Lassiter Sammelband 1871 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1871 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2494, 2495 und 2496.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 385

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1871

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Covermotiv: © Sanjulian/Ortega ISBN: 978-3-7517-6529-9 https://www.bastei.de https://www.luebbe.de https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1871

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter - Folge 2494

Bete und stirb, Gringo!

Lassiter 2495

Ein sündiges Erbe

Lassiter 2496

Blinder Zorn

Guide

Start Reading

Contents

Bete und stirb, Gringo!

Grausame Kälte lag in den eisblauen Augen. Der Mann, der wie ein Monument der Vergeltung vor Caleb Warren stand, hatte wie unabsichtlich seine Rechte auf dem Revolvergriff abgelegt, als wäre sie ihm zu schwer geworden. Sein Gegenüber jedoch wusste ganz genau, was die Stunde geschlagen hatte.

»Wollen Sie mich töten, Mister?«, fragte der Farmer und stellte sich schützend vor Frau und Kind.

Rick Carters Blick verlor nichts von seiner Intensität. »Du hast Dinge gesehen, die sich nicht mehr aus deinem Gedächtnis löschen lassen. Deine Frage allerdings muss ich mit ›Nein‹ beantworten, denn dich nur zu erschießen, reicht meinem Boss nicht aus.« Der Killer zeigte ein angedeutetes hämisches Lächeln. »Und ich halte auch nichts davon, Menschen zu trennen, die in Liebe miteinander verbunden sind …«

Abwehrend hob Caleb Warren seine Hände. »Tun Sie das nicht! Meine Frau und meine Tochter sind unschuldig! Erschießen Sie mich , aber lassen Sie meine Familie am Leben!«

Für einige Augenblicke sah es so aus, als wollte sich Rick Carter auf den Deal einlassen. Er schob sich an Warren vorbei und betrat das Farmhaus. Frau und Tochter wichen vor ihm zurück.

»Ein schönes Heim«, bemerkte Carter und ließ seinen Blick schweifen. »Ich habe mir immer vorgestellt, selbst eine Familie zu haben, ein eigenes Haus mit eigenem Grund und Boden. Leider ist es bei der Vorstellung geblieben. Nicht, dass es an Frauen gemangelt hätte, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, mich dabei selbst aufgeben zu müssen. Vielleicht bin ich nicht beziehungsfähig. Vielleicht möchte ich mir einfach nur gewisse Freiheiten vorbehalten. Frauen können so besitzergreifend sein. Und ich kann mich nur schwer unterordnen.«

Verständnislosigkeit lag in Caleb Warrens Augen. Es war ihm anzumerken, dass er mit den Äußerungen des unheimlichen Besuchers nichts anfangen konnte. Sie schienen ihn zu verunsichern und mochten über die wahren Absichten des Killers hinwegtäuschen. »Haben Sie doch ein Einsehen«, presste der Farmer gequält hervor. Die Sorge um seine Familie hatte sich tief in seine Züge gegraben. »Ich werde schweigen! Es wird Ihren Boss nicht einen Nickel kosten. Mir geht es einzig darum, in Frieden mit meiner Frau und meiner Tochter zu leben.«

Scheinbar teilnahmslos schlenderte Rick Carter durch den Wohnraum, umrundete den gedeckten Mittagstisch und brach sich von einem Laib Brot einen Kanten ab. Er zupfte ein Stück heraus und schob es sich in den Mund. Kauend betrachtete er Warren, der leicht zitternd vor Frau und Kind stand. »Ein hehrer Vorsatz«, gestand Carter dem Farmer zu und schluckte den Bissen hinunter. »Und wenn es nach mir ginge, könntest du alt und grau werden. Dummerweise aber geht es nicht nach mir. Sobald man mir einen Auftrag erteilt, führe ich ihn auch aus. Ich betrachte es als Loyalität. Wo kämen wir hin, wenn man sich nicht mehr aufeinander verlassen könnte …?«

»Ihr Name, Mister!«, platzte es aus Caleb Warren heraus. »Wie lautet er? Ich … ich habe ihn vergessen.«

»Ich habe ihn nicht erwähnt«, versetzte der Fremde. »Nenn mich einfach Carter.«

Warren schluckte hart. »Mister Carter, hören Sie mir zu. Es war doch nichts weiter als ein dummer Zufall. Ich konnte doch nicht ahnen, dass … dass Ihr Boss …«

Gönnerhaft winkte Rick Carter ab. »Natürlich nicht. Wie hättest du auch? Es war eine Verkettung von unglückseligen Ereignissen. Niemand hat daran Schuld.«

Hoffnung schimmerte in Warrens Blick. »Ich bin froh, dass wir derselben Meinung sind«, sagte er und entspannte sich ein wenig. »Sicher gibt es einen Weg zu einer gütlichen Einigung. Man muss nur vernünftig über die Sache reden. Ich habe kein Interesse daran, Kapital aus meinen Beobachtungen zu schlagen, das müssen Sie mir glauben.«

Unvermittelt zog Carter und schoss. Die Kugel durchschlug Caleb Warrens Stirn, trat aus dem Hinterkopf aus und besudelte seine Frau mit Blut und Hirnmasse. Gleich einer gefällten Eiche krachte der Farmer auf die Dielen.

Unbeweglich stand Carter da, den kalten Blick auf die Leiche gerichtet. »Ich glaube dir, Caleb …«

Die entsetzten Schreie von Frau und Kind zerrissen die Stille. »Sie grausames Monstrum!«, stieß die junge Witwe hervor, fiel auf die Knie und beugte sich über ihren toten Ehemann. »Caleb!«, kam es wimmernd über ihre Lippen. »Bitte, Caleb, verlass mich nicht!«

Mechanisch spannte Rick Carter den Hahn seines Revolvers. »Dort, wo er jetzt ist«, meinte der Killer, »wird er nicht lange allein sein …«

Rasch aufeinander folgten zwei weitere Schüsse. Dumpf fielen zwei Körper zu Boden. Carter schob seine Waffe zurück ins Holster, langte nach einer Obstschale und nahm einen Apfel heraus. Herzhaft biss er hinein und setzte sich an den Tisch. Unbekümmert nahm er zur Kenntnis, wie sich die Blutlachen unter den regungslosen Körpern ausbreiteten.

Rabenschwarze Wolken hatten das Antlitz der Sonne verdunkelt, doch der erwartete Regen blieb aus. Lassiter war es nur recht. In den Nordstaaten hatte er mehr als genug Nässe und Kälte erlebt, sodass Texas für ihn eine willkommene Abwechslung darstellte.

Er führte seinen Grauschimmel aus dem Frachtwaggon der Eisenbahn, saß auf und ritt hinüber zur Mainstreet von Del Rio. Das Örtchen trug seinen Namen nicht umsonst, denn die mexikanische Grenze – markiert durch den Lauf des Rio Grande – lag nur wenige Meilen entfernt.

Lassiter ließ sich die spärlichen Auftragsinformationen, die er von seinem Kontaktmann in San Antonio erhalten hatte, noch einmal durch den Kopf gehen. Der Mann, den er suchte, war in der Gegend beileibe kein Unbekannter. Ihn aufzuspüren, war Lassiters geringstes Problem. Kritisch konnte es werden, sobald die Jagd des Brigade-Agenten ihn über die texanische Grenze nach Mexiko führte. Sollte es im Laufe eines Gefechts zur Konfrontation mit der mexikanischen Armee kommen, war Lassiter auf sich allein gestellt und konnte weder mit der Unterstützung der US-Kavallerie rechnen, noch mit dem Eingreifen der Texas-Ranger. Ihre Befugnisse endeten am Ufer des Rio Grande. Jeder Übergriff von amerikanischer Seite wäre einer Kriegserklärung gleichgekommen.

Einen Steinwurf entfernt von der Abzweigung, die zur rechten Hand hinauf in die Berge und links in eine Lehmbausiedlung führte, hielt Lassiter vor einem Saloon und stieg aus dem Sattel. Wenn man Informationen benötigte, gab es keinen besseren Ort. Hier kamen Einheimische und Reisende zusammen, Geschäftsleute und Kriminelle. Das, was man wissen wollte, brachte man mit ein paar Dollars oder den Fäusten in Erfahrung. Darauf aber legte es der große Mann jedoch nicht an. Seine Kraft und seinen Revolver würde er noch früh genug einsetzen müssen.

Kaum stieß er durch die Schwingtüren, schlug ihm auch schon der Geruch von Tabak und Hochprozentigem entgegen. Für die Uhrzeit war der Saloon gut gefüllt. Es gab kaum einen freien Tisch mehr. Und auch die Theke wurde von den unterschiedlichsten Typen belagert.

»Whiskey!«, rief Lassiter dem Barkeeper zu und stellte sich an den äußersten Rand des Tresens. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie ihn argwöhnische Blicke streiften. Nur wenige Sekunden vergingen, bis er angesprochen wurde.

»Du bist nicht von hier«, raunte eine kratzige Stimme. »Da, wo ich herkomme, stellt sich ein Fremder für gewöhnlich vor.«

Der Mann war auf Streit aus. Allein sein Tonfall bestätigte diese Einschätzung. Gleichzeitig drehten sich Lassiter noch zwei weitere Männer zu, die offenbar zu dem Kerl gehörten. Sicher nicht zufällig hatten sie ihre Daumen im Revolvergurt verhakt, wobei sich ihre Rechte gefährlich nahe beim Holster befand.

»Was sagt schon ein Name?«, erwiderte Lassiter. »Nenn mich einfach Smith.«

Rau lachte sein Gesprächspartner auf, wurde aber sofort wieder ernst. »Du hältst dich wohl für witzig, was? Kommst einfach so in unsere Stadt und machst dich über uns lustig.« Der Kerl mit den eingefallenen Wangen und dem dunklen Bartschatten zog seine Nase hoch und spie auf den Boden. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtiger. Du wärst nicht der Erste, dem die Frechheiten im Halse steckenbleiben.«

Dumpfe Stiefeltritte. Die Kumpane des Sprechers lösten sich vom Tresen und wanderten Lassiter entgegen. Einer blieb seitlich von ihm stehen, der andere stellte sich in seinen Rücken.

»Ich kann schon auf mich aufpassen«, raunte Lassiter. Mit der Linken griff er nach dem Whiskeyglas, das der Barkeeper vor ihm abstellte, mit dem rechten Arm stützte er sich auf der Theke ab.

»Hey, Bucky!«, rief der Mann hinter Lassiter dem Schmalgesichtigen zu. »Der Typ scheint dich nicht ernst zu nehmen. Ist wohl einer der besonders Harten, die nur die raue Gangart verstehen …«

Die letzte Silbe war noch nicht verklungen, da wirbelte Lassiter herum. Die Rückhand seiner Faust schmetterte in das Gesicht des Kerls, der einen erstickten Schmerzenslaut von sich gab, zur Seite taumelte und seinen Sturz gerade noch verhindern konnte.

Sein Kumpan riss blitzschnell seinen Colt aus dem Holster, doch noch ehe er den Abzug gespannt hatte, trat Lassiter unter seine Schusshand und schmetterte sie ihm mitsamt der Waffe gegen den Schädel. Ein Ausfallschritt brachte Lassiter an seinen Gegner heran, sodass er ihn beim Kragen packen konnte und dem Hageren entgegenschleuderte.

Haltlos krachten die beiden Männer auf die Dielen. Dabei aber ließ Lassiter es nicht bewenden, machte einen Satz nach vorn und ließ seine Faust gegen Buckys Kinn krachen. Kaum hörte er das Schnappen eines Revolverhahns in seinem Rücken, ruckte Lassiter zur Seite, wobei ihm der Remington förmlich in die Hand flog. Der Kerl, dem er einen Fausthieb verpasst hatte, kam nicht mehr dazu abzudrücken. Lassiters Kugel durchschlug seinen rechten Oberarm und ließ ihn zurückzucken. Das schussbereite Schießeisen entfiel seinen kraftlosen Fingern. Der Kampfesmut des Mannes verflog wie der Rauch über einer schwelenden Feuerstelle.

Geschmeidig glitt der Remington zurück in Lassiters Holster. Zwischen verengten Lidern schaute er seine Gegner an, die ächzend vom Boden hochkamen.

»Du hast dich mit den Falschen angelegt«, zischte Bucky zornig. Seine Nasenflügel blähten sich unter seinem keuchenden Atem.

»Ich war es nicht, der eine dicke Lippe riskiert hat«, gab Lassiter zurück. »Und wenn ihr weitere Schwellungen vermeiden wollt, braucht ihr mir nur eine einfache Frage zu beantworten.«

»Und die wäre?« Die Worte kamen mit äußerster Verachtung über Buckys Lippen, aber es war ihm anzusehen, dass er weiterem Streit aus dem Weg gehen wollte.

»Wo finde ich Luis Perez?«, fragte Lassiter. »Ich weiß, dass er sich in der Gegend aufhält und mit Galgenstricken wie euch zusammenarbeitet. Also erzählt mir nicht, noch nie von ihm gehört zu haben.«

Bucky lachte. Sein Kiefer musste dabei teuflisch schmerzen, doch offenbar wollte er es sich nicht nehmen lassen, seiner Belustigung Ausdruck zu verleihen. »Du suchst Perez?«, sagte er mit schiefem Grinsen. »Allein, weil Du seinen Namen laut ausgesprochen hast, wird er dich finden. Und wenn du noch ein bisschen Grips in deiner Birne hast, schwingst du dich auf deinen Gaul und reitest dorthin zurück, von wo du gekommen bist. Andererseits …« Der Kerl mit den eingefallenen Wangen machte eine theatralische Pause. » … wird es keinen Stein geben, unter dem du dich verkriechen könntest. Perez wird sich wie ein Bluthund auf deine Fährte setzen, dich aufspüren und dir das Herz aus der Brust reißen!«

Drohungen waren für Lassiter an der Tagesordnung. Und wie auch sonst ließ er sich nicht davon beeindrucken. »Du kannst ihm ausrichten, dass ich auf ihn warten werde. Warum sollen wir uns unnötig jagen, wenn es doch auch wesentlicher einfacher geht.«

Düstere Wolken schienen über Buckys Gesicht zu ziehen. Er gab seinen Kumpanen einen Wink, mit ihm den Saloon zu verlassen. Kurz vor der Schwingtür aber drehte er sich noch einmal zu Lassiter um.

»Du weißt nicht, worauf du dich einlässt«, raunte er finster und trat auf den Boardwalk.

Nachdenklich schaute Lassiter ihm hinterher, wandte sich dann wieder seinem Whiskey zu und stürzte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter. Sofort bestellte er einen zweiten Drink.

»Sie sollten die Worte von dem Kerl nicht in den Wind schlagen«, äußerte sich der Barkeeper mit besorgter Miene. »Ich weiß zwar nicht, ob er mit Perez unter einer Decke steckt, aber er ist ein durchtriebener Hurensohn und kennt eine Menge übler Gestalten, denen Sie nicht im Dunkeln begegnen möchten. Da können Sie hier jeden fragen.«

»Ich werde es mir merken«, erwiderte Lassiter tonlos, nickte dem Mann hinter der Theke zu und setzte sein Glas an die Lippen.

Chase Buchanan verspürte hilflosen Zorn in sich aufsteigen und musste das Telegramm, das ihm zugestellt worden war, gleich mehrfach lesen. Schließlich steckte er es ein und marschierte hinüber zum Department des zweiten Polizei-Distriktes von Washington D. C.

Dort saß ein übler Halunke in Haft, der bei einem Eisenbahnraub gestellt werden konnte. Seine Komplizen, die geflohen und ihn im Stich gelassen hatten, wollte er jedoch partout nicht ans Messer liefern.

Für Buchanan ein gefundenes Fressen. Gerade auch deshalb, weil seine Stimmung sich auf dem Tiefpunkt befand. Die bekam auch der Sergeant im Department zu spüren, der Buchanan freundlich grüßte und sich eine Erwiderung in Form einer derben Geste einfing.

Polternd öffnete Chase Buchanan die Tür zu einem kleinen Raum mit einem einzigen vergitterten Fenster. An einem schmalen Tisch, der bis auf zwei Stühle das einzige Mobiliar des Zimmers darstellte, hockte Larry Chisum. Der Mann war eingenickt und schreckte hoch, als Buchanan lautstark eintrat. Aus dunkel geränderten Augen starrte er den Captain der Metropolitan Police müde an.

»Ausgeschlafen?«, höhnte Buchanan und strich mit zwei Fingern über seinen dunklen Oberlippenbart. »Der Stuhl ist nicht ganz so bequem wie die Pritschen in den Zellen, aber er wird die einzige Schlafmöglichkeit für dich sein, wenn du nicht endlich auspackst.«

Chisum versuchte ein spöttisches Lächeln, das jedoch misslang. Dem verächtlichen Tonfall seiner Worte tat dies allerdings keinen Abbruch. »Sie wollen mich zermürben, was?«, krächzte er und räusperte sich. »Sie glauben allen Ernstes, ich würde meine Freunde verraten, weil mir der Luxus einer Matratze fehlt?« Er lachte heiser auf. »Ich bin schon in der Mangel der Guardia Rurales gewesen. Und glauben Sie mir, Captain, die wissen, was sie tun müssen, damit einem der Angstschweiß aus jeder Ritze quillt.«

Chase Buchanan nagte an seiner Unterlippe und nickte verhalten. Er umrundete den Tisch und ließ Chisum nicht einen Moment aus den Augen. Als er hinter dem Gefangenen stand, legte er ihm beide Hände auf die Schultern. »Keine Ahnung, was die Schergen von Díaz so draufhaben«, sagte Buchanan, »aber ich bin wirklich neugierig, es herauszufinden …«

Ein harter Stoß schleuderte Chisum nach vorn. Hart schlug er mit dem Gesicht auf die Tischplatte.

»War es etwas in der Art?«, erkundigte sich Chase Buchanan beiläufig.

»Mieses Schwein!«, röchelte Larry Chisum und drehte seinen Kopf zur Seite. Seine Oberlippe war aufgeplatzt, und das Blut rann an seinem Kinn hinab und tropfte auf den Tisch.

»Chisum, Chisum, Chisum …«, sagte Buchanan mit väterlichem Tadel. »Liegt dir wirklich so viel daran, meine Gefühle zu verletzen?« Er verkrallte seine Faust in Chisums schulterlangem Haar und riss den Mann nach hinten. Der krachte mit dem Stuhl gegen die Wand und ging zu Boden. Doch schon wurde er von kräftigen Händen bei der Kehle gepackt und auf die Füße gezerrt. Buchanans Gesicht war nur eine Handbreite von seinem entfernt.

»Bisher bin ich nett zu dir gewesen«, zischte der Captain, »aber ich kann auch anders. Das kann ich sogar noch viel besser.« Wieder griff er in Chisums Haare und zerrte den Kopf des Mannes in seinen Nacken. »Mach endlich das Maul auf und nenn mir die Namen deiner Komplizen! Du wirst sie mir sagen, das ist sicher! Aber du bestimmst, wie ich an die Informationen komme.«

»Es gibt Gesetze!«, ächzte Larry Chisum. »Und diese Gesetze beschützen mich vor Männern wie Ihnen! Wenn ich Ihren Vorgesetzten stecke, was Sie mit mir angestellt haben, dann …«

Weiter kam er nicht. Buchanan sah rot. Und als sein Wutanfall abklang, war Chisum nur noch ein wimmerndes Bündel Mensch, das sich auf dem kalten Lehmboden krümmte.

Der Captain zog ein Tuch aus seiner Jackentasche und wischte sich die blutigen Finger daran ab. Dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich ab. Seine Gedanken waren mit einem Mal wieder beim Inhalt des Telegramms, und eine Unruhe, wie er sie bisher nur selten erlebt hatte, ergriff erneut Besitz von ihm.

Buchanan musste handeln und Washington verlassen. Den Ärger, den er sich dabei zuziehen würde, wenn er das Department hinter sich ließ, nahm er in Kauf.

Noch konnte Chase Buchanan allerdings nicht wissen, dass ausgerechnet Larry Chisum ihm eine Chance eröffnete, die sein Vorhaben unterstützte.

Lassiter war es gewohnt, sich in Zurückhaltung zu üben, wenn die Situation es erforderte. Blinder Aktionismus blieb denen vorbehalten, die ihre Gefühle nicht im Griff hatten. Die Lebenserfahrung, auf die Lassiter zurückblicken konnte, hatte ihn gelehrt, Personen und Ereignisse einzuschätzen. Deshalb sah er gegenwärtig noch keine Veranlassung, Perez ausfindig zu machen, zumal er davon überzeugt war, dass Bucky nichts Besseres zu tun hatte, als den gesuchten Banditen zu ihm zu führen. Einen Tag wollte Lassiter ihm geben und erst im Anschluss mit seiner Suche beginnen.

Vom Saloon aus ging er unschlüssig den Boardwalk entlang und erreichte irgendwann ein Gebäude, das seine Gedanken wieder auf Kurs brachte.

»The Doll House«, murmelte er im Selbstgespräch und ließ seinen Blick über das verwitterte Schild am Eingang streifen. Es erinnerte ihn daran, dass er schon viel zu lange die Gesellschaft einer Frau entbehrt hatte. Die Zugfahrt nach San Antonio, der Ritt bis Del Rio – es hatte sich eine Menge Energie in dem Mann der Brigade Sieben aufgestaut.

Lassiter betrat das Etablissement und wurde von zwei Kerlen empfangen, die einen durch einen Vorhang verdeckten Zugang flankierten. Sofort richteten sich ihre Augen auf den Ankömmling. Einer trat vor und versperrte Lassiter den Weg.

»Keine Waffen«, sagte er mit stoischer Gleichmütigkeit und streckte seine Rechte aus. »Gib mir deinen Revolver. Du bekommst ihn beim Verlassen wieder zurück.«

Der große Mann zeigte sich anfangs unentschlossen, zielte aber nicht darauf ab, eine Konfrontation zu provozieren. Mit leichtem Widerwillen händigte er seinen Remington aus. Der Kerl, der die Statur einer Schrankwand hatte, machte ihm bereitwillig Platz.

Verschiedene Düfte schlugen Lassiter entgegen, kaum dass er den Vorhang durchstoßen hatte. Es waren die Aromen ätherischer Öle sowie mehrere Parfümnoten, die in ihrer Gesamtheit harmonisch und nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, aufdringlich wirkten. Angenehm erschien Lassiter auch das Ambiente mit seinen geschmackvollen Sitzgruppen, dem zierlichen Mobiliar und vor allem den Damen, die ihm beim Eintreten begehrliche Blicke zuwarfen.

»Siehst du etwas, das dir gefällt, Fremder?«, fragte eine Lady, die plötzlich in Lassiters Gesichtskreis erschien. Sie besaß eine Ausstrahlung, die einem Mann den Verstand rauben konnte. Nicht nur ihre Schönheit und die dezente Offenherzigkeit, mit der sie sich präsentierte, konnten einen ausgehungerten Kerl an den Rand des Wahnsinns treiben. Nein, von ihr ging etwas aus, das eine Persönlichkeit reflektierte, die einen selbstbewussten Mann geradezu herausforderte. Diese Frau zu erobern und zu besitzen war das höchste Ziel, das ein Mann sich setzen konnte.

»Du gefällst mir«, antwortete Lassiter auf die Frage der Brünetten und setzte ein schmales Lächeln auf. Die Antwort, die er erhielt, war jedoch genau jene, die er erwartet hatte.

»Ich bin nicht verfügbar, Fremder, und nur eine Art von Anstandsdame, die vermittelt.« Ein gütiger Augenaufschlag begleitete ihre Worte. »Sicher findest du im ›Doll House‹ das, was du suchst. Sieh dich einfach nur um …«

»Ich suche keine Püppchen, sondern eine echte Frau«, gab Lassiter zur Antwort.

Die Lady lächelte geheimnisvoll und sagte: »Du kannst alles haben, was du willst. Vielleicht darf ich dich mit Claire bekanntmachen.« Sie wies voraus und deutete auf ein Girl, dessen Alter schwer einzuschätzen war. Es mochte zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig liegen. Die Frau hatte dunkles Haar und einen schimmernden Stirnreif. Die Begehrlichkeit in ihren Augen wirkte nicht aufgesetzt und schien echtem Verlangen zu entspringen. Lassiter konnte den Unterschied recht gut einordnen.

Keine zwei Minuten vergingen, da befand er sich bereits mit ihr in einem Separee. Es gab ein schmales Bett mit flauschigen Kissen, daneben eine Kommode, auf der eine reich verzierte Porzellanschüssel mit klarem Wasser stand.

Claires knöchellanges Kleid schien ihr plötzlich im Wege zu sein, sodass sie es kurzerhand aufknöpfte und über die Hüften streifte. Mit der Fußspitze warf sie es zur Seite, legte sich einladend aufs Bett und rekelte sich wohlig zwischen den Kissen. »Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«, forderte sie Lassiter mit verheißungsvoller Stimme auf.

Der große Mann trat näher, stützte sich mit einem Knie auf der Bettkante ab und beugte sich über Claire. Dabei knöpfte er mit einer Hand seine Hose auf, die ihm das Freudenmädchen über die Hüften zog. Als sie beim Anblick seines Pints kurz aufstöhnte, streifte ihr warmer Atem sein Gesicht. »Mehr kann sich eine Frau nicht wünschen …«, flüsterte Claire.

Sanft zog sie ihn zu sich herab, bis ihre Lippen sich berührten. Anfangs zaghaft, dann wild und stürmisch erwiderte Lassiter die Küsse der Frau. Ihr Atem ging stoßweise; ihr gesamter Körper bebte. Vermutlich war es noch nicht lange her, dass sie einen Mann in ihrem Bett gehabt hatte, doch sie entwickelte sich zu einem wollüstigen Raubtier, das jede Hemmung ablegte. Ihre Beine kreuzten sich über Lassiters Rücken und pressten seine Lenden dicht an ihren Unterleib.

»Ich will dich tief in mir spüren«, hauchte Claire ihm ins Ohr.

Lassiters Atem ging schwerer. Er entledigte sich nun vollständig seiner Hose und schob sich über Claire. Sein Schaft hatte sich zur vollen Größe aufgerichtet, sodass Claire ihn in beide Hände nahm und gekonnt massierte.

Nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, wand sich die Dirne unter dem großen Mann. Mit einer beiläufigen Bewegung streifte sie ihren Stirnreif vom Kopf und presste ihre vollen Brüste gegen seinen Oberkörper. Die harte Rute zwischen ihren Schenkeln entlockte Claire ein ekstatisches Seufzen. »Komm in mich«, wisperte sie verlangend, griff nach Lassiters mächtigem Glied und führte es aufstöhnend ein. Lustvoll schaute sie ihm in die Augen und versetzte ihr Becken in rhythmische Bewegung. Lassiter passte sich dem Takt an und erwiderte ihre Stöße. Sein heftiges Begehren steigerte sich, je fester Claires Unterleib seinen strammen Pint umschloss. Kraftvoll umklammerten seine Finger ihr pralles Hinterteil, spreizten die Backen und verstärkten die Stöße. Bald schon glitt er zur Seite und legte sich auf den Rücken. Die Dunkelhaarige schwang sich auf seinen Schoß.

»Das habe ich gebraucht!«, stieß Claire in ihrer zügellosen Begierde aus und erhöhte das Tempo ihres berauschenden Ritts. Sie hob den Oberkörper an, stützte sich auf Lassiters Brust ab und warf ihren Kopf in den Nacken. Dann lehnte sie sich weit zurück und begann heftig zu keuchen.

Lassiter nahm eine sitzende Stellung ein und glitt noch tiefer in Claires zart bewaldete Lustgrotte. Mit seinen Lippen und der Zunge liebkoste er ihre aufgerichteten Brustwarzen, die hart wie Holz waren.

»Ich komme gleich!«, wimmerte Claire begehrlich. »Gib’s mir! Schieb mir deinen Speer ganz tief rein!«

Die knisternde Anspannung schaukelte sich hoch, bis sie die höchsten Höhen der Lust erreichte. Lassiter spürte Claires Verkrampfung, ihr forderndes Drängen nach einem überwältigenden Orgasmus. Er fühlte die Hitze und Feuchtigkeit ihres Körpers und gab seinem inneren Druck nach.

Machtvoll ergoss er sich zwischen den Schenkeln der Frau, in demselben Augenblick, da sich ihre Anspannung explosionsartig in einem inbrünstigen Schrei höchster Wonne löste. Zitternd klammerte sie sich an Lassiter fest, während die Wogen der Lust ihren nackten Leib elektrisierten. Claires Zähne gruben sich zärtlich in Lassiters Schulter, dann in seinen Hals, und schnappten schließlich nach seinem Ohrläppchen.

Atemlos und wie betäubt streichelte sie seine haarige Brust und rutschte ein Stück weit auf seinen Oberschenkeln hin und her. Sein Freudenspender stand noch aufrecht und füllte sie aus. Ihrem entrückten Blick war anzumerken, dass sie jede Sekunde genoss, in der ihr Schoß von seiner prallen Leidenschaft kosten durfte.

Irgendwann lösten sie sich voneinander und sanken in die Laken. Neckisch winkelte Claire ein Bein an und rieb mit der nackten Fußsohle über Lassiters Unterschenkel, wohingegen ihr Knie wie unabsichtlich immer mal wieder seine erschlaffte Rute streifte.

»Hat es dir gefallen?«, erkundigte sie sich und setzte ein verträumtes Lächeln auf.

»Es war nicht gerade schäbig«, erwiderte Lassiter im Scherz und stand auf. Er ging zur Waschschüssel und reinigte sich.

Claire wirkte traurig. »Schade, dass du nicht zufrieden bist.«

»Ich hab’s nicht so gemeint«, raunte Lassiter ihr grinsend zu. »Du bist eine Wucht, das darfst du mir ruhig glauben.«

Kurze Zeit später schritt er dem Ausgang entgegen, ließ sich seinen Remington aushändigen und machte sich auf die Suche nach einem Hotel.

»Was fällt Ihnen eigentlich ein?«, krakeelte County-Sheriff Henry Newport und hämmerte seine Faust auf den Schreibtisch. »Haben Sie jeglichen Sinn für Recht und Gesetz verloren? Wenn Ihre Entgleisung publik wird, können wir uns alle warm anziehen. Diese Zeitungsschmierer werden mich und das gesamte Department in der Luft zerreißen!«

Stumm war Captain Chase Buchanan der Litanei gefolgt, räusperte sich kurz und meinte: »Um einen wie Chisum ist es nicht schade. Sie wissen, Sir, dass diese ganze verdammte Hätschelei ihn nicht zum Reden bringen wird.«

Wutentbrannt sprang der County-Sheriff von Washington auf. »Natürlich weiß ich das! Und am liebsten hätte ich ihm selbst die Fresse poliert! Aber die Senatswahlen stehen vor der Tür, zum Teufel! Wir können uns keine öffentliche Schlammschlacht leisten.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Eine gottverfluchte Sauerei ist das. Ich kann die Schlagzeilen schon lesen und die Demonstranten auf der Straße sehen.«

»Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, versuchte Buchanan einzulenken. »Niemand wird von dem Zwischenfall erfahren. Woher auch? Chisum bleibt bis zu seiner Verhandlung in Gewahrsam. Danach kräht kein Hahn mehr nach ihm.«

Newports Gesicht lief rot an. Er wirkte, als wollte er im wahrsten Sinne des Wortes aus der Haut fahren. »Tun Sie nur so dämlich, oder haben Sie sich Ihre Blödheit über viele Jahre antrainiert?«, schimpfte der County-Sheriff. Seine Handflächen klatschten auf die Tischplatte, als wollten sie sie zerschmettern. »Diese Kolumnisten sind Hyänen! Die wittern eine Story schon, ehe sie passiert ist. Vielleicht verdient sich sogar einer unserer Leute aus dem Department ein paar Drinks im Saloon, indem er den Vorfall zum Besten gibt.«

»Ich lege für jeden Mann aus dem Precinct meine Hand ins Feuer«, versicherte Buchanan und schluckte die Beleidigung klaglos.

»Verbrennen Sie sich bloß nicht die Finger!«, schnauzte Newport, wandte sich dem Fenster seiner Amtsstube zu und stützte sich am Mauerwerk ab. Kurz darauf drehte er sich wieder herum, holte tief Luft und sagte: »Ich werde Vorbeugungsmaßnahmen treffen müssen und den Spieß herumdrehen. Ein Präventivschlag sozusagen. Dieses Mal werde ich den Schmierfinken der Tageszeitung zuvorkommen.«

»Wovon reden Sie, Sir?« Chase Buchanan beschlich ein ungutes Gefühl.

Finster starrte der County-Sheriff sein Gegenüber an. »Ich werde ihnen einen Sündenbock liefern. Damit kann ich die Polizei wieder ins rechte Licht rücken. Wenn wir selbst die schwarzen Schafe unserer Abteilungen aussortieren, kann uns keiner mehr was am Zeug flicken …«

Grimmig faltete Chase Buchanan die »Washington Post« zusammen und legte sie neben sich auf den Sitz des Zugabteils. Die prophezeite Schlagzeile hatte nicht lange auf sich warten lassen, doch sie war anders ausgefallen, als der Captain des zweiten Polizeidistriktes sie sich vorgestellt hatte. Und außerdem war sie der Grund, weshalb sich Buchanan die Unterredung mit dem County-Sheriff noch einmal ins Gedächtnis gerufen hatte.

Der Mann, dem die neun Precincts der Metropolitan Police unterstanden, hatte ihn ans Messer geliefert und vor die Tür gesetzt. Jetzt hatte Buchanan mehr Freizeit, als ihm lieb war. Und ob er jemals in seine Position zurückkehren konnte, stand auch noch in den Sternen. Newport hatte ihn eiskalt abserviert und zu einem Bauernopfer gemacht, damit irgendwelche halbseidenen Anzugträger in aller Ruhe ihren Wahlkampf führen konnten.

Die Frau, die Buchanan gegenübersaß, warf einen neugierigen Blick auf die Zeitung und schüttelte pikiert ihren Kopf. »Eine Schande ist das«, sagte sie mit verhaltener Entrüstung. »Jetzt kann man sich nicht einmal mehr auf die Hüter des Gesetzes verlassen …«

»Halten Sie doch Ihren Rand!«, versetzte Chase Buchanan barsch. »Gibt es nicht irgendwo einen Herd, an dem Sie gebraucht werden?«

Die Dame schnappte nach Luft. »Unverschämtheit!«, presste sie hervor. »Der Verfall der Sitten wird noch der Untergang dieses Landes sein.« Trotzig drehte sie ihren Kopf zur Seite und stierte aus dem Fenster auf die vorbeirasende Landschaft.

Buchanan brummte abfällig, langte in seine Westentasche und holte das Telegramm hervor, das ihn veranlasst hatte, den weiten Weg nach Texas zurückzulegen. Mehr als einmal hatte er die wenigen Zeilen überflogen, doch immer noch konnte er nicht fassen, dass sein langjähriger Freund Caleb Warren tot sein sollte. Er und seine kleine Familie waren Opfer skrupelloser Verbrecher geworden. Über die Hintergründe ließ sich lediglich spekulieren. Das jedenfalls war der Inhalt des Telegramms, das mit den Initialen Z. J. unterzeichnet war.

Mehrfach schon hatte Chase Buchanan den Buchstaben einen Namen zuordnen wollen, doch immer noch tappte er im Dunkeln, wer die Nachricht an ihn verfasst hatte. Andererseits war es völlig gleichgültig, von wem die Mitteilung kam. Wer auch immer Warren auf dem Gewissen hatte, würde für den feigen Mord mit seinem Leben bezahlen. Es gab keine Regeln, an die sich Buchanan halten musste.

Nach endlos scheinender Fahrt stieg der ehemalige Captain in San Antonio vom Zug auf eine Postkutsche um. Ganze zwei Tage würde er bis Del Rio unterwegs sein und von dort Caleb Warrens Farm aufsuchen. Viel versprach er sich nicht davon, aber es mochte Indizien geben, die ihn auf die Spur des Mörders führten. Nichts wollte er unversucht lassen, um diesen Hundesohn aufzuspüren und zu erledigen.

»Habe ich irgendetwas im Gesicht?«, erkundigte sich die blonde Lady, die Buchanan vis-à-vis saß, schnippisch.

Chase Buchanan zwinkerte kurz und schärfte seinen Blick, der zuvor gedankenverloren auf einem imaginären Punkt geruht hatte. »Ich habe nicht Sie angesehen, Ma’am«, murmelte er. »Ich war in Gedanken.«

»Das glaube ich gern«, höhnte die Blondine. »Bestimmt haben Sie überlegt, wie Sie mir unauffällig in den Ausschnitt schauen können.«

»Sie sollten sich schämen!«, mischte sich ein weiterer Fahrgast ein, der von Aussehen und Kleidung kaum etwas anderes als Buchhalter sein konnte. Der graue Anzug war ihm zu eng und spannte an den Armen und über der Brust. Vervollständigt wurde das skurrile Bild durch einen Bowler und eine schwarzgeränderte Hornbrille.

»Freundchen«, sagte Buchanan, »kümmere dich um deinen Federkiel und deine Bilanzen, bevor ich dich ungespitzt in den Boden ramme.«

Die blonde Reisende lachte. »Genauso habe ich Sie mir vorgestellt. Ein Rüpel, wie er im Buche steht. Wollen Sie mich eventuell auch verprügeln? Es macht Ihnen sicher nichts aus, sich an einer Frau zu vergreifen. Bei der Gelegenheit könnten Sie mich doch gleich vergewaltigen und nicht nur darauf hoffen , einen Blick auf das zu erhaschen, was ich bisher noch erfolgreich vor Ihnen verbergen konnte.«

»Lassen Sie es gut sein, Ma’am«, meinte Chase Buchanan. »Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen.«

Die Fahrt konnte ja noch lustig werden, dachte er bei sich. Zwei Tage auf engstem Raum eingepfercht mit einer nervigen Zicke und einem Möchtegern, den der kleinste Windstoß aus den Schuhen blasen würde.

Das Hotel entsprach genau den Vorstellungen Lassiters. Es gab ein Bett mit Federkissen und –decken, dazu eine Waschgelegenheit sowie einen Tisch und zwei Stühle. Der Mann der Brigade Sieben legte seinen Revolver auf der Tischplatte ab und nahm seine Reinigungsutensilien aus der Satteltasche.

Im Lauf des Remington befanden sich hartnäckige Pulverreste, die sich eingebrannt hatten. Über kurz oder lang würden sie die Treffgenauigkeit der Waffe einschränken und schlimmstenfalls einen Rückstoß verursachen. Das konnte tödlich enden. Und Lassiter musste sich wie kaum ein anderer auf seinen Revolver verlassen können.

Er schraubte den Lauf ab, nahm die Trommel heraus und schmirgelte das verklumpte Pulver ab. Die Abzugsmechanik beträufelte er mit einigen Tropfen Öl und überprüfte die reibungslose Funktion. Anschließend nahm er sich die Trommel vor, reinigte sie mit einer fingerdicken Drahtbürste und tat das gleiche mit dem Lauf.

Nur wenige Minuten, nachdem er den Remington wieder zusammengesteckt und in sein Holster geschoben hatte, klopfte es an die Tür.

»Mister!«, erklang eine sonore Stimme. »Machen Sie auf!«

Lassiter hatte sich aufs Bett gelegt und döste vor sich hin. Reflexartig zuckte seine Rechte zum Revolver. »Wer ist da?«, fragte er.

»Mein Name ist Miller. Es geht um Anschuldigungen gegen Sie, zu denen ich Sie befragen möchte.«

Lassiter wurde hellhörig und dachte an die Auseinandersetzung mit Bucky. Sollte dieser Straßengauner ihn beim Sheriff angeschwärzt haben? Denkbar war es, wenn auch ungewöhnlich. Der Brigade-Agent war davon ausgegangen, dass er es mit Luis Perez zu tun bekommen würde. Offenbar aber gab es nun noch eine weitere Hürde zu überwinden.

»Sind Sie Sheriff? Oder Deputy?«, wollte Lassiter wissen.

»Wir haben eine lokale Bürgerwehr. Und im Namen dieser möchte ich mit Ihnen reden.«

Immer noch lag Lassiters rechte Hand auf dem Griff seines Remington. Er traute dem Braten nicht. Praktisch jeder hätte sich einen offiziellen Titel geben können, um ihn aus der Reserve zu locken. Dennoch erhob er sich und trottete zur Tür. Er stellte sich seitlich von ihr auf, packte den Knauf und drehte ihn. Mit einem Ruck zog er die Tür ins Innere des Zimmers.

Vor ihm stand ein Mann mit eisblauen Augen, in denen etwas lag, das unwillkürlich Lassiters Anspannung hervorrief. Er hatte es mit einer Person zu tun, von der eine außergewöhnliche Kälte ausging. Sie war regelrecht greifbar, wie Lassiter sie von brutalen Halsabschneidern und gewissenlosen Killern kannte. Noch war er nicht sicher, ob seine Einschätzung stimmte, doch er würde wachsam sein.

»Vielen Dank«, sagte Miller, wartete, bis Lassiter auffordernd in den Raum wies, und trat ein. Beinahe scheu ging er bis zur Mitte des Zimmers, sah sich um und lächelte hintergründig. »Sie haben Ihren Colt gereinigt«, meinte er, den Blick auf den Tisch gerichtet, auf dem Pulverspuren zu erkennen waren. »Offensichtlich gehen Sie äußerst pfleglich mit Ihrer Ausrüstung um.«

»Wollen Sie daraus irgendwelche Schlussfolgerungen ableiten?«, fragte Lassiter.

»Nein, nein.« Miller winkte ab. »Mir kam lediglich in den Sinn, dass Sie sich wohl nicht einzig auf Ihre Fäuste verlassen …«

Lassiter schürzte seine Lippen. »Sie spielen auf die Schlägerei im Saloon an, nicht wahr?«

»Wissen Sie«, begann Miller, »mir ist durchaus klar, dass Bucky und seine Spießgesellen keine Samariter sind. Und wir möchten sie auch lieber heute als morgen aus der Stadt haben. Del Rio ist ein ruhiges und beschauliches Fleckchen Erde …«

Lassiter unterbrach seinen Gesprächspartner. »Worauf wollen Sie hinaus?«, stellte er eine weitere Frage und konnte sich immer weniger einen Reim auf die Anwesenheit dieses Mannes machen. Sein eigentliches Anliegen hatte er bisher noch nicht hervorgebracht.

»Nun ja«, fuhr Miller fort, »Fremde werden in der Stadt stets mit Skepsis betrachtet. Und die Bürgerwehr kann nicht überall zur gleichen Zeit sein. Da Sie gleich drei Männer vermöbelt haben, sieht man in Ihnen eine gewisse Gefahr. Man ist an mich herangetreten, um mir ein Bild zu machen – und Sie gegebenenfalls zu bitten, Del Rio zu verlassen.«

»Ich habe Geschäfte zu erledigen«, erklärte Lassiter. »Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich mich nicht länger als nötig in Ihrer Stadt aufhalten werde.«

Miller nickte flüchtig. »Sie wirken auf mich wie ein vernünftiger Mann«, sagte er. »Ich denke, ich kann meinen Eindruck vor den besorgten Bürgern plausibel vertreten. Haben Sie vielen Dank für Ihre Kooperation, Mister …«

»Lassiter«, sagte der Mann der Brigade Sieben, der sich nicht von der offenen Tür fortbewegt hatte. In Gedanken revidierte er seine Einschätzung des Besuchers. Allem Anschein nach hatte er wirklich nur sein Anliegen vortragen wollen und strahlte nun sogar nach außen merkliches Unwohlsein aus.

»Verzeihen Sie die Störung, Mister Lassiter«, verabschiedete sich Miller und wandte sich dem Ausgang zu. Als er sich auf Höhe von Lassiter befand und nur noch einen Schritt bis in den Flur machen musste, zeigte er sein wahres Gesicht.

Völlig unerwartet erhielt Lassiter einen Ellbogenstoß in die Magengrube und wurde von einem derben Faustschlag zurückgeschleudert. Er krachte gegen die Wand, konnte aber seinen Remington noch während des Aufpralls aus dem Holster reißen. Dabei blickte er in die flammende Mündung von Millers Revolver und spürte einen Lidschlag darauf den brennenden Schmerz in seiner rechten Schulter. Und hätte Lassiter nicht im letzten Moment seinen Körper zur linken Seite verlagert, hätte die Kugel unweigerlich seine Brust durchstoßen.

Zeitgleich mit dem zweiten Donnern von Millers Waffe entlud sich auch der Remington und zwang Lassiters Gegner in die Defensive. Der Kerl warf sich in den Flur, rollte sich auf der Schulter ab und feuerte auf der Stelle.

Das Türblatt des Hotelzimmers platzte unter den Einschlägen mehrerer Geschosse auf. Lassiter machte einen Satz zur gegenüberliegenden Seite des Zimmers, gab einen Schuss ab und stemmte sich rücklings gegen die Kommode. »Wer, zum Teufel, sind Sie?«, schrie er und spannte erneut den Abzugshahn des Remington.

Ein trockenes Lachen folgte. »Jemand, dem es gelungen ist, Sie zum Narren zu halten! Oder haben Sie ernsthaft geglaubt, Perez würde sich persönlich um Sie kümmern?«

Daher wehte also der Wind. Schneller als gedacht hatte Bucky geplaudert. Und postwendend war die Reaktion erfolgt. »Leider ist Ihr Plan nicht ganz aufgegangen«, versetzte Lassiter und tastete nach der Schusswunde in seiner Schulter. Das Blei war knapp über seinem Schlüsselbein durchgeschlagen.

»Noch bin ich mit Ihnen auch nicht fertig«, versicherte der Mann, der sich als Miller ausgegeben hatte. »Wenn ich einen Auftrag erhalte, führe ich ihn auch aus.«

Lassiter war sicher, dass der Kerl meinte, was er sagte. Und ebenso sicher war er, dass es seinem Widersacher bislang auch gelungen war. Die Frage war nur, wie er aus der jetzigen Situation noch einen Sieg davontragen wollte.

Lassiter schob sich ein Stück weit vor und presste sich gegen die Wand. Unter seinem Gewicht gab sie leicht nach und knirschte verhalten. Vermutlich konnte man sie mit ein wenig Anlauf spielend durchbrechen.

Noch während Lassiter der Gedanke durch den Kopf ging, erkannte er die Gefahr. Nahezu im selben Moment ließ er sich in die Hocke fallen und hörte die schmetternden Einschläge, die über seinem Schädel die Wand durchlöcherten.

Er stieß sich vom Boden ab, krachte auf den Rücken und fächerte über den Abzug seines Remington. Innerhalb von Sekundenbruchteilen leerte er die Trommel, rollte zur Seite und langte nach den Patronen in seinem Revolvergurt.

»Ach, Lassiter«, höhnte der Fremde und lud seine Waffe nach, was an einem leisen metallischen Klacken hörbar war. »Ich bin Ihnen immer einen Schritt voraus. Und im Gegensatz zu Ihnen habe ich bereits einen Treffer anbringen können.« Wieder lachte der Mann auf. »Tut es sehr weh?«

Lassiter gab keine Antwort und zermarterte sich das Hirn, wie er den Kerl überwältigen konnte. Töten wollte er ihn nicht, denn dieser Miller war die heißeste Spur, die ihn unmittelbar zu Luis Perez führen würde.

»Ich komme jetzt rein, Lassiter«, versprach der Unbekannte. »Machen Sie Ihren Frieden mit Gott, denn Sie werden ihm gleich begegnen …«

Ein Schatten flog heran, schneller, als Lassiter es für möglich gehalten hätte. Grelles Mündungsfeuer schlug ihm entgegen, begleitet vom Splittern morschen Holzes und dem kreischenden Bersten von Glas und Porzellan.

Wie durch ein Wunder fand keine Kugel ihr eigentliches Ziel, und Lassiter reagierte mit der Präzision, die einem Agenten der Brigade Sieben zu eigen war. Sein Remington brüllte auf, pflückte seinen Gegner aus der Luft und ließ ihn auf die Dielen krachen. Dort überschlug er sich und schmetterte mit einem dumpfen Schlag gegen die Wand.

Augenblicklich federte Lassiter in die Höhe und warf sich seinem Feind entgegen. Aufs Neue starrte er in die Mündung des gegnerischen Colts, doch der Hammer traf lediglich eine leere Patronenkammer.

Hart schlug Lassiter auf, riss seinen Widersacher herum und wälzte sich mit ihm über den Boden. Die Fäuste flogen, ohne dass einer der beiden Männer einen Vorteil für sich erringen konnte. Gegenseitig packten sie sich beim Kragen, zerrten sich auf die Füße und rangen miteinander.

Lassiter gelang ein krachender Hieb unter das Kinn seines Gegners, doch der Kerl ließ nicht los und revanchierte sich mit einem Kopfstüber gegen Lassiters Nase.

Das Blut schoss ihm aus dem Gesicht, doch der Brigade-Agent war es gewohnt, Schmerzen zu unterdrücken. Seine Rechte drosch auf den Angreifer ein, bis ihn der Stahl eines Colts an der Schläfe traf.

Benommen löste er seinen Griff und wankte zurück. Zu allem Überfluss traf ihn noch ein Stiefeltritt und beförderte ihn mit Wucht an das Fenster, dessen Scheiben beim Aufschlag laut knirschten.

»Verabschiede dich von der Welt«, keuchte Miller und lud blitzschnell eine einzige Patrone nach.

Lassiter hatte keine Kugel mehr im Lauf. Instinktiv rammte er seinen Ellbogen gegen das Fenster, zerschlug die Scheibe und warf sich zurück. Haltlos ging es in die Tiefe, bis er auf ein Vordach schlug, es durchbrach und in einem Splitterregen auf dem Boardwalk landete.

Innerhalb von Sekunden war er von Schaulustigen umringt, die mit offenen Mündern gafften. Mit letzter Kraft versuchte Lassiter, sich aufzurichten, doch ein scharfer Schmerz in seinem Rücken hinderte ihn daran.

Hilflos sank er in sich zusammen, in dem Bewusstsein, nun ein leichtes Opfer für seinen Gegner zu sein. Krampfhaft umklammerte er seinen Remington, war aber nicht in der Lage, ihn nachzuladen.

Ehe seine Sinne schwanden, sah er noch eine Gestalt, die sich zaghaft näherte. Ihre Konturen verwischten jedoch im Nebel seiner schwindenden Wahrnehmung.

Und dann wurde es endgültig dunkel um ihn herum.

Schlagartig fiel die Beklemmung von Zoe Jameson ab, kaum dass sie in Del Rio aus der Postkutsche gestiegen war. Einmal noch warf sie diesem widerlichen Kerl, dem sie nur das Schlechteste zutraute, einen abfälligen Blick zu und machte sich auf die Suche nach einer Unterkunft. Morgen würde man ihren Bruder bestatten, und sie war froh, noch rechtzeitig informiert worden zu sein. Unter normalen Umständen wäre das nämlich gar nicht so einfach möglich gewesen, da sie nach dem Tod ihres Mannes dessen Namen behalten hatte und das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem Bruder nicht offensichtlich war.

Der Kontakt zu ihm war eingeschlafen, nachdem sie nach Boston verzogen war. Der Liebe wegen. Ihr Mann Cliff war ein angesehener Anwalt gewesen, der darauf gedrängt hatte, dass sie zu ihm in sein Haus zog. Gerne noch erinnerte sich Zoe daran, wie sie ihn vor vier Jahren auf einer Flusskreuzfahrt kennengelernt hatte. Dieser attraktive Mann mit den weichen Gesichtszügen und dem nackenlangen schwarzen Haar hatte sie unweigerlich in seinen Bann gezogen.

Es war schon merkwürdig, wie Menschen zueinander fanden. Gerade auch noch Menschen, die sich unter normalen Umständen niemals getroffen hätten. Fast schien es wie eine himmlische Fügung, dass ihr Cliff über den Weg gelaufen war. Es musste ein Engel gewesen sein, der dafür gesorgt hatte, dass sich ihre Wege kreuzten.

Ein Märchen hatte seinen Anfang genommen. Doch es war nur vorübergehend märchenhaft weitergegangen.

Ein Stich schoss durch Zoe Jamesons Eingeweide, als sie an jenen unseligen Tag dachte, an dem sich alles schlagartig verändert hatte. Sie erinnerte sich noch genau, dass die Sonne geschienen und es ausgesehen hatte, als würde Cliff den größten Triumph seiner Karriere erringen. Dieser Banditenboss, der der Justiz ins Netz gegangen war, schien mit allen Wassern gewaschen zu sein, doch Cliff hatte sein vermeintliches Alibi Stück für Stück auseinandergenommen.

Es war ein Sieg auf ganzer Linie, den Zoe mit ihrem Ehemann in vollen Zügen auszukosten gedachte. Der Abend in diesem schicken Restaurant hätte ein unwiederbringliches Highlight ihrer gemeinsamen Zeit dargestellt. Vor ihrem geistigen Auge sah Zoe die Kapelle, die verträumte Musik spielte. Auf dem gedeckten Tisch brannte eine Kerze, und Cliff hielt ihre Hand und beteuerte ihr seine Liebe. Dann hatte er sie zum Tanz aufgefordert, hatte sie übers Parkett schweben lassen und sie zum Abschluss zärtlich in den Arm genommen.

Der Kuss, den er ihr schenkte, war unvergesslich. Aber auch das, was kurz darauf geschah. Immer noch war es wie ein Schock, wenn Zoe sich jene schrecklichen Minuten ins Gedächtnis rief, die sie für alle Zeiten von ihrem Gatten getrennt hatten.

Es war kein Attentat gewesen, das ihr Cliff genommen hatte, kein gedungener Mörder, der Rache für seinen kriminellen Anführer hatte nehmen wollen.

Tränen traten Zoe in die Augen, als sie wieder einmal die Szene vor sich sah, in der sich Cliff ans Herz gegriffen hatte. Erneut sah sie seinen verständnislosen Gesichtsausdruck, schaute ihm hilflos zu, wie er unbeholfen einige Schritte nach hinten machte, in die Knie ging und einfach umfiel.

Wie gelähmt hatte Zoe dagestanden und war erst zu ihm geeilt, als er bereits von einer Horde besorgter Menschen umringt war, von denen einer lediglich seinen Tod hatte feststellen können.

Für Zoe Jameson war eine Welt zusammengebrochen. Von einer Sekunde auf die andere hatte das Schicksal, das sie zusammengeführt hatte, seine grausige Fratze gezeigt, als wollte es sie verhöhnen.

Aus unerfindlichem Grund hatte Cliffs Herz aufgehört zu schlagen. Fast war es wie der plötzliche Kindstod, der ein junges Paar in einen Abgrund aus tiefster Verzweiflung schleuderte.

Zoe holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie durfte gar nicht daran denken, dass ihr Bruder nun ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Was für ein grausames Spiel veranstaltete der Herrscher über Leben und Tod bloß mit ihr? Machte es ihm Freude, immer und immer wieder zuzustechen und ihr die Menschen zu nehmen, die ihr mehr als alles andere am Herzen lagen? War es das Los dieser Welt, in Trauer und Gewalt zu versinken?

Zoes Bruder war keines natürlichen Todes gestorben. Soweit man ihr mitgeteilt hatte, war er einem gezielten Anschlag zum Opfer gefallen. Seine Frau und seine Tochter ebenso.

Wo war da die Gerechtigkeit? Warum mussten Hoffnung und Glück stets im Chaos enden?

Die blonde Frau straffte sich. Es hatte keinen Sinn, mit dem Schicksal zu hadern. Sie musste das, was geschehen war, hinnehmen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht. Trotzdem war es schwer, eine Situation zu akzeptieren, wenn man genau wusste, nicht Herr der Lage zu sein und ein Spielball von Kräften war, die einen auf dem Schachbrett des Lebens nach Gutdünken hin und her schoben.

Cliffs Tod hatte Zoe gezeichnet. Die Ermordung ihres Bruders war ein weiteres Signal, dass sie sich auf ihre innere Stärke besinnen musste, um nicht an den Schicksalsschlägen zu zerbrechen.

Doch genau in diesem Moment stand ihr eine weitere Prüfung bevor. Sie erkannte es glasklar, als ein Mann aus dem Fenster seines Hotelzimmers stürzte, einen Überbau des Sidewalks durchschlug und auf die Bohlen krachte.

Im ersten Augenblick war Zoe Jameson entsetzt, Zeugin eines derartigen Vorfalls zu werden. Doch sie wollte nicht stumm in der Gegend herumstehen und den Mann sich selbst überlassen. Sie warf ihre Tasche beiseite, raffte ihr Kleid und nahm die Beine in die Hand. Kurz vor dem Gestürzten verhielt sie und näherte sich mit vorsichtigen Schritten.

Der Mann musste sie gesehen haben, schien aber im selben Moment sein Bewusstsein zu verlieren. Und die Passanten standen einfach nur da und rührten sich nicht.