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"Der Job lohnt sich wirklich für dich", sagte Ruth und trat nahe an Lassiter heran. "Nein", erwiderte der große Mann schroff und wandte sich ab. Doch Ruth zog ihn an der Schulter herum. "Nur nicht so eilig, mein Freund", flüsterte sie und begann, mit der freien Hand ihr Kleid aufzuknöpfen. Lassiter drehte den Kopf. Er sah, dass Ruth unter dem Kleid nichts als die blanke Haut trug. "Schaff uns den Killer vom Hals, Lassiter. Dann kannst du alles haben ..."
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
WER LASSITER KAUFEN WILL
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
Vorschau
Impressum
WER LASSITER KAUFEN WILL
Lassiter lenkte sein Pferd auf eine Anhöhe, von der er das Land überblicken konnte. Er zog seinen Hut fester in die Stirn, wollte nach der Stadt Ausschau halten. Aber seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Donnerndes Hufgetrappel zerstörte die Stille. Eine Staubwolke wirbelte von der Wagenstraße unterhalb der Anhöhe auf. Lassiters Augen wurden schmal. Durch die Staubschleier erkannte er die Silhouetten zweier Reiter. Tief über die Mähnen gebeugt, holten sie das Letzte aus ihren Pferden heraus.
Ein dritter Reiter tauchte auf, nur wenige Längen hinter den Fliehenden. Grellrotes Mündungsfeuer durchstieß den Staub. Dann erst trug die Schallwelle das Peitschen des Gewehrschusses herüber.
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1975 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 69 in der Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: Apache Junction
Einer der beiden vorderen Reiter wurde hochgerissen, warf die Arme empor und stürzte seitwärts aus dem Sattel. Hart prallte er auf den staubigen Boden, überschlug sich mehrmals und blieb reglos liegen. Sein Pferd verharrte nach wenigen Schritten und stieß ein schrilles, klagendes Wiehern aus.
Der andere versuchte, zur Seite auszubrechen.
Doch die Staubwolke gab ihm nicht den Sichtschutz, den er sich erhofft hatte. Reaktionsschnell schnitt ihm der Verfolger den Weg ab. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schmolz die Distanz zwischen den beiden Reitern zusammen. Wieder peitschte die Winchester. Zweimal, dreimal.
Der Getroffene schwankte im Sattel wie eine Gliederpuppe, der die Fäden abgeschnitten worden waren. Im nächsten Moment kippte er nach vorn über das Sattelhorn und schlug kopfüber zu Boden.
Die Staubwolke legte sich. Der Schießer, ein Mann in rotem Hemd, zog sein Pferd im Schritt herum und warf einen flüchtigen Blick auf den ersten, den er aus dem Sattel geholt hatte. Dann ritt er im zügigen Tempo zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Lassiter saß ruhig im Sattel. Doch es war eine äußerliche Ruhe. In ihm kochte der Zorn. Der Anblick des Todes war nichts Ungewohntes für ihn. Was ihn jedoch in Wut brachte, war die Brutalität und Kaltblütigkeit des Mörders, dessen Opfer sich nicht einmal zur Wehr gesetzt hatten. Noch vor Jahren hätte Lassiter eingegriffen, ohne auch nur einen Atemzug lang zu zögern. Heute zwang er sich, sich aus allem herauszuhalten, obwohl es ihn verrückt machte, einfach dazusitzen und nichts zu tun.
Grimmig beobachtete Lassiter, wie der Mann im roten Hemd außer Sichtweite verschwand. Der große Mann warf einen Blick zum Himmel und trieb den Grauen zum Trail hinunter. Vor dem ersten Toten zügelte Lassiter das muskulöse, hochbeinige Pferd, schwang sich aus dem Sattel und beugte sich über den reglosen Körper. Dann ging er hinüber zu der Stelle, wo der zweite Mann lag. Beide waren jung, höchstens Anfang zwanzig, schätzte Lassiter. Und beide waren tot.
Als sich die düsteren Wolken am Himmel zusammenballten, setzten Pferd und Reiter ihren Weg nach Westen fort.
»Apache Junction« stand auf einem verwitterten Holzschild am Stadtrand.
Es begann zu regnen, als Lassiter die einzige, triste Straße des kleinen Ortes entlangritt. Er erspähte ein Schild mit der Aufschrift »Hotel« über dem Gehsteig vor einem zweigeschossigen Gebäude mit einer windschiefen Veranda. Ein paar Häuser weiter gab es einen Mietstall. Lassiter stellte seinen Grauen dort unter. Minuten später trat er ins Freie, die Satteltaschen über die Schulter geworfen. Regentropfen malten dunkle Flecken auf sein Hemd und seinen staubbedeckten Hut, als er zum Hotel ging.
Der Mann hinter dem Empfangspult hatte eine schimmernde Halbglatze. Er hob den Kopf, als er die Fußbodendielen unter Lassiters Schritten knarren hörte. Dann nickte er und lächelte ein bisschen.
»Was soll's sein? Zimmer oder Bad?«
»Beides«, antwortete Lassiter.
»Macht genau einen Dollar.«
Lassiter ließ einen Silberdollar auf den Tresen klirren.
Der Mann grabschte nach der Münze, bevor sie ausgekreiselt hatte, und ließ sie in seiner Westentasche verschwinden.
»Nummer zwei, die Treppe rauf«, sagte er und übergab Lassiter einen Schlüssel.
»Das Zimmer ist auf der rechten Seite. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie fertig sind. Dann zeige ich Ihnen, wo Sie das Bad nehmen können.«
Lassiter nickte, ließ den Schlüssel am Mittelfinger seiner Linken klimpern und stieg die ausgetretenen Stufen zum oberen Stockwerk hinauf.
Es war abends um halb acht. Vor etwa einer Stunde hatte es aufgehört zu regnen. Die Straße hatte sich in eine Schlammwüste verwandelt. Licht, das aus den Fenstern der Häuser fiel, verursachte matte Reflexe auf den nassen Holzplanken der Gehsteige.
Lassiter hatte gebadet und sich eine warme Mahlzeit gegönnt. Er stand am geschlossenen Fenster seines Zimmers und blickte gedankenverloren hinunter auf die Straße. Unmittelbar hinter ihm, an der Querwand des Raumes, gab es eine Kommode, auf der eine Petroleumlampe stand. Als Lassiter sich umwandte, um das helle Licht herunterzudrehen, polterten harte Schritte die Treppe herauf.
Die Schritte näherten sich seiner Tür. Lassiters Muskeln spannten sich, als er sah, wie sich der Knauf drehte und die Tür aufgestoßen wurde.
Der Mann im roten Hemd stand auf der Schwelle. Irgendwo im Hintergrund brannte eine Wandlampe, die seine Silhouette mit scharfen Konturen zeichnete.
»Hat dir schon mal einer gesagt, dass man anklopft, bevor man ein fremdes Zimmer betritt?«, fragte Lassiter ruhig.
Der Mann war groß und schlank, größer als Lassiter ihn ursprünglich eingeschätzt hatte. Scharfe Furchen prägten sein Gesicht mit den dünnen Lippen und den kalten Augen. Er trug seinen Sechsschüsser auf die gleiche Weise wie Lassiter, tiefgeschnallt und mit dem Holster am rechten Oberschenkel festgebunden. »Dein Name, Mister?«
»Und deiner?«, konterte Lassiter.
»Cruze«, sagte der Mann und hielt mit halbgeöffneter Hand einen Blechstern hoch. Dann steckte er den Stern wieder in die Tasche und hakte seine Daumen hinter den Revolvergurt. »Ich lege Wert darauf, jeden Fremden in der Stadt zu kontrollieren. Wir hatten mehr als genug von Satteltramps und Revolverschwingern, die auf einen schnellen Dollar aus waren. Wir wollen unsere Stadt sauber halten.«
Als Lassiter nicht antwortete, blickte Cruze ihn forschend an. »Hab ich dich nicht schon mal gesehen?«
Lassiter schwieg.
»Möglich, dass es irgendwo an der Grenze war«, fuhr Cruze fort, »ja, stimmt! In Quemado war's. Was sagtest du, wie ist dein Name?«
»Lassiter.«
»Lassiter?«, echote Cruze. »Ja, zum Teufel! Lassiter! Kein Wunder, dass du mir bekannt vorgekommen bist. Ist schon lange her, dass wir zusammen geritten sind. Was machst du in Apache Junction? Irgendwas zu erledigen?«
»Nur auf der Durchreise. Ich brauchte ein heißes Bad, ein warmes Essen und zur Abwechslung mal ein richtiges Bett.«
»In Ordnung. Aber Leute von deiner Sorte sehen wir hier nicht gern. Du kannst die Nacht über bleiben, nicht länger. Sieh zu, dass du morgen früh wieder im Sattel sitzt.«
Lassiter lächelte, doch seine harten Lippen beteiligten sich nicht an dem Lächeln.
»Hab ich was Lustiges gesagt?«, fragte Cruze schroff.
»Nicht direkt«, entgegnete Lassiter leise, »ich erinnere mich nur langsam wieder an dich, Cruze. Obwohl es jetzt schon acht, neun Jahre her sein muss. Damals suchten sie dich wegen Mordes. Später hörte ich, dass ein US-Marshal dich geschnappt haben sollte. Aber man sagte, dass deine Freunde dich befreit hätten. Du sollst dann nach Mexiko gegangen sein.«
»Richtig. Aber ich bin zurückgekommen und habe mich gestellt.«
»Und sie haben dich nicht gehängt?«
Cruzes dünne Lippen formten ein kaltes Lächeln.
»Die Zeugen, die die Regierung aufgeboten hatte, waren allesamt verschwunden. Dem Gericht blieb nichts anderes übrig, als mich freizusprechen.«
»Ich denke, deine Freunde müssen eine Menge damit zu tun gehabt haben, um die Zeugen von der Bildfläche verschwinden zu lassen.«
»Kann mich nicht genau erinnern«, sagte Cruze und wandte sich zum Gehen. Dann, mit dem Rücken zu Lassiter gewandt, blieb er noch einmal stehen und blickte über seine Schulter zurück. »Wie gesagt, ich möchte, dass du morgen früh die Stadt verlassen hast. So früh wie möglich. Wenn ich dich hier noch antreffe, wirst du eine Menge Schwierigkeiten kriegen.«
»Du hast dich nicht ein bisschen geändert, Cruze, obwohl du jetzt einen hübschen Blechstern in der Tasche hast«, sagte Lassiter gelassen. »Man sagt, dass ein Leopard seine schwarzen Flecken nicht ändern kann. Und das gilt auch für einen Killer, stimmt's? Einmal ein Killer, immer ein Killer.«
»Du musst es wissen«, gab Cruze zurück, »du bist auch nicht gerade ein Waisenknabe.«
»Ich habe gesehen, wie du heute Nachmittag diese beiden Männer abgeknallt hast, Cruze. Das war nicht die Arbeit eines Gesetzesvertreters. Das war glatter Mord. Ich habe noch nie einen Sternträger gesehen, der anderen in den Rücken schießt. Aber genau das hast du getan.«
Cruze wirbelte herum. Seine Augen glühten.
»Die beiden Strolche kamen in die Stadt, um mich umzulegen.« Er schleuderte Lassiter die Worte förmlich entgegen. »Ihr Pech, dass ich schneller war und sie einsperrte. Aber ich wusste, dass sie es sofort wieder versuchen würden, sobald ich sie freiließ. Deshalb habe ich es ihnen ein bisschen erleichtert, aus dem Jail auszubrechen. Am Stadtrand habe ich gewartet und bin ihnen nachgejagt.«
»Nachdem du sicher warst, dass sie sich nicht irgendwo eine Waffe besorgen konnten.«
Cruze starrte ihn sekundenlang an. Dann lachte er hohl.
»Stimmt genau. Und ich hab sie beide erwischt. Soll ich dir was sagen, Lassiter? Diese Stadt war ein Höllenloch, als ich den Job übernahm, hier aufzuräumen. Eine Woche nachdem ich meine Ärmel aufgekrempelt hatte und an die Arbeit gegangen war, gab es nicht einen einzigen krummen Hund mehr in Apache Junction. Die, die nicht tot waren, hauten ab, als hätten sie den Teufel im Nacken. Nun, ich hab meinen Job getan, und Apache Junction ist wieder eine ruhige Stadt. Ich will, dass es so bleibt.«
Er drehte sich um und stelzte steifbeinig aus dem Zimmer.
Lassiter stand bewegungslos und horchte auf Cruzes Schritte, wie er die Treppe hinunterging. Dann, als er die Tür seines Zimmers schließen wollte, öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors die Tür mit einer krakelig gepinselten »3«.
Ein weißhaariger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und hängenden Schultern tauchte im Türrahmen auf und blickte Lassiter an. Seine Lippen verzogen sich zu einem dünnen, schiefen Grinsen.
»Hallo, Lassiter«, sagte er.
Der große Mann starrte ihn an.
»Ich werd' verrückt«, sagte er dann, »Dan McCabe!«
Der alte Mann lachte leise und kam humpelnd herüber, die rechte Hand ausgestreckt. Lassiter ging ihm entgegen und schüttelte ihm die Hand.
»Was, zum Teufel, tust du hier, Dan?«, wollte Lassiter wissen. »Komm herein, damit wir reden können.«
»Ich wohne hier«, antwortete McCabe und deutete mit einer Kopfbewegung auf seine Zimmertür. »Seit sieben Jahren, genauer gesagt, seit die Leute damals in River Town beschlossen, dass ich zu alt war, um den Sheriffstern für sie zu tragen.«
Lassiter hatte McCabe damals in River Town kennengelernt, als er die Wells-Fargo-Meute auf dem Hals gehabt hatte. Und McCabe hatte Lassiter aus der Klemme geholfen, hatte sich nicht auf die Winkelzüge der allmächtigen Company eingelassen.
»Was ist mit deinen Beinen?«, fragte der große Mann.
»Rheumatismus im linken, und das rechte habe ich mir gebrochen, als mich mein Pferd abgeworfen hat.«
Lassiter nahm ihn beim Arm und führte ihn in sein Zimmer, wo sie sich auf die Bettkante setzten.
»Es ließ sich nicht vermeiden, dass ich dich mit Cruze reden hörte, Lassiter«, sagte McCabe und grinste wieder. »Deine Tür stand nämlich weit offen. Als er gegangen war, musste ich einfach sehen, ob du mich noch kennst.«
»Alter Hundesohn! Denkst du, ich würde dich jemals vergessen?«
Der alte Mann lachte. Aber dann wurde er wieder ernst.
»Lassiter, dieser Cruze ist schwer zu verdauen. Wenn man jemanden als Killer bezeichnen kann, dann ihn. Es stimmt, was er über seinen Auftrag in dieser Stadt gesagt hat. Das Dumme ist nur, dass er diesen Job erledigt hat. Vor Monaten schon. Aber anstatt zu verschwinden, wo es in Apache Junction jetzt so ruhig ist wie auf einem Friedhof, hängt er hier fest wie eine Klette.«
»Was ist mit denen, die ihn bezahlt haben? Können sie ihn nicht wieder wegschicken?«
»Das wäre der Stadtrat, drei Männer: Wagner, Haskell und Flamm. Sie kriegen ihn nicht weg. Nicht, dass sie es nicht versucht hätten. Seit drei Monaten haben sie ihm keinen Cent mehr bezahlt. Trotzdem verschwindet er nicht. Und es gibt keinen hier, der Druck dahinter setzen könnte.«
McCabe schwieg sekundenlang, stützte das Kinn auf beide Hände und starrte den Fußboden an.
»Er ist ein harter Bursche«, fuhr er dann fort, »hart und rücksichtslos. Die, die versucht haben, es mit ihm auszuschießen, liegen schon gestapelt auf dem Stiefelhügel. Ich bin mächtig froh, dich hier zu sehen, Lassiter. Unser Freund Cruze wird zum ersten Mal vor einem Mann stehen, der in der Lage ist, ihm die richtige Antwort zu geben.«
»Du hast gehört, was er sagt, stimmt's? Ich soll morgen früh weiterreiten.«
»Klar habe ich das gehört. Aber ich weiß, dass du dich den Teufel darum scherst.«
Lassiter stand auf.
»Du irrst dich, Dan«, sagte er rau, »ich habe schon lange aufgehört, mir die Probleme anderer Leute aufzuhalsen. Ich habe herausgefunden, dass es sich nicht lohnt. Und es waren höllisch harte Zeiten, bis ich so weit war. Heute kümmere ich mich nur noch um einen einzigen Menschen, Dan. Um mich.«
Einen Moment lang saß McCabe wie erstarrt. Dann packte er mit einem wütenden Ruck den Bettpfosten und zog sich hoch.
»Sieht so aus, als ob ich einen Fehler gemacht habe«, sagte er, »dachte, du wärst ein anderer, ein gewisser Lassiter, den ich gut kannte. Der hatte vor nichts und niemandem Angst. Ich hätte wissen sollen, dass du es nicht bist, dass du ihm nur ähnlich siehst. Du hast mich ein bisschen an der Nase herumgeführt.«
Er stieß Lassiters Hand beiseite und stapfte hinaus. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Es war neun Uhr geworden. Bis auf wenige Lichter lag die Straße der kleinen Stadt im Dunkeln. Ein Pferd, das irgendwo an einem Hitchrail angeleint war, schnaubte leise.
Lassiter legte sich mit dem Rücken auf das Bett, ließ die langen Beine über die Kante pendeln, sodass seine Stiefelsohlen auf den kahlen Fußbodenbrettern ruhten. Er starrte zur Decke hinauf, die von Rissen durchzogen war.
Er wusste, dass er den alten Dan McCabe schwer enttäuscht hatte. Cruze war das Problem dieser Stadt. Und Lassiter dachte nicht daran, es zu seinem persönlichen Problem zu machen. Die Leute von Apache Junction hatten den Killer gekauft, um die Stadt zu zähmen. Sollten sie jetzt einen anderen kaufen, um den Killer zu zähmen!
Lange lag der große Mann sinnierend auf dem Bett.
Irgendwann später hörte er plötzlich leise Schritte auf dem Treppenabsatz. Dann klopfte es zaghaft an seiner Tür. Er richtete sich auf, ordnete sein zerwühltes Haar mit den Fingern.
»Ja?«
»Lassiter?«
Es war eine Frauenstimme. Er runzelte überrascht die Stirn und öffnete.
Die Frau war hübsch und rothaarig, hatte einen fransenbesetzten Schal um ihre Schultern gelegt. Die Enden des Schals hingen vorn über ihrem leuchtend grünen Kleid.
»Ruth!«, rief er in grenzenlosem Erstaunen. »Ruth McArdle. Dich hätte ich am allerwenigsten hier erwartet.«
»Hallo, Lassiter«, sagte sie nur und lächelte dabei. Energie und Härte spiegelten sich in ihren Augen und in ihren Mundwinkeln. Doch in ihrer Stimme lag echte Freude.
»Komm herein«, bat er und zog die Tür vollends auf.
»Danke«, sagte sie und ging an ihm vorbei. Dann drehte sie sich um und wartete, bis er die Tür geschlossen hatte und sich mit dem Rücken dagegen lehnte. »Es ist lange her, Lassiter.« Sie lächelte wieder.
»Ja, verdammt lange«, nickte er, »fast ein ganzes Leben. Zuletzt habe ich dich unten an der Grenze gesehen.«
»Als ich das Café in Quemado führte. Du warst damals mit Cruze zusammen.«
»Richtig. Was tust du in Apache Junction?«
»Der Saloon auf der anderen Straßenseite gehört mir.«
Er nickte und sagte: »Du hast dich kein bisschen verändert, Ruth. Du siehst noch genauso aus wie damals, als ich dich zum letzten Mal gesehen habe.«
»Nett von dir. Aber mein Spiegel spricht eine andere Sprache. Du bist es, der sich nicht verändert hat, Lassiter. Höchstens um die Augen und um den Mund herum.«
»Woher weißt du, dass ich hier bin?«
»Oh, sagen wir ... ein Vogel hat es mir zu gezwitschert.«
»Stimmt«, grinste er, »ein Vogel mit Rheuma in den Beinen. Einer, der es nicht verkraften kann, wenn jemand nicht genau das tut, was er sich vorstellt. Der alte Knabe ist sofort zu dir marschiert?«
»Er ist kein schlechter Kerl, Lassiter. Aber ich glaube, das brauche ich dir nicht zu sagen. Ihr beide seid Freunde gewesen. Du musst ihn besser kennen als ich.«
»Hm«, brummte Lassiter und hakte die Daumen hinter den Gürtel. »Was willst du von mir?«
»McCabe sagte, du hättest dich verändert. Ich wollte sehen, ob es stimmt.«
Er stieß einen Knurrlaut aus.
»Wie gesagt, ich finde, dass du dich kein bisschen verändert hast.«
»McCabe meint nicht mein Aussehen.«
»Ich weiß. Er erwartete von dir, dass du sofort hinausgehen würdest, um es mit Cruze auszutragen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass du es anders siehst als er.«
»Stimmt genau. Und als ich ihn abblitzen ließ ...«
»Ist er rausgerannt.«
»Und dann hat er mit dir geredet, damit du mich überzeugst.«
»Nein«, entgegnete sie energisch, »mich hat noch nie jemand zu irgendetwas überredet. Ich habe immer meine eigenen Entscheidungen getroffen. Das solltest du wissen. Und so wird es auch bleiben.« Er antwortete nicht.
»Was hast du in den vielen Jahren getrieben?«, fragte sie.
»Nichts«, antwortete er offen, »es gab nichts, wofür ich mich besonders interessieren konnte.«
»In der ganzen Zeit nicht?«
»In der ganzen Zeit nicht«, nickte er, »meistens war ich unterwegs. Mehr als ein paar Tage oder eine Woche habe ich mich nirgendwo aufgehalten. Schätze, ich bin ein Herumtreiber geworden, Ruth.«
»Du bist kein Satteltramp«, protestierte sie, »dafür bist du zu anständig. Du bist nicht der Typ, der sich einfach treiben lässt, ohne irgendeinen Lebenszweck. Du musst dich irgendwo niederlassen ... einen neuen Anfang machen. Ich will dir etwas sagen. Versuche es mit Kalifornien. Es ist ein neues, großes Land mit unendlich vielen Möglichkeiten. Dort solltest du einen neuen Anfang versuchen. Was hältst du davon?«
»Ich bin dort gewesen.«
»Dann geh noch einmal hin. Diesmal nur mit genug Geld, damit sich der Anfang lohnt. Du kannst es mir zurückzahlen, wann du willst. Dann, wenn du es geschafft hast.«
Er schüttelte den Kopf.
»In Ordnung«, sagte sie und zog die Schultern hoch. »Du musst wissen, was du tust. McCabe sagte, dass du morgen früh die Stadt verlassen wirst. Sehen wir uns noch, bevor du weiterreitest?«
»Ich denke ja, Ruth.«
Er öffnete ihr die Tür und blickte ihr nach, wie sie die Treppe hinunterging. Langsam und nachdenklich kehrte er in sein Zimmer zurück. Als er gerade die Tür schließen wollte, kam ein anderer die Treppe herauf. Es war ein Mann, und seine Schritte waren schnell und schwer. Reflexartig drehte Lassiter sich um und spähte durch den Türrahmen.
Cruze.
»Du schon wieder?«, fragte Lassiter müde.
»Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, Lassiter.«
Lassiter blickte ihn erstaunt an.
»Hast du vergessen, was du mir sagtest? Ich soll Apache Junction morgen früh verlassen.«
»Vergiss es. Ich kann deine Hilfe gebrauchen, und wenn du vorhast hierzubleiben ...«
»Kommt nicht in Frage.«
»Warum lässt du mich nicht ausreden? Lass uns reingehen. Über Geschäftliches rede ich nicht gern in aller Öffentlichkeit.«
Lassiter zögerte. Dann folgte er achselzuckend der Aufforderung.
Cruze trat ein. Lassiter schloss die Tür, drehte sich um und blickte den Mann an.
Ein dünnes Lächeln spielte um Lassiters Mundwinkel, und seine Stimme klang leicht amüsiert.
»Komische Sache, Cruze. Vorhin war jemand anders bei mir. Weißt du, was er von mir verlangte? Ich sollte dich herausfordern und dich töten. Das zeigt, wie beliebt du in Apache Junction bist. Jetzt stehst du hier und willst ein Geschäft mit mir machen. Wenn mich nicht alles täuscht, willst du, dass ich dir den Rücken decke.«
Cruze zog die Rechte aus der Hosentasche. Er hielt die Hand hoch, und das Funkeln eines Blechsterns war zu erkennen. Deutlich stand das Wort »Deputy« über dem Stern. Lassiter sah, dass das Metall an den Ecken angelaufen war. Ein Zeichen dafür, dass der Stern lange nicht benutzt worden war.
»Zehn Bucks pro Tag«, sagte Cruze knapp, indem er den Stern in der Hand wog. »Solange, wie ich dich brauche. Deinen Lohn zahle ich aus meiner eigenen Tasche, nicht aus der Stadtkasse. Ich weiß, dass du damals verdammt oft dein Leben riskiert hast. Jetzt kriegst du zur Abwechslung einen leichten Job angeboten. Du brauchst nichts weiter zu tun, als dir diesen Stern anzuheften und damit spazieren zu gehen. Läuft die Sache?«
Er streckte den Arm aus und hielt Lassiter den Blechstern hin.
»Nicht ganz«, sagte Lassiter, »weshalb änderst du so plötzlich deine Meinung? Erst willst du mich aus Apache Junction verscheuchen und in der nächsten Minute verlangst du, dass ich hierbleiben soll.«
»Ich sage es dir ganz ehrlich, Lassiter. Es ist für mich höchste Zeit, dass ich einen Deputy bekomme, der mich hin und wieder vertritt.«
»Klingt schlecht, Cruze. Du solltest dir eine bessere Erklärung einfallen lassen. Soweit ich gesehen und gehört habe, gibt es in diesem Nest kaum genug Arbeit für nur einen Gesetzesvertreter.«
Cruzes Stirnrunzeln spiegelte seinen Ärger. Deutlich war ihm anzusehen, wie sehr er sich dagegen sträubte, eine vernünftige Erklärung abzugeben. Dies war seine Stadt, und er war das Gesetz. Welches Recht hatte ein hergelaufener Bursche wie Lassiter, ihn auszufragen? Aber er beherrschte sich, weil er jetzt überzeugt war, dass er Lassiters Unterstützung brauchte.
»Was kümmert es dich, solange du gut bezahlt wirst?«, knurrte er.
»Es kümmert mich eine verdammte Menge. Und wenn du keine bessere Erklärung auf Lager hast, ist das Geschäft geplatzt.«
Cruze starrte ihn an. Die Furchen auf seiner Stirn wurden tiefer, und sein Gesicht verzerrte sich vor Ärger.