Lassiter Sammelband 1873 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1873 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2500, 2501 und 2502.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 412

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1873

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2020 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Maren/Ortega

ISBN: 978-3-7517-7778-0

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1873

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2500

Der Anschlag

Lassiter 2501

Verrat am Hudson River

Lassiter 2502

Die Spur des Goldes

Guide

Start Reading

Contents

Lassiter- Jubiläums- Band 2500

Der Anschlag

»Nein! Lassiter, bleib bei mir!« Amber Steele vergrub ihre Hände in Lassiters Hemd und schüttelte ihn, doch der Agent der Brigade Sieben rührte sich nicht mehr. Während ihr der peitschende Regen über die Brüstung der Freiheitsstatue hinweg ins Gesicht schlug, legte sie das Ohr auf seine Brust und hoffte auf ein Wunder.

Doch Lassiters Herz hatte aufgehört zu schlagen, und als Amber in sein bleiches Gesicht sah, wirkten die Züge des Agenten so reglos und wächsern wie eine Totenmaske. Sie riss die Fäuste zum dunklen Himmel hinauf und schrie aus Leibeskräften ihre Verzweiflung hinaus.

Lassiter hatte alles gegeben, um Tausende zu retten. Buchstäblich.

Jupiter Springs, West Virginia, vor zehn Tagen

»Sie dreckiger Hurensohn!«

Während Lassiter den Remington ins Holster schob, löste sich eine ältere Frau aus der Menge der Zuschauer auf dem Sidewalk und stolperte auf die Mainstreet, bevor sie sich wimmernd auf den reglos am Boden Liegenden warf.

Einer der Deputies folgte ihr und wollte der Frau unter die Arme greifen, doch als er Lassiters Kopfschütteln bemerkte, verharrte er in der Bewegung und blieb neben ihr stehen.

Die Frau strich dem Toten weinend durch das Haar, bevor sie den Kopf hob und rief: »Warum holt denn niemand den Doc? Verdammt, tut doch etwas! Mein Junge lebt noch, ich weiß es genau!«

Lassiter glaubte, dass das Gegenteil der Fall war. Er hatte Jimmy Lockridges linke Brust getroffen – wenn nicht mitten ins Herz, dann dicht daneben.

Wer so etwas überlebte, würde wohl Jesus statt Jimmy heißen und hätte nicht versucht, ihn mit einer Parker Gun ins Jenseits zu befördern.

Als er sich abwenden wollte, bemerkte er plötzlich, wie die Stiefel des jungen Outlaws zu zittern begannen, und hob ungläubig die Augenbrauen.

»Da seht ihr's!«, kreischte die verzweifelte Mutter. »In Gottes Namen, wo bleibt der Arzt?«

Ein kleiner Mann mit Bowlerhut, einer Ledertasche in der rechten Hand und einem dünnen Schnauzbart, der wie ein Fadenvorhang über dem fliehenden Kinn hing, sprang auf die Straße und kniete vor der Frau und dem jungen Banditen nieder. Er schob Marjorie Lockridge sanft, aber bestimmt zurück und beugte sich hinunter.

Das Zucken der Füße setzte aus, und Lassiter glaubte zu erkennen, wie Jimmys Körper erschlaffte.

Der Doc tat sein Bestes, und es vergingen zwei Minuten, bevor er den Kopf schüttelte und die Mutter mit einem bedauernden Blick bedachte. »Es tut mir leid, Ma'am...«

Sheriff Foster trat neben Lassiter und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ihnen blieb keine Wahl, Lassiter. Der Bursche ist auf Sie losgegangen wie ein tollwütiger Hund.«

Der Brigadeagent nickte mit regloser Miene und machte kehrt. Foster folgte ihm.

»Dafür fährst du zur Hölle, du Schwein!«, hörten beide Mrs. Lockridges hasserfüllte Stimme hinter sich, und der Sternträger verzog die Lippen, während er Lassiter von der Seite musterte. »Ich verfluche dich und den Tag, an dem du geboren wurdest!«

»Für sie sind ihre Jungs wohl nur harmlose Schlitzohren«, knurrte der Sheriff. »Mütter haben eben eine eigene Sicht der Dinge, wenn es um die Früchte ihres Leibes geht.«

»Sie hat alle ihre vier Söhne verloren, Foster«, erwiderte Lassiter. »Innerhalb von drei Tagen. Ich bin der letzte, der ihr einen Vorwurf machen will.«

Unwillkürlich blickten sie zu den drei Särgen hinüber, die vor dem Laden des Undertakers eine makabre Ausstellung boten.

Chet, Gunter, Harry. Jimmys Brüder, die Jupiter Springs über Monate terrorisieren konnten, bevor Foster, seine Deputies und Lassiter sie in der vorletzten Nacht endlich zur Strecke gebracht hatten.

»Sorgen Sie dafür, dass die Toten unter die Erde gebracht werden«, sagte Lassiter. »Es ist widerlich, Sie derart zur Schau zu stellen, Foster. Gut möglich, dass das Jimmy erst dazu gebracht hat, auf mich loszugehen.«

Der Sheriff zuckte die Achseln. »War nicht meine Idee. Und Sie sind erst seit ein paar Tagen in der Stadt, Lassiter. Wenn Sie wüssten, was die Lockridges hier alles veranstaltet haben...«

»Sie sind tot, verdammt!«, zischte Lassiter. »Und wir leben nicht mehr im Mittelalter.«

»Sicher, schon gut.« Foster hob beschwichtigend die Arme. »Nur... bei solchen Bestien wie Chet und Harry...« Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: »Da wollen sich die Leute einfach sicher sein, verstehen Sie? Dass diese Bastarde nicht plötzlich wieder die Augen öffnen und die Hände um die Kehle eines ihrer Kinder schließen.«

Lassiter dachte an die letzten Zuckungen des jungen Jimmy und legte die Stirn in Falten, enthielt sich aber einer Antwort.

Als sie durch die Schwingtür in den Saloon traten, wandten sich ihnen sämtliche Gesichter zu, und nach ein paar Sekunden des Schweigens begannen die Anwesenden zu applaudieren.

Foster grinste breit und nickte den Leuten zu, während Lassiter am Tresen Platz nahm und dem Bartender mit einer stummen Geste anzeigte, dass er einen doppelten Whiskey haben wollte.

Der Agent war froh, dass die Gäste im Saloon wenigstens auf ein Schulterklopfen verzichteten und stattdessen respektvoll Abstand hielten, während raunende Gespräche einsetzten.

Foster stellte sich neben ihn und wartete, bis der Bartender ihnen die Gläser zuschob.

»Die Stadt wurde von einer Plage befreit, Lassiter«, brummte er, seinen Drink in der Hand. »Ohne Sie hätten wir das nicht geschafft.«

Lassiter nickte. Er griff nach dem Whiskey, und sie stießen an.

»Wie wäre es, wenn Sie noch ein paar Tage hier blieben? Ich habe das Gefühl, Jupiter Springs würde sich darüber freuen, sich erkenntlich zu zeigen.«

Lassiter dachte an Loreley, die vermutlich oben bereits auf ihn wartete und schon in der letzten Nacht nahezu alles erfüllt hatte, was er sich an Erkenntlichkeiten vorstellen konnte in diesem Kaff.

Er grinste schief und schüttelte leicht den Kopf. »Danke, Foster. Aber ich fürchte, ich muss morgen wieder aufbrechen.«

Das war zwar vorgeschützt, erwies sich aber schon bald als Tatsache.

Als es an der Zimmertür klopfte und sie die Stimme ihres Vaters vernahm, ging Loreleys lustvoller Seufzer in einen erstickten Laut des Entsetzens über.

»Lassiter?«, erklang es von draußen. »Entschuldigen Sie, aber ich habe hier eine Depesche für Sie. Darf ich eintreten? Es scheint dringend zu sein.«

Die Augen der Sheriffstochter schienen aus den Höhlen treten zu wollen, während sie den Kopf schüttelte und Lassiter flehend anstarrte.

»Ähm, Sheriff, ich... Wäre es möglich, unten auf mich zu warten? Ich komme in ein paar Minuten.«

Sekunden verstrichen, in denen Lassiter seine Hände über den nackten Körper der jungen Frau gleiten ließ, die ihn dabei unter halb geschlossenen Lidern anschaute, als wären seine Liebkosungen eine besonders perfide Form der Folter.

Sie atmete gepresst ein und aus. Er sah ihr an, dass sie es ernst meinte, und ließ die Hände sinken.

Endlich kam die Antwort von der anderen Seite der Tür: »In Ordnung. Ich bin unten im Schankraum.«

Als die schweren Schritte auf dem Korridor allmählich leiser wurden, ließ sich Loreley erleichtert auf seine Brust fallen und kicherte erstickt an seinem Hals. »Himmel, wenn Dad uns so erwischt hätte...«

Lassiters Hände legten sich auf Loreleys nackten Rücken und wanderten kurz darauf tiefer, bis sie ihre festen Pobacken umschlossen.

Sie stöhnte auf, als er sie an sich zog und sein hartes Geschlecht dabei tiefer in ihren Schoß drang.

»Wir haben noch ein paar Minuten, Honey«, murmelte er mit rauer Stimme.

»Meinst du das ernst?«, fragte sie überrascht, doch er spürte, wie die Lust ihren Körper bereits wieder erbeben ließ.

Statt einer Antwort küsste er ihren Hals. Sie stöhnte leise auf und vergrub ihre Hände in seinem Haar, während sie leicht ihr Becken kreisen ließ. »Ja... aah. Jaaa...«

Lassiter musste kaum etwas dazu beitragen, dass Loreley sich zum Höhepunkt brachte. Sie übernahm das Ruder und ging dabei so geschickt vor, dass der Agent sich lediglich darauf konzentrieren musste, nicht den Verstand zu verlieren.

Es dauerte länger als ein paar Minuten, und als sie endlich gemeinsam über den Gipfel getragen wurden, brachte ein neuerliches Klopfen an der Zimmertür ihre Erregung schlagartig zum Erliegen.

»Mr. Lassiter? Der Sheriff fragt nach Ihnen!«

Die Stimme klang ein wenig ungehalten, und Lassiter warf Loreley einen entschuldigenden Blick zu, bevor er die Beine aus dem Bett schwang und nach seinen Hosen langte.

»Okay, ich bin gleich da.«

Er schlüpfte in die Stiefel, streifte sich sein Hemd über und band den Revolvergurt mit dem Remington um seine Hüften.

»Sorry, aber ich muss jetzt wirklich mit deinem Vater reden.«

Loreley zog die dünne Decke über ihr Dekolleté und sah ihm zu, wie er seine Denimjacke anzog.

»Klar. Falls du um meine Hand anhalten willst, dürftest du bei Dad derzeit auf offene Ohren stoßen.«

Als er sich umwandte und sie kaum verhohlenes Entsetzen in seinem Blick bemerkte, fiel es Loreley schwer, nicht loszuprusten.

Lassiter benötigte ein paar Augenblicke, bevor er den Schalk in ihrer Miene erkannte und seinerseits ein Grinsen aufsetzte.

»Es war schön mit dir«, murmelte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.

Sie zwinkerte. »Ich weiß... aber du warst auch nicht so übel.«

Lassiter musterte sie stirnrunzelnd.

» Nicht übel? «

Loreley zuckte die Achseln und ließ dabei wie zufällig die Bettdecke herabsinken. Ihre vollen Brüste schienen Lassiter herauszufordern.

Der presste die Lippen zusammen. »Verstehe, Loreley... reizender Versuch, aber ich muss trotzdem gehen – so leid es mir tut. Alles Gute!«

Ein leises Seufzen war zu vernehmen, bevor er in den Korridor trat und die Tür hinter sich schloss.

Als er die Stufen hinunter in den Schankraum hinter sich brachte, blickte er dabei bereits in die ungeduldige Miene des einzigen Gastes am Tresen.

»Sorry, Sheriff«, entschuldigte sich Lassiter und nahm neben dem Sternträger Platz. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben... ich dachte, ich könnte mal ein paar Stunden zur Ruhe kommen.«

Foster starrte ihn eine Weile an; lange genug, um Lassiter mutmaßen zu lassen, dass der Sheriff ahnte, warum er sich verspätet hatte.

Deshalb öffnete der Lassiter die Lippen zu einer entschuldigenden Erklärung – und schloss sie wieder, als Foster ihm einen Umschlag entgegenhielt.

»Was ist das?«

»Keine Ahnung«, brummte Foster. » Vertraulich? Nur für Sie bestimmt? «

Ein kurzer Blick auf den Umschlag bewog Lassiter zu einem kurzen Nicken, denn genau das stand auf dem Kuvert.

»Okay...«

Er riss den Umschlag auf und überflog den Brief, der sich darin verbarg. Dabei wanderten seine Augenbrauen mit jeder Zeile ein Stück höher.

»Schlechte Nachrichten?«, fragte der Sternträger, bevor er einen langen Schluck aus seinem Kaffeebecher nahm.

Lassiter ließ die Depesche sinken und zuckte die Achseln.

»Eher lästige. Man verlangt in New York nach mir.«

Foster hob fragend die Augenbrauen. »Sie müssen sofort aufbrechen, stimmt's?«

»Sieht ganz danach aus.«

»Der nächste Zug nach Norden trifft in einer halben Stunde ein.« Foster grinste humorlos, bevor er sich über die Bartstoppeln strich. »Also sollten Sie sich wohl beeilen.«

Lassiter nickte, bevor die Männer sich die Hände schüttelten und der Agent der Brigade Sieben den Schankraum verließ, um die Mainstreet zu überqueren und die Stufen zur Bahnstation hinaufzusteigen.

»Bon Voyage«, murmelte Sheriff Foster und griff nach seinem Kaffee.

Washington, D.C., sechs Tage vor dem Anschlag

Schwere Schwaden würzigen Zigarrenrauchs lagen in der Luft des Salons, und die Männer, die um den runden Tisch aus blankpoliertem Mahagoni gruppiert waren, schwiegen bedächtig, während sie die edlen Cohibas genossen, die ihnen der Herr des Hauses aus dem Humidor angeboten hatte.

Es war ein Ritual, das jedem ihrer Zusammenkünfte vorausging, und niemand wäre auf die Idee gekommen, seine Stimme zu erheben, bevor die Zigarren geraucht und der kostbare, zwanzig Jahre alte schottische Whiskey aus den Kristallgläsern getrunken waren.

Schließlich war es so weit, und der Gastgeber, ein hochgewachsener Mann mit aristokratischen Zügen, gestutztem Vollbart und graumeliertem Haar, das straff aus der Stirn nach hinten gekämmt war, erhob sich aus seinem Lehnsessel und stützte die Hände auf die Tischplatte. Er ließ seinen Blick kurz über die Anwesenden wandern, bevor er auf dem Gesicht eines untersetzten Mannes in mittleren Jahren verharrte.

»Würdest du uns über den Stand der Dinge in New York unterrichten, Patrick?«

Der Angesprochene nickte und erhob sich. »Selbstverständlich, Reginald.« Er räusperte sich. »Das Schiff mit den Franzosen hat den Hafen von Bordeaux planmäßig verlassen. Mit dem Eintreffen in New York wird daher in drei Tagen gerechnet. Unser Mann ist informiert, die Ampullen befinden sich bereits in Point X – Operation Jericho wird also in Kürze beginnen...«

Sein Nebenmann, ein breitschultriger Hüne mit Walrossbart, der als einziger am Tisch keinen maßgeschneiderten Dreiteiler, sondern lediglich eine Weste und eine Lederjacke über dem weißen Hemd trug, das bis zur Brust offen war, schnaubte ungeduldig. »Ich weiß nicht, ob ich hier der einzige bin, der nicht informiert wurde... aber dürfte ich jetzt erst einmal erfahren, worum es sich bei dieser Operation eigentlich handelt?«

»Natürlich, Jock«, erwiderte der Gastgeber kühl. »Obwohl dieser vorwurfsvolle Unterton unangebracht ist. Schließlich warst du fast ein halbes Jahr in Südamerika und dort nicht zu erreichen. An uns liegt es also keineswegs, wenn du erst jetzt über das Unternehmen in Kenntnis gesetzt werden kannst.«

Der Jock genannte wedelte ungeduldig mit der rechten Hand durch die Luft. »Okay, okay... ich nehme an, es geht um diese gottverdammte Lady Liberty, die uns von den Froschfressern untergejubelt wurde, oder?«

»Das hast du in deiner unnachahmlichen Ausdrucksweise auf den Punkt gebracht«, bestätigte der Grauhaarige indigniert. »Am 28. Oktober wird die Statue mit beispiellosem Brimborium in New York enthüllt werden, obwohl wir wahrlich alles Menschenmögliche unternommen haben, um diesen demütigenden Zirkus zu verhindern.«

»Die Franzmänner werden sich als Segensbringer feiern lassen, als würde ihnen immer noch ein Drittel der USA gehören«, knurrte ein hagerer älterer Herr mit schütterem Haupthaar und ungesunder Gesichtsfarbe, deren gelblicher Ton auf eine Lebererkrankung schließen ließ.

»Sie tun tatsächlich so, als brächten sie uns ein Geschenk, dabei wurde der gesamte Sockel mit amerikanischem Geld finanziert!«, ergänzte sein Nebenmann, der kerzengerade auf seinem Stuhl saß, als ob er in jeder Sekunde damit rechnete, aufspringen und sich zur Wehr setzen zu müssen. Er fuhr sich durch die dunklen Locken, bevor er wie ein Ankläger in einem Gerichtsprozess einen langen Finger in die Luft reckte. »Es ist eine bodenlose Frechheit, diese Geschmacksverirrung in den größten Hafen unseres Landes zu pflanzen! Als müssten uns ausgerechnet die Franzosen erklären, was Freiheit bedeutet!«

Zustimmendes Gemurmel ertönte, und Jock, dessen breiter Akzent ihn als Texaner auswies, breitete die schaufelartigen Hände aus. »In Ordnung, Gentlemen. Wir sind uns schon lange einig darüber, dass die Statue ein Tritt in die Eier jedes aufrechten Patrioten ist. Seit dieses hirnverbrannte Projekt vor fast zehn Jahren aus der Taufe gehoben wurde, um genau zu sein. Aber was habt ihr jetzt ausbaldowert? Wollt ihr das hässliche Ding etwa in die Luft jagen?«

Das Lächeln des Grauhaarigen wirkte nachsichtig, aber auch ein wenig herablassend. »Naheliegend. Aber auch ein wenig grobschlächtig, findest du nicht, Jock? Außerdem bestünde die Gefahr, dass eine solche Zerstörungswut die völlig falsche Reaktion hervorruft. Dieses gefühlsduselige Fieber der Verbrüderung mit den Kolonialisten, das gerade vor allem New York heimsucht, könnte dadurch eher noch ins Delirium gesteigert werden. Nein«, er schüttelte entschieden den Kopf, »wir haben uns etwas anderes einfallen lassen. Etwas, das die Grundfeste der USA zum Wanken bringen und nachhaltig dafür sorgen wird, dass unser Land wieder zur Besinnung kommt.«

» Operation Jericho wird natürlich einige Opfer fordern«, gab der untersetzte Mann namens Patrick zu. »Einige hundert möglicherweise.«

»Wohl eher einige tausend, Patrick«, widersprach der Gastgeber mit schmalem Lächeln. »Es gibt keinen Grund zur Bescheidenheit. Schließlich soll ein Zeichen gesetzt werden, das weit beeindruckender ausfällt als die Fackel in der Faust der französischen Kupferschlampe.«

»Das mag tragisch sein für die Betroffenen, doch sie opfern sich für ein höheres Ziel«, sagte der hagere Alte, wobei seine brüchige Stimme von Ergriffenheit erfüllt war. »Nach Jericho wird man die Franzosen aus dem Land jagen, jeden einzelnen von ihnen!«

»Diese schmierigen Hurensöhne werden froh sein, wenn man ihnen nicht die Kehlen durchschneidet«, ereiferte sich der nervöse Jüngere neben ihm und lächelte zähnefletschend. »Das wird sie lehren, auf Amerikaner herabzuschauen.«

»Ihr scheint euch eurer Sache ja ziemlich gewiss zu sein«, brummte der Texaner und runzelte skeptisch die Stirn. »Aber was immer ihr auch vorhabt – was macht euch so sicher, dass man den Franzosen die Schuld dafür geben wird?«

»Ganz einfach, Jock«, erwiderte der Grauhaarige mit humorlosem Lächeln. »Weil es Franzosen sein werden, die New York ins Chaos stürzen und die Katastrophe auslösen.«

Atlantischer Ozean, 120 Seemeilen vor der Ostküste der USA

An Bord der Marianne , fünf Tage vor dem Anschlag

»Alles in Ordnung, mon cher?«

Marlene Dubois strich ihrem Geliebten sanft über die Schulter, und er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er nickte.

»Naturellement«, murmelte er und schaute zurück auf die grauen Wellen, die sich bis zum Horizont zogen. Im Westen sank die Sonne in die Fluten des Atlantiks hinab, doch hinter dem von grauen Wolken verhangenen Himmel war sie nur als fahler, schmutzig gelber Fleck zu erkennen.

Sie standen vorn auf der verwaisten Bugterrasse des Unterdecks, das den Passagieren dritter Klasse vorbehalten war. Von oben klang Kammermusik an ihre Ohren, die vom scharfen Wind verblasen wirkte, als käme sie aus einer Geisterwelt.

»Was machen die anderen?«, fragte er, nur, um etwas zu sagen.

Sie zuckte die Achseln und legte die Unterarme auf die Reling, während der Wind ihr das tiefschwarze Haar aus der Stirn blies und es wie einen Schleier aus glänzender Seide hinter dem Kopf flattern ließ.

»Robert liest seinen Proudhon«, erwiderte sie nach einer Weile. »LaRousse und Beatrice spielen immer noch Schach, und sie scheint nach wie vor zu glauben, ihn irgendwann schlagen zu können.« Ihr leises, glockenhelles Lachen verriet, was sie von dieser Überzeugung hielt. »Und Geoffrey kotzt sich mal wieder die Seele aus dem Leib.«

Der Mann neben ihr schmunzelte und strich sich über den Oberlippenbart. »Hast du ihm die Tabletten gegeben?«

»Sicher. Aber sie scheinen nicht zu wirken, Simon.«

Kopfschüttelnd strich er sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht. »Ein Fischer, der seekrank wird. Ist schwer zu glauben, oder?«

Marlene sah ihn kurz an und zog dabei den linken Mundwinkel hoch. »Geoffrey ist Krebsfischer, Simon. Er war nie weit genug von der Küste entfernt, um die Felsen aus dem Blick zu bekommen.«

Simon Beaucroix wandte sich ihr zu und nahm seine Geliebte in die Arme. »Mag sein, ich find's trotzdem komisch.«

Sie lachte und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzuschauen. »Geoffrey ist komisch. Und das nicht nur, wenn er kotzt.«

»Da hast du recht«, sagte er und küsste sie.

Aus der zarten Berührung ihrer Lippen wurde rasch etwas anderes, Leidenschaftlicheres, und als sich ihre Zungen berührten, glitt Simons Hand an ihrem Rücken hinab, bis sich seine Finger fest um ihren festen Hintern schlossen und ihn drückten.

Sie spürte, wie sich unter dem Stoff seiner Leinenhose etwas rührte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.

»Mon dieu, Simon«, flüsterte Marlene, nachdem sie sich zögernd von ihm löste. »Ich will es doch auch, aber wir können es nicht tun. Nicht hier, wo jederzeit jemand herauskommen könnte.«

Simon stieß scharf die Luft aus und rang mit den Händen. »Merde! In diesem Verschlag von Kabine geht es genauso wenig. Es sei denn, wir schicken die anderen vor die Tür.«

Sie streckte die Hand aus und wollte ihm über die Wange streicheln, doch er schlug sie beiseite und setzte eine mürrische Miene auf.

»Diese endlose Fahrt bringt mich noch um den Verstand«, knurrte er und verschränkte die Arme vor der Brust, den Blick düster auf die Planken gerichtet. »Zwölf Tage auf See, nur die ewig gleichen Wellen vor dem Bug. Die knauserigen Amerikaner hätten doch wohl wenigstens genug Geld springen lassen können, damit wir in richtigen Kabinen reisen anstatt wie Sardinen in einer Büchse!«

Marlene senkte den Blick. »Es tut mir leid, Simon. Du hast natürlich recht, aber willst du dich gemeinmachen mit den ausbeuterischen Leuten da oben?« Vage deutete sie in Richtung des Decks über ihnen, von dem die Musik kam.

Er verengte die Augen, als er sie musterte. »Natürlich nicht, und das weißt du! Ich bin nicht umsonst euer Anführer, und meine Gesinnung ist tadellos. Was aber nicht heißt, dass ich es hinnehmen muss, wie Vieh behandelt zu werden. Ist es nicht gerade das, was wir bekämpfen wollen? Die Klassengesellschaft, die wir auf diesem Schiff am eigenen Leib erleben?« Er schnaubte erbost. »Da wäre es durchaus angebracht gewesen, uns mit mehr Respekt zu begegnen. Dein Bruder hätte dafür Sorge tragen können.«

»Michel verfügt über weit weniger Einfluss, als du glauben magst«, erwiderte Marlene und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. »Mir ist durchaus bewusst, wie du über ihn denkst, aber du solltest nicht vergessen, dass wir ohne ihn nicht auf diese Reise gegangen wären und die Chance bekommen, etwas wirklich Großes zu vollbringen.«

»Ja, Marlene. Du wirst nicht müde, das zu betonen«, gab Simon mürrisch zurück. »Aber wir werden es sein, die ihren Hals riskieren, während dein werter Bruder hinterher die Lorbeeren einheimst. Denk an meine Worte!«

Marlene legte die Stirn in Falten. »Mir ist kalt. Ich gehe wieder rein«, murmelte sie und marschierte über das Deck zur offenen Tür, die zu den Kabinen führte.

»Warte... es... es tut mir leid«, brummte Simon und sah ihr nach, doch sie reagierte nicht.

Als sie im Kabinengang verschwunden war, rang er mit den Händen und drehte sich um.

»Frauen«, knurrte er resignierend und starrte über die flatternde französische Flagge am Bug des Schiffs hinweg nach Westen.

Noch zwei Tage, dann würde da drüben am Horizont die Küste zu sehen sein. Sie würden den Hafen von New York erreichen.

Und Geschichte schreiben.

New York Grand Central Depot, vier Tage vor dem Anschlag

»Haaalloooo!«

Lassiter runzelte die Stirn, als er die junge Frau auf dem Bahnsteig bemerkte, die ein Schild mit seinem Namen schwenkte.

Sie trug ein meergrünes Kostüm nach neuester Ostküstenmode, das ihre attraktiven Rundungen vortrefflich betonte. Ihr Gesicht wurde von blonden Locken umrahmt, und ihr strahlendes Lächeln machte dem Sonnenlicht, das durch die Oberlichter in die Bahnhofshalle fiel, ernsthaft Konkurrenz.

Kopfschüttelnd marschierte Lassiter auf die junge Frau zu und riss ihr das Schild aus der Hand.

Ihre rotgeschminkten Lippen formten ein O, während er das Schild in einen Abfallkorb stopfte und sie aus zu Schlitzen verengten Augen fixierte. »Sind Sie noch ganz dicht, Mädchen?«

Sie wich einen halben Schritt zurück und hob die Hände.

»L-Lassiter?«

»Wer sonst?«, knurrte er und schaute sich wachsam um. »Und dank Ihnen kennen jetzt auch ein paar Dutzend andere Leute meinen Namen.« Er starrte sie an. »Was soll das hier werden? Ein gemütliches Beisammensein? Man müsste Sie darüber informiert haben, dass Agenten der Brigade Sieben inkognito unterwegs sind!«

Die junge Frau hob die Augenbrauen. Es schien ihr nicht leicht zu fallen, ein Grinsen zu unterdrücken, während sie betont unauffällig nach links und rechts schaute.

»Ohoo«, raunte sie. »Da ist aber jemand ein wenig paranoid, oder bilde ich mir das nur ein?«

Lassiter verzog die Lippen. »Sie sind Amber Steele, nehme ich an.«

Sie nahm Haltung an und salutierte spöttisch. »Jawohl, Sir! Ihr Begrüßungskommando, Stadtführerin, Kummerkasten, Punchingball bei schlechter Laune...«

»Mit meiner Laune steht es in der Tat nicht zum Besten, Miss Steele«, unterbrach Lassiter sie. »Ich habe keine Ahnung, warum man ausgerechnet mich ausgesucht hat, um auf den Präsidenten und seine französischen Gäste aufzupassen, aber es steht mir nicht zu, einen Auftrag zu hinterfragen. Trotzdem wäre es nett, wenn Sie mich dort hinbringen, wo ich erwartet werde, anstatt mir hier die Zeit zu stehlen.«

Amber Steeles Lächeln büßte ein wenig von seiner Strahlkraft ein, doch es verschwand nicht völlig, während sie den Arm in Richtung des Hauptportals reckte. »Okay. Folgen Sie mir unauffällig.«

Als sie zwei Minuten später im Fond einer offenen Droschke Platz genommen hatten, deren Kutscher das Gefährt vom Vorplatz auf die Third Avenue steuerte, bemerkte die Frau an seiner Seite heiter: »Kein Grund zur Sorge, Sir.«

Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er fragte: »Worüber?«

»Das Schild...« Sie lächelte verhalten. »Sie waren noch nicht so oft in New York, oder?«

»Nein«, brummte er mürrisch und ließ dabei seine Blicke über die Bürgersteige wandern, auf denen sich die Passanten drängten. Über fast jedem dritten Eingang der Läden und Restaurants nahm er Fähnchen wahr; das Sternenbanner und die Trikolore in trauter Zweisamkeit. »Warum?«

»Hier schert sich niemand groß um Namensschilder, Mr. Lassiter – es sei denn, der eigene Name steht darauf. Das ist New York, verstehen Sie? Jeder für sich, aber alle gemeinsam.«

»Macht keinen Sinn für mich«, knurrte Lassiter, und Amber Steele nickte ergeben.

»Sie wurden dem Sicherheitsteam aus Washington zugeteilt«, sagte sie, »diese geheimnisvolle Brigade Sieben... ich weiß nicht allzu viel über Ihre Einheit, aber sie ist dem Justizministerium unterstellt, stimmt das?«

Lassiter schaute sie nur kurz an und gab ansonsten keine Antwort. Was Amber Steele als Aufforderung verstand, ihrerseits weiterhin dafür zu sorgen, wenigstens den Anschein eines Gesprächs zu erwecken.

»Das Team besteht aus knapp zwanzig Leuten«, erklärte sie. »Sechs US-Marshals, eine Gruppe vom Secret Service, der neuerdings direkt für die Sicherheit von Präsident Grover Cleveland zuständig ist und deshalb die Befehlsgewalt hat. Außerdem Chief Sam Midstone von der NYPD mit vier seiner besten Kräfte... darunter meine Wenigkeit.«

Lassiter musterte sie von oben bis unten, und diesmal verharrten seine Augen etwas länger auf ihr. »Sie gehören zum Police Department? Warum tragen Sie keine Uniform?«

»Das tut niemand von uns während dieses Einsatzes. War eine Idee von Chet Burrows, der der Secret Service-Gruppe vorsteht. Wir sollen nicht als Sicherheitskräfte zu erkennen sein und uns unter die Menge mischen, wenn es ernst wird.«

»Was meinen sie mit ernst? Wird etwa ein Attentat befürchtet?« Erstmals klang der Brigadeagent interessiert, obwohl er sein Gesicht bereits wieder abgewandt hatte.

Amber Steele zuckte die Achseln. »Bisher gibt es darauf zwar keine Hinweise, aber die Möglichkeit besteht bei einem derart bedeutenden Ereignis wohl immer, meinen Sie nicht?« Sie zeigte auf die geschmückten Ladeneingänge, während sie den Astor Place überquerten. »Auch wenn es so aussieht, als würden alle hier der Einweihung von Lady Liberty freudig entgegenfiebern, gibt es doch eine Menge Gegenwind für die Statue. Viele Menschen, auch Leute mit Einfluss, sind alles andere als begeistert davon.«

Schmunzelnd fügte sie hinzu: »Wenn man Ihre sauertöpfische Miene betrachtet, zählen Sie wohl auch dazu.«

Lassiter grummelte etwas in seinen Fünf-Tage-Bart, aus dem Begriffe wie »herzlich egal« und »verfluchte Großstadt« herauszuhören waren.

Ein Seufzen unterdrückend, murmelte Amber Steele: »Eine echte Plaudertasche, und dabei auch noch so höflich...«

»So, da wären wir!«, verkündete sie wenige Minuten später, als der Kutscher vor dem Police Headquarter in der Mulberry Street Halt machte. Lassiter griff nach seiner abgewetzten Reisetasche, öffnete die Tür und sprang aus der Kutsche auf den Bürgersteig.

Amber Steele runzelte ungläubig die Stirn, als er ihr wortlos den Rücken zukehrte. Sie zog ihre Geldbörse hervor und entlohnte den Kutscher, bevor sie sich im Font aufrichtete.

»Mr. Lassiter? Möchten Sie mir vielleicht heraushelfen?« Sie streckte die Hand aus, und er warf ihr einen kurzen Blick über die Schulter zu.

»Wenn Sie reingekommen sind, werden Sie es doch wohl auch ohne fremde Hilfe wieder herausschaffen, nehme ich an«, knurrte er und marschierte auf den Eingang des Hauptquartiers zu.

Der Kutscher schob sich seinen Hut in den Nacken und bedachte Amber Steele mit einem mitfühlenden Blick. »Was ist das denn für ein grober Klotz?«, brummte er. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Er schickte sich an, vom Bock zu steigen, doch Amber schüttelte den Kopf.

»Danke, es geht schon«, sagte sie mit einem schiefen Grinsen und sprang auf das Trottoir. Als sie Lassiter eilig hinterher lief, war der letzte Rest an Heiterkeit aus ihrer Miene verschwunden.

»Sie müssen Lassiter sein!«

Ein stämmiger Mann mit leuchtend grünen Augen kam ihm über den Korridor hinweg entgegen und streckte die Hand aus. Lassiter schüttelte sie und nickte wortlos.

»Prächtig, dann sind wir endlich vollzählig.« Er klopfte Lassiter jovial auf die Schulter. »Ich bin Chet Burrows vom Secret Service und leite die Operation. Freut mich außerordentlich, Sie an Bord zu haben! Mein guter Freund Charles hat Sie als den fähigsten Agenten der Brigade Sieben angekündigt, und damit sind Sie genau der Richtige.« Er zwinkerte vertraulich. »Denn hier versammeln sich die besten Leute aller Abteilungen, damit die große Feier kein böses Ende nimmt.«

»Warum sollte das passieren?«, fragte Lassiter.

»Wer kann das schon wissen? Es werden bis zu hunderttausend Besucher erwartet, da ist vieles denkbar. Deshalb sind wir hier.«

Unvermittelt stutzte Burrows und warf einen suchenden Blick über Lassiters Schulter. »Wo haben Sie denn Deputy Inspector Steele gelassen?« Einen Moment später erhellte sich seine Miene wieder. »Ach, da kommt sie ja!«

Lassiter wandte sich um und sah, wie Amber Steele durch die Tür zum Treppenhaus trat und dabei ein wenig außer Atem zu sein schien. Sie warf dem Agenten einen finsteren Blick zu, was ihn zum Schmunzeln brachte, marschierte um Haltung bemüht auf die Männer zu und rang sich ein Lächeln ab, während sie Burrows begrüßte.

»Alles okay bei Ihnen, Miss Steele?«, erkundigte sich Burrows höflich, und sie nickte.

»Alles bestens, Sir«, brummte Amber pflichtschuldig, ohne Lassiter eines weiteren Blickes zu würdigen.

»Gut, dann folgen Sie mir.«

Die Tür zu einem großen Raum am Ende des Ganges stand offen, und Lassiter bemerkte das Schild an der Glasscheibe.

War Room

Das klang merkwürdig martialisch, und der Brigade-Sieben-Mann verstand nicht recht, was darunter zu verstehen war – doch er war nicht in der Stimmung, den Agent in Chief oder gar Amber Steele danach zu fragen.

Als sie den Raum, der fast die Ausmaße eines Saales hatte, betraten, wandten sich ihnen fünfzehn Köpfe zu.

Burrows stellte jeden der Anwesenden vor, doch Lassiter hatte die Hälfte der Namen bereits wieder vergessen, als er an den zu einem Caré zusammengestellten Tischen Platz nahm und eine Sekretärin ihm ungefragt einen Becher dampfenden Kaffee hinstellte. Er nippte an dem heißen Getränk, und seine Züge entspannten sich ein wenig.

Zumindest auf die Zubereitung von Kaffee schien man sich in New York zu verstehen.

Ihm gegenüber an der Stirnseite des War Room hing eine Karte der Stadt an der Wand, die nahezu die Größe einer Zimmertür hatte. Verschiedene Punkte auf dem Plan waren rot markiert, außerdem wurden Areale von blauen Kreisen umgrenzt. Neben der Karte befand sich eine Schiefertafel auf einer hölzernen Staffelei, wie sie von Malern benutzt wurde. Darauf standen mit Kreide geschrieben Stichworte und Zahlen, deren Bedeutung sich Lassiter zunächst nicht erschloss.

Amber Steele hatte sich links neben ihm niedergelassen, ignorierte ihn aber geflissentlich und tat so, als würde sie Karte und Tafel vor ihnen eingehend studieren. Sein Sitznachbar auf der anderen Seite hingegen lächelte ihm offenherzig entgegen und reichte ihm die Hand.

»Captain Michael Forest. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte der junge Mann, und ein leichter Akzent verriet Lassiter dessen Herkunft.

»Sie stammen aus Frankreich?«, fragte Lassiter, und Forest nickte. »Ich bin vor sechs Jahren über den großen Teich gekommen und habe es nie bereut«, erwiderte er. »Trotzdem fühle ich mich der alten Heimat natürlich noch verbunden, und deshalb freut es mich umso mehr, dass mit der Freiheitsstatue die Freundschaft zwischen unseren Nationen nun ein so wundervolles Symbol erhält.«

»Aber klar doch«, brummte Lassiter, obwohl die Worte des jungen Mannes ein wenig so wirkten, als hätte er sie auswendig gelernt.

Er wusste, dass man unter den jungen Einwanderern aus der Alten Welt meist die glühendsten Patrioten fand. Die, die der Armut zuhause entflohen waren und denen es gelungen war, sich hier in den Staaten ein neues Leben aufzubauen, waren oft derart dankbar dafür, dass sie den Begriff von »God's own country« weitaus tiefer verinnerlichten als die alteingesessenen Amerikaner. Und glaubten, sich durch besondere Treue dem Sternenbanner gegenüber immer wieder als würdig erweisen zu müssen.

»Ladys und Gentlemen«, ließ sich Burrows von vorn vernehmen, und alle hoben die Köpfe. »Wir sind jetzt vollzählig, und daher möchte ich um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bitten, wenn wir nun die Einsatzpläne und die Strategie durchgehen, um für die Sicherheit vor und während der Zeremonie am kommenden Freitag zu sorgen.« Er nickte einem korpulenten Mann mit Dackelblick und Henkelohren zu, der zwei Plätze neben ihm saß.

»Der verehrte Chief of Department Samuel Midstone wird den Anfang machen, indem er insbesondere die ortsunkundigen Kollegen unter Ihnen ausführlich mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut macht. Dabei werden wir uns auch über die Abläufe am Tag X unterhalten, vom Madison Square Park bis nach Bedloe's Island. Chief, bitte.«

Was folgte, war eine scheinbar endlose Abfolge von Vorträgen, die in regelmäßigen Abständen durch Fragestellungen unterbrochen wurden. Lassiter tat sein Bestes, um der Prozedur mit Pflichtbewusstsein und Professionalität beizuwohnen und stellte anfangs ein paar zielführende Fragen, doch je länger sich die Besprechung hinzog, desto ermüdender und zäher erschien sie ihm.

Selbst der kräftige Kaffee konnte es nicht verhindern, dass er nach einer Weile immer öfter ein Gähnen unterdrücken musste, und als Burrows sie nach geschlagenen drei Stunden endlich in eine späte Mittagspause entließ, atmete er so erleichtert auf wie ein Sträfling, der nach Jahren in einem Kellerverlies wieder in die sonnige Freiheit treten durfte.

»Sie sehen aus, als wären Sie gefoltert worden«, bemerkte Amber Steele, während sie Seite an Seite aus dem Hauptquartier auf die Straße traten. Ihre Stimme und der Ausdruck auf ihrem Gesicht erweckten den Eindruck, dass ihr dieses Bild zu gefallen schien.

»Sie müssen mich nicht begleiten, Deputy Inspector Steele«, brummte Lassiter, wobei es ihm gelang, ihren Dienstrang klingen zu lassen wie eine Beleidigung. Unschlüssig sah er sich um. »Ich brauche keinen Babysitter.«

»O doch, den brauchen Sie«, erwiderte die junge Frau ungerührt. »Ich hab mir diese Aufgabe nicht ausgesucht, Lassiter. Der Chief hat ihn mir aufgedrückt, kapiert?«

Sie wackelte mit den Augenbrauen. »Und seit ich Sie kennengelernt habe, frage ich mich, womit ich das verdient habe. Aber Befehl ist Befehl. Also kommen Sie.«

Sie packte seinen Jackenärmel und wollte ihn in Richtung Süden zerren. Nachdem er sich losgerissen hatte, folgte er Amber Steele dennoch die Straße hinunter.

»Ist doch ganz hübsch hier, oder?«, versuchte Marlene die armselige Absteige schönzureden, während sie sich im Zimmer umsah, den Reisekoffer am Griff mit ihren schmalen Händen umklammernd.

Durch das kleine Fenster blickte man auf rußgeschwärzte Ziegelmauern, und aus dem Hinterhof drang wütendes Gezeter herauf. Streifen der vergilbten Tapeten an den Wänden rollten sich ringsherum traurig nach unten wie Blätter verwelkender Lilien, und es roch nach Schimmel und enttäuschten Träumen.

Beatrice nickte und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. »Alles ist besser als die Kajüte...« Sie starrte an die Decke, auf der sich eine schwarze Spinne flink in die Ecke bewegte und hinter dem Rohr des Ofens verschwand.

»Wann treffen wir uns mit den anderen?«

Marlene wandte den Kopf und schaute zu ihrer Freundin hinunter. »Was meinst du?«

»Na, die anderen – unsere amerikanischen Brüder und Schwestern.«

Beatrice stützte sich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab und sah Marlene mit fragenden Augen an.

»Die Kundgebung? Warum sind wir denn sonst nach New York gereist, frage ich dich.«

»Ach so, natürlich.« Marlene bemühte sich um ein Lächeln und hoffte, es sah überzeugend genug aus. »Das kann noch ein oder zwei Tage dauern, Liebes. Simon ist unterwegs, um sich mit ihnen zu treffen.«

»Er kam mir ziemlich angespannt vor auf dem Schiff«, bemerkte Beatrice, während Marlene ihren Koffer auf das andere Bett vor dem Fenster legte und die Riemen löste.

»Mag schon sein«, erwiderte Marlene, öffnete den Koffer und runzelte die Stirn, weil ihre Kleider wild durcheinander lagen. »Es war eine lange Reise, und wir...«

»Ihr konntet nicht zusammen sein«, fuhr Beatrice ihr ins Wort und kicherte leise. »Bien sur, ihn sticht der Hafer!«

Ein kurzer Blick von Marlene ließ sie schuldbewusst die Hand vor den Mund schlagen. »Excusé moi, Marlene«, sagte sie. »Ich frage mich nur, warum nicht ihr hier im Zimmer beisammen seid – anstatt uns beiden.«

Sie starrte auf den Hintern der Freundin, die ihr den Rücken zukehrte, eines der Kleider aus dem Koffer zog und es ausschüttelte, bevor sie es einer kritischen Betrachtung unterzog.

»Nach der langen Reise hättet ihr doch jetzt endlich die Gelegenheit gehabt, einmal für euch zu sein«, sagte die Rothaarige und drehte gedankenverloren eine Locke ihres langen Haars durch die Finger. »Aber Simon sagte mir, ich solle mit dir gehen. Die Männer haben die Zimmer weiter vorn bezogen, und deshalb frage ich mich... Habt ihr euch etwa gestritten?«

Marlene seufzte leise, bevor sie sich umwandte und ein Lächeln aufsetzte, das ihre Augen nicht erreichte.

»Mach dir keine Sorgen, zwischen mir und Simon ist alles in Ordnung«, erwiderte sie betont gleichmütig. »Aber wir haben die Reise nicht zum Spaß angetreten, Beatrice. Besser, du verstehst das.«

Sie zog sich das Kleid über Schultern und Kopf, bevor sie es zu Boden fallen ließ. Dann streifte sie auch die Stiefel ab und zog ihre Unterwäsche aus.

Beatrice fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe und musterte die nackte Marlene nachdenklich.

»Hast du abgenommen? Und bleich bist du, wie ein Vampir...«

Marlene stützte die Hände in die schmalen Hüften und runzelte die Stirn.

»Du siehst auch nicht gerade aus wie das blühende Leben, mon cher«, konterte sie und lächelte schmal.

So karg die Kammer auch war, verfügte sie doch wenigstens über einen winzigen Nebenraum, in dem sich ein Waschzuber, ein Eimer mit Wasser und ein Stück Seife befanden.

Marlene nutzte alles, um sich den Schmutz und Schweiß der vergangenen Tage vom Leib zu schrubben, während Beatrice ihr vom Zimmer aus ebenso gelassen wie interessiert zusah.

»Männer mögen es, wenn wir ein wenig riechen«, behauptete sie versonnen. »Das macht sie heiß. Wie Hengste, die den Stuten am Hintern schnüffeln, bevor sie sie bespringen.«

Marlene verdrehte angewidert die Augen und griff nach dem Handtuch, das neben ihr an einem Haken hing. Sie betrachtete es einen Moment, roch daran und schüttelte schließlich resignierend den Kopf, um sich widerwillig mit dem Leinentuch abzutrocknen.

»Weißt du was, Bea? Das interessiert mich einen feuchten Kehricht.«

Achselzuckend schaute Beatrice sich um, bevor sie unvermittelt fragte: »Meinst du, wir dürfen heute noch auf Erkundungstour gehen? Ich brenne vor Neugier, und außerdem habe ich Hunger.«

Marlene trat ins Zimmer zurück und fuhr sich durch das feuchte, schwarze Haar, bevor sie den Kopf schüttelte.

»Das ist keine gute Idee, Schätzchen. Du kannst doch nicht allein durch eine fremde Stadt spazieren. Da könnte alles Mögliche passieren. Gedulde dich einfach noch eine Stunde, dann kommen die Männer zurück, und wir gehen zusammen essen.«

Schmollend stülpte Beatrice die Unterlippe vor, während Marlene an ihren Koffer trat, frische Unterwäsche hervorzog und sie sich überstreifte, bevor sie in ihr Kleid schlüpfte.

»Du bist wunderschön, Marlene«, sagte Beatrice leise. »Tut mir leid, was ich gerade gesagt habe.«

Die Angesprochene wandte sich um und lächelte nachsichtig. »Ich weiß gar nicht, was du meinst. Aber wasch dir wenigstens das Gesicht, Schätzchen. Du siehst aus, als kämst du aus einem Kohlenkeller.«

Die Kaschemme in der Sixth Avenue unmittelbar jenseits der Gleise der Stadtbahn sah von außen lediglich schäbig aus, doch wenn man durch die Tür ins Innere trat, erwies sich die Fassade als ein trügerisches Versprechen.

Es war noch schlimmer. Simon Beaucroix rümpfte die Nase und beeilte sich, am Tresen vorbeizukommen, denn den dort gebückt hockenden Burschen war anzusehen, dass sie eine Prügelei regelrecht herbeisehnten. Außerdem war der Raum von einem Geruch erfüllt, der die Vermutung nahelegte, dass man hier ein halbes Dutzend Menschen nicht nur umgebracht, sondern sie auch gehäutet und irgendwo in einem Nebenraum zur Schau gestellt hatte.

Sein Blick huschte über die Tische, und als eine dunkle Gestalt in der hintersten Ecke des Raumes diskret die Hand hob, beschleunigte er erleichtert seine Schritte.

LaRousse und Geoffrey folgten ihm auf dem Fuße und versuchten dabei, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Dass dieses Bemühen so offensichtlich war und damit das Gegenteil erreichte, schien niemandem aufzufallen.

»Beaucroix?«, fragte der Gentleman mit dem hochgeschlagenen Kragen auf der Bank, und als Simon nickte, streckte der Mann die Hand vor zum Zeichen, dass sie sich setzen sollten.

Simon registrierte irritiert die dunklen, kreisrunden Augengläser, die sein Gegenüber trug, weil er dem Mann deshalb nicht in die Augen schauen konnte; außerdem fielen ihm die ungesunde Gesichtsfarbe, die tiefen Falten im hageren Gesicht und der brüchige Klang der Stimme auf, als der Mann sagte: »Ich hoffe, Sie sind ohne Probleme angekommen. Haben Sie Ihre Zimmer bereits bezogen?«

»Zimmer kann man das kaum nennen«, erwiderte Simon mürrisch. »Haben Sie keine armseligere Absteige für uns gefunden, Mister?«

Sein Gegenüber zuckte nur die Achseln, bevor er einen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels hervorholte und ihn Simon über den Tisch hinweg zuschob. »Wenn Ihnen die Colony Chambers nicht genehm sind, steht es Ihnen frei, sich nach einer anderen Bleibe umzuschauen. Obwohl Sie damit wenig Erfolg haben werden.« Der Mann mit der dunklen Brille stieß eine kurze Abfolge keuchender Laute aus, die sowohl ein Husten als auch ein Lachen sein konnten.

»In Manhattan sind nahezu alle Zimmer ausgebucht, und Sie wissen so gut wie ich, warum. Außerdem dachte ich, Sie wären weniger anspruchsvoll – als tapferer Streiter für die Unterschicht.«

Simon öffnete den Umschlag und ließ seine Finger kurz über die Banknoten wandern, bevor er LaRousse und Geoffrey neben sich zunickte.

Der Inhalt des Kuverts schien der versprochenen Summe zu entsprechen.

»Wie geht es weiter?«, fragte er, während er den Umschlag in der Innentasche seiner Jacke verschwinden ließ.

Irritierend blicklos starrten ihn die beiden runden schwarzen Brillengläser an. Die schmalen Lippen darunter hoben sich unmerklich.

»Schauen Sie sich ein wenig um und genießen Sie New York, Gentlemen«, krächzte sein Gegenüber. »In genau vierundzwanzig Stunden treffen wir uns an diesem Tisch wieder, und Sie erhalten weitere Instruktionen. Aber dann kommen Sie allein, Mr. Beaucroix, verstanden?«

Der Unbekannte erhob sich, klopfte Simon auf die Schulter und verschwand so schnell wie ein Windhauch zwischen den Tischen.

Geoffrey lehnte sich von der Bank in den Gang hinaus und sah ihm neugierig nach, bis die Tür hinter dem Mann zufiel, dann hievte er seinen mächtigen Körper zurück in die Senkrechte und stieß scharf die Luft aus.

»Merde, Simon... mit wem haben wir uns da bloß eingelassen? Beim Anblick dieses Burschen läuft's mir kalt den Rücken herunter.«

LaRousse wühlte sich nervös in den Locken seines stattlichen Barts und nickte mit bekümmerter Miene, verlor aber kein Wort.

Simon zuckte die Achseln und tat sein Bestes, um kaltschnäuzig zu wirken. Er hielt eine Bedienung auf, die gerade an ihrem Tisch vorübergehen wollte.

»Miss? Drei Krüge Bier bitte... und drei Gläser Schnaps dazu, wenn's recht ist.«

»Das ist gut, oder nicht?«

Lassiter kaute schweigend, nach einer Weile deutete er ein Nicken an.

»Man nennt es Pastrami«, erklärte Amber ihm. »Das bekommen Sie nur in New York. Koschere Ochsenbrust, gut abgehangen, fein gewürzt und hauchdünn geschnitten. Dazu Cole Slaw, rote Zwiebeln und das beste Fladenbrot von ganz Manhattan.«

Lassiters Mundwinkel hoben sich um eine Nuance, und nachdem er den letzten Bissen des Sandwiches vertilgt hatte, antwortete er: »Der Laden gehört Ihrem Vater, habe ich recht?«

»Wie kommen sie denn darauf?« Sie hob erstaunt die Augenbrauen.

Er schnaubte amüsiert. »So, wie Sie das Zeug anpreisen...«

Amber Steele presste die Lippen zusammen und wünschte sich eine Zigarette herbei, obwohl sie noch nie zuvor geraucht hatte. Unter dem Tisch ballte sie die Fäuste und blickte sehnsüchtig in Richtung des Ausgangs.

»Gehen Sie ruhig. Ich hab damit kein Problem. Werde ohnehin nicht wieder mitkommen.« Lassiter griff nach der Serviette und wischte sich den Mund ab, bevor er die junge Frau regungslos anstarrte.

»Was meinen Sie damit?«

»Was ich gesagt habe.« Er zuckte die Achseln und warf die Serviette neben den Teller. »Ich komme nicht mit zurück, um mir noch stundenlang weiteres Geschwätz anzuhören, das mich nicht interessiert und niemanden weiterbringen wird.«

»Sie... Sie sind Teil des Teams und deshalb verpflichtet, an der Sitzung teilzunehmen«, erwiderte Amber entrüstet und hob dabei die Nase.

Der Brigadeagent schüttelte den Kopf. »Ich bin Teil von gar nichts, Miss Steele. Machen Sie sich fleißig Ihre Notizen und teilen Sie mir morgen mit, wo mein Platz sein soll, wenn es so weit ist.« Er dachte einen Moment nach. »Mein Hotel heißt Prescott House , wenn ich mich richtig erinnere?«

Amber Steele starrte ihn schweigend an, während sich eine ungesunde Röte von ihrem Hals den Weg hinauf in ihr Gesicht bahnte. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und presste hervor: »Sie wollen sich also einfach so davonstehlen? Das können Sie nicht tun!«

»Ich mache nichts, außer mein Zimmer aufzusuchen und mich aufs Ohr zu legen. Die Reise war lang.« Er zwinkerte ihr zu. »Versprochen. Also, sehen wir uns morgen zum Frühstück?«

Als sie nach ihrer Tasche griff, versuchte sie sich an einem verächtlichen Gesichtsausdruck und schürzte die Lippen. »Als wenn Sie allein zum Hotel finden würden, Sie Landei!«

»Keine Sorge, Ma'am.« Er grinste. »Da bei Ihnen die Straßen nummeriert sind, würde ich selbst mit zwei Flaschen Whiskey intus noch den Weg finden.«

Ein letzter Blick, der hätte töten können, dann warf Amber Steele den Kopf herum und stürmte mit zu einem Strich zusammengepressten Lippen aus dem Diner hinaus auf die Straße. Durch das Fenster hindurch blickte Lassiter ihr nach, bis sie die Avenue überquert hatte und die zahlreichen Fuhrwerke und Droschken ihm die Sicht auf die zornige Dame versperrten.

Er leerte die Kaffeetasse – der Inhalt war gut, doch das Gefäß viel zu klein – und empfand für einen kurzen Moment fast so etwas wie Mitleid für die hübsche Inspektorin der NYPD.

Natürlich war ihm aufgefallen, dass Amber Steele sich alle Mühe gab, ihn willkommen zu heißen und sich als höfliche Gastgeberin zu erweisen. Doch genau dieser Enthusiasmus hatte von Anfang an seinen Argwohn erweckt. Er ging davon aus, dass man ihm die schöne Frau als Aufpasserin an die Seite gestellt hatte.

Und wenn Lassiter etwas hasste, dann war es Kontrolle.

Schon deshalb hatte er den neuen Auftrag nicht verstanden. Er als Teil einer Gruppe, die Babysitter spielen sollte für den Präsidenten und seine Partygäste? Warum hatte man für diese Aufgabe nicht jemand anderen genommen, irgendeinen aus der Truppe der Städter? Da wäre die Auswahl groß genug gewesen.

Er hatte eine entsprechende Antwort als Telegramm nach Washington geschickt, die kurz und bündig erwidert worden war.

» N.Y. Sofort. «

Da war kein Raum mehr für Diskussionen geblieben.

Lassiter bezahlte und verließ das Diner. Auf dem Bürgersteig marschierte ein bunter Trupp aus Musikern vorbei, der mit Pauken und verschiedenen Blasinstrumenten auf eigentümliche Art die Marseillaise zum Besten gab. Lassiter glaubte die Melodie zu erkennen, wobei die rotweißblauen Fähnchen, die die sichtbar angetrunkenen Begleiter der Musikantentruppe durch die Luft schwenkten, ein hilfreicher Hinweis waren, doch er hatte die Nationalhymne der Franzosen schon auf harmonischere Art und Weise zu hören bekommen.

Er bestieg eine Droschke, und als er dem Kutscher den Namen des Hotels nannte, fragte der nach: »Ecke Spring und Broadway Street? Oder wollen Sie raus nach Brooklyn?«

Lassiter starrte dem bulligen Mann ein paar Augenblicke lang sprachlos ins Gesicht, bevor er fragte: »Wieso? Gibt es etwa zwei Hotels mit demselben Namen?«

Sein Gegenüber rollte kurz mit den Augen. »Mein Name ist Gregory, Mister... und Sie dürfen Gift darauf nehmen, dass Sie noch ein paar andere Kutscher in dieser Stadt finden, die genauso heißen. Dasselbe gilt für das Hotel, zu dem Sie wollen.«

Er schnaubte ungeduldig. »Also, wo geht's hin?«

Lassiter entschied sich für das näher liegende. Und war ein wenig erleichtert, als man ihn im Prescott House empfing und bestätigte, dass ein Zimmer in der zweiten Etage auf seinen Namen gebucht worden war.

Obwohl der Tag noch jung war, verspürte Lassiter nicht das geringste Bedürfnis, sich von der munteren Feierstimmung in der Stadt anstecken zu lassen.

Die Ansammlung tausender Menschen, die sich wie Ameisen auf viel zu kleinem Raum in den Straßen der großen Städte tummelten, ließ ihm stets den Hals eng werden, und er war froh darüber, dass das Fenster seiner Suite einen Blick auf einen verwaisten Hinterhof bot, in dem sich außer ein paar Katzen keine Seele befand.

Eine Weile lang genoss er die Ruhe, zündete sich einen Zigarillo an und beobachtete das durchaus gewalttätige Liebesspiel eines Katers mit einer weiblichen Artgenossin auf der Mauer gegenüber, bis ein Klopfen an der Zimmertür ihn den Kopf wenden ließ.

»Mr. Lassiter?«

Er unterdrückte ein Seufzen und durchquerte den Raum mit ein paar Schritten, bevor er stirnrunzelnd die Tür öffnete.

Die dunkelgrünen Augen des Zimmermädchens sahen aus wie grundlose Bergteiche hoch oben in den Rocky Mountains, während der Schneeschmelze im Mai. Ihre kastanienfarbenen Locken fielen über die weichen Rundungen der Schultern hinab bis auf ihr Dekolleté, das, nun ja, ziemlich beeindruckend war...

»Ich bringe Ihnen nur die Handtücher und ein Kopfkissen, Sir«, sagte sie mit einem verschmitzten Zwinkern, und erst nach einer Sekunde bemerkte er, was sie in ihren Händen hielt. »Außerdem lässt die Rezeption fragen, ob Sie darüber hinaus noch irgendwelche Wünsche haben.«

Seine Miene hellte sich zum ersten Mal seit seiner Ankunft in New York merklich auf.

Das Rattern der Stadtbahn ließ die Fenster erzittern, und Nikola Tesla hob für einen Moment konsterniert den Kopf, bis der Zug vorübergefahren war. Stirnrunzelnd betrachtete er die Flamme in der Öllampe, die noch eine Weile flackerte, bevor sie zur Ruhe kam.

Er schob sich die Sehhilfe über der Nase zurecht und drehte den Docht etwas höher, bevor er den Blick wieder auf die Papiere vor sich richtete, doch ihm war bewusst, das würde es nicht besser machen.

Die Zahlen waren weitaus eindeutiger als manche der Ergebnisse seiner neuen Experimente. Diese Zahlen hatten nichts mit Physik oder Chemie zu tun, nichts mit Temperaturen, Stromstärken oder Widerständen in Versuchsreihen; hier es ging nicht um Volt, Watt oder Ohm, sondern nur um Dollars.

Und die sprachen eine eindeutige Sprache.