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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2506, 2507 und 2508.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 422
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Boada/Norma
ISBN: 978-3-7517-7937-1
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2506
Pulverdunst über Sin City
Lassiter 2507
Requiem für einen Engel
Lassiter 2508
Eine Kutsche voller Gold
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Contents
Pulverdunst über Sin City
Sie nannten sie die Stadt der Sünden. Die maroden Häuser standen dichtgedrängt in einem Felsental der Jawbreak Mountains, und jeder, der von Mawville heraufkam, musste an den faulenden Bretterwänden und schlammverschmierten Bürgersteigen vorbei. Er konnte ihnen nicht entgehen, wie auch sonst niemand in Corkberry Hill seinem Schicksal entkam.
Der Whiskey führte das Regiment in der Stadt. Er floss in Strömen hinter der Theke des Bowles und rief jeden Mann von Corkberry beim Namen. Er feixte, sang, tanzte, warf die Röcke und schenkte sich wie von selbst nach, während an den Pokertischen das Hab und Gut schmolz wie der verharschte Schnee am Jawbreak Peak.
Der Whiskey war der Teufel in bernsteinfarbenem Gewand ...
Vorgestern war Taylor gar nicht nach Hause gekommen.
Er hatte den halben Abend im Bowles gesessen und war danach mit dem Darryl-Jack und dem schwachsinnigen Burt hinunter zum Fluss gelaufen, wo sie weiter gesoffen hatten. Er hatte es Marcy haarklein erzählt, als hätte er sich nicht volllaufen lassen, sondern den Pazifik auf einem Floß überquert.
Fünfzehn Jahre waren sie inzwischen verheiratet.
Die Hochzeit hatte mitten in Corkberry Hill stattgefunden, vor der Townhall, die zu diesem Zweck mit allem geschmückt worden war, was man an den kargen Hängen der Jawbreak Mountains finden konnte. Eine Handvoll Bitterwurzblüten war Marcys Brautstrauß gewesen.
»Geh mir aus der Sonne!«, lallte Taylor und fuchtelte im Schein der Petroleumlampe mit dem rechten Arm herum. Er hatte die Mädchen geweckt, als er über die Schwelle getaumelt war und sich den Schädel am Türbalken gestoßen hatte. Eine Rötung auf seiner Stirn zeugte noch immer von seiner Dummheit. »Wirst mir doch nicht die letzte Freude missgönnen, Weib! Oder? Wirst du nicht, wie, Mibi?«
Marcy nahm ihrem Mann übel, dass er betrunken jene Koseform für sie verwandte, die sie sonst höchstens im Bett benutzten. Er hatte sie Mibi genannt, als sie einander kennengelernt hatten, und aus seinem Mund hatte es sich so verdorben angehört, dass es Marcy trotz des kindlichen Tonfalls gefallen hatte.
»Hörst du nicht?«, wurde Taylor lauter und zog die Brauen zusammen. Von seinem jugendlichen Teint und den blitzenden Augen hatte der Whiskey nicht viel übriggelassen. »Ich will bloß dieses eine Glas... dieses eine Glas, Marcy. Es geht nur um ein Glas.«
Es war das zwanzigste Glas an diesem Abend.
Er hatte den Whiskey an allerlei Orten versteckt, an denen er täglich vorbeikam, und manchmal sah Marcy ihren Mann sogar vor dem Frühstück trinken. Er lehnte oft mit der Schulter am Türstock, verbarg die Flasche vor ihr und lächelte so unschuldig, dass sich ihr Herz zusammenkrampfte. Sie sah Taylor noch in diesem Schatten von einem Mann, der ihr jeden Tag gegenübertrat.
»Geh bald schlafen!«, sagte Marcy sanft und gutmütig, denn jeder andere Ton hätte Taylor nur gegen sie aufgebracht und einen Streit vom Zaun gebrochen. »Ich warte auf dich. Ich warte jede Nacht auf dich.«
Taylor quittierte ihr zärtliches Geständnis mit einem herzhaften Rülpser, den er damit verstärkte, dass er zuvor die Luft anhielt. Er grinste, setzte die Flasche an und trank sie bis auf einen fingerdicken Rest am Boden leer. Der Whiskey trieb ihm die Röte auf die Wangen.
Sie hatten aus Liebe geheiratet.
Die ersten Wochen in Corkberry Hill hatte Taylor noch als Frachtangestellter für die Mountaineer Freight Company gearbeitet, danach hatte er für Smith's Steine geklopft. Er war fleißig und aufmerksam gewesen, hatte Marcy umworben und ihr eines Tages einen Brief zugesteckt. Er hatte sich ungelenk darin ausgedrückt, aber Mary hatte ihm eine Chance gegeben und war mit ihm zum Glowdon Peak hinaufgestiegen.
»Noch einen!«, knurrte Taylor und setzte die Flasche abermals an. Er verfehlte die Lippen, goss sich den Whiskey über die Brust und verfluchte sein Missgeschick. »Hol mich der Teufel, Marcy! Jetzt ist alles aufs Hemd geflossen!«
Die Flasche rutschte ihm aus der Hand, rollte über die Dielen und hinterließ eine schimmernde Whiskeyspur auf dem Holz. Sie schlug klingend gegen den Fuß des Wandschranks.
»Komm bald ins Bett!«, wiederholte Marcy und verließ kopfschüttelnd den Raum. Sie sah nach den Mädchen, die sich in ihre Decken vergraben hatten. Als sie das Licht in der Waschkammer entzündete, hörte sie Taylor in der Küche husten.
Dann war ein dumpfer Aufprall zu hören.
Durch Marcys Adern raste plötzlich ein brennender Schmerz, der umso qualvoller wurde, je stärker sie sich der Küche näherte. Sie wusste von anderen Männern, die in Corkberry Hill umgekommen waren und denen Doc Sallmayr einen schlechten Lebenswandel attestiert hatte.
Taylor durfte es nicht erwischen.
Er mochte ein Dummkopf und ein unbelehrbarer Säufer sein, doch er war auch Marcys Mann und der Vater von Dicey und Lillie. Er saß manchmal an Diceys Bett, streichelte seiner Jüngsten über die kranke Brust und sang ihr ein Lied vor.
Er durfte nicht –
Doch es war bereits zu spät.
Als Marcy in der Küche eintraf, lag Taylor vornüber gefallen auf den Dielen und regte sich nicht mehr. Er hatte offenbar versucht, nach der umgekippten Whiskeyflasche zu greifen, und hatte dabei das Gleichgewicht verloren. Er lag mit dem Gesicht auf dem Holz, aus seinem Mundwinkel rann Speichel.
Taylor...
Die junge Frau, die sich nie und nimmer als Witwe hatte sehen wollen, fiel vor dem Toten auf die Knie und hielt ihm einen Finger unter die Nase. Sie spürte keinen Luftzug, nicht eine einzige Bewegung, die Hoffnung hätte schüren können. Sie spürte nur den kalten Tod in der Küche.
Schluchzend brach Marcy zusammen.
Sie legte sich auf Taylors Rücken, der noch warm war, und schlug ihren Mann mit den Fäusten, bis ihre Kräfte nachließen. Sie stellte sich den Tag ihrer Hochzeit vor, den Bitterwurzstrauch und die Worte des Reverends, dann Taylors sanftes Gesicht und die Versprechen, die sie einander gegeben hatten.
Taylor hatte seines nicht gehalten.
Er hatte versprochen, ihr beizustehen, bis der Tod sie scheiden würde, aber das konnte und durfte nicht bedeuten, dass man sich dem Tod in die Arme werfen durfte. Marcy trat nach der Whiskeyflasche und schleuderte sie quer durch die Küche.
»Taylor«, wimmerte Marcy. »Taylor...«
☆
Vor den Bretterfassaden von Mawville lagen die fauligen Blätter des letzten Herbstes, der mit Stürmen und peitschendem Regen über Montana hinweggezogen war. Er hatte die Ahornbäume entlaubt, die jenseits der Stadt auf einem Hügel standen und die einzige Landmarke waren, die Lassiter auf seinem Ritt in das gottverlassene Nest am Fuße Rocky Mountains erkannt hatte.
»Keinen Drink?«, fragte Sarah-Ann Fisher und schob ihren wohlproportionierten Leib neben Lassiter auf das Kanapee. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und küsste ihn. »Ich hatte darauf gehofft, dass wir mehr als nur eine Nacht zusammen verbringen.«
Der Mann der Brigade Sieben starrte weiter aus dem Fenster.
Er hatte das letzte Telegramm aus dem Hauptquartier in Spencer erhalten und war noch am selben Abend in den Sattel gestiegen. Der Mietstallbesitzer hatte ihm den Weg hinauf nach Mawville beschrieben und ihm den Namen von Sarah-Ann genannt.
»Ich kann nicht bleiben«, entgegnete Lassiter und drehte den Kopf zu der Tavernenbesitzerin. »Ich muss Geschäfte erledigen, die keinen Aufschub dulden.«
Außer dem hauchdünnen Negligé hatte sich Sarah-Ann nichts übergeworfen, als sie aus dem Bett gestiegen und in der Ecke der Kammer einen Kaffee aufgebrüht hatte. Sie hatte mit ihrem marmorhaft festen Hintern die Kaffeemühle gedreht und Lassiter dabei einen koketten Blick zugeworfen.
»Geschäfte«, sagte die hübsche Brünette jetzt und kniff die Lippen zusammen. »Immer geht es den Kerlen um Geschäfte. Du weißt nichts davon, wie es für eine Frau ist, die in Mawville allein ist. Ich bekomme drei Anträge jede Woche.«
Ein Lächeln stahl sich auf Lassiters Lippen. »Nur drei? Die meisten Männer in Mawville müssen blind sein.«
»Blind oder versoffen«, seufzte Sarah-Ann und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie stellte die Kaffeetasse auf das Nachtschränkchen und fuhr mit der Hand über seine Brust. »Wie wär's mit einer zweiten Runde? Du solltest deine Geschäfte entspannt angehen.«
Das Schäferstündchen in der Nacht war heißblütig und voller Variationen gewesen; ganz so, als hätte Sarah-Ann geahnt, worauf Lassiter stand. Sie hatte es sich in Hündchenstellung besorgen lassen, danach an der Wand und am Ende mit der Zunge. Sie hatte geschrien, dass es die ganze Taverne gehört hätte, wären der Schankraum um diese frühe Stunde nicht schon verwaist gewesen.
»Du solltest heiraten«, flüsterte Lassiter und erwiderte den Kuss. »Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, wenn er eine Frau wie dich hat. Du bist ein Jackpot, Liebes.«
»Hör auf!«, flüsterte Sarah-Ann und kniete sich zwischen die Beine des großen Mannes. Sie blies ihn nach allen Regeln der Kunst.
Einige Minuten darauf trieben Lassiter und sie es erneut.
Sie rollten sich auf dem Dielenboden hin und her, bis Sarah-Ann die Oberhand gewann und ihren Gast aus Spencer ritt. Sie stemmte die Arme in die Seiten, drückte den Rücken und warf das lange Haar zurück. Bei jedem Stoß gab sie einen leisen Seufzer von sich.
»O Lassiter!«, stöhnte Sarah-Ann und krallte Lassiter die Nägel in die Haut. Sie ließ nicht los, bis sie ein brütend heißer Höhepunkt durchflutete, der jeden Muskel in ihrem Becken spannte. »Verdammt, das ist gut...«
Gleich darauf kam es auch Lassiter.
Er warf Sarah-Ann auf den Rücken, drang ein letztes Mal tief in sie ein und gab jede Beherrschung auf. Er blickte seiner jungen Geliebten in die Augen und fragte sich für eine Sekunde, ob er sie nicht tatsächlich heiraten sollte.
»Steig runter!«, sagte Sarah-Ann danach und schälte sich unter ihm hervor. Sie zog sich rasch an und begutachtete ihre Schminke vor dem Spiegel. »In einer Stunde muss ich im Büro des Bürgermeisters ein. Er will mit mir über die Taverne reden.« Sie rieb sich etwas Pulver auf die Wangen. »Manch einem ist ein gut gehendes Lokal in Mawville ein Dorn im Auge.«
»Kannst du mich vorher zu William Kuster bringen?«, erkundigte sich Lassiter und griff nach seinem Hemd. Das Holster mit dem Remington darin hing am Stützbalken der Wandschräge. »Er will mit mir reden. Ich kenne nur seinen Namen.«
»Kuster?«, fragte Sarah-Ann und setzte den Pinsel ab. »Der Maschinist von der Franklin Lumber Co.? Was willst du von ihm?«
Die Brigade Sieben hatte Lassiter im Telegramm einen Mittelsmann benannt, der ihn mit den Einzelheiten seines Auftrags vertraut machen sollte. Das Hauptquartier hatte William Kuster vorgeschlagen, der zu früheren Zeiten Friedensrichter gewesen war und sich inzwischen offenbar als Maschinist durchschlug.
»Er ist ein alter Freund«, log Lassiter und wusste, dass Kuster dazu entsprechend instruieren musste. »Ich will ihm ein geschäftliches Angebot machen. Er ist ein guter Geschäftspartner.«
Seufzend brachte Sarah-Ann ihr Vorhaben zu Ende und schminkte sich so verführerisch, dass Lassiter erneut Begierde verspürte. Er legte der Brünetten den Arm um die Schulter und zog sie zu sich heran.
»Nicht doch!«, protestierte Sarah-Ann und wehrte ihn spielerisch ab. »Du hattest deine Gelegenheit, Mr. Lassiter. Ich will nicht mit verwischter Schminke vor dem Bürgermeister stehen.«
Die wenigen Stunden, die sie sich vor ihrem Rendezvous gekannt hatten, waren in größter Eile verstrichen. Sie waren zu einer Anhöhe nördlich der Stadt hinaufgestiegen, hatten einander eine Weile bei den Händen gehalten und sich Belangloses erzählt. Oben auf der Hügelkuppe hatte Sarah-Ann Lassiter geküsst und ihm ins Ohr geflüstert, dass er die Nacht bei ihr verbringen könnte.
Der große Mann hatte nicht gezaudert.
»Der Bürgermeister wird nichts bemerken«, versprach Lassiter und lotste Sarah-Ann zum Bett. Er nahm ihr den Schal vom Hals, den sie sich bereits umgelegt hatte, und schob ihr den Rock über die Knie. »Er ist ein alter Mann, den die Eskapaden einer jungen Frau kaum kümmern dürften.«
»Du irrst dich gewaltig«, widersprach Sarah-Ann und gab gleichzeitig jeden Widerstand aus. »Manche alten Männer sind geradezu besessen von mir. Ich mache ihnen keine schönen Augen, glaub' mir. Sie kommen ganz von selbst darauf.«
Ohne ein weiteres Wort sanken sie wieder zwischen die Kissen und zogen einander aus. Sie sahen einander in die Augen, dann griff Sarah-Ann Lassiter zwischen die Beine und rieb seinen Pint steif. Sie hörte nicht damit auf, bis er prall zwischen ihren Fingern aufragte.
»Leg dich hin!«, befahl Lassiter in ruhigem und bestimmtem Ton. »Ich will kein Widerwort hören, bis wir fertig sind. Ich will nur dich hören, Sarah-Ann.«
Spielerisch legte Sarah-Ann sich die Hand auf den Mund und lachte mit den Augen. Sie spreizte die Beine und spitzte die Lippen zum Kuss.
Der Termin mit dem Bürgermeister war dahin.
☆
Aus dem Fabrikgebäude der Franklin Lumber Co. drang schwarzer Qualm, der sich in Schwaden über den Hof legte und die angebundenen Pferde in Unruhe versetzte. Er biss Lassiter in den Augen und roch nach Schwefel und verbrannter Kohle.
»Siebzig Morgen Wald!«, rief William Kuster neben Lassiter und rieb sich ebenfalls die Augenwinkel. Er war ein kleiner Mann mit rundlichem Kopf und platter Nase, die er sich zudem ständig schnäuzte. »Im letzten Sommer waren es sogar hundert Morgen. Ich sage Ihnen, die Franklin Lumber Co. hat das kräftigste Sägewerk in der Gegend. Ich bin verflucht stolz auf unsere Kessel, die ständig unter Dampf stehen.« Er hustete. »Das Franklin -Holz geht bis nach New York und Boston, Sir.«
»Lassiter«, sagte der Mann der Brigade Sieben schon zum zweiten Mal. »Einfach nur Lassiter. Den Sir heben Sie sich besser für das Hauptquartier auf, Bill.«
»Wie Sie wollen, Mister... äh... Lassiter«, gab Kuster zur Antwort und schritt voraus. Er zeigte Lassiter die Halle mit dem Sägegatter, das sein Werk ohrenbetäubend laut verrichtete. Er schrie bei jedem Wort. »Gutes Holz... Es macht gute Dollars!... Ich sollte die Anstellung bei der Brigade Sieben an den Nagel hängen!«
»Sie sollten uns aus der Halle bringen!«, schrie Lassiter gegen das lärmende Gatter an. »Ich muss meinen Auftrag erfahren, Bill. Sie sollten alles darüber wissen.«
Durch eine Seitentür traten sie auf den staubigen Hinterhof des Sägegatters hinaus und liefen zwischen Stapeln frisch geschlagener Baumstämme hindurch. Die Männer der Franklin Lumber hatten die Äste daran abgeschlagen und von einem Teil der Stämme die Rinde geschält.
»Sie müssen nach Corkberry Hill hinauf«, meinte Kuster und wies mit dem Kinn zu den Bergen. »Ein Häuflein Häuser unterhalb vom Jawbreak Peak. Bin ein paar Mal dort gewesen, ist keine Messe, darf ich Ihnen versichern.« Er seufzte. »Seit ein paar Monaten gibt's immer wieder Tote dort oben.«
»Tote?«, echote Lassiter und setzte den Fuß auf einen der Baumstämme. Er sah zum mächtigen Massiv der Jawbreak Mountains hinüber, die sich wie ein steinerner Wall in den Himmel erhoben. »Wie viele?«
»Fast zwanzig Männer«, sagte Kuster mit ernster Miene. »Sie sind allesamt am Whiskey gestorben. Die Leute aus Mawville nennen Corkberry Hill die Stadt der Sünden.« Er schaute ebenfalls zu den Bergen hinauf. »Die Sin City von Montana.«
»Ein paar Whiskey zu viel sind keine Sünde«, erwiderte Lassiter und setzte den Weg zum Fluss fort. Der ratternde Tumult des Sägewerks blieb hinter den Männern zurück.
»Nicht ein paar Whiskey«, pflichtete Kuster seinem Besucher bei. »Aber einige Flaschen am Tag sind's vermutlich schon. Die Frauen dieser Männer verarmen, die Kinder ziehen in Lumpen durch die Straßen. Es gibt kaum eine Familie in Corkberry Hill, die nicht am Whiskey leidet.«
Der Mawville Creek war ein schmaler Wasserstrom in einem steinigen Bett, das einen weiten Bogen um die Häuser der Stadt beschrieb. Der Fluss war rot vom Eisen, das er aus dem Gestein wusch. An manchen Stellen war er dunkel wie Blut.
»Wollen Sie diesen Männern den Whiskey nehmen?«, fragte Lassiter und schob mit der Stiefelspitze einen Stein ins Wasser. Er hob den Kopf und sah Kuster an. »Weshalb ist keine Prohibition verhängt worden?«
»Prohibition in den Rockies?«, spottete Kuster und schüttelte den Kopf. »Genauso gut können Sie Kanadiern die Holzfällerei verbieten. Keiner würde darauf hören. Der Gouverneur hält von Verboten Abstand wie der Teufel vom Weihwasser.«
Sie schritten am Ufer des Mawville Creek entlang, bis der Fluss in ein größeres Staubecken mündete, das von einem Damm und Spundwänden aus Holzbohlen gesäumt war. Die Franklin Lumber Co. hatte einen Wirtschaftsweg hinunter zum Reservoir anlegen lassen.
»Sie müssen den Inhaber einer Whiskeybrennerei festnehmen«, sagte Kuster und nahm einen tiefen Atemzug. Er vergab den Auftrag offenbar nicht besonders gern. »Sein Name ist Conrad Mewens. Er besitzt eine Brennerei zwei Meilen nördlich von Corkberry Hill. Er scheint den Einwohnern der Stadt eine besondere Sorte auszuschenken.« Er machte eine Geste vor dem Gesicht. »Diese Sorte macht irre, falls Sie verstehen, was ich meine.«
Von der Fabrik kamen zwei Arbeiter herüber, die sich einen Lederball zuwarfen und dabei feixten. Als sie Kuster erkannten, steckten sie den Ball weg und nickten dem Maschinisten ehrfurchtsvoll zu.
»Mewens brennt gegen das Gesetz?«, fragte Lassiter und nickte den Männern ebenfalls zu. Er fragte sich, wie ein einstiger Friedensrichter bei der Franklin Lumber enden konnte. Im Westen waren harte Zeiten angebrochen. »Oder setzt er dem Whiskey etwas zu?«
»Das Hauptquartier hat einige Proben geordert«, antwortete Kuster und sah auf das Wasserreservoir hinaus. Er rieb sich mit dem Finger die Nase. »Sie rochen und schmeckten nicht anders als die herkömmlichen Sorten. Es gibt keine Erklärung für die Toten in Corkberry Hill.« Er hob die Brauen. »Aus diesem Grund müssen Sie Mewens entführen.«
Der letzte Auftrag dieser Art lag für Lassiter einige Zeit zurück. Er mochte es nicht sonderlich, einen Mann in Gewahrsam zu nehmen, auf den kein Richter wartete. Er hielt es mit der Gerechtigkeit, und ein gerechtes Urteil brauchte Beweise.
»Sie verfügen über eine Vollmacht des Gouverneurs«, fügte Kuster hinzu, als hätte er Lassiters Gedanken gelesen. »Der Gouverneur will mit Mewens über die Sache verhandeln. Der gute Herr Whiskeybrenner hat ihm bisher die kalte Schulter gezeigt.« Er setzte den Gang um das Wasserreservoir fort. »Man hat in Washington um Hilfe gebeten.«
Sie verließen das Gelände der Franklin Lumber durch eines der hinteren Gatter und wandten sich der Stadt zu. Durch den feuchten Schlamm der Straßen führten die Spurrinnen der Pferdefuhrwerke. Nachdem die Männer eine Weile geschwiegen hatten, reichte Kuster Lassiter das Kuvert mit den Missionsunterlagen.
»Ein paar Informantenberichte werden nicht reichen«, meinte Lassiter nach einem Blick in den Umschlag. »Ich muss an Mewens herankommen. Er dürfte höchst misstrauisch sein, wenn er etwas im Schilde führt.«
Mit einer Kopfbewegung wies Kuster auf das Kuvert aus dem Hauptquartier. »Sie finden nicht nur Informantenprotokolle darin. Der Whiskeyhandel Neyvin & Sons hat Sie zu einem seiner Kuriere gemacht. Die Bekanntmachung ist selbst im Malt Bulletin abgedruckt worden.«
Die entsprechende Ausgabe des Blattes steckte unter den Informantenberichten im Umschlag. Sie hatte einige Tuschevermerke auf dem Deckblatt, das Lassiter wegen der Abbildung eines zerschlagenen Whiskeyfasses ins Auge stach.
»Das Malt Bulletin ist ein Mitteilungsblatt der Whiskeybrenner«, fuhr Kuster fort. »Ich kann Ihnen versichern, dass Mewens Sie ernst nehmen und zu einem Dinner empfangen wird. Sie trinken ein oder zwei Gläser mit ihm, bringen ihn in ein geheimes Quartier des Gouverneurs und schaffen ihn wieder zurück.« Er schürzte die Lippen. »Ein Kinderspiel, nicht wahr?«
☆
Über der Destillerie am Fuß des steil aufragenden Bogus Mountain hing finstere Nacht, in der selbst die Petroleumlampen am Wirtschaftsgebäude zu matten Lichtfunken zusammenschmolzen. Die Dunkelheit verschlang das Maisdepot unter dem Felsvorsprung, die Brennerei mit ihrem Schornstein und den Kohlebunker neben dem Zaun. Vor den staubigen Fenstern des Büros zogen gräuliche Nebelschwaden dahin.
»Achtzehn Männer«, konstatierte Conrad Mewens und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Er blickte auf die Destillerie hinunter, die inzwischen seit zwei Jahrzehnten in seinem Besitz war. »Sie sterben wie die Fliegen in Corkberry Hill.«
Der andere Mann im Büro war Thomas Hullet. Im Gegensatz zu Mewens, der einen massigen Leib hatte, war Hullet von fast schmächtigem Wuchs. Er saß verkrümmt auf den einem der viktorianischen Stühle, die Mewens aus England geholt und per Fuhrwerk an den Bogus Mountain schaffen lassen hatte. Die beiden Männer hatten nicht viel gemein.
»Ich bin äußerst zufrieden«, sprach Mewens weiter und starrte auf die dunklen Bauten der Brennerei hinunter. Er hatte fast fünfhundert Fässer Whiskey im vergangenen Monat verkauft. »Sollen sie sterben, ich ändere nichts an der Rezeptur. Unser Verschnitt ist der schärfste Blend im ganzen Westen.« Er lächelte. »Ich mag's, wenn sie draufgehen.«
Aus Erfahrung wusste Mewens, dass derbe Behauptungen bei Hullet auf offene Ohren stießen. Er hatte Hullet nicht ohne Grund zu seinem Vertrauten gemacht. Er brauchte in Corkberry Hill einen Rädelsführer, auf den Verlass war.
»Aus Corkberry Hill ist ein Sündenpfuhl geworden«, meinte Hullet in trägem Tonfall, der nicht erkennen ließ, ob er diesen Umstand guthieß oder nicht. »Der Bürgermeister grübelt über einen Prohibitionserlass nach. Aber den wird's ohne den Gouverneur nicht geben.«
Wie eine feine Klinge schnitt das Wort Prohibition durch Mewens' Herz. Er hatte die Alkoholerlasse in Kansas und Ohio erlebt, die fast einem halben Dutzend Destillen den Gnadenstoß versetzt hatten. Die Leute soffen im Stillen und kauften ihre Flaschen von Schwarzbrennern, die ihnen im Gegenzug Wucherpreise abknöpften.
Für ehrliche Whiskeyfabrikanten wie Mewens war in Prohibitionszeiten kein Platz.
»Der Gouverneur soll mir den Buckel runterrutschen«, knurrte Mewens und wandte sich um. Er sah Hullet forschend an und marschierte auf ihn zu. »Du musst dafür sorgen, dass noch mehr Männer in der Stadt trinken. In den Fässern ist ein frischer Verschnitt. Er muss unters Volk, hörst du?« Er richtete sich steif auf. »Thommy, ich kann mich auf dich verlassen, nicht wahr?«
Vor zwei Jahren hatte Hullet zum ersten Mal im Hof der Destillerie gestanden und Mewens um Arbeit angebettelt. Er hatte wie ein Häufchen Elend ausgesehen in seinem zerlumpten Mantel und mit dem zerfledderten Hut auf dem Kopf. Er war der erste Säufer im frommen Corkberry Hill gewesen.
»Auf mich zu jeder Zeit!«, versicherte Hullet und hob das Glas. Er trank und spülte den Whiskey im Mund. »Ist gutes Zeug, Conrad. Ist verflucht gutes Zeug, was du uns verkaufen willst.«
Das Bowles setzte manchmal zwei Fässer in fünf Tagen um und spülte Mewens eine erkleckliche Zahl Dollars in die Kasse. An den Sonntagen war das Lokal so voll, dass man Stühle und Tische in den Hinterhof stellen musste. Mewens war einmal dagewesen, hielt sich ansonsten jedoch lieber in der Destillerie auf.
»Ein teuflischer Verschnitt!«, stimmte Mewens grimmig zu. Er hatte Zutaten aus Mexiko und Peru herbeigeschafft. »Es steckt ein Branntwein drin, den sie in Mexiko El Diablo nennen. Ich hab' fast hundert Fässer davon. Er gibt einen guten Geschmack, findest du nicht?«
Torkelnd stand Hullet auf und wankte durch das Büro. Er hielt sich am Türbalken fest und nahm sich zusammen, um seine Erwiderung nicht zu lallen. »Mir... mir ist nichts Besseres untergekommen. Nie im Leben nicht. Ich könnte dieses Zeug...« Er beugte sich vornüber und hielt sich den Magen. »Ich könnt's den ganzen Abend lang trinken.«
Kühl und mit tiefer Abscheu sah Mewens dem Mann aus Corkberry Hill dabei zu, wie er sich übergab und das Resultat daraus mit seinem Ärmel von den Dielen wischte. Mewens hatte bereits befürchtet, dass der Diablo-Blend zu kräftig war. Er hatte ihn an einer Säufernatur wie Hullet probieren wollen, ehe er ihn abfüllte und verkaufte. »Wohl nicht den ganzen Abend? Ist er nicht mild genug?«
Hullet wischte sich den Mund sauber und prostete dem Brennereibesitzer mit dem Glas in der Hand zu. »Scher dich nicht um mich! Ich trink' alles, was 'nem Kerl zwischen die Kiemen kommt. Er ist 'ne Wucht, Conrad! Ist 'ne Wucht!«
Unten in den Baracken schliefen Mewens' Arbeiter, die unter striktem Trinkverbot standen. Sie bekamen vier Gläser in der Woche, deren Ausschank Mewens' Vormann überwachte. Jede nicht autorisierte Flasche wurde eingezogen, und ihr Eigner erhielt eine halbe Woche lang keinen Lohn.
»Bringst du ihn im Umlauf?«, fragte Mewens und klopfte Hullet auf die Schulter. Er reichte ihm ein Schnupftuch und goss ihm das Glas wieder voll. »Jedermann in Corkberry Hill sollte von dem Zeug kosten. – Wie steht es mit der Miliz?«
Der andere Mann zuckte zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Er hielt sich am Schreibtisch fest und griff nach dem Whiskeyglas. »Hab' fast vierzig Männer zusammengetrommelt. Sie können Corkberry Hill in 'ne Festung verwandeln. Müssen nur die Straße am Randy Point dichtmachen.«
Die Häuser von Corkberry Hill mochten nichts wert sein, doch in den Bergen gab es Erzadern, mit denen sich ein Vermögen machen ließ, sobald Mewens vom Whiskey die Nase voll hatte. Er musste sich lediglich Schürfrechte sichern, und das ließ sich nur bewerkstelligen, indem er Corkberry Hill in die Hand bekam.
»Vierzig gute Männer!«, setzte Hullet hinzu und trank. Er log wie gedruckt. »Sie sind handverlesen, Conrad, hab' mir jeden von ihnen angeschaut. Ich leg' die Hand für sie ins Feuer.« Er setzte das Glas ab und hob stolz das Kinn. »Was ein Hullet anfängt, bringt er gut zu Ende, glaub' mir.«
Mit säuerlicher Miene wandte sich Mewens ab und schritt wieder zum Fenster. Er hatte gesehen, wie dilettantisch Hullet den Whiskeyverkauf in Corkberry Hill anging, beschloss jedoch, darüber nichts zu sagen. Er hatte im Augenblick einzig Hullet zum Verbündeten. »Du bekommst zweitausend Dollar von mir und stattest die Männer mit allem aus, was für ein Gefecht nötig ist. Ich will die besten Waffen für sie.« Er sah über die Schulter. »Kriegst du das hin, Thommy?«
»Zu voller Zufriedenheit!«, beteuerte Hullet und legte die Hand ums Glas. »Auf dich, Conrad! Auf die Brennerei!«
☆
Das Malt Bulletin enthielt sterbenslangweilige Erörterungen über einen schottischen Single Malt, dessen Geschmack so unübertrefflich wäre, dass niemand aus dem hiesigen Whiskeymarkt daran vorbeikäme. Er wurde in höchsten Tönen gelobt und in Wagenladungen zum Verkauf angeboten, zumeist von Neyvin & Sons.
Gelangweilt schlug Lassiter das Malt Bulletin zusammen.
Er trug sein Gepäck zum Hotel hinüber und ließ sich an der Rezeption den Schlüssel für seine Kammer geben. Das Mädchen hinter dem Tresen lächelte ihn an und erkundigte sich danach, ob er ein Frühstück wünsche. Der große Mann verneinte und stieg die Treppe hinauf.
Am kommenden Morgen würde Lassiter bereits in Corkberry Hill sein.
Er warf das Kuvert aus Washington auf den Tisch, räumte die Ledertasche mit den Kleiderstücken aus, die ihm Kuster besorgt hatte, und warf dann doch wieder einen Blick in den Umschlag. Der Generalagent von Neyvin & Sons hatte einen Kurierpass auf Lassiters Namen ausgestellt.
Der Pass steckte in einer Papphülle.
Spielkartengroß und unterzeichnet von Abraham Neyvin , würde das Schriftstück Lassiter vermutlich bei jeder Brennerei Einlass verschaffen. Das Ansehen von Neyvin & Co. war bei den Whiskeyfabrikanten derart exzellent, dass sich die Frage stellte, wie das Hauptquartier die Company für seine Zwecke gewinnen konnte.
»Nein, Dicey, nein!«
Durch das geöffnete Fenster drangen die Rufe einer jungen Frau herauf, die unten auf der Straße ihre Tochter schalt. Sie lief aufgebracht um das Kind herum und holte zu einer Ohrfeige aus. Der Mann der Brigade Sieben beobachtete sie vom Fenster aus.
»Was gibt's da zu glotzen?«, fuhr die Frau Lassiter an, kaum dass sie dessen Umriss am Fenster bemerkt hatte. Sie verbarg ihre Tochter hinter dem Rücken und machte ein zorniges Gesicht. »Haben Sie keine Kinder? Oh nein, ich wette, Sie haben keine Kinder! Sie müssen sich mit niemandem herumschlagen!«
Ob und wie oft er sich mit miserablem Benehmen abplagen musste, konnte und wollte Lassiter der Fremden nicht erzählen. Er schob das Fenster ganz auf, stützte sich mit beiden Armen auf und zwinkerte dem Mädchen hinter der Frau zu. »Ich hätte gern Kinder, Ma'am. Aber ich bin ständig auf Reisen.«
»Auf Reisen werden die meisten Kinder gezeugt!«, versetzte der junge Blondschopf auf der Straße. »Außerdem ist Dicey im Grund ein gutes Kind. Sie will bloß die Pillen nicht schlucken, die ihr unser Doc verordnet hat.« Sie seufzte. »Ich ringe ständig mit ihr.«
Streng hob Lassiter die Brauen und sah das Kind an. »Ist das wahr, Kleine? Hörst du nicht darauf, was der Doc dir sagt?«
Das Mädchen streckte ihm die Zunge heraus und versteckte sich wieder hinter seiner Mutter. Im nächsten Moment lugte es erneut und gab artig Antwort. »Die Pillen schmecken ganz bitter, Mama. Sag das dem Mann.«
Nun musste die Fremde auf der Straße lächeln und sah zu Lassiter hinauf. »Marcy Maulden ist mein Name. Komme aus Corkberry Hill.« Sie wies auf die Häuser. »Sind Sie länger in Mawville?«
Höflich nannte Lassiter ebenfalls seinen Namen. »Ich bin Kurier, Ma'am. Ich muss auch hinauf nach Corkberry Hill.«
»In die Stadt der Sünden?«, erwiderte Marcy und nahm ihre Tochter bei der Hand. »Sie haben nicht eben das große Los gezogen. Auf den Straßen von Corkberry Hill treffen Sie nur Säufer und Kinder in Lumpen.« Sie zog die Schultern hoch. »Ich könnte Ihre Papiere mitnehmen. Ich kenne eine Menge Leute in Corkberry Hill.«
Sie verständigten sich darauf, dass sie zumindest den Ritt gemeinsam unternehmen würden. Als Lassiter einige Zeit später aus dem Hotel trat, hatte sich Dicey mit ihrer Mutter versöhnt.
»Sie leidet an einem seltenen Lungenfieber«, seufzte Marcy und begutachtete Lassiter von Kopf bis Fuß. Sie schien Gefallen an ihm zu finden, obgleich sie sich deswegen keine Blöße gab. »Als sie vor zwei Jahren zum Doc musste, war sie fast tot. Ich muss höllisch aufpassen, dass sie diese verdammten Pillen schluckt.«
Auf dem Weg hinunter zum Mietstall erfuhr Lassiter, dass Mrs. Maulden Witwe war und mit ihren beiden Töchtern am Stadtrand von Corkberry Hill lebte. Sie hielt nicht allzu viel von der Stadt.
»Ein Drecksloch?«, wiederholte Lassiter überrascht und nahm Diceys Hand. Das Mädchen war offenbar an die Flüche seiner Mutter gewöhnt. »Sie sollten die Stadt, in der Sie leben, nicht derart verabscheuen.«
Auf Marcys sanften Zügen zeigte sich ein Ausdruck von Härte. »Bislang hat mir Corkberry Hill nichts Gute gebracht. Mein Mann ist am Whiskey gestorben. Vor einem guten Jahr schon.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich habe dieser Stadt nur Kummer zu verdanken.«
Der Mietstallbesitzer führte ihnen zwei Rappen aus dem Stall, für die er eine Kaution von vier Dollar verlangte. Als Lassiter die Summe beglich, verschwand die Anspannung aus Marcys Gesicht.
»Sie müssen es mir nicht zurückzahlen«, bot Lassiter an und warf den Sattel auf den Pferderücken. Er führt den Gurt unter dem Bauch des Tieres hindurch und zurrte ihn fest. »Die Medizin für Dicey wird teuer sein.«
Das Kind sprang auf ihn zu und schlang aus heiterem Himmel die Arme um seine Beine. Es hielt Lassiter selbst dann noch fest, als er in den Sattel steigen wollte.
»Dicey!«, ermahnte Marcy das Mädchen. »Steig auf und sei brav! Der Ritt ist lang. Ich will bis zum Abend wieder bei Lillie sein.«
Zwei Stunden später überquerten sie hoch in den Bergen den Mawville Creek.
»Tot ist er ohnehin!«, brachte Marcy ihre Trauer auf den Punkt. Sie hatte Lassiter von den schweren Wochen erzählt, die sie mit Lillie und Dicey nach dem Tod ihres Mannes durchgestanden hatte. »Es nutzt mir und den Mädchen nichts, wenn wir um ihn trauern. Er wollte trinken und hat seine Strafe bekommen.« Sie dirigierte das Pferd gekonnt durchs flache Uferwasser. »Er hat der Stadt der Sünden alle Ehre gemacht.«
Aus Instinkt wusste Lassiter, dass sich hinter den abgebrühten Worten der Witwe lediglich tiefe Bekümmerung verbarg. Ihm war nicht entgangen, dass Marcy zunächst zärtlich über ihren Mann gesprochen hatte, der unverschuldet ans Glas geraten war. Den Pass von Neyvin & Sons in seiner Tasche verschwieg Lassiter wohlweislich.
»Brauchen Sie Quartier in Corkberry Hill?«, fragte Marcy unvermittelt und überließ die Zügel für einen Augenblick ihrer Tochter. »Sie können unsere Gästekammer haben. Die Mädchen werden froh sein, dass ein Mann im Haus ist.« Sie strich Dicey über den Kopf. »Sonst treffen sie nur auf Trunkenbold und Wüteriche.«
»Gern«, sagte Lassiter und straffte die Zügel. »Falls ein Gast Ihnen keine Umstände macht.«
☆
»Trink, Ben!«
Mit seinem ganzen Gewicht stützte sich Thomas Hullet auf die Theke und packte den Besitzer des Bowles beim Kragen. Er zog ihn bis fast aufs Holz herunter und schob ihm das Glas unter die Nase.
»Ich... ich will's nicht!«, flüsterte Benjamin Bowles und äugte ängstlich zu Hullet hinauf. »Ich will das verdammte Zeug nicht. Allmählich wird's Gift, was von der Brennerei kommt.« Er rang um Luft. »Die Leute in Corkberry Hill gehen drauf.«
»Red keinen Bullshit!«, versetzte Hullet und schlug den Barkeeper mit der Stirn auf die Theke. Er ließ ihn los und setzte sich auf seinen Hocker. »Einen Feigling wie dich kann keiner brauchen. Mr. Mewens bietet der Stadt 'nen guten Preis. Kann auch nichts dafür, dass sich die Männer totsaufen.«
Das Bowles war leer und von stickiger Luft erfüllt, die nicht einmal durch die geöffneten Hoffenster entwich. Der Geruch von offenen Whiskeyflaschen und verbranntem Wachs stach Hullet in die Nase.
»Der Bürgermeister versteht keinen Spaß.« Bowles wienerte ein Glas und ließ Hullet nicht aus den Augen. »Er wird die Prohibition verhängen, wenn's noch weitere Tote gibt. Er hat's mir im Vertrauen gesagt, Thomas.« Er stellte das Glas ab. »Die Prohibition wird mich ruinieren.«
Dieselben Befürchtungen hörte Hullet schon seit Wochen. Er hatte Bowles dazu aufgestachelt, den Whiskey von Mewens' Brennerei auszuschenken, und als das Geschäft deswegen brummte, hatte Bowles ihm untertänig gedankt. Erst als der Bürgermeister zum ersten Mal mit einem Schankverbot gedroht hatte, war Bowles' Wertschätzung für Hullet geschwunden.
»Dann muss ein anderer auf den Bürgermeisterposten«, meinte Hullet und trommelte mit den Fingern. »Ein Kerl mit Mumm in den Knochen. Es hilft keinem in der Stadt, wenn er plötzlich nicht mehr saufen darf.« Er grinste. »Ich habe 'ne Miliz. Ich wüsste schon, wie man die Stadt gegen den Gouverneur verteidigt.«
Nach und nach räumte Bowles die Gläser ins Regal und schob Korken in die Flaschen. Er blieb vor den beiden schmuckvollen Spiegeln stehen, die mit dem Schriftzug des Bowles bemalt waren. »Willst du selbst ins Amt? Ich könnte mir einen besseren Mann vorstellen als dich.«
Wutentbrannt hob Hullet das Glas und zielte damit auf die Spiegel. Er hatte genug von Bowles' Feigheit, die ab und ab in Trotz umschlug. »Füll du deine Gläser und mach deine Dollars mit dem Whiskey! Ich will bloß, dass du Mewens' Brennerei nicht den Rücken kehrst. Er hat die Stadt in der Hand.« Er senkte das Glas wieder. »Du wirst nirgendwo günstiger Preise kriegen als bei ihm.«
Als von Bowles keine Antwort kam, wusste Hullet, dass sein Argument verfangen hatte. Er würde dem Saloonbesitzer keinen Trupp Bewaffneter schicken müssen, damit er begriff, wem in Corkberry Hill seine Loyalität zu gelten hatte. »Ist Marcy schon zurück? Sie wollte wegen der Medizin hinunter nach Mawville.«
Bowles zuckte mit den Schultern und tauchte ein schmutziges Glas ins Wasser. Er reinigte es und trocknete es ebenfalls ab. »Sieh du nach ihr, wenn du etwas wissen willst. Seit Taylors Tod ist sie nicht mehr bei mir gewesen.«
☆
Die Hausarbeiten waren Lillie mit Leichtigkeit von der Hand gegangen, und zwar trotz ihres anfänglichen Unwillens, den sie auf ihr monatliches Frauenleiden schob. Sie hatte die Küche geputzt und gewischt, den Ofen in der guten Kammer gereinigt und sich über die Wäsche hergemacht, die ihre Mutter bereitgelegt hatte.
Zwischen den Handtüchern hatte Lillie ein Halstuch ihres Vaters gefunden.
Sie hatte es auf dem Tisch in der Esskammer ausgebreitet und wollte es liegenlassen, bis ihre Mutter und Dicey aus Mawville zurückkehrten. Dass es dazu einen halben Tag früher kam als angekündigt, stürzte Lillie in Unruhe.
»Mutter?«, rief die ältere der beiden Maulden-Töchter und fegte ein letztes Mal durch den Flur. Sie raffte das Halstuch auf dem Tisch zusammen, stopfte es in ihre Rocktasche und eilte durch die Haustür ins Freie. »So früh schon?«
Draußen waren zwei Rappen angebunden, die ihre Köpfe hungrig in die Hafersäcke senkten. Die Satteltaschen waren mit allerhand Einkäufen gefüllt, die Lillies Mutter in Mawville gemacht hatte.
»Lillie!«, erscholl Diceys Stimme zwischen den Pferden. Das Mädchen stob unter den Tieren hervor und fiel seiner Schwester um den Hals. »Du kannst dir's nicht vorstellen! Mama hat jemanden mitgebracht! Einen Mann aus Mawville! Er ist nett, Lillie, er ist nett!«
Neugierig hob Lillie den Kopf und erspähte ihre Mutter im kniehohen Gras hinter dem Haus. Sie redete mit einem groß gewachsenen Fremden, der eine elegante Lederhose, eine Weste aus blauem Samt und einen Gehrock trug. Unter der Samtweste blitzte ein Revolver im Holster.
»Lillie!«, rief nun auch Lillies Mutter und winkte. »Komm herüber! Ich will dir jemanden vorstellen! Er ist aus Mawville!«
Kaum hatte sich Lillie von Dicey losgemacht, lief sie zu den beiden Erwachsenen hinüber. Sie raffte den Rock und stieg über eine Stufe an der Böschung hinweg. Der Großgewachsene nahm den Hut vom Kopf, als er ihr die Hand reichte.
»Sein Name ist Lassiter«, verkündete Lillies Mutter stolz. »Er hat in Mawville unsere Bekanntschaft gemacht und wird ein paar Tage bleiben. Er muss jemandem eine Sendung überbringen.« Sie sah den Fremden an. »Stimmt doch, Mr. Lassiter, oder?«
»Nur eine kleine Sendung«, sagte der Fremde und musterte Lillie eine Weile. »Ich bin Kurier. Ich muss nur meine Arbeit erledigen. Ihre Mutter war so freundlich –”
Lillie unterbrach ihn scharf. »Sie können das Gästezimmer haben. Aber glauben Sie bloß nicht, dass Sie meine Mutter –« Sie stockte kurz. »Dass Sie meine Mutter... Nun, meine Mutter ist eine Witwe!«
»Lillie!«, hob ihre Mutter streng die Stimme. Sie funkelte Lillie erbost an. »Du gehst besser ins Haus und denkst darüber nach, was du soeben gesagt hast. Mr. Lassiter ist unser Gast und kein Grund für derartige Gedanken.« Sie deutete über Lillies Schulter. »Geh jetzt. Er weiß bereits von Taylor. Er weiß alles, Lillie. Ich bin enttäuscht von dir.«
Schuldbewusst wechselte Lillie einen Blick mit dem Fremden und wandte sich dann zum Gehen. Sie verkniff sich eine Träne und dachte an das Grab ihres Vaters, das unweit des Hauses lag und noch immer mit frischen Wiesenblumen geschmückt war.
Der Stein hatte sich im letzten Winter geneigt.
»Mach uns Abendbrot!«, rief Lillies Mutter ihr nach. »Aber nur Tee für uns alle! Keinen Tropfen Whiskey!«
☆
Die Männer von Thomas Hullet hatten sich im alten Tanzsaal zusammengefunden und reichten einander die Flasche herum. Sie tranken in langen und gierigen Schlucken, als hätten sie seit Wochen keinen Tropfen angerührt. Die meisten von ihnen hatten schon am Vorabend im Bowles gesoffen.
»Alle mal hergehört!«, rief Hullet und genehmigte sich selbst einen Schluck. Er musste Mewens zugestehen, dass der mit dem Diablo -Verschnitt einen guten Griff getan hatte. »Ich fürchte, dass wir die Sache in Corkberry Creek selbst in die Hand nehmen müssen. Der Bürgermeister wird irgendwann die Prohibition ausrufen. Er wird nicht länger warten wollen.«
Aus den Reihen der Männer ertönten unzufriedene Rufe. Sie tranken und ergingen sich in blutlüsternen Fantasien, wie man dem Bürgermeister oder Bowles beikommen konnte. »Reißen wir ihm den gottverdammten Arsch auf! – Er soll sich wieder nach Texas scheren! – Muss ihn mal einer mit der Bleispritze kitzeln!«
»Seid ruhig!«, brachte Hullet die Runde zum Schweigen. »Ich will, dass ihr ein bisschen nachdenkt! Ich bin dafür, dass wir Randy Point verbarrikadieren.« Er schaute in die geröteten Gesichter der Männer. »Keiner kommt herein oder heraus, ohne dass wir's wollen! Bowles wird den Whiskey von Mewens' Brennerei verkaufen müssen! Wie wir's alle wollen!« Er lächelte knapp. »Oder seid Ihr anderer Meinung?«
Unter Hullets Kommando standen die übelsten Säufer von Corkberry Hill, und Hullet hatte Sorge dafür getragen, dass sie ihm nicht von der Fahne gingen. Er hatte bei Bowles ausgehandelt, dass sie die Gläser zum halben Preis bekamen und an der Theke sitzen durften, bis sie genug hatten.
»Nieder mit Randy Point!«, rief einer der Männer und reckte die Faust in die Luft. »Corkberry Hill ist unsere Stadt! Keiner darf uns sagen, was wir zu tun haben!« Er erntete zustimmendes Gemurmel. »Sollen die Weiber mit ihrer verdammten Prohibition zum Teufel fahren!«
Abermals wurde der Whiskey herumgereicht und gelangte bis zu Hullet, der einen kräftigen Schluck aus der Flasche nahm. Er gab die Flasche an den bärtigen Kerl zurück, der ihm beigesprungen war, und nickte ihm aufmunternd zu. »Recht so, Bud! Sollen sie allesamt zum Teufel fahren!«
Der Trupp besprach den Ritt hinunter zum Randy Point und nötigen Vorkehrungen, die zu treffen waren. Bud erklärte sich bereit, aus dem Wald am Jawbreak Peak ein paar Stämme zu besorgen, die sie mit den Pferden hinunter zum Fluss schleppen konnten. Die Palisaden für die Befestigung würden John Matney und Milton Brown errichten, die Schreiner waren und sich mit Holzarbeiten auskannten. Die Feldküche übernahm Fredrick Farnsworth, der früher mal im Bowles gekocht hatte.
Als alles besprochen war, hob Hullet die Hände und bat um Ruhe. »Um fünf Uhr in der Frühe gehört Corkberry Hill uns! Die Stadt darf nicht länger in der Hand von Bürgermeister Piles sein! Sie gehört uns und keinem anderen!«
Von den Männern kamen Hurrarufe und Pfiffe, und Hullet musste jäh an Taylor Maulden denken, der vor ihm die Männer angeführt hatte. Er war inzwischen einige Zeit tot und in Vergessenheit geraten.
Immerhin hatte Maulden eine schöne Witwe hinterlassen.
Eine Frau würde Hullet gut zu Gesicht stehen, falls ein Nachfolger für Bürgermeister Piles gewählt werden musste. Die Ehe würde ihm die Türen zu jenen Häusern öffnen, in denen man den Whiskey verschmähte.
»Auf zum Randy Point!«, rief Bud und lachte. »Auf in die Freiheit!«
☆
Die beiden Schwestern saßen schweigend bei Tisch und hielten die Hände gefaltet, bis ihre Mutter das Gebet beendet und den Decken von der Soßenterrine genommen hatte. Sie schielten hin und wieder zu Lassiter hinüber, der dem Gebet ebenfalls lauschte, obwohl seine Gedanken bei Conrad Mewens und dessen Brennerei in den Bergen waren.
»Amen«, sagte Marcy und lud Lassiter ein Stück Pökelfleisch auf den Teller. Sie goss die Mehlbrühe darüber, die sie im Topf angeschwitzt hatte, und lächelte Dicey an. »Ihr beide habt euch angefreundet, wie? Mr. Lassiter wird nicht lange in Corkberry Hill bleiben.«
Im Stillen hatte Lassiter längst beschlossen, dass er die Maulden-Familie keinesfalls in seine Mission hineinziehen wollte. Er musste vor Marcy und deren Kindern den Schein wahren, dass er ein Agent des Whiskeyhandels Neyvin & Sons war, und ansonsten seinen Ritt hinauf zu Mewens' Destillerie vorbereiten.
»Mr. Lassiter ist lustig!«, schwärmte Dicey und stocherte auf ihrem Teller herum. Sie hustete unentwegt und hatte vor dem Essen ihr Elixier eingenommen. »Er hat mir unten im Tal die Salamander gezeigt, Lillie! Große und kleine Salamander!«
Die ältere Maulden-Schwester aß wortlos weiter und starrte auf ihren Teller hinunter. Sie hatte mit Marcy gestritten, als die Frauen allein in der Küche gewesen waren, und Lassiter hatte kein gutes Gehör gebraucht, um mitzubekommen, dass es in der Auseinandersetzung um ihn ging.
»Iss deinen Teller auf!«, flüsterte Lillie und tippte mit dem Finger auf die Tischplatte. Sie sah hilfesuchend zu ihrer Mutter. »Mama, ich möchte in die Kammer. Ich habe genug gegessen.«
Energisch schüttelte Marcy den Kopf. »Du bleibst bei Tisch, Lillie. Ich dulde keine Unhöflichkeiten bei uns im Haus.«
Vor dem Haus schlug der Hund an und kläffte einige Minuten lang. Als sich das Tier endlich beruhigte, kreuzte Lillie das Besteck auf dem Teller und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Sie wollte etwas sagen, als zwei schwere Fausthiebe die Einlasstür erschütterten.
Mit leichtem Unbehagen wandte sich Lassiter um.
»Bleibt sitzen!«, sagte Marcy und schob den Stuhl zurück. Sie band sich ein Tuch um den Kopf und trat in den Flur hinaus. »Wird bloß der Meyer-Sohn sein, der uns den Pflug zurückbringt. Er wollte schon den ganzen Tag herüberkommen.«
Ratlos musterten die Mädchen einander und schauten scheu zu Lassiter, der auf Marcys Schritte im Korridor lauschte. Der Mann der Brigade Sieben beugte sich über die Stuhllehne und erhaschte einige Fetzen des Gesprächs, das sich draußen anbahnte.
»Randy Point?«, hörte er Marcy ungläubig sagen. Sie redete mit einem Mann, der eine tiefe und durchdringende Stimme hatte. Er hatte die Witwe beim Vornamen genannt.
»Randy Point«, bestätigte der Fremde und fügte etwas Unverständliches zu. »Du und die Mädchen... ihr solltet nach Corkberry Hill gehen. Niemand kann sagen, was die nächsten Stunden passiert.«
Die Bohlenwände des Hauses verschlangen die anderen Sätze und ließen nur den Abschiedsgruß des Mannes übrig. Die Tür fiel ins Schloss, und wenig später kehrte Marcy nachdenklich in die Küche zurück.
»Mama?«, frage Lillie und hielt sich an der Tischkante fest. »Was ist los? Was ist geschehen? Du bist blass wie ein Gespenst.«
Tatsächlich war aus Marcys schmalem Gesicht alle Farbe gewichen. Die Wangen waren fahl und wirkten plötzlich eingefallen. »Nichts, Lillie. Es ist nicht geschehen. Wir... du musst ein paar Sachen packen. Ich will bei Tante Helen schlafen.«
»Tante Helen?«, setzte Lillie entrüstet zum Protest an. »Aber wieso –”
»Keine Fragen jetzt!«, hob Marcy die Stimme und versetzt Dicey damit in Furcht. Sie ging auf ihre Jüngste zu und streichelte sie über den Kopf. »Ich habe gesagt, dass wir in die Stadt ziehen.« Ihr Blick sprang zu Lassiter. »Ich will nicht darüber streiten, Mädchen.«
☆
Die Schotterstraße von Mawville hinauf nach Corkberry Hill verlief über fünf Meilen hinweg auf ebenem Terrain, ehe sie sich ins Massiv der Jawbreak Mountains hinaufschlängelte. Sie war in den Jahren des Sezessionskriegs angelegt worden, als einige Generäle der Union ein geheimes Munitionslager in Montana erwogen hatten.
Hinter dem Randy Point wurde die Straße zur Schlammpiste.
»Hoch damit!«, rief Hullet und wischte sich das Regenwasser von der Hutkrempe. Er hatte auf eine Nacht mit mildem Wetter gehofft. »Bringt ihn rüber zu Jeff! Noch weiter! Kommt schon!«
Über Hullets Kopf hing der zweitausend Pfund schwere Stamm, den Bud Mellerson mit seinen Zossen aus dem Wald gezogen und auf dem Fluss bis zum Randy Point geschwemmt hatte. Sie wollten den Pinienstamm zum Querträger der Palisade machen, die jedes gottverdammte Fuhrwerk aus Mawville aufhalten würde.
Nach Corkberry Hill führte die einzige Route über den Randy Point.
»Pass auf, Thommy!«, brüllte Bud und feixte lauthals. Er saß auf einem Ende des Stamms und ließ sich von den Männern hinüber zur Palisade ziehen. »Brich dir nicht das Kreuz, wenn er gleich runterkommt! – Tiefer! Jetzt tiefer, los!«
An den Tauen hingen jeweils vier oder fünf Männer, die sich aus Leibeskräften anstrengten und den Stamm bereits vom Fluss hinauf in die Felsenschlucht geschleift hatten. Zu beiden Seiten der Schlucht hatten sie Kerben ins lockere Gestein geschlagen, in denen der Stamm liegen würde.
Aus Corkberry Hill würde eine Festung werden.
Kaum einer der Männer hatte getrunken, obwohl ein ganzes Fass von Mewens' Diablo -Whiskey bereitstand und Hullet selbst den Deckel heruntergeschlagen hatte. Er hätte den Männern ausgeschenkt, hätten diese nicht darauf bestanden, dass sie zuerst die Arbeit erledigen würden.
»Mir geschieht nichts!«, rief Hullet zu Bud hinauf und dirigierte den Stamm in die Kerbe der südlichen Felswand. Das Holz rutschte über das Gestein und kam mit einem knirschend Laut zum Stillstand.
»Sitzt fest!«, meldete Bud und sprang vom Stamm herunter. Er kletterte an einem Felsvorsprung entlang, erheblich behänder, als man es von einem Mann seiner Statur erwarten durfte. »Jetzt noch die andere Seite! Bald sitzen wir in Corkberry sicher wie in Abrahams Schoß!«
Die Euphorie der anderen Männer, die den Löwenanteil der Arbeit schulterten, hatte sich merklich abgekühlt, seit ihnen das Ausmaß des Vorhabens bewusst geworden war. Sie hatten geglaubt, dass es um ein paar schlichte Bretterwände am Randy Point ging.
Doch Hullet machte keine halben Sachen.
Er wollte und musste Mewens die Herrschaft über Corkberry Hill verschaffen. Er konnte dem Whiskeybrenner nicht mit einer Ausrede oder einem Kompromiss kommen, jedenfalls nicht dann, wenn Hullet den Bürgermeisterposten wollte.
Und wenn er Marcy Maulden zur Frau haben wollte.
Für einen Augenblick kreisten Hullets Gedanken um die attraktive Witwe, die ihren Mann an den Whiskey verloren und seither jedem Kerl in Corkberry Hill den Kopf verdrehte. Mit ihren kastanienbrauen Haaren und dem matten Blick hatte sie etwas Sirenenartiges an sich.
»Noch tiefer!«, schrie Bud und schwang sich an Hullet vorbei. Er warf sich in eines der Taue, die den Stamm hielten, und drückte es herunter. »Verdammt, Thommy! Passt du nicht auf? Sie sollen es hinunter in die Kerbe bringen! Bald wäre er uns davongerutscht!«
Ohne eine äußere Regung sah Hullet zu der Pinie hinauf, die wie eine grotesk schmale Wolke den Mond verdunkelte. Sie mussten die Palisade errichten, bevor in den Morgenstunden wieder der Regen einsetzte.
»Ablassen, ablassen!«, kommandierte Bud weiter und schaute zornig zu Hullet. Er hob die Arme und gab den Befehl an die übrigen Männer weiter. »Nicht zu tief! Ein Stück noch!«
Dann saß der Stamm an seinem Platz.
»Gottverdammt!«, knurrte Bud und wischte sich die Hände an der Hose ab. Er war von der Hüfte ab mit Schlamm beschmiert und sah erledigt aus. »Muss ich's bald alleine richten? Du hattest die Männer schon besser im Griff.« Er stieß Hullet in die Seite. »Ist dir die Freundschaft mit Mewens zu Kopf gestiegen?«
Blitzschnell zückte Hullet sein Jagdmesser und hielt es seinem Gefährten an die Seite. Er rieb die Klinge am Stoff von Buds Hemd und lächelte. »Hatten wir nicht darüber gesprochen, Bud? Ich kümmere mich um Mewens. Du kümmerst dich um meine Befehle.«
Beim Anblick des Messers zuckte Bud zusammen und wich vor Hullet zurück. Er hob beschwichtigend die Hände und schaute sich nervös um. »Behalte bloß die Nerven, Thommy! Du wirst irgendwann einen von uns aufschlitzen!« Er lachte gequält. »Dabei geht's dir bloß um Taylors Kleine.«
Noch bevor die anderen Männer sahen, was im Mondschein zwischen Bud und ihm vor sich ging, steckte Hullet das Messer wieder ein. Er schluckte die Wut herunter und wandte sich ab. »Mir geht's um die Stadt und den Whiskey. Die Männer brauchen anständigen Whiskey zum Saufen.«
»Erzähl mir keine Ammenmärchen!«, erwiderte Bud knurrend und heftete den Blick auf den Messergriff. »Du willst erst Bürgermeister und danach Vater werden. Ich kenne dich zu lange, Thommy.«
»Offenbar nicht lange genug!«, bellte Hullet gereizt. »Geh mir aus den Augen und lass die Palisade nageln! Ich will endlich in die Stadt zurück!«
Gekränkt zog Bud ab und ließ seine Verärgerung an den Männern aus, die sich bei den Seilen ausruhten. Er trieb sie fluchend zu den Brettern, mit denen sie die Palisade von außen vernageln würden.
Erleichtert sah Hullet zu dem querliegenden Baumstamm hinauf.
Den letzten Plan dieser Art hatten sie vor gut einem Jahr geschmiedet, als es in Mewens' Destillerie zu einem Brand gekommen war. Sie hatten Bürgermeister Piles verdächtigt, der damals noch ein paar Getreue in der Stadt besessen hatte. Am Ende hatten sie einen verkohlten Sack Sägespäne gefunden, der das Feuer verursacht hatte.
»Bud!«, rief Hullet und lief zu den Männern hinüber. »Ich hab' mir überlegt! Ich werde die Palisade beaufsichtigen!« Er setzte ein dünnes Lächeln auf. »Geh nach Hause und schlaf dich aus! Ich brauche dich in den kommenden Tagen!«
Die anderen Männer würdigten Bud keines Blickes mehr, kaum dass Hullets Worte verklungen waren. Sie trugen die Bretter zur Felswand hinüber und klagten darüber, dass sie ebenso eine Mütze voll Schlaf gebrauchen konnten.
Mit zusammengezogenen Brauen stapfte Bud auf Hullet zu. »Ich weiß schon, was du im Schilde führst, Thommy. Aber so leicht bootest du keinen Bud Mellerson aus.« Er deutete auf Hullets Messer. »Ich fürchte mich nicht so sehr vor dir, wie du glaubst.«
☆