Lassiter Sonder-Edition 2 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sonder-Edition 2 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Am 2. Mai betrat Lassiter den Antler-Saloon in Bridge, Montana. Es war ein warmer Abend. Der Lärm in dem primitiven Raum brach sich an den nackten Holzwänden. Draußen auf der leeren dunklen Straße war von weither aus dem Osten der einsame Pfiff einer Lokomotive zu hören.
Im Saloon herrschte nervöse und gereizte Stimmung. Die Frau im roten Kleid stand ohne Glas ganz allein an der Bar. Selbst wenn Lassiter diese Frau nicht gejagt hätte, wäre er auf sie aufmerksam geworden.
Es waren etwa fünfzig Männer anwesend. Einige hielten sich am Tresen auf, ein paar hatten die Pokertische besetzt oder an den kleineren Tischen Platz genommen. Einige tranken, einige lachten, und einige beobachteten die Tür. Es gab noch andere Frauen, aber nur die Lady im roten Kleid stand für sich allein an der Theke. Links und rechts von ihr war auffallend viel Platz.


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Seitenzahl: 224

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

LASSITERS WILDE, VERWEGENE JAGD

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

Vorschau

Impressum

Liebe Lassiter-Fans!

1970, vor nunmehr 52 Jahren, kam LASSITER nach Deutschland! Die ersten Taschenbücher waren Übersetzungen aus dem Amerikanischen, bevor deutsche Autoren übernahmen und die Abenteuer des »großen Mannes« fortführten. Zwei Jahre später startete die Romanheft-Serie, die es inzwischen auf über 2600 Bände gebracht hat, während die Taschenbücher 1996 mit Nr. 282 ausliefen.

Viele Fans fragen sich schon lange, wie damals alles begann, wie Lassiter vom Frachtunternehmer zum Outlaw und dann zum Agenten der Brigade Sieben wurde. Diese Abenteuer schildert nun die Neuauflage der Taschenbücher als LASSITER SONDER-EDITION, erstmals ungekürzt auf 80 Seiten im Heftformat. Ein MUSS für alle LASSITER-Fans!

Ihre LASSITER-Redaktion

LASSITERS WILDE, VERWEGENE JAGD

von Jack Slade

Am 2. Mai betrat Lassiter den Antler-Saloon in Bridge, Montana. Es war ein warmer Abend. Der Lärm in dem primitiven Raum brach sich an den nackten Holzwänden. Draußen auf der leeren dunklen Straße war von weither aus dem Osten der einsame Pfiff einer Lokomotive zu hören.

Im Saloon herrschte nervöse und gereizte Stimmung. Die Frau im roten Kleid stand ohne Glas ganz allein an der Bar. Selbst wenn Lassiter diese Frau nicht gejagt hätte, wäre er auf sie aufmerksam geworden.

Es waren etwa fünfzig Männer anwesend. Einige hielten sich am Tresen auf, ein paar hatten die Pokertische besetzt oder an den kleineren Tischen Platz genommen. Einige tranken, einige lachten, und einige beobachteten die Tür. Es gab noch andere Frauen, aber nur die Lady im roten Kleid stand für sich allein an der Theke. Links und rechts von ihr war auffallend viel Platz.

Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1970 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 2 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: Bandido

Lassiter ging zur Bar und stellte sich rechts neben die Frau. Er bestellte einen Drink. Im Spiegel hinter der Bar sah er, wie die Frau ihn aus großen blauen Augen betrachtete. Er nickte dem Barkeeper zu.

»Geben Sie der Dame auch einen Drink«, sagte er.

Der Mann achtete nicht auf die Bestellung. Er drehte sich um und wollte zum unteren Ende des Tresens gehen. Lassiter schüttete den Inhalt seines Glases auf den Hinterkopf des Barkeepers. Der Mann wirbelte herum. Lassiter schob sein leeres Glas über die zerschrammte Theke. »Nachfüllen! Und geben Sie der Dame 'nen Drink.«

Der Mann war klein, hatte aber mächtig breite Schultern. Er wollte Lassiter die Flasche ins Gesicht schlagen. Doch als er Lassiters Blick begegnete, überlegte er sich die Sache doch lieber anders. Er füllte die Gläser und entfernte sich.

Die Männer an der Bar hatten alles gesehen und gehört. In diesem Abschnitt des langen Raumes war es plötzlich sehr ruhig. Nur das Klimpern des Pianos an der Rückwand war zu hören.

Die Frau beobachtete Lassiter. Er musterte sie von oben bis unten. Das kurze, tiefausgeschnittene Kleid, die karierten Strümpfe.

Die Stimme der Frau klang tief und heiser, als sie fragte: »Sie sind allein, Mister?«

Er lächelte sie an.

»Allein.«

»Sie gehen ein großes Risiko ein.«

Er stellte das Glas ab. Der Schnaps war nicht gut. Im Spiegel sah er, dass die Männer um ihn herum sehr gespannt waren, auch wenn sie Desinteresse vortäuschten.

»Wollen wir uns nicht an einen Tisch setzen?«, fragte Lassiter.

»Sie sind ein gottverdammter Narr! Doch nicht hier drin!«

»Wo würden Sie denn vorschlagen?«

Er las die Ablehnung in ihrem Gesicht. Dann schob sie das Kinn etwas vor. Ihr Blick wanderte rasch durch den Raum.

»Warten Sie in einer halben Stunde unten beim Mietstall auf mich«, sagte sie leise.

Langsam leerte sie ihr Glas, dann schlenderte sie lässig zur Tür und ging in die Nacht hinaus. Durch die offene Tür war das Pfeifen der Lok zu hören. Diesmal aus größerer Nähe.

Lassiter wartete im Eingang des Futtermittelladens neben dem Saloon. Er beobachtete die Straße und den Saloon. Aber offensichtlich wollte ihm niemand folgen.

Er ging auf den hölzernen Gehsteig hinaus. Seine Stiefelabsätze klapperten zu sehr auf den alten Planken. Er trat in den Staub der Straße und ging auf die Ecke des Mietstalles zu. Dort blieb er stehen und warf einen Blick zurück. Er konnte noch immer keinerlei Bewegung entdecken. Dann bog er in die Seitenstraße neben dem Gebäude ein.

Hier stand die Frau, den Rücken gegen die krummen, ungestrichenen Bretter gelehnt.

Lassiter sah nur das verschwommene Weiß ihres Gesichtes und ihrer Schultern. Ein heißer Windstoß fegte plötzlich über die Straße und zerrte am Rock der Frau. Der Rock blähte sich über Beinen, die Lassiter nicht sehen konnte.

Sie sagte: »Was wollen Sie, Fremder?«

Er berührte ihren weichen warmen Arm. »Wo können wir reden?«

»Warum reden?«

»Wo?«

Wortlos drehte sie sich um und ging in den ausgefahrenen Gleisen der Straße auf das sanft ansteigende, von Büschen überwucherte offene Land zu.

Die Hütte war klein; ein einziger Raum, aus Baumstämmen errichtet, die Hälfte der Ritzenverschmierung herausgefallen. Aber sie war sauber und ordentlich aufgeräumt. Das sah Lassiter schon von der Tür aus, wo er stehengeblieben war und wartete, bis sie die Lampe angezündet hatte. Der mit Perlschnüren behangene Glasschirm der Lampe wirkte in dieser Umgebung merkwürdig elegant.

Lassiter trat über die Türschwelle und schloss die Tür hinter sich.

Die Frau sprach kein Wort, sondern zog sich sofort aus. Als sie sich nach ihm umdrehte, sah er im Lampenlicht, dass sie goldgebräunt, gutgebaut und breit und kräftig in den Hüften war.

Das Bett war armselig – eine dünne, mit Heu ausgestopfte Matratze. Es machte Lassiter nichts aus. Wochenlang war er allein durch die Berge geritten.

Auch die Frau erkannte das ungestüm drängende Verlangen im Körper des Mannes.

Aber nachdem sie ihren gegenseitigen Hunger gestillt hatten und nackt eng nebeneinanderlagen, hatte sich die Stimmung der Frau noch nicht gebessert. In ihrer Stimme klang keine Hoffnung, sondern nur gezügelte Neugier mit. »Warum hast du dir gerade mich ausgesucht?«

Er log: »Du warst allein. Eine Frau wie du sollte nicht allein sein. Nicht in einem Saloon. Warum hast du mich vorhin einen Narren genannt?«

»Weil ich Gift bin. Alle haben Angst, mich anzurühren, solange Johno noch am Leben ist. Sie haben sogar Angst, mir einen Drink zu servieren.« Tiefe, brennende Bitternis klang in ihren Worten mit. »Obwohl er im Gefängnis sitzt, haben sie immer noch Angst. Obwohl er gehängt werden soll, wagen sie nichts.«

»Wenn er so schlimm dran ist... wovor haben die anderen dann noch Angst?«

»Er ist einer von Butch Cassidys Leuten. Man weiß nicht, ob Butch in die Stadt kommen wird, um ihn zu befreien. Man weiß nicht, wer du bist. Hast du nicht gesehen, wie sie dich beobachtet haben?«

»Ich hab's gesehen.« Lassiter wälzte sich aus dem Bett, zog sich an und warf ein Zwanzigdollarstück klirrend auf den Waschständer. »Zieh dir ein paar Sachen für einen Ritt an. Ich werde dich holen kommen.«

Die Frau nickte langsam. Sie verstand nichts, aber sie war es gewöhnt, Befehlen zu gehorchen. Jedem Befehl.

Lassiter ging wieder in die Nacht hinaus. Er holte die Pferde, die er eine halbe Meile vor der Stadt zurückgelassen hatte, und band sie zwischen den Büschen hinter der Hütte an.

Dreißig Minuten später stieß er die Schwingtüren des Saloons auf und ging hinein. Der Raum war immer noch von Lärm erfüllt, der jedoch jäh abbrach, als er eintrat. Sogar das Piano verstummte. Mit übertriebener Sorgfalt taumelte er schwankend wie ein Betrunkener zur Theke. Hier geriet er ins Stolpern und hielt sich rasch am Tresen fest. Mit schwerer Zunge bestellte er einen Drink.

Der verärgerte Barkeeper ließ sich Zeit mit dem Einschenken. Lassiter kippte den Drink auf einen Zug, schob das Glas über die Theke und sagte: »Noch einen!«

Der Mann funkelte ihn an.

»Sie haben genug! Gehen Sie zu Hope zurück. Schlafen Sie Ihren Rausch aus.«

Hope... ein komischer Name für eine Frau, die keine Hoffnung mehr hatte.

Lassiters Hand war sehr schnell. Er langte über den Tresen, bekam die schmutzige Schürze zu fassen und riss den Bauch des Mannes hart an die Tresenkante. Er schlug zu. Sehr hart. Der Barkeeper sackte zusammen.

Lassiter rempelte seinen Nebenmann an. Der Mann holte zu einem Schlag nach Lassiters Kopf aus. Lassiter duckte sich. Dann knallte er dem anderen die Faust in den Unterleib.

Im Raum brach plötzlich die Hölle los. Die Spannung war gebrochen. Alle drängten ungestüm vorwärts und trieben Lassiter in die Ecke. Hier war nicht viel Platz. Aber es waren viele Männer. Zu viele. Faustschläge prasselten auf Lassiter herab. Er konnte nicht alle abducken.

Ein großer Mann mit einem Stern auf der Brust stand von einem der Pokertische auf. Schwerfällig schob er sich durch die Menge. Lassiter lag auf dem Fußboden. Er hatte drei Fußtritte in die Rippen und einen ins Gesicht bekommen.

Der Sheriff drängte die Menge energisch zurück, bückte sich und zerrte Lassiter auf die Beine.

»Sie sind betrunken! Scheren Sie sich raus!«, befahl er.

Lassiter wischte mit dem linken Handrücken über die aufgeplatzten Lippen und starrte auf das Blut auf der rauen Haut. Im nächsten Augenblick drosch er dem Sheriff die rechte Faust in den Bauch.

Der Schlag trieb den Sheriff einen Schritt zurück, brachte ihn aber nicht von den Beinen. Er zog seine Waffe und knallte den schweren Lauf seitlich an Lassiters Kopf.

Lassiter brach bewusstlos zusammen.

II

In der engen quadratischen Zelle gab es zwei Pritschengestelle und einen Eimer. Erhellt wurde sie von einer Wandlampe im äußeren Office. Es stank nach betrunkenen, ungewaschenen Männern und nach Lysol.

Das Licht schmerzte Lassiters Augen. Stöhnend wälzte er sich auf die Seite und knurrte etwas vor sich hin.

»Halt's Maul!«, hörte er einen anderen sagen.

Lassiter öffnete die Augen. Es tat schon weh, nur die Lider zu heben. Er wandte den Kopf. Ein großer Mann lag auf der gegenüberliegenden Pritsche und hatte sich auf einen Ellbogen gestützt. Er hatte dichtes, lockiges blondes Haar und runde, blaue Augen.

Lassiter betastete behutsam die Beule an seinem Kopf, die ihm der Sheriff mit dem Coltlauf verpasst hatte. Auch das tat höllisch weh. Es gab überhaupt kaum noch eine Stelle an seinem Körper, die nicht irgendwie schmerzte. Lassiter fluchte monoton vor sich hin.

»Halt's Maul, sag' ich!«, schrie der andere Mann. »Wie soll man denn bei dem Krach schlafen, he?«

Lassiter hielt den Mund. Er schwang die Beine auf den Boden und saß nun auf der Pritschenkante. Langsam sah er sich in der Zelle um und betrachtete das Eisengitter, das die Zelle vom Office trennte. So etwas wie Alleinsein gab es in diesem Gefängnis nicht. Lassiter kam auf die Beine. Seine Knie zitterten. Energisch musste er eine Schwächeanwandlung niederkämpfen. Er bewegte die Muskeln, vermied es dabei aber, die Pritsche des anderen Mannes zu berühren. Dann blieb er vor dem Gitter stehen und starrte ins Office. Auf dem Schreibtisch lag der Waffengurt. Niemand war im Office anwesend. Immer noch Arme, Beine und Rücken bewegend, drehte sich Lassiter um und ging zu der Pritsche, auf der der blonde Mann lag und ihn beobachtete. Lassiter lächelte den anderen mit schmerzlich verzogenem Gesicht an und fragte: »Gefällt's dir in dieser lausigen Zelle?«

Johno Wade starrte ihn offenen Mundes an. Die Überraschung in seinen blauen Augen war echt.

»Das ist aber 'ne verdammt dämliche Frage.«

Lassiter zuckte die Schultern.

»Warum dann hierbleiben?«

Der Blonde riss die Augen auf.

»Du bist wohl verrückt, was?«

Wieder lächelte Lassiter.

»Willst du mit mir zusammen abhauen?«

»Hör auf, solchen Quatsch zu reden. Ich soll nächste Woche gehängt werden.«

»Na, dann stapele mal die Matratzen dort drüben in der Ecke neben der Tür auf.«

Wade rührte sich nicht. Lassiter nahm die Matratzen von seiner Pritsche und schleuderte sie in die Ecke.

»Stell die anderen dagegen, aber schnell, bevor jemand kommt«, sagte er zu Wade.

Jetzt kam Leben in Wade. Er wusste auch nicht, wieso – aber irgendwie wirkte dieser Mann überzeugend, auch wenn sich alles ziemlich verrückt anhörte. Wade stapelte die Strohmatten zusammen, dann ging er zum Fenster hinüber, wo Lassiter bereits an der Arbeit war.

Lassiter hatte einen Arm durch die Gitterstäbe geschoben und tastete am unteren Fenstersims entlang. Er fand das Ende der Zündschnur, die er in einen Mauerspalt gezwängt hatte, lockerte sie und zog sie herein. Er riss ein Zündholz an und hielt das Flämmchen an die Lunte.

»Zurück! Mach dich auf was gefasst!«, sagte er zu Wade.

Die Zündschnur sprühte Funken. Johno Wade starrte sie an und sagte: »Woher, zum Teufel, hast du denn das Ding?« Ohne jedoch eine Antwort abzuwarten, ging er schleunigst hinter dem Matratzenstapel in Deckung.

Lassiter hoffte, dass nicht gerade jetzt jemand ins Office kommen würde. Er ließ die brennende Lunte aus dem Fenster fallen, zog sich an den Gitterstäben hoch und presste sein Gesicht dagegen, damit er nach unten sehen konnte. Er hielt den Atem an. Wenn die Zündschnur unten im Staub erlöschen sollte...

Sie brannte weiter. Die winzigen Funken fraßen sich daran entlang und folgten einem gewundenen Pfad bis zum Versteck des Dynamits, das Lassiter am Fuße der Mauer vergraben hatte.

Lassiter beobachtete die Lunte, bis er sicher sein konnte, dass sein Plan nicht unterbrochen wurde. Dann erst sprang auch er mit einem Riesensatz hinter die aufgestapelten Matratzen und zog sich eine davon über den Kopf. Johno Wades geknurrte Frage hörte er überhaupt nicht mehr, denn sie ging in der scharfen Explosion unter, die in diesem Augenblick unten auf der Straße krachte.

Die Mauer geriet ins Wanken. Ein breiter Riss klaffte auf. Langsam brach das Mauerwerk zusammen. Auch ein Teil des hölzernen Daches stürzte ein.

Lassiter schleuderte die Matratzen beiseite und sprang auf die Beine. An einigen Holzbalken züngelten bereits Flammen auf. Er bückte sich und riss Wade vom Boden hoch. Derb stieß er ihn vor sich her auf das Feuer zu. Wade wollte zurückzucken, doch Lassiter schob ihn energisch weiter und folgte dem anderen durch die nun hellauf prasselnden Flammen.

Wade war vom Sturz auf die Straße halb betäubt. Ungestüm zerrte Lassiter ihn hoch und zischte ihm ins Ohr: »Im Gebüsch hinter Hopes Hütte stehen drei Pferde. Ich treffe dich dort in fünf Minuten. Bring das Mädchen in den Sattel!«

Er schüttelte Wade noch einmal kräftig, um ihn wieder richtig zu sich zu bringen, dann versetzte er ihm einen derben Schubs, rannte um die Ecke des Gebäudes, stürmte ins Office, schnappte sich seinen Waffengurt vom Schreibtisch und schnallte ihn um.

Bisher hatte sich niemand blicken lassen. Von einem Wandhaken nahm er einen zweiten Waffengurt und sprang auf die Straße zurück. Hinter ihm brach das restliche Dach in einem Funkenregen zusammen. Vor der Tür blieb Lassiter kurz stehen und sah die Straße entlang.

Die Menge im Saloon war noch nicht auf die Straße herausgekommen, um sich nach der Ursache der Explosion zu erkundigen. Wahrscheinlich rechneten die Männer wohl damit, dass Butch Cassidy in die Stadt gekommen war, um Johno Wade aus dem Gefängnis zu holen. Niemand schien sonderliche Lust zu verspüren, in Reichweite von Schusswaffen zu kommen. Da blieben sie schon lieber in sicherer Deckung und warteten erst einmal ab.

Lassiter rannte los. Als er vor dem Saloon vorbeikam, duckte er sich. Jemand feuerte einen Schuss auf ihn ab, als er in den Lichtschein geriet, der aus den Fenstern fiel, doch die Kugel zischte harmlos hoch in die Luft. Dann verschwand Lassiter bereits wieder im Dunkeln und rannte um die nächste Ecke. In langen Sprüngen hetzte er dem Ende der Nebenstraße zu.

Wade saß bereits im Sattel, Hope auf einem Pferd neben ihm. Lassiter zog sich in den Sattel des dritten Pferdes und trieb das Tier sofort an, noch bevor er richtig saß. Als er sich einmal flüchtig umdrehte, sah er, dass die beiden anderen ihm folgten.

Sicherheitshalber behielt er das scharfe Tempo etwa eine Meile bei, aber es gab keine Verfolgung. Niemand in Bridge hatte Lust, sich hier in die Berge zu wagen. Irgendwo hier oben mussten sich Cassidys fünfzig Männer aufhalten, die sicher nur darauf warteten, jeden umzulegen, dem es einfallen sollte, Wade zu folgen.

Lassiter bog in eine Bodensenke ein und verlangsamte das Tempo. Fünf Meilen folgte er dieser Richtung. Dann erst hielt er es für sicher, anzuhalten. Er glitt aus dem Sattel. Dem Mädchen vom Pferd zu helfen, überließ er Wade. Er wollte keinen Ärger mit diesem Mann.

Lassiter zündete ein kleines Feuer an, holte den Kaffeekessel aus seiner Deckenrolle, füllte ihn mit Wasser aus dem Fluss und stellte ihn aufs Feuer. Das Wasser war nicht gut; es roch brackig und stank nach Rindern, die wohl etwas weiter oberhalb ihre Tränke hatten. Aber in abgekochtem Zustand mit einer gehörigen Portion Kaffee ließ es sich jedenfalls trinken.

Wade stand neben dem Feuer und wartete ungeduldig. Kaum hatte Lassiter sich auf die Absätze gehockt und eine Zigarette gedreht, als Wade auch schon herausplatzte: »Wer, zum Teufel, bist du eigentlich?«

Lassiter ließ sich Zeit. Er sah zu dem anderen empor und lächelte dünn. »Ist das deine einzige Sorge?«, fragte er.

»Und ob! Du hattest doch die Sprengladung an der Gefängnismauer schon angebracht, bevor der Sheriff dich in die Zelle warf. Ich möchte wissen, warum?«

»Wollte dich rausholen. War die schnellste Art.«

Wade trat misstrauisch einen Schritt zurück.

»Warum denn das?«, fragte er.

»Damit du mich zu Butch Cassidy bringen kannst.«

»Dich zu...?« Wade starrte Lassiter offenen Mundes an. Dann lachte er rau und heiser auf. »Da hast du dir aber den falschen Mann ausgesucht, Mister! Ich kann niemanden zu Cassidy bringen.«

Lassiter schrieb diese Behauptung der üblichen Vorsicht eines Gesetzlosen zu. Er sagte leise: »Sicher kannst du das. Du bist doch sein Mann.«

Das versteckte Lächeln des anderen gefiel Lassiter ganz und gar nicht. Er wirkte irgendwie hinterhältig. Wade gab keine Antwort. Die Frau beobachtete Lassiter und sah von ihm zu Wade. Plötzlich erklärte sie in angewidertem Tonfall: »Weil Johno blöde war! Er wurde auf Herb Garnett eifersüchtig und hat ihn im Antler-Saloon erschossen.«

Wade wirbelte zu ihr herum. »Du hast dagestanden und ihn einladend angestarrt...«

Sie ignorierte ihn und sprach weiter zu Lassiter. »Hör zu, Fremder. Butch hat ein stilles Abkommen mit dem hiesigen Gesetz. Seine Bande macht in den Städten keinen Ärger, also erlaubt man den Leuten, dort aufzutauchen und wieder zu verschwinden, wie es ihnen passt. Johno hat dieses Abkommen gebrochen. Er hat einen Städter erschossen. Butch hätte Johno schon am nächsten Tag aus dem Gefängnis holen können. Aber er hat's nicht getan. Zum Teufel mit ihm, hat er gesagt. Soll er ruhig hängen.«

Lassiter schnippte den Zigarettenrest ins Feuer und ließ sich seine Überraschung nicht anmerken, als er antwortete: »Davon hast du mir aber kein Wort gesagt.«

»Du hast mich ja nicht danach gefragt.«

Der Klang in ihrer Stimme ließ Wade misstrauisch aufhorchen.

»He... woher kennt ihr beiden euch denn so gut?«

Hope reckte trotzig das Kinn vor.

»Ich habe ihn heute Abend im Saloon kennengelernt.«

»Du hast dich von ihm angeln lassen?«

Sie log leicht aus langer Übung. »Ich wollte dich rausholen. Er hat gesagt, dass er's kann.«

Jetzt wandte Wade langsam den Kopf. Lassiter beobachtete den wilden und zugleich überraschten Ausdruck in den Augen des anderen. Er wartete einen Moment. Wade ließ seine Hand von der Waffe sinken. Lassiter stand auf, bewegte dabei aber seine Hände nicht. Dann ging er zum Sattelpacken, fand den Blechbecher, brachte ihn zurück und füllte ihn mit Kaffee. Er reichte ihn absichtlich Wade zuerst. Der Blonde nahm ihn und reichte ihn an die Frau weiter. Lassiter füllte ihn erneut für den großen Mann. Er füllte ihn ein drittes Mal für sich selbst. Er trank und ließ die Zeit verstreichen. Die heiße Flüssigkeit brannte auf seinen zerschlagenen Lippen. Seine Stimme klang nachdenklich und mitfühlend, als er sagte: »Du hast also Ärger. Ich glaube nicht, dass Butch dich frei herumlaufen lassen wird. Du bringst mich also am besten zu ihm hinauf.«

Wade grollte: »Du bist wohl verrückt geworden, was? Er würde mich doch auf der Stelle umbringen.«

Lassiter schüttelte den Kopf.

»Nicht wenn du ihm sagst, wie er an zwei Tonnen Gold herankommen kann. Zwei Tonnen. Eine halbe Million Dollar. Damit würdest du dich bestimmt bei ihm beliebt machen.«

»In einer Bank?«, fragte Wade.

»In einem Zug.«

»In was für einem Zug? Wann?«

Lassiter presste kurz die Lippen zusammen.

»Mein As. Ich weiß es. Cassidy nicht.«

Johno Wade dachte nicht besonders schnell.

»Wenn du's weißt, warum willst du's dann Cassidy erzählen?«

»Ich brauche Leute. Oder könntest du vielleicht zwei Tonnen Gold allein aus diesen Bergen fortschaffen? Den Zug kann ich zwar anhalten, aber ich brauche Leute, die das Gold transportieren.«

Er sah von Wade zu dem Mädchen hinüber. Hope hatte ziemlich scharf die Luft eingezogen. Ihr Blick verriet zum ersten Mal so etwas wie Lebhaftigkeit.

»Hört sich nett an, was? Ob das Cassidy gefallen würde?«

Wade sagte: »Zum Teufel! Das stinkt. Ist doch nichts weiter als ein Lockköder. Du willst doch bloß zum ›Loch‹!«

»Nein.« Es war die Stimme des Mädchens.

Wade sprach zu dem Mädchen und beobachtete es dabei mit mürrischem Grinsen.

»Ja. Hast du eigentlich 'ne Ahnung, wie viele Bahndetektive schon versucht haben, ins ›Loch‹ zu schlüpfen? 'ne ganze Menge. Butch hat viele von ihnen getötet. Ich behaupte, dass dieser Mann hier von Wells Fargo ist.«

Lassiter dachte an Sidney Blood, den Spezialagenten der Express Company, der so versessen darauf war, Lassiter den Garaus zu machen. Er dachte an all die Jahre, die Blood ihm schon auf den Fersen war. Blood würde es nicht gerade allzu freundlich aufnehmen, dass man Lassiter für einen Mann von Wells Fargo hielt. Lassiter lachte.

»Denk mal 'nen Moment nach, Johno. Wenn du Cassidy diese Sache entgehen lässt, werde ich dafür sorgen, dass er's zu hören bekommt. Es wird ihm bestimmt nicht gefallen, dass du für ihn Entscheidungen triffst.«

Das Mädchen griff nach Wades Arm.

»Hör zu, Johno. Er ist kein Gesetzesvertreter. Diese Sorte rieche ich schon auf meilenweite Entfernung. Bring ihn zum ›Loch‹. Es ist deine einzige Chance, mit Butch wieder glattzukommen. Wenn Butch entscheidet, dass dieser Mann hier nicht in Ordnung ist, dann wird er schon selbst wissen, was er mit ihm zu machen hat.«

Der große Mann blieb jedoch misstrauisch und stur.

»Nichts zu machen. So wie ich mich auch nur in der Nähe dieses Canyons blicken lasse, wird mich der erste Posten, der mich zu Gesicht bekommt, ohne jede Warnung abknallen.«

Lassiter sah das Mädchen an.

»Würde er auch auf eine Frau schießen?«

In Wades Augen blitzte es kurz auf.

»Vielleicht nicht. Das könnte klappen.«

»Nein.« Das Mädchen keuchte erschrocken.

»Doch.« Wade packte den Arm des Mädchens mit brutalem Griff. »Du bist die Richtige für dieses Spiel. Du wirst hineinreiten.« Er ließ ihren Arm wieder los und versetzte ihr einen leichten Schlag an den Kopf. Das Mädchen kippte um. Es duldete diese Behandlung jedoch schweigend und sah Lassiter aus bittenden Augen an. Lassiter beobachtete sie, bewegte sich aber nicht. Seine Stimme klang lässig.

»Erzähle Cassidy, dass das Gold in einem ganz gewöhnlichen Gepäckwagen des Oriental Express befördert wird. Ich werde Cassidy das Datum nennen, wenn ich ihn sehe. Ohne mich kann er's niemals herausbekommen.«

III

Jedermann in drei Staaten sprach vom Hole-In-The-Wall, dem Loch-in-der-Wand. Aber nur wenige waren je dort oben gewesen. Dorthin zu gelangen, war genauso schwer wie ein Eindringen in die Münze von Denver.

Ein Schmuckstück von Tal. Viel frisches, fließendes Wasser, üppiges Gras, vor den rauen Nordwinden durch Berge geschützt. Es war eine natürliche Festung. Zerklüftete Bergwände bildeten die Begrenzung. Es gab nur einen einzigen Zugang, und dieser führte durch einen gewundenen Canyon, der so schmal war, dass er nur Platz für einen Reiter bot. Hinter dem oberen Ende erstreckten sich weglose Badlands, meilenweit nichts als Felshänge, Lavagestein, ausgelaugt, düster und unzugänglich.

Dieses Tal benutzte Butch Cassidy als Schlangennest für seine Bande, die allgemein nur als »Wild Bunch« bezeichnet wurde.

Zweimal hatte die Regierung, von Bahn- und Expresslinien gedrängt, Kavallerie ausgeschickt, um das Tal auszuräuchern. Cassidys Posten hatten ihn gewarnt. Die Gesetzlosen waren in die Badlands verschwunden und hatten keine Spur zurückgelassen. Es war unmöglich gewesen, ihnen über das harte Lavagestein zu folgen.

Die Soldaten hatten die Blockhütten niedergebrannt und waren wieder davongeritten. Sie hatten den Canyon noch nicht einmal ganz verlassen, da waren Cassidys Männer bereits wieder im Tal zurück und bauten aus der Asche ihre Stadt von neuem auf.

Die Stadt war schon längst wieder zu altem Leben erwacht, als Lassiter eingebracht wurde. Sie machte ganz den Eindruck eines normalen, friedlichen Gemeinwesens. Wie ein Todeshaus sah sie jedenfalls ganz gewiss nicht aus.

Sie waren in einer Reihe aneinandergebunden. Lassiters Holster war leer. Seine Hände hatte man ans Sattelhorn gefesselt. Vor ihm ritt Johno Wade. Er war auf dem Pferd festgebunden und hockte nach vorn geduckt im Sattel, als erwartete er jeden Augenblick den Einschlag einer Kugel. Hinter ihnen ritt die aus drei Männern bestehende Wache. Sie brauchten keine Zügel. Für irgendein Ausscheren der Pferde gab es keinen Platz. Die Wachposten hielten ihre Gewehre schussbereit.

Der Canyon verbreiterte sich zu einer Wiese. Der grasüberwucherte Weg ging in eine ebenfalls grasüberwucherte Straße über. Die Pferde trotteten ganz von selbst weiter, bis sie vor dem Store angehalten wurden.

Butch Cassidy hatte seinen Stuhl auf der hohen Galerie gegen die Rückwand gekippt, die aus roh behauenen Baumstämmen bestand. Er trug keinen Hut. Seine haselnussbraunen Augen musterten Lassiter. Lassiter kannte den Ruf dieses Mannes. Jetzt hatte er zum ersten Mal Gelegenheit, den anderen selbst einzuschätzen.

Ober keinen Outlaw im ganzen Westen wurde mehr als über Butch Cassidy gesprochen; aber der Mann war noch immer so etwas wie ein Mysterium. Express-Gesellschaften, Kutschen-Linien, Eisenbahnen und die Besitzer großer Ranches waren von ihm ausgeraubt worden. Systematisch hatte er sie ausgeplündert und ein legendäres Vermögen angesammelt. Doch die kleinen Kaufleute und die Ein-Mann-Ranches waren vor ihm sicher. Cassidy erlaubte es seinen Leuten auch nicht, die kleinen Städte und ihre Bewohner zu belästigen. Aus zwei Gründen. Erstens: Der Profit war nicht lohnenswert. Zweitens: Die kleinen Städte stellten für ihn so etwas wie eine Sicherheitszone dar. Dorthin konnte er gehen, wenn er das Tal einmal verlassen wollte.

Das war seine Stärke, und deshalb bestand er auch auf strikter Einhaltung dieser Regel. Und diese Regel hatte Johno Wade in betrunkener Vergesslichkeit gebrochen.

Er sah Lassiter an. »Wer sind Sie?«

»Lassiter.« Er wusste, dass ein einziger Fehler seinen Tod bedeuten würde.

Cassidys Stimme klang tonlos.

»Bringt ihn nach oben ins Tal und erschießt ihn. Johno ebenfalls.«

Einige Banditen drängten sich an die Gefangenen heran. Wade bettelte nicht. Er kannte Cassidy, und deshalb wusste er, dass Betteln keinen Zweck hatte. Anklagend sah er zu Lassiter hinüber.

Lassiter sagte rasch: »Warten Sie ein bisschen, Cassidy.«

Cassidy drehte sich langsam nach Lassiter um und ließ seinen Blick vom Pferd bis zum Gesicht des Reiters wandern.

»Was, zum Teufel, wollen Sie noch?«

»Haben Sie noch nie von mir gehört? Sie haben einen Mann ins Wells-Fargo-Office von San Francisco eingeschmuggelt. Er hält Sie ständig auf dem Laufenden.«

Der Bandit stritt es nicht ab. Das leichte Zucken um seinen Mund verriet, dass er amüsiert war.



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