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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2497, 2498 und 2499.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 403
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Boada/Norma
ISBN: 978-3-7517-7698-1
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2497
Rückkehr nach Boulder City
Lassiter 2498
Sie kamen, um zu sterben
Lassiter 2499
Der Tod kennt viele Namen
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Contents
Rückkehr nach Boulder City
Immer wenn der Chinook von den Hängen des Emerald Mountain wehte, litt Joseph Harwood unter fürchterlichen Kopfschmerzen. Sie zogen vom Nacken bis zum Scheitel hinauf und verdarben dem Farmer für den Rest des Tages die Laune.
An diesem Sonntag traf es ihn besonders schlimm.
Dabei war die Harwood-Farm bereit für das Frühjahr: die trockenen Maisstauden gebündelt, die Pferde draußen auf den Plains und der Frachtwagen beim Stellmacher in Boulder City.
Doch der Chinook trieb die Finsternis in Harwoods Herz, das zu hassen gelernt hatte. Er verdüsterte die langen und bitterkalten Winternächte, in denen Harwood über seine Tochter nachgrübelte.
Ob Amanda starb oder nicht, lag allein in Gottes Hand ...
Der Chinook war der König der Winde und blies oft mit solcher Macht, dass er die Halme in den Plains plättete und die Rinder ihm den Rücken zukehrten. Er kam von den Gipfeln der Rocky Mountains und ging warm und stark über das Land, als wollte er ihm den Winter austreiben.
Die Indianer glaubten, dass die Winde Brüder waren.
Ein Stammesältester hatte Harwood einmal erzählt, dass die warmen und kalten Winde in den alten Geschichten als Brüder auftraten, die miteinander in Streit geraten waren. Der Kojote musste zwischen ihnen richten und trug einem der Winde auf, lediglich warm und sanft zu wehen.
Meist trieb der Chinook den Schnee davon.
Er schmolz die verharschten Eisplatten an den Hängen und füllte die Flüsse, die über Harwoods Land liefen. Vom Frühling kündete der Wind, obgleich Harwood den Tod in ihm sah.
Seiner Tochter Amanda war während des Chinooks fortgegangen.
Sie hatte eines Morgens ihre Siebensachen gepackt und war auf den Einspänner gestiegen, mit dem sie hinüber nach Boulder City gefahren war. Der Depotmeister der Boulder City & Carrington Railroad hatte Harwood später gesagt, dass sie den Fünf-Uhr-Zug nach Carrington genommen hätte.
An diesem Abend stand Harwood mit seinem Schwiegersohn Howard Brunswick auf der Veranda. Er rieb sich angestrengt die Stirn und lauschte dem Raunen des Chinook.
»Fünfhundert Dollar?«, wiederholte Harwood. »Du übst dich nicht gerade in Bescheidenheit.«
Als der Farmer zur Seite blickte, fiel ihm zuerst Brunswicks kantiger Schädel auf. Er hatte sich für Amanda eher einen smarten Texaner oder einen dieser hundeäugigen Ostküstenbewohner vorgestellt, aber keinen grobschlächtigen Torfkopf aus dem Mittleren Westen.
»Uns geht das Geld aus«, erwiderte Brunswick und blickte zu den wolkenverhangenen Bergen hinauf. »Ich muss dich um Hilfe bitten.«
Zumindest konnte Harwood ihm anrechnen, dass er Rückgrat hatte. Er war nämlich – im Gegensatz zu seiner Tochter – nicht zu stolz, nach Montana zu reisen und um Geld zu betteln. Es schien ihn sogar mit einem gewissen Stolz zu erfüllen.
»Wirst du einen Cent davon zurückzahlen?«, fragte Harwood und trat langsam in den Abend hinaus. Er hatte gute Erträge mit der Farm erwirtschaftet. »Oder muss ich bis zum Jüngsten Tag darauf warten?«
Das letzte Darlehen dieser Art hatte Harwood im vorletzten Jahr ausgezahlt. Es war für die Scholle Land bestimmt gewesen, die sein Schwiegersohn im Arizona-Territorium gekauft hatte. Von den vierhundert Dollar bekam er bisher jedoch nur die Hälfte zurück.
»Diese fünfhundert Dollar und die zweihundert vom letzten Mal sollst du stets erhalten«, versicherte Howard und kam Harwood hinterher. Er hatte eine Art an sich, die ihm das Gebaren eines Geschäftsmannes verlieh, obwohl er bankrott war. »Sind wir im Geschäft, Joe?«
Harwood nickte stumm und nahm die Abschiedsworte seines Schwiegersohns kaum wahr. Dieser ging nach einiger Zeit zu seinem Pferd und stieg in den Sattel.
Bald darauf war Harwood allein.
Er sah zu den umgeackerten Feldern hinüber, die sich wie blasse Tücher über die Hügel spannten und von denen der Chinook hauchfeine Staubschleier mitriss. Zudem spürte er die Kraft des Windes, den Sog in der Luft, der Dämonen heraufbeschwor.
Amanda, du ...
Niemals zuvor hatte er darüber nachgedacht, seine eigene Tochter zu ermorden. Er verabscheute bereits den kleinsten Gedanken daran. Er wollte schließlich keine Todsünde wegen Amanda begehen.
Doch Amanda brachte die Schande über ihn.
Sie hatte sich im Schutz der Nacht davongestohlen, weil sie den Jähzorn und die herrische Art ihres Vaters nicht mehr ertragen hatte. Sie war seit jeher das Abbild ihrer Mutter gewesen.
Kerry, du verdammtes Biest ...
Fast zwanzig Jahre war Harwoods Frau Kerry nun tot, und sie hatte ihm bloß Einsamkeit hinterlassen. Auch die Farm hatte sie ihm aufgezwungen, die weder Amanda noch er je gemocht hatten.
Trotzig ballte Harwood die Faust und lief tiefer in den Wind hinein.
Er spürte den Kopfschmerz heranrasen und das beißende und zwickende Echo des Chinooks, das in seinem Schädel widerhallte und ihn quälte. Er musste auf den Wind hören. Er musste tun, was ihm dieser verfluchte Föhn aus den Bergen auftrug.
William Salfield hatte ihm den Giftstrauch besorgt.
Er war Eigentümer von zwei Kähnen auf dem Blood River und hatte kürzlich die Boulder City Navigation Company gegründet. Er unterhielt Handelsbeziehungen mit sämtlichen Kolonialwarenhändlern von Montana.
Vor allen Dingen aber traute Harwood ihm.
Manchmal saßen er und Salfield im Saloon von R. S. Cough zusammen, spielten Poker und Blackjack und redeten über das Leben in den Bergen. Sie mochten beide den Westen, die ungezähmten Gebirge und Flüsse und das weite Land jenseits davon.
Der Giftzweig stammte von einem Manzanillo-Baum.
Das Gewächs aus dem Süden Amerikas verfügte über ein so starkes Gift, dass allein Regentropfen, die über die Rinde oder die Blätter rannen, die Haut eines Menschen verätzen konnten.
Dickes Packpapier umhüllte den Zweig.
Siebzig Dollar hatte Salfield für diese Gefälligkeit erhalten, und dreißig zusätzlich dafür, dass er den Mund hielt. Er und Harwood hatten die Sache per Handschlag beschlossen. Nicht ein einziges Mal hatte sich Salfield danach erkundigt, was sein Freund mit dem Zweig tun wollte.
Der Chinook war noch wärmer geworden.
Er trug in sich den Geruch von geschmolzenem Schnee, den es oben in den Bergen noch in großer Menge gab, und wehte ihn bis zum Haus hinüber. Genussvoll schloss Harwood die Augen und sog den warmen Luftstrom tief in die Lunge.
☆
Carrington, Montana, zwei Jahre später
Das Eisenbahndepot von Carrington war eine längliche Halle mit einer Kolonnade aus schlanken Marmorsäulen, zwischen denen sich Reisende und Bedienstete der Boulder City & Carrington Railroad drängten. Es war auf einer Anhöhe östlich der Stadt errichtet worden und insbesondere vor Abfahrt oder Ankunft eines Zuges kein Ort der Stille.
»Alles einsteigen für Kansas City!«, rief ein Schaffner durch die Wartehalle und schwenkte eine rote Kelle durch die Luft. Er musste an einem groß gewachsenen Mann vorbei, der lässig an einer Säule lehnte. »Alles einsteigen, bitte! Alle Reisenden für Kansas City, bitte!«
Der Mann an der Säule wollte nicht nach Kansas.
Er war bereits vor einer guten Stunde eingetroffen und hoffte darauf, dass eine Frau seinen Weg kreuzte, die er vor zwei Jahren einmal geliebt hatte. Sie war mit dem Sechs-Uhr-Dreißig-Zug gefahren und würde nach einem Träger Ausschau halten, der ihren hundertsechsundsiebzig Pfund schweren Koffer zur Postkutsche brachte.
Der Mann der Brigade Sieben war über jede Einzelheit unterrichtet worden.
Er hatte sich die Fahrzeiten der Züge notiert, mit denen Amanda Brunswick möglicherweise fuhr. Auch der Name des Mittelsmannes in Carrington, der diese Observation beaufsichtigen würde, war ihm bekannt. Ebenfalls hatte er sich das Reisekleid eingeprägt, in dem Amanda den Zug in Miles City bestiegen hatte.
Die blinde Rancherin jedoch war wie vom Erdboden verschwunden.
Sie hatte zwei Jahre zuvor eine Liebelei mit Lassiter gehabt, der die Witwe damals vor den brutalen Überfällen einer Banditenbande gerettet hatte. Die Beute der Ranchräuber sollte ein alter Aztekenschatz sein, den Amandas Gatte vor seinem Tod auf dem Ranchland vergraben hatte.
Außer einem kümmerlichen Rest des Aztekengoldes hatte man allerdings damals auf der Ranch nichts gefunden, und das, obwohl die Witwe trotz ihrer Blindheit bei den Ermittlungen der Brigade Sieben mithalf.
»Kansas City, letzter Aufruf!«, ertönte die Stimme des Schaffners abermals. »Wir fahren in zwei Minuten, Ladys and Gentlemen! In zwei Minuten!«
Endlich entdeckte Lassiter Amanda Brunswick.
Sie war in ein Gespräch mit zwei anderen Reisenden vertieft und lachte so herzerwärmend, wie es Lassiter in Erinnerung hatte. Rasch faltete der Brigade-Sieben-Mann den Boston Globe zusammen, in dem er geblättert hatte, und heftete sich der blinden jungen Frau an die Fersen.
Vor der Station der Boulder City & Carrington R. R. stand eine Droschke für die Witwe bereit.
Der Kutscher verlud den mächtigen Schrankkoffer, den Amanda bei sich führte und für dessen Transport sie dem Träger eine Münze in die Hand gedrückt hatte. Der Koffer war mit massiven Stahlbändern versehen und trug ein Etikett der Southern Pacific am Griff.
»Sir! Sir! Treten sie näher! Pferde aus Mietstall! Billige Pferde!«
Der Botenjunge eines in der Nähe befindlichen Mietstalls kam herbeigelaufen und sprang vor Lassiter herum. Er war an die eher zögerlichen Zugpassagiere gewöhnt, die aus den Metropolen an der Ostküste kamen und mit dem kargen Leben im Westen fremdelten. Der Junge wedelte schließlich mit einem Mietkontrakt in der Hand herum.
»Wie viel willst du?«, fragte Lassiter und behielt die Droschke im Auge. »Ich brauche ein gutes Tier für vier Wochen.«
»Vier Wochen?«, fragte der Junge mit großen Augen und rechnete die Tage im Kopf durch. Als ihm die Zahlen zu gewaltig wurden, gab er auf und nannte einen Preis von vierzig Dollar. »Sind Sie einverstanden? Wäre mit 'nem Sattel und zweimal Zaumzeug.«
Ohne langes Überlegen drückte Lassiter dem Jungen fünfzig Dollar in die Hand. Dann sah er kurz zu Amanda und ihrer Droschke und ging vor dem Knaben in die Hocke. »Bring mir das beste Tier, das du finden kannst! Beeil dich aber damit!«
Der Junge sauste mit flinken Sprüngen davon und verschwand im Erdgeschoss des Lambertson's Livery Stable , in dem vermutlich das Büro des Mietstalls untergebracht war. Ein rascher Blick zu Amanda verriet Lassiter, dass die Witwe noch immer mit dem Kutscher plauderte.
Blitzschnell war der Junge mit dem Pferd zurück.
Er hatte sich für einen gewöhnlichen Braunen mit schlankem Kopf und kräftigen Flanken entschieden. Der Sattel war mexikanischer Herkunft, hatte abgewetztes Leder und war mit zwei Taschen versehen, in denen sich das restliche Zaumzeug und eine Bürste befanden. Das Pferd war ruhig und zuckte nicht einmal, als Lassiter den Stiefel in den Steigbügel setzte und aufstieg.
»Vier Wochen!«, erinnerte der Junge den großen Mann. »Mr. Lambertson verzichtet auf 'ne Kaution, weil Sie zehn Dollar draufgelegt haben. Ich hab' ihm gesagt, dass Sie ein anständiger Mann sind.«
Mit einem schiefen Lächeln warf Lassiter dem Jungen eine Vierteldollarmünze zu und ritt der Droschke von Amanda Brunswick nach. Der Einspänner hatte die Station inzwischen verlassen und rollte mit ächzender Achse die Mainstreet hinauf.
Zuletzt hatte Lassiter Amanda Brunswick in Fort Yuma gesehen.
Sie hatte sich mit ihm in einer beengten Herbergskammer getroffen und es mit ihm getrieben, obgleich sie gewusst hatte, dass er nicht bei ihr bleiben konnte. Der Sex war wild und leidenschaftlich gewesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen hatte er Amanda nie vergessen.
Damals hatte die Rancherin noch um Purgy getrauert.
Der enge Freund ihres toten Gatten war einige Wochen zuvor in Lassiters Armen gestorben, als er mit dem Mann der Brigade Sieben die Ranch verteidigt hatte. Er hatte Amanda zudem nach dem Tod ihres Mannes ein geheimnisvolles Paket überreicht, in dem ein giftiger Zweig des Manzanillobaums gelegen hatte.
Letztendlich war Amanda an diesem Zweig erblindet.
Anscheinend hatte sie sich nie die Frage gestellt, von wem Purgy das Paket erhalten und mit welcher Absicht er es ihr überreicht hatte. Sie hatte sich damit zufriedengegeben, dass es eine Art Vermächtnis ihres Mannes war.
Die Droschke hielt vor dem Brayton-Hotel.
Aus dem eleganten Eingangsportal mit seinen beiden altgriechischen Säulen kamen vier Pagen herbeigelaufen und schnallten das Gepäck von der Droschke. Sie halfen Amanda aus der Kutsche und führten sie in das Gebäude.
Kaum war die Witwe verschwunden, stieg auch Lassiter aus dem Sattel.
Er fing einen der Pagen ab, der gerade dabei war, den Kutscher mit dem Einspänner wegzuschicken. Eilig drückte ihm Lassiter zehn Dollar in die Hand und wollte die Nummer von Amanda Brunswicks Zimmer wissen.
Der junge Mann sah ihn verblüfft an, raunte »Zimmer 24« und ließ die Dollars in seinen Geldbeutel verschwinden. »Von mir haben Sie es aber nicht.«
☆
Die Apotheke von Carrington war ein weitaus bekannterer Ort, als es für einen Mittelsmann der Brigade Sieben angebracht schien. Sie befand sich in der Coroner Street, keine halbe Meile von der Bahnstation entfernt, und wurde von einem Drogisten mit dem Namen Adam Munn geführt. Die wenigen Kranken in der Apotheke täuschten Lassiter nicht darüber hinweg, dass das Geschäft ansonsten gut besucht war.
Munn war ein älterer Mann mit langem grauem Haar und einer rostigen Brille auf der Nase. Er kassierte seine Käufer an einer messinggelben Registrierkasse ab, die nach jedem Abschluss ein helles Klingeln von sich gab. Als er den Mann der Brigade Sieben bemerkte, nickte er ihm zu und zog den letzten Kunden vor.
»Vier Päckchen Jod, der Herr!«, sagte Munn und tippte die Summe in die Kasse. Dann drückte er mit dem Daumen auf den länglichen Knopf darunter und ließ sich die Dollars über die Theke reichen. »Sie sollten zusehen, dass Sie wieder zu Kräften kommen, Herb. Der Winter steht bald an. Ich will Sie nicht bis zum Januar mit Medizin versorgen müssen.«
»Nun gut!«, sagte der Alte vor der Theke und steckte die Jodpackungen in die rechte Tasche seines Mantels. Er wankte aus dem Laden und zog die Tür hinter sich zu.
Mit flinken Schritten eilte Munn ihm nach und drehte das Closed -Schild am Schaufenster um. Er wandte sich wieder Lassiter zu und rieb sich gespannt die Hände. »Wie läuft es mit der Beschattung, Mr. Lassiter? Ist Mrs. Brunswick inzwischen eingetroffen?«
»Seit vier Stunden«, erwiderte Lassiter pflichtbewusst und betrachtete die Dosen Costa-Rica-Kaffee , die vor ihm in der Auslage standen. »Wie steht es um meinen Auftrag? Gibt es eine Antwort vom Hauptquartier?«
Der Apotheker marschierte quer durch den Laden und zog den Vorhang des hintersten Schaufensters zur Seite. Dahinter lagen Lederhandschuhe und Unterhemden, die er mit einem Seufzen richtete. »Man hat mir aufgetragen, Sie auf eine heikle Mission zu schicken. Es hat den Anschein, als wäre Mrs. Brunswick nicht ohne Grund in Montana.«
»Sie hat nie etwas ohne Grund getan«, sagte Lassiter und öffnete eine der Dosen. Der Kaffee darin roch aromatisch und zugleich kräftig. »Mrs. Brunswick mag blind sein, aber sie hat einen starken Willen. Ich gehe davon aus, dass sie nicht aus Langeweile nach Carrington gekommen ist.«
»Nein«, sagte Munn und schüttelte den Kopf. Dann ging er wieder hinter den Tresen und holte ein braunes Kuvert darunter hervor. Es war auf einer Seite mit einem Siegel versehen, welches der Apotheker mit einem Brieföffner aufhebelte. »Ich muss Sie dennoch vor dieser Mission warnen. Sie ist gefährlich und könnte Sie das Leben kosten.«
Der Kaffee roch immer noch verführerisch. »Jede meiner Missionen könnte mich töten. Ich kämpfe für die Gerechtigkeit und die Regierung dieses Landes. Ich darf meine Pflicht nicht aus Furcht oder Sorge vernachlässigen. – Brühen Sie mir einen starken Kaffee auf?«
Erfreut nickte Munn und nahm dem Mann der Brigade Sieben die Kaffeedose aus der Hand. Er trug sie zur Handmühle hinüber, die in einer Ecke des Regals hinter dem Tresen stand. »Die Regierung glaubt, dass Mrs. Brunswick noch immer hinter dem Aztekenschatz her ist, der vor zwei Jahren verschwunden ist. Er ist inzwischen von größter Bedeutung in den diplomatischen Verhandlungen mit dem spanischen König.«
Mit einem Stirnrunzeln trat Lassiter an die Verkaufstheke und stützte sich darauf ab. »Sie hat mir damals erzählt, dass ein Teil des Schatzes in Boulder City sei. Sie hat allerdings nie herausgefunden, ob und wo ihr Mann den Schatz hier in Montana versteckt hat.«
»Das Gold ist irgendwo in Montana«, erklärte Munn und drehte die Kurbel der Handmühle. Das Mühlwerk knirschte und gab die grob gemahlenen Kaffeebohnen preis. »Dem Hauptquartier liegen Briefe von Mrs. Brunswick vor, die belegen, dass sie längst eine Spur zu dem Schatz hat. Sie will offenbar mit ihrem Vater sprechen, der bei Boulder City eine Farm hat.« Er stellte das Mahlen ein. »Der Vater leidet an einer Geistesverwirrung und dürfte sie kaum erkennen.«
Die Falten auf Lassiters Stirn blieben. »Worüber sorgt sich das Hauptquartier dann? Sie wird nichts von einem Mann herausfinden, der ihr nichts sagen kann.« Lassiter nahm das Kuvert zur Hand. »Die bisherige Observation war damit nutzlos.«
Routiniert griff der Apotheker nach einer Keramikschüssel und füllte den gemahlenen Kaffee um. Er trug ihn zur Kanne hinüber und schüttete das grobe Pulver hinein. »Die Observation war keinesfalls umsonst. Der Präsident lässt sich täglich darüber informieren, wo sich Mrs. Brunswick aufhält. Er betrachtet den Aztekenschatz als Teil der nationalen Goldreserven.«
»Sie wird nichts finden«, blieb Lassiter bei seiner ablehnenden Haltung. Er ging den Inhalt des Kuverts durch, in dem sich Berichte und Gesprächsprotokolle fanden, die allesamt Mrs. Brunswick zum Inhalt hatten. Eines der Dokumente beschrieb Lassiters eigenen Einsatz auf der Brunswick-Ranch vor zwei Jahren. »Aber ich bleibe gern an ihr dran.«
Steif drehte sich der Apotheker nach ihm um, während er mit der Kanne hantierte und sie auf den Ofen setzte. »Sie müssen uns über sämtliche Verbindungen aufklären, die Mrs. Brunswick in Montana unterhält. Sie soll sich einen Geliebten halten, der sie offenbar ermutigt hat, die Suche nach dem Schatz erneut aufzunehmen.«
»Sie ist unverheiratet geblieben?«, erkundigte sich Lassiter und las einen der Berichte durch. Er war von einem Informanten in Arizona verfasst worden und drehte sich um die Brunswick-Ranch. »Sie hatte damals solchen Zorn auf ihren Mann, dass sie sich um ihre ganze Ehe betrogen fühlte. Sie glaubte, dass ihr Mann sie hatte erblinden lassen.«
Das erste Telegramm aus dem Hauptquartier hatte Lassiter schon vor Wochen erhalten. Es hatte ihn damit beauftragt, eine Frau zu beschatten, der er schon vor Jahren einmal begegnet war. Als man ihm in einem zweiten Telegramm den Namen von Amanda Brunswick mitgeteilt hatte, war er dennoch verblüfft gewesen.
»Sie hatte unzählige Liebhaber«, lautete Munns Antwort, die aufgrund des kochenden Kaffeewassers schlecht verständlich war. »Sie sind ermächtigt worden, selbst das Private dieser Frau aufzuklären und an die Regierung zu übermitteln. Der derzeitige Liebhaber von Mrs. Brunswick ist ein gefährlicher Italiener. Er soll Tausende von Dollars beim Glücksspiel mit einem Diplomatensohn gewonnen haben.«
»Die Sache ist also in doppelter Hinsicht brisant«, meinte Lassiter und verschloss das Kuvert wieder. Er steckte es unter die Jacke und ging zu Munn hinüber. »Er könnte der Regierung nicht nur eine peinliche Enthüllung bescheren, sondern sich zusätzlich an den nationalen Goldreserven bedienen.«
»Das haben Sie trefflich zusammengefasst«, freute sich Munn und nahm den Deckel der Kaffeekanne herunter. »Die Regierung erwartet in weniger als einer Woche einen Bericht von Ihnen. Sie erhalten sämtliche Geldmittel, die Sie benötigen.« Lassiter lächelte. »Lediglich der Kaffee wird noch etwas auf sich warten lassen«, fügte Munn mit einem Schmunzeln hinzu.
Das Kuvert in der Jacke wog so schwer, dass Lassiter es wieder herausnahm und auf die Theke legte. Er mochte Munn auf Anhieb und hätte es bedauert, mit diesem aufrechten Mann keinen Kaffee zu trinken. »Ich habe Zeit, und Sie könnten mir ein wenig mehr über den verwirrten Vater von Mrs. Brunswick erzählen.« Er deutete mit dem Kinn zu Munn. »Immerhin sind Sie Apotheker.«
☆
An diesem Morgen war Vito Ginocchio der Vergebung seiner Sünden so nahe wie nie zuvor.
Der Italiener mit seinem pechschwarzen Kraushaar und dem gestutzten Oberlippenbart sprang die Stufen zur ersten Etage des Brayton-Hotels hinauf und klopfte mit Nachdruck an die goldverzierte Tür von Zimmer No. 24. Er hielt eine einzelne Seidenrose in der Hand, die ihm eine patente Blumenmacherin aus der Allen Street besorgt hatte.
»Vito?«, meldete sich drinnen eine weibliche Stimme. »Bist du es? Bist du es, mein geliebter Vito?«
» Si, Signora! «, rief Vito und konnte es kaum erwarten, dass ihm Amanda Brunswick die Tür aufschloss. Er hatte die schöne Witwe seit Wochen nicht gesehen. »Du musst mich endlich reinlassen!«
Die Witwe mit dem hellblonden Haar trug lediglich ihren Morgenmantel, der ihre zierliche Gestalt eher betonte als verhüllte, und lehnte entspannt mit dem Arm am Türrahmen. »Wo hast du nur gesteckt? Ich sterbe ohne dich, Vito.«
Nach einem kurzen Schweigen nahm Vito die Rancherin in die Arme und küsste sie. Er hob sie mit beiden Händen hoch, trug seine Beute ins Zimmer und warf sie aufs Bett. Ehe Amanda protestieren konnte, hatte er das Hemd ausgezogen und die Samtblume in ihre Hände gelegt.
» Ciccina! «, flüsterte Vito und legte die Finger seiner blinden Angebeteten um die Blütenblätter. »Du hast keine Vorstellung, wie ich dich vermisst habe.«
Auf Amandas schmalem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. » Ciccino! Mir war schon in Kansas City so traurig zumute. Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen.«
Zärtlich kleideten sie einander aus, und bald darauf lag Amanda nackt und mit gespreizten Beinen unter ihrem Liebhaber. Sie drängte den Unterleib gegen ihn, legte ihm den Arm um die Schultern und flüsterte ihm kleine Unanständigkeiten ins Ohr.
»Wie schön du bist!«, wisperte Vito und dachte an ihre Nacht im Eastern Inn zurück. Sie hatten fest umschlungen auf einem Diwan gelegen. »Gegen dich ist jede andere Frau eine Vogelscheuche, Liebes!«
Sie liebten sich eine Weile behutsam, dann stieß Vito fester und härter zu und stöhnte dabei. Er drückte Amandas Hände in die Kissen, gerade brutal und ungezügelt genug, so dass die Rancherin aus Arizona auf ihre Kosten kam. Sie feuerte ihn am Ende sogar an.
»Nicht nachlassen!«, hauchte Amanda, als Vito kurz vor seinem Höhepunkt war. Sie schlug mit der Faust auf seine rechte Hinterbacke, so erregt war sie seinetwegen. »Du ... musst ... du musst weitermachen, los!«
Schwitzend und keuchend hielt Vito noch eine gute Minute aus, bevor sich die Natur Bahn brach, durchaus im wörtlichen Sinn, wie das Paar danach anhand des durchnässten Lakens feststellte.
Erschöpft lagen sie danach nebeneinander.
Aus der Küche des Brayton-Hotels drangen unerwartet die Rufe der Dienstmägde herauf, die sich um eine Kartoffelschüssel stritten. Vito konnte in diesem Moment, auch trotz der reizenden Frau, die neben ihm im Bett lag, nur an den Beweggrund denken, der ihn nach Montana gebracht hatte.
»Morgen fahren wir!«, kam ihm Amanda mit ihrer Antwort zuvor. Sie wusste stets, was in Vito vorging. »Ich habe herausgefunden, wo sich mein Vater aufhält. Er ist noch auf der Farm.«
»Auf der Farm?« Vito stützte sich mit dem Arm auf und betrachtete Amanda. Sie glich einem Engel, wenn sie so müde dalag und ihre blinden Augen weiß wie Elfenbein waren. »Du willst zur Farm zurück? Er könnte das Gold überall haben.« Er strich Amanda über die Schulter. »Ich meine, Howard könnte es überall vergraben haben.«
»Es ist nicht vergraben«, sagte Amanda in kühlem Ton. Sie mochte es nicht, dass ihre Gespräche so oft um das Gold gingen. »Redest du über nichts anderes mehr?«
Vito zog die Hand zurück und legte sich betrübt auf den Rücken. Er begriff nicht – oder wollte nicht begreifen–, dass Amanda diese eine Sache nahezu gleichgültig war. Früher hatte sie zudem oft von ihrem Vater und ihrem verstorbenen Mann geredet, als sie einander begegnet waren. Doch nun musste er feststellen, dass sie inzwischen auch Gespräche über die beiden, so gut sie nur konnte, vermied.
Das Gold wäre ein Segen für sie alle.
Sie würden den irrsinnig gewordenen Alten erlösen, der mit Dollars so viel anfangen konnte wie mit einer Schale Hafergrütze. Zugleich würden sie Amanda endlich den Wohlstand zukommen lassen, den sie nach all den Schicksalsschlägen verdiente. Überdies würden Sie Vater und Tochter von einer Bürde befreien.
Nicht zuletzt bekäme Vito endlich seine Generalabsolution.
Er hatte jene Sorte Schuld auf sich geladen, von der ihn kein Geistlicher freisprechen wollte: die Schuld der Wollust und des Mordes. Fast zwanzig Jahre war es nun her. Er hatte Erlösung in der Bibel gesucht, bei den Schamanen der Ute-Stämme und bei den Quäkern in Pennsylvania.
Niemand hatte Vito helfen können.
Einzig Bruder Clement hatte sich bereiterklärt, ihm eine Generalabsolution auszustellen. Er musste dem Spiritanermönch aus Kansas City nur den Aztekenschatz beschaffen, damit dieser ihn an Priester im Vatikan oder sonst jemanden verkaufen konnte.
Verrichte ein Werk Gottes ...
»Nein«, sagte Vito und wusste, dass er Amanda damit belog. Er war vermutlich allein des Goldes wegen in Carrington. »Ich will nur, dass du glücklich bist. Dass dich nichts bedrückt, Ciccina. «
Sie küssten einander und standen nach einer Weile auf, um sich wieder anzuziehen. Die ganze Zeit über redete Amanda jedoch kein Wort, entzog sich seinen Berührungen und tastete sich durch das fremde Hotelzimmer. Sie hatte sich einen Stock zugelegt, mit dem sie erstaunlich gut um Hindernisse herumkam.
»Amanda«, sagte Vito nach einer Weile und war in Gedanken trotzdem bei Bruder Clement. Der Mönch hatte ihm eine Frist bis zum nächsten Sonntag gesetzt. »Du sollst dich meinetwegen nicht so aufregen. Ich will ... Ich möchte nur ...«
»Du möchtest nur das Gold«, beendete Amanda seinen Satz und schluchzte leise. Sie steckte sich das blonde Haar hoch und nahm vor dem Schminktisch Platz, der auf so absurde Weise unnütz für sie war. »Ich hätte dir nie davon erzählen dürfen.«
Genau genommen hatte sie Vito nie davon erzählt.
Als Händler und alleiniger Eigentümer des Italian Store in Kansas City, in dem es Hüte, Schuhe sowie Tabak gab, war er ans Zuhören gewöhnt. Er bekam oft Besuch von einer Immigrantenfamilie, die von ihm alles wollte, was sie aus der Heimat kannte.
Eher beiläufig hatte Amanda das Gold erwähnt.
Sie hatte von dem geheimnisvollen Federal Marshal gesprochen, der auf ihrer Ranch in Arizona aufgetaucht sei und ebenfalls nach dem Aztekengold gefragt hätte. Sie hatte von ihrem Mann berichtet, der sieben gusseiserne Schmortöpfe voll Gold vergraben hätte, von denen aber jeder nur zu einem Drittel gefüllt gewesen sein sollte.
Das restliche Gold sei auf der Farm ihres Mannes.
»Du hast dich richtig entschieden«, sagte Vito und spürte, dass er damit nur Wasser auf Amandas Mühlen gab. Sie würde ihm nicht glauben. »Ich will dir nur helfen, zu dem Geld zu kommen, das dir längst gehört.«
Entrüstet schüttelte Amanda den Kopf. »Niemand will das. Vito, hörst du? Niemandem geht es nur um mich.«
☆
Eben erst hatte Lassiter den Streit zwischen Amanda und ihrem italienischen Liebhaber mitbekommen, als ihn ein Zimmermädchen des Brayton-Hotels zwang, seinen Lauschposten aufzugeben. Er hatte sich im Nachbarzimmer von No. 24 eingemietet, die nur eine dünne Ziegelmauer von seinem Quartier trennte. Das Zimmermädchen jedoch machte keinen Unterschied.
»Immer raus aus den Federn!«, rief die junge Farbige und strahlte über beide Wangen. »Ich muss sonst in Ihrer Anwesenheit für Ordnung sorgen! Werd' schließlich bezahlt für das Zimmer, werter Herr!«
Das Mädchen ging mit solchem Feuereifer ans Werk, dass Lassiter nicht dagegen protestieren konnte, ohne seine Tarnung als Handelsreisender aufs Spiel zu setzen. Er hatte den Hotelangestellten zehn Dollar Trinkgeld dafür gegeben, dass sie seine Zimmertür immer verschlossen hielten.
Verdrossen griff Lassiter nun nach dem Kuvert aus dem Hauptquartier.
Er nahm einige Seiten daraus hervor, die Vito Ginocchio betrafen, und stellte fest, dass die Liaison zwischen dem Italiener und Amanda Eifersucht in ihm weckte. Er hatte nichts übrig für die Rancherin, aber auf irgendeine Weise war ihm, als wäre ihre Affäre von damals noch nicht beendet.
Ginocchio, Vito: Händler und Ladenbesitzer.
Die Witwe hatte sich in einen windigen Geschäftsmann verliebt, der krumme Geschäfte und getürkte Lieferungen veranlasste, und vor einigen Jahren ein paar Monate im Zuchthaus verbracht hatte. Er war später zum Vorsitzenden der Salesmen Union geworden, die sich in Kansas City für geringere Steuern einsetzte.
Ein unbeschriebenes Blatt war Vito nicht, allerdings auch kein dicht beschriebenes.
Er war auf eine Weise harmlos, die Amanda nicht schaden konnte, solange sie nichts von seiner Vergangenheit wusste. Er würde sie nicht hereinlegen, wie es Paul Ransack in Arizona getan hatte, der Amanda in einen mörderischen Strudel aus List und Verrat gezogen hatte. Bei Vito war sie in dieser Hinsicht besser aufgehoben.
»Noch einen Drink?«, fragte das Zimmermädchen und hielt die halbleere Flasche Bourbon hoch, die sie auf dem Nachttisch gefunden hatte. »Ich könnte Ihnen einen guten Bourbon aus unserem Hauskontor bringen. Das Brayton-Hotel hat exzellente Verbindungen zu allen Likörhändlern in der Stadt.« Sie lachte. »So muss ich's Ihnen sagen.«
Der Mann der Brigade Sieben winkte ab und hoffte, dass das Mädchen damit schneller fertig wurde. Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Kuvert, das ebenso Informationen über Joseph Harwood enthielt, den Vater von Amanda.
Harwood, Joseph: Farmer und früheres Ratsmitglied.
Einer der Informanten aus Carrington schrieb, das Harwood eine hervorragende Politik für die Farmen des Umlands gemacht hätte und man ihm in jeglicher Hinsicht getraut hätte. Der nächste Abschnitt jedoch zeichnete das Bild eines geistig umnachteten Greises, der wirres Zeug redete und seiner Tochter den Tod an den Hals wünschte.
... dass Amanda sterben möge ...
Mit flinken Handgriffen wechselte das Zimmermädchen das Laken aus, auf dem Lassiter höchstens eine Stunde oder zwei geschlafen hatte. Die übrige Zeit hatte er dem Kuvert gewidmet. Das Hauptquartier hatte sämtliche Abschriften zusammengestellt, die für die Mission nötig waren.
»Noch etwas, Sir?«, fragte das Mädchen und verbarg den Staubwedel aus Straußenfedern hinter dem Rücken. »Das Brayton-Hotel wäre erfreut, Ihnen einen angenehmen Aufenthalt bereiten zu können und Ihnen selbst den kleinsten Wunsch erfüllen zu dürfen.«
... dass Amanda sterben möge ...
Noch in Gedanken bei Amanda und dem Kuvert, überließ Lassiter der Farbigen ein üppiges Trinkgeld und bat sie um eine Liste der Droschkenkutscher in der Stadt. Er musste herausbekommen, ob und wann Amanda und ihr Liebhaber zur Harwood-Farm wollten.
»Kommt sogleich!«, versprach das Mädchen und eilte in den Gang hinaus. Sie klopfte beim nächsten Gast, ehe die Tür zu Lassiters Zimmer zufiel.
Aus dem Zimmer No. 24 dagegen waren wieder eindeutige Geräusche zu vernehmen.
Der Italiener und Amanda hatten es drei oder vier Stunden in der Nacht getrieben, und Lassiter hatte deswegen Höllenqualen gelitten. Er sehnte sich nach weiblicher Gesellschaft, nachdem er fast fünf Wochen in den sumpfigen Mangrovenwäldern Floridas zugebracht hatte. Sein letztes Rendezvous lag eine Ewigkeit zurück.
Der Dienst für die Brigade Sieben ging jedoch vor.
Nach längerer Suche fand Lassiter oberhalb des Riegelbalkens in der Wand eine Öffnung, durch die er ins Nebenzimmer spähen konnte. Im matten Schein einer Kerze machte er die nackte Amanda aus, die sich unter den Liebkosungen des Italieners rekelte. Sie stöhnte leise und hatte eine Hand in den Haaren ihres Liebhabers vergraben.
Auf dem Tisch lagen Vitos Waffen.
Die beiden Colts steckten in einem punzierten Holster mit glänzenden Nieten und waren, soweit Lassiter es erkennen konnte, bis auf den letzten Patronenschacht geladen. Die Spannhähne waren stumpf, was darauf hindeutete, dass Ginocchio sie nicht regelmäßig benutzte.
Das Gepäck des Geschäftsmannes setzte sich aus einer einzelnen Ledertasche und einem Koffer zusammen, wobei Letzterer deutlich kleinere Ausmaße als Amandas Schrankkoffer aufwies. Der Italiener hatte seine Kleider aus dem Koffer genommen und fein säuberlich auf einen Stuhl geschichtet.
»Hör auf!«, hauchte Amanda plötzlich und schob Vito von sich. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und griff schamhaft nach einer Decke, hinter der sie sich versteckte. »Es liegt nicht an dir. Ich muss an meinen Vater denken.«
Verdutzt stand Vito auf und wickelte sich Amandas Kleid um die Hüfte. Er steckte es fest, lief zur Kommode in der Ecke hinüber und griff nach einem weingefüllten Kristallglas. Dieses setzte er zu einem langen Zug an und stellte es danach wieder beiseite.
»Bist du zornig auf mich, Vito?«, fragte Amanda und stürzte das Gesicht in die Hände. »Du hättest alles Recht dazu. Ich darf dich nicht dafür verantwortlich machen, dass mein Vater ein Dreckskerl ist.«
Kaltschnäuzig prostete Vito ihr zu, als hätte er einen solchen Streit schon öfter mit Amanda ausgefochten. Dann fegte er mit einem kräftigen Tritt alle seine Kleider vom Stuhl und setzte sich ruckartig hin. »Du musst dich entscheiden, Amanda. Du musst dich entscheiden, ob du auf meiner Seite bist oder nicht.«
Doch Amanda weinte nur.
Nach etlichen Schluchzern stand sie auf, tastete sich mit ihrem Stock zum Fenster der Suite hinüber und legte eine Hand an die Glasscheibe. Mit einer langsamen Bewegung strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und brauchte lange, um sich wieder zu fassen.
»Man wartet nicht ewig auf mich«, sagte Vito in strengem Ton. »Ich muss das Aztekengold liefern, bevor der Monat herum ist. Es steht viel auf dem Spiel.« Er sah sich nach seiner Geliebten um. »Du musst dich entscheiden, Amanda.«
Die Entgegnung der blinden Witwe kam so leise, dass Lassiter sie fast nicht verstand.
»Ich weiß«, sagte die Rancherin aus Arizona. »Ich weiß, Vito.«
☆
Die verwinkelten und dunklen Gänge des Saint-Vincent-Klosters an der nördlichen Stadtgrenze von Harlowton hatten Will Hayes stets Unbehagen bereitet. Er hatte sie selten mit Freude betreten. Dies allein schon ihres muffigen Geruchs und der religiösen Strenge wegen, die jedem Gast unweigerlich entgegenschlugen. Hayes konnte sich auch an diesem Morgen eines solchen Gefühls nicht erwehren und wollte das Ganze möglichst schnell hinter sich bringen.
Bruder Clement sah dem Schmuggler den inneren Unfrieden an.
Der Spiritanermönch kam den langen Kreuzgang, in dem Hayes seit einer halben Stunde wartete, heruntergeschritten und lächelte seinem weltlichen Besucher zu. Er begrüßte Hayes mit dem üblichen Segenswunsch und führte ihn in eine angrenzende Kapelle. Dort brannten viele Kerzen. Ein Weihrauchschälchen schwelte vor sich hin, was dem Raum eine spirituelle Aura verlieh.
»Sie kommen spät«, sagte Hayes tadelnd und rückte seine Weste zurecht. Er war am Vorabend aus Kansas City gekommen. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Sie gute Nachrichten für mich haben. Die Blockade der Atlantikdampfer seitens der spanischen Regierung ist nämlich längst in Kraft.«
Der Mönch hob beruhigend die Hände und lehnte sich über die Kirchenbank. »Sie müssen sich keine Sorgen machen, Mr. Hayes. Unser Geschäft und unser Abkommen stehen felsenfest.« Er grinste. »Ich erwarte das Gold in der nächsten Woche.«
Seitdem Hayes mit dem Ordensbruder in geschäftlicher Verbindung stand, hatte sich sein Blick auf die Geistlichkeit verändert. Er sah sie nicht länger als fromme Psalmenleser, die jeden Sonntag auf die Kanzel stiegen. Er sah in ihnen vielmehr Verbündete, denen es um das Ansehen und den Reichtum ihrer Kirche ging.
»All das Gold?«, fragte Hayes und ließ seinen Blick über den Silberkelch auf dem Altar und das mit Schnitzereien verzierte Fenster schweifen. Hinter dem Bleiglas holperte ein Brauereiwagen vorüber, dessen Kutscher ausgelassen fluchte. »Oder gibt es wieder nur einen Bruchteil davon? Sie hatten mir einen Aztekenschatz versprochen, der in Italien einzigartig ist.«
Die letzte Wagenladung von Bruder Clement hatte Hayes in Kansas City gesichtet, und war darüber mehr als enttäuscht gewesen. Statt des erwarteten alten Goldschmucks, für den Priester und andere Würdenträger in Europa mit Dollars nur so um sich warfen, hatten in den Kisten lediglich ordinäre Goldbarren gelegen.
»Keine Barren diesmal!«, beteuerte der Ordensbruder und faltete die Hände vor dem Bauch. Er trug eine schmutzige Kutte, die über der Hüfte mit einer Kordel zugebunden war. »Mein Mann in Montana erhält das Gold aus erster Hand. Es hat einmal der amerikanischen Regierung gehört und gilt seit zwei Jahren als verschollen. Ich bürge für diesen Schatz, Mr. Hayes.«
»Bei Ihrem Gott?«, fragte Hayes spitz und wies zum Altarkreuz hinüber. Er traute keinem Gott und keinem Propheten, nur der menschlichen Gier. »Schwören Sie es auf den Namen Ihres Gottes?«
»Man soll Gottes Namen nicht schmähen«, gab der Mönch ausweichend zur Antwort. »Ich muss mich gedulden, bis der Schatz bei mir ist. Es liegt an einer blinden Frau, die ihren Vater überzeugen muss.« Er atmete tief durch. »Es könnten nur noch ein paar Tage verstreichen.«
»Uns bleiben keine Tage mehr«, sagte Hayes so laut, dass seine Stimme in der Kapelle widerhallte. Er fragte sich, wie ein Mönchsorden in der Lage war, ein solches Kloster mitten im staubigen Westen zu errichten. Die meisten Siedler in der Gegend brachten es gerade auf ein Grassodenhaus. »Man lässt uns höchstens noch Stunden, Bruder.«
Der amerikanische Präsident hatte am Tag zuvor Verhandlungen mit dem spanischen Königshaus aufgenommen, in denen es um die bevorstehende Seeblockade ging. Die meisten Atlantikgesellschaften schränkten bereits die Frachtmengen ein, mit denen sie ihre Dampfer beluden.
»Wie viele Stunden bleiben uns?«, fragte der Bruder mit einer stoischen Gelassenheit, die Hayes allmählich in Wut versetzte. »Ich werde jemanden nach Boulder City schicken, der sich der Sache annimmt. Ich denke, dass ich –«
»Nein, Bruder Clement!«, fuhr Hayes den Ordensmann an. »Du schickst niemanden, du beauftragst niemanden, du lässt niemanden zu dir kommen. Du wirst dir einen gottverdammten Colt unter die Kutte schnallen und dich selbst darum kümmern.« Er packte Bruder Clement bei der Kutte. »Hast du mich verstanden?«
Sekundenlang herrschte Totenstille in der Kapelle des Spiritanerordens.
Aus Bruder Clements matten Augen sprang Hayes die Furcht entgegen. Der Schmuggler ließ den Mönch los, sank in die Bank und gab einen langen Seufzer von sich.
»Es gibt Zeiten des Friedens und Zeiten des Krieges«, sagte Bruder Clement und setzte eine listige Miene auf. »Ich brauche einen zuverlässigen Colt, wenn ich meinem Geschäftspartner Beine machen soll. Ich brauche einen Colt, der auch einen Gottesmann feuern lässt.«
»Um Gottes willen«, stieß Hayes hervor und war gleichzeitig wie elektrisiert. Er richtete sich in der Bank auf und sah Bruder Clement an. »Meinst du es ernst? Willst du die Sache in die Hand nehmen?«
Auf einem Jahrmarkt in Illinois hatte Hayes schon einmal einen bewaffneten Mönch gesehen, doch er hatte den Verdacht, dass es ein Schausteller gewesen war, der die Sensationsgier der Meute bedient hatte. Der schiere Gedanke eines Revolvers unter der Ordenskutte war absurd und lächerlich.
Bescheiden erhob sich Bruder Clement und verschwand im Gang des Klosters. Er ließ Hayes eine Viertelstunde allein und kehrte danach mit einem Kasten zurück, der mit einem rostigen Vorhängeschloss versehen war. Er öffnete das Schloss und schlug den Deckel auf.
Unter dem Deckel lagen zwei französische LeMat-Revolver.
Sie waren mit einer Patronenzündung des Büchsenmachers Casimir Lefaucheux ausgestattet und vermochten neun Schüsse pro Trommel abzugeben. Die Läufe waren mit Schrammen und Kerben übersät.
»Gütiger Gott!«, knurrte Hayes und nahm einen der Revolver heraus. Er wog ihn in der Hand und schätzte sein Gewicht auf drei Pfund. »Woher hat ein Orden solche Waffen? Zieht ihr in den Krieg gegen den Vatikan?«
Der Ordensbruder übergab Hayes den Kasten und geriet in Aufregung. »Nicht gegen den Vatikan, Mister Hayes. Aber gegen einige Leute in der Gegend, die uns loswerden wollen.« Er lächelte. »Im Westen muss man gerüstet sein, nicht wahr?«
Hayes zückte einen der Revolver und legte auf die Bleiglasfenster an. Er spannte den Abzug und ließ den Spannhebel wieder zurückspringen. »Kannst du damit umgehen? Du oder einer deiner anderen Brüder?«
Mit einer geschmeidigen Bewegung schlug Bruder Clement eine der .42er-Patronen aus der Trommel, zeigte sie Hayes und schob sie wieder in den Schacht. Er zog den Spannhahn und legte einen Finger an den Abzug. »Was denken Sie, Mr. Hayes?«
☆
Aus dem Tutt's Saloon in Boulder City konnte man die Mainstreet auf ihrer ganzen Länge einsehen, bis hinunter zur Eisenbahnstation der Boulder City & Carrington Railroad. Die Tische des Tutt's waren mit Minenarbeitern bevölkert, die weiter hinauf in die Berge wollten und vorher den letzten Bourbon zusammen tranken. Am Klavier saß ein rauschbärtiger Alter, der mit Kraft in die Tasten schlug und dazu laut sang.
Der Mann am hinteren Fenster nahm keine Notiz vom Geschehen im Saloon.
Angespannt folgte er mit dem Blick einem jungen Paar, das draußen an den Droschkenkutschern vorbeischlenderte und bei einem von ihnen stehenblieb. Er ließ sich einen Likör bringen und trank das Glas in einem Zug aus.
»Noch einen Drink, Sir?«, fragte das Saloonmädchen und nahm das leere Glas wieder an sich. »Oder eher ein Abendbrot?«
»Nein zu beiden«, sagte Lassiter und schob einen Silberdollar über den Tisch. »Sie kümmern sich allerdings rührend um mich.«
Schon gegen fünf Uhr am Morgen war der Mann der Brigade Sieben in Boulder City eingetroffen und hatte sich nach Amanda Brunswick und Vito Ginocchio erkundigt. Das Paar hatte den Nachtzug von Carrington genommen und war etwa zur gleichen in der Stadt gewesen wie Lassiter.
Die Witwe stritt sich wieder mit ihrem Liebhaber.
Sie hatten sich zuerst auf den Stufen vor ihrem Hotel angeschrien, danach in der Mainstreet, bis sich einige Ehepaare nach ihnen umgedreht und missbilligend die Köpfe geschüttelt hatten. Der Spaziergang zu den Droschkenkutschern mochte Amandas Friedensangebot sein, oder es ging bereits darum, wie sie hinaus zur Harwood-Farm kamen.
Als das Gespräch mit dem Kutscher länger dauerte, fasste Lassiter den Entschluss, dass er etwas davon mitbekommen musste.
Nachdem er sich in Florida einen dichten Bart hatte wachsen lassen, sorgte er sich nicht darum, dass ihn jemand erkannte. Er fiel unter den hunderten Minenschürfern, die keine Zeit oder kein Faible für ihr Äußeres hatten, nicht im Mindesten auf. Die Rancherin war ohnehin blind, und Vito war zu beschäftigt mit seiner eigenen Eitelkeit, um sich an jemandem zu stören, der ihm möglicherweise schon in Carrington begegnet war
Der Droschkenkutscher neben den beiden war mürrisch und wenig gesprächig.
»Vier Dollar?«, erregte sich Vito und warf die Arme in die Luft. » Va bene , das war's, Amanda! Er will uns ausnehmen wie zwei Weihnachtsgänse! Ich geb' diesem Beutelschneider keinen Cent. Er ... er ...«
»Was?«, erwiderte der Kutscher mit tiefer Stimme. Er verzog den Mund zu einem Grinsen. »Was willst du machen? Mir dein gottverdammtes Fäustchen in die Fresse schlagen?«
Der Kutscher und Vita zankten sich eine Weile darüber, ob und wie man einen Italiener in geeigneter Weise beleidigte, bis sich Amanda entnervt abwandte und ein Stück die Mainstreet hinauflief. Der Mann der Brigade Sieben folgte ihr hinter zwei Flaneuren, die sich angeregt über die frisch eingetroffenen Fünf-Cent-Zigarren von Pope & O'Connor unterhielten.
Eine Weile später kam Vito Amanda nach und griff sie beim Arm. »Wohin willst du? Wieso lässt du mich allein? Dieser ... dieser Diavolo wollte uns schröpfen! Willst du ihm zu viel bezahlen?«
Die Rancherin schüttelte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. Sie war einige Male angerempelt worden, meist von Männern, die nicht erkannt hatten, dass sie blind war. »Ich will nirgendwo hin, Vito! Diese ganze Sache wird ein Missgeschick werden. Ich denke nicht, dass mein Vater sich darüber freut.«
Sie ließen eine Gruppe Braugehilfen durch, die mitten in einem Spiel waren, bei dem sie reihum Zündhölzer aus einer Schachtel ziehen mussten. Einer der Jungen zog das längste Holz, einer das kürzeste, und ihre Gefährten verspotteten sie dafür.
»Du lässt es nicht gut sein!«, rief Vito und wurde laut. »Du schleppst uns in dieses abgelegene Kaff und fängst mit dem Zweifeln an! Ich weiß nicht, was ich von dir noch halten soll!« Er senkte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Amanda, ich weiß es nicht.«
Erneut drehten sich Passanten nach dem Italiener um und gaben Beleidigungen zum Besten. Sie eilten indes rasch davon, als sie die erblindeten Augen von Amanda sahen.
Zwischen den nach Bleichmittel riechenden Tüchern der Wäscherei, in der er sich versteckt hielt, konnte Lassiter dennoch jedes Wort verstehen, das Vito und Amanda miteinander wechselten. Er erinnerte sich, dass Amanda starrsinnig sein konnte, meist in Zeiten, in denen man ihr die Zügel aus der Hand nehmen wollte.
»Lass mich allein!«, sagte Amanda und brachte einige Schritte Abstand zwischen Vito und sich. Sie drehte den Stock in der Hand und tastete sich über die Mainstreet. »Bleib mir fern! Bitte bleib mir fern!«
Doch Ginocchio hörte nicht auf sie.
Er lief der jungen Witwe nach und versperrte ihr so den Weg, dass sie auf ihn auflief. Amanda bebte vor Zorn danach.
»Hör mir zu!«, schlug Vito einen versöhnlichen Ton an. »Du musst nicht allein zu deinem Vater und du musst ihn nicht allein fragen. Ich bin bei dir. Ich helfe dir.« Er ergriff ihre Hand. » Ciccina ... «
»Geh!«, fuhr Amanda ihn an. »Geh und bleib in der Stadt, bis ich zurück bin! Er ist mein Vater! Ich muss mit ihm sprechen.« Sie wahrte mühsam die Beherrschung. »Ich nehme morgen früh Barneys Kutsche. Ich allein, hörst du?«Der Mann der Brigade Sieben sah zu den Ständen der Droschkenkutscher hinüber, von denen einer das Schild der Barney's Transportation Co. trug. Unter dem Schild stand der mürrische Kutscher, mit dem Vito und Amanda zuvor gesprochen hatten.
Stolz reckte Vito den Hals und bedachte die Rancherin mit einem abfälligen Blick. »Du wirst schon wissen, was du tust. Aber jammere nicht, wenn dein Vater dich anbrüllt oder vom Hof jagt.«
Ehe Amanda darauf eine Erwiderung hatte, war der Italiener gekränkt in der Menge verschwunden. Er stieß einige betrunkene Männer beiseite, die ihm Prügel anboten, und rauschte an den trocknenden Tüchern vorbei, hinter denen Lassiter stand.
Amanda weinte stumm und stützte sich auf ihren Stock. Sie schlug das höfliche Hilfsangebot eines Karrenschiebers aus, der sie zu ihrem Hotel bringen wollte. Der Mann der Brigade Sieben verlor sie aus den Augen und begab sich stattdessen zum Stand der Barney's Transportation Co.
Ob im Westen oder anderswo, es war alles eine Frage des Preises.
☆
Die rostige Pflugschar unter dem Buford-Sulky saß fest und wollte sich nicht rühren. Sie hatte sich zwischen den Steinbrocken verklemmt, irgendwann in der letzten Stunde, als der Farmer auf dem schmiedeeisernen Sitz gesessen und die Pferde mit der Peitsche malträtiert hatte.
Fluchend sprang Joseph Harwood in die Ackerfurche.
Er beugte sich unter den Sulky, der mit seinen brusthohen Speichenräder und dem kleineren Führungsrad hinten am Pflug sonst keinerlei Schwierigkeiten machte. Die Dollars für dieses Vehikel waren gut investiert gewesen. Jedes Frühjahr schickte die B. D. Buford & Co. Harwood einen Katalog mit den Neuerungen zu.
»Hurengeschmeiß!«, schimpfte Harwood und trat mit dem Fuß gegen die Pflugschar. Sie saß so tief in der Erde, als hätte sie ein Riese mit einem Fausthieb hineingeschlagen. Der Farmer würde jemanden von der Baker Ranch darum bitten müssen, dass er ihm half.
Seit Tagen schon ging es nun so.
Erst war der letzte Melkeimer gerissen, der in der Scheune gestanden hatte, dann waren die Mäuse an die Vorräte gegangen und hatten Mehlsäcke angefressen, die gerade von der Mühle in Boulder City gekommen waren. Die Zäune waren hinüber, der Brunnen voller Algen, das Fenster im alten Gesinderaum gesplittert.
Der Pflug war nur ein weiteres Ärgernis.
Entmutigt legte Harwood die Arme in den Nacken und schrie seine Wut zum Himmel hinauf. Er hätte den scharfen Branntwein gebraucht, der auf dem Sims im Kaminzimmer stand, doch vorerst musste er mit dem Brüllen vorlieb nehmen.
Geh nach Hause, Joey!
Der Barkeeper im Tudd's hatte den höflichsten Ton angeschlagen, zu dem er in der Lage war, und Harwood wusste aus Erfahrung, dass dieses Zuvorkommen kein gutes Zeichen war. Ausschließlich notorische Säufer wurden so behandelt. Sie würden Harwood bald nicht mehr durch die Tür lassen, weil sie fürchteten, dass er eine Schlägerei anzettelte oder ein Mädchen begrabschte oder beides.
Nichts davon lag Harwood ferner.
Er wollte bloß dann und wann den Herrgott einen guten Mann sein lassen, einen doppelten Brandy kippen und vergessen, dass die Farm vor die Hunde ging. Er wollte nicht jeden Abend damit hadern, dass sein Wohlstand verschwunden war und seine Schulden ins Unermessliche wuchsen.
Er wollte nicht länger mit Amandas Tod hadern.
Fast fünfundzwanzig Monate war es nun her, dass er den giftigen Manzanillozweig nach Arizona geschickt hatte. Er hatte seither nichts von Howard oder seiner Tochter gehört. Sie konnte tot sein, oder sie war quicklebendig und brachte mit Howard jenes sauer verdiente Vermögen durch, das Harwood seinem Schwiegersohn geliehen hatte.
Mit stumpfer Verbitterung schirrte Harwood die Pferde vom Sulky.
Die Tiere liefen fast allein nach Hause, die Ohren immerfort auf den Stall gerichtet, der als niedriger Bau neben dem Farmhaus in Sicht kam. Sie waren daran gewöhnt, dass Harwood sie erst vom Kumt nahm, sobald die Arbeit auf dem Acker erledigt war.
Ob Amanda tot war, wusste Harwood nicht zu sagen.
Er hätte sich die Antwort gern gegeben, hätte auf die einsamen Abende verzichten wollen, in denen er grübelte und auf das Porträt seiner Tochter starrte. Doch niemand konnte ihm Gewissheit darüber geben, wie es um seine Tochter stand.
Getötet hast du sie, Joey.
Der Farmer schwang die Peitsche und trieb die Pferde am Farmhaus vorbei.
☆
Erst im kühlen Morgengrauen traf die Droschke der Barney's Transportation Co. am Hotel ein. Sie war eine gute Stunde zu spät und hielt am Nebeneingang, der weniger beleuchtet als das Vorderportal war. Der Mann an den Zügeln zog den Hut tief in die Stirn und nickte dem Pagen zu, der beflissen ins Haus lief und in Gesellschaft von Mrs. Brunswick zurückkehrte.