der Balkone lehnte eine Frau am Geländer und hielt ihr Gesicht in die strahlende Sonne. Ein Bettler kauerte vor dem Fahnenmast, den Rücken gegen die Stange gelehnt. Neben ihm lagen eine angebrochene Flasche Brandy und ein Tabaksbeutel.
»Haben Sie mal fünf Cents?«, fragte er Hobbs.
Der Bürgermeister sah über ihn hinweg und betrat das Foyer. Bis auf einen Mann, der lesend in einer Nische saß, war nur der Portier anwesend.
Hobbs begab sich zum Tresen.
Der Portier erkannte ihn und straffte seine Gestalt. »Womit kann ich Ihnen helfen, Town Mayor?«
»Es geht um die Zimmer, die ich bei Ihnen reserviert habe«, entgegnete Hobbs. »Es gibt eine Änderung. Die vier Gäste treffen bereits einen Tag früher ein.«
Der Mann hinter dem Pult schlug das Meldebuch auf. Er vertiefte sich in die Eintragungen.
»Es gibt doch kein Problem, oder?« Hobbs hielt den Atem an.
»Leider doch«, sagte der Hotelangestellte. »Die Zimmer sind bis zum Sonntag belegt. Sie wissen ja: Am Samstag findet der große Boxkampf zwischen Ross Rambold und Tigerman Collath statt. Die Anhänger der Fighter reisen aus all möglichen Staaten an.«
Hobbs krallte seine Zehen in die Schuhe. »Heißt das, Sie haben keine freien Zimmer zur Verfügung?«
Der Portier nickte seufzend. »Ja, das heißt es. Erst ab Montag können wir neue Gäste einquartieren.«
»Nicht ein einziges Zimmer?«
»Nicht mal die Besenkammer. Bis Sonntag sind wir voll bis unters Dach.«
Hobbs musste diesen Schock erst einmal verdauen. Die Zentrale hatte ihn beauftragt, die Zimmer für die First Lady und ihre Begleiter zu buchen. Er hatte das prompt erledigt. Verdammt, woher sollte er wissen, dass das Quartett aus Washington schon am Sonntag anrückte?
»Vielleicht gäbe es die Möglichkeit, einige Gäste in andere Hotels umzulegen«, meinte er.
Der Portier hob abwehrend die Hände. »Unmöglich. Die Leute würde mir die Hölle heißmachen. Ich kenne sie leider nur zu gut. Eine hartgesottene Truppe, diese Box-Fanatiker. Der Gent in der Leseecke gehört dazu«, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand.
Hobbs sah hin.
Der Mann, der die Zeitung las, war ein Bulle von einem Kerl, stiernackig, mit sonnenverbranntem Gesicht und einem Kreuz wie ein Kleiderschrank. Seinen Kinnbart hatte er lang wachsen lassen und mit dünnen Kordeln geschmückt.
Hobbs erwog nicht einmal, zu ihm zu gehen, um ihn zu überzeugen, sein Zimmer frei zu machen.
»Was mache ich bloß?«, sinnierte er.
»Wie wär’s mit dem Continental?«, schlug der Portier vor. »Das erste Haus am Platz, wenn man deren Reklame glauben darf. Bestimmt können die Kollegen dort Ihnen weiter helfen.«
Hobbs unterdrückte einen Seufzer. Das Continental kam als Ausweichmöglichkeit nicht in Frage. Mary Arthur McGilroy hatte auf dem Belvedere bestanden, und zwar mit Nachdruck.
Hobbs tippte an seinen Hutrand und ging.
Als Nächstes stand ein Besuch bei der Besitzerin des Unholy House auf dem Programm.
☆
Louise Simmons, ein Ladenmädchen aus dem General Store, hatte den Blutlord in das Gebäude der Pilgrim & Sheckleton Bank gehen sehen – aber bereits vor einer Stunde.
Lassiter bedankte sich für die Auskunft und schlenderte die Mainstreet entlang. Er geriet immer weiter nach Süden, dort, wo der Amüsierbezirk lag. Als er das Belvedere Hotel passierte, sah er, wie sein Kontaktmann gerade im Unholy House verschwand.
Das Bordell war kaum einen Steinwurf vom Belvedere entfernt.
Lassiter beschloss, Hobbs zu folgen. Das Freudenhaus gehörte Sunny Walters, die mit der First Lady in New York aufgewachsen war.
Vor dem Haus angelangt, schob er die Tür auf.
Obwohl es heller Tag war, lag das Foyer im Halbdunkel. Die Markisen vor den Fenstern waren heruntergelassen. Es duftete nach Moschus, Parfüm und kaltem Zigarettenrauch. Rechter Hand gab es eine Bar, an der eine stark geschminkte Brünette Sektkelche polierte. Ihr Busenschaufenster war Aufsehen erregend.
»Guten Tag, Ma’am«, grüßte Lassiter höflich.
»Ich bin Nora«, sagte sie und zeigte ihm ihre schneeweißen Zähne. »Wenn Sie fünf Minuten warten, habe ich Zeit für Sie.«
Er grinste fröhlich. »Deswegen bin ich nicht hier. Ich suche den Town Mayor.«
Nora wies mit dem Poliertuch an die Decke. »Mr. Hobbs ist nach oben zur Chefin gegangen. Sie sollten die Zwei jetzt nicht stören.«
Lassiter musste schmunzeln. Die Vorstellung, dass der biedere Hobbs es mit der verruchten Chefin dieses Etablissements trieb, amüsierte ihn.
»Ich denke, Mr. Hobbs ist dienstlich hier«, sagte er mit Nachdruck.
Die Brünette lachte. »Yeah, das bin ich auch.«
Er wies zur Treppe. »Also, ich gehe jetzt rauf. In welchem Zimmer finde ich sie.«
Nora legte das Tuch beiseite. »Tun Sie’s nicht«, riet sie. »Sunny kann sehr garstig werden, wenn ihr etwas gegen den Strich geht.«
»Das halte ich schon aus.«
Nora langte über die Barriere und ergriff seinen Ellbogen. »Sie halten es aus, das glaube ich. Aber was ist mit mir?«
Er sah sie an. »Mit Ihnen?«
»Sunny wird mir die Schuld geben, wenn Sie in ihr Tête-à-Tête hereinplatzen. Sie hat mir extra gesagt, ich solle keinen hoch lassen.«
»Tja, wenn das so ist. Natürlich möchte ich Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen.«
Nora atmete auf. »Endlich mal ein Kavalier. Ich dachte schon, die Ritter wären ausgestorben. Wissen Sie was? Ich spendiere Ihnen ’nen Drink.«
»Das ist eine gute Idee.«
Sie wandte sich dem Regal zu, in dem die Flaschen einsortiert waren. »Whiskey, Brandy, Gin, Tequila, Rum, Cognac?«
Er dachte kurz nach. »Wie wär’s mit Mint Julep?«
»Im Moment nicht verfügbar. Mir fehlt die Pfefferminze. Whiskey pur?«
»Einverstanden.«
Nora schenkte ein – da sprang die Tür auf, und zwei Betrunkene polterten in das Foyer. Beide sahen aus, als hätten sie schon den ganzen Tag dem Schnaps gefrönt. Sie trugen schmutzige Stiefel und hatte die Hüte schief auf dem Kopf. Ihre Revolver steckten in Schnellziehholstern Marke Eigenbau.
Der Größere hob den Arm und zeigte auf Nora. »Das ist sie, Joe«, lallte er. »Speedy Kate! Texas Jack hat gesagt, sie hat die heißeste Pussy von ganz Kansas.«
Der Mann, der Joe hieß, rülpste beifällig. »Okay, ziehen wir es durch, Pete!«
Die Frau hinter dem Tresen war sichtlich erschrocken. »He, ich bin nicht Speedy Kate. Ich heiße Nora.«
Joe und Pete ignorierten ihren Einwand. Sie wankten an die Bar. Großspurig wedelten sie mit Dollarnoten. Von Lassiter, der am Ende der Bar stand, nahmen sie keine Notiz.
Pete langte über die Barriere, um Nora an die Brust zu fassen. Doch Nora hatte aufgepasst und war rechtzeitig ausgewichen. Der Mann verlor das Gleichgewicht und taumelte. Er wäre bestimmt gestürzt, wenn sein Kumpan ihn nicht festgehalten hätte.
»Verdammte Hure!«, fluchte Pete.
»Ich werd’s dem Miststück besorgen«, krähte Joe. Er ging zur Schranke. Als er das Brett hochnahm, um Nora auf die Pelle zu rücken, stellte sich Lassiter davor.
Joe starrte ihn böse an. »Beiseite, Fremder. Du stehst mir im Weg.«
Lassiter wich nicht einen Zoll. In seinem Inneren brodelte es.
Pete wankte heran. Im Stil eines Revolverhelden schob er die Schöße seiner Weste zurück. Seine Sechsschüsser wippten in den Holstern.
»Hast du schlechte Ohren, Mann?«, knurrte er. »Mein Freund hat etwas gesagt!«
Aus dem Augenwinkel sah Lassiter, wie Nora sich ängstlich in den hintersten Winkel der Bar verzog.
Er richtete sich zu voller Größe auf. »Miss Nora hat heute keine Sprechstunde«, erklärte er dem Säuferduo. »Also kommt ein anderes Mal wieder.«
Aus verglasten Augen sahen die Männer sich an.
»Er bettelt um Schläge«, sagte Joe mit schwerer Zunge.
Da griff der ahnungslose Pete nach seinem Colt.
In Lassiters Gehirn funkte es. Er schätzte es nicht sonderlich, wenn jemand gegen ihn blankzog.
Mit einem harten Aufwärtshaken traf er Pete am Kinn.
Der Schlag war so hart und präzise, dass Pete sofort zu Boden ging.
»Du verdammter …« Joe verstummte, als Lassiters gestochene Gerade auf seinem Mund explodierte. Er spuckte sich einen Mund voll Blut aufs Hemd und taumelte in den Raum.
Pete, der sich mühsam aufrappelte, versuchte schon wieder, seine Waffe ins Spiel zu bringen. Lassiter gefiel das nicht. Deshalb riss er Pete an den Aufschlägen seiner Jacke zu sich heran und hämmerte ihm den Kopf mitten ins Gesicht.
Ein hässliches Knirschen verriet, dass Petes Nasenbein zu Bruch gegangen war. Er brüllte wie ein Kalb, das Bekanntschaft mit einem Brandeisen machte.
Inzwischen war Joe wieder da. Er blutete aus Mund und Nase. Kreischend angelte er nach dem Griff seines Sechsschüssers.
Lassiter war bei ihm, ehe er den Colt aus dem Futteral ziehen konnte. Er packte Joe am Kragen und schmetterte ihn mit voller Wucht auf den Boden.
Joe schrie, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen.
Lassiter nahm seinen Remington in die Schusshand. »Und jetzt sagt Adios und verschwindet!«, sagte er.
Pete und Joe sahen ein, dass heute nicht ihr Tag war. Mit blutverschmierten Gesichtern wandten sie sich dem Ausgang zu. Einer stützte den Anderen.
Es krachte laut, als hinter ihnen die Tür ins Schloss fiel.
Die Frau an der Hallenbar starrte Lassiter an wie einen Geist. »Denen haben Sie’s aber sauber gegeben«, sagte sie beeindruckt.
Lassiter rieb seine schmerzende Hand. »Sie sollten Ihrer Chefin sagen, dass sie auch tagsüber einen Bodyguard engagieren soll«, sagte er.
»Haben wir«, antwortete sie. »Kenny Bristol. Aber der ist heute auswärts, am Perry Lake, bei der Hochzeit seiner Schwester. Und eine Vertretung gibt’s nicht.«
Lassiter schmunzelte. »Denken Sie noch an meinen Drink?«
»O ja.« Nora schlug sich die flache Hand vor die Stirn. Sogleich schob sie ihm ein bis zum Rand gefülltes Glas hin. »Auf Ihr Spezielles, Mister.«
Lassiter trank den Schnaps mit einem Zug.
Der Whiskey brannte noch in seiner Kehle, da ertönten Schritte.
Hobbs, der Town Mayor, und Sunny Walters erschienen auf der Treppe.
»Was zum Teufel«, fragte die Chefin, »ist denn hier für ein Radau?«
☆
Sean Fields saß auf dem Zügelholm gegenüber des Unholy House und ließ die Beine baumeln.
Am Vormittag war er im Last Chance gewesen, um von Boterro seinen Anteil von Travells Kopfgeld einzufordern.
Doch der Weg war umsonst.
Der Blutlord trieb sich in der Stadt herum. Eine Nachricht hatte er nicht hinterlassen.
Fields musste seinen Besuch bei seiner Favoritin Hedwig auf der Ranch verschieben.
Gelangweilt spähte er die Straße entlang. Als die Tür des Freudenhauses aufsprang und zwei Männer auf den Vorplatz taumelten, riss Fields vor Staunen die Augen auf. Joe Stoddard und Pete Crabb, die Ganoven aus Junction City! Sie waren zum Boxkampf zwischen Ross Rambold und Tigerman Collath nach Topeka gekommen, genau wie viele andere Interessenten.
Allerdings sahen die beiden jetzt ziemlich ramponiert aus, so als hätten sie mächtig was zwischen die Hörner bekommen.
Fields dachte fix nach. Hatte der Kerl, hinter dem Boterro her war, die zwei Halunken durch die Mangel gedreht? Wenn ja, konnte dieser Lassiter mehr als Pudding löffeln.
Im nächsten Augenblick durchzuckte Fields’ Gehirn ein Gedanke. Wenn ich Lassiter reinen Wein einschenke, könnte ich doppelt Kasse machen.
Eine überaus verführerische Option.
Natürlich war das brandgefährlich, denn wenn der Blutlord Wind von dem doppelten Spiel bekam, würde verdammt viel Blut fließen.
Mein Blut, dachte Fields.
Doch er schob den unerfreulichen Gedanken beiseite und beobachtete das Haus weiter. Nach ungefähr einer halben Stunde kam Lassiter heraus, zusammen mit dem Bürgermeister der Stadt.
Ohne sichtbare Eile marschierten die zwei in Richtung City.
Fields sprang vom Holm. Unauffällig heftete er sich den Männern an die Fersen. Sie schienen seine Beschattung nicht zu bemerken.
Schließlich betraten Lassiter und der Bürgermeister die Town Hall.
Fields entschied zu warten, bis Lassiter wieder herauskam. Er wollte ihm ein Angebot unterbreiten. Todsicher interessierte sich Lassiter dafür, dass ihm jemand den Hals umdrehen wollte. Fields war sogar bereit, ihm den Ort zu verraten, wo sich Boterros heimliches Nachtquartier befand. Womöglich war Lassiter mit der Belohnung für die Information nicht so knauserig wie der Geizhals Boterro.
Nachdem Fields eine gute Stunde in der Nähe der Town Hall herumgelungert hatte, sah er, wie Lassiter das Gebäude verließ.
Endlich!
Fields blickte sich nach allen Seiten um.
Nichts, worüber man sich Sorgen machen musste.
Er überquerte die Straße, folgte Lassiter ein Stück auf dem Stepwalk und wartete auf einen günstigen Augenblick, um den Kontakt herzustellen.
Lassiter blieb vor dem Schaufenster eines Drugstores stehen.
Fields sah noch einmal nach rechts und links, dann stellte er sich neben den Mann mit dem Remington im Holster. »Verzeihung, Sir«, sagte er, ohne ihn anzusehen. »Es gibt da etwas, das Sie sehr interessieren wird.«
Lassiter blieb abgewandt. »Wer bist du?«
»Jemand, der viel herumkommt in der Gegend.«
Es entstand eine kurze Pause. »Okay«, sagte Lassiter. »Lass hören! Um wen geht es bei dieser Information.«
»Boterro«, flüsterte Fields. »Der Blutlord. Sind Sie interessiert?«
Lassiter tat so, als betrachtete er das farbenprächtige Sortiment Arbuckle’s in den Auslagen. »Ja, ich bin interessiert«, sagte er nach einer Weile.
»Ich weiß, wo er kampiert«, ließ Fields die Katze aus dem Sack.
Die Information schien Lassiter nicht sonderlich zu beeindrucken.
Die Sekunden verstrichen.
Fields wurde zappelig. »Für hundert Dollar sage ich’s Ihnen.«
»Hundert Dollar sind kein Pappenstiel«, gab Lassiter zurück. »Wer garantiert mir, dass du mich nicht übers Ohr haust.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort.«
»Ich kenne nicht mal deinen Namen.«
»Sean Fields.«
»Na, und?« Lassiter beäugte die Flasche Kentucky Whiskey neben dem Kaffeesortiment. »Mit deinem Namen kann ich nichts anfangen. Hab ihn nie gehört. Ich brauche einen Beweis, dass du’s ehrlich meinst.«
Fields überlegte fieberhaft. »Sie müssen mir eben vertrauen«, meinte er dann.
Lassiter betrachtete ihn im Spiegel der Scheibe. Fields bemerkte den Argwohn im Gesicht des anderen.
»Also gut«, sagte Lassiter schließlich. »Gehen wir in den Laden. Ich zuerst, du kommst in einer Minute nach.«
»Geht klar.«
Lassiter verschwand im Geschäft. Fields blieb vor dem Schaufenster stehen. Mit klopfendem Herzen wartete er darauf, bis die Minute vergangen war.
Dann trat er in den Store.
Er fand Lassiter im rückwärtigen Teil des Ladens, vor einem Regal mit Reinigungsmitteln und Ersatzteilen für Ölfunzeln. Scheinbar interessiert beäugte er das Etikett auf einer Karbolflasche.
Fields hielt noch einmal Umschau, dann stellte er sich auch vor das Regal.
»Wo steckt Boterro?«, wollte Lassiter wissen.
»Er wird mich umbringen, wenn er erfährt, dass ich Ihnen einen Tipp gegeben habe«, zischelte Fields.
»Von mir erfährt er kein Wort«, versprach Lassiter. Er griff unter seine Jacke, brachte eine Geldbörse zum Vorschein und entnahm ihr mehrere gekniffte, grüne Scheine. »Wo hat er sich versteckt?«
Fields’ Herz klopfte ein paar Takte schneller, als er die Scheine sah. Eine erregende Vision überkam ihn. Er sah die Farmerstochter Hedwig im weißen Hochzeitskleid. Sie strahlte in die Kamera wie ein beschenktes Kind. Neben ihr stand er, Sean Fields, ein stolzer Bräutigam im dunklen Anzug.
»Wo finde ich ihn?«, raunte Lassiter.
Im Nu verblasste das Trugbild.
Fields griff nach dem Geld. Ohne nachzuzählen, schob er es in seine Hosentasche. »Im Hinterhaus des Last Chance Saloon«, flüsterte er. »Er hat das Zimmer schräg gegenüber der Hintertür des Saals. Man erkennt die Tür an den zwei schlecht verkitteten Einschusslöchern in Augenhöhe.«
Lassiter packte ihn am Arm. »Ist das auch wahr?«
Der Griff war sehr hart. Fields unterdrückte einen Schmerzenslaut. »Ja, ich schwöre es«, sagte er gepresst.
Der harte Griff lockerte sich.
Fields atmete erleichtert auf. »Ich muss jetzt gehen«, sagte er.
Lassiter nickte und nahm die Hand weg. »Wir kennen uns nicht.«
»Nein, Sir.« Field machte, dass er davon kam.
Beim Hinausgehen kam ihm ein Einfall, der so gemein war, dass er selbst darüber erschrak.
Wenig später, er ging gerade an dem Drugstore vorbei, fand er den Einfall jedoch so großartig, dass er beschloss, ihn in die Tat umzusetzen.
Und zwar auf der Stelle.
Ja, ich bin böse, dachte Fields und grinste.
☆
Jane Havisham, Assistentin und Zofe der First Lady, stand auf dem Gang des Waggons und rauchte eine Zigarette. Nebenbei betrachtete sie den Aushang, der an dem Brett neben dem Notlicht hing, Werbung für einen Boxkampf in Topeka.
Der Zug, der aus acht Wagen bestand, rumpelte über die mondhelle Berglandschaft. Mary Arthur McGilroy, die Schwester des Präsidenten, lag in ihrem Abteil und schlief. Ein Leibwächter hatte vor der Tür unauffällig Posten bezogen. Der zweite wanderte im Zug hin und her, um nach verdächtigen Elementen Ausschau zu halten.
Jane wandte den Blick von dem Plakat ab und betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Für meine dreißig Jahre sehe ich noch ganz manierlich aus, dachte sie und nahm sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Mit ihrem frischen Teint, ihrer reizvollen Figur, den dunkelblonden, hochgesteckten Haaren und den ausdrucksvollen, grünen Augen wirkte sie glattweg wie eine Frau von Anfang zwanzig.
Sie saugte an der Zigarette und blies den Rauch aus dem halb geöffneten Fenster.
Die Tür im Hintergrund des Wagens öffnete sich, und der zweite Leibgardist erschien. Er hieß Jerry Knotts, und sein Anblick ließ Janes Herz höher schlagen.
Gestern hatte er ihr versprochen, mit dem Schaffner zu reden, damit der ihnen für eine halbe Stunde ein leeres Abteil zur Verfügung stellte.
Jane seufzte. Jerry und sie hatten sich beim Zusammenstellen des Teams kennengelernt, das die First Lady nach Kansas eskortieren sollte. Hals über Kopf hatten sie sich ineinander verliebt. Doch Mrs. Arthur McGilroy und Fred Bollinger, der zweite Leibwächter, durften von dieser Liaison nichts erfahren. Liebeleien zwischen Angestellten des Weißen Hauses wurden nicht gern gesehen.
Daher war höchste Geheimhaltung angesagt.
Jerry zwinkerte ihr vielsagend zu. »Gepäckwagen«, flüsterte er.
Jane nickte scheinbar teilnahmslos.
Bollinger, der vor sich hingedöst hatte, verbarg ein Gähnen. »Was Verdächtiges entdeckt, Jerry?«, erkundigte er sich.
Der krauste die Nase. »Im vorletzten Wagen sitzen zwei Typen, die mir nicht koscher vorkommen.«
»Outlaws?«
»Möglich. Auf alle Fälle werde ich die zwei Galgenvögel im Auge behalten.« Jerry brachte ein gerolltes Heft zum Vorschein. »Hier, ’n Roman für dich. Der Rächer aus Laramie. Hab ich aus dem Leseabteil. Da liegen noch mehr Western.«
»Oh, danke, Jerry.« Bollingers Augen leuchteten. »Ein Jeff-Travers-Roman. Den fange ich gleich an.«
So ein schlauer Fuchs, dachte Jane. Mit dem Schmöker hat er Fred für eine Weile ausgeschaltet.
»Wie geht’s der Lady?«, fragte Jerry.
Bollinger schlug das Heft auf. »Bestens. Schläft wie ein Murmeltier.« Mit diesen Worten drehte er den Docht des Notlichts höher und tauchte ab in die Welt des romantisierten Wilden Westens.
Jane nahm noch einen Zug von der Zigarette, dann drückte sie den Stummel im Ascher aus.
Jerry drängte sich an ihr vorbei, touchierte wie zufällig ihre Hüften und verschwand durch die rückwärtige Tür.
Nach kurzem Zögern folgte ihm Jane.
An der Tür blickte sie noch einmal zurück. Fred Bollinger nahm keine Notiz von ihr. Er las.
Sie verließ den Wagen, überquerte die Brücke und marschierte bis zum Gepäckwagen durch. Jerry wartete schon auf sie. Er stand vor einer kleinen Kabine, an der knallig farbige Stadtansichten von Topeka, Kansas City, Denver und Wichita angepinnt waren. Von dem Zugpersonal war nichts zu sehen. Vermutlich befand es sich im Dienstabteil.
»Wir haben eine halbe Stunde«, sagte Jerry.
Jane entflammte, von einer Sekunde zur anderen. Sie öffnete den Mund und küsste Jerry leidenschaftlich auf den Mund.
Er schlang die Arme um sie und drückte sie fest an sich. Dann zog er die Tür des Kabuffs auf und zog sie ins Dunkel. Jane stieg der Geruch von Leder, Waffenöl und verschüttetem Schnaps in die Nase.
Jerry Knotts zog die Tür hinter sich zu.
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