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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2503, 2504 und 2505.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 393
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Sanjulian/Ortega
ISBN: 978-3-7517-7858-9
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2503
Nacht ohne Ende
Lassiter 2504
Der Gunman und die Teufelin
Lassiter 2505
Ein Lockvogel namens Nancy
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Contents
Nacht ohne Ende
»Einen Moment noch, Ma'am.« Lassiter griff nach dem Arm der Frau an seiner Seite und verengte die Augen, während die Männer des Sheriffs an ihnen vorbei auf den Sidewalk hinaustraten. Sie hielten die Gewehre unauffällig, fast lässig im Hüftanschlag und sahen sich auf der menschenleeren Mainstreet um. Die Tür der gepanzerten Abbot Downing stand bereits offen, als sich Benjamin Smith zu ihnen umwandte und unter dem grauen Bart die Lippen öffnete.
»Die Luft scheint rein zu sein«, knurrte er und nickte Lassiter zu, der daraufhin mit der Frau ins Freie trat.
Ein fataler Irrtum, wie sich Sekunden später zeigte.
Der Kugelhagel, der über sie niederging, kam wie aus dem Nichts. Projektile zischten durch die Luft, bohrten sich in den Staub der Straße, fetzten Splitter von den Stützbalken des Vordaches ab, prallten auf die Metallplatten der Kutsche, um als jaulende Querschläger ziellos davonzufliegen.
Eines erwischte Ben Smith im Hals, und der Deputy schwankte seitwärts, als hätte ihn ein mächtiger Schwinger erwischt, während ein roter Strahl in großem Bogen über seinem Halstuch hervorschoss.
Lassiter überlegte nur eine Sekunde, dann packte er die Frau unter der Achsel und riss sie mit sich zur Kutsche, anstatt sich in das Sheriff's Office zurückzuziehen. Er tat sein Bestes, um die Lady mit dem eigenen Körper vor den Heckenschützen abzuschirmen, während sie die Stufen hinab in Richtung der Kutsche sprangen und die Frau mit aufgerissenen Augen nur einen gepressten Laut über die Lippen brachte.
Ein Geschoss riss Lassiter den Stetson vom Kopf, und er spürte die Hitze der Kugel an seiner Schädeldecke. Geduckt hastete er voran, dann waren sie an der Kutsche, und er stieß die Lady ohne Umschweife in den Font, der wegen der nur schießschartengroßen Fenster so dunkel wirkte wie ein Verlies.
»Rühren Sie sich nicht vom Fleck!«, befahl er ihr, und als er sich umwandte, sah er, wie Ben Smith drei Schritte vor ihm auf die Knie fiel und mit brechendem Blick nach vorn in den Staub stürzte.
Smiths Kollegen glaubten derweil, die Positionen der Schützen ausgemacht zu haben und gaben alles, um eine passende Antwort zu liefern. Ihre Winchester-Karabiner spuckten Feuer, während sie sich im Halbkreis um die Kutsche verteilten und mit an die Schulter gerissenen Kolben auf zwei Dächer zielten, die beide gut fünfzig Yards entfernt lagen.
Und tatsächlich erkannte Lassiter im nächsten Moment das aufblitzende Mündungsfeuer hinter dem Schild auf dem Dach des Saloons, bevor nahezu zeitgleich einen Schritt vor ihm ein Projektil in die lederne Gepäckplane auf der Rückseite der Abbot Downing einschlug.
Einen Fluch zwischen den Zähnen zerbeißend zog er das Scabbard mit seinem Karabiner von der Schulter und ließ die Winchester herausgleiten. Es klickte metallisch, als er den Repetierbügel betätigte und eine Kugel vor den Lauf beförderte. Er duckte sich, legte das Gewehr auf das linke Hinterrad der Kutsche und zwang sich dazu, einen Atemzug lang das unsichtbare Ziel anzuvisieren.
Dann feuerte er in kurzer Folge drei Schüsse ab, die im Abstand von Handbreiten Löcher in das Schild des Saloons stanzten.
Zumindest einer davon tat mehr als das, denn eine Sekunde später riss jemand hinter dem Schild die Arme hoch, bevor er aus dem Schutz der Holztafel taumelte und zusammenbrach.
»Goddam, ein Blattschuss!« Jasper Gold, der jüngste der Deputies, kreischte fast vor grimmiger Begeisterung und sah mit breitem Lächeln zu Lassiter hinüber.
»Kopf runter, Junge!«, hatte der Brigadeagent gerade rufen wollen, als Jaspers Lächeln in einer blutigen Wolke verschwand und der Körper des jungen Mannes zwei Schritte weit nach hinten geschleudert wurde, bevor er an einer Regentonne herabsackte.
Lassiter wirbelte herum und hastete an der Kutsche vorbei zu den Pferden, die dem Krachen der Schüsse mit stoischer Reglosigkeit begegneten. Es waren altgediente Armeepferde, die schon einiges erlebt hatten, außerdem hinderten sie die Scheuklappen, die straff gezogenen Zügel und die beiden arretierten Bremsen an den Vorderrädern daran, auszubrechen.
Schon das Geräusch der ersten Schüsse hatte Lassiter verraten, wo sich die Heckenschützen befanden. Es waren mindestens zwei gewesen, die sich auf den weiter entfernten Gebäuden positioniert hatten und deshalb über Präzisionswaffen verfügen mussten, vielleicht mit Zielfernrohren ausgestattet.
Den Mann im Westen hatte er ausgeschaltet, blieb in jedem Fall noch einer, und der hockte vermutlich im höchsten Gebäude östlich vom Sheriff's Office.
Dem Kirchturm.
Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass die anderen Deputies das inzwischen ebenfalls kapiert hatten und daher so klug gewesen waren, sich in Deckungen zu begeben, die sie von Schüssen aus dieser Richtung absicherten.
Scharfer Pulvergeruch zog über die Mainstreet, doch kein Schuss wurde mehr abgefeuert. Ein Zeichen dafür, dass Lassiters Vermutung zutraf: Es gab nur zwei Schützen, und der Killer im Turm hatte jetzt keine Ziele mehr vor dem Lauf, die so leicht zu treffen waren.
»Lassiter?« Die Stimme kam aus dem Inneren der Kutsche und gehörte der attraktiven Lady, die den Grund für das morgendliche Bleigewitter geliefert hatte. Dafür klang sie bemerkenswert gelassen.
»War's das? Können wir aufbrechen?«
Lassiter verengte die Augen. »Können wir nicht. Und wagen Sie es bloß nicht, ihr hübsches Näschen rauszustrecken, klar?«
Als er eine Bewegung in den Augenwinkeln wahrnahm, drehte er den Kopf und erkannte Dakota Jim, das stämmige Halbblut, mit dem er am Abend zuvor noch auf das Gelingen der gemeinsamen Mission angestoßen hatte. Dakota Jim schlich sich im Schutz des Vordachs an der Bank vorbei, die neben dem Eingang des Offices stand, und nickte erst zum Kirchturm hinüber, bevor er Lassiter fragend anstarrte.
Lassiter nickte zurück und packte die Winchester mit beiden Händen. Dann sprang er auf und spurtete los.
Gebückt und wieselflink rannte er quer über die Mainstreet, während Dakota Jim fast ebenso schnell über die Sidewalks hastete.
Der Heckenschütze hatte darauf gelauert, dass seine Gegner sich aus der Deckung wagten, doch zwei sich gleichzeitig bewegende Ziele ließen ihn wertvolle Sekunden lang zögern.
Als er sich für Lassiter entschieden hatte, ließ eine Garbe aus Geschossen kleine Staubfontänen dicht neben und vor den Stiefeln des Brigadeagenten aufsteigen. Ein vierter Schuss riss das Leder seiner Jacke am linken Ärmel auf, bevor er sich unter das dichte Laub einer mächtigen Buche retten konnte, die den Platz vor dem Eingang zur Kirche bewachte. Schwer atmend presste er sich mit dem Rücken gegen den Stamm des Baumes und blickte zur anderen Straßenseite. Dakota Jim hockte geduckt hinter einem Murphywagen mit hochgestellter Deichsel und leerer Ladefläche und tippte sich mit zwei Fingern salutierend an die Stirn.
Alles okay.
Lassiter blickte zurück auf die Mainstreet. Die anderen Deputies folgten ihnen und nutzten dabei jede Deckung aus. Auch der alte Sheriff Nathan Counter war jetzt aus dem Büro getreten und hielt ein Gewehr in der Hand, blieb aber im Schutz des Vordachs zurück. Angesichts seiner über siebzig Jahre nahm Lassiter ihm das nicht übel.
Wenn man berücksichtigte, dass ein verschlafenes Nest wie Kayleigh Hills nicht gerade ein perfekter Ort für eine Zeugin war, um Schutz zu suchen vor Nestor Bridget, dem gefürchtetsten Outlaw Kaliforniens, schlugen sich die Ordnungshüter hier bisher ziemlich wacker.
Dem Heckenschützen im Kirchturm dürfte mittlerweile klar geworden sein, dass er gescheitert war, wie Lassiter vermutete. Die Lady war für ihn nicht mehr zu treffen, der Überraschungseffekt des feigen Hinterhalts war dahin und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Kirche gestürmt werden würde und der Bastard...
Stirnrunzelnd drang das Knarren von Scharnieren an seine Ohren, er richtete sich auf und spähte um den Stamm des Baumes herum.
»All devils!«
Auf der im Schatten liegenden Seite der Kirche hatte sich eine Tür geöffnet, und Lassiter sah, wie sich eine dunkle Gestalt auf den Rücken eines Pferdes schwang, das ihm vorher entgangen war. Der Unbekannte gab dem Tier die Sporen, und Lassiter riss die Winchester hoch und zielte auf den Rücken des Reiters, doch im nächsten Moment war der bereits aus seinem Sichtfeld verschwunden. Während er die Waffe wieder sinken ließ und der Hufschlag schnell leiser wurde, verzog Lassiter resignierend die Lippen.
☆
»Ich verbürge mich für jeden hier in Kayleigh Hills«, brummte Sheriff Counter mit brüchiger Stimme, während sein Blick über Lassiters Schulter hinweg verfolgte, wie zwei seiner Deputies in schmucklose Särge aus hellem Kiefernholz gelegt wurden. »Wer auch immer Bridget verraten hat, dass die Lady sich hier bei uns befindet – es war keiner aus dieser Stadt.«
Lassiter klopfte dem Oldtimer auf die Schulter. »Das hat auch niemand behauptet, Sheriff. Es tut mir leid, dass Sie zwei Ihrer Männer verloren haben. Richten Sie den Angehörigen mein Beileid aus.«
»Dieses Gewehr von dem Burschen, den Sie erwischt haben... so etwas habe ich noch nie gesehen. Mit einem Fernrohr statt 'ner Kimme.« Counter fuhr sich durch das schlohweiße Haar, das dünn wie Spinnweben in der Morgensonne leuchtete. Er wirkte auch jetzt noch fassungslos; eine Stunde, nachdem der Pulverdampf über der Mainstreet sich verzogen hatte und die ersten Bürger sich wieder vor ihre Häuser trauten, um mit versteinerten Mienen hinüberzustarren zum Sheriff's Office, vor dem die gepanzerte Kutsche nach wie vor ihrer Abreise harrte.
»Obwohl Nestor Bridget in Sacramento hinter Gittern sitzt, kann er immer noch professionelle Killer losschicken, um Zeugen umlegen zu lassen. Jemand muss ihm Miss Corbyns Aufenthaltsort verraten haben«, sagte Lassiter. »Doch die undichte Stelle wird sich in der Hauptstadt befinden, nehme ich an.«
Ein grimmiges Nicken antwortete ihm. »Aber so lange Sie den Verräter nicht kennen, kann hinter jeder Ecke der nächste Mörder auf Sie warten, nicht wahr?«
Als Lassiter darauf nur die Achseln zuckte, setzte Sheriff Counter ein humorloses Lächeln auf. »Sie scheinen mir ein beinharter Hund zu sein, Sir. Gott stehe Ihnen bei.«
Sie verabschiedeten sich und brachen auf, Lassiter auf seinem Wallach, Dakota Jim mit Ricky James auf dem Kutschbock und Buster Pangborn, der eine Eskorte vervollständigte, die sich angesichts der Bedrohung recht bescheiden ausnahm.
Denn die Lady, die im Inneren der Kutsche wie in einer kleinen Burg saß und einer Königin gleich seit dem letzten Schuss auf der Mainstreet huldvoll geschwiegen hatte, wurde vermutlich von einer Bande gehetzt, die der Staatsanwalt auf mindestens hundert Outlaws taxierte.
Der Weg aus der kleinen Stadt hinaus führte sie direkt in die Wüste, die sich öde und scheinbar endlos gen Westen erstreckte. Bis nach Sacramento waren es etwa vierzig Meilen, doch die Kutsche und ihre Bewacher hatten ein anderes Ziel.
Obwohl die Sonne nun zur Mittagszeit unbarmherzig vom Himmel brannte, waren sie froh darüber, die bewaldeten Berge hinter sich lassen zu können. Denn hier in der Prärie konnte man mögliche Angreifer wenigstens schon früh kommen sehen.
»Wann erfahren wir eigentlich, wohin es geht?«, fragte Ricky James und sah Lassiter dabei neugierig vom Bock her an. Der junge Deputy mit den wie Gold glänzenden Haarsträhnen, die ihm bis über die Schultern fielen, zupfte dabei an seinem Hemdkragen, unter dem ein Bolo Tie mit einem dunklen, silbergefassten Stein glänzte.
»Wenn wir ankommen«, grunzte Dakota Jim neben ihm trocken und nahm Lassiter damit die Antwort ab.
»Wenn man deine Mutter gefragt hätte, ob du uns begleiten sollst, und ihr verraten hätte, um wen es sich bei der Lady in der Kutsche handelt«, ließ sich Buster Pangborn vernehmen und strich sich dabei genüsslich über den graumelierten Bart. »Dann hätte sie vermutlich alles getan, um dich davon abzuhalten.«
Ricky wandte den Blick. »Was soll das heißen, Buster? Hältst du mich für ein Muttersöhnchen? Ich hab die Schießerei genau so wie du miterlebt.« Er schnaubte und reckte das Kinn vor. »Und von Mom lasse ich mir schon länger nicht mehr sagen, was ich zu tun habe.«
Buster warf ihm einen kurzen Blick zu und ließ die Zügel seines Pferdes los, um sich den Stetson in den Nacken zu schieben. Das Tier setzte stoisch seinen Weg fort, während der Mann mit den zwei Revolvern an der Hüfte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn wischte und den Mund zu einem breiten Grinsen öffnete.
»Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hast du dich die ganze Zeit hinter einer Tonne versteckt, als das Geballer losging, Kleiner. Aber du darfst mich gern korrigieren, wenn ich falsch liege. Außerdem war diese kleine Auseinandersetzung auf der Mainstreet nur ein Vorgeschmack auf das, was...«
»Halt's Maul, Buster!«, knurrte Dakota Jim, und die Stimme des Halbbluts war schneidend genug, um den Angesprochenen verstummen zu lassen.
Lassiter, der den Disput stumm zur Kenntnis genommen hatte, ahnte, wer bei dem Trio das Sagen hatte – und auf wen er ein Auge haben musste.
Das nun einsetzende Schweigen gab ihm die Gelegenheit, über die Umstände und den Inhalt des Auftrags nachzudenken, der ihn vor gerade einmal sechzig Stunden erreicht hatte. Es war ein Zufall gewesen, dass er sich ganz in der Nähe aufgehalten hatte und deshalb binnen kürzester Zeit nach Kayleigh Hills gelangen konnte.
Ein Zufall, der der Lady in der Abbot Downing möglicherweise das Leben gerettet hatte.
Nestor Bridget.
Obwohl der Name des Verbrechers seit Jahren bekannt war, hatte er seine dunklen Geschäfte selbst dann noch weiter betrieben, als bereits Steckbriefe mit seinem Konterfei in sämtlichen Sheriff's und Marshal's Offices aushingen. Der Grund dafür war nicht neu. Bridget hatte es geschafft, genug Geld mit seinen Verbrechen zu verdienen, um die Leute, die ihn davon abhalten sollten, damit weiterzumachen, mit Greenbucks davon abzuhalten, ihn dingfest zu machen.
Dafür musste man hier in Kalifornien, einer Region, die nach dem Ende des Goldrauschs im Niedergang begriffen war, nicht einmal große Summen aufbringen. Die Korruption blühte hier im Westen wie in kaum einer anderen Region, und mancher Pessimist in Washington behauptete, es gäbe mehr kalifornische Ordnungshüter auf Seiten der Verbrecher als auf der des Gesetzes.
Das machte den Aufrechten die Arbeit nicht leichter und hatte es Nestor Bridget ermöglicht, fast so etwas wie eine zweite Macht im Bundesstaat zu werden, die der Regierung Konkurrenz machte.
Ein Staatsanwalt aus Los Angeles hatte sich vor ein paar Wochen vertraulich an Washington gewandt, als er glaubte, genügend Beweise gegen Bridget und die Leute in der Politik in der Hand zu haben, die den Banditen schützten oder zumindest gewähren ließen, um das Nest aus Korruption und Verbrechen auszuheben.
Und gleichzeitig ahnte, dass er aus eigener Kraft nicht in der Lage sein würde, dem Einhalt zu gebieten.
Sein Name war Albert Holyfield, ein blasser Bursche aus gutem neuenglischen Hause, der erst zwei Jahre zuvor an die Westküste gezogen war. Er hatte in England Jura studiert, bevor es ihn zurück in die Heimat zog und die Kanzlei seines Großvaters ihn damit beauftragte, eine Dependance auf der anderen Seite der Vereinigten Staaten zu eröffnen.
Die Pläne der Familie schlug er schnell in den Wind – und wechselte die Seiten, indem er als Staatsanwalt kandidierte und sensationell gegen einen alteingesessenen Rivalen ins Amt kam.
Holyfield wusste um die Erwartungen der Bevölkerung, die auf ihm ruhten wie eine schwere Bürde, während er die seines Vaters bitter enttäuscht hatte, der entrüstet und postwendend mit ihm brach.
Es gab nur eins: den Blick nach vorn, ohne Kompromisse.
Lassiter hatte bereits einiges über den streitbaren Ankläger in diversen Gazetten gelesen, bevor die Brigade Sieben ihm den Auftrag erteilt hatte, die Lady bis zum Beginn des Prozesses gegen Nestor Bridget in Sicherheit zu bringen.
Nach den letzten Missionen hatte es Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Brigade gegeben, nicht nur einmal; vor einem halben Jahr war er deshalb kurz davor gewesen, der Brigade Sieben kurz und schmerzlos Adieu zu sagen, als er feststellen musste, wie skrupellos seine Auftraggeber bereit waren, Unschuldige zu opfern für ein nur scheinbar höheres Ziel.
Nach wie vor war er sich nicht sicher darüber, ob sein Job bei der Brigade Sieben tatsächlich das war, was er tun wollte. Doch im Fall der Lady hegte er keine Zweifel.
Albert Holyfield war ein Mann von Ehre. Und Nestor Bridget stand jenseits jeder Moral, verkörperte alles, was Lassiter verabscheute. Da gab es kein Überlegen.
Allerdings gab sich Lassiter auch keinen Illusionen darüber hin, was das Verhältnis zwischen ihm und der Brigade Sieben anging.
Nach den Eskapaden der letzten Monate galt er in Washington wahrscheinlich als unzuverlässiger Kantonist, und deshalb trauten die Befehlshaber ihm wohl genau so wenig über den Weg wie er ihnen. Im Telegramm hatte man angekündigt, dass ihn andere Agenten der Brigade am Zielort erwarten würden, ohne dass Namen genannt wurden.
Wie auch immer. Der Auftrag war eindeutig, und er würde ihn erfüllen: Die Lady musste zum geheimen Versteck gebracht werden und überleben, bis sie vor Gericht gegen Nestor Bridget aussagen und dafür sorgen konnte, den Banditen an den Galgen zu bringen.
Koste es, was es wolle.
☆
Das Rasseln der Ketten an Händen und Füßen hallte durch den Besucherraum bis in den Zellengang, während Nestor Bridget Zähne bleckte, die in seinem dunkelhäutigen Gesicht glänzten wie Perlen. Er spannte die mächtigen Muskeln an, bis der fadenscheinige Stoff der gestreiften Gefängniskluft über den breiten Schultern zu zerreißen drohte, und legte die wulstige Stirn in Falten.
»Wurde auch mal Zeit!«, rief er dem untersetzten Mann zu, nachdem die stählerne Tür geöffnet worden war und man den Advokaten hindurch ließ, der sofort die linke Hand hob, während die rechte mit einem Lederkoffer wedelte.
»Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie!«, zischte Rupert Genardine und sah sich kurz zu dem Wärter um, der mit wachsamer Miene vor der Tür stehen blieb. »Es war schon schwer genug, überhaupt einen Termin mit Ihnen gestattet zu bekommen.«
»Muss ich meinen eigenen Anwalt über die Bürgerrechte belehren?«, erwiderte Bridget unwirsch und bedachte den Wärter mit einem Blick, der den Uniformierten sofort den Kopf senken ließ. »Ich habe Anspruch darauf, meinen Verteidiger zu empfangen, und zwar jederzeit. So steht es in unserer gottverdammten Verfassung, oder nicht?«
Genardine nahm seinem Mandanten gegenüber Platz und verzog den Mund, der für das teigige, runde Gesicht viel zu klein erschien. Die Bewegung seiner Lippen in dem konturlosen Antlitz erinnerte an einen Rochen.
»Ihre Bürgerrechte gelten in den Augen der Staatsanwaltschaft derzeit als Verhandlungsmasse, Mr. Bridget«, sagte er säuerlich und legte seine Aktentasche vor sich auf den Tisch, bevor er die Hände darüber faltete. »Daher möchte ich Ihnen als Ihr Anwalt dringend raten, sich während der Tage bis zur Verhandlung so unauffällig und friedfertig wie möglich zu verhalten. Die Lage ist ernst, glauben Sie mir.«
Unwillig schnaubte Bridget auf und wollte sich mit der Hand über die bullige Stirn fahren, doch die kurze Kette zwischen Stuhllehne und Handgelenk verhinderte es. Der Hüne starrte die eigene Hand eine Sekunde lang an, ballte sie zur Faust und ließ sie dann in einem Akt mühsamer Beherrschung wieder herabsinken.
»Was soll das heißen, Genardine?«, knurrte er. Die Worte kamen tief aus seiner mächtigen Brust hervor und klangen, als wäre ein Bär so gnädig, einen tödlichen Hieb anzukündigen.
Der Anwalt wich unwillkürlich ein Stück zurück, bevor er antwortete. »Ich habe heute die offizielle Anklageschrift der Staatsanwaltschaft erhalten, Sir.« Er schluckte, und sein Kehlkopf hüpfte über dem engen Hemdkragen zweimal auf und ab.
»Sie umfasst über zehn Seiten. Allein die Liste der Delikte, die Ihnen zur Last gelegt werden, besteht aus vier Dutzend Punkten. Von Erpressung, Betrug, Raub, Körperverletzung und Bestechung bis hin zum Mord ist fast nichts vergessen worden, was das Gesetzbuch hergibt. Selbst die Zerstörung öffentlichen Eigentums und das Schänden religiöser Orte ist aufgeführt worden.«
Bridget rollte mit den Augen und ließ wieder seine perlweißen Zähne zum Vorschein kommen. »Im Ernst? Ich hab dem alten Rosenblum lediglich klarmachen wollen, was ich von ihm halte...«
»Indem Sie bei seiner Beerdigung erschienen sind und im Beisein von Zeugen auf die Stufen der Synagoge... urinierten?«
Bridget nickte ungerührt und wedelte mit der Hand, was die Kette erneut zum Rasseln brachte. Der Wärter schaute kurz auf, dann starrte er die Wand neben sich an, als wäre dort eine Schatzkarte in den feuchten Putz geritzt worden.
»Die Familie Rosenblum hat am nächsten Tag eine großzügige Spende von mir erhalten, wie Sie wissen«, brummte Bridget. »Fünfhundert Dollar! Mehr, als diese in meinen Augen ziemlich armselige Zeremonie gekostet haben kann.«
»Und Rosenblums Witwe hat das Geld zurückgewiesen mit der Begründung, vom Mörder ihres Mannes derart beschenkt zu werden, sei fast noch schlimmer als der Mord selbst.«
Bridget zuckte die Achseln. »Wenn sie mein Geld nicht will, war sie wohl zu geizig, um dem alten Hund ein würdiges Begräbnis zu gönnen, obwohl sie die Mittel dazu hätte.« Seine schwarzen Augen weiteten sich um eine Nuance, während er Genardine musterte. »Sind Sie nur gekommen, um mir mit derartigen Nichtigkeiten die Langeweile zu vertreiben? Dann war das Zeitverschwendung.«
Er beugte sich ein wenig vor, und sein Blick wurde lauernd. »Verraten Sie mir lieber, wann ich endlich hier herauskomme. Was sagen unsere... Partner?«
Der Anwalt presste die Lippen zusammen, bevor er kaum merklich den Kopf schüttelte. »Nichts«, gab er schließlich zu. »Sie... einige müssen selbst mit einer Anklage rechnen, Sir. Und die anderen, also...«, er zögerte einen Moment, »... es scheint so, als würde der Wind sich gedreht haben und uns nun direkt ins Gesicht blasen, Mr. Bridget. Ich habe seit Tagen alles versucht und jede Klinke geputzt, doch niemand empfängt mich mehr. Seit die Lady...«
Ein Faustschlag auf die Tischplatte ließ nicht nur Genardine, sondern auch den Wärter an der Zellentür zusammenzucken.
»Nehmen. Sie. Ihren. Namen nicht in den Mund«, zischte Bridget und fletschte dabei die Zähne.
Genardine hob beide Hände und nickte hastig, wobei sein Gesicht binnen eines Augenblicks erbleichte.
»Das hatte ich nicht vor«, beteuerte er krächzend. »Aber...«
»Aber was?« Bridgets Augen verengten sich zu Schlitzen, während er den Anwalt vor sich fixierte.
Genardine senkte seine Stimme und raunte: »Sie ist verschwunden. Es hat nicht geklappt, verstehen Sie?«
Der mächtige, wie ein Monolith vor Genardine aufragende Körper, vom fahlen Licht, das durch das Fenster hinter ihnen einfiel, matt beleuchtet, schien für Sekunden zu versteinern. Bridgets Schädel, kahl bis zur Mitte, dahinter fingerdick mit Locken bedeckt, die wie schwarzes Moos bis in den Nacken wuchsen, senkte sich tief, während seine Fäuste sich auf der Tischplatte ballten und öffneten. Ballten. Und wieder öffneten.
Die Zeit verstrich, in der Genardines Herzschlag wie der Sekundenzeiger einer Uhr, deren Zahnräder außer Kontrolle geraten waren, sie gleichzeitig zu beschleunigen und zu verlangsamen schien.
Die nicht enden wollende Stille in dem Besucherraum ließ den Advokaten unwillkürlich den Atem anhalten, während er die wachsende Nervosität des Wärters in seinem Rücken so körperlich zu spüren glaubte, als würde dessen Angstschweiß ihm in den bloßen Nacken tropfen.
Als er es schließlich nicht mehr aushielt, öffnete er den Mund und brachte nur Gestammel hervor: »Sir, ich..., was...«
»Sie müssen sie finden«, knurrte Bridget, ohne den Kopf zu heben. Die Worte kamen so leise über die Lippen des Gesetzlosen, dass nur Genardine sie wahrnehmen konnte.
Er griff sich an den Hemdkragen und nestelte an seiner Krawatte herum, die sich plötzlich anfühlte wie ein Galgenstrick.
»Mr. Bridget, Sir, ich wüsste nicht, wie ich...«
Sein Gegenüber hob den Kopf und durchbohrte ihn mit einem kalten Blick. »Nicht Sie, Genardine«, zischte er. »Sie...«
Der Anwalt zögerte nur einen Moment, bevor er verstanden hatte, wen sein Mandant wirklich meinte. Er schluckte mühsam im vergeblichen Versuch, damit seine enge Kehle zu erweitern, bevor er eine Antwort zuwege brachte.
»Okay... ich werde mich... darum kümmern.«
☆
Der Blick auf den belebten Marktplatz hinunter war kein Grund für Albert Holyfield, dem jungen Tag mit einem Lächeln zu begegnen. Er führte die Kaffeetasse an seine Lippen und sah dem Treiben mit einer reglosen Miene zu, die nichts darüber verriet, was sich in seinem Kopf abspielte.
»Sie auch etwas essen möchten, Señor?«, fragte die mexikanische Bedienstete in gebrochenem Englisch, und er zwang sich dazu, den Kopf zu wenden und eine freundliche Miene aufzusetzen, bevor er den Kopf schüttelte.
»No, Gracias.«
Er hörte, wie sich kleine Füße hinter ihm über die gekachelten Stufen nach unten entfernten, und zündete sich einen schmalen Zigarillo an.
Tief sog er den würzigen Rauch in seine Lungen ein und stieß ihn bedächtig wieder aus, während er sich müde über das Gesicht strich. Als er die Bartstoppeln an seinem Kinn spürte, dachte er kurz darüber nach, sich zu rasieren, doch das Wasser im Zuber hatte bereits gestern Abend nicht den vertrauenswürdigsten Eindruck erweckt.
Ein Schrei unterhalb der Balustrade ließ ihn zusammenfahren, bis er feststellte, dass dort nur ein Gemüsehändler mit einem Kunden aneinandergeraten war.
Er stellte die Kaffeetasse auf dem kleinen Tisch neben sich ab und warf einen letzten Blick hinunter auf die Plaza, bevor er kehrtmachte und sich zur Treppe wandte.
Mit jeder Stufe, die ihn abwärts führte, stieg die Temperatur, doch gleichzeitig drangen auch Düfte an seine Nase, die ihm verrieten, dass er nun doch Hunger verspürte.
Die jungen Männer, zwischen denen er die Küche durchquerte, nickten ihm respektvoll zu, während es auf den Grillrosten und in den Kesseln zischte und dampfte. Er sah brutzelnde Teile aus Fleisch und Fisch, roch die herzhaften Düfte von Gemüsebrühe, Tortillas und Chili con Carne und leckte sich unbewusst die Lippen, bevor er die Hintertür erreichte, sie aufstieß und aus der Küche auf den Hinterhof trat.
Ein paar Hühner stoben gackernd zur Seite, als er mit ausgreifenden Schritten über den festgetretenen Lehmboden marschierte, das windschiefe Tor öffnete und in eine schmale Gasse trat. Wachsam blickte er sich in beide Richtungen um, ohne jemanden zu entdecken. Dann hastete er weiter zur San Felipe Street, um fünf Minuten später die Treppen zum Justizgebäude hinaufzuspringen.
Erst im Foyer, an deren hoher Decke träge ein Ventilator kreiste, begann der Oberstaatsanwalt von Kalifornien, sich zögernd zu entspannen.
Seit der Festnahme von Nestor Bridget hatte Albert Holyfield meistens das Gefühl, als trüge er ein Fadenkreuz auf der Stirn.
Es hatte ein halbes Dutzend Drohbriefe gegeben, und als er in der vergangenen Woche heimgekommen war, hatte er Benji, ihren Border Collie, mit durchtrennter Kehle auf der Veranda ihrer Villa am Stadtrand von Sacramento vorgefunden.
Seine Frau Virginia war Gott sei Dank mit den Kindern beim Einkaufen gewesen, und er hatte den toten Hund eilig im Garten begraben, bevor sie zurückkehrten. Danach hatte er Virginia packen lassen und sie noch am selben Abend mit Sonny und Meredith in den Zug nach San Francisco gesetzt. Die Kinder waren so überrumpelt gewesen, dass sie vergaßen, nach Benji zu fragen, und Virginia hatte nur halbherzig Widerstand geleistet, nachdem er ihr vom Schicksal des Familienhundes berichtet hatte.
Er hatte gebetet, dass seine Liebsten bis zum Ende des Prozesses bei den Schwiegereltern in Sicherheit waren, das Haus abgesperrt und sich ein Zimmer in der kleinen Pension genommen, die seinem Büro am nächsten lag.
State-Marshal Dennis Finney hatte angeboten, ihm zwei Deputies als Leibwache an die Seite zu stellen, doch das hatte Holyfield von sich gewiesen. Er war nicht bereit, der Gegenseite die Genugtuung zu bereiten, den obersten Ankläger Kaliforniens wie einen Gefangenen flankiert von Sternträgern durch die Straßen der Hauptstadt gehen zu sehen.
»Gibt's etwas Neues, Oscar?«, wandte er sich an den klapperdürren Mann hinter dem Empfangstresen, und Oscar nickte.
»Ein Telegramm, Sir. Es kommt aus Kayleigh Hills.«
Holyfields Züge wurden unvermittelt wieder wachsam.
»Geben Sie her.« Er nahm das schmale Kuvert entgegen, riss es auf und las den Text noch vor dem Tresen.
»Verflucht«, murmelte er leise.
Oscar legte die hohe Stirn in Falten. »Schlechte Nachrichten?«
»Wie man's nimmt.« Holyfield legte den Kopf schief. »Wären Sie so nett und verständigen den Marshal? Ich erwarte ihn baldmöglichst oben in meinem Büro.« Er überlegte einen Moment, bevor er hinzufügte: »Und Sheriff Wilander soll bitte auch hinzukommen.«
»Selbstverständlich, Sir.«
Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, während er die Treppe hinauf in die erste Etage hastete, das Telegramm hin und her schwenkend, als würde es brennen. Ein Bürobote wünschte ihm einen guten Morgen, und er nickte zerstreut, ohne den jungen Burschen anzusehen.
Als er die Tür seines Büros hinter sich geschlossen und an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, las er den Text abermals, ohne dass dessen Inhalt dabei weniger beunruhigend erschien.
Scharfschützen! Zwei tote Deputies! Wie in Gottes Namen hatten Bridgets Killer so rasch von Carol Corbyns Aufenthaltsort Kenntnis erlangen können? Schließlich war er selbst erst vor fünf Tagen von Miss Corbyn um Hilfe gebeten worden.
Er faltete die Hände und stützte mit düsterer Miene das Kinn darauf, während er ins Leere starrte. So schockierend die Nachricht auch war, überraschen konnte sie ihn im Grunde nicht, musste er sich eingestehen.
Denn es war nicht der erste Beweis dafür, dass seine Behörde so löchrig war wie ein von Würmern zerfressener Apfel, wenn es um die Geheimhaltung interner Informationen und Ermittlungen ging.
Nicht weniger als zehn Zeugen hatte Nestor Bridget in den vergangenen Monaten ermorden lassen, nachdem sie sich zu Aussagen gegen den Banditen bereit erklärt hatten. Obwohl die Kontakte zu ihnen in höchstem Maße konspirativ vonstattengegangen waren und State-Marshal Dennis Finney und Sheriff Lesley Wilander, oberster Gesetzeshüter von Sacramento, Vorkehrungen zur Sicherung der Zeugen vorgenommen hatten.
Den letzten, Custer Dicks, einen ehemaligen Kopfgeldjäger, der zu Bridgets engsten Vertrauten gezählt hatte und nur deshalb gegen seinen ehemaligen Boss auszusagen bereit war, weil der seine Braut gevögelt hatte, erwischte es in der Zelle des Staatsgefängnisses, in die er zu seinem eigenen Schutz gesperrt worden war.
Bis heute hatten sie nicht herausgefunden, welcher Wärter – oder Insasse – Dicks in der Nacht den spitz zugefeilten Löffel in den Hals gerammt hatte, der noch in ihm steckte, als er mit blicklosen Augen inmitten einer Blutlache aufgefunden wurde.
Dicks' Tod war ein Fanal gewesen und hatte Holyfield gezwungen, die Niederlage einzugestehen: Aus eigener Kraft waren sie nicht in der Lage, Zeugen so zuverlässig zu schützen, dass sie bis zum Prozess gegen Bridget unversehrt blieben. Also beherzigte er Marshal Finneys Ratschlag und ersuchte in Washington um Hilfe. Gerade noch rechtzeitig, denn als schon niemand mehr daran glaubte, dass sich noch jemand fände, der so lebensmüde war, gegen Bridget auszusagen, kam das Telegramm von Carol Corbyn.
Ausgerechnet die Lady! Holyfield erinnerte sich daran, wie er die Nachricht dreimal gelesen und dennoch für einen schlechten Scherz gehalten hatte.
Denn Carol Corbyn war keine Geringere als Bridgets Königin, die First Lady an seiner Seite.
Es hatte kaum einen offiziellen Anlass gegeben, an dem der Verbrecherkönig sich ohne sie zeigte. Carol Corbyn war die Schönheit, mit der der dunkelhäutige Hüne sich schmückte, wenn er ein neues Casino einweihte wie beim letzten Thanksgiving in Sacramento, oder wenn er sich jovial und bürgernah bei einem Jubiläum unten in Los Angeles als Spender für ein Waisenhaus feiern ließ.
Das Casino – der Golden Palace – gehörte offiziell Carol Corbyn, wie auch zwei andere Etablissements in der Hauptstadt, was sie zu einer wohlhabenden Frau machte. Holyfield hatte das natürlich überprüfen lassen, und formaljuristisch entsprach alles den Regeln. Obwohl kein Zweifel bestand, mit welchem Blutgeld die Amüsierschuppen errichtet worden waren.
Ein hektisches Hin und Her über den heißen Draht hatte Holyfield schließlich davon überzeugt, dass es sich bei der Frau, die sich in Kayleigh Hills versteckte, tatsächlich um Carol »Die Lady« Corbyn handelte. Worauf er unverzüglich die Brigade Sieben verständigte, um seine Kronzeugin in Sicherheit bringen zu lassen.
Offen blieb die Frage nach ihrem Motiv für den Verrat. Immer noch brannte er darauf, die Lady dahingehend zu verhören, doch damit würde er sich bis unmittelbar vor Prozessbeginn gedulden müssen. Das Risiko, dass er Bridgets Killer auf ihre Spur bringen könnte, war einfach zu groß.
So sah es auch die Brigade Sieben, und der Anschlag in Kayleigh Hills war ein letzter Beweis dafür, wenn es denn noch einen gebraucht hätte.
Daher hatte ihn die geheime Einheit wissen lassen, dass Carol Corbyn an einen sicheren Ort gebracht werden und erst zu Verhandlungsbeginn unter strengster Bewachung nach Sacramento geleitet werden würde.
Wo sich dieser Ort befand, teilte man ihm nicht mit. Und er akzeptierte das.
Es war schließlich nicht persönlich gemeint.
Einzig und allein entscheidend für den Erfolg war es, dass die Lady unversehrt und pünktlich ihren Platz neben dem Richterpult einnehmen und eidesstattlich bezeugen konnte, welcher Verbrechen Nestor Bridget sich schuldig gemacht hatte.
Holyfield verzog die Lippen. Nun ja. Was ihn anging, wäre es außerdem schön, zu diesem Zeitpunkt selbst noch in der Lage zu sein, die Anklage zu vertreten.
☆
Gegen Mittag erreichten sie die Poststraße, und Lassiter beschloss, das Risiko einzugehen, sie zu benutzen, um für ein paar Meilen rascher voranzukommen. Sie begegneten nur selten anderen Reisenden, und die wenigen erwiesen sich als harmlos.
In der Ferne im Westen sahen sie einen Zug mit einem halben Dutzend Waggons nach Norden fahren, und die dunkle Rauchwolke aus dem Schornstein der Lokomotive beschmutzte für eine Weile das makellose Indigoblau des Himmels, während die Piste vor ihnen allmählich wieder anstieg. Die Ausläufer der Sierra Nevada erhoben sich zu ihrer Rechten, und nordöstlich sah man den majestätischen Gipfel des Pyramid Peak, der die Grenze zwischen Kalifornien und Nevada markierte.
Die Fensteröffnungen der Kutsche waren zu schmal, um den Kopf herauszustrecken, deshalb sah Lassiter nur eine schmale Hand vor sich, die ihm zuwinkte.
»Lassiter? Meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit für eine kurze Rast? Ich müsste mal ein dringendes Bedürfnis erledigen.«
Der Brigadeagent sah sich um. Weit und breit nur Sand, Felsen und niedrige Dornensträucher. Mit einem Tritt seiner Hacken brachte er den Wallach in schnellere Gangart und lenkte das Pferd neben die Kutsche.
»Sorry, Lady«, brummte er. »Aber ich fürchte, hier gibt es keinen Rückzugsort für eine Dame. Wenn Sie sich noch eine halbe Stunde beherrschen können – ein paar Meilen weiter oben in den Bergen sieht es besser aus, und dort finden wir auch ein schattiges Plätzchen, um zu rasten.«
Carol Corbyns hübsches Gesicht tauchte hinter einer der schmalen Öffnungen auf. Sie rümpfte ihre spitze Nase.
»Ich hätte nicht gefragt, wenn es nicht dringend wäre«, gab sie zur Antwort. »Wenn Sie und die anderen Burschen sich wie Gentlemen verhalten und den Blick abwenden, würde ich das jetzt gern sofort erledigen.«
Pangborn grinste auf der anderen Seite der Abbot Downing und schob sich seinen Hut in den Nacken. Ricky James seufzte und rieb sich den offenbar schmerzenden Nacken, während Dakota Jim mit stoischer Miene an seiner Pfeife sog.
»Also gut«, brummte Lassiter, glitt aus dem Sattel und schob den Riegel der Tür zurück, die für Gefangene konstruiert war und sich deshalb nur von außen öffnen ließ.
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, und Lassiter ergriff sie, um ihr hinaus zu helfen. Als die Lady in der Sonne stand, stützte sie mit einem leisen Laut die Hände ins Kreuz, drückte den Rücken durch und blinzelte geblendet.
»Himmel, ist das heiß«, murmelte sie und schaute zu Lassiter auf. »Danke, das ist wirklich sehr freundlich.«
»Haben Sie noch genug zu trinken, Ma'am?«, fragte er.
»Bitte, nennen Sie mich Carol, okay? Ma'am ist etwas für Großmütter.« Sie grinste schief. »Danke, ich bin versorgt. Mit Wasser jedenfalls. Ein kühles Bier hingegen«, seufzte sie, »dafür würde ich jetzt glatt jemanden umlegen.«
Lassiters Mundwinkel hoben sich um einige Millimeter. »Dann müssten wir vermutlich in einer halben Stunde wieder Halt machen. Jetzt tun Sie besser, was Sie tun müssen, Carol.«
Sie nickte und ging an ihm vorbei ein paar Schritte die Piste hinab, bevor sie sich in den Graben neben dem Trail begab.
Als Lassiter bemerkte, wie Ricky James sich verstohlen zu der Passagierin umsah, schüttelte er wortlos den Kopf, und der junge Bursche drehte mit schuldbewusster Miene sein Gesicht wieder nach vorn.
»Wie lange brauchen wir noch, Lassiter?«, ließ sich Pangborn vernehmen. Der Agent der Brigade Sieben rieb sich über die Stirn und überlegte einen Moment, bevor er antwortete.
»Zwei bis drei Stunden, schätze ich. Zehn Meilen hinauf, dann werden wir den Pass erreichen. Von da aus ist es nicht mehr weit.«
»Scheint so, als hätten wir die Verfolger abgeschüttelt«, vermutete Ricky James, der einen Tabaksbeutel und Zigarettenblättchen hervorgezogen hatte, und konzentriert in seinen Schoß blickte, während er sich einen Glimmstängel drehte.
Hinter sich hörte Lassiter leises Plätschern, von ergebenem Seufzen begleitet. Er grinste schmal.
»Kann sein. Kann aber auch nicht sein«, ermahnte er Ricky. »Besser, du hältst weiterhin Augen und Ohren auf. Noch sind wir nicht in Sicherheit.«
»Nathan hat uns fünfzig Dollar versprochen, Lassiter. Wenn wir die Lady in vier Tagen in Sacramento abliefern.« Pangborn musterte ihn über das Dach der Kutsche hinweg. »Können wir uns darauf verlassen?«
Lassiter erwiderte Pangborns Blick und nickte. »Mein Wort darauf. Sobald die Sache vorbei ist, wird jeder von Ihnen seinen Lohn erhalten.«
»Das klingt so, als könnte ich mir endlich ein eigenes Pferd leisten!«, rief Ricky aus und grinste breit, bevor er sich seine etwas schief und verbeult aussehende Zigarette zwischen die Lippen schob.
»Warte ab mit dem Freudentanz, bis du wieder zuhause bist«, brummte Dakota Jim und gab ihm Feuer.
Als Lassiter das Rascheln von Stoff und kurz darauf Schritte hinter sich hörte, drehte er sich im Sattel um und sah Carol, die zur Kutsche zurückkehrte.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, als er ihr galant in den Font der Abbot Downing half.
»Zwei bis drei Stunden, sagten Sie?«, fragte die Lady, bevor er die Tür vor ihr schloss.
»Mehr oder weniger«, gab er zurück.
»Ich habe Hunger«, ließ sie sich noch vernehmen, während Lassiter wieder in den Sattel stieg.
»Das haben wir alle, Carol. Also, weiter!«
☆
Es hatte schon immer Momente gegeben, in denen Rupert Genardine seinen Job abgrundtief verabscheute. Trotz des exorbitanten Gehalts, das ihm sein einziger Mandant wöchentlich zukommen ließ. Trotz des hübschen Hauses in den Hügeln über der Stadt, der Nutten und der Nächte im Casino, die Bridgets Dollars ihm in nicht versiegender Regelmäßigkeit bescherten, war dieses anfangs so verheißungsvolle Leben schon immer von einem bitteren Beigeschmack begleitet worden.
In den letzten Wochen, gestand er sich jetzt ein, wuchsen diese Momente stetig an, bis sie sich verstetigten. Und es ihm trotz seines Talents, die Augen vor der hässlichen Seite des glamourösen Lebens im Dunstfeld des Verbrecherkönigs zu verschließen, immer weniger gelang, den Niedergang zu ignorieren.
Spätestens, als man Nestor Bridget im Golden Palace vor aller Augen verhaftet hatte, war ihm klar geworden, dass die kaltschnäuzige Herrschaft des Verbrechens in Kaliforniens Hauptstadt ihrem Ende entgegen sah.
Zu viele Menschen hatte Bridget gegen sich aufgebracht, und der Hass, der auch ihm immer öfter entgegenschlug, wenn er durch die Straßen der Stadt ging, wurde offener und vervielfältigte sich wie eine Welle. Selbst die Zeitungen in der Stadt scheuten nun nicht mehr davor zurück, die Wahrheit zu berichten, was bis vor einem halben Jahr noch undenkbar gewesen war.
Nicht nur einmal hatte er darüber nachgedacht, seine Sachen zu packen und Kalifornien den Rücken zu kehren. Jemand mit seinen Fähigkeiten und dem Geld, das er zurückgelegt hatte, würde keine Schwierigkeiten haben, sich irgendwo im Osten unter einem anderen Namen eine neue Existenz aufzubauen.
Doch eine ganz und gar unvernünftige Angst hatte ihn stets davon abgehalten.
Er wird dich finden. Egal, wohin du gehst.
Nestor Bridget war in der Lage, Menschen auf derartige Weise in geistige Ketten zu legen. Nur so hatte seine Diktatur des Verbrechens jahrelang Bestand gehabt. Alle duckten sich unter seiner scheinbar allgegenwärtigen Präsenz, weil jeder Mann und jede Frau, jeder Saufkumpan und jede Apothekerin ein Zuträger sein konnte, der den Schergen des bösen Königs mitteilte, dass man ihn an das Gesetz verraten wollte.
Genardine, der wie kaum jemand sonst Einblick in das Netz hatte, das Bridget über Kalifornien gesponnen hatte, wusste, dass es sich dabei nur um einen Mythos handelte. Trotzdem konnte auch er sich dem nicht entziehen.
Denn gerade jemand wie er, da war sich der Anwalt sicher, stand garantiert unter stetiger Beobachtung. Bridget traute niemandem, am allerwenigsten seinen engsten Vertrauten. Deshalb war es längst zu spät, um zu fliehen. Er war verdammt dazu, sehenden Auges mit dem sinkenden Piratenschiff unterzugehen.
»Mr. Genardine.« Die junge Frau mit dem tief ausgeschnittenen Dekolleté verbeugte sich höflich. »Der übliche doppelte Whiskey Sour?« Mit einem koketten Augenaufschlag deutete sie auf einen der Spieltische im bereits gut besuchten Saal. »Am Black Jack Nummer Drei wäre noch ein Platz für Sie frei.«
Unwillig schüttelte der Advokat den Kopf. »Ist das Auge da?«
Sie runzelte leicht die Stirn, bevor sie antwortete.
»Allerdings. Er befindet sich unten im Roten Separee.«
»Danke. Bringen Sie mir den Whiskey dorthin.«
Unter Kristalllüstern und zwischen einem Dutzend Spieltischen hindurch bahnte er sich seinen Weg bis zu einem glänzenden Geländer aus Messing, hinter dem sich vier Separees befanden, die durch Brokatvorhänge in unterschiedlichen Farben von Blicken aus dem Saal geschützt wurden.
Der breitschultrige Aufpasser ließ ihn durch, und Genardine stieg die Stufen zum Gang vor den Separees hinab. Er schritt an den Vorhängen entlang, bis er den burgunderroten erreichte, schlug den schweren Stoff beiseite und trat dahinter.
Das Auge war allein. Er lehnte mit einem Glas Whiskey in der Rechten an der gepolsterten Rückwand, und auf dem Tisch waren acht Kartenreihen ausgelegt, darunter zwei schmale Stapel mit den Rückseiten nach oben.
Eine Patience, wie Genardine beiläufig feststellte, bevor er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und binnen weniger Sekunden das Hemd auf dem Rücken an der Haut kleben ließ.
»Rupert«, flüsterte das Auge, und die tonlose Stimme seines Gegenübers jagte dem Advokaten postwendend einen kalten Schauer über die verschwitzte Wirbelsäule. »Wenn Sie sich hier blicken lassen, muss die Lage wohl ernst sein.«
Er streckte die Hand mit dem Glas aus und deutete auf die Bank neben sich. »Setzen Sie sich, Mann. Sie machen mich ganz nervös, wie Sie da von einem Fuß auf den anderen treten, als müssten Sie pissen.«
Genardines säuerliches Lächeln erreichte seine Augen nicht, während er der Aufforderung Folge leistete.
»Darf ich eintreten, Sir?«, fragte eine schüchterne Stimme jenseits des Vorhangs, und als das Auge ein munteres »Ich bitte darum!« hervor krächzte, trat eine der Bedienungen mit gesenktem Haupt in das Separee und stellte Genardines Drink vor ihm ab, bevor sie sich eilig wieder entfernte. Der Anwalt sah, wie der schwere Vorhang sich hinter ihr schloss, und verspürte den Anflug von Neid.
Er griff nach dem Drink und leerte ihn zur Hälfte. Als er das Glas zögernd abstellte, bereute er es bereits, keinen vierfachen geordert zu haben.
»Also, Rupert. Was führt Sie zu mir?«, rasselte das Auge und rieb sich dabei über den nackten, von einer schlecht verheilten Narbe verunstalteten Hals, die davon kündete, weshalb er nur leise und mit tonloser Stimme sprechen konnte.
Genardine wich dem stechenden Blick des Auges aus und antwortete: »Die Lady. Sie hat die Seiten gewechselt.«
Das Auge lehnte sich zurück, und unter seinem Körper knirschte das lederne Polster. »Als wenn ich das nicht bereits wüsste«, brummte er. »Aber Bridget hat zwei Scharfschützen ausgesandt, um sie zur Hölle zu schicken, oder nicht?«
»Das hat nicht geklappt«, gab Genardine zurück. »Jemand aus Washington hat die Lady gerettet und ist mit ihr verschwunden.«
»Verschwunden?«
Genardine zuckte die Achseln. »Wir arbeiten daran. Bis morgen früh wissen wir, wohin sie geflohen sind.«
»Okay.« Das Auge deutete ein Nicken an und leerte sein Glas. »Heißt das, ich soll die Horde von der Kette lassen?«
»Warum sonst wäre ich hier?« Genardine griff nach seinem Drink und leerte ihn auf einen Zug. Das Brennen in seiner Kehle ließ schneller nach, als er es sich wünschte.
Er zog einen braunen Umschlag aus der Innentasche seines Gehrocks und legte ihn vor sich auf den Tisch. Er war prall gefüllt. »Das übliche Honorar«, presste er hervor.
»Aber keine übliche Aufgabe«, erwiderte das Auge und beugte sich vor, um den Umschlag an sich zu nehmen. »Wenn wir erfolgreich sind, erwarte ich dasselbe noch einmal.«
»Ich denke, das wird kein Problem darstellen.« Genardine erhob sich und versuchte, dem Blick des Auges auszuweichen. Es gelang ihm nicht ganz.
»Spätestens morgen früh erhalten Sie die Informationen darüber, wo sich die Lady befindet. Seien Sie bis dahin bereit.«
»Das werden wir – keine Sorge, Rupert.«
Als sich Genardine durch den Vorhang zwängte, hörte er das Auge hinter sich leise lachen.
Erst als er den Golden Palace hinter sich gelassen hatte, begannen seine Schultern, sich allmählich zu entspannen.
☆
State-Marshal Finney und Sheriff Wilander trugen beide betretene Mienen zur Schau, nachdem Holyfield ihnen das Telegramm aus Kaleigh Hills zu lesen gegeben hatte. Argwöhnisch musterte er die Gesichter der Männer vor seinem Schreibtisch, ohne darin etwas zu entdecken außer schockierter Überraschung.
»Wie war das möglich?«, stieß Finney schließlich hervor und rieb sich dabei über das militärisch kurz geschorene Haar. »In derart kurzer Zeit? Die Lady hat sich doch nicht ohne Grund da oben in der Einöde verkrochen, bevor Sie uns das Telegramm schickte.«
»Ein gottverdammtes Desaster«, ergänzte Wilander händeringend.
»Diese Frage habe ich mir auch gestellt, Gentlemen«, erwiderte Holyfield. »Und diesmal gab es nur eine Handvoll an Personen, die darüber Kenntnis hatten. Darunter Sie beide.«
Entrüstet furchte Wilander die Stirn. »Was wollen Sie damit sagen, Sir? Dass ich mit Nestor Bridget paktiere?« Er schnaubte und beugte sich vor. »Ich war einer der ersten, der Ihnen zur Seite stand, und mein eigener Bruder hat das mit seinem Leben bezahlt!«
»Ich beschuldige niemanden persönlich«, behauptete Holyfield und breitete beschwichtigend die Arme aus, weil er wusste, dass Wilanders Bruder William tatsächlich vor wenigen Wochen in einer Schießerei mit der Bande von Bridget getötet worden war.
»Ich appelliere lediglich an Ihre Wachsamkeit, Gentlemen! Wir wissen doch alle, dass es bei Ihnen und auch hier in der Justiz Personen geben muss, die von Bridgets Bande bezahlt werden dafür, dass sie hochbrisante Informationen weitergeben.«
»Das lässt sich kaum mehr leugnen«, gab Dennis Finney zu und verzog die Lippen unter dem sorgsam gestutzten Oberlippenbart. »Schon deshalb war es ratsam, die Brigade Sieben hinzuzuziehen.«
Der Sheriff warf ihm einen giftigen Seitenblick zu. »Worum handelt es sich überhaupt dabei?«, fragte er. »Die Brigade Sieben? Ich habe noch nie davon gehört.«
»Und dabei soll es auch bleiben, Wilander«, erwiderte Holyfield. »Sie müssen nicht wissen, wer sich jetzt um die Sicherheit der Lady kümmert. Ihre Aufgabe besteht stattdessen darin, in Ihrem eigenen Laden aufzuräumen. Tun Sie alles, um den Verräter zu finden, sollte er denn unter Ihren Leuten sein.« Sein Blick wurde stechend, als er den Sheriff fixierte.
Wilander grinste humorlos, während er sich erhob. »Schon verstanden«, knurrte er. »Wünsche noch einen schönen Tag!«
Nachdem sich krachend die Tür hinter dem Sternträger geschlossen hatte, seufzte Holyfield leise und nahm Finney in den Blick.
»Können Sie mir verraten, was wir jetzt noch tun können, Marshal? Wenn ich nicht einmal meinen eigenen Leuten mehr trauen kann, könnte jede Handlung zum Bumerang werden.«
Finney lehnte sich zurück und nickte grimmig. »Da gebe ich Ihnen recht, Sir. Und es dürfte schwer werden, die Verräter in den eigenen Reihen ausfindig zu machen. Bis der Prozess am kommenden Samstag beginnt, halte ich das sogar für nahezu unmöglich. Wir brauchen alle Kräfte, um zu gewährleisten, dass Bridget weder befreit werden noch im Nachhinein darauf setzen kann, das Urteil wegen einer unzulässigen Verhandlung anzufechten.«
Holyfield nickte widerwillig. »Die Situation ist mir durchaus bewusst, Marshal. Niemandem mehr als mir, darauf dürfen Sie Gift nehmen. Trotz der Soldaten aus Fort Hunt, die das Gefängnis bewachen, sind sowohl Ihre Deputies als auch die Männer von Wilander mehr als üblich gefordert, um die Sicherheit in Sacramento zu gewährleisten. Aber«, er holte tief Luft, »das darf uns nicht davon abhalten, nach dem oder den Verrätern zu fahnden.«
Der State-Marshal legte den Kopf schief und rang sich ein humorloses Grinsen ab. »Ich versichere Ihnen, dass ich in dieser Hinsicht meine eigene Truppe genauestens in Augenschein nehme. Aber was die Lady angeht, dürfen wir wohl beide beruhigt sein, oder?«